Kloster Northanger. Roman - Jane Austen - E-Book

Kloster Northanger. Roman E-Book

Jane Austen.

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Beschreibung

Der posthum veröffentlichte Roman gehört zu den frühen Werken der englischen Klassikerin Jane Austen: Die siebzehnjährige Catherine Morland beeindruckt den jungen Geistlichen Henry Tilney mit ihrer frischen, naiven Art. Bevor Henry und Catherine ein Paar werden können, müssen sie allerhand kleine und große Hürden überwinden.

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Seitenzahl: 421

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Jane Austen

KlosterNorthanger

Roman

Aus dem Englischen übersetzt vonUrsula und Christian Grawe

Nachwort und Anmerkungen vonChristian Grawe

Reclam

Englischer Originaltitel: Northanger Abbey

1981, 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartDurchgesehene Ausgabe 2015Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung, Hamburg, unter Verwendung eines Farbkupferstichs »Lilas« von Langlois nach Pierre-Joseph Redouté (1759–1840). akg-imagesGesamtherstellung: Reclam, DitzingenMade in Germany 2017RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960979-9ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020406-1

www.reclam.de

Kapitel 1

Wer Catherine Morland als Kind gesehen hatte, wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt war. Ihre Lebensumstände, der Charakter ihres Vaters und ihrer Mutter, ihre äußere Erscheinung und ihr Naturell – alles sprach gleichermaßen gegen sie. Ihr Vater war Pfarrer, dabei aber durchaus nicht zu kurz gekommen oder verarmt, sondern ein sehr angesehener Mann, obwohl er Richard hieß1 – und eine Schönheit war er auch nie gewesen. Er besaß neben seinen beiden einträglichen Pfarrstellen ein beträchtliches Vermögen und hatte ganz und gar nicht die Angewohnheit, seine Töchter hinter Schloss und Riegel zu sperren. Ihre Mutter war eine schlichte, lebenstüchtige Frau von gleichmäßiger Freundlichkeit und – man höre und staune – unverwüstlicher Konstitution. Sie hatte schon drei Söhne, als Catherine zur Welt kam, und anstatt, wie man doch wohl erwarten durfte, bei ihrer Geburt zu sterben, lebte sie einfach weiter – lebte weiter und gebar sechs weitere Kinder, sah sie alle um sich herum aufwachsen und erfreute sich dabei selbst auch noch bester Gesundheit. Eine Familie mit zehn Kindern kann immer Anspruch auf das Wort »stattlich« erheben; dafür sorgt schließlich schon die Zahl der Köpfe und Arme und Beine, aber bei den Morlands gründete sich das Anrecht auf diese Auszeichnung auf wenig anderes, denn sie waren im Großen und Ganzen recht bieder, und ausgesprochen bieder war viele Jahre lang auch Catherine. Sie war mager und ungelenk, hatte einen blassen, glanzlosen Teint, glattes, dunkles Haar und ausgeprägte Züge. Soweit ihre äußere Erscheinung; ihre geistigen Gaben ließen die zukünftige Romanheldin auch nicht gerade ahnen. Sie liebte alle Jungenspiele und zog Cricket bei weitem nicht nur Puppen, sondern auch den Kindheitsvergnügen vor, mit denen sich Romanheldinnen im Allgemeinen die Zeit vertreiben, wie der Pflege einer kleinen Hausmaus, dem Füttern eines Kanarienvogels oder dem Gießen eines Rosenstrauchs. Ohnehin hatte sie mit Gärten nichts im Sinn, und wenn sie überhaupt Blumen pflückte, dann hauptsächlich aus Schabernack – jedenfalls musste man das daraus schließen, dass sie immer gerade die aussuchte, die sie auf keinen Fall nehmen sollte. So stand es um ihre Neigungen; um ihre Talente war es nicht minder vielversprechend bestellt. Sie lernte oder verstand nie etwas, bevor man es ihr erklärte – und manchmal nicht einmal dann, denn sie war oft unaufmerksam und gelegentlich sogar begriffsstutzig. Ihre Mutter brauchte volle drei Monate dazu, ihr »Des Bettlers Bitte« beizubringen, und sogar dann konnte ihre nächstjüngere Schwester Sally es immer noch besser als sie. Aber nicht, dass Catherine durchweg begriffsstutzig war, keineswegs; sie lernte die Fabel vom »Hasen und seinen vielen Freunden« im Handumdrehen.2 Ihre Mutter wollte, dass sie Klavierspielen lerne, und Catherine war Feuer und Flamme, denn es machte ihr großen Spaß, auf dem alten, unbenutzt herumstehenden Spinett zu klimpern, und so fing sie mit acht Jahren an. Nach einem Jahr war’s mit der Lust vorbei, und Mrs. Morland, die nicht darauf bestand, dass ihre Töchter sich trotz mangelnder Begabung und mangelndem Geschmack Bildung aneigneten, erlaubte ihr, damit aufzuhören. Der Tag, an dem ihr Klavierlehrer entlassen wurde, war einer der glücklichsten in Catherines Leben. Auch ihr Talent zum Zeichnen war nicht überragend, obwohl sie sich damit alle Mühe gab und mehr oder minder gleich aussehende Häuser und Bäume, Hühner und Küken zeichnete, wenn sie der Rückseite eines Briefes ihrer Mutter habhaft werden oder irgendein anderes Stück Papier erwischen konnte. Schreiben und Rechnen lernte sie von ihrem Vater, Französisch von ihrer Mutter, aber in keinem waren ihre Kenntnisse überwältigend, und sie schwänzte die Stunden, wann immer sie konnte. Was für ein sonderbarer, unergründlicher Charakter! Denn trotz all dieser Anzeichen von Verworfenheit im zarten Alter von zehn Jahren hatte sie weder ein schlechtes Herz noch einen schlechten Charakter, war selten bockig, fast nie unverträglich und trotz gelegentlicher tyrannischer Anfälle rührend zu den Kleinen; obendrein war sie laut und wild, hasste Stubenarrest und Sauberkeit und liebte es über alle Maßen, den grünen Abhang hinter dem Haus hinunterzurollen.

So war Catherine Morland mit zehn. Mit fünfzehn wuchs sie sich zurecht; sie fing an, sich Locken zu drehen und für Bälle zu interessieren; ihr Teint wurde klarer; Fülle und Farbe machten ihre Züge weicher; ihre Augen wurden lebhafter und ihre Figur betonter. Ihre Vorliebe für Schmutz wich der Freude an Samt und Seide, und mit dem Verstand kam auch die Sauberkeit. Mit Vergnügen hörte sie nun manchmal ihre Eltern sagen, wie sehr sie sich zu ihrem Vorteil verändert habe. »Catherine wird ein richtig gutaussehendes Mädchen. Heute sieht sie beinahe hübsch aus«, fing sie jetzt von Zeit zu Zeit auf, und solche Sätze waren Musik in ihren Ohren. Beinahe hübsch zu sein, bereitet einem Mädchen, das die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens unscheinbar war, größeres Entzücken als jemandem, der schon in der Wiege als Schönheit galt.

Mrs. Morland war eine herzensgute Frau und hatte die besten Absichten mit ihren Kindern, aber sie war so völlig mit ihrem Wochenbett und der Beschäftigung mit den Kleinen ausgelastet, dass ihre älteren Töchter notgedrungen allein zurechtkommen mussten, und daher war es auch nicht verwunderlich, dass Catherine, die von Natur so gar nichts von einer Heldin hatte, im Alter von vierzehn Jahren Cricket, Baseball, Reiten und Herumstromern den Büchern vorzog – oder wenigstens den Büchern, aus denen man etwas lernen konnte, denn vorausgesetzt, dass sich ihnen keinerlei nützliches Wissen entnehmen ließ, vorausgesetzt, dass sie nichts Theoretisches, sondern nur Handlung enthielten, hatte sie gegen Bücher gar nichts einzuwenden. Aber zwischen fünfzehn und siebzehn bereitete sie sich auf ihre Rolle als Romanheldin vor; sie las all die Werke, die Heldinnen gelesen haben müssen, um sich die Zitate einprägen zu können, die in den Wechselfällen ihres ereignisreichen Lebens so brauchbar und tröstlich sind.

