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Der neue Nordsee-Krimi von Krischan Koch – der 12. Band der kultigen Spiegel-Bestseller-Krimireihe ist perfekt für alle Fans von humorvoll-satirischen Krimis Piet Paulsen traut seinen Augen nicht: »Ufos über Fredenbüll? Dat kann doch gar nich angehen.« Doch er ist sich sicher: »Das Ding schwebt und leuchtet. Die Außerirdischen sind gelandet, gleich hinterm Deich.« Als dann ein Toter im neu entstandenen Kornkreis liegt, sind Dorfpolizist Thies Detlefsen und Kollegin KHK Nicole Stappenbek aus Husum alarmiert. Mit den üblichen Ermittlungsmethoden kommen sie nicht weiter. Mysteriöses passiert im spätsommerlichen Fredenbüll. Fahrerlose Autos rasen übers Land, das Getreide wächst wie verrückt, und geheimnisvolles Trommeln hallt durch die Nacht. Ist das nordfriesische Küstendorf womöglich ins Visier einer außerirdischen Macht geraten? Der 12. Fall für Thies Detlefsen: einfach überirdisch gut! »Knochentrockene, zum Brüllen komische Dialoge.« Dresdner Neueste Nachrichten über ›Pannfisch für den Paten‹
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Seitenzahl: 270
Piet Paulsen traut seinen Augen nicht, als er eines Nachts zum Fenster hinausblickt: »Ufos über Fredenbüll? Dat kann doch gar nich angehen.« Doch er ist sich sicher: »Das Ding schwebt und leuchtet. Die Außerirdischen sind gelandet, gleich hinterm Deich.« Als kurz darauf ein Toter im neu entstandenen Kornkreis liegt, sind Dorfpolizist Thies Detlefsen und Kollegin KHK Nicole Stappenbek aus Husum alarmiert. Doch mit den üblichen Ermittlungsmethoden kommen sie in diesem Fall nicht weiter. Mysteriöse Dinge geschehen im spätsommerlichen Fredenbüll. Fahrerlose Autos rasen übers Land, das Getreide wächst auf einmal wie verrückt, und geheimnisvolles Trommeln hallt durch die Nacht. Ist das nordfriesische Küstendorf womöglich ins Visier einer außerirdischen Macht geraten? Jedenfalls wimmelt es plötzlich nur so von Alien-Fans und Ufo-Touristen, die nicht nur Gutes im Sinn haben …
Der 12. Fall für Thies Detlefsen: einfach überirdisch gut!
Von Krischan Koch sind bei dtv außerdem erschienen:
Flucht übers Watt
Venedig sehen und stehlen
Rote Grütze mit Schuss
Mordseekrabben
Rollmopskommando
Dreimal Tote Tante
Backfischalarm
Pannfisch für den Paten
Mörder mögen keine Matjes
Friedhof der Krustentiere
Der Weiße Heilbutt
Mord im Nord-Ostsee-Express
Krieg der Seesterne
Krischan Koch
Ein Küsten-Krimi
Für Elke und Torsten
und ihren Rasenroboter Robbi
»Größe nicht alles ist. Die kleinere Truppe wir sind, dafür größer im Geist.«
Meister Yoda in ›Krieg der Sterne‹
Mitten in der Nacht wacht Piet Paulsen auf. Er wird immer mal wach. Normalerweise dreht er sich um, döst gleich wieder ein und träumt von einem extragroßen Putenschaschlik »Hawaii«. Aber dies ist kein Traum. Über die Schlafzimmergardine mit dem roten Backsteinmuster huschen seltsame Lichtreflexe. Was ist das? Ein vorbeifahrendes Auto? Nein, das sieht anders aus. Außerdem ist kein Geräusch zu hören. Nachts ist auf dem kleinen Weg hinter seinem Haus kein Verkehr mehr. Spielt sein Kreislauf verrückt? Ist das eine Sehstörung? Doch nichts mit dem Herzen? Er meint, in seinen Ohren ein diffuses dumpfes Brummen zu spüren.
Paulsen quält sich aus dem Bett. Die Nachttischlampe lässt er ausgeschaltet. Er tastet nach seiner Gleitsichtbrille und stolpert zum Fenster. Er zieht den Vorhang beiseite, erst einen Spalt, dann schiebt er den Stoff mit dem Backsteinmuster ganz zur Seite und wird sofort geblendet. Für einen Moment steht Piet im grellen Licht. Er muss sich erst an die Helligkeit gewöhnen und kneift hinter seiner Brille die Augen zusammen. Dann schwenkt der Lichtstrahl weiter.
Paulsens Blick geht an der seit vier Jahren müde auf Halbmast hängenden HSV-Flagge im Vorgarten und dem am Fahnenmast installierten Nistkasten vorbei über das große Kornfeld wenige Meter vor seinem Haus. Im Nebel der Spätsommernacht sieht er diffus einen großen Lichtkranz über dem Feld schweben. Es sieht aus wie im Kreis angeordnete Scheinwerfer eines großen Flugobjektes. Was kann das sein? Es hat die Form eines Sternes, eines riesig großen Seesternes, der ein paar Meter über dem reifen Korn hängt und jetzt ganz langsam weitergleitet.
