Klimagefühle - Lea Dohm - E-Book

Klimagefühle E-Book

Lea Dohm

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Beschreibung

"Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise. Oder vielmehr: die damit verbundenen Gefühle", wissen die beiden Gründerinnen der "Psychologists for Future" Lea Dohm und Mareike Schulze. Und die Verdrängung von starken Gefühlen wie etwa Angst, Trauer und Wut ist bis zu einem gewissen Grad sogar notwendig, denn die unmittelbaren Folgen der Klimakrise sind bedrohlich und erschütternd. Sie stellen unser gesamtes Leben in Frage und tangieren so in hohem Maße unser Sicherheitsgefühl. Die Sorge ums Klima schlägt uns mit aller Gewalt auf die Psyche; sie lähmt, frustriert und "raubt" uns unsere wichtigen emotionalen Kapazitäten. Wir wissen, wir müssten uns im Kampf gegen die Klimakrise mehr engagieren, und kämpfen mit Schuldgefühlen. Wir werden aktiv und sind frustriert, weil unser Einsatz - wie so oft - am Ende nichts verändert. Und die Krise schreitet weiter voran. Inzwischen sehen sich viele Menschen mit starken Gefühlen wie der Klima-Angst, aber auch mit Wut, Frust, Hoffnungslosigkeit und Trauer ums Klima konfrontiert. Sie fühlen sich hilflos und überfordert. Nicht wenige haben solche Angst vor der Zukunft, dass sie keine Kinder mehr bekommen wollen. Wie man diese Menschen beruhigt, sie auffängt und welche Ratschläge man ihnen am besten an die Hand gibt, wissen die beiden Psychotherapeutinnen und Gründerinnen der "Psychologists for Future". In ihrem fundierten und praxisnahen Ratgeber teilen sie ihre Strategien für einen gesunden Umgang mit den eigenen Klima-Gefühlen und zeigen, wie man trotz Klimakrise psychisch gesund bleibt. Weil wir die Erde nur dann retten können, wenn es uns selbst gut geht! Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Mojib Latif und Beiträgen von Dr. Eckart von Hirschhausen, Carola Rackete, Özden Terli, Gregor Hagedorn, Stefan Rahmstorf und Harald Lesch.

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Seitenzahl: 333

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Lea Dohm / Mareike Schulze

Klimagefühle

Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die unmittelbaren Folgen der Klimakrise werden immer spürbarer. Und obwohl das Bewusstsein über die drastischen Ausmaße wächst, so ändert sich wenig. Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise – und auch die damit zusammenhängenden Gefühle. Dabei sind Klimagefühle wie Trauer, Scham, Wut, Schuld und Angst keinesfalls pathologisch, sondern im Angesicht einer globalen Krise völlig normal. Wichtig ist nur, dass wir lernen, mit dieser Bandbreite an Gefühlen umzugehen: Was tun gegen die Enttäuschung über das ausbleibende Engagement der Politik? Wie bleiben wir handlungsfähig? Und wie können uns unsere Gefühle beim Bewältigen der Klimakrise sogar behilflich sein? Die beiden Gründerinnen der »Psychologists for Future«, Lea Dohm und Mareike Schulze, bieten in ihrem fundierten und praxisnahen Ratgeber Antworten auf all diese Fragen und zeigen, wie uns Klimagefühle motivieren statt lähmen. Weil wir die Erde nur retten können, wenn es uns selbst gut geht!

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort

Einleitung

Klimagefühle – eine Einführung

Wegsehen, Bewusstwerdung und Einsicht

Exkurs: Die mediale Abbildung der Klimakrise

Exkurs: Achtsamkeit

Im Dschungel der Klimagefühle

Angst

Exkurs: Pandemien sind Naturkatastrophen

Ärger und Wut

Exkurs: Private Klimakommunikation

Traurigkeit

Behandlungsbedürftige Gefühle

Exkurs: Burn-out und nachhaltiger Aktivismus

Schuld und Scham

Neid

Freude und Verbundenheit

Hoffnung und Mut

Kinder und die Klimakrise

Exkurs: Parentifizierung

Ins Handeln kommen

Exkurs: Engagement für den Klimaschutz in Haiti

Individuelle und gesellschaftliche Klimaresilienz – ein Ausblick

Wohin geht die Reise?

Anhang

Unsere Klimagefühle–Gemeinschaft in alphabetischer Reihenfolge

Übersetzerinnen

Danksagung

Nachwort: Zuletzt

Für unsere Kinder und die Kinder dieser Welt.

Vorwort

von Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome, Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR Kiel

Der Klimawandel findet statt, jetzt und hier. Das ist wissenschaftlich belegt. Die Fakten liegen seit vielen Jahren auf dem Tisch. Die Erde erwärmt sich, das Eis schmilzt, die Meeresspiegel steigen und Wetterextreme nehmen zu. 2021 hat mein Doktorvater, Klaus Hasselmann, zusammen mit zwei Kollegen den Physiknobelpreis verliehen bekommen. Er hatte schon vor knapp 30 Jahren die Menschen als die Ursache für die globale Erwärmung identifiziert. Und trotzdem ist seit damals der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen förmlich explodiert. Corona hat daran wenig geändert, nach einem kurzfristigen Rückgang 2020 sind die Emissionen 2021 wieder angestiegen.

Für viele Menschen ist der Klimawandel allerdings kaum wahrnehmbar, was die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erschwert. Eigentlich müssten in unseren Köpfen längst die Alarmglocken schrillen. Die Treibhausgaskonzentrationen sind schon so hoch wie nie, seit es Menschen auf der Erde gibt. Wir merken es nur nicht, weil wir Treibhausgase wie zum Beispiel das Kohlendioxid (CO2) nicht sehen können. Würde sich der Himmel hässlich einfärben, zum Beispiel bräunlich, wäre die Bedrohung offensichtlich und die Menschen würden handeln. CO2 können wir auch nicht riechen, schmecken, hören oder tasten. Unsere Sinne sind nicht geeignet, um die Bedrohung durch den Klimawandel zu realisieren.

Warum kommen wir nicht vom Wissen zum Handeln? Die Abstraktheit des Klimaproblems ist sicherlich eine Ursache. Beim Klima ist es anders als bei Corona, wo sich Menschen unmittelbar bedroht fühlen. Viele haben noch die schrecklichen Bilder aus Norditalien oder New York im Kopf oder kennen Personen, die schwer erkrankt oder gestorben sind. Deswegen trägt die große Mehrheit bei uns die Coronamaßnahmen mit.

