Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3) - Katja Piel - E-Book

Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3) E-Book

Katja Piel

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Beschreibung

"Dann lass sie raus, die Wölfin. Ich möchte zuschauen." Sanft knabberte er an meiner Lippe. Seine Berührung schickte Blitze durch meinen Körper. Dies war ein Moment, wie ich ihn in Frankfurt schon erlebt hatte, nur viel besser. Angenehme Hitze durchflutete mich. Ich schloss die Augen, hielt mich an seinen Armen fest und spürte, wie sich jeder Muskel um meine Knochen dehnte. Der süße Schmerz begleitete mich, während die Haut kribbelnd dem Fell wich. "Öffne die Augen, Anna. Sieh mich dabei an", verlangte er, legte seinen Finger unter mein Kinn. Zögernd kam ich seiner Bitte nach. Sam zog leise die Luft ein, starrte mich an. Ich wusste, meine Augen wechselten gerade die Farbe von blau zu Gold. "Das ist … das ist wunderschön", stotterte er ehrfürchtig. Mein Name ist Anna Stubbe. Ich bin 422 Jahre alt und eine Gestaltwandlerin. Über vierhundert Jahre lebt Anna mehrere Leben, ohne sich zu binden, ohne an einem Ort länger als notwendig zu bleiben. Bis sie Samuel Koch kennenlernt, der leider vergeben ist... an ihre Nachbarin Alexa. Doch die beiden können sich ihrer Anziehungskraft nicht entwehren und beginnen eine Affäre. Zum ersten Mal spürt Anna die wahre Liebe. Gleichzeitig findet sie ein rachsüchtiges Wolfsrudel. Ein perfides Katz- und Maus Spiel beginnt, bei dem nur einer als Sieger hervorgehen kann. Plötzlich kommt ihnen jemand zur Hilfe, der ihr Feind ist. Können sie das Rudel rechtzeitig aufhalten und tausende Menschenleben retten? Die Kuss der Wölfin Trilogie ist ein rasanter Mix aus Action, Thriller und prickelnder Leidenschaft. Paranormal Romance made in Germany! Wer gerne Lara Adrian, J.R. Ward, Nalini Singh liest, wird die Kuss der Wölfin Trilogie lieben.

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Katja Piel

Kuss der Wölfin - Trilogie (Fantasy | Gestaltwandler | Paranormal Romance | Gesamtausgabe 1-3)

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch | Impressum | Hinweise

Anna und die Wölfin

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

83. Kapitel

84. Kapitel

85. Kapitel

86. Kapitel

87. Kapitel

88. Kapitel

89. Kapitel

90. Kapitel

91. Kapitel

92. Kapitel

93. Kapitel

94. Kapitel

95. Kapitel

96. Kapitel

97. Kapitel

98. Kapitel

99. Kapitel

100. Kapitel

101. Kapitel

102. Kapitel

103. Kapitel

EPILOG

Der schwarze Tod - Kapitel 1

Der schwarze Tod - Kapitel 2

Der schwarze Tod - Kapitel 3

Der schwarze Tod - Kapitel 4

Der schwarze Tod - Kapitel 5

Der schwarze Tod - Kapitel 6

Der schwarze Tod - Kapitel 7

Impressum

Über das Buch | Impressum | Hinweise

»Du hast den Kuss empfangen und bist nun eine von uns«

Mein Name ist Anna Stubbe.

Ich bin 422 Jahre alt und eine Gestaltwandlerin.

Werwolf, würdest Du vielleicht denken, wenn Du um meine wahre Natur wüsstest, aber Werwölfe sind anders, und ich hoffe für Dich, dass Du nie einen treffen wirst.

Ich will Dir meine Geschichte erzählen, vom Sommer 2012 an, als ich Samuel kennenlernte.

Und auch aus den Jahren zuvor will ich Dir erzählen, damit Du begreifst:

Ich bin kein Monster!

Die Gesamtausgabe der Kuss der Wölfin Trilogie.

»Sympathische Figuren, ein rasanter Erzählstil und zwei Zeitebenen machen diesen Roman zu einem Pageturner!« (Sandra Henke, Autorin der paranormal romance Reihe "Alpha")

»Eine facettenreiche Geschichte mit charismatischen Figuren, erzählt in einer ergreifenden, ehrlichen Sprache. Tragisch, humorvoll, erotisch und spannend - ein Paranormal mit Sogeffekt.« (Stephanie Madea, Paranormal Romance &

Romantic Thrill Autorin; Night Sky, A.M.O.R., Moonbow)

Inklusive Bonus Material! Kuss der Wölfin - Der schwarze Tod. Die Kurzgeschichten Novelle ist im August 2013 erschienen und wird nicht mehr einzeln erhältlich sein.

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THE HUNTER - Die komplette 1. Staffel

THE HUNTER - 2. Staffel (die ersten beiden Episoden)

Alle Bücher sind auch als Taschenbücher erhältlich. Entweder direkt bei Amazon oder nutzen Sie gerne meinenSignierservice. Sollten Sie die Taschenbücher über eine Buchhandlung beziehen wollen, reichen Sie einfach meine E-Mail Adresse weiter: [email protected]

Die einzelnen Bände sind als eBooks ausschließlich über Amazon zu kaufen. Die Gesamtausgabe wird überall erhältlich sein.

Über die Autorin:

Katja Piel wurde 1972 in Kelkheim geboren und lebt heute mit Mann und Kind in Rodgau. Mit ihrer eBook-Serie "The Hunter" ist sie im Mystery-Thriller-Genre erfolgreich. "Kuss der Wölfin" ist ihr erster Fantasy-Roman.

Kuss der Wölfin

www.facebook.com/kussderwoelfin

www.kussderwoelfin.wordpress.com

THE HUNTER

www.facebook.com/1TheHunter

www.thehunterebooks.wordpress.com

http://www.dotbooks.de/profile/855561/katja-piel

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Die Wolfskette von Sam erhaltet ihr bei missis Engel und Elfenund viele weitere schöne Schmuckstücke aus der Kuss der Wölfin Schmuck Kollektion. Sams Kette kann hier gekauft werden.

***

März 2014

Copyright © der Originalausgaben 2013 & 2014 Katja Piel | Rodgau |[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Hinweis: Dieses Buch verfügt über einen 12-stelligen, nicht einsehbaren Sicherheitscode, mit dessen Hilfe es möglich ist, das Werk der Autorin vor Piraterie zu schützen. Sollte Ihnen der Verkaufspreis von 5,99 € zu teuer sein, kontaktieren Sie mich bitte unter [email protected]. Lesen ist das höchste Gut und ich möchte gerne die Menschen unterstützen, denen es nicht so gut geht.

Redaktion: Susanne Pavlovic | Internet:www.texthexe.com

Titelbildgestaltung: Claus-Gregor Pagel (Vektor), Katja Piel (Titelei)

Titelbildgestaltung: Heiko Warnke | Graphic Design | www.heikowarnke.de |Facebookseite

Cover Modell:Bella Black

Coverdesign: jdesign CoverArt | Webseite | Facebookseite

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Anna und die Wölfin

Mein Name ist Anna Stubbe. Ich bin 422 Jahre alt und eine Gestaltwandlerin.

Werwolf, würdest Du vielleicht denken, wenn Du um meine wahre Natur wüsstest, aber Werwölfe sind anders, und ich hoffe für Dich, dass Du nie einen treffen wirst.

Ich will Dir meine Geschichte erzählen, vom Sommer 2012 an, als ich Samuel kennenlernte. Und auch aus den Jahren zuvor will ich Dir erzählen, damit Du begreifst:

Ich bin kein Monster!

