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Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Interkulturelle Pädagogik, Note: 1,0, Pädagogische Hochschule Heidelberg (Institut für Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: In der Arbeit werden die beiden monotheistischen Religionen Christentum und Islam anhand verschiedener Symbole verglichen. Neben Licht-, Engels-, Höllensymbolik usw. stehen vor allem Symbole der Gewalt in Anbetracht der Ereignisse des 11. Septembers 2001 im Mittelpunkt. Eine fundierte Analyse der Symbolbedeutungen und des historischen sowie aktuellen Vorkommens geht der Entwicklung eines symboldidaktischen, interkulturellen Konzepts für den Ethik- und oder Religionsunterricht voraus.
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Kritische Vergleiche von Symbolen in christlich und
islamisch fundierten Kontexten und ihre Bedeutung für die
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Vorwort
„Kritische Vergleiche von Symbolen in christlich und islamisch fundierten Kontexten und ihre Bedeutung für die interkulturelle pädagogische Arbeit“, so lautet der Titel dieser Arbeit. Aber was steckt hinter dieser Ankündigung? Was sind kritische Vergleiche und welche Auswirkungen haben sie auf interkulturelle pädagogische Konzepte? Was bedeutet überhaupt interkulturelle Pädagogik und was ist unter christlich und muslimisch fundierten Kontexten zu verstehen? Auf all diese Fragen will die vorliegende Arbeit versuchen Antworten zu geben, so dass der Titel nach der Lektüre um einiges verständlicher erscheinen sollte. Nachdem der Einleitungsteil zunächst dazu dienen soll zu klären, was man überhaupt unter einem Symbol versteht, wird zunächst die Verbindung von Symbolik und Religion erörtert, um schließlich die Umwelt unserer Gesellschaft auf entsprechend religiöse Symbole hin zu untersuchen.
Der Wissenschaftliche Hauptteil, der den eindeutigen Schwerpunkt der Arbeit bildet, beschäftigt sich mit unterschiedlichen Symbolen, die kritisch, das heißt auf Ambivalenz und historische sowie aktuelle Bedeutung hin, untersucht werden sollen. Dabei wird es im Kern darum gehen ein bisher in der Wissenschaft noch recht selten be-handeltes Symbolfeld, die Symbolik von Gewalt- und Gewaltlosigkeit, genauer zu untersuchen. In diesem Zuge wird unter anderem auch die Frage danach aufgeworfen, ob Religionen selbst so etwas wie Symbol für Gewalt oder auch Gewaltverzicht sein können. Neben der Behandlung dieses Untersuchungsraumes, werden weitere wesentliche Symbole in Christentum und Islam vergleichend, also unter Betrachtung der jeweiligen Kontexte heraus, analysiert.
Der Didaktische Hauptteil leitet schließlich zu einer möglichen Umsetzung des kritischen Symbolvergleichs über. Nachdem zunächst klassische Konzepte der sogenannten „Symboldidaktik“ näher erläutert werden, wird der Versuch eines eigenen didaktischen Konzepts interkulturell kritischer Symbolkunde dargestellt. Zum Abschluss dieses Teils geht es dann darum mögliche Ansatzpunkte für eine solche Didaktik in der aktuellen Schuldiskussion (Kreuz, Kopftuch) eingehender zu betrachten. Der Schlussteil stellt dann noch drei Phänomene der „modernen“ Religiosität dar, die im Zusammenhang mit einem entsprechenden didaktischen Konzept von Bedeutung sind. Dabei wird die Frage nach der Verdrängung von Religion aus dem Alltag der Gesellschaft aufgeworfen, welche durch die Abschaffung bestimmter Symbole mög- licherweise zum Verschwinden von Religion führen könnte. Danach soll die türki-
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sche Mehrheit der Muslime in Deutschland in den Blickpunkt geraten, da sie, auf-grund von Besonderheiten, die nicht zuletzt auch in der Symbolwelt liegen, didaktische Konzepte zu einer Modifikation zwingen. Zum Schluss geraten dann noch „se-kundäre Symbolwelten“ in den Blick. Dabei geht es um Symbole mit religiösem Ursprung, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Ein genauerer Überblick über die Hauptteile und den Schluss sowie die Begründung des inneren Zusammenhangs wird am Ende des Einleitungsteils, nach den grundlegenden Einführungen, folgen.
Nähere Ausführungen zur Themenfindung und meinem eigenen Interesse befinden sich im Nachwort zur Arbeit.
Vorweg seien nun noch einige formelle Dinge angemerkt.