Der ehemalige Landmaschinenvertreter hat keine Zweifel, da muss er nicht lange überlegen. Das ist eindeutig ein Raumschiff. Erst letzte Woche hatte er in der Zeitung etwas über Ufos gelesen. Auch über dem nächtlichen Himmel von Bredstedt war ein unbekanntes Flugobjekt gesichtet worden. Hatten sich nicht sogar Ufo-Forscher aus den USA dafür interessiert? Paulsen hat es eigentlich immer schon geahnt, jetzt hat er Gewissheit: Sie sind da, sie sind tatsächlich gelandet. Nicht irgendwo in einer fernen Salzwüste, sondern vor seiner Tür in Fredenbüll, zwischen den Deichen auf dem neu angelegten Dinkelfeld von Bauer Schlotfeldt. Selbst die Blaumeise, die an dem Nistkasten am Fahnenmast reichlich verspätet brütet, streckt interessiert den Kopf mit der blauen Haube aus dem Nistkasten heraus.
Paulsen zieht sich eilig die Hausschuhe und seinen Bademantel an, steigt die Treppe von seinem Schlafzimmer hinunter und tritt vor die Haustür. Es ist kühl und neblig. Piet nimmt ein noch nie gehörtes Surren wahr. Durch die tief liegenden, wabernden Nebelschwaden ist das Flugobjekt weniger deutlich zu sehen als vom Schlafzimmerfenster. Aber jetzt scheint es Piet entgegenzuschweben. Es bleibt einen Moment in der Luft stehen. Ein Scheinwerfer hat den ehemaligen Landmaschinenvertreter kurz im Fokus. Er wird geblendet. Im nächsten Augenblick leuchtet die HSV-Fahne strahlend blau aus der Dunkelheit heraus. Die Meise schlüpft in ihren Kasten zurück. Dann zieht der an den Armen blinkende Seestern langsam drehend über das Kornfeld Richtung Neutönninger Siel weiter. Durch den aufreißenden Nebel entdeckt Paulsen ein Stück weiter über den neuen Austernbänken im Watt einen zweiten Lichtring.
»Ich fühle ganz deutlich, dass sie in meinem Energiefeld sind.« Isra, die eigentlich Petra heißt, lässt ihre Hand mit einem glänzenden Stab über einer kleinen, vor ihr stehenden Pyramide kreisen. Sie blickt beseelt in die Runde.
»Sie sind da, ich spüre es auch.« Adrik klingt dabei aber deutlich weniger beglückt. Er blickt finster, rückt den Aluhut zurecht und zupft an seinem geflochtenen Bart. Einar, der Ein-Meter-Neunzig-Hüne, der ebenfalls einen Aluhelm trägt und sich momentan mit Kornkreis-Channeling befasst, sagt im Moment gar nichts. Er nickt nur, wobei die Heilsteine an seiner Halskette aneinanderklackern.
Die bunte Truppe von Schamanen, Hellseherinnen und Kornkreisjüngern hat seit ein paar Tagen ihre Zelte auf der großen Wildblumenwiese des Biohofes Brodersen aufgeschlagen. Heute Nacht haben sie sich auf dem großen Heuboden des Hofes versammelt.
Eigentlich sind sie gekommen, um das germanische Erntedankfest zu begehen und den Göttern ein Opfer zu bringen. Aber dann haben sie auch von der Sichtung des Ufos gehört. Heute in der Dämmerung waren Haldor, Adrik und ein paar andere dann mit Trommeln, Pfeifen und Sensen ausgerüstet durch das Dinkelfeld gezogen, um energetischen Kontakt mit den Außerirdischen aufzunehmen. Allzu erfolgreich waren sie dabei allerdings nicht, obwohl Haldor behauptet, auserwählt zu sein und selbst von einem fernen Sternensystem zu stammen. Auch Isra behauptet von sich, sie handle mit der Energie der Plejaden. Von der Existenz der Außerirdischen sind alle überzeugt. Nur ist man sich überhaupt nicht einig, ob sie schon gelandet und in welcher Absicht sie gekommen sind.
Hellseherin Isra glaubt an die »Galaktische Föderation des Lichts«. »Sie sind uns spirituell und moralisch überlegen«, haucht sie so leise, dass sie kaum zu verstehen ist. Sie wedelt dabei mit dem Stab und verdreht die Augen. Sie spürt seit langem schon die Energiefelder und sieht alles ganz deutlich voraus. Ihre Voraussagen sind zwar allesamt nicht eingetreten, woraufhin sich manche von ihr wieder abgewendet haben. Aber das irritiert sie nicht weiter, dadurch fühlt sie sich eher bestärkt.
Isras Betätigungsfeld ist breit gefächert und äußerst lukrativ. Sie liest die Zukunft aus Kleeblattkarten und den Sternen und ist dank ihrer Auftritte bei Aura-TV zu einiger Prominenz gekommen. Neben ihren Fernsehauftritten bietet sie Chakren-Reinigungen am Telefon für drei Euro neunundneunzig die Minute an. Außerdem im Angebot: ein speziell energetisierter Glasteller für hundertzwanzig Euro. Wer einen solchen Teller besitzt, wird vom galaktischen Licht erleuchtet und hat auch sofort Kontakt zu den Außerirdischen.
»Galaktisches Licht?!«, giftet der finstere Adrik die Hellseherin an. »Schön wär’s, wir befinden uns in einem galaktischen Krieg!« Er steht auf und blickt mit seinem stechenden Blick in die Runde. »Wir haben Hinweise, dass die gesamte Bevölkerung ausgetauscht werden soll.«
»Sie kommen in friedlicher Mission«, ruft der Außerirdische Haldor ihm mit sanfter Stimme entgegen.
»Hört ihn euch an, er ist einer von ihnen.« Jetzt schreit Adrik, wobei ihm fast der Helm vom Kopf fliegt. Haldor dagegen lächelt nur milde.