Seit vierhundert Jahren geht es bei jedem Neuanfang darum, eine Lösung zu finden, die nicht nur mir, sondern auch der Wölfin gefällt. Früher, als es noch riesige Wälder gab, war das einfacher. Heute fühlt Anna sich in der anonymen Großstadt wohl, und die Wölfin vermisst den Wald.

1. Kapitel

Herbst 2012, Frankfurt am Main

«Ist das eigentlich Blut auf deinem T-Shirt?»

Ich war wirklich weit von meinem Weg abgekommen, als ich im ersten grauen Morgenlicht den Waldrand erreichte. Zunächst hatte ich meine Kleider suchen müssen. Nackt hätte ich den Weg in die Frankfurter City nicht antreten wollen. Jetzt waren sie dreckig und zerfetzt, ein Zeichen dafür, dass die Wölfin nicht hatten warten wollen, bis ich mich ausgezogen hatte. Super – die Jeans konnte ich wegschmeißen.

Ein früher Pendler, der von Hanau nach Frankfurt fuhr, nahm mich mit. Ich musste nicht viel schauspielern, um erbärmlich zu wirken. Alle Knochen taten mir weh, und ich war müde. Ich hatte Erde und Tannennadeln in meinen Haaren und einen blutigen Restgeschmack im Mund. Kaninchen. Ich durfte nicht darüber nachdenken, damit ich dem Pendler nicht in den Fußraum kotzte.

Er wollte mich sofort zur Polizei fahren, denn ich erzählte ihm eine Geschichte von einer Vergewaltigung. In der City stieg ich an einer roten Ampel aus, bedankte mich kurz und ging den restlichen Weg zu Fuß.

Der Vorteil einer langen Lebensspanne: Man kommt zu Geld. Ich zeige davon nicht viel, schließlich muss ich für die Welt wie eine normale junge Frau aussehen, aber ich gönne mir doch den einen oder anderen Luxus. Eine schöne Wohnung in der City zum Beispiel, ganz oben, ein Penthouse mit Blick auf die Skyline.

Der Lift brachte mich lautlos nach oben. Als die Tür sich öffnete, erschrak ich. Jemand machte sich an der Tür meiner Nachbarin zu schaffen! Ein Typ werkelte am Schloss und versuchte gerade, es mit einer Kreditkarte zu knacken.

„Kann ich helfen?“ Der Typ zuckte zusammen und drehte sich zu mir herum.

„Äh... nein, danke...“

„Was machst du da? Was soll das? Soll ich die Bullen rufen?“ Das war eine leere Drohung – wer mit gefälschten Papieren lebt, vermeidet Kontakt mit der Polizei – aber das konnte er ja nicht wissen. Erwartungsgemäß streckte er auch beschwichtigend die Hände in meine Richtung.

„Nein, warte! Ich erkläre dir alles.“ Hübsch war er, das war mir sofort aufgefallen. Grüne Augen und wuschelige, schwarze Haare, wie Harry Potter in erwachsen und sehr sexy. Diese vollen Lippen. Wow.

„Dann schieß mal los“, sagte ich, nur um zu sehen, wie diese Lippen sich bewegten. Und seine Stimme war toll. Ein angenehmer, samtiger Bariton.

„Ich bin Alexas Freund. Samuel. Sie hat sich gestern Abend ausgesperrt und bei mir übernachtet. Ich dachte, ich versuche mal, das Schloss aufzukriegen, bevor sie einen teuren Schlüsseldienst beauftragen muss.“

„Und warum ist sie nicht dabei?“

„Sie wollte noch duschen und sich für die Uni fertigmachen. Heute ist doch Semesterbeginn.“ Verdammt! Das hatte ich beinahe vergessen. Auch für mich begann heute ein neues Studentenleben. Manchmal verliere ich den Überblick, wie viele Studiengänge ich schon abgeschlossen habe. Politologie in den Siebzigern, Grundschullehramt in den Achtzigern, dann Theaterwissenschaften und Wirtschaft. Jetzt Informatik. Computer fand ich spannend.

„Und das soll ich dir glauben?“ Er zuckte die Achseln. Die Karte in seiner Hand war keine Kreditkarte, sondern von Payback. Er hielt sie mir hin. Alexas Name stand drauf.

„Du könntest sie im Park ausgeraubt haben.“

„Also weißt du – wenn hier jemand aussieht wie im Park überfallen, dann doch wohl du. Ist das eigentlich Blut auf deinem T-Shirt?“ Ich sah an mir hinunter.

„Nee. Harz.“

„Harz?!“

„Das ist doch jetzt völlig egal.“ Der hübsche Harry Potter seufzte und fischte ein Handy aus seiner Hosentasche.

„Hier. Ruf sie an.“ Er tippte eine Kurzwahl an und reichte es mir rüber. Freizeichen, dann ging jemand ran.

„Rothacker?“

„Hallo, Alexa, bist du das? Hier ist Anna, deine Nachbarin. Sag mal, da ist so ein Typ, der versucht, in deine Wohnung einzubrechen?“ Sie lachte.

„Das ist schon in Ordnung. Mein Freund. Ich hab mich ausgesperrt, und er versucht, die Tür für mich zu öffnen. Klappt's?“

„Nee, sieht nicht so aus.“ Sie seufzte.

„Also doch Schlüsseldienst. Aber danke fürs Aufpassen.“ Ich verabschiedete mich und gab das Handy zurück. Wie hatte sich Alexa nur so ein Sahneschnittchen an Land gezogen? Ich kannte sie flüchtig, wir hatten im Treppenhaus ein paarmal geplaudert. Sie war jung, ein bisschen pummelig und hatte wilde, frisselige rote Locken, die aussahen wie eine explodierte Pudelmütze. Ein süßes, lustiges Mädchen, total sympathisch. Harry Potter hier konnte Models haben, wenn er wollte, da war ich mir sicher.

Nun streckte er mir die Hand entgegen.

„Samuel.“

„Anna.“

„Freut mich, Anna.“ Er sah mich eine Sekunde zu lang an, während wir uns die Hand gaben. Ein warmes Kribbeln stieg mir den Hals hinauf und machte mir den Mund trocken.

„Du solltest duschen, Anna. Dir das ganze... Harz... abwaschen.“

„Und du solltest dich nicht erwischen lassen, wie du bei alleinstehenden Mädels einbrichst.“

„Ich geb's auf für heute. Das sieht im Fernsehen einfach leichter aus.“ Ich nickte und sperrte meine eigene Tür auf.

„Tschüss, Einbrecher.“

„Tschüss, Anna.“

Unter der Dusche, während die Reste des Waldes im Abfluss verschwanden, dachte ich an seine grünen Augen, an seinen festen, warmen Händedruck. Wie diese Hände über meinen Körper wanderten, meine Brüste streichelten, meine Schenkel teilten. Teufel. Ich hatte schon zu lange keinen Mann mehr gehabt. Nach zwei-, dreihundert Jahren war ich die oberflächlichen Liebschaften leidgeworden. Aber mehr als Oberfläche ging nun mal nicht, wenn man ein solches Geheimnis mit sich herumtrug.

Ich stieg aus der Dusche, trocknete mich ab, zog mich an und machte mich für meinen ersten Unitag zurecht. Wenn man die dunklen Ringe unter den Augen abrechnete, sah ich keinen Tag älter aus als zwanzig. Derzeit war ich blond, was meiner ursprünglichen Haarfarbe relativ nahe kam. Blond war meine Lieblingshaarfarbe durch die Jahrhunderte, und seit es moderne Färbemittel gab, auch so einfach zu erreichen. Männer fuhren auf Blondinen ab, egal ob sie ihr aus der Kutsche halfen oder sie per Anhalter von Hanau nach Frankfurt mitnahmen.