Von Pope lernte sie, die zu verurteilen, die

»Scherz treiben mit dem Schmerz der andern«;

von Gray, dass

»Manch Blume muss verblühn in EinsamkeitUnd ihren Duft im Wüstensand verströmen«;

von Thompson, dass

»Es ist ein köstliches Bemühen,Des Geistes jungen Trieb zu ziehen«;

und Shakespeare versorgte sie mit einem großen Vorrat an Wissen, unter anderem, dass

»Dinge, leicht wie Luft,Sind für die Eifersucht Beweise, starkWie Bibelsprüche«;

dass

»Der arme Käfer, den dein Fuß zertritt,Fühlt körperlich ein Leiden, ganz so groß,Als wenn ein Riese stirbt«;

und dass eine verliebte junge Frau immer aussieht

»Wie die Geduld auf einer GruftDem Grame lächelnd«.3

So weit hatte sie also zufriedenstellende Fortschritte gemacht, und in manch anderer Hinsicht war sie auf dem besten Wege, denn obwohl sie keine Sonette schreiben konnte, zwang sie sich dazu, welche zu lesen, und obwohl anscheinend keine Aussicht für sie bestand, eine ganze Gesellschaft mit der Darbietung eines eigenen Préludes auf dem Klavier in Verzückung zu versetzen, konnte sie dem Spiel anderer zuhören, ohne merklich zu ermüden. Nur mit dem Zeichenstift wusste sie ganz und gar nicht umzugehen – sie hatte zum Zeichnen einfach kein Talent; es langte nicht einmal dazu, das Profil ihres Verehrers so zu skizzieren, dass ihre künstlerische Handschrift darin zu erkennen war. Hier blieb sie kläglich hinter der wahren Größe einer Romanheldin zurück. Aber vorläufig ahnte sie nichts von ihrer Unzulänglichkeit, denn sie hatte gar keinen Verehrer, den sie hätte porträtieren können. Sie hatte das Alter von siebzehn erreicht, ohne einen einzigen liebenswürdigen jungen Mann gesehen zu haben, der ihre Gefühle geweckt hätte, ohne eine einzige wahre Leidenschaft hervorgerufen zu haben, ja, ohne mehr als höchst mäßige und flüchtige Bewunderung erregt zu haben. Das war wirklich sonderbar! Aber sonderbare Dinge hören auf, es zu sein, wenn man ihnen auf den Grund geht. Es gab keinen einzigen Lord in der Nachbarschaft, ja, nicht einmal einen Baron. In ihrem gesamten Bekanntenkreis hatte nicht eine einzige Familie einen Jungen großzuziehen, den sie zufällig vor ihrer Tür gefunden hatte – nicht einen einzigen jungen Mann, dessen Herkunft unbekannt war. Ihr Vater hatte kein Mündel und der reichste Mann der Gegend keine Kinder.

Aber wenn eine junge Dame dazu bestimmt ist, Romanheldin zu werden, können auch die widrigsten Umstände in noch so vielen Familien der Umgebung sie nicht davon abhalten. Etwas muss und wird geschehen, damit ihr der Held über den Weg läuft.

Mr. Allen, dem die Ländereien um Fullerton – das Dorf in Wiltshire, wo die Morlands wohnten – zum größeren Teil gehörten, wurde wegen seiner Gichtanfälle ein Aufenthalt in Bath verschrieben, und seine Gattin, eine gutmütige Dame, die an Miss Morland Gefallen fand und sich vermutlich darüber im Klaren war, dass eine junge Dame Abenteuer anderswo suchen muss, wenn sie diese in ihrem eigenen Dorf nicht findet, lud sie ein, sie zu begleiten. Mr. und Mrs. Morland war es eine große Ehre und Catherine eine große Freude.

Kapitel 2

Zu allem, was über Catherine Morlands äußere und innere Gaben bereits gesagt worden ist, darf angesichts der bevorstehenden Schwierigkeiten und Gefahren eines sechswöchigen Aufenthalts in Bath zur genaueren Information des Lesers, und da die folgenden Seiten sonst ihr Ziel verfehlen würden, ein angemessenes Bild ihres Charakters zu geben, noch hinzugefügt werden, dass sie ein liebevolles Herz besaß, ein heiteres, offenes Gemüt ohne alle Einbildung oder Affektiertheit, ein Benehmen, das mädchenhafte Ungelenkheit und Schüchternheit gerade abgelegt hatte, eine angenehme und, wenn sie einen guten Tag hatte, sogar hübsche Erscheinung und einen so beschränkten und unerfahrenen Verstand, wie das bei jungen Mädchen von siebzehn gemeinhin der Fall ist.

Je näher die Abschiedsstunde rückte, desto größer wurde, wie der Leser erwarten darf, Mrs. Morlands mütterliche Besorgnis. Tausend unheilvolle Ahnungen von dem, was ihrer geliebten Catherine während dieser ungeheuerlichen Trennung zustoßen konnte, müssen ihr Herz mit Traurigkeit erfüllt, in Tränen aufgelöst muss sie die letzten zwei, drei Tage ihres Zusammenseins verbracht, und äußerst wichtige und nützliche Ratschläge muss ihr weiser Mund unweigerlich bei ihrer Abschiedsunterredung in ihrem Zimmer offenbart haben. Warnungen vor der Brutalität von Grafen und Baronen, die sich ein Vergnügen daraus machen, junge Mädchen gewaltsam in ein entlegenes Bauernhaus zu entführen, müssen in solch einem Augenblick ihr übervolles Herz erleichtert haben. Wer hätte etwas anderes erwartet? Aber Mrs. Morland wusste so wenig von Fürsten und Baronen, dass sie sich von ihrer Durchtriebenheit keine Vorstellung machte und gar nicht ahnte, welche Gefahren ihrer Tochter von ihren Machenschaften drohten. Ihre Warnungen beschränkten sich auf die folgenden Punkte: »Ich bitte dich inständig, Catherine, dass du dir immer etwas Warmes um den Hals wickelst, wenn du nachts vom Tanzen nach Hause kommst, und es wäre mir lieb, wenn du dich bemühtest aufzuschreiben, wofür du dein Geld ausgibst; ich gebe dir dafür extra dieses kleine Büchlein mit.«

Es gehört sich so, dass Sally oder vielmehr Sarah (denn welche junge Dame, die auch nur ein bisschen Lebensart hat, erreicht das sechzehnte Lebensjahr, ohne ihren Namen so auffällig wie möglich zu ändern) in diesem Alter als ihre nächstjüngere Schwester ihre enge Freundin und Vertraute ist. Wie eigenartig aber, dass sie weder darauf bestand, Catherine solle mit jeder Post schreiben, noch ihr das Versprechen abrang, ihr ein Bild der Persönlichkeit jedes neuen Bekannten oder die Einzelheiten jeder interessanten Unterhaltung, die sich in Bath ergeben mochte, mitzuteilen. Überhaupt wurde von Seiten der Morlands alles, was diese bedeutsame Reise anging, mit einem Grad von Mäßigung und Gefasstheit getan, die eher den alltäglichen Empfindungen alltäglicher Menschen entsprach als den hochgespannten Erwartungen, den zärtlichen Gefühlen, die die erste Trennung einer Romanheldin von ihrer Familie eigentlich auslösen sollte, und anstatt ihr bei seiner Bank unbeschränkte Verfügungsgewalt über sein Konto zu geben oder gar eine Hundertpfundnote in die Hand zu drücken, überreichte der Vater ihr nur zehn Guineen und versprach ihr mehr, wenn sie mehr brauchen sollte.

Unter diesen nicht gerade vielversprechenden Auspizien fand die Trennung statt, begann die Reise. Sie ging mit angemessener Ruhe und eintöniger Gefahrlosigkeit vonstatten. Kein Räuber, kein Unwetter suchte sie heim, und kein segensreicher Wagenbruch führte sie mit dem Helden zusammen. Nichts Schrecklicheres passierte, als dass Mrs. Allen fürchtete, ihre Pantoffeln in einem Gasthaus zurückgelassen zu haben, und auch diese Befürchtung erwies sich glücklicherweise als grundlos.

