Kochen und Backen wie vor 100 Jahren -  - E-Book

Kochen und Backen wie vor 100 Jahren E-Book

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Beschreibung

Kochbücher werden, anders als Kriminalromane, gewöhnlich nicht von der ersten bis zur letzten Seite geschmökert, sondern nach Bedarf durchgeblättert, meist auf der Suche nach einem passenden Rezept. Nicht so bei dieser kleinen Rezeptesammlung. Denn es geht hier nicht um die raffiniertesten Ideen für Quiche Lorraine, Chili con Carne oder Spaghetti Bolognese; auch nicht um den letzten Schrei aus der zeitgenössischen Spitzengastronomie. Sondern um ganz alltägliche Dinge wie "Gehirnsuppe", "Scheiterhaufen", "Hafergrützesuppe" und andere Köstlichkeiten, die uns heute nicht ohne Weiteres in den Sinn kämen, geschweige denn in den Mund. Aber vor 100 Jahren, als diese Rezepte geschrieben wurden und nach ihnen gekocht wurde, aßen die Menschen anders und manch Anderes als heute. Genau darin liegt der Reiz dieses Büchleins. Es gibt uns einen kleinen Geschmack davon, was damals bei den einfachen Leuten auf den Tisch kam und wie es zubereitet wurde. Mehr noch: Die stereotype Kochbuch-Formel ("Man nehme...") verrät viel über das Alltagsleben vor mehr als einem Jahrhundert. Und selbstverständlich gilt auch hier: Rezepte probieren geht über Studieren!

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Die erste Seite aus Oma Resis Koch- und Backbuch mit Rezepten für Ochsenschwanzsuppe und Königinsuppe.

INHALT

DIE KÖCHIN UND DER KELLNER

SUPPEN

FISCH

TUNKE

GEMÜSE- UND KARTOFFELSPEISEN

SALATE

MEHL- UND EIERSPEISEN

EINGEMACHTES

PUDDING, AUFLAUF

KUCHEN

PLÄTZCHEN

GETRÄNKE

REZEPTE-INDEX

Familie Wehres/Nicasius aus Mönchengladbach

DIE KÖCHIN UND DER KELLNER

Kochbücher werden, anders als Kriminalromane, gewöhnlich nicht von der ersten bis zur letzten Seite geschmökert, sondern nach Bedarf durchgeblättert, meist auf der Suche nach einem bestimmten Rezept. Nicht so bei dieser kleinen Rezepte-Sammlung. Denn es geht hier nicht um die raffiniertesten Ideen für Quiche Lorraine, Chili con Carne oder Spaghetti Bolognese; auch nicht um den letzten Schrei aus der zeitgenössischen Spitzengastronomie. Sondern um ganz normale Dinge wie «Gehirnsuppe», «Scheiterhaufen», «Hafergrützesuppe» und andere Köstlichkeiten, die uns heute nicht ohne Weiteres in den Sinn kämen, geschweige denn in den Mund. Aber vor 100 Jahren, als diese Rezepte geschrieben wurden, aßen die Menschen anders und manch Anderes als heute.

Genau darin liegt der Reiz dieses Büchleins. Es gibt uns einen kleinen Geschmack davon, was damals bei den «einfachen Leuten» auf den Tisch kam und wie es zubereitet wurde. Mehr noch: Die formelhafte Kochbuchprosa («Man nehme…») verrät viel über das Alltagsleben vor mehr als einem Jahrhundert.

Ich entdeckte dieses kleine Koch- und Backbuch vor Jahren im Nachlass meines Großvaters. Doch lange hatte ich die kleine schwarz-graue Kladde, 14 cm breit, 21 cm hoch, 100 Blatt in stabilem Kartoneinband, nicht beachtet, bis sie mir neulich beim Stöbern wieder in die Finger fiel. Ich begann, die in altdeutscher Sütterlin-Schrift aufgeschriebenen Rezepte zu entschlüsseln – und schon öffnete sich vor meinen Augen ein spannender Blick in die Alltagswelt zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

Über 200 Rezepte sind in dieser Kladde versammelt – in fein säuberlicher Handschrift, mit blauer Tinte. Ein vorgegebenes Register am rechten Buchrand ordnet die Back- und Kochanleitungen in 13 Abteilungen, von «Suppen» über «Salate» und «Eingemachtes» bis zu «Verschiedenes».

