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Forschungsarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Kulturwissenschaften - Sonstiges, , Veranstaltung: Theologie; Kulturgeschichte; Literaturwissenschaft, Sprache: Deutsch, Abstract: Das vorliegende Buch geht auf ein Referat zurück, das auf der wissenschaftlichen Jahrestagung des Litauischen Kulturinstituts in Lampertheim-Hüttenfeld (11. bis 13. Oktober 2013) vorgetragen wurde. Im Mittelpunkt der Tagung stand ,,Der preußisch-litauische Dichter Donelaitis/ Donalitius und seine Zeit". Referenten aus Litauen, Polen und Deutschland präsentierten literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche sowie historische und theologische Überlegungen zum Werk des Pfarrerdichters, der mit seiner Jahreszeiten-Dichtung ,,Metai" am Anfang der litauischen Literaturgeschichte steht. Der konkrete Anlass zur Beschäftigung mit Donelaitis (1714-1780) war durch die 300. Wiederkehr seines Geburtsjahres 1714 gegeben. Auf der o.g. Tagung war mir die Aufgabe zuteil geworden, ,,Donelaitis' Werk im religiösen und theologischen Kontext des 18. Jahrhunderts" zu behandeln. Es versteht sich von selbst, dass der vorgegebene Rahmen nur eine skizzenhafte Annäherung und die Entfaltung weniger exemplarischer Sachverhalte erlaubt hat. In meinem Referat habe ich die geistige Verbundenheit des Pfarrer- dichters mit der Königsberger Theologie, wie sie sein Lehrer Franz Albert Schultz (1692-1763) vertreten hat, herausgestellt. Informationen zur Religionsgeschichte Ostpreußens und zu Denkmustern bei Donelaitis lieferten Voraussetzungen, um die Plausibilität einer theologischen Interpretation zu vertiefen. Für die vorliegende Veröffentlichung wurde das Referat in allen Teilen überarbeitet und durch Bildmaterial ergänzt.
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Das vorliegende Buch geht auf ein Referat zurück, das auf der wissenschaftlichen Jahrestagung des Litauischen Kulturinstituts in Lampertheim-Hüttenfeld (11. bis 13. Oktober 2013) vorgetragen wurde. Im Mittelpunkt der Tagung stand „Der preußisch-litauische Dichter Donelaitis/ Donalitius und seine Zeit“. Referenten aus Litauen, Polen und Deutschland präsentierten literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche sowie historische und theologische Überlegungen zum Werk des Pfarrerdichters, der mit seiner Jahreszeiten-Dichtung „Metai“ am Anfang der litauischen Literaturgeschichte steht. Der konkrete Anlass zur Beschäftigung mit Donelaitis (1714-1780) war durch die 300. Wiederkehr seines Geburtsjahres 1714 gegeben.
Auf der o.g. Tagung war mir die Aufgabe zuteil geworden, „Donelaitis’ Werk im religiösen und theologischen Kontext des 18. Jahrhunderts“ zu behandeln. Es versteht sich von selbst, dass der vorgegebene Rahmen nur eine skizzenhafte Annäherung und die Entfaltung weniger exemplarischer Sachverhalte erlaubt hat. In meinem Referat habe ich die geistige Verbundenheit des Pfarrerdichters mit der Königsberger Theologie, wie sie sein Lehrer Franz Albert Schultz (1692-1763) vertreten hat, herausgestellt. Informationen zur Religionsgeschichte Ostpreußens und zu Denkmustern bei Donelaitis lieferten Voraussetzungen, um die Plausibilität einer theologischen Interpretation zu vertiefen. Für die vorliegende Veröffentlichung wurde das Referat in allen Teilen überarbeitet und durch Bildmaterial ergänzt.
Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Leben und Wirken des Pfarrers von Tolmingkehmen
1. Herkunft – Studium – Neigungen
2. Pfarramt in Tolmingkehmen
3. Das Selbstverständnis des Donelaitis und der Separationsstreit
4. Die „Fremden“ als Herausforderung
5. Verhältnis zur Obrigkeit
6. Empfehlungen für den Nachfolger
7. Entwicklung einer unbekannten Begräbnisstätte zum Museum und ‚nationalen Wallfahrtort’
II. Das literarische Werk
1. Der Nachlass
2. Textausgaben und Übersetzungen
3. Würdigung: Der „litauische Theokrit“
III. Donelaitis im Kontext des Königsberger Jahrhunderts: Theologiegeschichtliche Lektüre
1. Ein Dokument als Wegweiser
2. Der religionspolitische und sozialgeschichtliche Prätext
2.1 Staat und Kirche in Preußen
2.2 Ostpreußen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
3. Das Phänomen „Pietismus“
Exkurs: Glaube - Lernen - Arbeit
4. Der Pietismus in Königsberg
4.1 Eine pädagogische Initiative
4.2 Heinrich Lysius und das „Rétablissement“
4.3 Der Pietismus an der Macht: Schüler des heiligen Geistes
4.4 Franz Albert Schultz – Glanzzeit des Pietismus in Königsberg
4.5 Übergang: Daniel Heinrich Arnoldt
5. Gegner des Pietismus in Königsberg
5.1 Johann Jacob Quandt
5.2 Antipietistische Stimmen in Königsberg
6. Versöhnung von Glaube und Vernunft
IV. Gott – Natur – Vernunft Weisheitlich aufgeklärte Frömmigkeit
1. Realismus mit Vorbehalt
2. Perspektive der Schöpfung
3. Empathie und Kritik
4. Die Natur als Lehrmeisterin
Exkurs: Physikotheologie
5. Erfahrung und Weisheit: Conditio humana
Exkurs: Zur Erfahrungsweisheit im Alten Testament
6. Pädagogisches Ethos: Mit Bedacht und Vernunft
Exkurs: Was meint Donelaitis, wenn er von „Maß“ spricht?
V. Epilog: Nur „müßiges Geplauder“?
Anhang
Literatur
Herkunft der Abbildungen
Christian Donalitius resp. Kristijonas Donelaitis, der 37 Jahre, von 1743 bis 1780, in Tolmingkehmen, einem Dorf am Rand der Rominter Heide als protestantischer Pfarrer gewirkt hat, gilt als „Klassiker der litauischen Literatur“ und wird in Litauen neben Martynas Mažvydas (1510-1563)[1], Verfasser des ersten Buches in litauischer Sprache (1547), gestellt. Seit 1971 gibt es in Kirche und Pfarrhaus von Tolmingkehmen oder „Tschistye Prudy“, wie der Ort heute auf Russisch heißt, ein Museum, das die Erinnerung an den Pfarrerdichter pflegt.
Abb. 2: Donelaitis-Museum in der Kirche von Tolmingkehmen/ Tschistyje Prudy
Donelaitis führte eine „sprachliche Doppelexistenz“, d.h., er bewegte sich sowohl im deutschen wie im litauischen Sprachmilieu. Diese „Doppelheit“ hat keine diffuse „Doppeldeutigkeit“ in seinem Schreiben und Handeln angelegt. Seine Liebe galt zweifelsfrei den einfachen Bauern litauischer Herkunft, als deren Seelsorger, Anwalt und Lehrer er sich berufen fühlte. Er selbst hat nichts unternommen, um sein dichterisches Werk in der literarischen Welt bekannt zu machen. Wiewohl Zeitgenossen die Bedeutung des Dichters Donelaitis erkannten, erschien erst 1818 das Hauptwerk, das ihn berühmt machen sollte: „Das Jahr in vier Gesängen, ein ländliches Epos aus dem Litthauischen des Christian Donaleitis, genannt Donalitius, in gleichem Versmaß ins Deutsche übertragen“[2].
Ludwig Rhesa (1776 - 1840), Theologieprofessor und Lituanist in Königsberg, gebührt der Verdienst, die erste Übersetzung ins Deutsche vorgelegt zu haben. Angeregt durch Wilhelm von Humboldt hatte Rhesa die Initiative ergriffen und Donelaitis’ Werk einem größeren Leserkreis bekannt gemacht. Seinem „Vorbericht“ schickte er einen Hexameter voraus, nicht nur um dem großen Gelehrten Dank abzustatten. Er ordnete Doneleitis in die Literaturgeschichte ein und wollte, zumal in den letzten zwei Zeilen, die Intention des Dichters erfassen. Hier liegt also die „erste Interpretation“ des Jahreszeiten-Gedichts vor. Rhesa verstand sich selbst in der Nachfolge des Donelaitis als Förderer des Litauischen als Volkssprache:
„An der Rominta Gestad’ umkränzet von grünenden Rauten,
Sang der Sänger, entsprossen uralter Leitonen Geschlechte,
Patriarchalischer Sitten, Unschuld und häusliche Tugend,
Schlicht auf ländlicher Flöte die seligen Wonnen des Jahres;
Frühling, Nachtigalsang, Aufspross der Blumen und Saaten;
Arbeitseligen Sommer der bastsohlentragenden Männer,
Gabenspendenden Herbst, Brautkranz, Festjubel und Gastmahl;
Winterflammen am Heerd unter schneebestürmetem Halmdach,
Wenn geschäftig sich regt sammt spinnenden Mägden, die Hausfrau.