Ich verwende in den folgenden Ausführungen die Religionen Christentum und Islam fast ausschließlich in eben dieser Reihenfolge. Dies soll keinerlei Wertung enthalten, sondern ist einzig und allein an der historischen Abfolge deren Gründung orientiert. Des weiteren habe ich mich als Bezeichnung für gläubige Frauen im Islam für die Bezeichnung Musliminnen entschieden. Weder diesen noch den in der Literatur alternierend verwendeten Begriff Muslima konnte ich in einem Fremdwörterbuch ausfindig machen, da dort immer nur die männliche Form enthalten gewesen ist. Da dieser Ausarbeitung eine Vielzahl literarischer und multimedialer Quellen zugrunde liegen, habe ich mich entschieden Verweise in Fußnoten aufzuführen, um Übersichtlichkeit und Flüssigkeit gewährleisten zu können. Auf die Quellenangabe bei Zitaten aus und Verweisen auf Bibel und/oder Koran wurde aus dem gleichen Grund gänzlich verzichtet. Alle Zitate aus der Bibel und jegliche Verweise auf Bibelstellen stammen aus der Lutherbibel1. Die Koranzitate und -verweise beziehen sich ausschließlich auf die Übersetzung Rudi Parets2.
Ingo Stechmann, September 2003
1Deutsche Bibelgesellschaft (1999)
2Paret (2001)
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Ob in Religionen, Naturwissenschaften, im Rechtswesen oder auch in der alltäglichen Kommunikation, „Symbole“ sind in aller Munde. Man spricht davon, dass etwas symbolisch zu verstehen sei, ohne genauer darüber nachzudenken, was überhaupt unter dem Begriff verstanden wird. Die Kapitel dieses Einleitungsteils sollen deshalb dazu dienen, den Symbolbegriff etwas näher zu beleuchten und ihn gegen mögliche umgangssprachliche Fehldeutungen abzugrenzen. Anschließend soll es darum gehen den besonderen Bezug der Religion(en) zu Symbolen herauszustellen, wobei der Schwerpunkt auf den für die Arbeit zentralen Weltreligionen Christentum und Islam liegen wird.
Wenn man sich dem Symbolbegriff nähern will, muss man zunächst einmal nach der ursprünglichen Wortbedeutung fragen. Diese geht auf das griechische „sýmbolon“ zurück, was soviel wie „Erkennungszeichen“ bedeutet.3Genauer betrachtet stammt der Begriff vom Verb „symballein“ ab, welches mit „zusammenwerfen“ übersetzt werden kann. Diese Beschreibung rührt daher, dass früher als Zeichen eines Vertrages oder auch Bundes ein Stück Ton oder später auch ein Ring zerbrochen wurde. Die Teile, die beispielsweise Käufer und Verkäufer eines Landstücks erhielten, wurden dann weitervererbt und waren Beweis für den geschlossenen Vertrag und die Besitzregelung.4
Ein anderes Beispiel für die ursprüngliche Funktion eines Symbols war die Anwendung bei der Trennung von Freunden. Traf man sich eines Tages wieder oder kam ein vermeintlicher Bekannter des Freundes zu Besuch, konnten zwei Teile einer Tafel oder Ähnlichem „zusammengeworfen“ werden, um den Freund beziehungsweise dessen Abgesandten zu erkennen.5
Dieser Brauch hat sich zum Teil bis heute erhalten, auch wenn er seine Funktion als Beweismittel verloren hat. Sogenannte Freundschafts-Amulette, von denen zwei Partner je einen Teil besitzen sind ebenso zu finden wie Freundschaftsringe oder -
3vgl.Glunk (1997), S. 5
4vgl. Schilling (1991), S. 9
5vgl. Glunk (1997), S. 5
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bänder, wobei hier allerdings nichts mehr geteilt wird, sondern der entsprechende Gegenstand schon in doppelter Ausführung vorhanden ist.