So kamen sie in Bath an; Catherine war voll gespannter Erwartung, ihre Augen waren hier und dort und überall, als sie sich der gepflegten, eindrucksvollen Umgebung von Bath näherten und anschließend durch die Straßen fuhren, die sie zum Hotel führten. Sie war gekommen, um glücklich zu sein, und fühlte sich schon jetzt glücklich.

Bald waren sie in bequemen Räumlichkeiten in der Pulteney Street4 untergebracht.

Es ist an dieser Stelle angebracht, eine ungefähre Beschreibung von Mrs. Allen zu geben, damit der Leser beurteilen kann, auf welche Weise ihre Handlungen später zur unglückseligen Wendung des Buches beitragen und inwiefern sie voraussichtlich – sei es durch ihre Unklugheit, Gewöhnlichkeit oder Eifersucht, sei es, indem sie die Briefe der armen Catherine abfängt, ihren Charakter verdirbt oder sie aus dem Hause weist – für all das verzweiflungsvolle Elend, das im letzten Band5 auf den Leser zukommt, mitverantwortlich ist.

Mrs. Allen war eine der zahlreichen Frauen, in deren Gesellschaft man nichts anderes empfindet als Erstaunen darüber, dass es auf dieser Welt sage und schreibe Männer gibt, die genug Sympathie für sie aufbringen, sie zu heiraten. Sie besaß weder Schönheit noch Geist, Bildung oder Geschmack. Damenhaftes Auftreten, eine gehörige Portion von unaufdringlicher, passiver Gutmütigkeit und ein Hang zur Oberflächlichkeit waren alles, was sie dazu berechtigte, dass die Wahl eines so vernünftigen, intelligenten Mannes wie Mr. Allen auf sie gefallen war. In einer Hinsicht allerdings war sie vorzüglich geeignet, eine junge Dame in die Gesellschaft einzuführen, denn es machte ihr selbst ebensoviel Spaß, überall hinzugehen und alles anzusehen wie den jungen Damen selbst. Kleider waren ihre Leidenschaft; ihr ganzer harmloser Lebensinhalt bestand darin, sich herauszuputzen, und das gesellschaftliche Debüt unserer Heldin konnte erst stattfinden, als die beiden drei oder vier Tage damit verbracht hatten, herauszufinden, was man denn trug, und Catherines mütterliche Begleiterin sich ein Kleid nach der neuesten Mode zugelegt hatte. Catherine machte ebenfalls einige Einkäufe, und als all dies erledigt war, nahte der bedeutende Abend, der sie in die Oberen Gesellschaftsräume6 führen sollte. Ihr Haar war vom ersten Friseur am Platze geschnitten und gelegt, ihre Toilette mit Sorgfalt arrangiert, und sowohl Mrs. Allen als auch ihre Zofe erklärten, sie könne gar nicht besser aussehen. Bei solchem Zuspruch hoffte Catherine, vor den Augen der Menge bestehen zu können. Wenn sie Bewunderung erregte, war es ihr sehr recht, aber sie suchte sie nicht und war nicht darauf angewiesen.

Mrs. Allen brauchte so lange zum Anziehen, dass sie den Ballsaal erst sehr spät betraten. Die Saison war auf dem Höhepunkt, der Saal überfüllt, und die beiden Damen drängten sich hinein, so gut es ging. Was Mr. Allen betraf, so begab er sich direkt ins Kartenzimmer und überließ es ihnen, allein an dem Gewimmel ihren Spaß zu haben. Mehr um die Sicherheit ihres neuen Kleides als um das Wohlbefinden ihres Schützlings besorgt, bahnte sich Mrs. Allen, so schnell es die nötige Vorsicht erlaubte, einen Weg durch die Traube von Männern an der Tür, aber Catherine hielt sich dicht an ihrer Seite und hakte sich so fest bei ihrer Freundin ein, dass auch die vereinte Anstrengung einer wogenden Menge sie nicht auseinanderreißen konnte. Zu ihrer größten Verblüffung musste sie jedoch feststellen, dass bei weiterem Vordringen in den Saal das Gedränge keineswegs abnahm; es schien eher schlimmer zu werden, je weiter sie vorankamen, während Catherine sich vorgestellt hatte, dass sie mühelos Platz finden und den Tänzen in aller Bequemlichkeit zusehen könnten, sobald sie erst einmal die Tür hinter sich gelassen hätten. Aber das Gegenteil war der Fall, und obwohl sie dank unermüdlichem Eifer sogar das obere Ende des Saales erreichten, war ihre Lage unverändert. Von den Tänzern sahen sie nichts als den herausragenden Kopfputz einiger Damen. Sie drangen trotzdem weiter vor; etwas Besseres stand in Aussicht, und unter Aufbietung aller Energie und Findigkeit gelangten sie schließlich in den Gang hinter der höchsten Bank. Hier war das Gedränge etwas weniger dicht als unten, und deshalb hatte Miss Morland einen umfassenden Überblick über die Gesellschaft unter sich und die soeben überstandenen Gefahren in ihrer Mitte. Es war ein großartiger Anblick, und zum erstenmal an diesem Abend hatte sie das Gefühl, auf einem Ball zu sein; sie hätte für ihr Leben gern getanzt, aber sie kannte nicht einen einzigen Menschen im ganzen Saal. Mrs. Allen tat alles, was sich in einem solchen Fall tun ließ, indem sie von Zeit zu Zeit ungerührt sagte: »Schade, dass Sie nicht tanzen können, mein Kind! Schade, dass Sie keinen Partner haben!« Eine Zeitlang fühlte ihre junge Freundin sich ihr zu Dank verpflichtet für die guten Wünsche, aber sie wurden so oft wiederholt und erwiesen sich als so völlig wirkungslos, dass Catherine ihrer schließlich überdrüssig wurde und aufhörte, sich zu bedanken.

Allerdings durften sie ihren erhöhten Zufluchtsort, den sie sich so mühsam erkämpft hatten, nicht lange genießen. Bald setzten sich alle zum Teebüfett in Bewegung, und auch sie mussten sich mit den anderen hinausdrängen. Catherine überkam allmählich ein Gefühl der Enttäuschung; sie war es leid, ständig von Leuten herumgestoßen zu werden, deren Gesichtern sie im Großen und Ganzen nicht das mindeste Interesse abgewinnen konnte und die ihr alle so gänzlich unbekannt waren, dass sie die lästige Gefangenschaft nicht einmal durch ein freundliches Wort mit einem ihrer Mitgefangenen lindern konnte; und als sie schließlich das Teezimmer erreichten, kam ihr der Umstand, dass sie sich keiner Gruppe, keinem bekannten Gesicht anschließen konnten, dass keiner der Herren sich um sie kümmerte, noch peinlicher zum Bewusstsein. Mr. Allen war nirgendwo zu sehen, und nachdem sie vergeblich nach einem geeigneten Platz Ausschau gehalten hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als am Ende eines Tisches Platz zu nehmen, an dem bereits eine größere Gruppe saß und wo sie nichts verloren hatten und sich mit niemandem unterhalten konnten als miteinander.

Mrs. Allen beglückwünschte sich, sobald sie saßen, ihr Kleid vor Schaden bewahrt zu haben. »Wie schrecklich, wenn es zerrissen worden wäre«, sagte sie, »finden Sie nicht? Es ist ein so empfindlicher Musselin. Was mich betrifft, ich habe im ganzen Saal nichts gesehen, was mir so gut gefallen hat, das können Sie mir glauben.«

»Wie lästig«, flüsterte Catherine, »nicht einen einzigen Bekannten hier zu haben.«

»Ja, mein Kind«, erwiderte Mrs. Allen, ohne sich sonderlich dafür zu interessieren, »das ist wirklich sehr lästig.«

»Was machen wir denn nun? Die Herrschaften an diesem Tisch sehen auch aus, als ob sie sich fragten, was wir hier wollen. Wir drängen uns ihnen förmlich auf.«

»Ja, das stimmt. Es ist sehr unangenehm. Ich wünschte, wir hätten eine Menge Bekannte hier.«

»Ich wünschte, wir hätten überhaupt welche hier. Dann könnten wir uns wenigstens jemandem anschließen.«

»Ganz richtig, mein Kind, und wenn wir Bekannte hätten, würden wir uns gleich zu ihnen setzen. Letztes Jahr waren die Skinners hier. Schade, dass sie jetzt nicht hier sind.«

