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Kommunizieren und Herrschen E-Book

Janosik Herder

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Beschreibung

In der digitalen Gegenwart mit ihren sozialen Medien, der Verbreitung von mobilen Endgeräten und der ständigen Verfügbarkeit des Internets ist Kommunikation allgegenwärtig. Doch während Plattformen und Algorithmen zunehmend in der Kritik stehen, wird die befremdliche Allgegenwart der Kommunikation als Segnung des technischen Fortschritts gefeiert. Ein großer Fehler: Denn unter der harmlosen Idee der Kommunikation schlummert eine ganze politische Programmatik. Janosik Herders Analyse dieser Programmatik führt von der Frage, wie der moderne Mensch überhaupt zu einem kommunizierenden Wesen geworden ist, über Kommunikation als Mittel der Herrschaft bis zu den Möglichkeiten des Widerstands heute.

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Seitenzahl: 416

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Janosik Herder

Kommunizieren und Herrschen

Zur Genealogie des Regierens in der digitalen Gesellschaft

Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2021 am Fachbereich für Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen.

Gutachter: Prof. Dr. Matthias Bohlender, Universität Osnabrück und Prof. Dr. Martin Nonhoff, Universität Bremen

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld © Janosik Herder

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Korrektorat: Jörg Ponten

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

Print-ISBN 978-3-8376-6684-7

PDF-ISBN 978-3-8394-6684-1

EPUB-ISBN 978-3-7328-6684-7

https://doi.org/10.14361/9783839466841

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

Danksagung

1.Einleitung: Die Kommunikationshypothese

Kommunikative Macht in der digitalen Gesellschaft

Kybernetik und Kommunikation

Genealogie und Regierung

Gliederung des Arguments und der Arbeit

2.Die Geburt der konnektiven Macht aus dem Krieg

Die disziplinarisch-mechanische Kriegsführung

Nachrichten und Befehle in der disziplinarischen Wissensordnung

Was ist disziplinarische Kriegsführung?

Die Kraft der Verbindung

Die Kritik der disziplinarischen Kriegsführung

A mathematical theory of war

Strategie und Disziplin

Weiterentwicklung der Disziplin oder neue Machttechnik?

Die Verbindung als neues Prinzips der Kriegskunst

Die Macht der Disziplin und die Macht der Verbindung

Konnektionsmittel und die Macht der Verbindung

3.Das Kommunikationsdispositiv und die Entdeckung der Information

Der politische Körper – drei Beispiele

Die Geburt der Telegrafie in Frankreich

Die Telegrafie und die Trennung von Transport und Kommunikation

Die Entdeckung der Information

Die Ökonomie der Zeichen

Der politische Körper der Kommunikation

Das Sprechen der Menschen und das Problem der freien Rede

Regierung, Kommunikation und ›Kontrolle‹

Das Kommunikationsdispositiv und die Macht der Verbindung

4.Das kommunikative Subjekt und das Ende des Kapitalismus

Was ist kommunikativer Kapitalismus?

Produktion und Kommunikation: Die postindustrielle Gesellschaft

Produktion und Konnektion: Der Reichtum des Netzwerkes

Produktion und Konnektion: Die Macht des Netzwerkes

Zwei Probleme des kommunikativen Kapitalismus

Die immaterielle Arbeit und das Ende des Kapitalismus

Die Utopie der Kommunikation

Konturen der Herrschaft im kommunikativen Kapitalismus

Das kommunikative Subjekt

5.Schluss: Das Versprechen der Demokratie und die Kritik der Kommunikation

Kommunikation als Fantasie

Demokratie gegen die Kommunikation

Gegen-Kommunikation: Die Körper auf den Plätzen

Zur Kritik der Kommunikation

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Danksagung

Ohne die Hilfe einer ganzen Reihe von Menschen hätte ich diese Arbeit so nicht schreiben können. Für zahllose Hinweise, ausgedehnte Diskussionen, Kritik und viele ausgeliehene Bücher möchte ich Matthias Bohlender herzlich danken. Außerdem danken möchte ich den Teilnehmer*innen des Bremer Kolloquiums für Politische Theorie für die konstruktive Lektüre von früheren Versionen; insbesondere geht mein Dank an Martin Nonhoff, Christian Leonhardt, Frieder Vogelmann, Jendrik Nuske, Simon Tunderman, Gundula Ludwig und Frank Nullmeier. Für verschiedene Diskussionen und Anregungen danke ich außerdem Clelia Minnetian, Frederik Metje, Daniel Stämmler, Malte Möck, Anna-Verena Nosthoff, Felix Maschewski, Sebastian Berg, Ann-Kathrin Koster, Florian Eyert und alle anderen, die ich hier vergessen habe. Ohne die tägliche Unterstützung und Ermutigung von Tanja wäre diese Arbeit ganz sicher nicht fertig geworden. Es bleibt mir so gesehen nichts anderes übrig, als ihr diese Arbeit zu widmen – Danke!

1.Einleitung: Die Kommunikationshypothese

Man kann nicht nicht kommunizieren.– Paul Watzlawick

The question is not what you look at, but what you see.– Henry David Thoreau

Die Menschen haben immer schon kommuniziert. Als Höhlenmenschen kommunizierten sie mit Lauten und Gesten, in ihren Stämmen entwickelten sie Formen mündlicher Übertragung und Speicherung von Informationen in Form von Geschichten und Traditionen. Für die Nachwelt speicherten sie Informationen in Form von eindrucksvollen Höhlenmalereien. Dann entwickelten sie über viele Jahrhunderte ihre Sprachen – Zeichensysteme, mit denen sie ihr gesellschaftliches Leben zu organisieren begannen. Vor einigen Tausend Jahren dann erfand der Mensch die Schrift – und mit ihr eine ganze Reihe von neuen Möglichkeiten zu kommunizieren und miteinander in Verbindung zu treten. Dann: Gutenberg und mit ihm die Revolution in der Reproduktion der menschlichen Kommunikation durch den Buchdruck. Und schließlich in der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart die elektronische Explosion der Möglichkeiten zu kommunizieren: Telegrafen, Telefone, Filme, Radios, Fernsehen, Computer, das World Wide Web, Mobiltelefone, soziale Medien…

Es ist eine intuitive und schöne Geschichte, die wir uns erzählen.1 Über den Menschen, das einsame Wesen, das – wie Vilém Flusser sagt – angesichts des unausweichlichen und sinnlosen Todes kommunizieren und sich mit anderen in Verbindung setzen muss, um sein Schicksal ertragen zu können.2 Das Wesen, dessen Leben sich stets verbessert, wenn es kommuniziert. Und dessen Gesellschaft umso richtiger funktioniert, je ungehinderter kommuniziert werden kann und je umfassender die Verbindungswege zwischen den Menschen ausgebildet sind. Es ist eine Geschichte über die Entwicklung des Austausches von Ideen, eine hoffnungsvolle Geschichte über das Verstehen – über den Menschen als friedlichen Austauscher und Wissenssammler. Über das große Zu-sich-Kommen dieses kommunizierenden Wesens in der spätkapitalistischen Informationsgesellschaft, die alle notwendigen Verbindungen hervorgebracht hat, in der sich endlich alles Wissen zusammenbringen lässt und in der der Austausch von jedem mit jedem zu jeder Zeit vollkommen möglich ist. Der Traum der Kommunikation: Es ist die große Erzählung in einer Zeit, zu der eigentlich schon keiner mehr an große Erzählungen geglaubt hatte. Die Überzeugung, Kommunikation sei das Wesen des Menschen und die Herstellung von Verbindungen zwischen den Menschen seine wichtigste Aufgabe – das ist die Kommunikationshypothese.