Eine weitere Ursache dafür, dass wir in Sachen Klimaschutz nicht vorankommen, ist die Tatsache, dass praktisch alle Lebensbereiche betroffen sind, wenn wir die globale Erwärmung auf das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Maß begrenzen wollen. Die Energieproduktion, die Mobilität oder die Nahrungsmittelproduktion, all das verursacht Treibhausgase. Viele Menschen wenden sich ob der Komplexität ab und wollen von dem Problem nichts mehr hören. Psychologie spielt eine wichtige Rolle, wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen.

Die Menschheit steht außerdem vor einer völlig neuen Art von Problemen. Globale Krisen können nur global gelöst werden. Es ist unerheblich, wo Treibhausgase in die Luft entweichen, weil sie Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Atmosphäre verweilen. Sie verteilen sich buchstäblich in Windeseile um den Erdball und betreffen deswegen alle Länder. National ist dem Klimaproblem nicht beizukommen.

Wegen der unterschiedlichen Interessen können sich die Länder auf den alljährlichen Klimakonferenzen nicht einigen. Das Klimaproblem ist vor allem auch eine Frage der Gerechtigkeit. Nur wenn die Lasten gerecht verteilt werden – zwischen Arm und Reich und den Generationen –, wird es Fortschritte in der Klimapolitik geben. Dazu gehört es auch, dass die Industrieländer beim Klimaschutz vorangehen, denn sie haben sich auf Kosten der Umwelt ihren Wohlstand erschaffen. Außerdem müssen die Industrieländer die aufstrebenden Länder in die Lage versetzen, sich nachhaltig zu entwickeln.

Der Club of Rome hatte vor nunmehr einem halben Jahrhundert im Jahr 1972 mit dem Bericht die »Grenzen des Wachstums«1 darauf hingewiesen, dass man den Planeten nicht beliebig ausbeuten kann. Die Menschen würden sonst ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Der italienische Industrielle, Aurelio Peccei, einer der beiden Mitgründer des Club of Rome, forderte eine kulturelle Revolution, ein Abenteuer des Geistes. Ohne eine solche Revolution des Denkens werden die Menschen die gewaltigen Probleme nicht lösen können, denen sie sich gegenübersehen, von denen die Klimakrise eines ist. Eine Revolution des Denkens geht nicht ohne eine Revolution des Fühlens. Um aus der Verleugnung der Klimakrise herauszukommen, müssen wir uns auch emotional mit ihr auseinandersetzen.

Einleitung

»Wir sind nur so blind, wie wir sein wollen.«

Maya Angelou2

November 2018. Greta Thunberg. Ein Name, der ein Thema auf den Tisch bringt, das mich, Mareike, mit voller Wucht erschlägt. Ich fühle mich überrollt wie von einem Tsunami. Und plötzlich ergibt vieles für mich Sinn.

Spulen wir die Zeit noch etwas mehr zurück. Im April 2018 bin ich Mutter geworden. Was für ein Glück! Eine wundervolle Erfahrung. Und was für eine Verantwortung! Ich genieße es, in Elternzeit zu sein und mich nur meinem Kind widmen zu können. Zugleich beginnt mit der Geburt meiner Tochter ein abartiger Hitzesommer, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Zu dem Zeitpunkt kann ich dieses Wetterextrem jedoch noch nicht einordnen. Nach und nach wird mein Mutterglück von meinen alltäglichen Notwendigkeiten überlagert – und gestört. Ich bin selbstständige Psychotherapeutin und habe im Jahr zuvor ein stark renovierungsbedürftiges Haus gekauft. Während der Elternzeit verlege ich meine Kassenpraxis näher an meinen Wohnort, um mehr Zeit mit meiner Tochter – statt Zeit im Auto – zu haben, wenn ich wieder arbeiten werde. Finanzielle Notwendigkeiten fangen an, mich zu bedrängen. Dabei will ich überhaupt noch gar nicht wieder arbeiten. Ich fühle mich gefangen in einer Mühle aus wirtschaftlichem Druck. Als Alleinerziehende ist die Herausforderung, alles unter einen Hut zu bekommen, besonders groß. Alles muss, zumeist eng getaktet, funktionieren. Ein Balanceakt.

Und dann kommt Greta Thunberg und es heißt: »System change, not climate change«3. Um ehrlich zu sein, packt mich zunächst die pure Systemkritik. Ich stelle mir die Frage: Wie kann es sein, dass ich mein Baby von jemand anderem betreuen lassen soll, um wieder in der Wirtschaftsmühle mitzulaufen? Ich fühle mich gefangen in – zum Teil auch selbst geschaffenen – Notwendigkeiten und will ausbrechen, fange innerlich an zu rebellieren.

Ich will etwas ändern, erkundige mich bei Parteien über deren Haltung zur Familien- und Bildungspolitik, finde mich aber nirgends so wirklich wieder. Da kommt »Fridays for Future« mir gerade recht. Ich fühle mich intuitiv angesprochen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich das Logo von »Fridays for Future« als Profilbild auf Facebook hochlade – ich beziehe vielleicht erstmals in meinem Leben politisch klar Stellung. Es fühlt sich aufregend und total richtig an.

Kurz darauf besuche ich in meiner Heimatstadt meine erste Demo. Einen Systemwandel, das will ich. Hin zu einem Leben, in dem Beziehungen wieder einen höheren Stellenwert haben und alles wieder langsamer und genügsamer geht. Ich habe das Gefühl, wirklich etwas bewegen zu können.

Es ist, als würden sich tausend Puzzleteile plötzlich zusammenfügen. Ich war zuvor nie ein sonderlich politisch interessierter Mensch, aber dies ändert sich nun ad hoc, eine Politisierung im Turbogang. Ich hatte zuvor schon oft das Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig läuft in unserer Gesellschaft; immer wieder begegnete mir bei mir selbst, aber auch in meinem Berufsalltag diese Leere, dieses permanente Getrieben- und Auf-der-Suche-Sein, doch ohne jemals anzukommen; kombiniert mit sich wiederholenden Erfahrungen regelrechter Beziehungslosigkeit, ein Mich-unverbunden-Fühlen; ich ersetze das durch Konsum und einen dauerhaften Verbesserungswahnsinn.

Plötzlich wird es zu einem vollständigen Bild: Die Natur wird ausgebeutet. Die Menschen werden ausgebeutet. Mich erschüttert die Unehrlichkeit in Politik und Journalismus, die mir zunehmend begegnet, je mehr ich mich in die Thematik der Klimakrise einarbeitete. Die Wirtschaft bestimmt unser Leben, mein Leben. Ich bin eine Sklavin der Wirtschaft und dieses perversen und ausbeuterischen Systems. Und ich verstehe allmählich all die Auswirkungen, die es hat: für die Menschen im globalen Süden schon jetzt. Für mein aktuelles Leben und für meine Zukunft. Und: Die Zukunft meiner Tochter ist akut in Gefahr! Bedroht von klimatischen Veränderungen, dem Verlust von Biodiversität. Und ich gebe an der Stelle zu: Noch ein paar Jahre zuvor gehörte ich zu der Fraktion: »Ist doch super, wenn es bei uns wärmer wird, ich mag den Sommer.« Jetzt beginne ich zu begreifen, wie Klimasysteme zusammenwirken und was es für Ökosysteme bedeutet, wenn Arten aussterben. Ein absoluter Schlag.