»Sollten wir nicht lieber aufbrechen? Für uns ist hier sowieso nicht gedeckt.«

»Tatsächlich, Sie haben ganz recht. Das ist ja unerhört! Aber ich finde, wir sollten lieber still sitzenbleiben, denn man wird in dem Gedränge so herumgestoßen. Wie sieht meine Frisur aus, mein Kind? Jemand hat mir einen Schubs gegeben und dabei ist sie, fürchte ich, ganz verrutscht.«

»Nein, gar nicht, sie sitzt sehr gut. Aber liebe Mrs. Allen, sind Sie ganz sicher, dass Sie in dieser riesigen Menschenmenge keine Menschenseele kennen? Sie müssen doch irgend jemanden kennen.«

»Beim besten Willen nicht, schade. Wirklich jammerschade, dass ich nicht mehr Bekannte hier habe, sonst würde ich Ihnen einen Tanzpartner besorgen. Ich wäre so froh, wenn Sie tanzen könnten. Da geht eine merkwürdig aussehende Frau! Was für ein komisches Kleid sie anhat! Wie altmodisch! Sehen Sie nur den Rücken!«

Nach einer Weile wurde ihnen von einem ihrer Nachbarn Tee angeboten; er wurde dankbar akzeptiert, und daraus entspann sich eine kurze Unterhaltung mit dem Herrn, und das war das einzige Mal während des ganzen Abends, dass irgendjemand mit ihnen sprach, bis Mr. Allen sie nach Beendigung des Tanzes entdeckte und sich zu ihnen gesellte.

»Nun, Miss Morland«, sagte er gleich zu ihr, »ich hoffe, Sie haben einen unterhaltsamen Abend verbracht.«

»Sehr unterhaltsam«, antwortete sie und versuchte vergeblich, ein herzhaftes Gähnen zu unterdrücken.

»Schade, dass sie nicht tanzen konnte«, sagte seine Frau, »schade, dass ich keinen Partner für sie hatte. Ich sagte schon zu Miss Morland, wie froh ich wäre, wenn die Skinners diesen und nicht letzten Winter hiergewesen wären, oder wenn die Parrys gekommen wären, wie sie einmal angedeutet haben, dann hätte sie mit George Parry tanzen können. Es tut mir so leid, dass sie keinen Partner hatte.«

»Ein andermal haben Sie mehr Glück, hoffe ich«, war Mr. Allens ganzer Trost.

Als der Tanz zu Ende war, begann sich die Gesellschaft zu zerstreuen, was den Zurückbleibenden genügend Platz ließ, um in einiger Bequemlichkeit umherzuwandern, und jetzt war der Augenblick gekommen, wo es sich für jede Romanheldin gehört, die im Laufe des Abends noch keine hervorragende Rolle gespielt hat, bemerkt und bewundert zu werden. Alle fünf Minuten verringerte sich die Menge und gab Catherine mehr Spielraum, ihren Charme zu entfalten. Das Auge vieler junger Männer fiel nun auf sie, die vorher nicht in ihre Nähe gekommen waren. Nicht einer allerdings blieb, von sprachlosem Entzücken hingerissen, bei ihrem Anblick stehen, kein neugieriges, fragendes Flüstern machte die Runde im Saale, auch wurde sie kein einziges Mal eine göttliche Schönheit genannt. Und doch sah Catherine sehr gut aus, und hätte die Gesellschaft sie drei Jahre früher gesehen, dann hätte man sie jetzt für ungewöhnlich hübsch gehalten.

Sie wurde allerdings betrachtet, und zwar mit einiger Bewunderung, denn wie sie selbst mit anhörte, erklärten zwei Herren sie für ein hübsches Mädchen. Solche Worte verfehlten ihre Wirkung nicht; der Abend erschien ihr auf der Stelle erfreulicher als vorher, ihre anspruchslose Eitelkeit war befriedigt. Sie war den beiden jungen Männern dankbarer für dieses bescheidene Kompliment als eine wahre Heldin für fünfzehn Sonette zur Feier ihrer Reize und ging versöhnt mit aller Welt und vollkommen zufrieden mit ihrem Anteil an allgemeiner Aufmerksamkeit zu ihrer Sänfte.

Kapitel 3

Nun brachte jeder Vormittag seine regelmäßigen Pflichten: Einkäufe mussten gemacht, Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt und die Brunnenhalle besucht werden, wo sie eine Stunde auf und ab spazierten, alle beobachteten und mit keinem sprachen. Einen großen Bekanntenkreis in Bath zu haben, war noch immer Mrs. Allens sehnlichster Wunsch, und sie wiederholte ihn, nachdem jeder neue Vormittag den erneuten Beweis gebracht hatte, dass sie keine Menschenseele kannte.

Dann statteten sie den Unteren Gesellschaftsräumen den ersten Besuch ab, und hier war das Schicksal unserer Heldin gnädiger. Der Zeremonienmeister stellte ihr als Tanzpartner einen jungen Mann vor, der ihr ganz wie ein Gentleman erschien; sein Name war Tilney. Er mochte ungefähr vierundzwanzig oder fünfundzwanzig sein, war ziemlich groß, hatte angenehme Züge, einen intelligenten, lebhaften Augenausdruck und war, wenn auch nicht ausgesprochen hübsch, so doch ziemlich gut aussehend. Sein Benehmen verriet gesellschaftliches Geschick, und Catherine fand, sie habe großes Glück gehabt. Während sie tanzten, war zu einer Unterhaltung nicht viel Gelegenheit, aber als sie sich zum Tee niedersetzten, bestätigte er die angenehmen Erwartungen, die er bereits geweckt hatte. Er drückte sich gewandt und lebhaft aus und hatte etwas Spöttisches und Witziges, das sie interessant fand, ohne recht klug daraus zu werden. Als sie sich eine Zeitlang über ihre unmittelbare Umgebung unterhalten hatten, sagte er unvermittelt zu ihr: »Ich habe es als Ihr Partner bisher an der angemessenen Aufmerksamkeit fehlen lassen, Madam, ich habe Sie noch gar nicht gefragt, wie lange Sie schon in Bath sind, ob Sie früher schon einmal hier waren, ob Sie schon in den Oberen Gesellschaftsräumen, im Theater und im Konzert waren und wie Ihnen Bath alles in allem gefällt. Ich bin sehr nachlässig gewesen; würden Sie jetzt die Güte haben, mir über alle diese Einzelheiten Auskunft zu geben? Wenn ja, werde ich unverzüglich mit den Fragen beginnen.«

»Sie brauchen sich deswegen nicht zu bemühen, Sir.«

»Gar keine Mühe, glauben Sie mir, Madam.« Dann setzte er ein geziertes Lächeln auf, senkte seine Stimme zu einem affektierten Hauchen und fügte gespreizt hinzu: »Sind Sie schon lange in Bath, Madam?«

»Ungefähr eine Woche, Sir«, antwortete Catherine und bemühte sich, ein Lachen zu verkneifen.

»Tatsächlich!«, sagte er mit gespieltem Erstaunen.

»Warum überrascht Sie das, Sir?«

»Ja, warum eigentlich?«, sagte er mit natürlicher Stimme. »Aber irgendeine Empfindung muss ich doch bei Ihrer Antwort zeigen, und Überraschung lässt sich leichter spielen als andere Gefühle und ist auch nicht unsinniger. Jetzt müssen wir weitermachen. Sind Sie zum erstenmal hier, Madam?«

»Ja, Sir.«

»Wirklich? Haben Sie schon die Oberen Gesellschaftsräume mit Ihrer Anwesenheit beehrt?«

»Ja, Sir, ich war am letzten Montag dort.«

»Waren Sie schon im Theater?«

»Ja, Sir, im Schauspiel war ich am Dienstag.«

»Zum Konzert?«

»Ja, Sir, am Mittwoch.«

»Und wie gefällt Ihnen Bath alles in allem?«

»Gut, es gefällt mir sehr gut.«

»Nun muss ich ein süßliches Lächeln aufsetzen, und dann dürfen wir uns wieder wie vernünftige Menschen benehmen.«

Catherine wandte das Gesicht ab und wusste nicht recht, ob sie zu lachen wagen durfte.