Aber was ist Kommunikation eigentlich? Kommunikation meint heute auf einer ganz grundlegenden Ebene die einfache Tatsache, dass zwischen Entitäten – seien es Menschen, Tiere, Pflanzen, Maschinen oder die Umwelt – eine Fern- oder Wechselwirkung stattfindet. Wenn wir sagen, dass zwei Menschen miteinander kommunizieren, dann meinen wir, dass sie gewissermaßen unsichtbare Einheiten miteinander austauschen, die wir ganz abstrakt als Information bezeichnen können. Und um diese Informationen auszutauschen, können die Menschen bestimmte Mittel benutzen, die ihnen das Kommunizieren erleichtern, es erweitern oder beschleunigen: etwa Fackelsignale, Telegrafen oder Mobiltelefone. Kommunikation lässt sich speichern – in Form von menschlicher Schrift, Nullen und Einsen, in Büchern, auf Magnetbändern und Festplatten. Und wir wissen, dass auch Tiere miteinander kommunizieren, dass Menschen mit Tieren kommunizieren, Maschinen mit Maschinen, Tiere mit ihrer Umwelt. Kommunikation ist heute eine so unscheinbare und so natürliche Idee, dass es zunächst abenteuerlich klingt, wenn man gegen die Kommunikationshypothese schreibt: Menschen haben nicht immer schon kommuniziert. Zwar bezeichnete bekanntermaßen schon Aristoteles den Menschen als sprechendes Tier, als zōon logon echon – (was auch immer er damit gemeint haben mag) – aber erst der moderne Mensch kann in diesem Sprechen nichts weiter erkennen als Kommunikation. Um in Höhlenmalereien und Lauten nur mehr einen Akt der Kommunikation zu sehen, muss man schon ein Mensch des 21. Jahrhunderts sein; ein Mensch, der mit den revolutionären Kommunikationstechniken des 19. Jahrhunderts (Telegraf, Eisenbahn) und der Durchsetzung der neuen Wissensordnungen des 20. Jahrhunderts (Informatik, Kommunikationswissenschaft, Kybernetik, Systemtheorie) erst zu einem kommunikativen Wesen gemacht wurde. Wenn ich schreibe, dass der Mensch zu einem kommunikativen Wesen gemacht wurde, dann bedeutet das, dass ich die moderne Idee der Kommunikation nicht auf der Ebene der Geschichte der Ideen untersuchen möchte. Es geht mir in dieser Arbeit nicht darum, die zahlreichen Entwicklungsschritte der Idee der Kommunikation, die vielen Fehltritte und Missverständnisse der zahlreichen Theorien zu verfolgen, die mit der präzisen wissenschaftlichen Formulierung der mathematischen Kommunikationstheorie und der Kybernetik durch Claude Shannon und Norbert Wiener im Jahr 1948 und der Weiterentwicklung dieser Ideen in allen möglichen wissenschaftlichen Disziplinen und Bereichen im 20. Jahrhundert enden.3 Dieses Buch erzählt eine andere Geschichte. Eine Geschichte von Kommunikation als Macht, das heißt – mit Michel Foucault gesprochen – von Kommunikation als Art und Weise der Regierung von Menschen.

»Wo es Macht gibt«, so Foucaults bekannte Formel, »gibt es Widerstand.«4 Und das heißt genau genommen auch, dass Widerstandspraktiken uns Hinweise liefern können, wo Machtverhältnisse existieren, die wir vielleicht bislang noch nicht als solche identifiziert haben, weil wir sie ganz einfach als natürlich oder notwendig akzeptieren. Die Machtverhältnisse werden für Foucault gewissermaßen immer dann sichtbar, wenn die Subjekte aufhören zu gehorchen und Widerstand leisten.5 Um uns den Machtverhältnissen der Kommunikation anzunähern, können wir deshalb zunächst den Widerstand gegen die Kommunikation in den Blick nehmen, der schon überall sichtbar wird, auch wenn er uns verstreut, fragmentiert und größtenteils individualisiert gegenübertritt.

Es sind zuallererst die Feudalherren der Kommunikation aus dem Silicon Valley und mit ihnen die zahllosen Kommunikationsarbeiter*innen, die jetzt den Mächten, die sie selbst heraufbeschwören, entkommen wollen: digital detox nennen sie das – die Flucht in den Wald, die Rettung in die Blockhütte, ohne Kommunikationsmittel, ohne Verbindungen zur Außenwelt. Immer mehr Menschen sehnen sich nach diesen Momenten der Unerreichbarkeit, nach der romantischen Flucht aus dem stahlharten kommunikativen Gewebe, in das sie tagtäglich eingespannt sind. Es ist die Sehnsucht nach kurzen Momenten der Ent-Unterwerfung, die die alltägliche Macht der Kommunikation erträglicher machen soll. Die Kämpfe gegen die Kommunikation zeigen sich aber vor allem auch bei denen, die an der Macht der Kommunikation zerbrechen; den erschöpften kommunikativen Subjekten,6 denen zur Erholung nicht die teure und begehrte Welt der Unverfügbarkeit zur Verfügung steht und die sich dem dauerhaften Zugriff und der unermüdlichen Präsenz nur durch die vollständige individuelle Kapitulation entziehen können.

Es ist aber ohne Frage auch der Widerstand der zahlreichen politischen Gruppen, der die Macht der Kommunikation sichtbar macht. Der Gruppen, die ihre individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit durch die ständigen Verbindungen und die kommunikative Überladung bedroht und tatsächlich schwinden sehen; jener, die gegen die Vernetzung der Welt, das endlose Sammeln von Daten, Überwachung und Kontrolle kämpfen. Und es ist nicht zuletzt vielleicht auch die wachsende Menge der mit Hass Erfüllten, die als Phänomen des Widerstandes gelesen werden können; derjenigen, die die Macht der ›politisch korrekten‹ Kommunikation im Namen einer wahren Kommunikation kritisieren. Jene, die die herrschende Kommunikation als verlogen oder vermachtet bezeichnen; aber statt gegen die Macht, die tatsächlich über sie ausgeübt wird, zu kämpfen, verfallen sie in die befremdliche Sehnsucht nach einer reinen Kommunikation. Es ist der Wunsch nicht nach weniger, sondern nach einer wahren Unterwerfung durch Kommunikation – der Wunsch nicht nach der Abwesenheit von Herrschaft, sondern danach, richtig beherrscht zu werden. Es ist zweifellos eine gefährliche weil ideologisch entstellte Form des Widerstands gegen die Kommunikation: An die Stelle des tatsächlichen Widerstands gegen die Macht setzen sie das Begehren nach einer reinen Macht, und an die Stelle der Macht setzen sie fantastische Figuren, die uns allesamt vom tatsächlichen Problem wegführen und die widerlichsten Formen von Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Antisemitismus erzeugen.

All diese Momente des Widerstands treten uns deshalb als bloß fragmentarische Kämpfe gegenüber, als vereinzelte und unzusammenhängende, sich zum Teil widersprechende Widerstandsphänomene, weil wir noch immer nicht verstanden haben, worin das Machtverhältnis der Kommunikation eigentlich besteht; denn um zu sehen, wogegen sich diese zahllosen Widerstände richten, müssen wir zuallererst die Kommunikationshypothese hinter uns lassen.7 Diese vertraute Geschichte, in der Kommunikation zutiefst menschlich ist – als natürliche, immer schon stattfindende Praxis des gesellig lebenden Menschen. Gegen diese Hypothese müssen wir eine andere Geschichte der Kommunikation setzen. In dieser anderen Version müssen wir lernen, die Idee der Kommunikation als eine Erfindung des 19. Jahrhunderts zu betrachten – eine Erfindung, die keinesfalls natürlich oder unproblematisch ist. In dieser Version ist Kommunikation immer schon eine ganz bestimmte Vorstellung darüber, was passiert, wenn zwei Menschen miteinander sprechen, und es ist immer schon eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie unsere natürliche, soziale und politische Welt geordnet ist. Ich möchte keinesfalls die Tatsache, dass Menschen zusammenleben und dazu miteinander sprechen und zusammen handeln, als bloße Illusion der Macht denunzieren. Es geht gerade nicht darum, die Utopie oder Vision einer gemeinsamen, geteilten Welt von sich als frei und gleich verstehenden Menschen zu zerstören. Menschen haben immer miteinander gesprochen und gehandelt und werden immer miteinander sprechen und handeln; und dieses Sprechen und Handeln hat sicherlich einen Wert an sich und drückt ganz sicher ein tiefes menschliches Bedürfnis nach Gemeinsamkeit aus.