Ich packte meine Unterlagen zusammen und machte mich auf den Weg zur Uni.

2. Kapitel

Winter 1588, Bedburg bei Köln

«Du kannst mich später noch einmal nehmen.»

„Das Arschloch!“ So fest er konnte, knallte Peter Stubbe die Tür hinter sich zu. Den Winter ließ er draußen, die graue Dämmerung und den knietiefen Schnee. Die Stube war geheizt. Rauch hing in der Luft, der Schornstein zog anscheinend wieder nicht richtig. Über dem Feuer hing ein Topf, aus dem es dampfte. Er zerrte sich die Gugel vom Kopf und schälte sich aus seinem Umhang, der mit Schnee bestäubt war. Den ganzen beschwerlichen Weg zur Mühle umsonst gemacht. Der Müller, dieses fette Arschloch. Ließ sie alle verhungern, wenn's drauf ankam.

„Weib?!“

„Ich bin hier.“ Die Vorhänge des Schlafalkovens bewegten sich. Ein nacktes Bein erschien, dann noch eines. Eine Hand, die den Vorhang teilte. Sein Weib erhob sich aus den Kissen und kam zu ihm hinüber. Das Feuer setzte einen goldenen Schimmer auf ihre blasse Haut. Ihre schweren Brüste schwangen bei jedem Schritt. Stroh raschelte unter ihren bloßen Füßen, als sie sich an ihn presste und ihren Schenkel an ihm rieb. Schlagartig war ihm die Hose zu eng.

„Komm her.“ Sie schnürte seinen Hosenlatz auf und zog ihm die Hose herunter. Seine Härte reckte sich ihr entgegen, und sie streckte die Zunge danach aus, doch so sehr er ihre Dienste sonst liebte, diesmal hatte er keine Geduld. Er zog sie unsanft nach oben und schob sie gegen den Tisch. Gehorsam rutschte sie mit dem Hintern auf die blank gescheuerte Tischplatte und spreizte die Schenkel. Er nahm sie heftig und schnell. Ihr lautes, dunkles Stöhnen feuerte ihn an, und kurz danach verströmte er sich mit einem Grunzen in ihr. Schwer atmend stützte er sich auf den Tisch und sah auf sein Weib hinunter. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen, sodass ihre rotblonden Haare den Tisch fegten. Sie stöhnte immer noch und drängte ihr nasses Fleisch gegen ihn, bis sie schließlich mit ihren eigenen Fingern nachhalf und sich zuckend Erleichterung verschaffte.

Er hatte noch nie eine solche Frau besessen. Sie war nicht züchtig wie die anderen. Vielleicht war der Teufel in ihr, und sie würde zur Hölle fahren – doch vorher würde sie ihm zu Willen sein, wann immer er es brauchte. Er zog seine erschlaffte Männlichkeit aus ihr und richtete sich die Kleidung. Katharina ließ sich nach hinten auf den Tisch sinken und streichelte sich träge über die Brüste.

„Hat er dir nichts gegeben, der Müller?“

„Nichts. Einen Arschtritt.“

Sie lächelte. „Ich werde ihn morgen besuchen, den Müller. Und ich komme mit einem Sack Mehl wieder, mein Lieber. Versprochen.“ Die Tür öffnete sich, und eine schmale Gestalt erschien im Türrahmen, eine Ziege im Schlepptau. Sibil. Je älter sie wurde, desto ähnlicher sah sie ihrer toten Mutter. Völlig verschreckt starrte sie auf Katharina, die sich nicht die Mühe machte, sich zu bedecken.

„Mach die Tür zu, Kind. Es ist kalt.“

„Wir müssen die Tiere reinbringen“, stotterte die Kleine. „Die erfrieren uns sonst. Es hat schon wieder angefangen zu schneien...“

„Dann tu es, aber mach die Tür zu!“, fuhr Katharina sie an, und Sibil gehorchte rasch. Während sie die Ziege am Dachpfosten festband, wandte sich Katharina wieder zu Peter und umschlang ihn mit beiden Beinen.

„Erhol dich jetzt ein wenig, Mann. Es gibt Bier und Gerstensuppe. Leider kein Brot, aber du kannst mich später noch einmal nehmen. Als Vorbereitung für den Müller.“

3. Kapitel

Herbst 2012, Frankfurt am Main

«Du solltest dir einen Therapeuten suchen.»

„Was machst du denn da?!“ Sexy Harry Potter erstarrte. Er war es tatsächlich. Ich hatte erst um ihn herumgehen müssen, um sicher zu sein. Ihn hier an der Uni zu treffen, überraschte mich. Noch mehr überraschte mich, dass sein Arm bis zur Schulter in einem Getränkeautomaten steckte. Mit dem anderen Arm hatte er die Riesenkiste umfasst und versuchte, sie zu kippen.

„Die gibt mir meine Cola nicht“, knirschte er und versetzte dem Gerät einen heftigen Ruck.

„Weißt du, wenn das irgendwie ein Zwang ist mit dem Einbrechen, solltest du dir einen Therapeuten suchen.“ Er stöhnte und grunzte und rüttelte am Automaten. Irgendwo tief in den Eingeweiden der Maschine rumpelte es, und Samuels Gesicht erstrahlte.

„Hab ich dich.“ Er ließ den Automaten los und richtete sich auf, in der Hand eine Flasche Cola Light, die er triumphierend in die Luft streckte.

„Das funktioniert nur so“, sagte er. „Merk dir das am besten. Das Ding klemmt, und man muss da ganz hinten drin so ein Blech wegdrücken.“

„Nein danke. Ich nehme lieber den an der Mensa.“ Samuel grinste und drehte am Verschluss. Die Cola schäumte und sprotzelte.

„Wie du meinst. Aber der hier funktioniert immerhin, auch ohne dass du Geld reinwirfst.“

„Echt?“ Ich beobachtete ihn, wie er den ersten Schluck nahm. Wie seine Lippen sich um den Flaschenhals schlossen. Hmm.

„Kannst du mir dann auch eine Cola ziehen?“

„Klar. Light?“

„Nee. Light ist für Sissies.“ Er grinste und bückte sich, um seinen Arm wieder im Automaten zu versenken. Da tauchte noch ein bekanntes Gesicht auf, eingerahmt von einer Wolke roter Löckchen.

„Anna?“

„Alexa?“ Tatsächlich. Meine Nachbarin.

„Hi, was machst du denn hier?“

„Informatik“, gab ich Auskunft. „Erstes Semester.“

„Tatsächlich? Ich studiere hier Pädagogik! Mein Seminarraum ist nebenan. Wir haben kein eigenes Gebäude...“

„Wir sind ja auch nur eine Handvoll Studenten“, grunzte Samuel von unten.

„... und deshalb sind wir überall, wo Platz ist.“

Sie beäugte ihn interessiert. „Was machst du da eigentlich?“

„Er zieht mir eine Cola“, erklärte ich, während Samuel am Automaten rüttelte.

„Ach so.“ Alexa grinste. „Ist er nicht süß?“ Dem konnte ich zustimmen, ohne zu lügen. Verdammt, ja. Er war süß.

„Na, wenn wir an der gleichen Uni sind, können wir ja gelegentlich zusammen fahren, oder?“, schlug Alexa vor. Ich nickte zögernd und dachte an meinen Porsche. Ich liebte schnelle Autos, auch wenn sie nicht zu meinem Studenten-Image passen wollten.

