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Im Grunde geht es uns täglich wie dem Gast in Loriots Kalbshaxen-Sketch: Wir werden ununterbrochen unterbrochen und kommen zu nichts. Unsere Konzentration wird ständig gestört, wir reagieren auf jedes neue Signal. Dieser Verlust von Konzentration ist in den letzten Jahren zu einem Hauptproblem in der Arbeitswelt geworden, denn es dauert oft bis zu 30 Minuten, bis wir den ursprünglichen Faden wieder aufgenommen haben. Der wirtschaftliche Schaden geht laut Gallup-Institut in die Milliarden. Mit seinem neuen Buch weist Marco von Münchhausen dem Leser einen Ausweg aus der ständigen Ablenkung und zeigt anschaulich, wie wir in unserem Alltag wieder konzentrierter bei der Sache sein zu können.
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Seitenzahl: 177
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Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf der Terrasse eines Wellnesshotels auf dem Lande und wollen in Ruhe einen Brief schreiben. Doch alle paar Minuten kommt jemand, begrüßt Sie, fragt etwas oder klopft Ihnen auf die Schulter, bittet um etwas, starrt Sie an und lenkt Sie ab. Fast wie in dem bekannten Loriot-Sketch, in dem der Restaurantgast nicht dazu kommt, seine Kalbshaxe zu verspeisen, weil er ständig gefragt wird, ob es ihm schmeckt.
So wie der Gast nicht zum Essen kommt, können auch Sie Ihren Brief nicht schreiben – und nicht viel anders geht es den meisten Menschen heute in der Arbeitswelt. Sie können sich nicht mehr konzentrieren, weil sie ununterbrochen unterbrochen werden. Fast noch schlimmer ist: Sie merken dies gar nicht mehr, weil sie sich schleichend daran gewöhnt haben und es allen anderen genauso geht.
Der Verlust der Konzentration und die ständigen Unterbrechungen am Arbeitsplatz sind in den letzten zehn Jahren zum Hauptproblem der Arbeitswelt, möglicherweise des modernen Lebens überhaupt geworden. Nach Umfragen des Gallup-Institutes ist der daraus folgende wirtschaftliche Schaden immens. Allein die US-Volkswirtschaft verliert durch Unterbrechungen am Arbeitsplatz jährlich über 500 Milliarden US-Dollar. Beängstigend ist auch eine Studie aus Großbritannien: Danach antworten 85 Prozent aller Mitarbeiter eines Großunternehmens innerhalb von zwei Minuten auf eine E-Mail – 70 Prozent sogar innerhalb von sechs Sekunden! Da bleibt wenig Zeit zum Nachdenken.
Dieses sofortige Reagieren auf jedes neue Signal und damit die grundsätzliche Bereitschaft, eine andere Tätigkeit zu unterbrechen, ist kontraproduktiv im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn man zudem berücksichtigt, dass es bis zu 30 Minuten dauern kann, bis man den ursprünglichen Faden wieder aufgenommen hat, wird das Ausmaß dieser Unterbrechungsmisere noch deutlicher.
Die Fähigkeit zur Konzentration ist eine wichtige Schlüsselqualifikation in der modernen Arbeitswelt, ein entscheidender Faktor für Erfolg und Effizienz. Aber wie geht das überhaupt, sich zu konzentrieren?
»Jetzt konzentrier dich doch mal!« Wurde Ihnen dieser Satz früher auch oft von Lehrern oder Eltern entgegengeschleudert? Das Problem dabei ist: Dieser gut gemeinten Aufforderung folgte keine Handlungsanleitung. Denn wie das mit der Konzentration gehen soll, wird einem in der Schule meist nicht beigebracht und später in der Berufsausbildung auch nicht.
Dieses Buch zeigt Ihnen:
1. warum es heute so schwer ist, konzentriert einer Tätigkeit nachzugehen,
2. wie Konzentration im Gehirn entsteht,
3. wie Sie in Ihrem Alltag wieder konzentriert bei einer Sache sein können.
