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Rita und Alfred haben einen behinderten Sohn mit Namen Eyolf. Alfred versucht sich als Autor, doch er gibt seine Pläne auf und beschließt sich mehr seinem Kind zuzuwenden, was von seiner Frau argwöhnisch betrachtet wird. Eine Rattenfängerin kommt unvermutet dazu, als Alfred gerade seine neuen Beschlüsse erläutert. Die Rattenfängerin erklärt, wie sie die Tiere mit Tönen einer Maultrommel fängt und ins Meer treibt. Eyolf verschwindet überraschend und ertrinkt. Die Beziehung des Ehepaares gerät über dem Trauerfall aus den Fugen.
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Seitenzahl: 98
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LUNATA
Klein Eyolf
Schauspiel in drei Akten
© 1839 Henrik Ibsen
Originaltitel Lille Eyolf
Aus dem Norwegischen von Karl Strecker
Umschlagbild Vincent van Gogh
© Lunata Berlin 2020
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Alfred Allmers, Gutsbesitzer und Schriftsteller, früher Lehrer
Rita, seine Frau
Eyolf, ihr Kind; neun Jahr alt
Asta Allmers, Alfreds jüngere Stiefschwester
Borgheim, Ingenieur
Die Rattenmamsell
Das Stück spielt auf Allmers' Gut, das am Fjord einige Meilen von der Stadt gelegen ist.
Ein elegant und geschmackvoll eingerichtetes Gartenzimmer. Viele Möbel, Blumen und Blattpflanzen. Im Hintergrund offene Glastüren, die zu einer Veranda führen. Weite Aussicht auf den Fjord. Waldige Bergrücken in der Ferne. An jeder Längswand eine Tür; die auf der rechten Seite ist eine Flügeltür und liegt ganz hinten. Vorn rechts ein Sofa mit losen Kissen und Decken. An der Sofaecke Stühle und ein Tischchen. Vorn links ein größerer Tisch mit Lehnstühlen. Auf dem Tische ein offener Handkoffer. Es ist frühmorgens im Sommer, und die Sonne scheint warm.
Rita steht am Tisch, mit dem Rücken nach rechts, und packt den Koffer aus. Sie ist eine schöne, ziemlich große, üppige, blonde Dame von etwa dreißig Jahren. Sie hat einen hellen Morgenrock an.
Nach einer Weile tritt Asta Allmers durch die Tür rechts ein. Sie trägt ein hellbraunes Sommerkostüm, Hut, Jackett und Sonnenschirm. Unter dem Arm hat sie eine größere Mappe, die verschlossen ist. Asta ist schmächtig, mittelgroß, hat dunkles Haar und tiefe, ernste Augen. Sie ist 25 Jahr alt.
Astaan der Tür. Guten Morgen, liebe Rita!
Ritadreht sich um und nickt ihr zu. Sieh mal an – Du, Asta! So zeitig schon kommst Du aus der Stadt? Ganz bis zu uns heraus?
Astalegt ab und tut ihre Sachen auf einen Stuhl neben der Tür. Es ließ mir nicht Rast noch Ruh. Mir war, als müßte ich heute zu Euch heraus und klein Eyolf sehen. Und Dich auch. Legt die Mappe auf das Tischchen am Sofa. Und so bin ich mit dem Dampfschiff gekommen.
Ritalächelt ihr zu. Und an Bord hast Du gewiß irgend einen guten Freund getroffen? Natürlich nur ganz zufällig.
Astaruhig. Nein, – keine Seele, die mir bekannt war. Erblickt den Koffer. Aber Rita – was ist denn das?
Ritapackt weiter aus. Alfreds Reisekoffer. Kennst Du ihn nicht?
Astavoller Freude, tritt näher heran. Was? Alfred ist wieder da?
Rita. Ja, denk Dir nur, – er ist ganz unerwartet mit dem Nachtzug angekommen.