Doch was steckt hinter diesem Brauch? Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass etwas Gegenständliches für etwas nicht Fassbares zu stehen scheint. Somit kann das Symbol also als sichtbares Zeichen für etwas Unsichtbares angesehen werden, zum Beispiel für Freundschaft oder einen mündlichen Vertrag (s.o.).6Man spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Schnittpunkt zweier Seinsebenen, wobei das Symbol Anteil an beiden Ebenen hat.7
Hier wird bereits eines der Probleme deutlich, das mit dem Symbolbegriff einhergeht, nämlich die Unterscheidung von Symbol und Zeichen. Bis heute werden die beiden Begriffe im umgangsprachlichen aber auch im wissenschaftlichen Gebrauch durcheinander geworfen. In Anlehnung an eine Mehrzahl der Forscher kann man jedoch sagen, dass alle Symbole auch Zeichen, nicht aber jegliche Zeichen Symbole sind.8
Um diese Aussage zu rechtfertigen, kann nicht ausbleiben, dass Merkmale des Symbols genauer bestimmt werden, um die Abgrenzung vom bloßen Zeichen deutlich werden zu lassen. Mit Bestimmtheit kann nach der vorausgegangenen Definition gesagt werden, dass Symbole etwas Unsagbares zum Ausdruck bringen. Deshalb erscheint es grundsätzlich schwierig eine Eingrenzung mit rationalen Kriterien vorzunehmen.9
Dennoch gibt es Möglichkeiten die Eigenarten eines Symbols näher zu bestimmen. Ein Merkmal des Symbols stellt nämlich der eben genannte Hinweis-Charakter dar.10Auch einfache Zeichen dienen zwar der Kommunikation und weisen auf etwas hin, aber das Symbol geht darüber hinaus. Es repräsentiert etwas und besitzt neben der Mitteilungsfunktion auch eine eigene Bedeutung.11
Damit ist auch schon die zweite Eigenschaft des Symbols genannt: Es ist vom eigentlich Gemeinten nicht klar zu trennen.12
Dieses Phänomen lässt sich gut anhand des semiotischen Dreiecks von Charles William Morris verdeutlichen. Er setzt in seinem Dreieck, das später von Ferdinand de Saussure im Zuge seiner Lehre von den sprachlichen Zeichen erweitert wurde, einem
6vgl. ebd., S. 5
7vgl. Lurker (1990), S. 20
8vgl. ebd., S. 18 f.
9vgl. Schilling (1991), S. 12
10vgl. ebd., S. 12
11vgl. Lurker (1990), S. 19
12vgl. Schilling (1991), S. 13
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Zeichenbenützer Zeichen und Bezeichnetes gegenüber. Während der Benützer direkten Kontakt zu beidem hat, entsteht die Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem nur durch dessen Bezugnahme (s. Abb. 1).13
Führt man dieses Modell weiter, würde das Aneinanderrücken von Zeichen und Bezeichnetem dem Prozess der Symbolwerdung entsprechen und die Übereinstimmung der beiden Pole zu einem Symbol im engsten Sinne führen.
Abb. 1: Das semiotische Dreieck nach Ch. Morris14
Zwei Merkmale eines Symbols sind also Hinweis-Charakter in Bezug auf etwas zu Bezeichnendes, was allerdings für alle Zeichen gilt, und die Repräsentierung des zu Bezeichnenden, also die Untrennbarkeit zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem. Dieses Phänomen lässt sich am Symbol des christlichen Kreuzes anschaulich demonstrieren. Während es ursprünglich als Symbol für einen leidvollen Tod galt, entwickelte es sich über die Darstellung des Gekreuzigten als Symbol für Aufopferung bis hin zum leeren Kreuz (zumindest in der protestantischen Tradition) als Symbol der Auferstehung.15
Dabei wurde das Kreuz selbst mehr und mehr zum Gegenstand der Verehrung und blieb nicht mehr bloß Zeichen. (s. auch 1.2.1)
In der Geschichte kann man ähnliche Bindungen von Bezeichnendem und Bezeichnetem beobachten, die zum Teil so weit gingen, dass sie fast identisch wurden. So wurde die Sonne beispielsweise vom Symbol des göttlichen Lichts in den Augen der Menschen zeitweise selbst zu Gott.16
Als weiteres Merkmal für ein Symbol ist dessen Unersetzbarkeit zu nennen. Kein anderes Zeichen drückt etwas Bezeichnetes so intensiv aus als das Symbol. Des wei-
13vgl.Linke u.a. (1996), S. 25
14ebd., S. 26
15vgl. Frutiger (1991), S. 236
16vgl. Herder Spektrum (2000), S. 7
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teren zeichnen sich Symbole durch gesellschaftliche Anerkennung aus, das heißt, sie können nicht willkürlich erfunden werden, sondern sind in bestimmten Kontexten festgelegt.17