„Ich habe im Augenblick kein eigenes Auto“, sagte ich. „Das alte habe ich im letzten Winter gegen die Mauer gefahren, und eine Reparatur hätte sich nicht mehr gelohnt.“

„Macht nichts.“ Unbekümmert schüttelte Alexa ihre Löckchen. „Kannst bei mir mitfahren. Ist zwar eine alte Rostlaube, aber sie läuft noch.“

„Da!“ Erleichtert richtete Samuel sich auf und drückte mir eine Colaflasche in die Hand. Dann gab er seiner Freundin einen Kuss auf die Wange und schlang den Arm um sie. Ich drehte am Verschluss der Flasche und hielt sie dabei von mir weg.

„He! Aufpassen!“

„Das tut mir aber leid“, sagte ich sanft und trat nahe an Samuel heran, um ihn die Colaspritzer von der Jacke zu wischen. „Wie ungeschickt von mir.“ Er grinste gönnerhaft. „Nicht so schlimm. Diese Jacke hat Schlimmeres abbekommen als ein paar Colaspritzer.“

„Jedenfalls... wenn ich mal wo einbrechen muss, weiß ich, wen ich anrufe.“

„Klar doch. Immer. Mit ein bisschen Übung knacke ich auch einen Juwelier.“

„Aber vorher gehst du noch in die Montessori-Veranstaltung“, sagte Alexa und zog an seiner Hand. „Die fängt nämlich gleich an.“

„Dann viel Spaß, ihr beiden“, wünschte ich und sah zu, wie sie Arm in Arm davon schlenderten. Die Flasche war kalt und nass in meiner Hand. Ich nahm einen Schluck. Schade, aber egal. Andere Mütter hatten auch hübsche Söhne.

Einer davon saß in der Vorlesung neben mir. Ein schmaler Blonder mit kurz geschnittenen Haaren und weichen Gesichtszügen. Nils, wie er sich flüsternd vorstellte. Es war kein Problem, Nils nach der Vorlesung auf einen Kaffee in die Mensa zu bewegen. Der Prof hatte ja so schnell gesprochen, ich hatte gar nicht alles mitschreiben können und davon auch nur die Hälfte verstanden. Meine halb geöffnete Bluse, meine langen blonden Locken und mein Augenaufschlag hatten leichtes Spiel gehabt.

In der Mensa plapperte er über Algorithmen und Lineare Algebra, und ich versuchte, herauszufinden, ob ich Lust auf diesen Jungen hatte. Keine One-Night-Stands mehr, das hatte ich mir eigentlich vorgenommen, aber Samuels Bild hatte sich auf meiner Netzhaut eingebrannt – dieses Grinsen, diese Grübchen, diese flaschengrünen Augen – und dagegen musste ich etwas tun. Belangloser Sex konnte helfen. Und auf einen mehr oder weniger kam es auch nicht mehr an.

„Nils, ich muss los“, unterbrach ich ihn. „Aber ich würde dich gerne heute Abend treffen. Um neun in Mantis Roofgarden?“ Nils nickte und starrte mich verblüfft an. Ich nutzte meine Chance, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und machte mich davon, ehe er wieder beginnen konnte, mich zu langweilen.

Die Mai Tais in Mantis Roofgarden waren die besten der Stadt. Hatte ich irgendwo aufgeschnappt. Ich war gerade mit dem zweiten fertig, als Nils kam – überpünktlich. Nils war schick zurecht gemacht, trug ein blaues Hemd und ein Sakko mit Lederflecken an den Ellenbogen. Retro, auf eine coole Art. Er setzte sich zu mir, bemerkte mein fast leeres Glas und bestellte mir sofort ein neues. Der Abend zog sich. Nils war echt bemüht. Ich törnte ihn an, das war nicht zu übersehen. Meine langen Beine, die der ultrakurze Rock perfekt zur Geltung brachte, der Ansatz meiner Brüste, den mein Oberteil sehen ließ. Er wusste gar nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Wir tauschten die üblichen Geschichten aus Schule und Elternhaus – alle gelogen auf meiner Seite des Tisches – und redeten über Uni, Studentenwohnheime und die Stadt. Das Kribbeln, das ich mit den Mai Tais erzeugen wollte, stellte sich nicht ein. Ich beugte mich über den Tisch und fiel ihm ins Wort, indem ich meine Lippen auf seine presste. Er riss die Augen auf, erwiderte meinen Kuss aber bereitwillig. Später ließ ich ihn mit der Hand unter meinen Rock greifen, im hinteren Teil der Bar, dort wo es zu den Toiletten ging und die Beleuchtung mehr als spärlich war. Er war furchtbar aufgeregt, rieb seine Erektion an meinem Schenkel und kam zwei Minuten später in seine Hose. Zu Tode gelangweilt wartete ich, bis er auf der Herrentoilette verschwand, um sich zu säubern, dann ergriff ich die Flucht.

Die zwei Jungs, die mir hinterherstolperten, hatten einfach nur Pech.

„He, Süße“, grölte der eine. „War das dein Macker, da eben?“

„Geht dich einen Dreck an“, fauchte ich über die Schulter. Mit meinen Zehn-Zentimeter-Heels konnte ich nicht rennen, doch selbst mit Turnschuhen wäre ich vermutlich geblieben, um den Jungs ihren fatalen Fehler klarzumachen.

„Hat er es dir ordentlich besorgt?“, fiel der andere ein. „Brauchst du's nochmal? Alte, du hast einen geilen Arsch!“

„Fass ihn an, und ich reiß dir die Eier ab.“ Sein Pech, dass er mir nicht glaubte. Sekunden später lag er auf dem Pflaster, schrie durchdringend und hielt sich die Kronjuwelen. Ich musste grinsen.

„Du auch?“, fragte ich den anderen. Der starrte mich an wie ein Reh einen Tanklastzug, dann machte er auf den Hacken kehrt und stürzte davon. Ich atmete aus. Die Wölfin drängte von innen gegen meine Haut, das spürte ich. Ich stand kurz vor dem Zerreißen. Ich schnappte mir das nächste Taxi und hetzte den Fahrer jenseits aller Tempolimits aus der Stadt. Auf einem schmutzigen, aber großen Areal zwischen zwei Autobahnen ließ ich ihn stoppen, zahlte und stieg aus. Meine Heels versanken im weichen Boden. Während das Taxi davon fuhr, streifte ich sie mir von den Füßen und riss mir die Kleidung vom Leib. Kühl strich der Mond über meine nackte Haut. Dann ließ ich die Wölfin ans Licht und rannte.

4. Kapitel

Winter 1588, Bedburg bei Köln

«Vielleicht hatte sie Glück, und er würde dort draußen erfrieren.»

Katharina verbiss sich die Schreie. Entspannen. Locker lassen. Gleich ist es vorbei. Peter lag schwer auf ihr, stieß sie hart und grunzte dabei wie ein Tier. Katharina spürte die Nässe zwischen ihren Schenkeln, aber es war keine Erregung, es war Blut. Ein dumpfer Schmerz wühlte in ihren Eingeweiden. Er hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen, was sie normalerweise in Erregung versetzte. Doch diesmal hatte er sie fast mit den Bändern ihrer Haube erwürgt, und das Knirschen des Stoffes, als ihr Unterkleid an der Naht aufriss, hatte sie immer noch im Ohr. Sie würde es flicken müssen, dabei war vom Zwirn kaum mehr als eine Elle übrig. Und seine Augen. Ungezügelte Lust, ja, aber vermischt mit etwas Tierischem. Ausdruckslos, teilnahmslos. Die Augen eines Stiers, der eine Kuh begattete. Hatte er getrunken? Sie kannte ihn betrunken. Er wurde weinerlich, wenn er trank, und bejammerte Gottes Ungerechtigkeit und das eigene erbärmliche Leben. Also, was war los mit ihm? Er drehte den Kopf und biss sie in die Brust, erwischte die empfindliche Warze und grub seine Zähne in ihr empfindliches Fleisch. Jetzt schrie sie doch, und sofort steigerte er seinen gnadenlosen Rhythmus. Sie versuchte, ihn von sich zu drängen, doch sein schwerer, schwitzender Körper hielt sie gnadenlos unten.