Es weist einen Ausweg aus einer meist unbewussten ständigen Verfügbarkeit im Griff der neuen Medien, ohne deren bereichernden Nutzen infrage zu stellen, und zeigt Ihnen Möglichkeiten einer neuen mentalen Freiheit und einer viel größeren Effizienz sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit. So können Sie nicht nur bewusster und ungestörter leben, sondern auch mehr umsetzen und erreichen.
Ich wünsche Ihnen eine konzentrierte und ungestörte Lektüre,
Ihr Marco von Münchhausen
Lesen Sie bitte die folgenden 25 Aussagen und überlegen Sie, in welchem Ausmaß diese auf Sie zutreffen. Zählen Sie anschließend die Punkte Ihrer Aussagen zusammen.
Auswertung:
36 bis 50 Punkte: Gratulation! Sie scheinen ein wahres Konzentrationsgenie zu sein. Lesen Sie dieses Buch trotzdem weiter, um zu verstehen, wie Konzentration funktioniert und wie wichtig sie im Alltag ist. So werden Sie wertvolle Tipps erhalten, die Sie in Ihren Alltag integrieren können.
20 bis 35 Punkte: Sie sind anscheinend schon auf dem richtigen Weg, doch manchmal fehlt Ihnen einfach das letzte Quäntchen Konzentration, das Sie sich eigentlich wünschen. Oder Sie lassen sich oft allzu leicht ablenken. Nutzen Sie die Erkenntnisse und Tipps aus diesem Buch: So lernen Sie, wieder ganz bei der Sache zu sein.
0 bis 20 Punkte: Sie sollten wohl dringend an Ihrer Konzentrationsfähigkeit arbeiten, wenn Sie nicht im Strudel der Informationsflut untergehen wollen, die täglich über uns hereinbricht. Sie können von den Inhalten in diesem Buch besonders profitieren: Machen Sie sich klar, was genau passiert, wenn Sie unkonzentriert sind, und wie Sie sich gegen den ständigen Input von außen besser abschirmen können. Wenn Sie die Tipps aus diesem Buch beherzigen, sind Sie auf einem guten Weg zu mehr Ruhe und Ausgeglichenheit.
Michaela Holsteiner steht seit über vier Stunden am Operationstisch. Sie ist Fachärztin für Bauchchirurgie und ihr Blickfeld ist begrenzt auf die fünf bis sieben Zentimeter, die der Lichtkegel ihrer Stirnlampe ausleuchtet. Vor sich nur die geöffnete Bauchdecke, die freigelegte Leber, in der Hand ihr Skalpell. Ihre Welt besteht in diesem Moment ausschließlich aus den inneren Organen, ihren chirurgischen Instrumenten, Kanülen, dem Ultraschall, den Hirnströmen und der Herz-Lungen-Maschine. Alles andere ist ausgeblendet. Während der OP wird sie kaum essen, trinken und auch nicht auf die Toilette gehen. Und natürlich wird sie kein Handy-Klingeln stören, wird sie keine E-Mails checken oder sich zwischendurch einen Plausch mit Kollegen erlauben. Sie wird sich nicht mal am Kopf kratzen, wenn die Haut juckt. Seit Beginn der Operation tickt die Uhr. Sie weiß genau, wie viel Zeit sie für ihren Eingriff an der Leber hat. Also ist sie von Anfang an abgetaucht – und eingetaucht in ihre Operationswelt. Schneiden, nähen, knoten, nähen – viele kleine Arbeitsschritte, Handgriffe, Wiederholungen, das ist alles, was sie tut. Sie vollzieht eine hochkomplizierte Tätigkeit in völliger Ruhe und Konzentration. Neben ihrer fachlichen Fähigkeit ist diese wohl die wichtigste: ihre Fähigkeit, sich über Stunden hinweg auf eine Sache zu konzentrieren. Eine mittlerweile selten gewordene Fähigkeit. Später taucht sie wieder auf. Aber nicht erschöpft, sondern erfüllt. Kaum etwas tut sie lieber, als zu operieren. Oft steht sie sechs bis acht Stunden am OP-Tisch, manchmal sogar zehn Stunden. Schon als Kind konnte sie sich stundenlang in ihre Handarbeit versenken, jetzt tut sie es beim Operieren. Sie arbeitet getragen von der Kraft der Konzentration. Doch was ist das Besondere an dieser Fähigkeit?