Der interessante Punkt ist, dass Menschen dieses gemeinsame Sprechen und Handeln nicht immer schon als Kommunikation dachten. Wenn ich in dieser Arbeit also behaupte, dass Menschen nicht immer schon kommuniziert haben, dann heißt das nicht, dass Menschen nicht immer schon miteinander gesprochen und zusammen gehandelt haben, und dass das miteinander Sprechen und Handeln einen wünschenswerten politischen Horizont bildet. Und es heißt im Übrigen auch nicht, dass sich das, was wir heute Kommunikation nennen, nicht als universelle und ahistorische Beschreibung und Analytik der sozialen und natürlichen Welt geradezu aufdrängt – genau das beweist ja die Kommunikationshypothese.8 Zu sagen, dass Menschen nicht immer schon kommuniziert haben, heißt, dass sich Menschen die Welt nicht immer schon in Begriffen von Kommunikation erklärt haben. Kommunikation ist damit ein Konzept, das strenggenommen ›nur‹ für ›uns‹ Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts Gültigkeit besitzt. So betrachtet erlaubt uns die Untersuchung über das Auftauchen von ›Kommunikation‹ eine zentrale politische Frage zu stellen: Wer sind ›wir‹ kommunizierenden Menschen der Gegenwart eigentlich? Was sind wir für Wesen, die wir Kommunikation als unsere naturgemäße Aufgabe begreifen, als unser Schicksal und unser Heil? Und welche politischen Formen, welche Macht- und Selbstverhältnisse zeichnen unsere ›kommunikative‹ Gegenwart aus?

Die Untersuchung, die ich in diesem Buch unternehme, ist damit im klassischen Sinne genealogisch, denn es ist die Selbstbefragung unserer Gegenwart durch eine andere Erzählung darüber, wie wir eigentlich dazu kamen, Kommunikation als gültige Wahrheit über uns und unsere Welt anzuerkennen. Dieses Buch ist der Versuch, die Gültigkeit dieser Wahrheit ein Stück weit aufzulösen oder zumindest historisch zu situieren. Die Frage, die diese Arbeit also stellt, ist, ob Kommunikation als etwas verstanden werden kann, das das Projekt einer geteilten Welt von freien und gleichen Menschen gerade nicht einlöst oder befördert, sondern im Gegenteil sogar blockiert. Es geht mir in dieser Arbeit darum zu ergründen, ob Kommunikation nicht auch als eine politische Entdeckung gelesen werden kann, als Erfindung einer bestimmten Art und Weise der Regierung von Menschen. Eine Erfindung, die uns bereits seit dem 19. Jahrhundert begleitet und die mit dem, was wir heute ›Digitalisierung‹ nennen – also der Intensivierung und Verallgemeinerung der Informations- und Kommunikationstechnik insbesondere in den letzten 30 Jahren – eine neue zentrale Bedeutung annimmt.

Kommunikative Macht in der digitalen Gesellschaft

»There are many of us«, schließt Mark Zuckerberg sein berühmtes Manifest Building Global Community aus dem Jahr 2017,

»who stand for bringing people together and connecting the world. I hope we have the focus to take the long view and build the new social infrastructure to create the world we want for generations to come. It’s an honor to be on this journey with you. Thank you for being part of this community, and thanks for everything you do to make the world more open and connected.«9

Das Manifest ist Zuckerbergs Versuch, eine Antwort auf die vielen neuen Probleme zu finden, die mit der Verbreitung und dem Erfolg der sozialen Medien in den 2010er-Jahren aufkamen: die Entstehung von sogenannten Filterblasen, der viel kritisierte verzerrende Einfluss von Algorithmen, die Verbreitung und politische Nutzung von Desinformation vor allem im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016, die allgemeine Polarisierung der öffentlichen Debatte und auch die neue Rolle von Facebook, das als Unternehmen plötzlich über politisch relevante Fragen – wie die Zulässigkeit bestimmter Meinungen – entscheiden muss. Für all diese Probleme, die die digitale Gegenwart plagen, verspricht das Manifest Lösungen: von Algorithmen, die problematische Inhalte noch besser automatisch aussortieren; über mehr menschliche Moderatoren, die algorithmische Entscheidungen überprüfen, bessere Privatsphäre Einstellungen für die Nutzer; bis hin zum besseren Umgang mit nur auf Aufmerksamkeit oder Empörung angelegten Nachrichten. Auf all die Dinge, die in den vergangenen Jahren auch aus politischen Gründen an der ›Digitalisierung‹ kritisiert wurden, bietet Zuckerberg wohlüberlegte Antworten. Neben diesen Vorschlägen artikuliert das Manifest aber auch ein sehr klares politisches Programm für die digitale Gegenwart.

Das Manifest beginnt dafür mit einer Zeitdiagnose: Seit den 70er Jahren sei die Mitgliedschaft in lokalen Gemeinschaften in den USA rückläufig, große Teile der Bevölkerung schauten ohne Hoffnung in die Zukunft und das Land sei gespaltener als je zuvor. Wie kommt das? Jede Gesellschaft, so das Manifest, benötige eine ›social fabric‹ – jede Gesellschaft benötige neben den Einzelnen und der Regierung eine ganze Reihe von verschiedenen Verbindungen, von Einzelnen zu anderen Einzelnen und von Einzelnen zu Gruppen und Gemeinschaften: »In our society«, heißt es deshalb, »we have personal relationships with friends and family, and then we have institutional relationships with the governments that set the rules. A healthy society also has many layers of communities between us and the government that take care of our needs.«10 Wenn wir von ›social fabric‹ sprächen, so das Manifest, dann würden wir genau diese zahlreichen Verbindungen meinen, die dem Einzelnen einen Platz in der Gesellschaft, Werte und Zugehörigkeit vermittelten und ihn in Kontakt mit anderen Menschen brächten. Es ist genau diese ›fabric‹, diese Verbindungen zwischen den Einzelnen und anderen Einzelnen, Gruppen und Institutionen, die dem Manifest zufolge in den letzten 40 Jahren verloren gegangen sei. Der Verlust der ›social fabric‹ sei dabei nicht nur und nicht einmal primär ein ökonomisches Problem, wie Kritiker des Neoliberalismus zu Recht anmerken würden. »It is possible«, heißt es in dem Manifest, »many of our challenges are at least as much social as they are economic – related to a lack of community and connection to something greater than ourselves.«11 Das eigentliche Problem lässt sich dem Manifest nach nicht durch ökonomische Veränderungen lösen, es betrifft vielmehr das Fehlen von dem, was wir ganz einfach als Gesellschaft bezeichnen können: die fehlende Verbindung zwischen den Menschen, die fehlenden Möglichkeiten der Kommunikation, das Fehlen von Verbindungslinien, die fehlende Zirkulation von menschlicher Kommunikation.

Angesichts der sozialen Natur des Problems beharrt das Manifest auf zwei einfachen Forderungen: Wir brauchen mehr Kommunikation, mehr Austausch zwischen den Menschen; und das erreichen wir, in dem wir mehr Kommunikationskanäle, mehr Möglichkeiten schaffen, sich miteinander in Verbindung zu setzen. Wenig verwunderlich soll dem Manifest nach natürlich gerade Facebook als new social infrastructure dienen, die es dann erlaubt, die ganze Welt zu einer großen, glücklichen Gemeinschaft zu machen. Eine kommunizierende Weltcommunity, vereint unter der Ägide von Mark Zuckerberg: Es ist leicht und richtig, in der Forderung nach einer besser verbundenen Welt, in der ungehindert kommuniziert werden kann, und in der Vorstellung, dass gerade Facebook als moderne, soziale Infrastruktur dienen könnte, einfach das Interesse eines Unternehmens zu sehen, das eben diesen Service als Geschäftsmodell anbietet; und das natürlich seine Monopolstellung erhalten und Zugriff auf möglichst viele Nutzer*innen erlangen will. Obwohl diese Kritik richtig ist, deutet die Überzeugungskraft der im Manifest erzählten Geschichte auch darauf hin, dass der soziale und politische Wert von Kommunikation keine Erfindung cleverer Marketingstrategen aus dem Silicon Valley ist. Die Vorstellung, dass soziale und politische Probleme im Kern Kommunikationsprobleme sind, die sich am besten durch Kommunikation oder das Nachdenken über Kommunikation lösen und bearbeiten lassen, ist ein ›truism‹ der neueren politischen Theorie.