»Die Außerirdischen entführen die Leute, entnehmen ihnen Spermien und züchten Hybridwesen.« Adriks geflochtener Bart zittert, sein Blick ist fiebrig. »Mit ihren Raumschiffen landen sie auf der Erde und nehmen genetische Manipulationen an den Menschen vor. Die Mutanten sind bereits unter uns. Überall! In der Politik, in den Medien, in den Gremien, an den Schalthebeln der Macht. Die Echsenmenschen übernehmen die Macht.« Adrik bewegt sich in großen Dimensionen. Dazu zählt auch der höchst lukrative Onlinehandel, den er zurzeit noch zusammen mit Isra und Einar betreibt.
Der stille Einar spinnt die Fäden im Verborgenen. Ihm gelingt die Verbindung von Spiritualität und digitaler Vermarktung. Er bringt Aura und Schwingungen ins Internet. Vor allem bringt er die Kasse zum Klingeln. Der Online-Anbieter »Diwali« entwickelt sich zum Marktführer. Isras Glasteller und Kristallpyramiden sind die Topseller. Außerdem scheint Einar ein Auge auf die geheimnisvolle Isra geworfen zu haben. Die aber ist neuerdings von Haldor verzaubert, was Einar gar nicht gefällt. Denn der Außerirdische hat offenbar auch viel Sinn für die irdischen Dinge. Bei den Spannungen in der Gruppe geht es also nicht nur um das lukrative Sortiment von handgefertigten Aluhüten, magnetischen Pulvern, Kräutern für Planetenräucherungen und Trommelsteinen. Bei der Chakren-Reinigung und dem Kornkreis-Channeling kommt es auch zu diversen erotischen Eifersüchteleien.
Arugala und Loelia halten sich da weitgehend heraus. Arugala ist auf Klangtänze und Klangreisen spezialisiert, mit denen sie andere in Heilungs- und Loslösungsprozessen begleitet. Mehrere Lebenspartner haben sich dabei schon von ihr losgelöst. Loelia wiederum beschränkt sich auf ihre Fähigkeit als Haustier-Hellseherin. Die Frau mit den langen karamellblonden Haaren, die an einen Golden Retriever erinnern und die sie mit einem Bandanatuch zähmt, fühlt sich in Tiere hinein und kann deren Schmerzen und Gedanken, deren Weltsicht spüren. Sie wird stets von ihrem Hund Hanuman begleitet, einem freundlichen Schnauzer-Rüden, mit dem zusammen sie ihre tiertherapeutische Praxis betreibt. Hanuman, benannt nach einer indischen Gottheit, verleiht ihr Kraft und Zentriertheit für ihre therapeutische und hellseherische Arbeit. »Ein charmanter Gastgeber für die Kursteilnehmer. Eine ruhige Kraft mit viel Hunger nach Wissen, Freude und Fressen«, wie auf ihrer Internetseite erklärt wird. Etwas vage bleibt, wer hier therapiert werden soll, Frauchen, Herrchen oder das Haustier.
Alle haben klare Vorstellungen von ihrer Rolle. Nur, was der stille Haldor in der Gruppe sucht, darüber wird gerätselt. Ist er wirklich ein Außerirdischer? Will er einfach nur trommeln oder ist auch er schwer in Isra verknallt?
Das geht auch an der Angebeteten nicht spurlos vorbei. »Ein Wahnsinn, was da gerade los ist in deinem Energiefeld.« Haldor erhebt sich und schreitet schwebend, wie von einer fernen Macht geleitet, durch den Raum.
»Haldor, wo willst du in der Nacht noch hin?«, fragt Loelia, doch der reagiert überhaupt nicht. Die Haustier-Hellseherin findet keinen Kontakt zu dem Außerirdischen.
Und dann erscheint die Chefin des Biohofes Lara Brodersen plötzlich auf dem Heuboden, bleich und im weißen Gewand, ebenfalls wie von einem anderen Stern. Hinter ihr kommt ein Mann in den Raum, er trägt eine dunkle Cordhose mit allerlei Taschen und Schlaufen, die an eine Zimmermannshose erinnert.
»Das ist der Markus«, stellt Lara ihn mit leiser eindringlicher Stimme vor. »Ich glaube, die meisten von euch kennen ihn.« Die ganze Gruppe sieht ihn an. Doch Markus März hat nur Haldor im Blick.
»Mögt ihr einen Fenchel-Anis-Tee?«, raunt Lara Brodersen. »Nach einem Geheimrezept gebraut.«
Vor lauter Aufregung hat es Piet Paulsen heute Morgen nicht lange zu Hause gehalten. Er hat sich als Erster vor der »Hidden Kist« eingefunden, noch ehe Antje den Imbiss aufgeschlossen hat. Aber dann sind die Wirtin und der Rest der Stammbelegschaft schnell eingetrudelt.
»Sie sind gelandet«, überfällt der ehemalige Landmaschinenvertreter seine Freunde. »Letzte Nacht, ich hab es ganz deutlich gesehen.« Piet ist völlig außer sich. Klaas, Bounty, der Schimmelreiter und Antje sehen ihn staunend an. Sogar Imbisshündin Susi, die in letzter Zeit mit Müdigkeit zu kämpfen hat, ist auf einmal hellwach.
»Wat soll dat jetzt heißen?«, fragt Klaas und ordert bei Antje einen Morgenkaffee.
»Piet, wer is gelandet?« Der Schimmelreiter kann sich keinen Reim darauf machen.
»Es schwebte und es leuchtete.« In Paulsens Stimme schwingt Dramatik mit.