Asta. Also das war es, was ich fühlte! Das war es, was mich hertrieb! – Und er hatte nichts vorher geschrieben? Nicht einmal eine Postkarte?
Rita. Nicht eine Zeile.
Asta. Und telegraphiert auch nicht?
Rita. Doch, – eine Stunde vor seiner Ankunft. Ganz kurz und kalt. Lacht. Sieht ihm das nicht ähnlich, Asta?
Asta. Jawohl. Er verschließt alles immer so in sich.
Rita. Doch um so netter war es, als ich ihn wieder da hatte.
Asta. Ja, das kann ich mir denken.
Rita. Volle vierzehn Tage früher, als ich ihn erwartet hatte!
Asta. Und es geht ihm gut? Er ist nicht verstimmt?
Ritaklappt den Koffer zusammen und lächelt ihr zu. Geradezu verklärt sah er aus, als er zur Tür hereintrat.
Asta. Und war auch gar nicht müde?
Rita. Doch, müde schien er mir schon zu sein. Tüchtig müde sogar. Aber der Ärmste war ja den größten Teil des Weges zu Fuß gegangen.
Asta. Und dann ist ihm die Hochgebirgsluft gewiß zu rau gewesen.
Rita. Nein, – das glaube ich durchaus nicht. Ich habe ihn nicht ein einziges Mal husten hören.
Asta. Na, siehst Du wohl! So war es doch gut, daß ihn der Arzt zu der Reise überredete.
Rita. Jetzt, da es endlich überstanden ist, da –. Du kannst mir aber glauben, Asta, es ist für mich eine entsetzliche Zeit gewesen. Ich habe nie davon reden mögen. Und Du bist ja auch so selten zu mir herausgekommen –
Asta. Das war gewiß nicht recht von mir. Aber –
Rita. Na ja, na ja, – Du hattest ja Deine Schule in der Stadt. Lächelt. Und unser Ingenieur – der war doch auch verreist.
Asta. Aber Rita, wie kannst Du nur –
Rita. Also schön, – lassen wir den Ingenieur aus dem Spiel. – Du hast keinen Begriff davon, wie sehr ich mich nach Alfred gesehnt habe! Diese Leere! Diese Öde! Puh – es war, als ob hier im Hause eins begraben wäre –!
Asta. Nun, mein Gott, – es waren doch nur sechs – sieben Wochen –
Rita. Ja. Du mußt aber bedenken, daß Alfred vordem noch nie von mir fort gewesen ist. Keine vierundzwanzig Stunden. Nicht ein Mal in den ganzen zehn Jahren –
Asta. Aber gerade darum, meine ich, war es in diesem Jahr wirklich höchste Zeit, daß er einmal ein bißchen herausgekommen ist. Jeden Sommer hätte er ins Gebirge sollen. Hätte er das nur getan!
Ritamit einem leichten Lächeln. Ach ja, Du hast gut reden. Wäre ich so – so vernünftig wie Du, dann hätte ich ihn wohl schon eher weggelassen – vielleicht. Aber ich konnte es nicht über mich gewinnen, Asta! Mir war, als würde ich ihn nie wieder zurückbekommen. Kannst Du denn das nicht begreifen?
Asta. Nein. Wohl deshalb, weil ich niemand zu verlieren habe.
Ritamit einem neckischen Lächeln. Hast Du wirklich so gar niemand –?
Asta. Nicht, daß ich wüßte. Abbrechend. Aber sag' mir, Rita, – wo ist denn Alfred? Schläft er vielleicht?
Rita. Keine Idee. Er ist heute genau so zeitig aufgestanden wie sonst.
Asta. Na, dann wird er wohl auch nicht besonders müde gewesen sein.
Rita. O doch, heut nacht. Als er ankam. Aber jetzt hat er über eine Stunde Eyolf auf seinem Zimmer bei sich gehabt.
Asta. Der arme, kleine, blasse Junge! Er soll wohl schon wieder mit dem ewigen Lernen anfangen?
Ritamit Achselzucken. Alfred will es doch so haben, weißt Du.
