Königslyrik - Alfred Tennyson - E-Book

Königslyrik E-Book

Alfred Tennyson

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Beschreibung

Alfred Tennyson war ein britischer Dichter des Viktorianischen Zeitalters. Die meisten seiner epischen Werke basieren auf der englischen Sagenwelt. In diesem Sammelband sind enthalten: Enoch Arden Enid. Viviana. Elaine. Ginevra.

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Königslyrik

Alfred Tennyson

Inhalt:

Alfred Lord Tennyson – Biografie und Bibliografie

Enoch Arden

Enid.

Viviana.

Elaine.

Ginevra.

Königslyrik, A. Tennyson

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849637422

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Alfred Lord Tennyson – Biografie und Bibliografie

Engl. Dichter, geb. 6. Aug. 1809 zu Somerby in Lincolnshire als vierter Sohn eines Geistlichen, gest. 6. Okt. 1892 in Aldworth, studierte in Cambridge und gab bereits 1827 anonym mit seinem Bruder Charles die »Poems by two brothers«, dann 1830 die Sammlung »Poems, chiefly lyrical« und 1833 einen zweiten Band Gedichte heraus, die aber alle wenig Beifall fanden. Erst mit den zwei Bänden »Poems« (1842), die zum Teil Überarbeitungen früherer Poesien, zum Teil Neues enthielten, hatte T. Erfolg, darunter besonders mit »Morte d'Arthur«, »Godiva« (deutsch von Feldmann, 2. Aufl., Hamb. 1872), »The May Queen«, »The gardener's daughter«, »Locksley Hall« (deutsch von Freiligrath). Schon hier ergreift T. durch die Tiefe der Gedanken, besticht er durch die Feinheit der Form. Auch erweist er sich durch die innere Auffassung wie durch die äußere Gestaltung als durchaus nationaler Dichter. Tennysons nächstes Werk: »The princess, a medley« (1847), das reizende lyrische Bestandteile hat, ist halb realistisch, halb phantastisch gehalten. 1850 gab er wohl sein bedeutendstes Gedicht, die Totenklage: »In memoriam« (deutsch von Waldmüller, 5. Aufl., Dresd. 1896; von Feis, Straßb. 1898), heraus, das, dem Andenken an einen verstorbenen Freund (Arthur Hallam, den Sohn des Historikers) gewidmet, das Seelenleben des Dichters entfaltet. Stürmischen Beifall erweckte der inzwischen (1850) zum Poet laureate ernannte Dichter mit der gewaltigen Gelegenheitsdichtung »Charge of the light brigade« (Dezember 1854) dank ihrer patriotischen Begeisterung und vollendeten Kunst. Es folgte die berühmte Liebesdichtung »Maud« (1855; deutsch von F. W. Weber, 3. Aufl., Paderb. 1900). Mit den »Idylls of the king« (1859; deutsch von Feldmann, 3. Aufl., Dresd. 1896), einem auf den sagenhaften Britenkönig Artur bezüglichen Romanzenzyklus, schuf T. sein Hauptwerk. Es fand mehrfache Ergänzungen durch die Bände: »The Holy Grail« (1869), »Gareth and Lynette« und »The last tournament« (1872), »Balin and Balan« (1885). Als Ganzes eine tiefsinnige Allegorie vom Kampf der Seele mit den Sinnen zeichnet sich diese vornehme Dichtung durch eine Fülle von Einzelschönheiten aus. Zwischen das Erscheinen der Artur-Idyllen fällt die ergreifende Schifferdichtung »Enoch Arden« (1864; deutsch von Strodtmann, s. unten, von Feldmann, Eichholz, F. W. Weber, R. Waldmüller, 40. Aufl., Dresd. 1897, u. a.). Später versuchte er sich mit wechselndem Erfolg im Drama mit »Queen Mary« (1875) und »Harold« (1876; deutsch vom Grafen Wickenburg, Hamb. 1880), »The Falcon« (1879), »The Cup« (1881), »The promise of May« (1882) und »Becket« (1884). Weitere Veröffentlichungen Tennysons sind: »The lover's tale« (1879), »Ballads, and other poems« (1880), »Tiresias« (1885), »Locksley Hall, sixty years after« (1886; deutsch von Esmarch, Gotha 1888; von Feis, Hamb. 1888) und »Demeter, and other poems« (1889), darunter das berühmte »Crossing the bar«. Tennysons poetische Begabung ist vorwiegend lyrisch; das epische Feld erkämpft er sich, wenn auch erfolgreich; im Drama versagt er. In seiner Lyrik glänzt er vor allem als vollendeter Formkünstler, erwärmt aber auch durch die Innigkeit, sei es der stimmungsvollen Landschafts- oder Seelenschilderung. Er erreicht diese Stimmungskraft in eng nationaler Beschränkung. Er ist nur Engländer, als solcher aber echt und groß. 1884 wurde er zum Peer ernannt. Die letzte Gesamtausgabe: »The works of Alfred Lord T., Poet Laureate«, erschien 1897 in 12 Bänden; »Dramatic works« zuletzt 1898 in 5 Bänden. Ausgewählte Dichtungen von T. in deutscher Übersetzung gaben Freiligrath (in den »Englischen Gedichten aus neuerer Zeit«, Stuttg. 1846), Hertzberg (Dessau 1854) und Strodtmann (Hildburgh. 1867; dann in Meyers Volksbüchern) heraus. Letztere Ausgabe enthält auch das Gedicht »Enoch Arden«. Biographische und kritische Schriften über T. veröffentlichten Van Dyke (1890 u. ö.), Napier (1892), Walters (1893), Gwynn (1899), Brooke (1900), Sneath (1900), A. Lang (1901), Waugh (1902), Lyall (1902), der Franzose Ragey (Par. u. Lyon 1899) u. a. Die grundlegende und vielfach abschließende Biographie ist: »Alfred Lord T. A memoir by his son« (1897, 2 Bde.; neue Ausg. in 1 Bd. 1905). Von deutschen Werken sind zu nennen: Köppel, Lord T. (Berl. 1899); Th. A. Fischer, Leben und Werke A. Lord Tennysons (Gotha 1898) und Tennysonstudien (Leipz. 1904); Dyboski, Tennysons Sprache und Stil (Wien 1907). Vgl. Luce, Handbook to the works of Alfred Lord T. (Lond. 1895); Rawnsley, Memories of the Tennysons (das. 1900).