»Die Erfahrung ist mir nicht ganz fremd.« Althippie Bounty, Fachmann für halluzinogene Kräuter, zeigt Verständnis.
»Nee, dat waren Außerirdische.« Paulsen ist sich sicher. »Wir sind nicht allein. Ich sag’s euch, es gibt anderes Leben da draußen im All!«
Klaas schüttelt den Kopf. »Komm, Piet, letzte Woche hast du noch nich mal geglaubt, dat es Leben außerhalb von Fredenbüll gibt.«
»Wenn ich sie doch selbst gesehen hab.« Paulsen wird langsam ungnädig.
Antje steht wie erstarrt mit dem leeren Siebträger der Kaffeemaschine da. »Hat es außer dir denn noch jemand gesehen?«
»Na ja, die Blaumeise!«, bestätigt Piet, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Die Meise?« Klaas staunt.
»’ne Meise?« Antje wirkt besorgt.
»Hast du deine Pillen nich genommen?«, fragt der Schimmelreiter, der mit einem Morgenkaffee vor dem Daddelautomaten sitzt.
»Oder vielleicht zu viele Pillen?«, überlegt Bounty.
»Jetzt macht aber mal ’n Punkt! Ich hab dat Raumschiff mit eigenen Augen gesehen!«
»Oder vielleicht war dat ja so ’n Luftballon von den Chinesen?« Klaas sucht nach Erklärungsmöglichkeiten.
»Nee, dat war kein Luftballon, sondern ein Seestern.« Paulsen wird für seine Verhältnisse richtig laut.
»Piet, nu mal sutsche, nich gleich aufregen!« Antje klingt besorgt.
Die Runde sorgt sich in letzter Zeit etwas um ihren Imbissfreund. Piet scheint gesundheitlich nicht ganz auf dem Damm zu sein. Es ist diesmal nicht nur sein Knie, sondern »mehr so allgemein«, wie Klaas es formuliert. Seine Nichte hat deshalb schon einen häuslichen Pflegedienst ins Gespräch gebracht und fürs Erste die digitale Haushaltshilfe Alexa reaktiviert, die Piet vor Jahren nach einem heftigen Disput in die hinterste Ecke des Schrankes verbannt hatte. Aber die Dame hat nach langer Ruhepause offenbar Probleme, wieder den Anschluss zu finden.
Die seltsamen Geschichten über Ufos machen die Sorgen der Imbisstruppe um ihren Freund nicht unbedingt kleiner. Andererseits gehen momentan auch sonst seltsame Dinge in Fredenbüll vor. In der ehemaligen Hühnerhalle von Geflügelkönig Hans-Werner Dossmann geschieht Geheimnisvolles. Das gesamte Gelände wird rund um die Uhr von zwei Sicherheitsleuten bewacht, die niemanden hineinlassen.
»Und bei Lara Brodersen auf der Wiese haben sich schon wieder so durchgeknallte Camper einquartiert. Ganze Zeit nur am Trommeln.« Schimmelreiter Hauke Schröder schüttelt den Kopf. »Nix gegen ’ne geile Percussion, aber die haben schon die ganzen Schafe vertrieben.«
Außerdem ist dem Schimmelreiter beim nächtlichen Cruisen am Deich mehrfach ein dicker SUV begegnet. »Der hat mich fast von der Straße gefegt. Und stellt euch vor, da saß niemand am Steuer. Gibt’s doch nich!«
»Ich sag’s euch, dat war ’n Alien, die sind unsichtbar.« Piet blickt prüfend in die Runde. »Könnt doch sein.«
»Fahr’n die Aliens Tesla, oder wie muss man sich dat vorstellen?« Hauke hat Zweifel.
»Dat war bestimmt die neue Kiste von Dossmann.« Klaas ist gewohnt gut informiert. Von der Pacht seiner Hühnerhalle soll sich der ehemalige Geflügelzüchter das erste selbstfahrende Auto Norddeutschlands gekauft haben. Von den mysteriösen Vorgängen in der alten Halle wissen der einstige Geflügelkönig und auch alle anderen Fredenbüller nichts.
»Und Renate hat wohl auch wieder einen interessanten Gast. Angeblich ’n Amerikaner«, fällt Klaas ein. »Wo bekommt sie bloß immer wieder ihre ausländischen Gäste her?« Klaas ist es ein Rätsel. »Italiener … zuletzt dieser falsche Engländer mit seinem falschen Toupet …«
»Und dieser Amerikaner is angeblich auch hinter den Ufos her, behauptet Renate.« Antje kommt ins Grübeln. »Und bei mir fiel gestern kurz der Grill aus und die Mikrowelle war dafür auf einmal doppelt so schnell.« Sollte vielleicht doch etwas an den Außerirdischen dran sein? Piet ist schließlich nicht verrückt.
»Ich sag’s euch, wir sind nicht allein.« Paulsen deutet mit einem Pommes-Piekser zur Decke des Imbisses.
»Nee, in der Regel sitzen wir hier zu viert.« Klaas pustet in den heißen Kaffee. »Und wenn du Susi und den Schimmelreiter mitrechnest, sogar zu sechst.«
»Die Welt ist größer, als wir denken.« Piet legt Pathos ins Krächzen. »Der Blick weitet sich ins Universum.«
»Keine Frage«, stimmt Bounty ihm zu. »Aber dafür musst du was rauchen. Allein mit Putenschaschlik reicht es nur bis Hawaii.«
»Ich hab schon gesehen, Sie haben ja so allerlei Ausrüstung in ihrem Zimmer dabei.« Pensionswirtin Renate bringt ihrem Gast sein Frühstücksei. »Was is dat eigentlich alles?« Sie wartet die Antwort gar nicht ab. »Wissen Sie was, ich mach Ihnen ’n Abgrät!«, verkündet Renate stolz.
