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Studienarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1,7, Universität Stuttgart (Literaturwissenschaft), Veranstaltung: HS: Antike Mythen in mittelalterlichen Texten, Sprache: Deutsch, Abstract: Ziel dieser Hausarbeit ist es, zu untersuchen, ob es so etwas wie eine mittelalterliche Konzeption der rächenden Frau gibt. Zu diesem Unterfangen sollen exemplarisch die beiden Heroinen herangezogen werden, die am engsten mit der Rachethematik verknüpft sind: Medea und Kriemhilt. Medea gilt seit der Antike als die gnadenlose Rächerin schlechthin: "Das mit Medea verknüpfte Geschehen läßt einen dunklen Schicksalsfatalismus erkennen. Die Handlung ist unübertroffen in der Härte mit der sie eine Kette schicksalhafter und grauenvoller Taten herausstellt, die jede Hoffnung auf freie Selbstbestimmung des Daseins zerstören. Medea gibt Jason sinnbildlich das Leben zurück, indem sie ihm zuerst hilft, das goldene Vlies zu erbeuten, und dann seine Flucht aus Kolchis ermöglicht. [...] Sie nimmt jedoch alles zurück, was sie gegeben hat." Etwa den gleichen Stellenwert hat Kriemhilt für das Mittelalter; sie wird bisweilen sogar noch drastischer geschildert: "Ihr Wesen ist Rache, das Ziel ist Hagen, der Weg führt über die Leichen ihres Kindes, ihres Volkes, ihrer Brüder. Sie ist exemplarische Rächerin in furchtbarster Konsequenz." Ein Vergleich dieser beiden Figuren als mittelalterliche Rächerinnen ist jedoch nicht unproblematisch, was schon in der Materie selbst begründet ist: Kriemhilts Rache ist in quasi kanonischer Form im Nibelungenlied enthalten, bei dem es sich um einen gerade erst verschriftlichten Sagentext mit langer mündlicher Tradierung handelt. Bei Medeas Rache handelt es sich hingegen um eine Geschichte, die aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt, bereits seit über 1000 Jahren verschriftlicht war, über verschiedene Quellen an den mittelalterlichen Autor weitergeleitet wurde und in verschiedenen Varianten vorliegt. Trotzdem soll ein Vergleich in diesem Zusammenhang versucht werden, da diese beiden Gestalten wohl die prominentesten Vertreterinnen einer femininen Rache im Mittelalter sind und bei allen Unterschieden auch viele Ähnlichkeiten aufweisen, was im folgenden genauer erörtert werden soll.
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Universität Stuttgart
Institut für Literaturwissenschaft
Abteilung: Ältere Deutsche Philologie
Hauptseminar: Antike Mythen in mittelalterlichen Texten. Medea, Ödipus.
Wintersemester 2001 / 2002
Hausarbeit zum Thema:
KRIEMHILT UND MEDEA
Zur mittelalterlichen Konzeption der rächenden Frau
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Ziel dieser Hausarbeit ist es, zu untersuchen, ob es so etwas wie eine mittelalterliche Konzeption der rächenden Frau gibt. Zu diesem Unterfangen sollen exemplarisch die beiden Heroinen herangezogen werden, die am engsten mit der Rachethematik verknüpft sind: Medea und Kriemhilt. Medea gilt seit der Antike als die gnadenlose Rächerin schlechthin:1"Das mit Medea verknüpfte Geschehen läßt einen dunklen Schicksalsfatalismus erkennen. Die Handlung ist unübertroffen in der Härte mit der sie eine Kette schicksalhafter und grauenvoller Taten herausstellt, die jede Hoffnung auf freie Selbstbestimmung des Daseins zerstören. Medea gibt Jason sinnbildlich das Leben zurück, indem sie ihm zuerst hilft, das goldene Vlies zu erbeuten, und dann seine Flucht aus Kolchis ermöglicht. [...] Sie nimmt jedoch alles zurück, was sie gegeben hat."2
Etwa den gleichen Stellenwert hat Kriemhilt für das Mittelalter; sie wird bisweilen sogar noch drastischer geschildert:
"Ihr Wesen ist Rache, das Ziel ist Hagen, der Weg führt über die Leichen ihres Kindes, ihres Volkes, ihrer Brüder. Sie ist exemplarische Rächerin in furchtbarster Konsequenz."3Ein Vergleich dieser beiden Figuren als mittelalterliche Rächerinnen ist jedoch nicht unproblematisch, was schon in der Materie selbst begründet ist:
Kriemhilts Rache ist in quasi kanonischer Form im Nibelungenlied enthalten, bei dem es sich um einen gerade erst verschriftlichten Sagentext mit langer mündlicher Tradierung handelt.4Bei Medeas Rache handelt es sich hingegen um eine Geschichte, die aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt, bereits seit über 1000 Jahren verschriftlicht war, über verschiedene Quellen an den mittelalterlichen Autor weitergeleitet wurde und in verschiedenen Varianten vorliegt.5
Trotzdem soll ein Vergleich in diesem Zusammenhang versucht werden, da diese beiden Gestalten wohl die prominentesten Vertreterinnen einer femininen Rache im Mittelalter sind und bei allen Unterschieden auch viele Ähnlichkeiten aufweisen, was im folgenden genauer erörtert werden soll. - Da es im Rahmen dieser Arbeit jedoch leider nicht möglich ist, alle mittelalterlichen Medeenvarianten zu untersuchen,6wie es zweifelsohne notwendig wäre,
1Allerdings ist dieses Bild im Laufe der Zeit auch Wandlungen unterlegen, wie noch aufzuzeigen sein wird.