Enoch Arden

Da, wo der Klippen lange Reihen barsten, Blieb eine Kluft zurück, und in der Kluft Sind Schaum und gelber Sand, jenseits sodann Viel rote Dächer um ein schmales Werft Gedrängt, dann ein verwittert Gotteshaus, Und höher auf steigt eine lange Straße Zur einen hochgelegnen Mühle hin, Und himmelan dahinter eine Düne, grau, Mit Hünengräbern, und ein Haselbusch, Im Herbst von Nüssesammlern abgesucht, In einem Kesselgrund der Düne blüht.

An diesem Strand vor hundert Jahren einst Drei Kinder dreier Häuser – Annie Lee, Das nettste kleine Mädchen in dem Ort, Und Philipp Ray, des Müllers einziger Sohn, Und Enoch Arden, rauhen Seemanns Kind, Verwaist durch Winter-Schiffbruch – spielten Dort mitten in dem Wust und Strandgerümpel, Gerolltem Tauwerk, schwarzen Fischernetzen, Mit Rost bedeckten Ankern, Booten, die Ans Land gezogen waren, und erbauten Da ihre Schlösser sich von losem Sand, Um deren Ueberflutung zu betrachten, Verfolgten oder floh'n die weiße Welle Und hinterließen täglich neu im Sand Die täglich weggespülte Fußspur wieder.

In einer engen Höhle unterm Fels Der Klippe spielten Haushalt oft die Kinder. Enoch war Hausherr heute, Philipp morgen, Doch Annie Hausfrau stets; zuweilen nur Wollt' Enoch herrschen eine Woche lang: "Das ist mein Haus und das mein kleines Weib." "Mein's auch" sprach Philipp, einer nach dem andern. Wenn dann im Streit der stärk're Enoch siegte, Dann pflegte Philipp, dessen blaues Aug' Mit Thränen ganz hilfloser Wut sich füllte, Zu schrei'n "Enoch ich hasse dich," und dann Pflegt' mitzuweinen auch die kleine Frau Und bat sie, nicht zu streiten ihretwegen, Sie wollte gern ja beider kleine Frau sein.