Kennen Sie solche Momente, in denen Sie ganz in dem aufgehen, was Sie tun? Welche Tätigkeiten sind das?
Noch vor zwanzig Jahren stellte die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, eine kaum beachtete und wohl auch unterschätzte mentale Fähigkeit dar. Im Gegenteil, meistens wurde sie einfach vorausgesetzt: »Konzentrier dich doch!«, hieß es einfach. Wie das geht und was dabei passiert, hat man uns weder beigebracht noch hat man sich großartig damit beschäftigt. In den letzten Jahren dagegen ist Konzentration zum Gegenstand umfangreicher Forschungen geworden und hat sich zum Thema Nummer eins in der Arbeitswelt und im Wirtschaftsleben entwickelt.1 Unter anderen hat der Neurowissenschaftler Richard Davidson von der University of Wisconsin erkannt, dass die Fähigkeit, Aufmerksamkeit aufzubauen und sich zu konzentrieren, zu den unentbehrlichen Faktoren für hervorragende Leistungen und Erfolg im Leben gehört.2 Wie gut und wie ausdauernd wir arbeiten können, hängt davon ab, wie wir den »Richtstrahl unserer Aufmerksamkeit« lenken und fokussieren können. Er ist gewissermaßen unsere Navigationshilfe im Leben. Gleichzeitig funktioniert unsere Aufmerksamkeit als »Türsteher«, der entscheidet, welche Reize aus der Informationsflut, der wir ständig ausgesetzt sind, in die Steuerungs- und Kontrollzentrale in unserem Kopf Einlass finden.3 Damit ist Konzentration ein Schlüssel zum Selbstmanagement und der entscheidende Rohstoff des 21. Jahrhunderts.4
Konzentration ist kurz gesagt ein Zustand, in dem man mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache ist, und zwar bei nur einer Sache! Das heißt, dass sich alle unsere mentalen Kräfte gesammelt (oder wie ein Strahl gebündelt) auf die Aufgabe richten, die wir gerade erledigen. Man könnte auch sagen: Auf kleinstem Punkt sammelt sich große Kraft. Können Sie sich noch erinnern, wie Sie als Kind mit einer Lupe oder einem Flaschenboden Sonnenstrahlen gebündelt haben, um ein Laubblatt oder ein Stück Papier zum Brennen zu bringen? Zumindest wissen Sie, dass dies möglich ist.