Kommunikative Macht können wir herkömmlicherweise auf zwei Arten verstehen, die Jürgen Habermas in den 1980er Jahren sehr klar unterschied.12 Einmal lässt sich kommunikative Macht auf klassisch zweckrationale oder funktionalistische Weise deuten. Macht ist in diesem Sinne die individuelle oder institutionell erzeugte Fähigkeit, einen Willen oder Zweck auch gegen den Willen anderer durchzusetzen – in diesem Fall mit kommunikativen Mitteln. Die klassische Version von kommunikativer Macht leitet Habermas von Max Weber und Talcott Parsons ab, sie lässt sich aber auch auf aktuelle Arbeiten wie die von Manuel Castells übertragen.13 Kommunikative Macht ist hier ganz einfach ein kommunikativer Modus der Durchsetzung eines Zwecks oder Willens gegen einen anderen. Gegen diese funktionalistische und gewissermaßen ›schlechte‹ Version steht für Habermas auf der anderen Seite ein ›guter‹ Begriff kommunikativer Macht, wie ihn Hannah Arendt nutzt. Kommunikative Macht – oder für Arendt einfach Macht – beschreibt die menschliche Fähigkeit, sich durch Kommunikation zu einer politischen Gemeinschaft zusammenzuschließen und zusammen zu handeln.14 Macht kann für Arendt genau nicht funktionalistisch oder zweckrational gedacht werden (dann wäre sie Gewalt), sie ist ein Zweck an sich und besitzt nur die Funktion der Gründung einer Ordnung der Freiheit. Diese normative Vorstellung sieht in Kommunikation, die sich für Arendt in der Öffentlichkeit realisiert, die Lebensader jeder freiheitlichen politischen Gemeinschaft. Kommunikation bildet also auch für Arendt die ›fabric‹ einer Gesellschaft, ohne die eine politische Ordnung zerfallen muss.

Habermas zieht aus der Diskussion beider Traditionen den Schluss, dass wir eine »realistische Version«15 von kommunikativer Macht bräuchten. Kommunikation ist deshalb für Habermas sowohl die normative Lebensader einer freien Gesellschaft, als auch – funktionalistisch gesehen – eine tatsächliche politische Verfahrensweise der Ausübung von demokratischer Macht. Die soziale Infrastruktur, in der diese eigentümliche kommunikative Macht zu finden ist, ist für Habermas nun natürlich nicht Facebook, sondern die Öffentlichkeit und die demokratischen Institutionen, die diese erlauben und aufrechterhalten.16 Aber es ist nicht schwer die grundlegende Gemeinsamkeit zu sehen, denn die klassische und allgemeine Annahme lautet auch bei Habermas: »Die Öffentlichkeit läßt sich am ehesten als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen beschreiben.«17 Wenn Habermas über Öffentlichkeit schreibt dann meint er damit – wie Zuckerberg – dass unsere moderne, demokratische Gesellschaft notwendig eine ›social fabric‹ aus Kommunikation und Verbindungen benötigt.

Die ›Marketingstrategen‹, die die Idee von Kommunikation als höchstem Gut plausibel erscheinen lassen, kommen also nicht aus dem Silicon Valley. Und die Idee der gesellschaftlichen Notwendigkeit einer kommunikativen Infrastruktur, um die Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren, ist in der Tat nicht so neu, wie Zuckerberg uns glauben machen will. Zuckerberg und Habermas wären sich vielleicht grundlegend uneins über den Ort und die Verfahren, die Kommunikation als legitime Akte des politischen Handelns einsetzen; aber sie sind sich einig in der großen sozialen und politischen Bedeutung, die Kommunikation heute spielt. Kommunikation ist der zentrale politische Begriff, der unserer modernen Gesellschaft als solcher zugrunde liegt. ›Digitale Gesellschaft‹ – wenn man den Begriff dafür nutzen will – meint eine hochgradig kommunikative und maximal verbundene Gesellschaft. Digitalisierung ist in diesem Sinne das Ermöglichen oder Anreizen von Kommunikation und das Vervielfältigen von Verbindungen; heißt, den sozialen und politischen Wert von Kommunikation und Verbindungen schon vorauszusetzen und deshalb voranzutreiben. In genau diesem Sinne bezeichnet Digitalisierung aber auch nichts anderes als einen quantitativen Sprung, eine Intensivierung, Durchdringung und Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnik in der jüngeren Vergangenheit.18

Für die vorliegende Arbeit ist die Digitalisierung damit in erster Linie die Verallgemeinerung einer politischen Technologie, die sich im 19. Jahrhundert mit der Erprobung einer neuen Regierungsweise herausbildet, die auf der Kraft von Verbindungen basiert. Und es ist die Verallgemeinerung eines politischen Wissens, das sich bereits mit den ersten modernen Kommunikationsmitteln entwickelte, und das mit der Evolution der Kommunikations- und Informationstechnik in der Gegenwart eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Zuckerbergs Idee einer verbundenen und kommunizierenden globalen Community ist damit vielleicht nur der letzte Entwurf eines fast 200 Jahre währenden Diskurses über Kommunikation als politische Rationalität.

Kybernetik und Kommunikation

Die digitale Gesellschaft hat tatsächlich eine längere Geschichte. Sie beginnt nicht mit Habermas, nicht mit Facebook oder Google, und sie beginnt auch nicht mit dem Internet. Sie beginnt nicht einmal mit der Kybernetik oder der mathematischen Kommunikationstheorie, auch wenn beide historisch gesehen die deutlichsten Artikulationen der Kommunikationshypothese bilden. Im Jahr 1948 schrieb Norbert Wiener in seinem Buch Cybernetics einen höchst eigentümlichen Satz, der unsere Welt nachhaltig veränderte. Im Anschluss an eine langwierige Auseinandersetzung über die Natur von Zeitlichkeit, Kausalität, Thermodynamik und die statistische Mechanik von Willard Gibbs und Henri Lebesgue kommt Wiener zu dem befremdlichen Schluss: »Information ist Information, weder Materie noch Energie.«19 Befremdlich war der Satz, weil er Ausdruck eines neuen Diskurses war – des Diskurses der Kybernetik – der 1948 gerade erst begann, sich aus seiner strikten Verankerung in der Mathematik und den Ingenieurwissenschaften zu lösen und sich als neuer wissenschaftlicher Universaldiskurs zu positionieren. Noch befremdlicher war allerdings die Behauptung einer neuen Kategorie – der Kategorie der Information –, deren Übertragung Wiener zufolge für das Verständnis der Welt unerlässlich sein sollte.20 Die Welt, so die Grundannahme Wieners, besteht nicht nur aus Materie und Energie, sie besteht auch aus Information, kommunizierbaren ›Teilchen‹ oder Einheiten, die entscheidend sind, wenn wir das wirkliche Funktionieren von menschlichem und tierischem Leben sowie von Maschinen verstehen wollen.