»Ich weiß schon, was Sie von mir denken«, sagte er zerknirscht, »ich werde morgen in Ihrem Tagebuch nur eine klägliche Rolle spielen.«

»Mein Tagebuch!«

»Ja, ich weiß genau, was Sie schreiben werden – Freitag: ging in die Unteren Gesellschaftsräume, trug mein geblümtes Musselinkleid mit blauen Rüschen, einfache schwarze Schuhe, sah äußerst vorteilhaft aus, wurde aber ständig von einem merkwürdigen, halbverrückten Mann belästigt, der unbedingt mit mir tanzen wollte und mir dann mit seinem Unsinn auf die Nerven fiel.«

»Ich werde nichts dergleichen schreiben.«

»Soll ich Ihnen sagen, was Sie schreiben sollten?«

»Ja, bitte.«

»Ich habe mit einem äußerst angenehmen jungen Mann getanzt, der mir von Mr. King vorgestellt wurde, unterhielt mich glänzend mit ihm, scheint geradezu ein Genie zu sein, hoffe, ihn besser kennenzulernen. Das, Madam, würden Sie schreiben, wenn es nach mir ginge.«

»Aber vielleicht führe ich gar kein Tagebuch.«

»Vielleicht sitzen Sie gar nicht in diesem Zimmer und ich sitze nicht neben Ihnen. Mit gleichem Recht könnte ich auch daran zweifeln. Kein Tagebuch führen! Wie sollen denn Ihre Cousinen zu Hause ohne Tagebuch wissen, was für ein Leben Sie in Bath geführt haben? Wie sollen denn die Höflichkeiten und Komplimente jedes Tages berichtet werden, wie es sich gehört, wenn Sie sie nicht jeden Abend in Ihr Tagebuch schreiben? Wie sollen Sie sich an Ihre verschiedenen Kleider erinnern und den Ton Ihres Teints und Ihre Lockenpracht in aller Vielfalt beschreiben, ohne Ihr Tagebuch zu Hilfe zu nehmen? Meine liebe Madam, ich bin nicht ganz so ahnungslos im Hinblick auf die Lebensweise junger Damen, wie Sie anzunehmen belieben; es ist gerade diese reizende Angewohnheit, sich täglich schriftstellerisch zu betätigen, die im Wesentlichen dafür verantwortlich ist, dass die Damen den eleganten leichten Stil schreiben, für den sie so berühmt sind. Alle sind sich darin einig, dass es ein ausgesprochen weibliches Talent ist, bezaubernde Briefe zu schreiben. Vielleicht hat die Natur mitgeholfen, aber ich bin überzeugt, im Wesentlichen verdanken sie es der Übung, Tagebuch zu schreiben.«

»Manchmal frage ich mich«, sagte Catherine unsicher, »ob Damen tatsächlich so viel bessere Briefe schreiben als Herren. Das heißt, ich glaube nicht, dass die Überlegenheit immer auf unserer Seite war.«

»Soweit ich das beurteilen kann, habe ich den Eindruck, dass der Schreibstil der Damen fehlerlos ist – mit Ausnahme von drei Kleinigkeiten.«

»Und die wären?«

»Ein allgemeiner Mangel an Substanz, eine völlige Unachtsamkeit gegenüber Punkt und Komma und eine weitverbreitete grammatische Ahnungslosigkeit.«

»Ich muss schon sagen! Ich hätte mir keine Mühe zu geben brauchen, das Kompliment zurückzuweisen. Sie halten in dieser Hinsicht nicht gerade allzuviel von uns.«

»Ich würde es ebensowenig zur allgemeinen Regel erheben, dass Frauen bessere Briefe schreiben als Männer, wie dass sie bessere Duette singen oder bessere Landschaften malen. Bei allen Fähigkeiten, wo Geschmack ausschlaggebend ist, ist Begabung ziemlich gleich zwischen den Geschlechtern verteilt.«

Sie wurden von Mrs. Allen unterbrochen: »Meine liebe Catherine«, sagte sie, »nehmen Sie diese Nadel aus meinem Ärmel; ich fürchte fast, ich habe mir schon ein Loch hineingerissen. Das täte mir unendlich leid, denn dies ist eines meiner Lieblingskleider, obwohl der Stoff nur neun Shilling7 pro Meter gekostet hat.«

»Genau das hätte ich geschätzt, Madam«, sagte Mr. Tilney mit einem Blick auf den Musselin.

»Verstehen Sie etwas von Stoffen, Sir?«

»Sehr viel sogar; ich kaufe immer meine Krawatten selbst und gelte als Kenner; und meine Schwester überlässt mir häufig die Auswahl beim Kleiderkauf. Gerade neulich habe ich ihr eins gekauft, und alle Damen, die es sahen, hielten es für einen unglaublich günstigen Kauf. Ich habe nur fünf Shilling pro Meter bezahlt, und dabei ist es echt indischer Musselin.«

Mrs. Allen war geradezu überwältigt von soviel Genie. »Im Allgemeinen achten Männer so wenig auf diese Dinge«, sagte sie, »ich kann Mr. Allen nicht einmal dazu bringen, meine Kleider voneinander zu unterscheiden. Sie müssen Ihrer Schwester eine große Stütze sein, Sir.«

»Das hoffe ich, Madam.«

»Und sagen Sie, Sir, was halten Sie von Miss Morlands Kleid?«

»Es ist sehr hübsch, Madam«, sagte er und betrachtete es kritisch, »aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich gut wäscht; ich fürchte, es franst aus.«

»Was sind Sie nur für ein …«, sagte Catherine lächelnd. Sie hätte fast gesagt: komischer Kerl.

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir«, erwiderte Mrs. Allen, »und das habe ich Miss Morland schon gesagt, als sie es kaufte.«

»Aber schließlich, Madam, lässt sich Musselin wieder verwenden. Miss Morland kann sich immer noch ein Taschentuch oder eine Haube oder einen Umhang daraus machen. Musselin ist nie verschwendet. Das habe ich meine Schwester schon x-mal sagen hören, wenn sie so leichtsinnig war, mehr zu kaufen, als sie brauchte, oder so nachlässig, ihn zu verschneiden.«

»Bath ist ein reizender Ort, Sir, es gibt so viele gute Geschäfte hier. Auf dem Lande sind wir so schlecht daran. Nicht dass wir in Salisbury keine ausgezeichneten Geschäfte hätten, aber die Entfernung ist so groß; acht Meilen sind ein weiter Weg. Mr. Allen sagt, es sind neun, auf den Meter neun, aber ich bin sicher, es können nicht mehr als acht sein, und es ist eine solche Anstrengung, ich komme immer völlig erschöpft zurück. Hier braucht man nur vor die Haustür zu treten, und innerhalb von fünf Minuten hat man alles.«

Mr. Tilney tat aus Höflichkeit so, als ob er sich für das interessiere, was sie sagte, und sie traktierte ihn mit dem Thema Musselin, bis der Tanz wieder begann. Während sie dem Gespräch der beiden zuhörte, fand Catherine, dass er sich ein bisschen zu sehr über die Schwächen anderer lustig machte. »Warum machen Sie ein so nachdenkliches Gesicht?« fragte er, als sie auf die Tanzfläche zurückgingen. »Hoffentlich nicht wegen Ihres Partners, denn das Kopfschütteln weist darauf hin, dass Sie mit dem Ergebnis Ihrer Überlegungen unzufrieden sind.«

Catherine errötete und sagte: »Ich dachte an nichts Bestimmtes.«

»Wie geschickt und tiefgründig von Ihnen, aber es wäre mir lieber, wenn Sie auf der Stelle zugäben, dass Sie es mir nicht erzählen wollen.«

»Also gut, ich will es Ihnen nicht erzählen.«

»Vielen Dank, denn jetzt werden wir uns bald besser kennenlernen, da ich nun das Recht habe, Sie mit diesem Thema aufzuziehen, sooft wir uns treffen, und nichts auf der Welt stellt so schnell Vertraulichkeit her.«

Sie tanzten wieder, und als sie sich am Schluss des Abends trennten, hatte mindestens die Dame das dringende Bedürfnis, die Bekanntschaft fortzusetzen. Ob sie so viel an ihn dachte, während sie ihren warmen Wein mit Wasser trank und sich für die Nacht vorbereitete, dass sie im Bett von ihm träumte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, aber ich hoffe, es war nur ein vager Traum wie im leichten Schlaf oder Morgenschlummer, denn wenn es wahr ist, wie ein berühmter Dichter sagt, dass keine junge Dame das Recht hat, sich zu verlieben, bevor der Herr ihr seine Liebe gestanden hat, dann gehört es sich erst recht nicht, dass die junge Dame von dem Herrn träumt, bevor man sicher weiß, dass der Herr vorher von ihr geträumt hat. Ob Mr. Tilney nach den Regeln des Anstands träumte oder verliebt war, war nicht Mr. Allens vordringlichste Sorge, aber er hatte zufriedenstellende Erkundigungen eingezogen, dass gegen ihn als Bekannten seines Schützlings nichts einzuwenden war, denn er hatte sich zu Anfang des Abends alle Mühe gegeben zu erfahren, wer ihr Partner war, und herausbekommen, dass Mr. Tilney Pfarrer war und aus einer sehr angesehenen Familie in Gloucestershire stammte.