In meinen Seminaren und Vorträgen stelle ich den Teilnehmern häufig die Frage: »Und wie lange, glauben Sie, braucht man bei Mondlicht dazu, etwas zum Brennen zu bringen?« Natürlich weiß jeder, dass das nicht geht. Aber warum geht es nicht? Manche Teilnehmer wenden ein, weil der Mond keine eigene Energiequelle sei, sondern nur das Sonnenlicht reflektiere. Doch daran liegt es nicht, denn wenn der Mond wie ein riesiger Parabolspiegel das Sonnenlicht bündeln und zur Erde schicken würde, würde hier wohl ein alles verbrennender Energiestrahl ankommen. Nein, der Grund ist ein anderer: Es liegt daran, dass die Mondoberfläche rau und zerklüftet ist, sodass das reflektierte Sonnenlicht bei uns zerstreut ankommt. Und zerstreutes Licht hat wenig Wirkung – ebenso wenig wie ein zerstreuter Geist. Ein wenig provokativ erlaube ich mir, die Teilnehmer anschließend zu fragen (und frage auch Sie): »Bei welchem Licht sitzen Sie an Ihrem Schreibtisch? Bei Sonnenlicht oder Mondlicht – gesammelt oder zerstreut?« Offen gesagt merke ich selbst, dass auch ich immer wieder im Mondlicht-Modus meiner Arbeit nachgehe! Und wie ist das bei Ihnen? Doch lassen Sie uns erst noch einmal grafisch den Unterschied zwischen Konzentration und Zerstreuung darstellen:
Die erschreckende Wahrheit ist: Meistens sind wir nicht konzentriert, sondern zerstreut. Konzentration ist für uns alle ein immer seltener werdender Ausnahmezustand geworden. Dabei würden wir gleich mehrfach erheblich davon profitieren, wenn wir einer Tätigkeit wirklich konzentriert nachgingen:
• In erster Linie steigert man durch konzentriertes Tun seine Leistung und Effizienz. Man erledigt eine Aufgabe in kürzerer Zeit (und verbraucht dabei meist auch noch weniger Energie) – so als würde man bei einem Porsche vom zweiten in den höchsten Gang schalten. Oder als würde man vom Stop-and-go-Modus des Stadtverkehrs auf die Autobahn wechseln. Mathematisch lässt sich dieser Zusammenhang wie folgt ausdrücken: Leistung = Zeitaufwand × Konzentration (natürlich vom gleichen Qualifikationsniveau ausgehend).
• Die Leistung, die wir aus einem konzentrierten Modus heraus erbringen, erfolgt ohne große Anstrengung, fast von allein und mit einem Gefühl von Leichtigkeit.
• Neuropsychologische Forschungen haben ergeben, dass im Zustand der Konzentration äußere Störungen ausgeblendet werden; das Gehirn verhindert gewissermaßen, dass störende Reize unser Bewusstsein erreichen, und schützt damit seinen fokussierten Zustand. Wie bei einem Kind, das im Spiel versunken das Rufen der Mutter tatsächlich nicht bewusst wahrnimmt und hört.
• Gleichzeitig treten im Zustand der Konzentration auch sonstige aufkommende Gedanken zurück, insbesondere mögliche Sorgen oder Probleme, mit denen wir uns fast unwillkürlich beschäftigen, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht voll in Anspruch genommen ist. Wer konzentriert arbeitet, grübelt nicht. Und auch unser Ich wird ausgeblendet – wir geraten in einen Zustand der gesunden Selbstvergessenheit.5 Wir empfinden es generell als wohltuend, wenn wir vorübergehend einmal nicht mit uns selbst beschäftigt sind.
• Häufig scheint die Zeit stillzustehen, wenn wir mit unserer Aufmerksamkeit ganz im Hier und Jetzt sind. Wenn uns eine Beschäftigung voll und ganz in Anspruch nimmt, verlieren wir unser Zeitgefühl oder haben den Eindruck, »die Zeit vergehe wie im Fluge«.6 Ein nahezu paradoxes Phänomen, dass bei »stillstehender Zeit« diese »wie im Fluge« vergeht!
• Konzentrierte Aktion ist meist mit einem Wohlgefühl und Freude verbunden. Hierfür sorgt ein gesunder Cocktail von Dopamin und Endorphinen (Näheres dazu in Kapitel 5). Wer Spaß an der Arbeit haben will, braucht also nur dafür zu sorgen, dass er sich ihr voll und ganz widmet!
• Und schließlich laden wir in der Konzentration auch noch unsere inneren Batterien auf. Das mag verblüffen, doch kaum etwas ist so erfüllend und energiespendend, wie einer Tätigkeit konzentriert und mit ganzer Aufmerksamkeit nachzugehen. Und dabei spielt es kaum eine Rolle, welcher Beschäftigung man sich widmet. Konzentriertes Tun zentriert uns. Und je häufiger jemand konzentrierter arbeitet, desto mehr tut er damit für seine innere Stabilität und desto weniger ist er stress- oder burnout-gefährdet.