Mit diesem Satz formulierte Wiener zum ersten Mal in aller Deutlichkeit eine These, die spätestens vom Jahr 1948 an zu einer der Grundfesten unserer modernen Welt werden sollte, nämlich die, dass die Kommunikation von Information eine zentrale Rolle spielt – und dass das Heil des Einzelnen oder der ganzen Gesellschaft mit der Kommunikation dieser Einheit verbunden ist. Damit setzt sich eine neue und folgenreiche Sprache durch, die mit ihrem Fokus auf Kommunikation und Kontrolle eine Art Befehlsschicht auf die Wirklichkeit zu legen vermag. Die Heldengeschichte der Kybernetik und der mathematischen Kommunikationstheorie könnte dabei eindrucksvoller nicht sein; denn im Jahr 1948 erscheint neben Wieners Buch Cybernetics auch Claude Shannons berühmtes Paper A Mathematical Theory of Communication.21 Beide formulieren zum ersten Mal eine naturwissenschaftliche Theorie der Kommunikation und prägen damit ein Konzept, das uns über die konkreten Problemstellungen ihrer Arbeiten hinaus bis heute beschäftigt. Während Shannon in seiner Arbeit versucht, mit der Kommunikation von Information eine Lösung für das Problem der Nachrichtentechnik zu finden, sucht Wiener mit der Kommunikation von Information eine Lösung für das Problem der Steuerung von Systemen, seien es lebende oder maschinische. Beide, so die Erzählung, sind von Beginn an Konkurrenten darum, wer es als Erstes schafft, eine mathematisch abgesicherte Theorie der Kommunikation vorzulegen.22

Die Problemstellung der Kybernetik lässt sich erschließen, wenn man auf die häufigen Beispiele achtet, die Wiener verwendet. Besonders häufig erläutert er seine Überlegungen am Beispiel der Flugabwehrkanone. Wenig verwunderlich ist dieses Beispiel deshalb, weil Wiener während des Zweiten Weltkriegs für das amerikanische Militär an einem System für eine solche Kanone gearbeitet hatte. Die Idee, auf die er hier stößt, und die ein bezeichnender Begriff für die Kybernetik werden wird, ist das Feedback von Information. Das von Wiener als Beispiel gewählte System der Flugabwehr muss die bisherige Bewegung eines Flugobjekts kennen, um dessen zukünftige Position zu errechnen und das Feuer des Geschützes dementsprechend auszurichten. Dieses System holt sich dafür Feedback von seiner Umgebung. Diese Rückmeldung von der Umwelt, ihre Verarbeitung und das daran angepasste Funktionieren sind die drei Elemente des kybernetischen Schematismus. Durch die Kommunikation von Information entstehen quasi-autonome Steuerungssysteme, die sich selbst regulieren. Wiener und die anderen Teilnehmer der Macy-Konferenzen, die Kybernetiker erster und zweiter Generation, erkennen in diesem Schema dann relativ schnell das revolutionäre, universale Schema, nach dem nicht nur Maschinen, sondern auch Lebewesen funktionieren.23

Die Rolle, die die Kommunikation von Information in diesem Schematismus spielt, lässt sich an Wieners Diskussion des Maxwell’schen Dämonen veranschaulichen. James Clerk Maxwell, der für die Kybernetik eine zentrale Rolle spielte,24 stellte in seinen Überlegungen zur Thermodynamik folgendes Gedankenspiel an: Zwei Behälter, einer wärmer, einer kälter, stehen in Verbindung miteinander. Der wärmere Behälter enthält Teilchen, die schneller und in größerer Unordnung sind, hat also ›mehr‹ Entropie als der kalte, der langsame Teilchen enthält, die in größerer Ordnung sind. Kommen nun beide Behälter miteinander in Kontakt, so die Thermodynamik, wird die Entropie stets vom wärmeren zum kälteren Behälter wandern, bis beide etwa die gleiche Temperatur haben. Es ist auch ohne Kenntnis der Thermodynamik offensichtlich unwahrscheinlich, dass der kältere Behälter seine Temperatur beim Kontakt mit einem warmen Behälter verringert, also kälter wird, und die Temperatur des wärmeren Behälters sich erhöht. Diese Feststellung ist zwar trivial, aber Maxwells Gedankenspiel setzt genau hier an: Stellen wir uns zwei Behälter vor, die die gleiche Temperatur, etwa die Umgebungstemperatur, besitzen. In jedem Behälter wird es schnellere und langsamere Teilchen geben. Beide Behälter sind über eine Tür miteinander verbunden. Der Maxwell’sche Dämon, so die Idee, sitzt zwischen beiden Behältern und öffnet eine Tür, sobald ein schnelles Teilchen sich nähert, und schließt sie, sobald ein langsameres Teilchen sich nähert. Dieser Dämon würde so dafür sorgen, dass sich die schnelleren Teilchen in einem und die langsameren Teilchen in dem anderen Behälter sammeln. Der wärmere Behälter könnte dann in einer Maschine als thermischer Antrieb genutzt werden und man hätte – ohne Aufwand von Energie – eine Art Perpetuum mobile geschaffen.

Wiener erkennt in dem Gedankenspiel von Maxwell nun, vielleicht wenig verwunderlich, ein Kommunikationsproblem; denn der Dämon muss, wie die Flugabwehrkanone, seine Umwelt beobachten und im richtigen Moment die Tür öffnen und schließen. Dafür braucht er zwar nicht zwangsläufig Energie, aber eine andere, entscheidende Sache, nämlich Information:

»Wenn ein Maxwellscher Dämon handeln will, muß er eine Information von den sich nähernden Teilchen erhalten, die ihre Geschwindigkeit und den Aufprallpunkt auf die Wand betrifft. … Der Dämon kann nur auf empfangene Information handeln, und diese Information stellt … eine negative Entropie dar. Die Information muss durch irgendeinen physikalischen Prozeß, sagen wir irgendeine Form von Strahlung, übertragen werden.«25

Das Problem, das Maxwell theoretisch und abstrakt aufwirft, und für das es mit den Begriffen Energie und Materie keine Lösung gibt – und für das Wiener natürlich in den Begriffen Maxwells auch keine Lösung zu bieten hat – zeigt, wie die Kommunikation von Information für Wiener zu einer neuen Realität wird. Wieners Lösung oder Anmerkung zu Maxwells Dämon ist ganz einfach die, dass es neben Materie und Energie eine weitere Realität gibt, die Realität der Kommunikation von Information, die dem Dämon, wie jedem System, sei es nun mechanisch oder biologisch, zur Verfügung stehen muss. Für Wiener ist Information das, was, ein System aufnimmt, verarbeitet und zur Grundlage des weiteren Handelns, Funktionierens und, im Falle des Menschen, Denkens macht. Information sind die zahlreichen Symbole, Koordinaten, Eindrücke und Bilder, die ein System als Rückmeldung aufnimmt, es ist nicht die Materie, die einen Eindruck hinterlässt und es ist auch nicht die Energie, die sich überträgt: Jedes System existiert und funktioniert für Wiener, weil es kommuniziert.

Die Kommunikationshypothese artikuliert sich selten in der Deutlichkeit, in der die Kybernetik sie vortrug und wie sie explizit in der Informationsphilosophie behandelt wird.26 Aber sie ist in fast allen Diskussionen der Gegenwart präsent. Die Kommunikationshypothese bildet in der Regel einen diffusen Horizont, man kann sie eher als Attraktor auffassen, der im Hintergrund wirkt und selten zu sehen ist, obwohl zahlreiche Ideen und Fragen um ihn kreisen und von ihm angezogen werden. Man könnte die Kommunikationshypothese auch als kybernetische Hypothese bezeichnen, denn es ist die Kybernetik (und in der Folge die verschiedenen Spielarten der Systemtheorie und die Kommunikationswissenschaft), die sie in naturwissenschaftlicher Klarheit formuliert und nachhaltig einschreibt. Ich möchte in dieser Arbeit allerdings zeigen, dass wir mit einer solchen Gleichsetzung nicht nur der (real existierenden) Kybernetik zu viel zuschreiben und aus ihr eine vermeintlich unhintergehbare historische Totalität machen, die sie niemals ausfüllte.27 Wir verlieren mit dieser Gleichsetzung auch einen zentralen Korridor der Kritik, die die Kybernetik selbst wieder in einen größeren Kontext stellt. Die Kybernetik ist selbst bereits der Effekt einer grundlegenderen Verschiebung auf dem Feld der Regierungstechniken und Wissensverhältnisse – sie selbst als Ausgangspunkt zu nehmen heißt auch, uns auf dem begrifflichen und epistemologischen Terrain bewegen zu müssen, das die Kybernetik selbst entworfen hat. Es ist für eine Kritik der kybernetischen und in Folge der digitalen politischen Rationalität vielleicht produktiver, sich mit den historischen Bedingungen auseinanderzusetzen, die sie selbst möglich machen. Die Kybernetik und damit auch unsere digitale Gegenwart sind nicht das Ergebnis einer in der menschlichen Vernunft schlummernden Kontrollrevolution,28 sie sind nicht das Ergebnis der Mathematisierung der Welt oder des Verfallsprozesses des Liberalismus, dem die Kybernetik mit einer Steuerungsutopie gegenübertritt.29 Und sie sind auch nicht die aktuelle Form des alten menschlichen Problems der Mustererkennung, das ja selbst erst durch die Kybernetik und die Informationstheorie im 20. Jahrhundert aufkommt.30