Neben sich im Stroh hörte sie Sybille rascheln. Sie sah zur Seite und erkannte das blasse, eingeschüchterte Gesicht der Kleinen, die zu ihr hinüberstarrte .Katharina hatte keine Kraft für ein tröstendes Lächeln. Endlich, endlich kam er und verströmte sich mit einem heiseren Schrei in ihr. Er richtete sich über ihr auf. Spuckefäden hingen ihm von den Lippen. Er keuchte schwer. Seine Augen trugen ein beängstigendes Funkeln. Dann, nackt wie er war, sprang er vom Lager, riss die Tür auf und rannte hinaus in den Wald.

Vielleicht hatte sie Glück, und er würde dort draußen erfrieren.

5. Kapitel

Herbst 2012, Frankfurt am Main

«Ich brauche einen Mann!»

„Ich brauche einen Mann!“ Erhitzt strich ich mir Haare aus der Stirn. Alexa, unter deren Tür ich stand, musterte mich amüsiert.

„Dafür gibt’s das Internet, Schätzchen.“

„Dauert zu lange. Kannst du mir deinen ausleihen? Ich muss einen Schrank aufbauen.“ Natürlich war das alles geplant. Eine Frau mit einer halben Million in Aktien und Sparbriefen musste sich nicht einen Transporter mieten, um ein sperriges Paket vom nächsten Möbelhaus in ihre Studentenbude zu schaffen. Immerhin hatte ich noch versucht, das schwere Paket in den Lift zu schleppen. Jetzt blockierte es die Haustür, und ich brauchte dringend Samuels Hilfe. Er war da; ich hatte sein Fahrrad unten stehen sehen.

Jetzt kam er an die Tür und sah über Alexas Schulter.

„Probleme?“

„Nein. Nur einen unglaublich sperrigen, schweren Schrank... und... hast du einen Akkuschrauber?“

„Ja, aber ich weiß nicht, ob der aufgeladen ist.“ Alexa tauchte unter Samuel weg und verschwand in ihrer Wohnung. Wir sahen uns an.

„Wo steckt das Biest denn?“ Er strich sich die Ärmel hoch und entblößte kräftige, gebräunte Unterarme.

„In der Haustür.“ Er grinste.

„Na, dann mal los, bevor Frau Meier mit ihrem dicken Dackel da durch will.“

Zu zweit gelang es uns tatsächlich, das schwere Paket bis ins Dachgeschoss zu hieven, denn in den Lift passte es natürlich nicht rein. Schließlich hatten wir es im Wohnzimmer. Ich keuchte und rieb mir die Arme, um nicht aufzufallen, und hoffte, Sam würde nicht bemerken, dass ich gar nicht schwitzte.

„Möchtest du etwas zu trinken?“, fragte ich ihn.

„Gerne. Ein Wasser, wenn du hast.“ Während ich ihm in meiner kleinen Küche ein Glas eingoss, schnitt er die Verpackung meines neuen Möbels auf und begann, Bretter zu sortieren. Inzwischen kam auch Alexa mit dem Akkuschrauber rüber. Wir machten uns an die Arbeit. Während Alexa frei Schnauze begann, Bretter aneinanderzulegen, las Samuel sich die Aufbauanleitung durch und dirigierte Alexas Bemühungen. Ich beobachtete aufmerksam, wie die beiden sich kabbelten. Ihr Umgang miteinander war sehr vertraut, sie mussten schon lange ein Paar sein. Nach einer Weile klingelte mein Handy. Es war jemand von der Uni. Etwas in meinen Anmeldeunterlagen stimmte nicht. Ich schluckte einen Anflug von Panik hinunter. Seit die Zeiten so modern waren, dass ich für jedes neue Leben einen Haufen neuer gefälschter Papiere brauchte, war ich schrecklich nervös, wenn die Bürokratie etwas von mir wollte.

Ich ging auf den Balkon, um in Ruhe zu telefonieren. Es stellte sich heraus, dass ein Teil meiner Unterlagen, den ich per Mail geschickt hatte, irgendwie nicht angekommen war und nun fehlte. Ich wurde gebeten, mein Abiturzeugnis nachzureichen. Puh. Ich war erleichtert. Mein Abiturzeugnis war sogar echt: Ich hatte das Abi im vergangenen Sommer auf einer Abendschule gemacht. Zum dritten oder vierten Mal in diesem Leben. Keine echte Herausforderung mehr. Ich versprach der Dame von der Studentenkanzlei, mich darum zu kümmern, und legte auf. Im Wohnzimmer war die Arbeit zum Erliegen gekommen, weil die dritte Frau zum Festhalten fehlte. Stattdessen beugten Sam und Alexa sich gemeinsam über einen Pappkarton.

„He! Das ist aber indiskret, was ihr da macht.“ Sam sah zu mir hinauf, Fotos in den Händen. Fotos meiner früheren Leben. Hätte ich es doch lieber übers Herz gebracht, sie zu vernichten.

„Wow. Wer ist das?“ Er hielt mir ein Foto entgegen, das mich bei einem Shooting zeigte. Bienenkorbfrisur, damals noch in Dunkelbraun, Minirock, hohe Stiefel. Eindeutig 60er Jahre.

„Das ist eine Schwester meiner Mutter. Meine Tante Annette. Sie war Fotomodell.“

„Nicht schlecht.“ Er pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sicher, dass das deine Tante ist, nicht deine Mutter?“ Ich grinste humorlos. „Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Deshalb, ja, ganz sicher.“

„Da sind noch mehr von ihr.“ Alexa kramte in der Kiste. Fotos von mir im Badeanzug, auf einem Bootssteg mit einem hübschen Dunkelhaarigen, im Etuikleid vor dem Casino in Monaco. Ja, ich wusste schon, wie man lebte. Wenn ich hier mit meinem Studentenleben fertig war, würde ich wieder eine glanzvollere Identität wählen. Mein Leben war einfach zu lang, um es ohne gute Hotels zu verbringen.

„Diese Ähnlichkeit“, staunte Alexa. „Kaum zu glauben, dass das nicht du bist!“

„Das Foto ist vierzig Jahre alt! Da müsste ich mich aber gut gehalten haben.“

„Wo lebt denn deine Tante Annette heute?“, wollte Sam wissen.

„In Amerika“, sagte ich schnell. „In einem Vorort von L.A. Sie ging in den Achtzigerjahren nach drüben, wegen ihrer Karriere. Heute ist sie Seniormodel für verschiedene Designer.“

„Cool. Ich würde gerne mal sehen, wie sie heute aussieht. Können wir sie mal googeln?“

„Sie arbeitet unter einem Pseudonym. Ich weiß nicht, unter welchen.“

„Lass uns einfach mal ihren bürgerlichen Namen eingeben.“

„Ich dachte, du bist hier, um mir zu helfen?!“, fauchte ich.