Eines der beiden Zimmer ist nämlich gerade renoviert worden, neue Matratze und neuer Teppichboden von Tapeten Tobarben. Für das Zimmer will sie eigentlich fünf Euro mehr nehmen. Aber für den interessanten Amerikaner verzichtet sie darauf gern noch mal. »Wir sind hier in Fredenbüll international. Letztes Jahr hatte ich ’n richtigen Engländer, dat heißt so genau wusste man dat wohl gar nich, ob der wirklich aus England war.«
»Upgrade? Why not?« Der Gast sieht die Wirtin durch seine Brille mit dem altmodischen schwarzen Gestell und den dicken Gläsern an. Nach dem Frühstück will Mister Armstrong mit seinem Gepäck und den Gerätschaften gleich umziehen. Aber jetzt widmet er sich erst mal seinem Frühstücksei.
»Ihre Sachen im Zimmer, was is dat denn überhaupt?« Renate bindet ihre Kittelschürze stramm.
»Eine Infrarotkamera und ein Radioteleskop, um electromagnetic waves, Radiosignale, zu empfangen.«
»Sieht ja auch ’n büschen aus wie ’ne Satellitenschüssel.« Aber Renate weiß natürlich selbst, dass der geheimnisvolle Amerikaner, der mit seiner dicken Brille und dem Cordjackett über dem karierten Hemd wie ein Wissenschaftler aus einem alten Schwarz-Weiß-Film aussieht, kein Fernsehtechniker ist. Erst zögert sie noch, dann traut sie sich doch. »Sie sind doch wegen der Ufos hier, oder? Gibt es die denn wirklich?«
»Es gibt immer wieder such observations. Ich will hierzu weiterforschen. Deshalb bin ich hier.«
»Piet Paulsen hier aus Fredenbüll hat wohl grad so ’n Ufo gesehen.« Die Nachricht hat sich beim Bäcker in Windeseile verbreitet. Renate legt Biokäse auf dem Frühstücksteller nach.
»Believe me or not, es gibt jährlich mehrere Hundert Meldungen über Ufos. Im American Pentagon gibt es eine spezielle Arbeitsgruppe. Die UAP, die ›Unidentified Anomalous Phenomena‹ Task force, beschäftigt sich mit Flugobjekten, die sich ohne erkennbaren Antrieb fortbewegen und unerklärliche Flugbahnen aufweisen. But I’ve already moved on.« Seine Stimme bekommt etwas Verschwörerisches. »Ich suche nach kosmischer Strahlung, die durch interstellare Nebel allerdings behindert wird.«
Renate nickt. »Is bei mir am Fernseher auch oft so, Drittes Programm und die Privaten is meistens ganz schlecht.«
»Ich habe schon Mikrowellenfrequenzen zwischen einem und ten Gigahertz gemessen, die am ehesten für interstellare communication geeignet sind.«
»Mikrowelle?!« Die Wirtin der »Wellness-Oase« ist alarmiert. »Nich, dat die hier bei meiner Mikrowelle reinfunken.«
Der Ufo-Forscher bekommt bei dem Thema noch mal Appetit und belegt ein Brötchen mit Käse. »Aber Ihren Bekannten würde ich unbedingt gern mal sprechen. Ich sage immer: Sichtung melden und bitte genaue Skizze anfertigen.« Er bekommt einen Blick, als lande gerade ein Ufo in Renates Vorgarten. »Und mit die Leute in den Zelten werde ich auch noch contact aufnehmen.«
»Mit diesen verrückten Trommlern?«
»Die wissen mehr als wir denken.«
»Piet Paulsen behauptet ja auch, wir sind nicht allein!«, gibt Renate zu.
»Wir sind nur dieser kleine blaue Planet, da draußen everything is possible. Unsere Galaxis hat einen Durchmesser von Hunderttausend Lichtjahre und besteht aus zweihundert bis vierhundert Milliarden stars.« Armstrong genießt das Interesse, das die Pensionswirtin ihm entgegenbringt, und beißt in das Käsebrötchen. »Believe me or not, allein dreihundert Zivilisationen in der Milchstraße.«
»Wat sagen Sie da? Dat is ja wirklich allerhand.« Renate ist ganz von den Socken.
»Man schätzt sechsunddreißig Zivilisationen mit extraplanetarischer Kommunikationsfähigkeit. Wir wissen nur noch nicht, ob andere Lebewesen unbedingt auf Kohlenstoff-Chemie basieren, wie alle Lebensformen auf der Erde. Es gibt die These, dass Leben Wasser benötigt.«
»Und dat haben wir hier an der Küste ja mehr als genug.« Renate überlegt. »Dat könnte erklären, warum die Außerirdischen nich in der Lüneburger Heide gelandet sind, sondern hier bei uns in Fredenbüll.«
Im Vorgarten der Detlefsens zieht ein knallgelber Rasenroboter fast lautlos seine Bahnen. Heike hat ihren neuen Freund am frühen Morgen gleich aufs Gras gesetzt, und der hat mit einem anmutigen Piepen geantwortet. Es war Liebe auf den ersten Blick, als sie in der Gartenabteilung des Baumarktes plötzlich dem F3-B3 gegenüberstand. Seitdem wird alle zwei Tage der Rasen gemäht.