Doch nicht jede Abteilung enthält Rezepte. Besonders auffällig: In den Registern «Fleischspeisen» und «Braten» befindet sich kein einziges Rezept. Was dürfen wir daraus schließen? War das Kochbuch vielleicht für Vegetarier gedacht? Sicher nicht, denn dann fänden sich darin nicht so viele Rezepte mit Speck und Fisch. Wahrscheinlicher ist, dass üppige Fleischgerichte und fette Braten aus finanziellen Gründen nicht zum alltäglichen Speiseplan der Autorin gehörten. Stattdessen finden sich Rezepte für sehr einfache, zum Teil deftige Gerichte mit Zutaten, die einen Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung zeigen: Alles, was nur irgendwie genießbar ist, wird in der Küche verwertet und zu etwas Essbarem aufbereitet. Und was für den Tag nicht benötigt wird, wird für später konserviert, also eingekocht oder «eingemacht». Auch dazu finden sich in diesem Buch Anleitungen: von «Mix-Pickles» bis «Essig-Pflaumen».

Eine gesonderte Registerabteilung ist der Zubereitung von «Tunken» gewidmet – ein Wort, das mittlerweile fast völlig aus unserem Sprachgebrauch verschwunden ist, weil es dem neudeutschen «Dip» Platz machen musste, worunter jedoch nichts anderes verstanden wird als eine dickflüssige Substanz, in die man etwas – nun ja – einzutunken hat.

Interessant sind auch die Einblicke, die dieses Kochbuch in die damalige Koch- und Küchentechnik gibt. So ist statt von «schwacher Hitze» auf Gasherd oder Ceranfeld durchweg die Rede vom «Feuer» des alten Küchenherds, das je nach Rezept mal «gelinde», mal «mäßig», aber grundsätzlich da zu sein hatte. Und wenn etwas leise vor sich hin köcheln oder einfach nur warm bleiben sollte, dann wurde es «an die Seite» gestellt, wo die Herdplatte weniger heiß war. Oder es kam in die sogenannte «Kochkiste», die damals zur Standard-Ausrüstung eines Haushalts gehörte wie heute die Mikrowelle, und deren Einsatz auch in diesem Rezeptbuch an der einen oder anderen Stelle empfohlen wird.

Bei Wikipedia wird die Kochkiste beschrieben als «ein wärmedämmend ausgekleidetes Behältnis, in das einzelne Töpfe mit erhitzten Speisen eingestellt werden können, damit diese dann ohne weitere Energiezufuhr über einen Zeitraum von Stunden fertig garen». Dieses hocheffiziente Energiespargerät, so erfahren wir weiter, verdanke seine Entstehung und Verbreitung dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten Bemühen, breiten Schichten der Bevölkerung Möglichkeiten zu sparsamem Wirtschaften zu zeigen. Die Kochkiste «erleichterte auch die Haushaltsführung berufstätiger Frauen, die morgens die Speisen kurz aufkochen und diese während ihrer Abwesenheit in der Kochkiste fertig garen lassen konnten.»

Von wem stammt nun diese kleine Rezepte-Sammlung? Die Kladde selbst gibt darauf keine Antwort, denn sie trägt an keiner Stelle den Namen eines Autors. Dennoch ist ziemlich sicher, dass es von Therese Nicasius (1883-1940), meiner Oma Resi, geschrieben wurde. Die in Silverbeck, einem Ortsteil von Niederkrüchten (Kreis Viersen), geborene Ehefrau des Kellners Carl Wehres (1867-1959) war gelernte Köchin, und das ist den Rezepten auch anzumerken. Da hat jemand nicht irgendwo abgeschrieben, sondern notiert, was er in seiner eigenen Praxis als Hausfrau oder Köchin selbst erprobt hat.