Ich bin niedergeschmettert. Setze mich selbst auf einen regelrechten Entzug: Ich kaufe kaum noch etwas, fahre fast alle Strecken mit dem Rad, stelle meine Ernährung um, fliege nicht mehr.

Die neu gewonnenen Erkenntnisse werden zur Triebfeder meines Tuns und zur Initialzündung für die Gründung der »Psychologists/Psychotherapists for Future«.

Aber noch mal zurück, denn zunächst war da ein Gefühl: Ich stehe unter Schock. Ich kann es nicht fassen, was auf unserem Planeten passiert, was die Menschen tun (oder eben nicht tun).

Ich durchlebe Phasen tiefer Trauer und Depression. Ich fühle heftige Schuld, als mir die globalen Zusammenhänge bewusst werden: Menschen sterben schon jetzt mitbedingt durch meinen Lebensstil! Ich habe Angst um die Zukunft meiner Tochter. Ich trauere um den Verlust der Natur, die ich sehr liebe, ich bin schon immer ein »Draußen-Mensch«. Ich sehe plötzlich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe: zum Beispiel, dass ich in einer absoluten Monokulturgegend lebe, in der man zwar Vögeln Futter hinstellen kann, aber kein Vogel da ist, um es zu fressen.

Und dann kommt die Wut. Ich muss zugeben, man kann bei dem Thema schon zynisch oder gar misanthropisch werden. Wie kann es sein, dass das passiert? Warum macht denn niemand was? Warum kümmert sich niemand angemessen? Und wie kann es sein, dass mein Berufsstand sich scheinbar überhaupt nicht für dieses Thema interessiert? Wo doch so viele Menschen psychisch krank sind, erschöpft, depressiv, ängstlich – die Anforderungen des scheinbar unbegrenzten Wachstums machen uns kaputt. Tagtäglich begegnen mir Menschen mit Selbstwertstörungen, oft geprägt von dem Gefühl, nie genug zu sein, nie genug zu leisten. Warum schauen scheinbar alle weg, wo wir es doch so offensichtlich mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun haben!

Dann der 27. April 2019. Meine Tochter ist kurz vorher ein Jahr alt geworden. Ich will wissen, was Kolleg*innen zu dieser Gesellschafts- und Klimakrise meinen, und poste meine Gedanken in eine Gruppe von Psychotherapeut*innen auf Facebook – und stoße auf sehr unterschiedliche Reaktionen. Es ist alles dabei, von »Wir dürfen als Psychotherapeut*innen nicht politisch sein« – was in mir nur die Frage aufkommen lässt: »Hä?« – bis »Ja, das sehe ich genauso«. Letzteres kommt von Lea.

* * *

Bei mir, Lea, war der Beginn des Jahres 2019 von so etwas wie der Ruhe nach dem Sturm geprägt. Als Familie mit zwei noch recht kleinen Kindern (damals vier und sechs Jahre alt) haben wir im Januar einen mexikanischen Austauschschüler verabschiedet, der 2018 elf Monate bei uns gelebt hatte. Zudem war nur wenige Monate zuvor recht unerwartet meine Schwiegermutter gestorben und ich selbst hatte mich einer – nicht bedrohlichen, aber unangenehmen – Operation unterziehen müssen.

Nun endlich will ich mich erholen. Erschöpft, aber glücklicherweise finanziell abgesichert, habe ich in meiner psychotherapeutischen Praxis etwas Stunden reduziert, mir in einem zuvor ungenutzten Raum unseres renovierungsbedürftigen Hauses einen gemütlichen, wenn auch kleinen Rückzugsort geschaffen und genieße es, mich in den paar freien Minuten dorthin zurückzuziehen und zu lesen.

So erfahre ich von Greta Thunberg und ihrem Schulstreik. Es irritiert mich. Ich wusste auch vorher bereits von der Klimakrise, schon der Erdkundeunterricht auf dem Gymnasium hatte mich aufgewühlt zurückgelassen. Aber es war alles schon lange her und ehrlich gesagt auch recht schnell wieder vergessen, dass ich mich ein wenig mit ökologischen Fragen beschäftigt hatte. Ich war viel zu sehr vom Leben als Mutter und selbstständige Psychotherapeutin ausgefüllt. Nun aber habe ich ja zum Glück etwas Zeit und beginne nachzuforschen. In meinem kleinen Zimmer lese ich immer weiter: David Wallace-Wells »The Uninhabitable Earth« (inzwischen gibt es dieses Buch auch auf Deutsch: »Die unbewohnbare Erde«4). Ich glaube ihm nicht, lege das Buch immer wieder beiseite und beginne, seine Quellen zu prüfen, lese mich quer durch seine Literaturangaben.

Das Gefühl, das mich in diesen Tagen und Wochen erfasst, entspricht dem, was wir wohl erfahren, wenn wir eine unbequeme Wahrheit herausfinden, die unsere bisher sicher geglaubten Grundfesten erschüttert. So stelle ich mir zum Beispiel das Gefühl vor, das Menschen empfinden, wenn sie herausfinden, dass ihr*e Partner*in sie seit Jahren betrügt.

Heute kann ich rückblickend erkennen, dass ich ein derart anhaltendes, durchdringendes Gefühl zuvor erst wenige Male im Leben hatte. Eine vergleichbar eindringliche Erfahrung war etwa die Geburt meines ersten Kindes, unserer Tochter. Und obwohl die Gefühle damals eher positiv geprägt waren, haben sie genauso lang anhaltende Auswirkungen auf meine Identität, auf meine Art, Dinge wahrzunehmen und durchs Leben zu gehen. Dann war es 2014 kurz nach der Geburt meines Sohnes so, als ich die Diagnose Gebärmutterhalskrebs erhielt. Auch zu dieser Zeit war ich logischerweise in größter Sorge, mein ganzes Leben war auf den Kopf gestellt und kaum mehr ohne dieses innere Wissen wahrnehmbar (ich unterzog mich allen nötigen und empfohlenen Behandlungen und zum Glück ging alles – bisher – gut aus).

So geht es mir nun mit dem Klima, auch wenn ich 2019 meine Gefühlswelt noch nicht so einschätzen oder reflektieren kann: Ich sehe in diesen Wochen vieles aus einer anderen, zusätzlichen Perspektive – wie durch eine unsichtbare Ökobrille. Wohl um mich weniger hilflos zu fühlen, ändere ich einige Verhaltensweisen. Ich beginne beispielsweise, konsequent Fahrrad zu fahren, und höre auf, neue Kleidung zu kaufen. Mir ist klar, dass ich mit diesem Wissen nicht so weitermachen kann wie zuvor.