2Artikel "Medea" aus Daemmrich 1995, S. 252
3de Boor 1979, S. XXII
4Bei einer Sage in eigentlichem Sinne handelt es sich um einen Gegenstand mündlicher Überlieferung, der - im
Gegensatz zum Märchen - einen historischen Kern hat und nicht nur unterhalten will, sondern einen subjektiven
Glauben an die Wirklichkeit des Erzählten impliziert. (vgl. auch Artikel "Sage" im Sachwörterbuch der
Mediävistik 1992, S. 721)
5Grundsätzlich muß zur mittelalterlichen Rezeption antiker Stoffe gesagt werden, daß die antiken Helden im
Sinne einer Beugung des antiken Stoffes durch die mittelalterliche Form umstilisiert und den herrschenden
Gegebenheiten angepaßt wurden. (vgl. auch Artikel "Antikenrezeption" im Sachwörterbuch der Mediävistik
1992, S. 39)
6Wie bereits erwähnt stellt sich dieses Problem im Falle Kriemhilts nicht, wollen wir die nordische Kriemhilt-
Version "Gudrun" außer acht lassen, was wir tun müssen, da dies sonst den Rahmen dieser Arbeit um ein Er-hebliches sprengen würde.
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wollte man anhand eines exemplarischen Vergleiches dieser beiden Personen eine Gesamtkonzeption der rächenden Frau im Mittelalter vorlegen, birgt dies die Notwendigkeit in sich, eine Variante stellvertretend für die vielen herauszugreifen: Hierzu soll auf die in Konrad von Würzburgs "Trojanerkrieg" enthaltene Textfassung von Medea und Jason zurückgegriffen werden.7
Neben einer ausführlichen Untersuchung von Medeas und Kriemhilts Rache, der eine einleitende Besprechung des Prinzips der Rache und seiner - für diesen Zusammenhang entscheidenden - Unterform der Blutrache selbst, sowie der Möglichkeiten einer Frau zur Umsetzung derselben im Mittelalter vorangehen soll, wird in diesem Rahmen auch auf die strukturelle Verknüpfung des Rachemotivs mit anderen Leitmotiven in den behandelten Texten einzugehen sein. Abschließend sollen dann Motive und Vollzug der Rache durch Medea und Kriemhilt, sowie ihr Gesamtbild miteinander verglichen und geklärt werden, ob anhand eines exemplarischen Vergleiches dieser beiden Rächerinnen par excellence so etwas wie eine mittelalterliche Konzeption der rächenden Frau denkbar ist.
In den überlieferten mittelhochdeutschen Texten wird "Rache" aus den verschiedensten Motiven ausgeübt: so etwa aus Verletzung der Ehre, aus Lehns- oder Bündnispflicht und aus Verwandtschafts- oder Freundschaftsbindung, um nur die häufigsten Beweggründe zu nennen.8
Das Motiv selbst grenzt Ereignisse ab, die die Vergeltung hervorrufen, stellt kausale Beziehungen her und ordnet den Aufbau der Handlung.
"Das Motiv verleiht Texten eine Atmosphäre des Geheimnisvollen und erzeugt durch den Entwurf und die Ausführung der Rachepläne stark entwickelte Spannungsbögen. In der Begründung der Vergeltung spielen sowohl individualpsycholgische Faktoren als auch gesellschaftliche Faktoren eine Rolle. [...] Der Rächer versucht die Ungerechtigkeit der Welt auszugleichen, nachdem er physischen Schaden, finanzielle Einbuße und seelisches oder geistiges Unheil erlitten hat. [...] Die hochfliegenden Pläne werden jedoch im Verlauf des Geschehens häufig kompromittiert. [...] (Das Motiv bewirkt) eine strukturell schematische Handlungsfolge: tief empfundene, persönliche Beleidigung - Tatsachenermittlung - Ausarbeitung des Racheplans - Ausführung - sinnentleerter Triumph."9
7Nach Lévi-Strauss handelt es sich beim Mythos um ein symbolisches Zeichensystem zur Erkenntnis und zur
Strukturierung der Wirklichkeit; in diesem Sinne ist es seinem Wesen immanent, daß er viele Varianten kennt,
von denen keine einen Anspruch auf Originalität erheben kann, so daß auch die Untersuchung der von Konrad
vorgelegten Medea-Version nur eine von vielen denkbaren Möglichkeiten darstellt, die nicht mehr und nicht
weniger gerechtfertigt ist, als es die exemplarische Analyse einer anderen Variante wäre. (vgl. auch Artikel
"Mythologie" und "Mythos" im Sachwörterbuch der Literatur 1989, S. 599 ff.)
8vgl. Holzhauer 1997, S. 26 f.
9Daemmrich 1995, S. 284 f.
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- So oder so ähnlich stellt es sich auch in den hier vorliegenden Texten dar. Der Begriff selbst kann als Vergeltung für verletzte Ehre umschrieben werden, die von einem einzelnen oder von einem Verwandtschaftsverband geübt wird und in früheren Zeiten ein gebräuchliches Mittel war, sich auf dem Weg der Selbsthilfe Recht zu verschaffen und die persönliche oder gemeinschaftliche Ehre wiederherzustellen.10Die Bedeutung des Wortes umfaßt die Begriffe "Verfolgung", "Strafe", "Elend"; der etymologisch verwandte "Recke" ist somit als ein Verfolgter, ein Landesflüchtiger zu charakterisieren.11Die Ausübung der Rache wurde im Mittelalter als quasi sakrale Treuepflicht verstanden
- auch gegenüber toten Angehörigen - und bisweilen bis zum Kult gesteigert.12Von der Sippe getragen, zielte die Rache nach dem Verursacher-, nicht nach dem Schuldprinzip, was beispielsweise bei Brünhilds Rache, die auf Siegfried, nicht auf Gunther ausgerichtet ist, deutlich erkennbar ist.13