Welche der oben genannten Wirkungen von Konzentration erleben Sie bei Ihren konzentrierten Tätigkeiten? Notieren Sie einfach die Ziffern aus der Grafik.
Als John um 6.30 Uhr in der Frühe vom Klingeln seines Smartphones aus dem Schlaf gerissen wird, greift er sofort nach seinem mittlerweile ständigen Begleiter, um als Erstes zu checken, welche SMS, WhatsApp-Nachrichten und E-Mails in der Inbox auf ihn warten und was es Neues bei Facebook gibt. Im Badezimmer hört er die Tagesnachrichten im Wechsel mit Staumeldungen und flotter Musik. Während er in der Küche frühstückt, liest er auf seinem iPad Kommentare auf Spiegel online, checkt noch einige weitere Mails und führt kauend schon die ersten persönlichen Telefonate. Die wichtigeren, bei denen Kaugeräusche weniger angemessen wären, erledigt er auf der Fahrt ins Büro, während im Hintergrund das Autoradio läuft. Dann beginnt der übliche Lauf im Hamsterrad des Büroalltags: die neuen E-Mails beantworten, die Präsentation vorbereiten, mit Kollegen reden, immer wieder telefonieren, manchmal sogar auf zwei Apparaten parallel, Meetings, während derer er per Smartphone weiter online aktiv ist … zwischendrin mal zur Abwechslung die Ferienhaussuche für den nächsten Urlaub. Mittags in der Kantine weiter im Netz unterwegs und die Verabredung mit Freunden fürs Wochenende klargemacht … Und so geht es immer weiter durch den Tag, bis er gegen 18.30 Uhr in seiner Stammkneipe Zwischenstation macht, ein kühles Pils trinkt, mit Kollegen tratscht, während er auf seinem Display das Fußballspiel Hamburg gegen Schalke im Live-Ticker verfolgt. Endlich daheim, macht er es sich mit der Pizza vom Lieferservice und einem guten Rotwein vor dem Fernseher gemütlich: durch die Kanäle zappen, nebenbei im Web surfen, ein paar Telefonate führen, einer Kollegin via Handy beim Abschlussbericht helfen und so weiter. Die eigene mitgebrachte Akte schafft er nicht mehr ganz, da die Anziehungskraft des Thrillers dann doch stärker ist. Als anschließend eine Sendung über den »Verlust der Konzentration im digitalen Zeitalter« beginnt, denkt er noch kurz, das sei sicher ein wichtiges Thema, doch um sich darauf zu konzentrieren, ist er zu geschafft. Und so macht er sich gegen 23.30 Uhr todmüde auf ins Bett, nicht ohne vorher noch einen letzten Blick aufs Smartphone zu werfen, eine letzte SMS zu beantworten, die Weckzeit einzugeben, um dann erstmals nach 17 Stunden das Gerät auszuschalten und einzuschlafen. Morgen früh wird es ihn pünktlich wecken – dann geht das Spiel von Neuem los.