Doch als der ros'gen Kindheit Morgen schwand, Des Lebens Sonne stieg, mit höh'rer Glut Die beiden traf, entbrannte beider Herz Für jene Eine nur, und Enoch sprach Sein Lieben aus, doch Philipp liebte still, Und güt'ger gegen Philipp schien das Mädchen Als gegen ihn, allein sie liebte Enoch, Zwar unbewußt, und würd's geleugnet haben, Hätt' einer sie gefragt. Doch immermehr Ins Auge faßte Enoch seinen Vorsatz, Zu sparen Alles bis aufs Aeußerste, Um selbst ein Boot zu kaufen und ein Heim Für Annie zu bereiten; und es glückt' Soweit ihm, daß zuletzt auf Meilen hin An diesem meergepeitschten Strand so kühn, Begünstigt so vom Glück, so sorgsam in Gefahr, als Enoch war, kein Fischer lebt'. Auch hatt' auf einem Kauffahrteischiff er Ein Jahr gedient und war nun Vollmatrose; Und dreimal hatt' er schon ein Menschenleben Des aufgeregten Meer's Bereich entrissen. Ein jeder war ihm wohlgesinnt. Und eh' Er einundzwanzig Lenze noch erreicht, Kauft' er sich selbst ein Boot und baut' ein Heim Für Annie, nett und traut, in halber Höh' Der engen Straße, die zur Mühle führt'.

An einem schönen Herbstesabend war's, Da zog das junge Volk, ein Fest sich machend, Mit Taschen, Säck' und Körben groß und klein, Zum Nüssesuchen in den Haselbusch. Philipp, des Vater krank lag und ihn brauchte, Blieb eine Stunde noch zurück; jedoch Als er die Höh' erklomm, just wo zur Höhle Sich des Gebüsches steiler Rand hinsenkt, Sah er das Paar, Enoch und Annie, sitzen Einmütig Hand in Hand, entflammet ganz Sein großes graues Aug' und wetterbraun Gesicht von einem stillen, heil'gen Feuer, Wie's auf dem Altar brennt. Und Philipp sah, Und las in ihrem Antlitz sein Geschick; Als eines dann sich an das andre schmiegte, Seufzt' er und schlich davon, sein wundes Herz Zu bergen drunten in des Waldes Tiefe. Daselbst verbracht' er still, indes die andern Sich laut ergötzten, eine trübe Stunde, Dann stand er auf und ging, im Herzen tragend Sein Leben lang der Sehnsucht ew'ges Weh.

Es wurden jene nun vermählt, und froh Erklang der Hochzeitsglocken Spiel, und froh Entfloh'n die Jahre, sieben voller Glück, Und alle in Gesundheit, Wohlergeh'n; In gegenseit'ger Liebe und voll Arbeit, Die aller Ehren wert, mit Kindersegen, Zuerst ein Töchterchen. In ihm erwacht' Bei seines ersten Kindes erstem Schrei Der edle Wunsch, so viel ihm möglich wär' Von dem Erwerb zu sparen für sein Kind Und eine bessere Erziehung ihm Als er und sie gehabt zu geben einst; Ein Wunsch, der neu erwacht', als zwei Jahr' drauf Ein Knabe kam und ihrer Einsamkeit Als ros'ger Abgott blieb, wenn Enoch fern Auf wilder See war oder oft auch reiste Landeinwärts; denn es waren Enochs Schimmel Und Enochs Meeresbeut' im Weidenkorb Voll Seegeruch und auch sein derb Gesicht, Von tausend Winterstürmen tief gebräunt, Am Marktkreuz wahrlich nicht allein bekannt, Auch in dem Laubengang jenseits der Düne, Bis hin zum Löwen, der das Thor bewacht, Und zu dem Pfauentaxusbaum am Schloß, Für dessen Freitagsspeise Enoch sorgte.