Die Kybernetik ist Ausdruck einer positiven, kontingenten, aber auch politischen Rationalität, die auf mindestens zwei historischen Voraussetzungen beruht, die sich im Begriff der Kommunikation zusammenfassen lassen: erstens auf dem Auftauchen einer neuen Regierungstechnik, die ich in dieser Arbeit als Macht der Verbindung oder als konnektive Macht bezeichne; und zweitens auf dem Auftauchen eines politischen Wissens oder einer politischen Rationalität der Kommunikation in Form des Kommunikationsdispositivs, das Kommunikation – im heutigen, von der Kybernetik stammenden Sinne – überhaupt erst zu einer relevanten Kategorie macht. Kommunikation entdeckt in der Zirkulation von Zeichen, im Sprechen und symbolischen Austauschen der Menschen eine Möglichkeit der Regierung von Subjekten. Mit der Entstehung der Kommunikation entstehen Theorie und Praxis einer Regierungsweise, die genau dieses Sprechen und Austauschen als Regierungstechnik und politische Rationalität einsetzt. Was Norbert Wiener und die späteren Kybernetiker einfach als naturwissenschaftliche Kategorien vorzufinden glauben: Kommunikation, Information, Kontrolle – Kategorien also, mit denen sich nicht nur mechanisches, sondern alles biologische und auch menschliche Leben begreifen, steuern und perfektionieren lässt – diese Kategorien müssen selbst als historische Endpunkte der Herausbildung einer Regierungsweise verstanden werden. Die Macht der Verbindung und das Kommunikationsdispositiv sind die beiden historischen Bedingungen, die die Kybernetik als Wissenschaft ermöglichen. Und sie sind auch die Voraussetzungen, die uns Einsicht in die Regierungsform der digitalen Gesellschaft erlauben.

Genealogie und Regierung

Foucault hat den Sinn seiner Arbeiten in – wie er selbst einräumt – etwas pathetischen Worten einmal so beschrieben: »den Menschen zu zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind, und dass man diese so genannte Evidenz kritisieren und zerstören kann.«31 Diese Form der Analyse, die die Entstehung der Dinge kritisch reflektiert, die uns heute als evident erscheinen, nannte Foucault Genealogie – und in diesem Sinne ist auch das Ziel meiner Untersuchung des Regierens in der digitalen Gesellschaft genealogisch. Als Genealogie folgt sie dabei drei Grundideen:32

Erstens verfolgt sie das Interesse, eine gegenwärtig unhinterfragte Annahme als kontingentes historisches Konstrukt zu präsentieren. Das heißt, dass es zunächst darum geht, nachzuverfolgen, woher die Grundannahmen stammen, die in unserer Gegenwart unhinterfragt existieren. Warum, fragt die Genealogie im Anschluss an Nietzsche und Foucault etwa, »erfand sich der Mensch jene Werthurtheile gut und böse?«33 Warum erfand sich der Mensch diese Werturteile, einmal angenommen, dass sie nicht deshalb existieren, weil gut und böse ganz einfach natürliche oder menschliche Vorstellungen sind? Eine Genealogie geht davon aus, dass es historische Erfahrungsherde und Entwicklungspunkte gibt, an denen die Werturteile gut und böse tatsächlich einmal entstanden sind. Ihre Entstehung entbehrt jeder Notwendigkeit, die Genealogie rekonstruiert dementsprechend – in Foucaults Worten – nur »die verschiedenen Unterwerfungssysteme [und] … das zufällige Spiel der Herrschaftsbeziehungen.«34 Wenn der Mensch also nicht notwendigerweise in den Kategorien gut und böse denkt, wann hat er damit angefangen und warum? In gleicher Weise fragt die vorliegende Arbeit: Wenn wir annehmen, dass der Mensch nicht immer schon ›kommuniziert‹ hat, wann und warum erfand er sich die Kommunikation?

Zweitens verfolgt die Untersuchung das Interesse, durch diese Analyse eine Gegenerzählung zu dem zu bieten, was in der Gegenwart als herrschende Erklärung gilt. Die Genealogie misstraut damit grundsätzlich den herrschenden Erzählungen, die versuchen, unsere Gegenwart in eine kontinuierliche historische und unproblematische Entwicklung zu stellen. Wenn etwa – wie in Foucaults Überwachen und Strafen – die herrschende Erzählung lautet, dass die Reformation des Strafsystems im 18. Jahrhundert im Namen des Humanismus und der Milde der Strafen geschah, dann fragt die Genealogie, ob es nicht andere Gründe gab, die das Gefängnis und die Praxis der Einsperrung hervorgebracht haben könnten. Die Genealogie ist damit nicht nur daran interessiert, die Ereignisse, die durch die herrschende Erzählung zu einem sinnvollen Ganzen geordnet sind, wieder als zahllose, miteinander nicht notwendig verbundene Ereignisse hervortreten zu lassen.35 Sie wendet sich mit diesem Vorgehen vor allem ihrer Gegenwart zu und zielt darauf, Dinge, die als unproblematisch und unhinterfragbar galten, mit der Möglichkeit ihrer Kontingenz zu konfrontieren. Das Ziel dieser Arbeit ist es dementsprechend, eine konkrete Gegenerzählung oder »Gegen-Geschichte«36 zu dem zu konstruieren, was wir grade als Kommunikationshypothese bezeichnet haben.

Drittens verfolgt die Untersuchung damit das Interesse, diese Genealogie als Kritik zu betreiben, das heißt sie als Mittel zu verstehen, mit dem sich im besten Falle neue Erkenntnisse und damit auch neue Möglichkeiten des politischen Handelns zutage fördern lassen.37 Das Ziel ist dabei zunächst das Aufwerfen von Fragen, die bereits beantwortet schienen, das Öffnen oder Wiederöffnen von Räumen, die in der gegenwärtigen Diskussion verschlossen wurden. Es geht der Genealogie darum, die bestehenden Narrative und Erklärungen fraglich oder fremd werden zu lassen, sie so zu untersuchen und darzustellen, dass sie selbst erklärungs- oder kritikwürdig werden. Genealogie ist damit ein spezifischer Modus der Kritik, der insbesondere für Gegenstände geeignet ist, die in der Gegenwart als hochgradig unproblematisch und unhinterfragbar gelten. Was die Genealogie leisten kann, ist, diese Gegenstände zunächst wieder als etwas Kontingentes, Hinterfragbares und Kritisierbares begreifbar zu machen. In unserem Fall geht es darum Kommunikation nicht als natürliche oder menschliche Tätigkeit zu begreifen, sondern sie als kontingente historische Praxis zu begreifen, die mit einem spezifischen Problem des Regierens verknüpft ist.