Telje wirft einen verschlafenen Blick durch das Küchenfenster. »Mama, was ist das denn? Pass bloß auf, dass er dir deine Petersilie nicht weghaut.« Heikes Tochter kommt aus dem Staunen gar nicht raus. »Und seit wann gibt es hier denn Brötchen?« Sie lässt ihren Blick über den Frühstückstisch schweifen. In ihrer Kindheit und Jugend hatten die Zwillinge von ihrer Mutter Müsli in wechselnden Variationen vorgesetzt bekommen und waren darüber nicht immer glücklich.
»Dat gibt es immer mal, seit wir den neuen Bäcker in Schlütthörn haben, dat ›Backbord‹. Und weil du da bist, dachte ich …«
»Kein Müsli mehr?« Früher hat Telje es gehasst, seit sie studiert, isst sie selbst jeden Morgen geschroteten Hafer und Dinkel. Telje studiert seit drei Jahren in Essen Medizin. Jetzt ist sie für ein paar Wochen nach Nordfriesland zurückgekehrt und macht eine Famulatur an der Husumer Nordseeklinik. Währenddessen wohnt sie bei ihren Eltern in Fredenbüll.
»Im Studium läuft es super«, sagt Telje. »Und sonst? Na ja.« Ihr Freund und Kommilitone Tim hat sie gerade verlassen. Telje ist ziemlich down. Zumal es ihr und auch ihrem Vater ein Rätsel ist, warum er sich getrennt hat. Thies kann es überhaupt nicht verstehen. Er hält große Stücke auf Telje. Er hat das natürlich nie zugegeben und sich nichts anmerken lassen, aber Telje war immer seine Lieblingstochter. Sie war schon immer die plietschere, und Thies findet, auch die hübschere. »Ach, Thies, die Zwillinge sehen doch gleich aus«, meint Heike dagegen. »Bis auf die Klamotten, und da muss ich sagen …« In Sachen Mode ist Heike eher bei Eventmanagerin Tadje.
»Telje, warum triffst du dich nicht mal wieder mit Tjark?«, schlägt Heike vor.
Tjark war vor Jahrhunderten ihr erster Freund. Telje und Tadje hatten ihn zum Spaß abwechselnd geküsst. Und Tjark hatte es nicht gemerkt, weil die Zwillinge damals wirklich nicht auseinanderzuhalten waren.
»Tjark ist beim Amt in Leck. Wenn der so weitermacht, ist er bestimmt bald Amtsleiter.« Ihre Mutter nickt ihr aufmunternd zu.
»Mama, hör bitte auf!« Sie klingt richtig genervt. »Ich muss jetzt nicht unbedingt ’n Lover aus Fredenbüll haben.«
»Lover?! Was heißt dat denn?«, schaltet sich Thies ein. Mutter und Tochter verdrehen beide die Augen. Thies beißt krachend in ein Roggenbrötchen »Kliffkante«.
Telje bereut schon fast, dass sie nicht das Zimmer im Schwesternhaus genommen hat, das ihr das Krankenhaus angeboten hat. In Husum hätte sie auch abends noch mal weggehen können. Stattdessen geht sie nach dem Dienst im Krankenhaus mit Finn manchmal Baden. Nicoles Ältester muss etwas getröstet werden. Seine Meerschweinchen Matze und Marlies waren tragischerweise ganz plötzlich der sogenannten Meerschweinchenpest zum Opfer gefallen. Am Ende hatten die Tiere nichts mehr zu sich genommen und nur noch gezittert. Jetzt will Telje ihn ein bisschen auf andere Gedanken bringen. Und nach dem Schwimmen ist sie so erledigt, dass sie nur noch nach Hause will.
Die dienstfreie Zeit verbringt sie am Handy mit verschiedenen Dating-Apps. Sie hat gleich mehrere auf ihrem Smartphone. Es ist fast eine Sucht geworden. Auf der Bahnfahrt nach Husum wischt sie sich den einen oder anderen Kandidaten auf den Wunschzettel, vertreibt sich die Zeit mit einem kurzen Chat, bis ihr meistens schnell langweilig wird. Zum Match ist es bei ihr noch gar nicht gekommen. In Nordfriesland schon gar nicht. Je größer die Auswahl, desto größer die Chance, die große Liebe zu finden oder zumindest einen neuen Freund, meint Kommilitonin Lea. Irgendwie scheint das nicht zu funktionieren. Je mehr Typen, desto mehr Nieten, denkt Telje. Sie ist gestresst und steht kurz vor dem Dating-Burn-out. Neulich hat sie vom Slow-Dating gehört. Vielleicht sollte sie das mal probieren? Aber vielleicht muss sie auch erst mal über die Trennung von Tim hinwegkommen. Oder ob sie sich doch mal wieder mit Tjark trifft? Auf eine »Tote Tante« im »Café Wattblick«? Angeblich soll es das verstaubte Café in Neutönninger Siel immer noch geben.
Als ihr Vater sich ein Sechskornbrötchen »Blanker Hans« mit einer Scheibe Mettwurst belegt und von Telje dafür einen strafenden Blick erntet, klingelt sein Handy. Klaas ist dran.
»Thies, da sind angeblich riesige Kreise in dem Dinkel von dem jungen Schlotfeldt. Alles abgeknickte Halme. Hauke is da eben vorbeigekommen. Und dann erzählt Piet wat von …« Klaas stockt. »Dat erzählt er dir am besten selbst.«
»Und wat hab ich damit zu tun? Da is Schlotfeldt wahrscheinlich mit seinem Drescher im Kreis gefahren.« Thies beißt wieder in die krosse Kliffkante. »Auf dem Dinkelfeld is die Straßenverkehrsordnung außer Kraft, würd’ ich mal sagen.« Er blickt auf sein Brötchen.