Einer Studie amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler zufolge sind 80 Prozent der Arbeitnehmer heute nicht mehr in der Lage, sich nur auf eine Aufgabe zu konzentrieren.7 Es scheint so, als wäre uns seit Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach die Fähigkeit zur Konzentration verloren gegangen. Wir leben mittlerweile in einer durchweg konzentrationsfeindlichen Welt. Wer oder besser gesagt, was ist dafür verantwortlich? Hier die maßgeblichen Konzentrationskiller in unserem Leben, die allerdings nicht getrennt agieren, sondern sich gegenseitig beeinflussen, ja bildhaft gesprochen sogar kooperieren:
• Ausgangspunkt (und das ist nichts Neues) ist zunächst einmal die Tatsache, dass der Grundzustand unseres Gehirns nicht der der Konzentration ist, sondern der der Zerstreuung – also einer geteilten Aufmerksamkeit, die sich zwischen verschiedenen Dingen hin und her bewegt. Wenn unser Gehirn nicht mit konkreten Aufgabe beschäftigt ist, wandert unsere innere Suchmaschine umher und scannt die Umwelt nach gefährlichen oder attraktiven Reizen. Schon unsere Vorfahren mussten in der Wildnis die Umgebung ständig nach lauernden Bedrohungen oder einer möglichen Beute absuchen. Sobald ein solcher Reiz auftaucht, richtet sich unser Fokus darauf, um anschließend zum nächsten Reiz zu wechseln. So springt unsere Aufmerksamkeit wie ein Scheinwerfer hin und her und bleibt selten länger bei einer Sache – der sogenannte »wandernde Geist«, neudeutsch auch Mind-Wandering genannt.
• Diese Grundtendenz des Gehirns trifft ohne Airbag und Rückhaltesystem auf ein Phänomen unserer Zeit: Unser Geist wird zum Spielball der Fliehkräfte digitaler Medien. Er ist dem Sog und der Vielfalt der Reizüberflutung und Ablenkungen, denen er von morgens bis abends ausgeliefert ist beziehungsweise sich ihnen mehr oder weniger unbewusst selbst ausliefert, nicht gewachsen.
• Wir sind tagaus, tagein einer ständig wachsenden Informationsflut ausgesetzt, die über die verschiedensten Medienkanäle auf uns einströmt. Unser Gehirn kann diese Fülle von häufig unzusammenhängenden und meist auch unwichtigen Informationen kaum verarbeiten. Oft haben wir gar keine Zeit, um darüber nachzudenken, was sie eigentlich bedeuten. Nach Ansicht des Psychologieprofessors Ernst Pöppel sind wir »überwältigt von zu viel Input und finden uns nicht mehr zurecht«.8
• Verstärkt wird diese Informationsfülle durch die Ablenkungsdichte der digitalen Medienvielfalt: SMS, E-Mails, Push-Nachrichten, Google-Alerts und Pop-up-Windows pochen über Smartphones, Tablets und Notebooks in ständigem Wettbewerb an die Türen unseres Bewusstseins. Social Media, Live-Ticker, virtuelle und digitale Spielwelten ziehen kontinuierlich unsere Aufmerksamkeit auf sich und verschlingen sie geradezu.9 Der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon warnte schon vor vielen Jahren: »Informationen verbrauchen die Aufmerksamkeit ihrer Empfänger. Deshalb erzeugt der Reichtum an Information eine Armut an Aufmerksamkeit.«10
• All das findet im ständigen Wechsel statt. Ohne lange bei einer Nachricht oder einem Film zu verweilen, zappen wir von Informationsquelle zu Informationsquelle mit der permanenten Frage im Nacken: »Bin ich auch wirklich im richtigen, nämlich im spannendsten Programm? Verpasse ich nicht gerade etwas auf einem anderen Kanal oder in einem anderen Chatroom im Netz?« Wer am Sonntagabend das Hochamt der Fernsehunterhaltung, den Tatort, sieht, surft nicht selten parallel im Netz, kommentiert, was er gerade sieht, und liest die Beiträge anderer User. Der Film allein genügt uns nicht mehr. Viele sind sogar stolz darauf, ständig hin und her zu switchen und überall mit dabei zu sein (wenn auch nirgendwo richtig, doch dazu kommen wir noch).
Und so erliegen wir im Dauerfeuer medialer Reize einer immerwährenden Chaosberieselung. Zerstreuung zerstreut – und zwar unsere Aufmerksamkeit! Am gravierendsten aber sind die damit zusammenhängenden fortwährenden Unterbrechungen und das weitverbreitete vermeintliche Multitasking.