Als Genealogie steht die Untersuchung in der Tradition der Analyse von Macht- und Wissensverhältnissen Foucaults, zu der es mittlerweile eine unüberschaubare sozialwissenschaftliche und theoretische Debatte gibt. Ich möchte hier nicht alle Begrifflichkeiten klären und festlegen, doch aber einige Hinweise über die Analysemittel geben, die ich in der Arbeit verwende. Mit dem Begriff des Regierens schließt meine Arbeit an eine begriffliche Verschiebung in Foucaults späten Arbeiten an, die ungefähr mit den Vorlesungen zur Gouvernementalität in den Jahren 1978/1979 zusammenfällt.38 Mit der Idee der Lenkung, Leitung (conduite) und Regierung entwickelt Foucault ein neues begriffliches Instrumentarium für die Analyse von Machtbeziehungen. Er schreibt dazu 1982 in dem bekannten Aufsatz TheSubject and Power:

»In Wirklichkeit sind Machtbeziehungen definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Handeln einwirkt. Eine handelnde Einwirkung auf Handeln, auf mögliches oder tatsächliches, zukünftiges oder gegenwärtiges Handeln.«39

Bestehen bleibt – trotz dieser Neuorientierung des begrifflichen Instrumentariums in Bezug auf die Machtverhältnisse – die wichtige Einsicht, nach der es keine Machtverhältnisse ohne Wissensverhältnisse gibt.40 Arten und Weisen der Regierung lassen sich demgemäß nur im Zusammenspiel mit bestimmten Formen des politischen Wissens analysieren, weshalb sich die Analyse von Machtbeziehungen auch für den späten Foucault nicht auf Institutionen oder juridischen Verordnungen beschränkt, sondern – wie Matthias Lemke argumentiert hat – auf die Entstehung von konkreten und umfassenden ›politischen Programmen‹, die aus Regierungstechnologien und politischen Rationalitäten bestehen.41 In einem solchen ›Programm‹ sind Regierungstechnologien, also Arten und Weisen der Regierung von Subjekten und politische Rationalitäten, also Einsichten, Wahrheiten, Ideen und Wissen über die Welt und die Subjekte, immer schon miteinander verschränkt. Deshalb bringen Regierungstechnologien immer schon Einsichten und Maßstäbe mit, die die Ausübung einer bestimmten Form von Macht ›rationalisieren‹.42 Und eine politische Rationalität ist immer schon »eine Rationalität der Politik und nicht eine Reflexion über Politik.«43 Wir haben es bei der Analyse von Machtverhältnissen deshalb nie mit reinen Formen zu tun, die sich anhand von allgemeinen und abstrakten Maßstäben bewerten ließen. Machtverhältnisse sind historisch gewachsene und verzahnte Weisen des Regierens und Wissens, in die wir als Analysierende selbst verwickelt sind und die wir durch eine historische Analyse zunächst wieder als Formen der Herrschaft verstehbar machen müssen. Es geht bei meiner Analyse der Regierung der digitalen Gesellschaft deshalb zunächst vor allem um die Rekonstruktion der historischen Herausbildung der Regierungstechnologie der Kommunikation und das politische Wissen, das diese Regierungstechnologie möglich macht.

Ich werde in dieser Arbeit zeigen, dass Kommunikation gegen das, was ich eben Kommunikationshypothese genannt habe, als ein solches politisches Programm verstanden werden kann. Dieses Programm zeichnet sich einerseits durch eine historisch entstandene Regierungstechnologie aus, die in dem Herstellen und Ausnutzen von Verbindungen und der Zirkulation von Zeichen eine Möglichkeit der Regierung von Subjekten entdeckt; andererseits beruht diese Regierungstechnologie auf der Herausbildung der modernen Idee der Kommunikation, die ich als politisches Wissen unter dem Begriff Kommunikationsdispositiv analysieren werde. Wenn ich von Kommunikation als Form oder Weise der Regierung spreche, dann meine ich damit genau das: Das Zusammenkommen einer Technologie und einer Rationalität der Politik, die ein Programm bilden, das in der Verbindung und Kommunikation eine Möglichkeit des Regierens entdeckt und diese Möglichkeit durch die moderne Vorstellung der Kommunikation unmittelbar rationalisiert. Dieses Verständnis von Kommunikation als Herrschaft, das heißt als Art und Weise der Regierung von Subjekten, erlaubt es uns, die Gegenwart, in der ohne Pause von der politischen Bedeutung der Digitalisierung die Rede ist, in eine viel längere und umfassendere Reformatierung der Machtverhältnisse der einzuordnen und schließlich zu kritisieren.

In dieser Arbeit benutze ich die Begriffe Macht, Regierung und Herrschaft größtenteils synonym und nicht in systematischer Weise. Dieser Umstand ist vielleicht zu verschmerzen, weil es mir in der Tradition Foucaults in erster Linie darum geht, überhaupt die historische Entwicklung einer spezifischen Form von Macht nachzuzeichnen.44 Eine weitergehende Analyse könnte die Unterscheidung zwischen Machtverhältnissen, Regierungstechnologien und Herrschaftszuständen aufnehmen, die Foucault selbst erst in späten Aufsätzen und Interviews vorschlug:

»Mir scheint, dass man unterscheiden muss auf der einen Seite zwischen Machtbeziehungen als … Spielen, in denen die einen das Verhalten der anderen zu bestimmen versuchen, worauf die anderen mit dem Versuch antworten, sich darin nicht bestimmen zu lassen oder ihrerseits versuchen, das Verhalten der anderen zu bestimmen, und auf der anderen Seite Herrschaftszuständen, die das sind, was man üblicherweise Macht nennt. Und zwischen beiden, zwischen den Spielen der Macht und den Zuständen der Herrschaft, gibt es die Regierungstechnologien.«45

Eine solche Unterscheidung würde es erlauben, stärker zu differenzieren zwischen den basalen kommunikativen Machtbeziehungen und kommunikativen Herrschaftszuständen, die sich etwa aus der Verknüpfung von kommunikativen Machtbeziehungen mit anderen Formen von Macht ergeben oder durch das systematische Versperren von Widerstandsmöglichkeiten. Wer eine solche Einordnung oder Systematisierung erwartet, wird von der vorliegenden Arbeit zweifellos enttäuscht werden. Eine solche, wahrscheinlich stärker empirische Analyse könnte in dieser Arbeit immerhin eine historisch-theoretische Grundlage finden, da sie mit der Analyse von Regierungstechnologien, wie Foucault selbst sagt, auf der Ebene zwischen den strategischen Machtspielen und den Herrschaftszuständen steht. Die Analyse des Regierens steht für Foucault zwischen dem alltäglichen Erfahren und Praktizieren von kommunikativer Macht und den großen, institutionellen oder kollektiven Formen der kommunikativen Herrschaft in staatlichen, ökonomischen oder sozialen Zusammenhängen. Diese Differenzierung kann die vorliegende Arbeit nicht leisten, und der Titel »Kommunizieren und Herrschen« weist damit weniger auf eine systematische Unterscheidung verschiedener Machtebenen als auf den Versuch hin, Kommunikation generell als ein Problem der Macht oder Herrschaft zu fassen.