Dann ändert' sich's, wie alles ird'sche thut. Zehn Meilen nordwärts von der engen Bucht Erschloß ein größrer Hafen sich; dorthin Ging Enoch oft zu Wasser oder Land; Als einst er einen Mastbaum dort im Hafen Erklomm, glitt er falschgreifend aus und fiel. Als man ihn aufhob, war ein Bein gebrochen; Und während er hier krank darniederlag, Gebar sein Weib ihm einen zweiten Sohn, Ein kränklich Kind; und eines Fremden Macht Schlich unheilvoll sich ein in sein Geschäft, Das Brot der Gattin und den Kindern raubend. Und ihn, der doch streng gottesfürchtig war, Befiel, wie er so dalag thatenlos, Nun Traurigkeit und Zweifel; und ihm wars, Als säh' er, wie beim Alpdruck in der Nacht, Ein immer kümmerlicher Leben führen Die Kleinen kärglich von der Hand zum Mund, Als Bettlerin sein Lieb; da betet' er: "Bewahre sie davor, wie's mir auch geh'." Und während er so flehte, kam der Herr Des Schiffs, dem Enoch hatt' gedient, zu ihm, Von dessen Unglücksfalle er gehört, Und den er kannt' und schätzt', erzählend ihm, Nach China sei sein Schiff bestimmt zu gehn, Doch brauch' er einen Oberbootsmann noch. Woll' er dies sein? Doch könnte manche Woche Vergehen noch, eh' es den Ort verließ' Und segele. Woll' Enoch diese Stelle? Und Enoch war sogleich dazu gestimmt, Sich freuend der Erfüllung des Gebets.

So schien der Schatten seines Unglücks jetzt Nicht tiefer, als wenn eine kleine Wolke Der Sonne helle Feuerbahn durchkreuzt, Gleich einem Inselchen am Himmelsmeer. Was aber sollt' aus Weib und Kindern werden, Wenn er gegangen war? Drum dachte Enoch Erwägend lange seinen Plänen nach. Sein Boot verkaufen? – ach! er liebt' es so – Wie manchen Seesturm hat er drinn erlebt! Er kannt' es, wie ein Reiter kennt sein Roß – Und doch verkaufen jetzt! – Von dem Erlöse Gerät' und Waren kaufen – ein Geschäft Mit allem, was der Seemann und sein Weib Bedarf, für Annie einzurichten hier – So könnte sie, so lang er ferne wär', Den Hausstand wohl erhalten vom Geschäft. Könnt' er nicht handeln selbst im fremden Land? Die Reise mehrmals machen, zwei-, auch dreimal – So oft als nöthig –, reich zurückgekehrt Besitzer eines größern Boots dann werden, Mit größerm Vorteil leichter sich ernähren, Die lieben Kleinen alle wohlerzogen, Im Kreis der Seinen ruhig leben dann?

So setzte Enoch alles fest bei sich. Dann kehrt' er heim, wo Annie bleich er fand, Das kranke Kind, ihr jüngst gebornes, stillend. Entgegen sprang sie ihm mit frohem Schrei Und legt' das schwache Kind in seinen Arm Und Enoch faßt's, befühlte seine Glieder, Schätzt' sein Gewicht und streichelt's väterlich, Hatt' aber nicht das Herz, zu offenbaren Vorm nächsten Morgen Annie seinen Plan.

Zum ersten Mal seit Enochs Ring sie trug Am Finger, stritt sie gegen seinen Wunsch, Doch nicht mit zänkisch-lautem Widerspruch, Mit vielen Bitten nur und mancher Thräne, Mit manch betrübtem Kuß ging Tag und Nacht (Des Unheils sicher, das ihr draus entspräng') Von neuem sie ihn an, nicht fortzugehn, Wenn er sein Weib und seine Kinder liebt'. Er aber ließ – nicht sorgend für sich selbst, Für sie, für sie und ihre Kinder nur – Ihr Klagen ungehört; so grausam hielt Er seinen Willen fest und setzt' ihn durch.

Von seinem lieben Boot trennt' Enoch sich, Er kaufte Annie Waren und Gerät' Und ging daran, ihr kleines Vorderzimmer Mit Wandregalen und mit Eckgestellen Für all den Warenvorrat einzurichten. So schallt' und dröhnten nun den ganzen Tag Bis zu dem letzten Enoch's in der Heimat, Erbeben machend ihre kleine Hütte, Der Schlag des Hammers und der Axt, der Lärm Des Bohrers und der Säge Kreischen laut, Bis Alles fertig war, indessen Annie Entstehn zu hören wähnt' ein Blutgerüst, Auf dem sie selbst den Tod erleiden sollt', Und bis sein Arm, im engen Raum mit Sorgen Geordnet habend alles, fast so fein Und knapp wie die Natur zusammensetzt Der Blüte und der jungen Pflanze Bau, Nun inne hielt, und er, dem bis zuletzt Für Annie wirken stets Bedürfniß war, Ermüdet stieg ins Schlafgemach hinauf Und fest bis in den hellen Morgen schlief.