Allerdings wird daran deutlich, dass Symbole meist abhängig von der jeweiligen Gesellschaft oder Kultur sind, in der sie verwendet werden. Um beim Beispiel des Kreuzes zu bleiben, kann man sich dies daran verdeutlichen, dass längst nicht jeder Mensch mit dem Kreuz die Auferstehung oder das Opfer Jesu Christi verbindet. Selbst wenn den meisten Muslimen die Bedeutung des Symbols aus christlichen Kontexten bekannt ist, wird es für sie nicht diese Bedeutung einnehmen, da es nicht zu deren kulturellen Prägung passt oder ihr sogar widerspricht. Allerdings, und damit hatte auch schon die Psychoanalyse ihre Probleme, scheint es auch sogenannte Ursymbole zu geben, die in unterschiedlichsten Kulturen auftauchen. Dieses Phänomen, welches nicht als angeboren erklärt werden konnte, muss wohl damit zusammenhängen, dass es bestimmte menschliche Erfahrungen und Zustände gibt, die überall auf der Welt gesammelt werden können.18Beispiele für solche weltumspannenden Symbole sind Licht (s. 2.2.3) und Dunkel, Wasser und Feuer, Baum und Berg oder auch Weg und Höhle. Sie finden sich zumindest in jeder Weltanschauung und verweisen auf numinose, transzendente Mächte.19
Als letztes wesentliches Merkmal von Symbolen ist die ambivalente Wirkung zu nennen. Die Wirkung eines Symbols hängt davon ab in welcher Lage sich der Rezipient gerade befindet.20
Jemand der beispielsweise aufgrund eines zerstörerischen Brandes sein Hab und Gut verloren hat, wird sicherlich das Symbol Feuer anders empfinden als dies ein Pfadfinder tut, der es sich am Lagerfeuer gemütlich macht. Wesentliche Unterschiede zum bloßen Zeichen bestehen also darin, dass Symbole nicht klar definierbar sind und damit nicht die Eindeutigkeit vorweisen, wie sie bei Zeichen (z.B. Verkehrszeichen, mathematische oder chemische Zeichen) zu finden ist. Außerdem wird die Bedeutung von Zeichen in der Regel durch den Menschen klar festgelegt, so dass sich jeder darüber im klaren ist, dass es sich beim Additionszeichen (+) um eben dieses handelt und nicht um ein Zeichen für Sauerstoff.21
17vgl. Schilling (1991), S. 13
18vgl. ebd., S. 15
19vgl. Lurker (1990), S. 25
20vgl. Schilling (1991), S. 16
21vgl. ebd., S. 17
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Dadurch, dass es sich bei Zeichenbedeutungen um Vereinbarungen handelt, sind Zeichen grundsätzlich auch austauschbar.22
Symbole hingegen entstehen in einem Prozess, sie entwickeln sich kulturell und sind durch ihre enge Verbindung zum Bezeichneten auch nicht austauschbar. Wesentlich ist hierbei, dass sich Symbole nicht nur an den Verstand richten, also auch nicht bis ins Detail definierbar sind, sondern den gesamten Menschen ansprechen.23Natürlich könnte man daraufhin auch behaupten, dass jegliche Auseinandersetzung in der Art, in der ich sie in der vorliegenden Arbeit führe, nicht möglich sei, dennoch ist die rationale Behandlung notwendig, um Ausmaß und Wirkung von Symbolik besser erfassen zu können. Lediglich das Bewusstsein Symbole in ihrer Tiefe und Ambivalenz nie ganz erfassen zu können darf dabei nicht verloren gehen. Jedenfalls wird bereits hier deutlich, dass eine rein rationale Auseinandersetzung mit Symbolen im Unterricht auch nicht Ziel einer Didaktik der Symbole sein kann (s. 3.1). Nach dieser Abgrenzung ist nun deutlich, wie sich das Symbol vom Zeichen abhebt beziehungsweise wie es über die Zeichenfunktion hinausreicht. Aber auch ein weiterer Begriff trägt zur Diffusion im Bereich der Beschäftigung mit Symbolen bei. Es handelt sich um den Begriff der Allegorie. Diese dient im Allgemeinen dazu etwas Abstraktes, meist eine Idee, verständlicher zu machen. Ein Beispiel dafür ist die „Iustitia“, mit welcher gemeinhin Gerechtigkeit assoziiert wird. Ein abstrakter Begriff wird durch eine Allegorie, das heißt durch mehrere interpretierbare Teile, dargestellt. Die Frau mit verbundenen Augen, der Waage und dem Schwert (s. 2.1.4.2), steht allegorisch für den Begriff der Gerechtigkeit. Dennoch entsteht diese Allegorie unter Verwendung von Symbolen. Demnach können also Symbole Teile von Allegorien sein.24
Eine klare Trennung zwischen den Begriffen ist demnach möglich, wenn auch nicht immer einfach, was zu einer fortlaufenden Verwischung der Begriffe geführt hat, die scheinbar nicht mehr aufzuhalten ist. Im folgenden werde ich mich mit Symbolen beschäftigen, die ich dieser Definition zuspreche, aber auch Zeichen und Allegorien können eine Rolle spielen. Diese werden jedoch dann entsprechend benannt. Dennoch, nicht jedes Symbol hat den gleichen Charakter. Im Zuge von Peter Biehls „kritischer Symbolkunde“ werden drei Bereiche von Symbolen unterschieden. Er teilt ein in Symbole der Lebenswelt, welche hauptsächlich durch Massenmedien ge-22vgl.Glunk (1997), S. 7
23vgl. Schilling (1991), S. 18
24vgl. Glunk (1997), S. 5 f.