Mein Mann scheint irgendwie weniger beeindruckt, als ich ihm von meinen neuen Erkenntnissen und meinen Gefühlen dazu berichte. Also gehe ich im März 2019 ohne ihn und nur mit den Kindern zu meiner ersten »Fridays for Future«-Demo in Hannover. Es ist kalt, es regnet, die Kinder wollen nach Hause. Aber es sind so viele Menschen da! Als Notnagel gebe ich den beiden Kindern ein Eis aus, und mit der Waffel in der Hand halten sie noch eine Weile durch, aber komplett mitlaufen geht nicht. Wir stehen also zu dritt am Rand der Demo, und während die Kinder immerhin zufrieden ihr Eis essen, laufen mir heimlich ein paar Tränen über die Wangen: Ich bin tief berührt davon, so viele Menschen zu sehen, die sich hier gemeinsam und entschlossen für Klimaschutz starkmachen. In diesem Moment fühle ich mich nicht mehr so allein wie zuvor.

Mein erster Klimastreik macht mir Mut, aber ich verspüre darüber hinaus in den folgenden Wochen anhaltenden Handlungsdruck. Meine Suche nach einer Gruppe beginnt, in die ich mich einbringen kann und die zu mir passt. Ich nehme Kontakt zu den »Parents for Future« in Hannover auf und werde nett empfangen. Gleichzeitig fällt es mir schwer, dort richtig anzukommen – schon allein deshalb, weil ich nicht direkt in der Stadt lebe und mir einige der dort zu verteilenden Aufgaben noch zu fremd erscheinen und irgendwie nicht richtig zu mir passen. Abends wieder in meinem neuen Zimmer, lese ich bei Facebook in einer Gruppe für Psychotherapeut*innen Mareikes Post: Ob die Klimakrise nicht auch etwas mit Psychologie zu tun habe? Ob wir nicht auch als Berufsgruppe diverse Anknüpfungspunkte an die Klimaproteste haben? Ja, absolut! Ich stimme zu und Mareike und ich nehmen Kontakt auf.

* * *

An dieser Stelle beginnt unsere gemeinsame Geschichte. Wir haben uns zwar erst wenige Stunden zuvor online »kennengelernt«, doch es ist uns beiden ernst: Wir beschließen, eine fachliche Stellungnahme zu schreiben und nach weiterer kollegialer Unterstützung zu suchen. Dies ist die Geburtsstunde der »Psychologists/Psychotherapists for Future« (»Psy4F«)5.

Voller Tatendrang, Hoffnung und einem aufregenden Wechsel aus Optimismus und Pessimismus setzen wir, ohne uns je »in echt« gesehen zu haben oder mehr über die Hintergründe der anderen zu wissen, all unsere Energie für unsere Initiative ein. Beflügelt von (zumindest teilweiser) positiver Resonanz legen wir Nachtschichten ein. Es fühlt sich total richtig und wichtig an. Wir setzen uns zum Ziel, vor den Europawahlen am 26. Mai 2019 unsere Stellungnahme mit einer ordentlichen Menge an Erstunterzeichnenden zu veröffentlichen, um möglichst viel Impact zu erzielen. In dem Text beschreiben wir unsere Grundideen: dass es psychologische Gründe dafür gibt, weshalb die Klimakrise ignoriert oder unterschätzt wird. Dass wir der Meinung sind, dass auch deshalb die Psychologie uns allen helfen kann, angemessen ins Handeln zu kommen. Und etwas gegen den Klimawandel zu tun!

Rückblickend war das vielleicht etwas naiv, aber genau dieses »wir machen einfach mal« hat uns immer vorangebracht. Unsere Nachfrage innerhalb beruflicher Organisationen, in unseren Kammern und Verbänden, ob denn die Klimakrise dort irgendwie auf der Agenda steht, hilft uns zwar inhaltlich nicht weiter, vergrößert unsere Gruppe aber auf fünf Menschen. Auch die Vernetzung innerhalb der Klimabewegung ist ein Leichtes und es ist regelrecht ermutigend, so viel Miteinander und Hilfsbereitschaft zu spüren. So können wir wenige Tage vor den Europawahlen unsere Stellungnahme mit über hundert Erstunterzeichner*innen auf unserer neu erschaffenen »Psy4F«-Webseite veröffentlichen.

* * *

Mittlerweile (im Frühjahr 2022) sind die »Psychologists/Psychotherapists for Future« ein eingetragener Verein. Die Stellungnahme wurde von mehr als 4500 Fachpersonen aus über zwanzig Ländern unterzeichnet, und weil wir inhaltlich über unsere Grundideen inzwischen weit hinausgewachsen sind, wurde die Möglichkeit, sie zu unterzeichnen, Ende 2020 deaktiviert. Es haben sich deutschlandweit mehr als 1000, europaweit mehr als 1500 Kolleg*innen, Psycholog*innen, approbierte Psychotherapeut*innen und Studierende der Psychologie bei uns gemeldet, weil sie sich auch aktiv einbringen möchten. Trotz Corona sind wir beständig weitergewachsen. Wir bestehen aus um die 30 quirligen und sich stetig verändernden Arbeitsgruppen, circa 40 Regionalgruppen, alle mit einem Ziel: einen psychologischen Beitrag für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu leisten.

Ich, Mareike, durfte im November 2019 auf dem Deutschen Psychotherapeutentag in Berlin sprechen (Er heißt wirklich so, der Titel ist nicht entgendert – müsste dringend mal geändert werden!). Ein Jahr später, im November 2020, durfte ich, Lea, für unsere Initiative den »taz Panter Preis« entgegennehmen. Bei fast allen Berufsverbänden und Psychotherapeut*innenkammern ist Klimaschutz mittlerweile Thema und in vielen Fachverbänden wurden zudem dauerhafte Arbeitsgruppen zur Klimapsychologie und -psychotherapie eingerichtet. Am 24. September 2021 taten sich endlich auch 36 der größten Psychotherapie-Verbände zusammen und riefen zu konkreten Aktionen und zum Klimastreik auf.

Was für ein bahnbrechender Erfolg!

Doch es war nicht alles einfach, an vielen Stellen gab es, wie auch zu Mareikes erstem Facebook-Post, spürbaren Gegenwind. Wir können die Briefe schon gar nicht mehr zählen, auf die wir nie eine Antwort erhalten haben. Wir haben auch viel Kritik geerntet. Auf dem Psychotherapeutentag haben uns einige etablierte Kolleg*innen aus der Berufspolitik sichtbar belächelt oder einfach gleich komplett ignoriert.