Also die blühenden Zeiten des sternendurchwandelnden Jahres
Lehrt’ er die dörfliche Schaar haushalten in fleissiger Stille,
Gott auch fürchten von Herzen und lieben die Heimath der Väter“.
Die Wirkungsgeschichte der Jahreszeiten-Dichtung indes zeigt einen komplexen Verlauf. Im 19. Jahrhundert sind noch drei weitere Übersetzungen ins Deutsche erschienen[3], die von philologischen und sprachwissenschaftlichen Diskussionen begleitet waren. Aufmerksame Lektüre läßt die in jener Zeit in Deutschland herrschenden romantischen bzw. historistischen Maßstäbe erkennen. Danach hat das Interesse an Donelaitis in der deutschen Literaturwissenschaft nachgelassen. Im litauischen Sprachraum begann eine intensivere Beschäftigung mit Donelaitis relativ spät. Verantwortlich dafür waren die besonderen politischen Umstände im 20. Jahrhundert, die eine Vielfalt widersprüchlichster Interpretationen und Aneignungen[4] haben entstehen lassen.
Abb. 3: Die Donelaitis-Skulptur wurde zum 250. Geburtstag 1964 in der Universität Vilnius aufgestellt.
Die Wiederkehr des 250. Geburtstages 1964 und die Errichtung der Gedenkstätte in Tolmingkehmen haben der Forschung neue Impulse gegeben. Zudem wurde Donelaitis durch Übersetzung seiner Jahreszeiten-Dichtung über die Grenzen Litauens bekannt und weckte großes Interesse. In der Gegenwart sieht sich die Beschäftigung mit dem Werk von Donelaitis nicht nur mit einer verwickelten Wirkungsgeschichte in Deutschland wie in Litauen konfrontiert, sondern stößt auch bald auf ein hermeneutisches Dilemma.
Eine Beobachtung, die während jener im Vorwort genannten Konferenz 2013 gemacht werden konnte, mag das konkretisieren. Sowohl in den Vorträgen als auch in der Diskussion wanderte der Focus immer wieder zurück zum „historischen Donelaitis“, d.h., es wurden Fragen zu Leben und Werk (wo? wann? warum? wie? womit? zu wem? mit wem? gegen wen? o.ä.) aufgeworfen. Oder man verfolgte Spuren des „philologischen Donelaitis“, d.h., suchte sich dem Profil des Pfarrerdichters durch Analyse von Phraseologie, Metrik, Folklore, Textsortenproblemen o.ä. zu nähern. In beiden Fällen musste sich das Fragen meist mit Vermutungen zufrieden geben, weil die Quellen das historische Interesse nicht „bedienten“ bzw. die Analyse nicht zu letzter Klarheit führte. Daneben kam ein dritter Aspekt immer wieder zur Sprache, der „rezipierte und interpretierte Donelaitis“, d.h., der Pfarrerdichter in einem Frage- und Deutungshorizont, den er selber nicht ausgesucht hatte. Vielmehr wurde dieser von außen (Leser, Forscher, Interpreten) gesetzt. Und Letztere ‚verstanden den Autor oft besser’, als dieser selbst es intendiert hatte oder hätte zum Ausdruck bringen können. Ob die Ausleger in ihrem Vorgehen je die Überlegungen Friedrich Schleiermachers zur Sache bedacht haben, sei dahingestellt.
Jede der drei Fragerichtungen hat ein begrenztes Recht und trägt wichtige Elemente zum Verständnis des behandelten Werkes bei. Allein, es wäre falsch, den „historischen Donelaitis“ gegen den „interpretierten Donelaitis“ bzw. den „philologischen“ auszuspielen (und umgekehrt). Auch sagt eine bloße Wiederholung von historischen Fakten nicht unbedingt etwas über deren Bedeutsamkeit aus. Andererseits läuft jede Rezeption Gefahr, einseitig oder subjektiv einzelne Aspekte eines Werkes zu verabsolutieren und als Schlüssel zum Ganzen auszugeben. Das hermeneutische Dilemma erweist sich aber als eine produktive Herausforderung in dem Maße, wie „Lektüre“ sich der Komplexität im Prozess von Lesen und Verstehen bewusst ist.