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bildet werden (z.B. eine bestimmte After Shave- Marke als Symbol für Männlichkeit), religiöse und quasireligiöse Symbole aus dem Konsumbereich (z.B. das Kreuz als Schmuckstück) und christliche Symbole, welche er als Verheißungszeichen auf dem Weg in die Zukunft ansieht.25
Den letzten Bereich seiner Aufteilung kann man in meinen Augen auf alle Religionen und Weltanschauungen ausweiten, die zukunftsgerichtet sind. Außerdem erscheint mir die Einschränkung von Religion auf den Konsumbereich etwas zu eng. Aus diesem Grund tendiere ich dazu nur zwischen profanen und sakralen Symbolen zu unterscheiden, wobei auch hier die Grenzen nicht klar gezogen sind. Ich werde mich in meinen Ausführungen auf religiöse Symbole und um noch genauer zu sein auf die Symbole in den Weltreligionen Christentum und Islam beschränken und andere Phänomene, die sicherlich auch zur Religion werden können, aber im profanen Bereich anzusiedeln sind, außer Acht lassen. Dass Symbole im Zuge der Säkularisierung immer auch in anderen Bereichen auftauchen, ist selbstverständlich und wird auch in dieser Arbeit zur Sprache kommen (s. 4.3). Besser fände ich in Hinblick auf die weiteren Ausführungen deshalb explizit von Symbolen zu sprechen, die dem Kontext einer Glaubensgemeinschaft entstammen beziehungsweise in diesem eine bedeutende Stellung einnehmen.
Ob man sich nun Biehls Unterscheidung anschließt oder nicht, wesentlich ist, dass man die Bedeutung von Symbolen für das menschliche Leben erfasst. Wichtige Erfahrungen unseres Lebens können nämlich in Sprache nicht authentisch ausgedrückt werden. Menschen versuchen sich deshalb durch Symbole dem Unsagbaren zu nähern. Sie gebrauchen sie, um solche Erfahrungen mit anderen Menschen teilen zu können.26
Ausgehend von steinzeitlichen Höhlenmalereien über Idole bis hin zum New Age lässt sich feststellen, dass der Mensch nicht nur von Begriffen leben kann, sondern auch Bildern bedarf.27
Welche wesentliche Bedeutung Symbole für Religion haben und wie sie in religiösen Kontexten bis in die Gegenwart wirken, soll das folgende Unterkapitel unter Beweis stellen.
25vgl. Biehl (1996), S. 222
26vgl. Heiligenthal u.a. (1999), S. 292
27vgl. Lurker (1990), S. 26
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Symbole treten, wie im ersten Unterkapitel erwähnt wurde, häufig in Religionen auf. Aber nicht nur in der religiösen Praxis der jeweiligen Weltanschauung, die sich zumindest in unserer säkularen Gesellschaft eigentlich in einer Art Privatsphäre zu befinden hätte (s. 4.1), sind sie zu finden. Auch im öffentlichen Leben nehmen religiöse Symbole ihren Platz ein, selbst wenn sie oft nicht mehr bewusst wahrgenommen werden und manchmal nicht mehr dem ursprünglich Religiösen zuzuordnen sind (s. 4.3). Dennoch stammen viele Symbole aus religiösen Kontexten und nicht selten werden sie auch dazu benutzt Religion für andere, gesellschaftliche und politische Zwecke zu gebrauchen (missbrauchen). Deshalb stehen religiöse Symbole in der Öffentlichkeit oft im Spannungsverhältnis von Identitätsstiftung und Demonstration (Provokation).