Asta. Ja, aber ich finde, Du solltest Dich dem widersetzen, Rita.
Ritaetwas ungeduldig. Nein, hör' mal, – da kann ich mich wirklich nicht hineinmischen. Alfred muß diese Dinge viel besser verstehen als ich. – Und womit soll sich denn Eyolf beschäftigen? Er kann doch nicht herumlaufen und spielen, – wie andere Kinder.
Astabestimmt. Ich werde mit Alfred darüber reden.
Rita. Tu das nur, liebe Asta. – Ei, sieh da –
Alfred Allmers, im Sommeranzug, tritt, Eyolf an der Hand, durch die Tür links herein. Er ist ein Mann von schlankem, feinem Wuchs und ist 36 bis 37 Jahr alt; er hat sanfte Augen; sein Haar und sein Bart sind braun und dünn. Auf seinem Gesicht ruht ein ernster, nachdenklicher Zug. – Eyolf trägt eine Art Uniform mit goldenen Schnüren und Wappenknöpfen. Er hinkt und geht mit dem linken Arm an der Krücke. Das Bein ist gelähmt. Er ist klein von Gestalt und sieht kränklich aus, hat aber schöne, kluge Augen.
Allmersläßt Eyolf los, geht vergnügt auf Asta zu und reicht ihr beide Hände. Asta! Liebste Asta! Du hier! Wie schön, daß ich Dich gleich sehe!
Asta. Mir war es, ich müßte –. Herzlich willkommen!
Allmersschüttelt ihr die Hände. Das war lieb von Dir!
Rita. Sieht er nicht prächtig aus?
Astastarrt ihn unverwandt an. Wunderbar! Ganz wunderbar! Diese hellen, munteren Augen! Hast wohl sehr viel geschrieben auf der Reise? In freudiger Erregung. Am Ende ist das ganze Buch fertig, Alfred?
Allmerszuckt die Achseln. Das Buch –? Ach, das –
Asta. Ja, ich habe mir gedacht, es würde Dir flott von der Hand gehen, wenn Du nur erst heraus wärst.
Allmers. Das dachte ich auch. Aber, schau, es ist ganz anders gekommen. Ich habe wirklich an dem Buch keine Zeile geschrieben.
Asta. Keine Zeile –!
Rita. Drum auch! Ich begriff gar nicht, warum das ganze Papier unberührt im Koffer dalag.
Asta. Aber, Alfred, was hast Du denn die ganze Zeit über getrieben?
Allmerslächelnd. Meinen Gedanken bin ich nachgegangen, nur meinen Gedanken –.
Ritalegt den Arm um seine Schulter. Hast Du auch ein bißchen an die gedacht, die zu Haus geblieben sind?
Allmers. Natürlich habe ich das. Sehr viel sogar. Tagaus, tagein.
Ritaläßt ihn los. Na, dann ist ja alles in schönster Ordnung.
Asta. Aber an dem Buche hast Du gar nicht geschrieben? Und doch siehst Du so froh und zufrieden aus? Das pflegst Du doch sonst nicht. Wenn Dir die Arbeit schwer fällt, meine ich.
Allmers. Da hast Du recht. Denn schau, früher bin ich so dumm gewesen. Denken ist des Menschen bestes Teil. Was aufs Papier kommt, taugt nicht viel.
Astaerregt. Taugt nicht –
Ritalacht. Bist Du von Sinnen, Alfred?
Eyolfblickt treuherzig zu ihm auf. O doch, Papa, – was Du schreibst, das taugt schon.
Allmersstreicht ihm lächelnd übers Haar. Natürlich, wenn Du es sagst, so –. Aber glaub' mir, – später kommt einer, der es besser machen wird.
Eyolf. Was für einer denn? Ach, sag' es doch!
Allmers. Nur Geduld. Er wird schon kommen und sich melden.
Eyolf. Und was tust Du dann?