Wir haben in unserer Gruppe inzwischen auch Erschreckendes durchgemacht: Besonders erschüttert hat uns die Polizeigewalt, die einige »Psy4F«s zum Beispiel auf dem »RiseUp« in Berlin miterlebt haben, oder dass es Kolleg*innen (vor allem in ostdeutschen Bundesländern) gibt, die es aufgrund der gesellschaftlichen Stimmung nicht wagen, sich an Klimastreiks zu beteiligen und so sichtbar zu werden. Auch gab es auf Veröffentlichungen hin Bedrohungen aus dem rechten Milieu. Wir werden weder akzeptieren, dass friedlichen Protesten gewaltvoll begegnet wird, noch werden wir uns durch Drohgebärden einschüchtern lassen. Wir werden uns unermüdlich weiter für die demokratischen Grundwerte und unsere Menschenrechte einsetzen.

* * *

Was wir erlebt haben, hören wir auch von vielen anderen klimaengagierten Menschen in ähnlicher Weise: Es ist unglaublich bestärkend, mitunter gar beflügelnd, aus der eigenen Sorge heraus ins Handeln zu kommen. Doch wer andere von etwas überzeugen möchte, selbst wenn es um eine eindeutig gute Sache wie um eine (klima-)gerechtere Welt geht, erzeugt mit seinen Äußerungen im Gegenüber schnell unangenehme Gefühle, oft auch moralischen Druck und damit Widerstand.

Das ist in verschiedener Hinsicht ein Problem: Einerseits haben wir als Menschen verständlicherweise weniger Lust, uns mit einem Thema auseinanderzusetzen, das uns unangenehme Gefühle bereitet. Hinzu kommt, dass bei empfundenem moralischem Druck die Betroffenen schwerer selbst spüren können, was sie eigentlich wollen, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, dem Druck auszuweichen oder »gegen ihn anzudiskutieren«6. Als Autorinnen haben wir uns in den vergangenen Jahren einigen Herausforderungen stellen müssen, von denen wir später immer wieder berichten werden, wir haben aber auch einiges dazugelernt: Appellative Vorträge ändern wenig. Bloßes Wissen bringt keine Bewegung. Vortragende landen schnell in der Resignation, im Rückzug oder in einer eher frustrierenden, einsamen Form des Aktionismus.

Natürlich können wir diese Tatsachen nicht allein ändern. Es ist, wie es ist: Wir brauchen einen großen, allumfassenden gesellschaftlichen Wandel! Dazu gehört ein ganz wesentlicher Narrativ-Wechsel: In unserer vom Glauben an ein ständiges wirtschaftliches Wachstum geprägten Gesellschaft scheint es vielen Menschen heute noch gar nicht vorstellbar, sich innerlich mehr an eigenen Gefühlen oder ethischen Überlegungen entlang auszurichten. Wenn wir uns vom Wachtumswahnsinn und – damit verbunden – vom Streben nach Geld und Leistung verabschieden, stoßen wir in unserem Umfeld leicht auf Unverständnis. Oft müssen wir uns im Kontakt mit anderen dann erst mal die Rückmeldung gefallen lassen, wir seien »verträumt«, »idealistisch« oder schlicht »Spinner«, weil es offenbar für die wenigsten Menschen vorstellbar scheint, dass es ein Leben jenseits des Kapitalismus, von Konsumismus und stetem Leistungsstreben und -bewerten geben kann. Als Autorinnen möchten wir aber genau von diesem Weg nicht nur weiter träumen, sondern ihn gestalten: Wir möchten den Abschied von unserer gesellschaftlichen latenten Depressivität und der ständigen Suche nach Ersatzbefriedigungen – hin zu einer Neuorientierung an Gerechtigkeit, Bedürfnissen und Werten.

Wir brauchen kein Mehr-und-mehr – was wir brauchen, sind qualitative Veränderungen. Dazu gehört aber erst einmal etwas anderes, ein Gefühlswandel sozusagen: Wir brauchen den Mut, unsere Gefühle und Bedürfnisse wieder wahr- und ernst zu nehmen, um wieder beziehungsfähiger zu werden – mit uns selbst und anderen, aber auch mit unserer Umwelt. Es wäre doch ein wesentlicher Fortschritt, würden wir uns einmal die Zeit nehmen für ein gemeinsames Innehalten, Spüren und Reflektieren, wie es uns gerade geht. Dafür braucht es Zeit und Raum, Gespräche und Gefühle. Und genau um diese Gefühle soll es uns hier gehen. Denn nur sie führen uns mit dem nötigen Mut und der Kraft, die es brauchen wird, auf dem neuen Weg in eine umweltfreundlichere Zukunft.

Vielleicht ist unsere die aktuell politisch relevanteste Frage: »Wie fühle ich mich und was will ich deswegen oder dafür tun?«

Deshalb laden wir dich ein zu entdecken, was du in Bezug auf die Klimakrise fühlst, und gemeinsam zu überlegen, wie du gut und konstruktiv damit umgehen kannst. Dieses Vorgehen hat uns selbst in den vergangenen drei Jahren sehr weitergeholfen und vielleicht auch dazu geführt, dass wir heute nicht frustriert und ausgebrannt auf dem Sofa sitzen, sondern uns stattdessen weiter (meist) mit Freude für mehr Klimagerechtigkeit und eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder einsetzen.

* * *

Bevor es losgeht, an dieser Stelle noch ein wichtiger und grundsätzlicher Hinweis zum Buch: Aus verschiedenen Gründen, insbesondere zur Vereinfachung, haben wir uns dafür entschieden, in unserem Text durchgängig das Wort »Klimakrise« zur Problembeschreibung zu nutzen. Uns ist klar, dass dies nicht der sachlich richtige Ausdruck ist – stattdessen müssten wir richtigerweise mindestens von einer »Klima- und Biodiversitätskrise« oder auch einer »Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Klimagerechtigkeitskrise« schreiben. Es wäre toll, wenn du uns diese (und weitere) Komplexitätsreduktionen verzeihst.

Klimagefühle – eine Einführung

Gefühl, der Begriff G. oder Emotion lässt sich nicht definieren, sondern nur umschreiben, da sich G. auf nichts anderes zurückführen lassen. Was das Wort G. im psychologischen Sprachgebrauch besagt, lässt sich daher am besten durch die Aufzählung einzelner G. ausdrücken: G. sind Erlebnisse wie z.B. Freude, Ärger, Mitleid, Abscheu u. dgl. Hierin manifestieren sich persönliche Stellungnahmen des Individuums zu den Inhalten seines Erlebens (Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gedanken), wobei meist eine Lust- oder Unlustbetonung deutlich gegeben ist; jedoch ist diese nicht für alle G. charakteristisch.