Aber Symbole gehören auch immer noch unbestreitbar in den Bereich von Religion, sie haben eine zentrale Bedeutung für den Glauben. Paul Tillich bezeichnete das Symbol sogar als Sprache der Religion, welche jedoch nicht verabsolutiert werden darf. Damit ist gemeint, dass zwar im Grunde alles Geschaffene als Verweis auf einen Schöpfer angesehen, jedoch nicht selbst zum Götzen werden darf.28In zahlreichen religiösen Strömungen, so auch beispielsweise im islamischen Sufismus, werden alle physischen Dinge als Verweis auf etwas Metaphysisches angesehen. Demnach könnte das Irdische als leicht verzerrtes Spiegelbild des „Göttlichen“ bezeichnet werden, darf aber nicht selbst zu Gott werden.29Die Tatsache, dass viele Symbole in unmittelbarem Zusammenhang mit Religion stehen, ist meines Erachtens schon daher erklärbar, dass sich Religionen verstärkt mit Inhalten beschäftigen müssen, die durch rationales Denken nicht fassbar sind. Um diese Inhalte Menschen besser begreiflich und den an sich abstrakten Glauben praktizierbar zu machen, sind Symbole und symbolische Handlungen (s. 1.2.1) nötig. Religiöse Symbole fungieren in den monotheistischen Religionen als Mittler zwischen Gott und der Welt, sie überschreiten die Grenze des Immanenten und sind somit selbst auch transzendent. Selbst wenn das Symbol immer konkreter Gegenstand (oder konkrete Handlung) bleibt, ist es ein wirkungsvolles Erkenntnismittel, das hilft religiöses Leben, welches bei weitem nicht allein aus Denken besteht, besser greifbar
28vgl. Schilling (1991), S. 22 f.
29vgl. Lurker (1990), S. 71
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zu machen. Es dient den Mitgliedern einer bestimmten religiösen Gruppe jedoch auch als Zugehörigkeitsmerkmal und somit als identitätsstiftendes Moment.30Eine klare Trennung von religiösen Symbolen und „öffentlichem“ Leben ist aber allein deswegen schon nicht möglich, weil religiöses Handeln selten ohne soziale Folgen bleibt. Besonders deutlich wird das an Hilfsorganisationen (z.B. Rotes Kreuz, Roter Halbmond) (s. auch 1.2.1).
1.2.1 Symbole unter uns - Religiöse Symbolik im Alltag unserer Gesellschaft
Tagtäglich begegnen uns Symbole, übersinnliche Zeichen umgeben uns. Viele davon sind religiösen Ursprungs. So ist es zum Beispiel keineswegs selten, dass man Menschen mit Indianerschmuck auf den Straßen trifft. Kein Jahrmarkt kommt heute mehr ohne die Symbole der indianischen Weltanschauungen aus. Aber auch Verweise aus anderen Religionen, wie der Buddha (meist auftätowiert) oder die rot bepunktete Hindustirn, sind keine Seltenheit mehr auf dem „Markt der Religionen“, wie die Vielfalt heute oft bezeichnet wird. Das in unserer Gesellschaft wohl am häufigsten als Schmuckstück auftretende Symbol ist das christliche Kreuz (s. 2.1.3.2). Das Symbol des Christusleidens aber auch seines Triumphes ist längst nicht mehr nur auf Friedhöfen und in Kirchen zu finden.31
Die Entwicklung des Kreuzes zum Symbol des Christentums, als welches es für Überwindung des Todes und Auferstehung steht, hat jedoch eine längere Geschichte. Ursprünglich verachtete man die Verurteilten und am Kreuz Gestorbenen und somit auch das Zeichen selbst. Erst drei bis vier Menschengeschlechter nach dem Tod Jesu ging man zur Verehrung über. Ab dem Zeitpunkt sah man es auf Stirnreifen, Stoffen, Kleidern, Kelchen, Schüsseln, auf dem kaiserlichen Zepter und am Hals vieler Gläubigen in Form des sich bis heute durchgesetzten Schmuckstücks, wobei der ästhetische Charakter im Laufe der Zeit vor den symbolischen gerückt ist. Das Tragen des Kreuzes am Hals ist schon vor der Einführung des Passionskreuzes zu datieren, welches erst zur Zeit von Karl dem Großen das erste Mal Erwähnung fand. Erst ab dem 10. Jahrhundert nach Christi wurde es zum verbindlichen Altarschmuck. Aber auch in anderen Bereichen tritt das Kreuz als Symbol auf. So ist es beispielsweise bei vie-
30vgl.Urech (1992), S. 5 ff.