Es ist keine Frage, dass in dieser Studie die drei Forschungsakzente vorausgesetzt werden. Sie sollen aber, ohne fachspezifische Diskussionen, durch literaturwissenschaftliche Impulse, die unter dem Titel „Intertextualität“ durch Julia Kristeva, Gerard Genette u.a. bekannt gemacht worden sind, ergänzt werden. „Kein Text setzt am Punkt Null an“ (Karlheinz Stierle, Werk und Intertextualität, in: Das Gespräch, hrsg. von Karlheinz Stierle und Rainer Warnig, München 1984, 139-150; 139). Beabsichtigt oder unbeabsichtigt ruft jedes literarische Werk andere Werke ins Gedächtnis. Genette (Palimpsestes. La Littérature au second degré, Paris 1982; dt. Frankfurt/ Main 1993, 14f; 18ff) nennt den zu interpretierenden Text Hypertext, der sich stets auf einen oder mehrere Hypotext(e) bezieht. In expliziten oder impliziten Referenzen sind kulturelle Phänomene, Ereignisse, Autoren der Vergangenheit ebenso präsent wie ihre zeitgenössischen Analogien. Darum kann man das vorliegende Werk als Kreuzungspunkt unterschiedlicher Texte betrachten, bzw. als Hinweis auf eine „sich beständig wandelnde Konfiguration“ (Stierle, ibd.). Der Autor kommt dort ins Spiel, wo er bewusst oder unbewußt die Referenzen herstellt und eine Intention realisiert. In diesem referentiellen Verfahren wird sein Ziel epiphan, das sich keineswegs auf Applikation oder Fortführung einer Idee beschränkt, sondern meist Überbietung, Transformation im Blick hat, weil es um literarische Weltgestaltung in der sich wandelnden Geschichte geht. Der neue Text kann die Folge von Verbesserungen, Erweiterungen oder Umstellungen sein. „Die Konfiguration der Texte, der sich der Text verdankt, ist aber nicht identisch mit der Konfiguration, in die der Text für seinen Leser tritt“ (Stierle, ibd.). Daher ist nicht nur die produktionsästhetische Text-Autor-Dimension zu berücksichtigen. Nicht minder relevant ist die Rolle des Lesers/ Interpreten in diesem Vorgang (rezeptionsästhetische Dimension), insofern auf einer Meta-Ebene die Textur unter neuen Konditionen betrachtet wird. Lesen und Verstehen gehen hier die Beziehung einer dialektischen Interaktion ein. Der Leser/ Interpret nimmt im Geflecht der Textur z.B. semiotische, phänomenologische, pragmatische Spuren auf, klärt sie auf, macht sie transparent, verfolgt ihre Tragweite. Zugleich geschieht aber auch, „Reduktion“, „Ausgrenzung“, „Verortung“ oder, positiv ausgedrückt, „Steigerung der Aufmerksamkeit“ (Stierle, 145). Letztlich geht es aber doch um den „Kanon“, vor den das historische wie das interpretierte Werk seine jeweiligen Leser stellen will. Weil mit diesem Schritt erst recht die Denk-Arbeit beginnt, bleibt der „Prozess der Interpretation“ grundsätzlich offen. Selbst wenn, wie in dieser Studie, eine Focussierung vorgenommen wird. Geschieht das doch mit der Absicht, einem vernachlässigten Aspekt, nämlich dem Theologen Kristijonas Donelaitis, Gehör zu verschaffen.
In Diskursen zur Literatur- und Geistesgeschichte der Frühen Neuzeit ist häufig vom „Königsberger Jahrhundert“[5] die Rede. Damit wird auf die Impulse angespielt, die von Johann Christoph Gottsched, Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant, Theodor Gottlieb von Hippel d.Ä., aber auch von theologischen Denkern im 18. Jahrhundert ausgegangen sind. Kant nannte „Königsberg am Pregelflusse … einen schicklichen Platz zur Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis …, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann“[6]. Als Hauptstadt Ostpreußens beherbergte Königsberg, die zu jener Zeit ca. 47 600 Einwohner zählte, verschiedene staatliche Behörden, so die Regierung (das Etats-Ministerium), das Konsistorium, die Kriegs- und Domänenkammer, das Kommerzkollegium u.a. Zu den zahlreichen Beamten kam im Laufe der Zeit noch das Militärpersonal dazu. Den ersten Platz unter den Institutionen nahm ohne Zweifel die Universität ein. Im geistigen Horizont dieser Stadt wurden die Fundamente für das theologische Selbstverständnis und die Sprachsensibilität des Kristijonas Donelaitis gelegt, die sein literarisches Werk profiliert haben.