Mittwochvormittag, 11.35 Uhr. Jane kommt zu Marc ins Büro, um die bevorstehende Präsentation zu besprechen. Sie haben kaum angefangen, da klingelt Marcs Handy. »Sorry, Jane, das ist ein wichtiger Kunde … nur ganz kurz!« – »Hallo, guten Tag, Herr Schorr, ich bin gerade in einem Meeting, kann ich Sie …? Ach so, ja, worum geht es denn?« Während Marc spricht, checkt Jane schnell auf ihrem Smartphone ihre Nachrichten und beantwortet einige sofort, begleitet von einem: »Das kann doch nicht wahr sein!« Marc legt beschwörend den Finger auf den Mund und deutet auf sein Handy. Doch da klopft schon per Call-Waiting der nächste Anrufer an: Der Unterbrecheranruf wird unterbrochen. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Schorr, ich bin gleich wieder für Sie da …« – »Hallo, guten Tag, ich bin gerade auf der anderen Leitung im Gespräch … ich melde mich … sicher! Ja, noch vor 15.00 Uhr!« Halten macht’s möglich: Herr Schorr ist noch da. Während Marc mit ihm weiterspricht, poppt eine E-Mail auf, die er nebenher kurz überfliegt. »Unverschämtheit«, denkt er sich, und schon hat er die letzten zwei Sätze von Herrn Schorr verpasst. »Verzeihen Sie, was sagten Sie gerade? Ich war kurz abgelenkt.« Da läutet das Tischtelefon, das zwar der Anrufbeantworter übernimmt, allerdings für alle gut hörbar. Genervt verlässt Jane den Raum, nicht ohne Marc einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Marc möchte am liebsten im Boden versinken – wer war da noch mal in der Leitung?
Der helle Wahnsinn? Vielleicht vor 15 Jahren, heute ist dies ganz normaler Büroalltag. Noch nie gab es so viele Unterbrechungen wie heute. Jeder kann jeden immer und überall erreichen – und folglich tut es auch (fast) jeder: Das ist die Unterbrechungslogik der modernen Kommunikationsmittel.
Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Unterbrechungsproblem noch als Frage individueller Disziplinlosigkeit bagatellisiert, die der Einzelne nach dem Motto »Konzentrier dich aufs Wesentliche« selbst in den Griff bekommen sollte. In den letzten zehn Jahren haben sich Unterbrechungen dagegen zum maßgeblichen Störfaktor der modernen Arbeitswelt entwickelt. Eine Fülle von Untersuchungen und Studien von Arbeitspsychologen und Effektivitätsforschern sowie zahlreiche Veröffentlichungen, Kongresse und Konferenzen bestätigen die ungebrochene Relevanz. Die ersten alarmierenden Zahlen kamen aus den USA, von der New Yorker Technologiefirma Basex und der University of California11; britische Studien stützten diese Erkenntnisse:
• 588 Milliarden US-Dollar verliert die US-amerikanische Volkswirtschaft jährlich durch Unterbrechungen am Arbeitsplatz. Auf Deutschland übertragen wären das grob geschätzt über 100 Milliarden Euro pro Jahr, sofern man ähnliche Verhältnisse in der Arbeitswelt annimmt.12 Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt hat ein Volumen von gut 300 Milliarden Euro – unsere Volkswirtschaft büßt also jährlich rund ein Drittel dieses Bundeshaushalts allein durch Unterbrechungen ein!
• Durchschnittlich alle elf Minuten werden Büromitarbeiter bei ihrer Beschäftigung unterbrochen und beginnen mit etwas Neuem.
• Neben ankommenden Telefonaten sind vor allem die ohne Unterlass eintreffenden E-Mails konzentrationsfeindlich. Einer Studie zufolge antworten 85 Prozent aller Angestellten innerhalb von zwei Minuten auf eine eingehende E-Mail, 70 Prozent sogar innerhalb von sechs Sekunden.
Wie schnell reagieren Sie auf eine eintreffende E-Mail?
Zwischen ___________ Sekunden und __________ Minuten.