Und Enoch sah dem Abschiedsmorgen klar Und kühn entgegen. Alle Furchtgedanken, Die Annie hegte, hätte er verlacht, Wär'ns eben nicht die ihrigen gewesen. Doch als ein braver, gottesfürcht'ger Mann Beugt' er sein Knie und fleht' in jener Stimmung, Wo Gott und Mensch geheimnißvoll sind eins, Um Segen für sein Weib und seine Kinder, Was über ihn auch komm'; und sprach sodann: "Die Reise, Annie, wird mit Gottes Hülfe Noch für uns alle schöne Tage bringen. Halt rein den Heerd und hell das Feuer mir, Denn eh' du's denkst, werd ich zurücke sein." Dann leis des Säuglings Wiege schaukelnd: "Er, Der niedliche, der zarte, schwache Kleine, – Ja – denn ich lieb' ihn drum nur desto mehr – Gott segn' ihn, soll mir auf den Knieen sitzen, Ich will erzählen ihm von fremdem Land, Ihn fröhlich machen, wenn ich wiederkehre. Komm', Annie, komm', sei heiter eh' ich geh'."

So hörte sie ihn reden hoffnungsvoll, Und hoffte selbst beinah'; doch wenn er nun Der Rede Strom auf ernstre Dinge lenkte, In Seemanns derber Weise predigt' ihr Von Vorsicht, Gottvertraun, so hörte sie Und hört' auch nicht; dem Bauermädchen gleich, Das seinen Krug am Brunnen unterstellt, An ihn nur denkend, der ihr sonst ihn füllt', Und hört und nicht hört, wie er überfließt. Und endlich sprach sie: "Enoch, du bist klug, Und doch, trotz deiner Klugheit weiß ich wohl, Daß ich dein Antlitz nie mehr wiederseh'."

"Nun dann," sprach Enoch, "werd' in deins ich sehn. Es fährt das Schiff, mit dem ich segle, Annie, Vorüber hier (er nannt den Tag), dann nimm Ein Fernglas dir, erspähe mein Gesicht Und lache über deine Furchtsamkeit."

Doch als der letzte Augenblick erschien: "Sei munter liebes Kind, und tröste dich, Sorg' für die Kinder, und bis heim ich kehre Halt alles wohl im Stand; denn ich muß fort. Und fürcht' nicht mehr für mich, doch wenn du fürchtest, Wirf deine Sorg' auf Gott, der Anker hält. Ist Gott nicht auch im fernsten Winkel dort Des Morgenlands? wenn dahin ich entfliehe, Kann ich entgehen ihm? das Meer ist sein, Ist sein, er schuf es."

Dann erhob sich Enoch, Schlang seinen Arm um sein hinsinkend Weib Und küßte die erstaunten Kleinen heiß. Doch als ihm Annie nun das dritte Kind, Das kranke, wollte reichen, das jetzt schlief, Nachdem im Fieber es die Nacht durchwacht, Sprach Enoch: "Weck ihn nicht, laß schlafen ihn; Wie könnte auch das Kind sich dran erinnern?" Und küßt's im Bettchen. Annie aber schnitt Von ihres Kindes Stirn ein Löckchen ab Und gab's ihm: dies bewahrt' er alle Zeit. Doch nun ergriff er schnell sein Bündel, winkt' Noch einen Abschiedsgruß und ging davon.

Und als der Tag, den Enoch nannte, kam, Ging sie und lieh ein Glas, doch ganz umsonst; Vielleicht, daß sie nicht wußte für ihr Auge Das Fernrohr passend einzustell'n, vielleicht Daß trüb' ihr Auge, zitternd ihre Hand; Sie sah ihn nicht; und während er am Deck Dort stand und winkte, fuhr das Schiff vorüber.