Kapitel 4

Catherine eilte am nächsten Morgen eifriger als sonst in der sicheren Erwartung zur Brunnenhalle, Mr. Tilney dort im Laufe des Vormittags zu begegnen, und war bereit, ihn mit einem Lächeln zu empfangen – aber ein Lächeln wurde gar nicht verlangt: Mr. Tilney erschien nicht. Alle Welt außer ihm ließ sich zu irgendeiner Zeit während der beliebtesten Stunden sehen; ganze Scharen von Menschen strömten ständig ein und aus, treppauf und treppab; Leute, an denen niemandem lag und die niemand sehen wollte, und nur er war nicht da. »Was für ein zauberhafter Ort Bath doch ist«, sagte Mrs. Allen, als sie sich in der Nähe der großen Uhr niedersetzten, nachdem sie in der Halle bis zur Ermüdung auf und ab spaziert waren, »und wie angenehm es wäre, wenn wir Bekannte hier hätten.«

Diesem Wunsch hatte Mrs. Allen schon so oft vergeblich Ausdruck gegeben, dass sie keinen besonderen Grund zu der Annahme hatte, er würde gerade heute erfreulichere Ergebnisse zeitigen, aber, wie der Dichter rät, »bei unseren Wünschen niemals zu verzagen«, denn »unverdrossner Eifer wird ans Ziel uns tragen«, und der unverdrossne Eifer, mit dem sie jeden Tag dasselbe gewünscht hatte, musste am Ende seine gerechte Belohnung erhalten, denn kaum hatte sie zehn Minuten dort gesessen, als eine Dame ihres Alters, die neben ihr saß und sie einige Minuten lang aufmerksam gemustert hatte, sie mit großer Zuvorkommenheit mit folgenden Worten ansprach: »Ich glaube, Madam, ich irre mich nicht; es ist zwar lange her, seit ich das Vergnügen hatte, Sie zum letzten Mal zu sehen, aber ist Ihr Name nicht Allen?« Auf die bereitwillig gegebene Antwort, erklärte die Fremde, ihr Name sei Thorpe, und Mrs. Allen erkannte auf der Stelle die Züge einer früheren Klassenkameradin und guten Freundin, die sie seit ihrer beider Heirat nur ein einziges Mal gesehen hatte, und das vor vielen Jahren. Ihre Freude über dies Zusammentreffen war sehr groß, und das mit Recht, da sie während der letzten fünfzehn Jahre keinerlei Bedürfnis gehabt hatten, den Kontakt miteinander aufrechtzuerhalten. Gegenseitige Komplimente über ihr gutes Aussehen wurden ausgetauscht, und als sie die Beobachtung gemacht hatten, wie schnell die Zeit seit ihrer letzten Begegnung verflogen war, wie wenig sie sich ein Zusammentreffen in Bath hätten träumen lassen und was für ein Vergnügen es war, eine alte Freundin wiederzusehen, gingen sie dazu über, Fragen zu stellen und Auskunft zu geben über ihre Familien, Schwestern und Cousinen, wobei beide gleichzeitig redeten, denn ihnen lag mehr daran, Auskünfte zu geben als zu erhalten, und beide hörten nur wenig von dem, was die andere sagte. Mrs. Thorpe allerdings hatte bei der Unterhaltung einen großen Vorteil gegenüber Mrs. Allen: sie hatte Kinder, und als sie sich weitläufig über die Talente ihrer Söhne und die Schönheit ihrer Töchter ausgelassen hatte, als sie über ihre verschiedenen Lebensumstände und -aussichten berichtet hatte – dass John in Oxford studiere, Edward Merchant-Taylors besuche8 und William bei der Marine sei und einer wie der andere an seinem Platze mehr geschätzt und respektiert werde als je ein Mensch zuvor – da hatte Mrs. Allen ihrerseits nichts dergleichen mitzuteilen, dem ungeneigten und ungläubigen Ohr ihrer Freundin keine ähnlichen Triumphe aufzuschwatzen, und ihr blieb nichts anderes übrig, als dazusitzen und so zu tun, als ob sie diesen Ausbrüchen mütterlicher Liebe zuhöre, sich allerdings gleichzeitig mit der Entdeckung zu trösten, die ihr scharfes Auge bald gemacht hatte, dass der Spitzenbesatz an Mrs. Thorpes Mantel nicht halb so schön war wie ihr eigener.

»Da kommen ja meine lieben Mädchen«, rief Mrs. Thorpe und zeigte auf drei elegante junge Damen, die nun Arm in Arm auf sie zusteuerten. »Meine liebe Mrs. Allen, ich brenne darauf, sie Ihnen vorzustellen; sie werden entzückt sein, Sie kennenzulernen. Die größte ist Isabella, meine Älteste. Ist sie nicht eine ansehnliche junge Dame? Auch die anderen finden viel Anklang, aber ich glaube, Isabella ist die schönste.«

Die Misses Thorpe wurden vorgestellt, und ebenfalls Miss Morland, die vorübergehend ganz vergessen worden war. Der Name ließ sie anscheinend allesamt aufhorchen, und nach einem sehr höflichen kurzen Gespräch mit ihr bemerkte die älteste junge Dame laut zu den anderen: »Wie ausgesprochen ähnlich Miss Morland ihrem Bruder ist!«

»Sein wahres Ebenbild, tatsächlich«, rief die Mutter, und »Man sieht auf den ersten Blick, dass sie seine Schwester ist!« wurde von allen zwei- oder dreimal wiederholt. Einen Augenblick lang war Catherine überrascht, aber Mrs. Thorpe und ihre Töchter hatten angefangen, die Geschichte ihrer Bekanntschaft mit Mr. James Morland zu erzählen, als ihr einfiel, dass ihr ältester Bruder sich vor kurzem mit einem jungen Mann aus seinem College namens Thorpe angefreundet und die letzte Woche der Weihnachtsferien bei dessen Familie in der Nähe Londons verbracht hatte.

Nun war alles erklärt, und die Misses Thorpe drückten auf jede nur denkbare Weise ihren Wunsch nach näherer Bekanntschaft mit ihr aus, da sie ja durch ihren Bruder ohnehin schon fast als Freundinnen gelten könnten usw., was Catherine mit Vergnügen hörte und mit allen ihr zu Gebote stehenden reizenden Ausdrücken des Dankes beantwortete, und als ersten Beweis ihrer Zuneigung bat die älteste Miss Thorpe sie gleich, sich bei ihr einzuhaken und mit ihr auf und ab zu gehen. Catherine war über diese Vergrößerung ihres Bekanntenkreises in Bath entzückt und vergaß fast Mr. Tilney, während sie sich mit Miss Thorpe unterhielt. Freundschaft ist zweifellos der schönste Balsam für den Schmerz enttäuschter Liebe.