„Das bin ich“, sagte er und sah mich lange an. „Wenn du meine Hilfe brauchst. Okay, vergiss die Tante.“

„Genau. Lieber neue Schränke als alte Schachteln“, sagte Alexa fröhlich und ließ den Akkuschrauber schnurren. „Können wir dann?“

Als mein Schrank stand und meine Helfer sich nach einer letzten Tasse Kaffee verabschiedet hatten, packte ich den Karton und ging damit auf den Balkon. Mein Vormieter hatte seinen Grill dort stehenlassen, ein dreibeiniges, wackeliges, fettverkrustetes Ding, das ich noch nicht entsorgt hatte – zum Glück. Ich legte ein paar Fotos in die Feuerschale und zündete sie an. Ich war viel zu leichtsinnig geworden. Vierhundert Jahre war mir nichts passiert. Nahezu unsterblich, surfte ich durch die Jahrhunderte, während die kurze Lebensspanne der Menschen um mich herum verlosch. Und nun begann ich, mir den Luxus der Sentimentalität zu leisten. Ich hatte die Fotos aufgehoben, damit ich eine Chance hatte, mich an meine vergangenen Leben zu erinnern – und weil ich immer noch fasziniert von moderner Technik war. Ich drehte ein beinahe zweihundert Jahre altes Foto zwischen den Fingern, bevor ich es den Flammen übergab. Andere Leute hängten so etwas ins Museum. Ich war damals eine der ganz wenigen Menschen gewesen, die sich vor den riesigen schwarzen Kasten gewagt hatten, um eine Photographie von sich anfertigen zu lassen. Mit Schaudern dachte ich an die Korsetts und Unterröcke. Nein, ich war jedenfalls ein Fan der modernen Zeiten – so modern, dass Fotos auf Papier längst überholt waren.

Ich dachte an meinen Facebook-Account. War ich zu leichtsinnig? Ich postete mein erfundenes Leben, aber ein echtes Foto. Heutzutage war man ja schon fast verdächtig, wenn man kein Facebook-Profil hatte. Wenn jemand mich finden wollte, hatte er es heute in den Zeiten des Internets leicht wie noch nie.

Im nächsten Leben würde ich den Namen Stubbe ablegen. Wieso ich ihn wieder gewählt hatte, nach lauter Leben als Klein, Erhardt, Remeis und Gordon, wusste ich nicht. Vielleicht hatte ich meine Wurzeln spüren wollen. Sie waren so weit weg. Die restlichen Fotos warf ich ins Feuer. Es rauchte und stank. Der Wind blies kleine Ascheröllchen vom Balkon.

Ich ging rein, um meinen neuen Schrank einzuräumen.

6. Kapitel

Bedburg, kurz nach Weihnachten 1588

«Jetzt ist das Elend bei dir angekommen.»

„Ich will da nicht raus“, jammerte Sibil. „Ich habe Angst.“ Katharina seufzte und zog ihren Umhang fester um die Schultern. Sie hatte selbst wenig Lust auf einen Fußmarsch durch den Wald, zumal es schon wieder begonnen hatte zu schneien.

„Ich weiß, Kleine, aber es ist nun mal unsere einzige Ziege. Wenn die Wölfe sie holen, haben wir keine Milch mehr.“ Sie griff nach einem abgebrochenen Besenstiel und drückte ihn Sibil in die Hand.

„Hier. Damit du dich wehren kannst.“ Sie öffnete die Tür und schob Sibil hinaus in den grauen Nachmittag. Der Schnee um die Hütte stand ihr fast bis zum Knie, und ihre Füße in den dünnen Lumpen wurden sofort kalt.

„Warum geht der Vater nicht mit auf die Suche?“

„Der liegt und schläft. Er hat sich vorhin krank gefühlt.“

Krank gefühlt – mit seinem beinahe irren Blick, Gesicht und Hände voller Blut, war er grunzend auf die Schlafstatt gekrochen. Zuvor war er beinahe einen ganzen Tag und eine Nacht verschwunden gewesen, und sie hatte inbrünstig gebetet, er möge diesmal nicht wiederkommen. Doch Gott hatte sie noch nicht genug gestraft für ihre Lust und wollte sie weiter leiden lassen. Wenigstens vergriff er sich nicht mehr täglich an ihr, seit er diese langen Wanderungen unternahm.

Sibil stand bibbernd im Schnee, und Katharina nahm sich ein handliches Holzscheit vom Stapel und zog die Tür hinter sich zu.

„Meinst du, das hilft gegen den Schlächter?“, fragte die Kleine mit blauen Lippen.

„Ich weiß es nicht“, sagte Katharina. „Aber wenn wir ihn treffen, will ich mich zumindest nicht kampflos ergeben.“ Sie nahmen die Spur der Ziege auf und stapften über die Lichtung zum Waldrand.

„Der Müller erzählt, die Frau vom Oberbach-Bauern ist seit ein paar Tagen verschwunden“, berichtete Sibil. „Alle glauben, dass der Schlächter sie geholt hat. Das ist dann sein zwölftes Opfer in nicht mal zwei Monden.“

„So lange man sie nicht findet, ist nichts bewiesen“, sagte Katharina grimmig. „Vielleicht hat sie auch nur von ihrem saufenden Ehemann die Nase voll und ist ihm weggelaufen. Verstehen könnte ich es.“ Sie spürte, wie Sibil sie ängstlich von der Seite ansah.

„Du gehst nicht, oder? Lässt mich nicht mit dem Vater allein?“ Katharina seufzte.

„Nicht jetzt im Winter. Und wenn ich gehe, nehme ich dich mit.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“ Was redete sie da bloß? Das Balg von Peters erster Frau war ihr nie sonderlich nahe gewesen, und ihre Hoffnung, mit eigenen Kindern gleichziehen zu können, hatte sich nicht erfüllt. Doch überließe sie das Kind diesem Tier, zu dem er geworden war, müsste sie dafür auf ewig im Fegefeuer schmoren. Zum wiederholten Mal fragte sie sich, ob sie eine Schuld an seiner Verwandlung trug. War es, weil sie ihm keine Kinder gebar? War sie zu lüstern gewesen, hatte ihre Lust ihn verdorben? Oder war sie ihm vielleicht gerade nicht genug zu Willen gewesen?

Sie hatte gerade beschlossen gehabt, den Kirchenmann im Ort um Rat zu fragen, als die Mordserie begonnen hatte. Alte, Junge, Männer, Frauen, zerfleischt und zerrissen wie von Tieren, aber auch auf eine Art hingerichtet, die eine grausame Intelligenz verriet. Und gleichzeitig hatte Peter begonnen, sich immer merkwürdiger zu verhalten. Es kursierten genug Gerüchte über ihn und Katharina. Sie wollte nicht Öl in ein Feuer gießen, das sie selbst mitsamt ihrem Mann verschlingen konnte.

Unter den Bäumen mussten sie suchen, bis sie die Spur der Ziege wieder gefunden hatten. Helle, abgenagte Stellen in der weichen Rinde einer Buche verrieten ihnen schließlich den Weg.

„Warum läuft sie nur weg?“, beklagte sich Sibil. „Sie ist doch noch nie weggelaufen!“

„Nicht genug Futter?“, vermutete Katharina.

„Aber wir haben doch nicht mehr!“

„Das weiß die Ziege doch nicht, dummes Gör.“

Schweigend arbeiteten sie sich voran. Unter der tiefen Schneedecke lagen Äste und Gesträuch verborgen, die sie immer wieder stolpern ließen. Ihre langen Röcke schleiften hinter ihnen her und verfingen sich im niedrigen Geäst. Während ihre Hände und Füße eiskalt und gefühllos waren, rann Katharina der Schweiß den Rücken hinunter. Am Rand einer dichten Tannenschonung verloren sie die Spur. Sibil, die Hände um den Besenstiel gekrampft, drehte sich suchend im Kreis und rief nach der Ziege, doch das Tier war nirgends zu sehen. Der Wald war totenstill. Kein Ästchen knackte. Katharina ging voran, von der Verzweiflung getrieben. Wenn die Ziege weg war, würden sie es vielleicht nicht über den Winter schaffen. Zehn, zwölf Schritte später kreuzte eine Schleifspur ihren Weg. Katharina hielt inne und sah sich um. Jemand hatte hier etwas Schweres durch den Schnee geschleift und war damit im Dickicht verschwunden, das zeigten einige abgebrochene Äste. Katharina folgte der Spur, bog mit Schnee beladene Zweige beiseite und zwängte sich dazwischen. Hier, unter den Bäumen, erwartete sie eine Blutlache. Katharina schlug die Hand vor den Mund. Nicht die Ziege, dachte sie, bloß nicht die Ziege. Die Blutlache war riesig. Sie hatte sich in den Schnee hineingeschmolzen und ihn rot gefärbt. Überall rundum waren Blutspritzer in der glitzernden Schneedecke. Aus der Blutlache führte eine blutige Schleifspur tiefer in die Schonung.