So sah sie nach dem Schiff, dem schwindenden, Bis es zum letzten Mal, vom Meer gehoben, Hinuntertaucht'. Dann ging sie weinend fort. Und nun, obgleich sein Fernsein sie betrauert Als wär's sein Grab, bemühte sie sich doch So viel als möglich, ihren ernsten Willen Dem seinen anzupassen. Ihr Geschäft Jedoch, das kam nicht vorwärts, weil sie nicht Zum Handeln war erzogen, auch den Fehler Durch Schlauheit nicht ersetzte, und der Lüge Nicht fähig war, noch fordert' allzuviel Um weniger zu nehmen dann, und stets Sich ahnend fragt': "Was würde Enoch sagen?" Auch mehr als einmal hatt' die Waren sie Zur Zeit der Not und Drangsal hingegeben Für wen'ger als beim Einkauf sie gezahlt: So kam in's Stocken ihre Zahlung auch, Wie sie mit schwerem Herzen sah, und nun, Der Nachricht harrend, die doch nimmer kam, Erwarb sie kärglich nur den Unterhalt Und führt' ein Leben stiller Traurigkeit.

Jetzt wurde kränker noch das dritte Kind, Das kränklich von Geburt, obgleich sie selbst Mit all der Sorgfalt einer Mutter sich Darum bemüht'; doch dessen ungeachtet, – Sei's nun, daß ihr Geschäft sie abrief oft, Sei's durch den Mangel dessen, was es braucht', Des Geldes auch, des Arztes Rat zu lohnen, Der ihm am besten Hilfe bringen konnt? – Auf welche Art es auch geschah, nach kurzem – Eh' sie es merkt' – entfloh, so überrascht, Wie oft entwischt der eingesperrte Vogel, Die kleine unschuldvolle Seele ihr.

In jener Woche nun, als sie das Kind Begrub, schlug Philipps treues Herz, besorgt Um ihren Frieden, weil so lange er (Seit Enoch fort war, hatt' er nicht gefragt Nach ihr) sich fern gehalten hatte schon.

"Jetzt möcht' ich, dachte Philipp, sie besuchen, Ein kleiner Trost ihr sein;" so ging er denn, Durchschritt das öde Vorderzimmer, blieb Ein Weilchen stehen vor der innern Thür, Dann klopft' er dreimal an und trat, als keiner Ihm aufmacht', ein; doch Annie saß voll Gram, Den frisch ihr angefacht des Kindes Grab, Und wollte keines Menschen Antlitz seh'n; Ihr eig'nes aber kehrt' der Wand sie zu Und weint'. Da stammelt' Philipp, vor sie tretend "Um eine Gunst wollt', Annie, ich dich bitten."

In ihrem Schmerze schluchzt' die Antwort sie, Ihn halb beschämend. "Gunst! von einer, die So traurig und verlassen ist, wie ich!" Doch er, in dessen Innern Zartgefühl Und Schüchternheit noch mit einander stritten, Setzt' ihr zur Seite ungebeten sich Und sprach: "Ich wollte davon mit dir reden, "Was Enochs, deines Gatten, Wunsch gewesen. "Ich hab' ja stets gesagt, daß du von uns "Den besten dir erwählt – n'en starken Mann; "Denn worauf sich sein Herz gerichtet hatt', "Da legt auch Hand er an, es zu erreichen "Und führte durch, was er sich vorgenommen. "Und weshalb unternahm er diese Reise "Und ließ allein dich? nicht, zu seh'n die Welt – "Nicht zum Vergnügen? – nein, der Grund ist der: "Den Kindern eine bessere Erziehung "Zu schaffen einst, als er gehabt und du: "Das war sein Wunsch. Wenn er nun wiederkommt, "Wird's ihn betrüben, findet er, daß all "Die kostbar'n Morgenstunden wär'n verloren. "Und selbst in's Grab hinein würd' es ihn kränken, "Wenn seine Kinder er, den Füllen gleich, "Auf öder Steppe wild sich tummeln wüßt'. "Drum, Annie, bltt' ich jetzt – da wir uns doch "Von Jugend auf gekannt – bei deiner Liebe, "Die du zu ihm und seinen Kindern hegst, "Nicht nein zu sagen mir – denn, wenn du willst, "Soll Enoch alles mir zurückerstatten, "Wenn heim er kehrt – wenn, Annie, du es willst – "Denn ich bin reich und wohl gestellt. Laß jetzt "Zur Schule mich die beiden Kinder schicken: "Das ist die Gunst um die ich bitten wollt'."