Ich muss zu Beginn schließlich noch auf die Vielfalt der Formen des Regierens hinweisen, die in der vorliegenden Arbeit nicht explizit thematisiert, doch aber implizit mitgedacht wird. Foucault schrieb zu Recht, in einer Gesellschaft gäbe es »zahlreiche Formen und Orte des ›Regierens‹ von Menschen durch andere Menschen. Sie überlagern, kreuzen und begrenzen einander, zuweilen heben sie sich gegenseitig auf, und in anderen Fällen verstärken sie sich wechselseitig.«46 Da ich dieser Prämisse uneingeschränkt folge, muss Kommunikation in eine Reihe mit anderen Regierungs- und Machttechniken eingeordnet werden, die in unserer Gegenwart eine Rolle spielen.47 Eine solche Einordnung leistet die Arbeit zwar nicht, aber es ist wichtig und vielleicht auch nicht sonderlich schwierig das vorliegende Argument mit anderen machtkritischen Arbeiten, die zum Beispiel auf die neoliberale Gouvernementalität Bezug nehmen, zusammenzudenken.48 Die hier rekonstruierte Geschichte über Kommunikation als Herrschaft darf schon vor dem Hintergrund dieser Prämisse nicht als Globalgeschichte oder Globaltheorie der Macht verstanden werden. Es ist vielmehr der Versuch, eine meiner Ansicht nach noch zu wenig verstandene Weise des Regierens (unter anderen) genauer zu fassen. Gegen die Idee einer Globalgeschichte der Macht spricht auch die Tatsache, dass die in diesem Buch entwickelte Geschichte nicht nur auf einem bestimmten epistemologisch eingegrenzten Standpunkt beruht, der mich als Autor auf eine bestimmte soziale, politische, geschlechtliche etc. Weise situiert und mein Wissen begrenzt.49 Die berücksichtigte Literatur und die untersuchten historischen Felder sind zudem sehr stark auf die europäische und nordamerikanische Geschichte fokussiert. Eine post- oder dekoloniale Betrachtung etwa müsste die hier entwickelte Erzählung ein Stück weit dezentrieren und anders akzentuieren. Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass der hier begonnene Versuch einer anderen, politischen Geschichte der Kommunikation notwendig ist, und dass er bei allen Unzulänglichkeiten weiteren Arbeiten wichtige Hinweise auf die tieferliegenden Problemschichten liefern kann.

Gliederung des Arguments und der Arbeit

Dieses Programm der Kommunikation als Regierungsweise gilt es in der Arbeit zunächst historisch in zwei Strängen zu entfalten. In Kapitel zwei werde ich zunächst zeigen, dass Kommunikation das Ergebnis einer Verschiebung auf der Ebene der individuellen Machttechniken von der Disziplin zur konnektiven Macht der Verbindung ist. Während die Disziplin den Einzelnen entlang einer Norm formt, die seine Kräfte zugleich steigert und unterwirft, die ihn in alle möglichen Institutionen sperrt, ihn durch Übungen und Prüfungen formt und überwacht, geht es bei der Verbindung um etwas anderes. Es geht darum, den Einzelnen zu beherrschen, und zwar ohne ihn in Institutionen zu sperren, ohne ihn immerzu zu Übungen und Prüfungen zu zwingen und ohne ihn konstant zu normieren. Für die Verbindung geht es im Gegenteil darum, den Einzelnen eigenständig handeln zu lassen. Diese wirkliche subjektive Freiheit (oder Unbestimmtheit) ist an nur eine Bedingung geknüpft, aber eine entscheidende: nämlich an die Bedingung der fortgesetzten Verbindung – diese Verbindung erlaubt es einerseits, unentwegten Zugriff auf den Einzelnen zu nehmen, ihm mitzuteilen was er tun oder lassen muss oder sollte, was er tun könnte und lassen könnte; und andererseits erlaubt die Verbindung eine unheimliche Akkumulation von Wissen über den Einzelnen, all seine Erwägungen und Entscheidungen, seine Bewegungen, Möglichkeiten und Begrenzungen.

Im Gegensatz zur Disziplin handelt es sich bei der Verbindung um eine konnektive Macht. In der Logik der Konnektion muss das subjektive Handeln unentwegt in einer ganzen Reihe von Verbindungen stehen – zu bestimmten Institutionen, Stellen und Positionen, zu wirklichen oder symbolischen Instanzen, oder auch zu anderen Subjekten – in diesem komplizierten Raster von Zusammenhängen geht es darum, Verfügbarkeit herzustellen und auf den eigenständig handelnden Einzelnen immerzu einwirken zu können. Die Verbindung hat es nicht nötig den Einzelnen in Institutionen zu sperren und ihm Prüfungen und Übungen abzuverlangen; alles was sie benötigt, ist die unscheinbare, aber permanente Möglichkeit des Zugriffs. Diese konnektive Machttechnik entwickelt sich im 19. Jahrhundert im Militär und damit in genau der Institution, die noch im 18. Jahrhundert die disziplinarische Institution schlechthin ist. Im Laufe des 19. Jahrhunderts aber wandeln sich die Kriegstheorie und die militärische Praxis – auch mit den ersten Kommunikationstechniken, die im Militär Anwendung finden – zum wichtigsten Labor der Regierungstechnik der Verbindung. Dieser neuen Technik der Verbindung korrespondiert eine neue gouvernementale Problematik, die es in der disziplinarischen Ordnung nicht gegeben hatte: die Regierung von ›freien‹ Subjekten durch Kommunikation.

In Kapitel drei soll das politische Wissen, das dieser Verschiebung korrespondiert, rekonstruiert werden. Aus Sicht der Informations- und Kommunikationstheorie, die sich spätestens ab der Mitte des 20. Jahrhunderts als Diskurs etablierte, machten sich die Menschen viele hundert Jahre falsche oder zumindest unvollständige Vorstellungen. Sie waren der Ansicht sie würden die Dinge selbst aussprechen, im besten Falle waren sie sich bewusst, dass sie Worte oder Laute benutzten, die für Ideen, Sympathien etc. standen. Erst mit der Kommunikation stellt sich endlich die jeder möglichen Nachricht zugrundeliegende Gemeinsamkeit heraus: Nicht nur ihre Sympathien und Ideen tauschen die Menschen aus, nicht nur die Worte, mit denen sie ihre Ideen und Sympathien beschreiben. Sie tauschen Informationen aus. Jeder Liebesbrief enthält fortan nicht nur eine expressive Seite (der sprachliche Ausdruck eines Gefühls, die ausschweifende Wortwahl eines Verliebten etc.), er enthält auch Information, nämlich zumindest die, dass eine bestimmte Gefühlslage beim Absender vorhanden ist. Information ist die Operationsebene der Sprache. Als Zirkulation körperloser Waren ist der menschliche Austausch damit auch auf eine politische Weise nutzbar geworden.

Die konnektive Macht der Verbindung beruht demnach auf etwas, das ich als Kommunikationsdispositiv bezeichnen möchte. Dieses Dispositiv vereinigt historisch gesehen mindestens drei zentrale Dinge: einmal die materielle Basis der Telekommunikation in Form der Etablierung handfester Verbindungslinien im ganzen Gesellschaftskörper; zweitens die Entdeckung der Information und mit ihr die Instanziierung der modernen ›Zirkulationstheorie‹ der Kommunikation, bei der der Austausch zwischen den Menschen ungefähr die Form erhält, die die politische Ökonomie Anfang des 19. Jahrhunderts für die Warenzirkulation einführt. An die Stelle von archaischen und mystischen Vorstellungen des menschlichen Austauschs tritt ungefähr in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Vorstellung, dass Menschen Nachrichten austauschen, wie sie Waren austauschen: dass diese Nachrichten auf verschiedenen Transportwegen zirkulieren können, dass sie bestimmte Effekte hervorrufen können etc. Diese Zirkulationstheorie entwickelt sich mit der ersten wirklich revolutionären Telekommunikationstechnik: dem Telegrafen. Mit der Praxis der Telegrafie wird die Nachricht unmittelbar zu etwas, das an sich keinen Körper mehr besitzt. In diesem Moment ereignet sich, wie die Kommunikationsgeschichte zeigte, die historische Teilung von ›richtiger‹ Kommunikation und Transport. Sie ereignet sich aber auf eine solche Weise, dass sie unmittelbar universalisiert wird und fortan die gesamte menschliche Kommunikation als Zirkulation körperloser Waren erscheint. Menschlicher Austausch kann fortan im strengen Sinne nichts anderes sein als der Austausch von Information. Und drittens beinhaltet das Dispositiv die politische Technologie der freien Rede, die ich als Erhebung der Kommunikation zu einer politischen Potenz nachzeichnen werde. Mit diesen drei Elementen erhält die konnektive Macht ein eigenes Wissen, das ihre Ausübung rationalisiert.