31vgl. Herder Spektrum (2000), S. 93
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len Hilfsdiensten unserer Zeit zu finden. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die internationale Hilfsgruppe „Rotes Kreuz“.32
In islamischen Ländern findet man anstelle des Kreuzes den roten Halbmond, der in seiner ursprünglichen Bedeutung jedoch auch für die Überwindung von Tod und Leid steht.33
Aber auch andere Organisationen, wie der Malteser-Hilfsdienst, deren Geschichte in die Zeit der religiösen und militärischen Orden zur Zeit der Kreuzzüge zurückreicht, schmücken sich mit dem Kreuzzeichen. Selbst bei offiziellen Anlässen darf in unserer westlichen Gesellschaft das Kreuz nicht fehlen. So werden beispielsweise bis heute für besondere Verdienste Kreuze vom Staat verliehen (z.B. Ehrenkreuz, Kriegskreuz, Bundesverdienstkreuz usw.).34
Inwiefern es sich dabei jedoch schon um sekundäre Symbolwelten (s. 4.3) handelt, die auch nach und nach im säkularen Staat zu verschwinden drohen (s. 4.1), wird in späteren Abschnitten der Arbeit zu klären sein. Die unterschiedlichen Kreuzformen werden in Unterabschnitt 2.1.3.2 näher behandelt. In neuester Zeit ist aber auch ein weiteres christliches Symbol im Bereich des Schmucks auf dem Vormarsch. Es handelt sich dabei um die Schlange. Ob als Tätowierung, als Spange im Haar oder am Arm, das Symbol der Verführung und der Vermischung von lebenserzeugender Sinnlichkeit und zerstörerischer Boshaftigkeit, welches auf die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies zurückgeht, scheint „in“ zu sein. Als Symbol für die Ursünde, aber auch für Klugheit schmücken sich vorwiegend Frauen mit diesem Tier (s. Abb. 2).35
Auch in Verbindung mit dem zuvor erwähnten Kreuz taucht die Schlange in der Kunst immer wieder auf. Die Verbindung soll dabei auf den Sieg Christi über die Sünde hinweisen (s. Abb. 3).36
Auch das Symbol des Fischs als altes Geheim-Symbol für Jesus Christus mit Bezug auf die Wassertaufe37, hat sich zu einem modernen Symbol entwickelt, das auf zahlreichen PKW als Aufkleber am Heck zu finden ist. Abgesehen von einer möglichen ästhetischen Komponente, bekennen sich hier Menschen dazu getaufte Christen zu sein.
32vgl. Urech (1992), S. 129 ff.
33vgl. Herder Spektrum (2000), S. 68
34vgl. Urech (1992), S. 129 ff.
35vgl. Herder Spektrum (2000), S. 144
36vgl. Urech (1992), S. 216
37vgl. Herder Spektrum (2000), S. 52 f.
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Aber auch Kleidungsstücke, wie das Kopftuch einer muslimischen Frau können Symbolcharakter besitzen. Kopfbedeckungen haben in der islamischen Tradition im allgemeinen eine hohe Bedeutung. Sie gelten als Kennzeichen des gläubigen Muslim. Den Überlieferungen nach soll Mohammed auch Männer aufgefordert haben Turbane zu tragen, um sich von den früheren Völkern zu unterscheiden. Da türkische Muslime männlichen Geschlechts, die zur Mehrheit der Muslime in Deutschland gehören, jedoch aus historischen Gründen (s. 4.2) keine Kopfbedeckung tragen, erscheint uns das Kopftuch der Frauen als zentrales Symbol des Glaubens, das der Identität Ausdruck verleiht, aber auch zu Problemen und Vorwürfen der Provokation führt.38
Dies wird besonders im Fall der Diskussion um das Kopftuch an Schulen deutlich, die durch die Klage der Muslimin Fereshta Ludin erneut angestoßen wurde, welche als Lehrerin in der Schule ihr Kopftuch nicht ablegen möchte (s. auch 3.4). In Verbindung mit dem Kopftuch wird von Außenstehenden auch immer wieder der Vorwurf laut, dass es sich um ein Zeichen für die Unterdrückung der Frau handle, während Muslime auch mit dem Schutz gegen sexuelle Belästigung argumentieren.39Zu solchen und weiteren gegenständlichen Symbolen treten auch symbolische Handlungen. Dazu gehören beispielsweise Taufe, Kommunion, Firmung, Konfirmation, Abendmahl, Trauung, Beichte, Beerdigung auf christlicher Seite, aber auch Beschneidung, Opfer, Fasten, Beten und vieles mehr auf muslimischer Seite. Symbolische Handlungen mit religiöser Zielsetzung nennt man gemeinhin Riten. Sie bestehen aus Worten und/oder Gesten und folgen einem bestimmten Ablauf (Zeremoniell). In der Kirchengeschichte versteht man unter Ritus immer diejenigen religiösen Handlungen und Gebärden, die zur jeweiligen Zeit in den Gottesdienst integriert werden.40
In den vergangenen Jahren spielte die Symbolik in den drei großen, monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, erneut eine zunehmend bedeutender werdende Rolle, was mit zahlreichen politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen einhergeht, in die auch religiöse Einstellungen (bewusst) einflossen. Inwiefern religiöse Symbolik dabei gebraucht oder missbraucht wird, soll im nächsten Abschnitt beleuchtet werden.