„Was ist?“, fragte Sibil von hinten. „Hast du eine Spur?“

„Vielleicht.“ Katharina überwand ihre Angst und ihren Ekel, stieg über die Blutlache und folgte der Spur. Schnee und Tannennadeln rieselten ihr in den Kragen, als sie sich durchs Gestrüpp zwängte. Als sie gerade umkehren wollte, weil einfach kein Durchkommen mehr war, stieß ihr Fuß gegen etwas Weiches.

Der Junge hatte kein Gesicht mehr. Er musste vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein, ein dünnes, blasses Kerlchen. Sein Kopf war zerdrückt wie ein fauler Apfel. Graue Gehirnmasse quoll daraus hervor. Seine Brust und sein Bauch waren aufgerissen, Katharina sah zwischen Haut- und Fleischfetzen die Gedärme bläulich schimmern. Ein Bein war bis zum Skelett abgefressen. Neben ihr erbrach sich Sibil ins Gebüsch.

„Zumindest nicht die Ziege“, sagte Katharina.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Sibil schwach, bevor neue Übelkeit sie nach vorne krümmte.

„Nichts“, sagte Katharina. „Wir gehen zurück und beten, dass der Schnee unsere Spuren verdeckt. Wir waren nicht hier. Wir haben nichts gesehen. Wir haben nichts gefunden. Und wenn die Ziege wirklich weg ist, dann Gnade uns Gott.“ Sie packte Sibil unsanft und stieß sie aus dem Gebüsch. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Sibil weinte leise. Es schneite heftig, als sie an der Hütte ankamen. Katharina war dankbar für jede Flocke, die fiel.

Die Hütte war dunkel, Peter hatte noch kein Licht gemacht. Vor der Tür stand die Ziege und kaute geruhsam an ihrem Strick.

„Lotte!“, rief Sibil und fiel dem Tier um den Hals, das zutraulich seine Nase in ihre Armbeuge steckte. Für einen Augenblick wirkte Sibil wieder sehr kindlich, wie das kleine Mädchen, das sie noch vor zwei Sommern gewesen war.

„Ein Glück“, sagte Katharina und stemmte die Tür auf, die von einer Schneewehe blockiert wurde.

„Schnell rein mit dem Tier. Wir binden sie drinnen an. Das darf nicht noch einmal passieren.“

In der Hütte war es kalt. Peter schnarchte hörbar auf der Schlafstatt. Katharina legte einen Finger auf die Lippen. Sibil nickte. Genau wie Katharina selbst zitterte sie am ganzen Leib vor Kälte.

„Zieh die nassen Kleider aus“, flüsterte Katharina, „du holst dir sonst den Tod.“ Sie zündete die Kerze auf dem Tisch an und begann ihrerseits, sich die schweren, nassen Kleider vom Leib zu ziehen. Die Aufregung hatte sie nicht bemerken lassen, wie sehr sie ausgekühlt war. Eilig entzündete sie ein Feuer in der gemauerten Feuerstelle. Sie sparte mit dem Holz, doch wenigstens ein bisschen Wärme musste sein, sonst würde keiner von ihnen den nächsten Morgen sehen. Sibil stand noch immer wie angewachsen und rührte sich nicht. Ihr Gesicht war weiß und immer noch von Panik gezeichnet. Unsanft schälte Katharina sie aus Umhang, Überwurf und Hemd, bis das Mädchen nackt und zitternd vor ihr stand. Dann scheuchte sie sie auf die Schlafstatt unter die Decken, zog sich selbst das Hemd vom Leib und rutschte nackt neben das Mädchen unter die Felldecke. Sie presste den eigenen kalten Körper gegen den des Mädchens und wartete auf die Wärme. Langsam hörte Sibil auf zu zittern. Das Feuer in der Feuerstelle gewann an Kraft. Die Wärme und die überstandene Aufregung machten Katharina schläfrig. Dann bewegte sich Peter und drehte sich grunzend auf die andere Seite, und plötzlich wurde Sibil in Katharinas Armen steif.

„Da seid ihr ja, meine Hübschen.“ Peters Gesicht erhob sich hinter Sibils weißer Schulter. Sibil zuckte zusammen und presste sich gegen Katharina. Das Blut war auf Peters Gesicht getrocknet. Seine Haare standen ihm wild und struppig vom Kopf ab, und er schien sich einen Zahn ausgeschlagen zu haben, denn sein Grinsen war fremd und beängstigend. Es klatschte, und Sibil quietschte auf. Mit schreckgeweiteten Augen klammerte sie sich an Katharina, während Peter die Felldecken wegschob und den nackten Körper des Mädchens entblößte. Er selbst war nackt, schmutzig, voller Kratzer und blutverschmiert – wie jemand, der sich durch ein Gestrüpp gekämpft hatte – und seine Männlichkeit stand pulsierend von seinem Körper ab.

„Ein echtes Weibchen ist sie geworden, die Kleine“, grinste Peter dreckig und begrapschte die zarten Brüste des Mädchens. Sibil schrie und wand sich, aber Peter packte erbarmungslos zu, warf sie auf den Bauch und drückte sie in die Kissen.

„Wehr dich nicht“, sagte Katharina tonlos. „Schrei nicht. Du machst es nur schlimmer.“ Peter zwängte Sibils Schenkel auseinander, legte sich auf sie, wobei er das Mädchen beinahe erstickte, und drang in sie ein. Sibils Augen waren weit aufgerissen, sie biss sich auf die Lippe, bis sie blutete, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Peter stieß sie heftig und ergoss sich schließlich grunzend und zuckend in sie. Über Sibils Wangen strömten Tränen.

Jetzt ist das Elend bei dir angekommen, dachte Katharina. Armes Mädchen. Wenn wir das Frühjahr erleben, nehme ich dich mit.

7. Kapitel

Herbst 2012, Frankfurt am Main

«Und? Hat er's dir ordentlich besorgt?»

Es dauerte nur zwei Tage, bis mir klar wurde, dass meine Sorge berechtigt war.

Hallo Anna, kennst mich noch? Bald werden wir uns wiedersehen.

Gruß, ein Freund von früher.

Ich starrte auf die SMS, während mir ein kalter Schauer über den Rücken kroch. Natürlich konnte das ganz harmlos sein, ich kannte schließlich eine Menge Leute und war auch schon einige Jahre als Anna Stubbe unterwegs. Trotzdem glaubte ich nicht, dass diese SMS von einem Freund stammte – oder, dass ich mich über das Wiedersehen sonderlich freuen würde.

„Hallo? Anna?“ Alexa wedelte mit einer Eintrittskarte unter meiner Nase herum.

„Hast du jetzt Lust, mitzugehen, oder nicht?“

„Hmh?“ Sie ließ die Karte sinken.

„Ist etwas passiert? Schlechte Nachrichten?“ Ich steckte mein Handy weg.

