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Während in der Hauptstadt die Glocken der Kathedrale schlagen, macht ein Bauer im Schein der Lampe eine unerwartete Entdeckung im Stall. Ein Männerchor stimmt in der Gaststube ein Lied an. Ein König auf seinem Kamel folgt einem Sternenschweif. Ein scheinbarer Fischer betrachtet eine eisige Strömung. Michael Fehr versammelt in seinem Debüt unterschiedlichste Menschen und Gruppen "kurz vor der Erlösung". Er nimmt uns von Schauplatz zu Schauplatz mit, zum Fussoldaten, zu Josef und Maria, zur Musikgruppe auf der lottrigen Bühne genauso wie zur Musikgruppe im Fernsehstudio, zur Familie beim Essen bis hin zur Organistin und zum Pastor. Sie alle sind in Anspannung, ja hoffnungsvoller Erwartung und "melodieren und modulieren" jede und jeder für sich. Getragen wird Michael Fehrs Geschichte in "Siebzehn Sätzen" von einer bemerkenswert eigenwilligen und mutigen Sprache: Geduldig umkreist Fehr Wort für Wort, Zeile für Zeile und eben Satz für Satz seine Szenen und Figuren. Und meint man sich durch die Sprache zuweilen von den unheimlich vertrauten Begebenheiten schon weit entrückt, so verhelfen uns die Variationen und Modulationen doch immer wieder zu unerwarteten Eingängen in die Geschichte mit ihren 17 Geschichten. So folgt man dieser vielstimmigen Erzählung, ob laut oder leise lesend, wie man es sonst nur von der Musik kennt.
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Seitenzahl: 55
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MichaelFehr
KurzvorderErlösung
edition spoken script 10
1. Auflage, 2013
© Der gesunde Menschenversand, Luzern.
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-905825-51-0
LektoratBarbara Berger Guigon
Herausgeber EditionMatthias Burki
Ursina GreuelDaniel Rothenbühler
Gestaltunghofmann.to
e-bookmbassador GmbH, Luzern
Herzlichen Dank für die Unterstützung an: KulturStadtBern, SWISSLOS / Kultur Kanton Bern, Gemeinde Muri
www.menschenversand.ch
Erster Satz
Der Bauer
Und nach mucksmäusleinstillem Anschleichen
er täselte der Hauswand entlang
er lief also eilig auf Zehenspitzen
so gut als er es in den stabilen Stiefeln vermochte und fast ohne Reserve
und sodann ein Stück der Stallwand entlang
wo sich die Akustik ziemlich veränderte gegen das Hohle hin
wodurch sie vernehmlicher wurde und warum er sich noch mehr bemühte leise zu machen und gänzlich aus der Reserve kam
um das Haus herum lag Schnee
um das heilige Haus lag Schnee
in stiller Nacht
das heisst ausserhalb des Streifens
auf dem er sich redlich bemühte
eilig und leise zu machen
ausserhalb des Streifens entlang des Hauses
der vom grossen und weiten Dach gedeckt wurde
lag Schnee
der half
die eiligen Schritte wieder gegen das Hohle in der Akustik abzudämpfen und ihn akustisch zu decken
mit einem Ruck hatte er sofort die lützele
also lottrige
lodelige
also lose
sperzige
also widerspenstige
also schwergängige
gierige
also quietschende Stalltüre aufgeschlagen
also den separaten oberen und den separaten unteren Teil der Türe auf einen Schlag
der gedrungene
also kompakte
also kleine und zähkräftige
schlaue
sogar gewitzte
misstrauische
argwöhnende
von Natur aus grantige
also säuerliche
stobere
also missmutige Bauer
in militärgrünen Gummistiefeln
in marineblauer Überhose
in anthrazitgrauem Wollpullover und unter kardinalsroter Kappe
in der einen Hand eine Laterne
historische Pfunzel mit dumpfem Schein
in der anderen Hand eine Taschenlampe
moderne Pfunzel mit grellem Strahl
wozu hatte der Liebgott dem Bauern zwei feste Hände gemacht
wenn nicht zum Anpacken und Handhaben von zweierlei Geräten
früher
also historisch
eher mechanische Werkzeuge
unterdessen
also jetzt
vermehrt elektrische Apparate
handhabte seine zweierlei Geräte
das mechanische und das elektrische Gerät
und gab dem Inneren des Stalles mit der lumieren Laterne einen ungefähren Anschein und zündete mit der anderen Hand in die Ecken
leuchtete also mit der halogenen Taschenlampe die Winkel aus
stöberte dergleichen mit dumpfem Schein und grellem Lichtkegel im Inneren des Stalles umher
stöberte dann plötzlich auf
zog das Gesicht zusammen
schaute witzig
misstrauisch
argwöhnend
grantig
stober
vereinte die Leuchtquellen
stutzte
liess also das Gesicht los
wurde dann stoberer und stoberer
saurer und saurer
zog also das Gesicht wieder zusammen
brauste dann auf und wurde richtig tauben
geriet also in Rage
schlug einen gegen sonst ausnehmend hohen und lauten Ton an