Die Stirne nach der Wand gekehrt, sprach sie: "Ich kann dir nicht ins Antlitz seh'n, ich scheine "So thöricht und so tief gedrückt. Als du "Hereinkamst, drückte mich der Kummer nieder, "Nun mein' ich, daß mich deine Güte drückt; "Doch Enoch lebt, das kündet mir mein Herz; "Er wird's dir wiedergeben; denn es kann "Wohl Geld zurückgegeben werden, doch "Nicht deine Güte auch." Und Philipp fragt': "So darf ich's thun?" Da drehte sie sich um, Stand auf und richtete ihr feuchtes Aug' Auf ihn und ließ es einen Augenblick Auf seinem milden Antlitz ruhn. Sodann, Erflehend Segen auf sein Haupt, ergriff Sie seine Hand, preßt' leidenschaftlich sie Und ging hinaus in ihren kleinen Garten. Gehobnen Mutes nun ging er hinweg,

Dann schickt' zur Schule Philipp beide Kinder, Kauft' auch die Bücher ihnen, die sie brauchten, Und war besorgt um sie in jeder Weise, Wie einer, der's für seine eignen thut; Und ob er gleich um Annies willen oft, Des Dorfs Geschwätze fürchtend, seinem Herren Den liebsten Wunsch versagt' und ihre Schwelle Nur selten überschritt, sandt' Gaben er Durch ihre Kinder doch, wie Kräuter, Früchte, Die erst' und letzten Rosen von dem Zaun, Kaninchen von der Düne, auch zuweilen, – Des Mehles Feinheit ihr als Vorwand rühmend, Das Peinliche der Wohlthat zu umgehen, – Das feinste Mehl von seiner Mühle droben, Die auf der öden Felsenhöhe klappert'.

Doch Annie's Herz konnt' Philipp nicht ergründen: Nur selten, wenn er kam, vermochte sie, Mit unbegrenzter Dankbarkeit erfüllt Ihr Herz, ein karges Wort des Danks zu finden. Doch ihren Kindern war er eins und alles; Vom fernsten Straßenende eilten sie Herbei, sein herzlich Grüßen zu erwidern; Des Hauses und der Mühle Herr war'n sie; Mit winz'gen Leiden und geringen Freuden Bestürmten sein geduldig Ohr sie, hingen An ihn sich, tändelten mit ihm und nannten Ihn Vater Philipp. Er gewann soviel Als Enoch einbüßt'; denn der schien für sie So haltlos wie ein Nebelbild, ein Traum, So blaß wie eine Lichtgestalt; die man Am frühen Morgengrauen gehen sieht Im fernen Ende einer Baumallee, Und doch nicht weiß wohin. Und so vergingen, Seit Enoch Herd und Vaterland verlassen, Zehn Jahr', und keine Nachricht kam von ihm. An einem Abend wollten Annies Kinder Mit andern Nüsse sammeln gehn in's Holz, Und Annie wollte mit; da baten sie Für Vater Philipp auch (wie sie ihn nannten): Der Biene gleich, die schafft im Blütenstaube, So fanden sie mit Mehl ihn weiß bestäubt In seiner Mühl'; doch als sie baten nun: "Komm mit uns, Vater Philipp," schlug er's ab; Als sie ihn aber zogen, mitzugehn, Lacht' er und gab bereit dem Wunsche nach; Denn war nicht Annie mit? so gingen sie.

Als sie die Düne mühsam halb erklommen, Just wo die steile Seite des Gebüsches Zur Höhle sich hinabzuziehn begann, Verließ all ihre Kraft sie, und sie sprach Mit Seufzen: "Laßt mich ruhn," und Philipp ruhte Wohl einverstanden neben ihr; indes Die Jüngern all mit Jubelrufen sich Von ihren Eltern trennten und sich lärmend Durch das schon weißgefärbte Hasellaub Hinunterstürzten in das Thal, sich dort Zerstreuten und die Zweige niederbogen, Die schwanken, widerstrebenden auch brachen, Um die gebräunten Büschel abzureißen, Und schrien, sich einander zu und riefen Bald hier, bald da im Walde laut umher.