Ihre Unterhaltung berührte all die Themen, deren freimütige Erörterung so wesentlich dazu beiträgt, zwischen zwei jungen Damen Intimität herzustellen, wie Mode, Bälle, Flirts und Klatsch. Miss Thorpe allerdings, die vier Jahre älter als Miss Morland und mindestens vier Jahre erfahrener war, hatte bei der Diskussion solcher Themen einen ganz entschiedenen Vorteil: Sie konnte die Bälle von Bath mit denen von Tunbridge, die Mode von Bath mit der von London vergleichen, konnte den Geschmack ihrer neuen Freundin im Hinblick auf viele Einzelheiten modischer Eleganz berichtigen, konnte Flirts zwischen beliebigen Damen und Herren erraten, wenn sie sich nur anlächelten, und entdeckte auch im dichtesten Gedränge jeden, über den sich zu klatschen lohnte. Solche Talente wurden von Catherine, der sie völlig neu waren, gebührend bewundert, und die Hochachtung, die sie ihr einflößten, hätte jede Vertraulichkeit ihrerseits im Keim erstickt, wenn nicht Miss Thorpes Ungezwungenheit und ihre wiederholten Freudenbekundungen über die Bekanntschaft ihr jedes Gefühl von Scheu genommen und nur herzliche Zuneigung übriggelassen hätte. Bei ihrer wachsenden Sympathie füreinander gaben sie sich nicht mit einem halben Dutzend Rundgängen in der Brunnenhalle zufrieden, sondern hielten es, als sie das Gebäude alle miteinander verließen, für unumgänglich, dass Miss Thorpe Miss Morland bis unmittelbar vor die Haustür von Mrs. Allens Wohnung begleitete und sie sich dort mit sehr herzlichem und ausdauerndem Händeschütteln erst dann voneinander verabschiedeten, als sie sich zu ihrer wechselseitigen Erleichterung mitgeteilt hatten, dass sie sich abends im Theater wiedersehen und am nächsten Morgen in derselben Kapelle ihr Gebet sprechen würden. Catherine lief sofort die Treppe hinauf, beobachtete vom Wohnzimmerfenster aus, wie Miss Thorpe die Straße hinunterging, bewunderte ihren anmutigen Gang, ihre elegante Figur und Aufmachung und war von Herzen dankbar – und das zu Recht –, dass der Zufall sie mit einer solchen Freundin zusammengeführt hatte.

Mrs. Thorpe war eine Witwe und durchaus nicht wohlhabend; sie war eine gutmütige, verständnisvolle Frau und eine sehr nachsichtige Mutter. Ihre älteste Tochter war eine ausgesprochene Schönheit, und da die jüngeren so taten, als ob sie ebenso hübsch wie ihre Schwester wären, ihre Art, sich zu geben, nachahmten und sich im selben Stil kleideten, hatten auch sie sehr gute Chancen.

Dieser kurze Bericht von den Familienverhältnissen soll dem Leser die Notwendigkeit einer langen und detaillierten Darstellung von Mrs. Thorpe selbst, ihren früheren Abenteuern und Leiden ersparen, die sonst unweigerlich die nächsten drei oder vier Kapitel einnehmen würden, in denen die Charakterlosigkeit von Adligen und Advokaten ausgesponnen und Gespräche, die vor zwanzig Jahren stattgefunden haben, Wort für Wort wiedergegeben würden.

Kapitel 5

Catherines Aufmerksamkeit wurde am selben Abend im Theater nicht so vollständig davon in Anspruch genommen, Miss Thorpes Nicken und Lächeln zu erwidern, obwohl das durchaus einen erheblichen Teil ihrer Zeit ausfüllte, dass sie darüber vergaß, mit forschendem Blick in jeder Loge, die sie mit ihren Augen erreichen konnte, nach Mr. Tilney Ausschau zu halten; aber sie suchte umsonst. Mr. Tilney lag am Theater ebenso wenig wie an der Brunnenhalle. Sie hoffte, am nächsten Tag mehr Glück zu haben, und als ihr Wunsch nach gutem Wetter mit einem strahlenden Vormittag belohnt wurde, zweifelte sie kaum mehr daran, denn an einem schönen Sonntag in Bath leeren sich alle Häuser, und alle Welt erscheint dann im Freien, um Freunden und Bekannten zu erzählen, was für ein wunderschöner Tag es ist.

Sobald der Gottesdienst vorüber war, gesellten sich die Thorpes und die Allens ungeduldig zueinander, und als sie lange genug in der Brunnenhalle zugebracht hatten, um sich überzeugt zu haben, dass das Gedrängel unerträglich war und es auch nicht ein vornehmes Gesicht zu sehen gab, was jeden Sonntag während der ganzen Saison alle entdecken, eilten sie zum Crescent, um in besserer Gesellschaft frische Luft zu atmen. Hier genossen Catherine und Isabella wieder Arm in Arm die Wonnen der Freundschaft in rückhaltloser Unterhaltung; sie redeten viel und mit viel Vergnügen, aber wieder wurde Catherine in ihrer Hoffnung auf eine Begegnung mit ihrem Tanzpartner enttäuscht. Er war nirgends zu finden; alles Suchen nach ihm war bei den Vormittagsunterhaltungen ebenso erfolglos wie in den Abendgesellschaften; weder bei den Bällen in großer Abendtoilette noch bei denen in zwangloser Kleidung war er zu sehen, weder unter den Fußgängern noch unter den Reitern oder vormittäglichen Kutschenfahrern. Sein Name stand nicht im Gästebuch der Brunnenhalle, und mehr konnte sie in ihrer Neugier nicht tun. Er musste Bath verlassen haben. Und doch hatte er nichts davon gesagt, dass sein Aufenthalt so kurz sein würde. Dieses geheimnisvolle Flair, das einem Helden immer so wohl ansteht, umgab seine Person und sein Verhalten in Catherines Phantasie mit neuem Zauber und bestärkte ihren Wunsch, mehr von ihm zu erfahren. Die Thorpes wussten nichts, denn sie waren erst zwei Tage, bevor sie Mrs. Allen getroffen hatten, nach Bath gekommen. Es war allerdings ein Thema, dem sie sich mit ihrer hübschen Freundin hingeben konnte, von der sie jede nur denkbare Ermutigung erhielt, sich weiter mit ihm zu beschäftigen, und daher tat das seinem Eindruck in ihrer Phantasie keinen Abbruch. Isabella war fest überzeugt, dass er ein reizender junger Mann war, und ebenso fest, dass er von ihrer lieben Catherine entzückt sein musste und bald zurückkommen würde. Dass er Geistlicher war, machte ihn in ihren Augen noch begehrenswerter, ›denn sie müsse gestehen, dass sie etwas für diesen Beruf übrig habe‹, und es entfuhr ihr so etwas wie ein Seufzer, während sie das sagte. Vielleicht war es ein Fehler, dass Catherine nicht nach der Ursache dieses zarten Gefühls fragte, aber sie war in den Finessen der Liebe oder den Pflichten der Freundschaft noch nicht erfahren genug, um zu wissen, wann ein zartfühlender Scherz angebracht oder eine Vertrauenserklärung erforderlich war.

Mrs. Allen fühlte sich nun ganz glücklich, ganz zufrieden in Bath. Sie hatte Bekannte gefunden, hatte noch dazu das Glück, in ihnen der Familie einer schätzenswerten alten Freundin zu begegnen, und, um das Maß ihres Glücks vollzumachen, hatte sie auch noch festgestellt, dass ihre Freundin bei weitem nicht so kostspielig gekleidet war wie sie. Statt »Wenn wir doch bloß irgendwelche Bekannten in Bath hätten!« war nun ihre tägliche Redensart »Wie froh ich bin, dass wir Mrs. Thorpe getroffen haben!«, und sie war mindestens ebenso sehr darum bemüht, den Umgang zwischen beiden Familien zu fördern wie ihr junger Schützling und Isabella. Nie mit einem Tag zufrieden, wenn sie nicht den größeren Teil davon an Mrs. Thorpes Seite verbracht hatte, vertieft in das, was sie Unterhaltung nannten, worin es aber kaum je einen Meinungsaustausch und nicht oft etwas gab, was einem Thema auch nur entfernt ähnelte, denn Mrs. Thorpe sprach fast nur von ihren Kindern und Mrs. Allen von ihren Kleidern.