Während des Dritten Reiches war eine Beschäftigung mit Donelaitis im deutschsprachigen Raum nicht opportun. Ideologische Gründe hatte ihn an den Rand gedrängt[7]. Nach 1945 änderte sich die Situation ein wenig. Im exklusiven Kreis der Lituanisten und Kulturhistoriker war der Dichter der „Jahreszeiten“ durchaus ein Begriff. Doch blieb auch im Gefolge des sog. Kalten Krieges das Interesse gering.
Eine Ausnahme unter den Dichtern und Schriftstellern, die das Bewusstsein an Ostpreußen als Kulturraum wach gehalten haben, war Johannes Bobrowski (1917-1965), der mit seinem Werk gegen das Vergessen und die Geschichtslosigkeit geschrieben hat. So auch im Fall von K.Donelaitis. Bobrowskis Roman „Litauische Claviere“ (1966) verschränkt die Biographie des Pfarrerdichters mit einer Episode im deutsch-litauischen Grenzgebiet in den Jahren des Dritten Reiches. Ein weiteres Beispiel ist sein Gedicht „Das Dorf Tolmingkehmen“ (1962)[8], das in der ihm eigenen Diktion die Atmosphäre um Donelaitis präsentiert[9].
Das Dorf Tolmingkehmen
Die Mittagsfeuer verbrannt,
über der Linde Rauch,
dort geht er mit weißem Haar,
die Leute sagen:
Bald wird kommen der Abend,
einer beginnt den Gesang,
die Felder tragen ihn fort.
Komm noch ein Stück, Donelaitis,
der Fluß will sich heben mit Flügeln,
ein Habicht, ein Taubenfeind,
der Wald mit den schwarzen Häuptern
richtet sich auf, es ruft
windig über den Berg.
Dort leben die Gräser.
Auch dieser Tag fährt herab,
unter die Galgenschatten
der Brunnen, das Fensterlicht
windlos, das Kienlicht sagt
mäusestimmig
den Segen auf.
Du schreib über das Blatt:
Der Himmel regnete Güte,
und ich sah die Gerechtigkeit
warten, daß sie herabführ
und käme der Zorn.“
Bei der Lektüre des Textes steigt vor dem inneren Auge des Lesers ein Porträt des Pfarrerdichters Donelaitis auf, so wie Bobrowski ihn verinnerlicht hat. Bobrowski fühlt sich dem Vorgänger und der Landschaft zutiefst verbunden. Als Reverenz ist wohl die Übernahme der Metrik in seinem Gedicht (z.B. Hexameter in V. 8/9, 21/22 und 23/24) zu verstehen. Brachten die ersten Blöcke dunkle Töne in das Gedicht („Abend“; der „Tag fährt herab“; ein „Kienlicht“ stemmt sich gegen die Dunkelheit), so verschärft der Schluß die Spannung mit einem drohenden Unterton. Der die Summe schreibt, ist Seher und Künder des Unheils zugleich. Weil die Güte des Himmels zurückgewiesen wurde, nimmt die Gerechtigkeit ihren Lauf. Das letzte Wort ist „Zorn“. Deutet der Dichter mit der Verarbeitung alttestamentlicher Referenzen[10] ein Fazit ohne Hoffnung an? Wer spricht - Donelaitis oder Bobrowski?
Das Wagnis, den Pfarrerdichter Donelaitis in die Gegenwart zu „rufen“[11], das Bobrowski unternommen hat, hebt das hermeneutische Dilemma (s.o.) nicht auf. Es motiviert aber zur Wahrnehmung des Theologen Donelaitis. Das soll im Folgenden im Horizont des „Königsberger Jahrhunderts“ geschehen.
Abb. 3a: Ieva Labutytė (1938-2003). Donelaitis – Bobrowski – Tolmingkehmen