Für die Autorenschaft von Therese spricht aber auch der Fundort des Buches. Es befand sich nämlich in jener kleinen Holzkiste, in der Carl Wehres die persönlichen Dinge aufbewahrte, die ihm die wichtigsten und liebsten waren: Urkunden, Zeugnisse, Rosenkränze, Fotos, Briefe und Bilder seiner Kinder, Schreibutensilien – und seine Pfeifen.

In seinem Notiz- und Haushaltsbuch notierte Carl Wehres in zwei dürren Sätzen das Kriegsschicksal seiner Familie.

Diese kleine Schatztruhe hielt er stets griffbereit, so dass er sie im Falle eines Bombenalarms mit in den Keller nehmen konnte. Und so gelang es der kleinen Kiste, sämtliche Wirren und Katastrophen des Krieges zu überstehen, auch jene verhängnisvolle Bombennacht des Jahres 1944, in der auch das Haus in der Mönchengladbacher Sofienstraße 30 zerstört wurde, in welchem die Familie Wehres wohnte. Dazu findet sich folgender Eintrag in Carls Notizbuch, das er ebenfalls in seiner Kiste aufbewahrte:

«Am 10.9.1944 in M.Gladbach ausgebombt, d.h. ausgebrannt, mit uns die ganze Sofienstr., sozusagen alles verloren, etwas Wäsche und einige Sachen (Kleinigkeiten) übrig geblieben. In Helenabrunn beim Schwager Konrad Hendelkens mit drei Mädchen Aufnahme gefunden.» (Siehe Abbildung Seite →.)

Der Totenzettel für Therese Nicasius. Sie wurde wie alle verheirateten Frauen der damaligen Zeit quasi als Anhängsel des Ehemanns definiert und dementsprechend „Frau Carl Wehres“ genannt. Das Heiratsdatum 17.10.1911 bezieht sich auf den Tag der kirchlichen Trauung.

Konrad Hendelkens, der Ehemann von Carls Schwester Christine, besaß ein Haus an der Heimerstraße in Viersen-Helenabrunn, das den Ausgebombten vorübergehend Platz bot.

Therese Wehres sind diese Schrecken des Krieges erspart geblieben. Sie starb bereits am 19. Februar 1940 – im «Hauptbahnhof, Wartesaal 3. Klasse», von Mönchengladbach, nachts um 23:30 Uhr, wie die Sterbeurkunde festhält. Sie wurde nur 57 Jahre alt.

Über ihr Leben ist ansonsten wenig überliefert. Allerdings finden sich in Carls hölzerner Schatzkiste zwei kleine, scheinbar bedeutungslose Dokumente, deren Zusammenhang sich erst erschließt, wenn man sie nebeneinander legt. Bei dem einen Dokument handelt es sich um eine Bescheinigung, mit der Therese aus der Ortsgruppe der «Marianischen Jungfrauen-Congregation» in Burgwaldniel abgemeldet wird, datiert auf den 16. Oktober 1906 (siehe Abbildung unten).

Was für ein merkwürdiger Verein war das? Ortsgruppen dieser «Marianischen Jungfrauen-Congregation» bildeten sich ab Ende des 19. Jahrhunderts in zahlreichen katholischen Pfarreien als kirchliche, kulturelle und gemeinnützige Vereinigungen für schulentlassene und unverheiratete junge Frauen. Ihr Ziel war vor allem die sittlich-religiöse Indoktrinierung ihrer Mitglieder nach streng-katholischen Regeln und entsprechend einfältiger Marienverehrung.

Auch in Burgwaldniel bestand seit dem 8. Dezember 1904 eine Gruppe der Congregation. Zu deren Gründungs mitgliedern zählte ausweislich der «Abmelde-Bescheinigung» vom 16. Oktober 1906 auch die damals 21jährige Therese Nicasius. Offenbar wohnte sie mit ihrer Familie zu diesem Zeitpunkt in Waldniel (siehe Abbildung S. →)