Dorsch – Psychologisches Wörterbuch7

»Climate Change is a Psychological Crisis, whatever else it is.«

Bruce Poulsen8

Wir alle haben Gefühle zur Klimakrise – nur nehmen wir sie unterschiedlich stark wahr. Die Spanne dabei ist groß: Es gibt Menschen, die uns erzählen, dass sie – als sie die Klimakrise in all ihrer Bedeutung gefühlt haben – ihr Leben radikal geändert haben und sich seither für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und globale Klimagerechtigkeit einsetzen; es gibt Menschen, die sich stetig, aber langsam diesem Thema annähern und kleine Dinge in ihrem Alltag ändern, wie die Plastiktüte weniger oder einen Veggie-Day die Woche; und es gibt auch Menschen, die die Klimakrise scheinbar (!) kaltlässt.

Grundsätzlich ist es vollkommen normal, gesund und hilfreich, Gefühle zur Klimakrise zu entwickeln. Dabei können alle Emotionen auftauchen: Angst, Scham, Schuld, Wut, Trauer usw. Aber auch Gefühle wie Freude und Hoffnung können mit der Klimakrise verbunden sein. Die wichtigsten werden wir in den folgenden Kapiteln beschreiben – mit ihren Auswirkungen und unseren Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen.

Doch zunächst ganz grundsätzlich: Gefühle haben für uns eine wichtige Funktion: Sie sind »Bedürfnisanzeiger«, und die ganze große Spanne an Gefühlsintensität, also das meiste zwischen den beiden ungesunden Extremen einer vollkommenen Abwesenheit von Gefühlen und eines starken, nicht mehr regulierbaren Gefühlsausmaßes, ist normal und gesund.

Ganz deutlich gesprochen: Egal, was für ein Gefühl du hast, es ist erst einmal nicht pathologisch! Wir möchten dies vorweg ganz bewusst betonen, weil immer wieder versucht wird, unangenehmen Gefühlen zur Klimakrise einen Störungswert zuzuschreiben, den sie gar nicht haben. Einzig lenken solche Debatten vom eigentlichen Problem ab: der Klimakrise als solcher. Diese gilt es zu behandeln, nicht (primär) die Gefühle dazu. Wir brauchen sie sogar, denn sie motivieren uns zum Handeln.

Es gibt lediglich zwei eben schon angedeutete Extreme, die problematisch werden können: wenn Gefühle überhaupt nicht erlebt werden – oder wenn die Gefühle so stark werden, dass sie kaum mehr kontrollierbar sind. Erst dann sprechen wir Psycholog*innen davon, dass das jeweilige Gefühl einen Störungswert hat.

Gefühle nicht mehr zu erleben bedeutet für die Betroffenen, dass wichtige Probleme und Gefahren übersehen werden und somit notwendige Handlungen ausbleiben. Stell dir vor, du begegnest einem Säbelzahntiger und bekommst keine Angst. Du würdest nicht weglaufen oder dich auf einen Baum retten, sondern vielleicht ganz entspannt weiter tun, was du gerade tust. Im Ergebnis würde dich der Tiger fressen und du müsstest sterben. Etwas komplexer, aber in ähnlicher Art und Weise entwickelt es sich leider gerade bei uns als Menschheit mit der Klimakrise.

Eine emotionale Überflutung kann hingegen dazu führen, dass Lösungsmöglichkeiten vor lauter Gefühl gar nicht mehr gesehen werden. Wenn wir bei dem Säbelzahntiger bleiben: Du würdest vor lauter Angst vielleicht erstarren und es würde dir gar nicht mehr einfallen, wegzulaufen oder dich auf den rettenden Baum zu flüchten. Mit dem gleichen Ergebnis: Du würdest gefressen werden und sterben.

Natürlich hinken diese Beispiele etwas, denn niemand von uns wird je einem Säbelzahntiger begegnen, allein schon deshalb, weil sie ausgestorben sind. Die Säbelzahntiger der heutigen Zeit sind: Trinkwasserknappheit, Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung, Extremwetterlagen oder die Destabilisierung politischer und gesellschaftlicher Strukturen, die gar zu Kriegen führen können. Dies sind Dinge, die wir auch in unseren Breitengraden mit hoher Wahrscheinlichkeit mitbekommen werden oder gar schon mitbekommen haben.

Eine Überflutung durch (Klima-)Gefühle oder gar ein Hineinsteigern in sie ist dabei insgesamt kein häufiges Phänomen und tritt höchstens einmal vorübergehend auf, etwa bei einem Klimaschock, ein Zustand, über den wir in dem Kapitel über die Angst näher eingehen. Wenn eine Gefühlsüberflutung jedoch über einen sehr langen Zeitraum anhält, würden wir zunächst vermuten und könnte es sein, dass es der betroffenen Person auch unabhängig von der Klimakrise nicht immer leichtfällt, die eigenen Gefühle zu regulieren und zu verarbeiten.

Nehmen wir uns bitte schon hier einen Moment Zeit und nennen an dieser Stelle – also noch bevor wir tiefer in die Welt der Klimagefühle einsteigen – ein paar Möglichkeiten der gesunden Regulation starker Emotionen. Von heftigen Gefühlen wieder runterkommen – wie geht das eigentlich? Dieses Wissen ist auch hilfreich bei klimaunabhängigen schwierigen Gefühlen aller Art.

Stellen wir uns die Situation einmal so vor: Wir sind zu Hause in unserer Wohnung und fühlen uns unwohl. Es ist uns nicht ganz klar, warum dieses Unwohlsein auftaucht, es ist aber nun einmal da. Was in so einem Moment häufig passiert, ist, dass unser Kopf sich einschaltet und versucht, uns dabei zu helfen, einen Grund für dieses Unwohlsein zu finden. Möglicherweise schießen uns dann Gedanken durch den Kopf wie »Ich hatte heute aber auch schon wieder so einen miesen Tag!«, »Kein Wunder, dass XY mich nicht mag!« oder »Ich bin echt krass überlastet, wie soll ich das nur alles schaffen?«.