Allmersernst. Dann gehe ich wieder ins Gebirg –
Rita. Pfui, schäm' Dich, Alfred!
Allmers. – hinauf zu den Gipfeln und großen Fernsichten.
Eyolf. Nicht wahr, Papa, ich werde bald so gesund sein, daß ich mit Dir kann?
Allmersschmerzlich berührt. O ja – vielleicht, mein kleiner Kerl.
Eyolf. Wie fein wär's, wenn ich auch in den Bergen herumklettern könnte!
Astaablenkend. Bist Du aber heut schmuck angezogen, Eyolf!
Eyolf. Nicht wahr, Tante?
Asta. Freilich. Dem Papa zu Ehren hast Du wohl den neuen Anzug an?
Eyolf. Ja, ich habe die Mama darum gebeten. Ich wollte, daß Papa mich drin sieht.
Allmersleise zu Rita. Du hättest ihm solch ein Kostüm nicht anschaffen sollen.
Ritaebenso. Er hat mich aber doch fortwährend gequält. Er bat so inständig. Er hat mich doch nicht in Frieden gelassen.
Eyolf. Ja, und dann, Papa, – Borgheim hat mir einen Bogen gekauft. Und er hat mich auch gelehrt, wie man damit schießt.
Allmers. Seh' einer, das ist so recht etwas für Dich, Eyolf.
Eyolf. Und das nächste Mal, wenn er wieder kommt, dann will ich ihn bitten, daß er mich auch das Schwimmen lehrt.
Allmers. Das Schwimmen! Was willst Du denn damit?
Eyolf. Jawohl, – unten am Strand die Jungen, die können alle schwimmen. Nur ich kann's nicht.
Allmersschließt ihn bewegt in die Arme. Was Du nur willst, alles sollst Du lernen! Alles, wozu Du Lust hast.
Eyolf. Ja, weißt Du, Papa, was ich am allerliebsten möchte?
Allmers. Nun? So sag'!
Eyolf. Am allerliebsten möchte ich Soldat lernen.
Allmers. Aber, Eyolfchen, es gibt doch so viele Dinge, die besser sind.
Eyolf. Aber wenn ich groß bin, dann muß ich doch Soldat werden. Das weißt Du ganz gut.
Allmerspreßt die Hände zusammen. Ja, ja, ja; wir werden sehen –
Astanimmt am Tische links Platz. Eyolf! Komm mal her zu mir – ich will Dir etwas erzählen.
Eyolfgeht zu ihr hin. Was denn, Tante?
Asta. Denk Dir, Eyolf, – ich habe die Rattenmamsell gesehen.
Eyolf. Was! Du hast die Rattenmamsell gesehen? Ach, Du hältst mich nur zum besten.
Asta. Nein, es ist wirklich wahr. Ich habe sie gestern gesehen.
Eyolf. Wo hast Du sie denn gesehen?
Asta. Auf der Landstraße vor der Stadt draußen.
Allmers. Auch mir ist sie da oben im Land irgendwo begegnet.
Rita, die sich auf das Sofa gesetzt hat. Vielleicht bekommen wir sie dann auch zu sehen, Eyolf.
Eyolf. Du, Tante, ist das nicht wunderlich, daß sie die Rattenmamsell heißt.
Asta. Die Leute nennen sie deshalb so, weil sie im Land und an der Küste herumzieht und alle Ratten vertreibt.
Allmers. Ich glaube, ihr richtiger Name ist Varg.
Eyolf. Varg? Das bedeutet ja einen Wolf.
Allmersstreichelt ihm den Kopf. So, das weißt Du auch, Eyolf?
Eyolfnachdenklich. Dann ist es am Ende doch wahr, daß sie in der Nacht ein Werwolf ist. Glaubst Du das, Papa?
Allmers. Ach nein, das glaube ich nicht. – Aber jetzt geh hinunter in den Garten und spiel' ein bischen.
Eyolf. Soll ich nicht lieber ein paar Bücher mitnehmen?
Allmers