»Nee, dat war nich Schlotfeldt. Dat sind mehrere exakte Kreise, wie mit dem Zirkel gezogen«, ruft der Schimmelreiter dazwischen.
»Dat waren die Außerirdischen, hundert Prozent!«, krächzt Piet Paulsen aus dem Hintergrund.
»Was sagt ihr da? Kornkreise? Außerirdische?« Thies beobachtet, wie der kleine Rasenroboter im Vorgarten seine Kreise zieht. »Ich bin gleich im Imbiss, auf’m Weg fahr ich da mal vorbei.«
»Ich muss dann auch mal los in die Klinik.« Telje trinkt noch einen letzten Schluck Tee und blickt dabei durch das Küchenfenster in den Vorgarten.
»Mama, was macht dein F3-B2 denn da?«, ruft Telje entsetzt.
»B3«, korrigiert Heike ihre Tochter.
»Scheißegal, das Ding ist hinter dem kleinen Igel her! Sieh mal! Du musst den stoppen! Sofort!« Der Tiermörder piept unternehmungslustig, der Igel gibt ein verzweifeltes Schnaufen und Schreien von sich.
»Scheiß Dinkel! Geh mir weg damit!«, ruft Altbauer Schlotfeldt aus der Tür seiner Einliegerwohnung heraus, die er in dem alten Bauernhof noch hat. Mehrmals am Tag öffnet sich die Tür, und manchmal stakst der notorische Choleriker in Hausschuhen auf den Hof und pöbelt seine wütenden Kommentare.
Imke sieht das mittlerweile gelassener. Viele Jahre hatte sie unter den Demütigungen ihres Schwiegervaters gelitten. Sören und sie hatten Pläne, von der Schweinezucht wegzukommen. Als Vegetarierin auf einem Schweinehof, das war doch ein Witz. Für Imke war es der Horror. Zusammen mit Sören hatte sie davon geträumt, alte Getreidesorten anzubauen. Aber der alte Schlotfeldt hatte es einfach nicht zugelassen. Ständig kommandierte er seinen Sohn herum, der sich lange nicht gewehrt hat. Zu ihren beiden Kindern Kimi und Merle ist er auch nicht gerade freundlicher. Und vor allem auf Imke hat er immer wieder herumgehackt.
»Dir fehlt der Stallgeruch, min Deern«, schimpft Altbauer Schlotfeldt immer noch. Was man von ihrem Schwiegervater in seiner alten Latzhose nicht behaupten kann. Aber eine solche Bemerkung verkneift Imke sich. Denn der Stallmief ist nach langen Jahren tatsächlich verschwunden und auch das dumpfe Brummen der Lüftung im Schweinestall. Nur bei schwülem, heißem Wetter ist immer noch mal etwas zu riechen. Das gedämpfte Grunzen der Tiere, von dem Imke sogar nachts geträumt hat, ist verstummt. Und Max und Moritz quieken fröhlich, wenn Imke mit einem Eimer Gemüseabfälle zur Fütterung kommt. Die beiden Bioschweine hat sie selbst großgezogen. Muttersau Helene ist vor einiger Zeit an Altersschwäche gestorben, und an eine Schlachtung ist auch bei Max und Moritz nicht zu denken. Jetzt hat das Jungbauernpaar sich durchgesetzt und von der Schweinezucht auf Getreide umgestellt. Das Biosiegel fehlt noch, aber da arbeiten sie dran. Und dann gibt es jetzt den kleinen Hofladen »Schlot(feldt) und Korn« mit verschiedenem Getreide und Gemüse aus eigener Produktion. Auch der treibt dem Senior immer wieder die Zornesröte ins Gesicht.
Breitbeinig stakst der Alte mit O-Beinen über den Hof, in der Rechten den Holzknüppel, mit dem er früher die Schweine in ihre Kastenstände oder den Viehtransporter getrieben hat. Mit diesem Knüppel hatte er angeblich auch seine Frau geschlagen, die nach mehreren Misshandlungen vor langer Zeit auf einmal verschollen war und Jahre später dann von ihrem Enkel tot im Güllebecken entdeckt worden war. Jetzt sitzt der Alte den ganzen Tag in seiner neonausgeleuchteten und nie gelüfteten Wohnküche und grollt vor sich hin, löst Kreuzworträtsel und stiert die Zeitung an. An den Wänden hängen mehrere ausgestopfte Vögel, Bisamratten und Fischotter. Es riecht nicht gut in diesem Raum und Herbert Schlotfeldt riecht auch nicht besonders gut.
Imke atmet durch den Mund, als sie kurz zu Ihrem Schwiegervater in die Wohnküche sieht. »Herbert, brauchst du irgendetwas? Ich fahr gleich zum Einkaufen nach Bredstedt.« Sonderlich freundlich klingt sie dabei nicht. Aber am Ende kümmert sie sich dann doch um den Alten. Vielleicht ein Duftspray, denkt sie. Oder einfach mal lüften?
»Bring mir ’n Viertel Jagdwurst mit!«, blökt er. »Schlimm genug, dat wir uns die Wurst im Supermarkt kaufen müssen.«
»Dafür haben wir jetzt unseren eigenen Dinkel und eigenes Gemüse.«
»Scheiß Dinkel!« Für Schlotfeldt ist das ein Reizwort. »Wir sind Schweinebauern und keine Müller.«
»Lass man, der Dinkel steht dieses Jahr wie ’ne Eins. Sören meint, der wächst außerirdisch.«
»Nich ohne Grund«, brummt der Alte. »Hat er wohl ’n büschen nachgeholfen.«
»Was heißt das jetzt?«
Schlotfeldt zuckt nur die Achseln unter den Trägern seiner speckigen Latzhose. Und Imke tut es als einen seiner blöden Sprüche ab.