Dies ist genau der Punkt, an dem es sich lohnt, den Vorgang zu unterbrechen. Den Gefühlen, die wir wahrnehmen, spontan Gedanken hinzuzufügen, hat sich nämlich in den meisten aller Fälle als psychologisch nicht hilfreich erwiesen. Ganz im Gegenteil: Unsere Gedanken, die in emotionalen Momenten in uns auftauchen, sind in den wenigsten Fällen nützlich, um das Gefühl gut verarbeiten zu können. Oft verstärken sie sogar unseren unangenehmen Zustand und im allerschlechtesten Fall führen sie zum oben erwähnten starken und schwer regulierbaren Gefühlsausmaß. Passend dazu gibt es ein Sprichwort, bei dem es sich lohnt, es sich zu merken: »Wirf nicht das Holz der Gedanken in das Feuer deiner Gefühle!«

Was können wir stattdessen tun? Lenken wir unsere Aufmerksamkeit doch in solchen Momenten einmal auf unseren Körper! Was fühlen wir da gerade genau? Wie fühlt es sich an und wo im Körper spüren wir es? Wir können die Gedanken, die vermutlich eh immer mal wieder auftauchen, genau in diese Richtung lenken: Was passiert hier physiologisch gerade in uns? Und dann im nächsten Schritt können wir versuchen, einen guten, selbstfürsorglichen Umgang mit diesem Körpergefühl zu finden. Wir können zum Beispiel Körperteile, die unter Anspannung stehen, bewusst entspannen. Wir können uns irgendwo einkuscheln und so dafür sorgen, dass unser Körper zur Ruhe finden kann. Oder bewusst eine Hand auf die Stelle unseres Körpers legen, in der wir das starke Gefühl empfinden.

Wichtig ist dabei auch, dass wir uns für unsere Gefühle nicht selbst verurteilen oder gar anklagen. Förderlich ist es hingegen, wenn du deinem eigenen Gefühl liebevoll begegnest – wie eine Mutter ihrem Kind. Du kannst dir dabei vorstellen, dass du dein eigenes inneres Kind umarmst, ihm Trost spendest, es mit sanften Worten beruhigst.

Eine konkrete Technik der Gefühlsregulation, die sich als sehr hilfreich erwiesen hat, ist eine gezielte, einfache Atemtechnik: Wir lenken unsere Aufmerksamkeit auf unsere Atmung und versuchen ganz bewusst in die Richtung der angespannten Körperregion zu atmen. Hilfreich kann dabei auch die Vorstellung sein, dass wir Positives, Heilendes oder Entspannendes in dieser Weise einatmen – und dann die Anspannung, die Unruhe, oder was auch immer wir in diesem Moment an unangenehmem Gefühl empfinden, mit der Ausatmung aus uns herausbefördern.

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An dieser Stelle mögen wir als Autorinnen einräumen: So einfach, wie es im vorherigen Abschnitt klingen mag, ist das natürlich nicht. Obwohl wir als Psychotherapeutinnen durchaus in der Theorie und Praxis der Gefühlsregulation ausgebildet sind, gelingt uns selbst ein solches Vorgehen auch nicht immer. Besonders in Momenten starker, vielleicht unvorhersehbar starker Gefühle lässt es sich eher als ein Idealvorgehen betrachten, dem wir uns nur durch viel Wiederholung und mit gewissen Schwankungen immer weiter annähern können. Es gibt keinen Grund, sich schlecht zu fühlen, wenn dir ein solches Vorgehen nicht auf Anhieb gelingt! Wir möchten dich aber ermutigen, dranzubleiben und es weiter zu üben. Das kann sich echt lohnen.

Ich, Lea, erinnere mich etwa an Momente heftiger Wut, in denen ich durch die Wohnung getobt bin und meinem Mann über durchaus beeindruckend lange Zeit meinen ganzen Frust nur so »vor die Füße gekotzt« habe. Keine Spur von diesem mir selbst gegenüber liebevollen Runterregulieren! Stattdessen bin ich an einigen Tagen trotz der Toberei später noch mit Herzklopfen ins Bett gegangen, habe lange wach gelegen und auch am nächsten Tag weiterhin eine ordentliche Portion meines Ärgers gespürt. Immerhin ist es mir in der folgenden Zeit oft gelungen, meinen Frust in halbwegs konstruktives Handeln umzuleiten, indem ich zum Beispiel einen Brief oder eine E-Mail an die Adressat*innen geschrieben habe. Manchmal half es auch, dass ich mich mit anderen darüber austauschte und mich immerhin meist verstanden fühlte. War das Echo weniger verständnisvoll, hat das den Frust mitunter jedoch einfach weiter verstärkt. Übrigens ein Hinweis darauf, warum es so sinnvoll ist, sich einer Gruppe anzuschließen: Der regelmäßige Umgang mit Gleichgesinnten erhöht die Wahrscheinlichkeit enorm, dass wir mit unseren Klimagefühlen auf offene Ohren treffen.

Einen solchen Wutmoment hatte ich beispielsweise im Oktober 2020 nach den Beschlüssen der Europäischen Union zur Reform der Agrarpolitik. Nicht, dass ich mich je besonders für Agrarpolitik interessiert hätte. Dennoch hatte ich mich etwas in die Sachlage hineingefuchst und durch wochenlange Proteste gemeinsam mit »Fridays for Future« und anderen Gruppen versucht, mediale und öffentliche Aufmerksamkeit auf die Beschlüsse in Brüssel zu lenken. (Wer das nachverfolgen möchte, ist eingeladen, dem Hashtag #VoteThisCAPDown in den sozialen Medien zu folgen.) Allen durchaus sichtbaren Protesten zum Trotz, legte sich das Parlament in seinen Beschlüssen ohne wesentliche kritische Berichterstattung für weitere sieben Jahre auf Direktzahlungen an große Agrarlobbyisten fest, auch ohne dies mit irgendeiner Verpflichtung zum Umweltschutz zu verknüpfen. Nach all der Mühe und Arbeit für mich ein außerordentlich ärgerlicher, frustrierender und ernüchternder Moment.

Mein Ärger galt in dieser Zeit vor allem der fehlenden medialen Berichterstattung. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie eine Entscheidung, die die Einhaltung des Pariser Abkommens und damit eben auch unsere Zukunft betrifft, und die über derart hohe Geldbeträge (Immerhin ein Drittel des EU-Haushalts!) verfügte, neben damals diskutierten Impfstrategien und dem Wahlkampfduell Trump versus Biden kaum eine Schlagzeile wert zu sein schien. Als sich mein Ärger etwas abgekühlt hatte, machte ich mich auf die Suche nach einer Antwort und lernte dabei Sara Schurmann kennen. Sara ist eine Journalistin, die die Brisanz der Klimakrise verstanden hat und die sich seit Längerem für Reformen der Klimakrisen-Berichterstattung starkmacht. Sara und ich tauschten uns aus, schrieben später sogar einen gemeinsamen Artikel zur »Psychologie des Klima-Journalismus« und unterstützen uns bis heute gegenseitig in unseren Versuchen, Klimaschutz auf allen Ebenen voranzubringen.9

Wie gut, dass ich nach den EU-Beschlüssen nicht in meinem Ärger und meiner Frustration stecken blieb oder mich gar resigniert zurückzog! Gemeinsam wurde dann doch noch etwas Konstruktives aus der Sache.