Doch Philipp, wenn auch ihr zur Seite sitzend, Vergaß ganz ihre Gegenwart und dachte An eine trübe Stunde hier im Wald, Als er wie ein verwundet Thier sich barg Im Schatten; doch sodann sein biedres Haupt Erhebend sprach er: "Höre, Annie, hör "Wie fröhlich sie dort unten sind im Wald." – "Bist müde Annie?" denn sie sprach kein Wort. "Bist müde?" doch das Haupt war ihr gesunken Auf ihre Hand; drauf sprach er wie im Zorn: "Gescheitert ist das Schiff, gescheitert ist's! "Nichts mehr davon. Warum sollst selber Du "Dich töten und sie ganz zu Waisen machen?" "Nicht daran dacht' ich", sagte Annie, "doch – "Weiß nicht warum – es lassen ihre Stimmen "So schrecklich meine Einsamkeit mich fühlen."

Drauf etwas näher rückend Philipp sprach: "Es liegt mir, Annie, etwas auf dem Herzen "Und lag mir lange auf dem Herzen schon, "Das endlich, wenn ich auch nicht weiß, seit wann "Hinein es kam, heraus will, wie ich weiß. "Es ist, o Annie, völlig hoffnungslos, "Ist gegen alle Möglichkeit, daß er, "Der vor zehn Jahren dich verließ, noch sollt' "Am Leben sein; dann also – laß michs sagen "Es schmerzt mich, arm und hilfsbedürftig dich "Zu sehn; doch kann ich dir nach Wunsch nicht helfen, "Wenn nicht – man sagt, es fassen Frauen schnell – "Vielleicht weißt du, was ich dir sagen wollt' – "Ich wünsche dich zum Weib. Ich würde gern "Als Vater deinen Kindern mich erweisen; "Sie lieben, glaub' ich, mich; ich bin mir sicher, "Daß ich sie lieb', als wärens meine eignen, "Und glaube, wärest du mein eh'lich Weib, "Daß wir nach all den Jahren voller Qual "Noch könnten just so glücklich sein, als Gott "Es einem seiner Lieben nur vergönnt. "Bedenk' es: denn ich bin vermögend, habe "Verwandte nicht, nicht Sorgen, keine Last, "Die Sorg' allein um dich und deine Lieben; "Wir aber kennen uns von Jugend auf, "Und länger lieb' ich dich, als du es weißt."

Mit sanftem Ton erwidert' Annie drauf: "Du warst wie Gottes guter Engel uns. "Gott segne dich dafür, Gott lohne dir's "Mit etwas reicherm Glück, Philipp, als ich. "Kann einer zweimal lieben? Kannst du je "Geliebt so werden, als es Enoch war? "Was forderst du?" "Ich bin," sprach er, "zufrieden, "Ein wenig nur nach ihm geliebt zu werden. "O," rief gleichsam erschreckt sie, "lieber Philipp, "Ein Weilchen warte noch; wenn Enoch kommt – "Doch Enoch wird nicht kommen – wart' ein Jahr, "Ein Jahr ist nicht so lang; gewiß ich werde "In einem Jahre klüger sein. O, wart' "Ein wenig!" Philipp sagte trüb: "Da ich "Mein Leben lang gewartet, kann ich auch "Ein wenig warten noch." "O nein," rief sie, "Ich bin gebunden, gab mein Wort – ein Jahr; "Willst du dein Jahr nicht tragen, wie ich mein's?" Und Philipp sprach: "Ich will mein Jahr ertragen." Dann schwiegen sie, bis Philipp, aufwärts blickend, Des flieh'nden Tages letzte Strahlen sah Entschwinden von dem Hünengrabe droben; Da, Nacht und Kälte Annies wegen fürchtend, Erhob er sich und ließ der Stimme Ruf Hinunter schallen durch den Wald. Es kamen Mit ihrer Beute nun herauf die Kinder; Dann stiegen alle sie zum Hafen nieder, Und dort vor Annie's Thüre stand er still, Gab ihr die Hand und sagte weich: "Als ich "Zu Dir sprach Annie, war's zu einer Stunde, "Wo schwach Du warst, das war nicht recht von mir. "Ich bin dir stets verbunden; du bist frei." Sie aber weinend sprach: "Ich bin gebunden."