Der schnelle Fortschritt der Freundschaft zwischen Catherine und Isabella entsprach ihrem begeisterten Anfang, und sie durcheilten alle Stufen zunehmender Zärtlichkeit mit solcher Geschwindigkeit, dass sie bald weder einander noch ihren Freunden einen neuen Beweis davon zu geben brauchten. Sie nannten sich mit Vornamen, gingen nur noch Arm in Arm, steckten sich gegenseitig die Schleppe hoch und wollten beim Tanzen unbedingt in derselben Reihe stehen; und wenn ein verregneter Vormittag sie anderer Vergnügungen raubte, bestanden sie darauf, sich trotz Nässe und Schmutz zu treffen, und schlossen sich ein, um gemeinsam Romane zu lesen. Jawohl, Romane, denn ich möchte nicht die gängige, so engstirnige und unkluge Gewohnheit der Romanschriftstellerinnen unterstützen, die durch verächtliche Kritik genau die Werke herabsetzen, zu deren Zahl sie selbst doch beitragen, und sich dadurch mit ihren ärgsten Feinden verbinden, dass sie ihren Heldinnen kaum gestatten, sie zu lesen. Wenn diese aber einmal aus Versehen einen Roman in die Hand nehmen, blättern sie seine Seiten unweigerlich mit Widerwillen durch. Doch ach, wenn die Romanheldinnen sich nicht gegenseitig beistehen, von wem sollen sie dann Förderung und Verständnis erwarten? Ich billige das nicht. Wir wollen es den Kritikern überlassen, diese Phantasiegebilde nach Belieben in den Schmutz zu ziehen und bei jedem neuen Roman ihre abgedroschene Litanei über den Schund abzusingen, unter dem die Druckerpressen heutzutage ächzen.

Wir dürfen uns nicht gegenseitig im Stich lassen; schon hat man uns Wunden geschlagen. Obwohl unsere Geistesprodukte größeres und aufrichtigeres Vergnügen bereitet haben als jedes andere literarische Genre der Welt, ist über keine andere Gattung so hergezogen worden. Aus Stolz, Dummheit oder modischem Anpassungsbedürfnis sind unsere Feinde so zahlreich wie unsere Leser. Und während die Fähigkeiten des neunhundertsten Kompilators eines »Abrisses der englischen Geschichte« oder eines Mannes, der in einem Band einige Dutzend Zeilen von Milton, Pope und Prior mit einem Artikel aus dem Spectator und einem Kapitel aus Sterne9 sammelt und veröffentlicht, von tausend Federn gepriesen werden, ist es Mode geworden, die Begabung des Romanschriftstellers, der zu seiner Empfehlung nichts weiter als Genie, Geist und Geschmack hat, herabzusetzen, seine Mühe zu unterschätzen und seine Werke zu verachten. ›Ich lese keine Romane. – Ich sehe nur selten hinein. – Glauben Sie nur nicht, dass ich oft Romane lese. – Für einen Roman ist es wirklich gar nicht so schlecht!‹ So geht die Heuchelei. ›Und was lesen Sie da, Miss …‹ – ›Oh, es ist nur ein Roman!‹ erwidert die junge Dame, während sie ihr Buch mit gespielter Gleichgültigkeit oder vorübergehender Verlegenheit auf den Tisch legt. ›Es ist nur Cecilia oder Camilla oder Belinda‹10 oder, kurz und gut, irgendein Werk, in dem ja nur die eindrucksvollsten Geisteskräfte sich entfalten, in dem der Welt ja nur die umfassendste Kenntnis der menschlichen Natur, die gelungenste Darstellung ihrer Spielarten, die lebhafteste Fülle von Esprit und Humor in der gewähltesten Sprache dargeboten werden. Allerdings – hätte dieselbe junge Dame sich mit einem Band des Spectator beschäftigt statt mit einem solchen Werk, wie stolz hätte sie das Buch vorgezeigt und seinen Titel genannt, obwohl die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist, dass irgendetwas in diesem umfangreichen Band, der in Gehalt und Gestalt eine junge Dame zwar nicht unbedingt abstößt, sie aber auch nicht sonderlich interessiert, denn auf seinen Seiten kommen so oft unwahrscheinliche Lebensumstände, unnatürliche Charaktere und Gespräche vor, die keinen lebendigen Menschen mehr berühren; und auch seine Sprache ist häufig so unkultiviert, dass sie auf die Zeit, die sie ertragen konnte, kein gutes Licht wirft.

Kapitel 6

Die folgende Unterhaltung, die eines Vormittags in der Brunnenhalle zwischen den beiden Freundinnen stattfand, als sie sich etwa acht oder neun Tage kannten, soll als Beispiel für die herzliche Zuneigung, den zartfühlenden, diskreten und originellen Gedankenaustausch und den anspruchsvollen literarischen Geschmack gelten, die einen Beweis dafür bilden, wie verständig ihre Beziehung war.

Sie waren verabredet, und da Isabella fast fünf Minuten vor ihrer Freundin eingetroffen war, eröffnete sie das Gespräch natürlich mit: »Liebste Freundin, was hat dich denn so aufgehalten? Ich warte hier schon mindestens eine Ewigkeit auf dich!«

»Wirklich! Das tut mir sehr leid, aber ich dachte, ich wäre pünktlich. Es ist doch gerade erst eins. Hoffentlich hast du nicht zu lange warten müssen?«

»Oh, mindestens eine Ewigkeit. Eine halbe Stunde bestimmt. Aber jetzt komm, wir setzen uns am anderen Ende der Halle hin und amüsieren uns. Ich muss dir tausend Sachen erzählen. Zunächst einmal, ich fürchtete, es würde heute Morgen regnen, als ich gerade losgehen wollte; es sah so nach einem Schauer aus, und das hätte mich zur Verzweiflung gebracht! Stell dir vor, ich habe gerade eben einen wunderhübschen Hut in einem Fenster in der Milsom Street gesehen – fast genau wie deiner, nur mit einem lachsfarbenen Band, statt mit einem grünen; ich hätte ihn liebend gerne gekauft. Aber liebste Catherine, was hast du denn den ganzen Vormittag getrieben? Hast du Udolpho11 weitergelesen?«

»Ja, seit ich wach bin, und ich bin bis zum schwarzen Vorhang gekommen.«12

»Wirklich? Wie zauberhaft! Oh, um nichts in der Welt würde ich dir verraten, was hinter dem schwarzen Vorhang ist! Bist du nicht ganz wild darauf?«

»Oh! Ja, natürlich, was kann es bloß sein? Aber verrate nichts, ich will es auf keinen Fall wissen. Ich wette, es ist ein Skelett – es ist bestimmt Laurentinas Skelett. Oh! Ich bin ganz hingerissen von dem Buch! Ich möchte am liebsten gar nicht wieder aufhören. Glaub mir, wenn wir nicht verabredet gewesen wären, hätte ich mich um nichts in der Welt davon getrennt.«

»Meine liebste Freundin! Wie dankbar bin ich dir dafür; und wenn du Udolpho durchhast, lesen wir gemeinsam den Italiener13, und ich habe schon eine Liste mit zehn oder zwölf ähnlichen Titeln für dich zusammengestellt.«

»Wirklich! Wie mich das freut! Wie heißen sie denn alle?«

»Ich lese dir die Titel gleich vor; hier sind sie, in meinem Notizbuch: Burg Wolfenbach, Clermont, Geheimnisvolle Warnungen, Der Magier aus dem Schwarzwald, Mitternachtsglocke, Die Waise vom Rhein und Gruselige Geheimnisse.14 Die halten ein Weilchen vor.«

»Ja, ganz bestimmt, aber sind sie auch alle gruselig, weißt du bestimmt, dass sie so richtig gruselig sind?«

»Ja, ganz bestimmt, denn eine gute Freundin von mir, eine Miss Andrews, ein reizendes Mädchen, eins der reizendsten Geschöpfe der Welt, hat sie einen nach dem anderen gelesen. Wenn du Miss Andrews kennen würdest, du wärest entzückt von ihr. Sie knüpft sich gerade den süßesten Umhang, den du dir vorstellen kannst. Ich finde sie schön wie einen Engel und ärgere mich so, dass die Männer nicht auf sie fliegen! Ich mache ihnen deshalb immer eine unheimliche Szene.«

»Eine Szene! Du machst ihnen eine Szene, weil sie sie nicht genug bewundern?«