38vgl. Paret (1958), S. 84
39vgl. Al Hariri-Wendel (1999), S. 185 f.
40vgl. Microsoft Corporation (1998), Stichwort „Ritus“
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Abb. 2: Die Schlange als Schmuckstück41Abb. 3: Schlange und Kreuz42
Unweigerlich wurden wir in den letzten Jahren Zeugen von Attentaten und Kriegen, bei denen Religion und deren Symbolik eine große Rolle spielten. Wir alle haben noch die Bilder vor Augen, als nach dem 11. September 2001 Osama Bin Laden der westlichen Welt den Dschihad (s. 2.1.1) erklärte. Der „heilige Krieg“ ist seit dem in aller Munde und zum Leidwesen vieler Muslime selbst schon längst zu einem Symbol des Islam geworden. Aber auch in jüngerer Geschichte bleibt ein solcher Symbolgebrauch leider nicht aus. Zuletzt war dies zu beobachten, als Saddam Hussein, der in der islamischen Welt auch als Saladin43der Neuzeit gilt, alle islamische Staaten zum „heiligen Krieg“ gegen die Amerikaner aufrief. Auch das Phänomen der sogenannten „Selbstmordattentäter“, die sich als Märtyrer verstehen, nimmt im Nahen Osten ständig zu (s. 2.1.4.1). Symbole, die dabei immer wieder auftauchen, sind Koran (s. 2.1.3.1) und Schwert (s. 2.1.4.2). Zwei Symbole, die, wenn auch in ambivalenter Art und Weise, enorme Bedeutung für Geschichte
41Ausschnitt eines Werbeplakats für Unterwäsche
42vgl. Herder Spektrum (2000), S. 143
43Saladin wurde in Tikrit im heutigen Irak geboren und war Kurde. Er kämpfte gegen die Kreuzritter
und eroberte Jerusalem zurück.(vgl. Microsoft Corporation (1998), Stichwort „Saladin“)
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und Gegenwart des Islam tragen (s. Abb. 4 und 5). Auch in Deutschland tauchten sie in Verbindung mit dem selbstbetitelnden „Kalifen von Köln“ Metin Kaplan auf, der die Weltherrschaft des Islam propagierte. (s. Abb. 6). Zu Beginn des Irak-Krieges Anfang des Jahres 2003 verkündete auch der Präsident der Vereinigten Staaten vor einem Mosaik, das Jesus zeigt, den Kriegsbeginn gegen die „Achse des Bösen“ und im Namen Gottes. Auch während des Krieges kommt es immer wieder zu kollektiven Gebeten der Soldaten, die in der Presse mit dem Verhalten der Kreuzfahrer verglichen werden (s. Abb. 7 und 8). Gleichzeitig versammeln sich aber auch Millionen von Menschen verschiedenster Religionen, um für Frieden zu beten. Erstaunlicherweise tauchen hier ebenfalls die Schriften als Symbole auf (s. Abb. 9). Aber inwiefern haben Symbole wie das Märtyrertum, welches sowohl im Christentum als auch im Islam ein bekanntes Phänomen ist, wenn auch mit unterschiedlichen Bedeutungen besetzt (s. 2.1.4.1), das Schwert und andere mit Gewalt verbundenen Symbole etwas mit den Religionen zu tun und welche Bedeutung haben die heiligen Schriften in Bezug auf Gewalt und Gewaltlosigkeit? Diesen Fragen möchte ich im wissenschaftlichen Hauptteil dieser Arbeit