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Wenn wir beide ungesunden Extreme der Klimagefühle (das kaum mehr regulierbare Gefühlsausmaß und die Abwesenheit von Gefühlen) einander gegenüberstellen, wird für uns als Autorinnen deutlich, dass uns im Alltag die scheinbare Abwesenheit von Gefühlen SEHR viel häufiger beschäftigt als ein Überschwang. Selbst im Umfeld der psychologischen Beratung von Klimaengagierten begegnet uns kaum jemals ein entgleistes Ausmaß von Klimagefühlen, obwohl dies vielleicht der Rahmen ist, in dem man es am ehesten vermuten könnte. Stattdessen treffen wir in unserem (Berufs-)Alltag täglich auf Menschen, die von dieser größten aller Menschheitskrisen kaum berührt scheinen, für die all die furchtbaren Prognosen und letztlich sogar ein doch tatsächlich drohendes Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, keine Rolle zu spielen scheint. Wie kann das sein?

Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage, aber folgende Faktoren spielen hier sicher eine Rolle: Zunächst einmal ist in der Psychologie gut bekannt, dass es eine große Anzahl von Menschen gibt, die ganz grundsätzlich Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu erkennen und zu benennen. Das betrifft nicht nur die Klimakrise, sondern ist zum Beispiel auch ein Problem in vielen Familien, Freundschaften oder Paarbeziehungen. Wenn du einmal kurz darüber nachdenkst: Bestimmt kennst auch du dir nahestehende Menschen, bei denen das der Fall ist. Über deren Gefühle du gar nicht viel weißt – und die Betroffenen selbst vielleicht auch nicht.

In der Fachsprache gibt es ein Wort für diesen Zustand, wir nennen ihn »Alexithymie«, was übersetzt so viel bedeutet wie »keine Worte für Gefühle« zu haben. Menschen, die unter Alexithymie leiden (und oftmals kann man hier tatsächlich von »leiden« sprechen), können ihre emotionalen Reaktionen kaum wahrnehmen oder sie den Situationen ihres Alltags zuordnen. Die wichtige Funktion der Emotionen als »Bedürfnisanzeiger« greift somit nur sehr bedingt oder geht gar ganz verloren. Das hat dann leider oft die Folge, dass es diesen Menschen schwerfällt, sich aus eigentlich für sie ungesunden Situationen zu lösen, angemessen auf Konfliktsituationen zu reagieren oder nahe Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Von Alexithymie Betroffene leiden häufiger an Depressionen, und es fällt ihnen allgemein schwerer, Freude zu empfinden. Unterm Strich lässt sich also festhalten, dass die Abwesenheit von Gefühlen kein Zustand ist, der für uns Menschen erstrebenswert wäre.10

Nicht alle Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu fühlen, sind auch gleich alexithym (wenngleich es wohl mehr sind, als wir spontan vermuten würden: Forschende gehen davon aus, dass circa zehn bis 13 Prozent der deutschen Bevölkerung zu dieser Gruppe gehören!). Oft liegt es auch in unserer Kindheit und Sozialisation begründet, dass eine kontinuierliche Gefühlswahrnehmung dem einen oder anderen einfach schwerer fällt und dass Betroffene später im Erwachsenenleben die eigenen Bedürfnisse immer wieder aus den Augen verlieren oder zu bestimmten einzelnen Gefühlen nur schwer einen Zugang finden.

Hier lohnt sich dann der Blick in die eigene Biografie. Wir lernen den Umgang mit Emotionen bereits ab dem Säuglingsalter zunächst von unseren nahen Bezugspersonen. Wenn es unseren Eltern gelingt, feinfühlig und liebevoll auf unsere kindlichen Signale einzugehen, sie zu spiegeln, zu differenzieren und angemessen auf sie zu reagieren, lernen wir bereits als Kinder, diese Zustände zu unterscheiden und schließlich auch, sie als Gefühle zu kommunizieren. Wenn unseren Eltern dies – egal, aus welchen Gründen – schwerfällt, haben auch wir es schließlich schwerer, unsere Emotionen in Sprache zu übersetzen. Wir können diese Fähigkeit dann zwar später noch nachlernen – zum Beispiel im Kontakt mit Menschen, die uns ehrlich zugewandt sind und uns empathische Rückmeldung geben –, aber oft bleibt es dennoch bei einem bewussten Hinwenden zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und wird weniger zum Automatismus. Viele, viele Psychotherapien beschäftigen sich übrigens mit genau dieser Lernerfahrung. Als Psychotherapeut*innen bringen wir unseren Patient*innen oft bei, ihre Gefühle zu differenzieren und angemessen zu kommunizieren. Das ist keine Aufgabe, die sich in kurzer Zeit erledigen lässt, sondern dauert oft Monate und Jahre und bleibt ein Kraftakt.

Kein Wunder also, dass es vielen Menschen noch schwerfällt, die Klimakrise in Gefühlen wahrzunehmen – erst recht, da diese medial, politisch und sozial weiterhin noch kaum angemessene Abbildung findet. So bleibt es unserer eigenen Initiative überlassen, ob und wie intensiv wir uns dieser Krise zuwenden. Doch die Zeiten ändern sich, und ein Wegschauen wird für uns alle schwerer und schwerer.

Wagen wir im Folgenden zunächst den Blick auf Mechanismen, die die emotionale Wahrnehmung der Klimakrise erschweren, bevor wir uns dann die Bandbreite der Gefühle anschauen, die die Klimakrise bei uns auslösen kann, und sehen im Anschluss, wie wir diesen Gefühlen angemessen und konstruktiv begegnen können.

Eine erste Konfrontation mit Klimafakten kann zum Teil massiv gefühlsverstärkend wirken. Ja, sie ist oft sogar angstauslösend. Daher ist es wichtig, ein paar »Werkzeuge« zum Umgang mit diesen Gefühlen zu haben, denn dann müssen wir sie nicht einfach nur abwehren, sondern ihre eigentliche Funktionalität – uns zum Handeln anzuregen – kann erhalten bleiben.

Wegsehen, Bewusstwerdung und Einsicht

»Das Verschwinden der Eismassen innerhalb der letzten dreißig Jahre ist epochal. Das kann man nicht leugnen, weil man sieht, wie sie verschwinden. Und was weg ist, ist weg.«

Özden Terli im Gespräch mit Mareike im Januar 2022

Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise. Vielleicht stutzt du an dieser Stelle – und vermutlich gehörst du tatsächlich zu den Menschen, die im Vergleich zu anderen bereits ein hohes Problembewusstsein haben. Und dennoch ist es eine mit Gewissheit zutreffende Feststellung: Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise. Vor allem: die damit verbundenen Gefühle.

Nur sehr selten hat unsere Untätigkeit in Sachen Klima heutzutage etwas damit zu tun, dass wir über zu wenig Wissen verfügen. Die sogenannte Wissens-Defizit-Hypothese11