»Wo ist Sören überhaupt?«
»Auf dem Feld draußen«, gibt sie rotzig zurück.
Sören war sogar gestern noch mal draußen. Und heute gleich wieder. Er wirkte vollkommen durcheinander. Irgendetwas war mit dem Dinkel. Er stand angeblich gar nicht mehr so gut. Er hatte von Verwüstungen gesprochen. Dabei hatte es doch gar keinen Sturm oder Gewitter gegeben. War da von Kornkreisen die Rede? Sehr seltsam. Imke hatte gar nicht mehr vernünftig mit ihm reden können, bevor er vorhin mit dem Trecker rausgefahren ist, zusammen mit Kimi, der in der Schule nur drei Stunden hatte und unbedingt mitwollte.
Imke gießt die Dahlien, die gerade aufblühen, und gibt auch den Schlingpflanzen vor dem Jauchesilo einen Spritzer mit dem Gartenschlauch. Es hat seit Tagen nicht geregnet. Das alte Güllebecken, in dem der kleine Kimi vor vielen Jahren seine in der Jauche dümpelnde tote Oma entdeckt hatte, steht noch da. Aber es ist leer. Auf dem kalten Beton ranken Efeu und Knöterich. Zwischen den Betonplatten sprießt Wegerich. Und dazwischen picken ein paar Hühner herum. Nur der neue Plastiktank mit dem Label BioChem stört das Bild. Das Supermittel, behauptet Sören, eine neue Generation des Pflanzenschutzes, nachhaltig und hocheffizient. Irgendwie ist Imke die Sache nicht ganz geheuer. Sie würde sich lieber auf die getrockneten Seesterne konzentrieren, mit denen sie seit kurzem ebenfalls als Dünger und auch als Hühnerfutter experimentieren. Indigene Völker haben das vor Urzeiten schon als Dünger genutzt. Dann können sie das doch hier jetzt auch wieder machen. Nordsee, Natur, Nachhaltigkeit, meint Imke.
Sie will gerade ihre Sachen für den Einkauf zusammenpacken und räumt leere Selterskisten ins Auto. In dem Augenblick donnert Sören auf seinem Trecker mit überhöhter Geschwindigkeit auf den Hof. Kimi springt sofort von dem Notsitz herunter. »Mama, wir müssen sofort die Polizei rufen.«
»Imke, hast du dein Handy dabei? Mein scheiß Akku ist schon wieder alle.«
»Was ist denn los?«
Bounty traut seinen Augen nicht. Was ist das für ein nobler dunkler Schlitten, der mit knirschenden Reifen ansonsten geräuschlos auf seine Auffahrt rollt? Er ist gerade aus der »Hidden Kist« zurück und dabei, seine Ziege Jimi zu füttern und nach seinem Gemüsebeet und den speziellen Kräutern zu sehen.
Die Fahrertür des schwarzen Elektro-Coupés öffnet sich, eine Frau steigt aus dem Wagen. Bounty und Jimi sehen staunend zu ihr hinüber. Die Frau mit der modischen Kurzhaarfrisur in dem stylischen schwarzen Hosenanzug kommt so selbstverständlich auf die beiden zu, als kenne sie sich hier aus, als sei sie hier zu Hause.
»Na, Bounty, kennst du mich nicht mehr«, ruft sie mit rauer Stimme. Sie bleibt kurz stehen, dann kommt sie näher und gibt ihm einen Kuss auf die schlecht rasierte Wange.
»Gibt’s doch nich. Ufo! Du?« Er sieht sie prüfend an. »Is ja geil!« Er hat das frühere Mitglied der Fredenbüller Kommune tatsächlich kaum wiedererkannt. Früher sah Ufo immer ein bisschen aus wie Janis Joplin. Aber kann man sich Janis Joplin im Business-Kostüm vorstellen? An die neue Frisur und das Outfit muss Bounty sich erst gewöhnen. An der Stimme hat er sie aber gleich erkannt.
Die Zeiten der Landkommune sind über dreißig Jahre her. Damals hatten sie zu viert und manchmal auch zu sechst oder siebt in dem immer schon etwas baufälligen Haus an der Reusenbüller Drift gelebt. Die Besetzung hatte immer wieder gewechselt. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Aber Ufo, die eigentlich Uschi Fosberg heißt, die damalige Chemiestudentin hatte eine ganze Weile in der Kommune gelebt, zumindest in der vorlesungsfreien Zeit. Und Ufo zeigte viel Geschick, in ihrem Studium die Vorlesungen zu umgehen. Die Uni konnte ihr ohnehin nicht mehr viel beibringen. Schon in den unteren Semestern war Uschi eine geniale und höchst kreative Chemikerin. Über Nacht hatte sie einen Cocktail entwickelt, der die grassierende Rattenplage im Haus innerhalb kürzester Zeit beendete. Aber wirklich berühmt war sie für die selbst kreierten bunten Pillen, die den Kommunenmitgliedern ebenso bunte Trips wie zu fernen Sternen bescherte, was ihr den Spitznamen Ufo einbrachte. Als Uschi Fredenbüll verließ, war es vorbei mit den magischen Flugreisen auf Pillenbasis. Bounty verlegte sich auf das Sammeln von Pilzen und das Düngen seiner Kräuter.