glich darin einer Alarmsirene und meldete als einer solchen Ähnlicher dem Wohnteil des Hauses zu
Fahriaho
fahr mir aus
Satanas
es graust mich
dies ist mir eine Bescherung
Himmelheilandherrgottsternenhagel
Zigeuner
Zigeuner
dies ist mir ein lustiges Leben
das Zigeunerleben
aber ich bin witziger
habe ich doch von der fernen Kathedrale her die Glocken anschlagen gehört
untrüglich hell und klar läuten
wo ich es doch sonst nie läuten höre
habe ich doch aufgemerkt und es für ein untrügliches Zeichen genommen
habe ich mich doch angeschlichen und mich redlich bemüht zu schleichen
und habe ich sie doch zur Vergeltung aufgestöbert
Zigeuner
lustige Zigeuner
Magdalena
Magdalena
im Stall hocken Zigeuner auf dem blutten Boden
also auf dem nackten Fussboden
und haben praktisch nichts an
sind also fast nackt
sie führen ein lustiges Lotterleben
hocken ab
wo es ihnen passt
Magdalena
wir wollen schiessen
rüste dich
armiere dich
Alarm
ich schlage Alarm
ich alarmiere dich
rüste das Armierungseisen
also das Schiesseisen
also das Schiessgewehr
mach die Patronen heiss
rüste das Karabinergewehr
welches wir vom Krieg her noch aufbewahren
lade also das Gewehr
erstelle also Feuerbereitschaft
wir wollen schiessen und denen Gräuseln
also derben Zigeunern
Feuer unter dem Hintern machen
und unter dem Türgereise
wo der Bauer in leiser Eile gerade die Küchentüre offen gelassen hatte
prompt erschien männiglich ein Schatten
der das Gereise völlig auszufüllen drohte
dahinter war aber breites Licht
welches der taugliche Schatten füglich zu verdrängen sich anstellte
und dieses trat nunmehr beidseits der Türe zu den Küchenfenstern aus und hauchte die Schneeflocken ausserhalb des weit herabhängenden Daches an
und im Licht stoben so die leisen Schneeflocken
stoben und wirbelten wie Flaum
Zweiter Satz
Der König
Und zur gleichen Zeit
auf dem goldenen Kamel
gemäss den Bewegungen des Tieres sanft hin und her schwankend
aber in festem und bequemem Reitersitz zwischen den goldenen Hügeln
also den Höckern
die Zügel edel und mutig und edelmütig angepackt und so das Reittier handhabend
während dem edlen Tier bei jedem Schritt
also bei jedem Tritt
sacht die Füsse aufgingen
sich also gehen liessen
wenn sie auf den sandigen Boden kamen
sich also auf dem sandigen
weichen
restlich lauwarmen Boden aufspreizten und ausbreiteten
also scheinbar breit aufquollen beim Auftritt
und einen breiten Abdruck hinterliessen
wenn sie sich vom Boden wieder lüpften
also lösten
und wieder zusammenzogen
also einschmalten
also scheinbar einfielen
weil sie gemäss der schaukelnden Gangart des Tieres dran waren
es so zu machen
einen ziemlich weiten und breiten Abdruck
aber einen gegen die edelmütige Grösse des Tieres ziemlich untiefen Abdruck
über den der Wind nicht arg blasen musste
um genügend Sand darüberzukarren
also darüberzuführen
und auszubreiten
damit sich die Spur verwischte und dann nicht mehr da war
sondern es bei seinem stetigen Bläseln
also Säuseln
beliess und dergleichen verwischte
in der weiten
tiefnächtiglich mattviolettlichen und mattgräulichen
fahlen Wüste
die auch nächtiglich eisig war und nichts von ihrem täglichen Licht und Feuer abliess
sondern deren Reste im Sand behielt
zwischen den scheinbar endlosen
sich endlos gleichenden
getreulich dem Wind
also durch sein stetiges laues Blasen angekarrten
also angeführten
also herbeigeführten
also angehäuften Horeben
also Hügeln
also Höckern
also Dünen
der mächtigen Wüste
unter freiem
weitem Sternenhimmel
der weit herabhing und an dem besonders ein Stern aufging
sich also aufspreizte und ausbreitete
also scheinbar aufquoll beim Auftritt
und besonders auszumachen war
in Gold und Silber flackerte
einen weissen sprühenden Schweif von sich stiess
einen weissen Schweif ausstiess
der wiederum silberne Funken sprühte und von dem er bänniglich nachgezogen wurde
also von dessen flackernder
sprühender
funkelnder
brachialer Attraktivität heillos nachgezogen
auf ihn seltsam fixiert ihm folgend
behutsam schwankend
schaukelnd folgend
mit hellem
klarem
gebanntem Blick
in einen zelthaften
bequemen
kardinalsroten Mantel eingeschlagen
einen Mantel weich und warm wie Flaum
hörend
mit den eigenen Ohren eigentümlich hörend
wie im fernen Land die Glocken der Kathedrale anschlugen
darob staunend
darob mehr schwankend
mehr schaukelnd
doch dann wieder sattelfester den Leitstern bestaunend
der König
wie noch zwei andere Könige in noch einmal fernen Landen
einer auf einem mächtigen Elefanten
einer auf einem prächtigen Ross reitend
ihrerseits durch ihre Wüsten sacht schwankend