„Nein, alles gut. Und ich gehe gerne mit zum Konzert.“ Während ich eine Vorlesung, die mich eigentlich interessierte, teilnahmslos über meinen Kopf hinweg spülen ließ, versuchte ich, eine Entscheidung zu treffen. Untertauchen, sagte die Vernunft. Wenn er es ist, den ich vermute, dann kommt er nicht allein. Und du, du bist schon seit ein paar Jahrhunderten ohne Rudel unterwegs. Also pack deine Sachen, besorg dir neue Papiere und verschwinde. Neuseeland kennst du noch nicht, und dein Englisch ist ganz passabel. Das Herz hielt mit einem einzigen Gedanken dagegen: Sam!

Ich rief die SMS des "Freundes von früher" auf und drückte kurz entschlossen den grünen Knopf. Keiner ging ran. Nach dem fünften oder sechsten Freizeichen legte ich wieder auf. Was hätte ich ihm auch sagen sollen? Wir waren uns irgendwann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zuletzt begegnet. Es hatte uns beide beinahe das Leben gekostet. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass einer der beiden Weltkriege ihn inzwischen erledigt hatte. Aber vielleicht hatte ich mich auch nur zu gut versteckt. Ich war unvorsichtig geworden. Freundschaften, Facebook... ein normales Leben einer normalen jungen Frau, die ich nie gewesen war. Ich packte das Handy weg. In meiner Tasche knisterte die Eintrittskarte. Eine junge Rockband, die in der Aula der Universität spielte. Sam und Alexa gingen hin, und ich fand es süß von ihnen, dass sie mich mitnahmen.

Alexa war ein Problem. Ich mochte sie viel zu gerne, um ihr den Freund auszuspannen. Doch als mich zuletzt ein Mann so berührt hatte, hatte ich noch auf Stroh geschlafen und den Pferdefuhrwerken gelauscht, wie sie sich durch schlammige Straßen mühten. Wollte ich wirklich verzichten? Wie eingesperrte Tiere liefen die Gedanken in meinem Kopf im Kreis. Ich hielt durch, bis es dunkel war, dann nahm ich mir die einzige Freiheit, die mir immer blieb. Ich fuhr mit dem Porsche in den Taunus, dorthin, wo die Wälder still und dunkel sind, und ließ die Wölfin rennen.

Als ich am frühen Morgen nach Hause kam, war ich zu müde, um nachzudenken. Meine Sinne waren noch geschärft, und so roch ich Sams Anwesenheit in der Wohnung gegenüber. Ich roch seinen Schweiß, ein billiges Duschgel und Sex. Der Geruch schlang sich um Alexas Geruch, der mich immer ein wenig an Kaffee und Schokolade erinnerte. Sie passten gut zusammen, die beiden Gerüche. Ich ging in meine leere, halb eingerichtete Wohnung und legte mich schlafen.

Als ich aufwachte, hatte ich eine SMS.

Ich weiß, wo du wohnst.

Ich starrte auf das Display. Eigentlich wäre es an der Zeit, die Polizei zu rufen, aber wie ich die kannte, unternähme sie nichts, ehe ich nicht zu Schaden gekommen war, und meine gefälschten Papiere waren zwar gut, aber nicht unfehlbar. Zu viel Risiko also für zu wenig Rendite. Umziehen? Würde nicht genügen. Wenn, dann komplett untertauchen, und dazu war ich nicht bereit. Himmel noch mal, ich war gerade in diesem Leben angekommen, hatte noch nicht mal alle Kisten ausgepackt! Ich wollte mich nicht von einem Phantom ans andere Ende der Welt jagen lassen.

Ich duschte und ließ mir einen Kaffee aus meinem futuristischen, silbrig blinkenden Vollautomaten, in einen Becher ein. Ich konnte mich noch gut an meine allererste Tasse Kaffee erinnern. Irgendwann Ende des siebzehnten Jahrhunderts musste das gewesen sein. Was für eine fürchterliche Plörre im Vergleich zu dem, was meine Zaubermaschine heute ausspuckte, aber ich war von der ersten Sekunde an süchtig gewesen. Ich verbrachte den Tag mit Kaffee, Fernsehtalkshows und ein paar Fachbüchern, die man uns Erstsemestern zur Lektüre dringend empfohlen hatte, doch nichts fesselte meine Aufmerksamkeit wirklich. Gegen Abend begann ich, mich für das Konzert zurechtzumachen. Ich legte meine blonde Mähne in anmutige Wellen und schminkte mich dezent. Rosa Lippenstift und hellen Highlighter um die Augen. Zwar war mein Gesicht faltenlos wie das einer Zwanzigjährigen, trotzdem fehlte mir seit ein paar hundert Jahren die Ausstrahlung einer sehr jungen Frau. Indem ich mir einen sehr mädchenhaften Look verpasste, konnte ich ein bisschen gegensteuern.

Ich probierte alle meine Jeans durch, bis ich eine fand, die lässig auf den Hüften saß und meine Vorzüge betonte, ohne zu sexy zu sein. Ein schlichtes weißes Männerhemd, am Kragen offen und mit aufgekrempelten Ärmeln, vervollständigte mein Outfit. Boots, Umhängetasche, und ich war fertig. Ich klingelte gegenüber bei Alexa. Sam öffnete.

„Hi“, sagte er und lächelte flüchtig. „Ähm... Alexa wird nicht mitkommen. Es geht ihr nicht so besonders.“ Hinter ihm tauchte meine Lieblingsnachbarin auf, in einem ausgeleierten T-Shirt, im Gesicht blass wie eine Leiche.

„Magen-Darm-Grippe“, murmelte sie schwach. „Ihr zwei könnt einfach ohne mich gehen.“

„Und du bist sicher, dass ich nicht bei dir bleiben soll?“ Sam drehte sich zu Alexa um. Die lächelte müde.

„Nee, lass mal. Ich weiß doch, wie sehr du dich auf das Konzert gefreut hast. Und ich will einfach nur schlafen...“ Sam seufzte und nahm Alexa in den Arm. Ganz fürsorglich sah er aus, und sie schlang die Arme um ihn und versteckte das Gesicht an seiner Brust.

„Gute Besserung“, flüsterte er in ihre Haare. „Und wenn du was brauchst... ich hab den ganzen Abend das Handy an.“

„Viel Spaß“, murmelte sie. „Ich geh wieder ins Bett.“ Er brachte sie ins Schlafzimmer und blieb eine Weile verschwunden. Ich wartete auf dem Fußabstreifer und versuchte, mich nicht zu schlecht zu fühlen, weil ich mich auf den Abend mit Sam so freute. Ich plante nichts. Ich war nicht Bitch genug, um einer kranken Freundin den Kerl auszuspannen. Einfach nur seine ungeteilte Aufmerksamkeit genießen, das war es, was ich wollte. Endlich kam er und schlüpfte in seine ausgelatschten roten Chucks.

„Wollen wir?“

„Bin bereit.“

„Was macht dein Auto? Fährt es wieder?“

„Ähm... ja. Ich kann fahren, wenn du möchtest.“ Wozu hatte ich den Porsche schließlich, wenn ich ihn als mein bestgehütetes Geheimnis behandelte?

Sam staunte nicht schlecht, als ausgerechnet das rote Geschoss auf dem Parkplatz meiner Fernbedienung antwortete.

„Alter! Was für eine geile Karre! Woher hast du die denn?“

„Mein Vater war sehr vermögend und hat mir eine Menge Geld hinterlassen.“

„Oh... er ist tot?“

„Schon seit ein paar Jahren. Das Auto ist die einzige Spielerei, die ich mir gegönnt habe – mein Vater hätte nicht gewollt, dass ich sein hart erarbeitetes Geld auf den Kopf haue.“

„Verstehe.“ Beinahe andächtig ließ er sich auf den lederbezogenen Beifahrersitz gleiten. Ich startete den Motor und genoss für einen Augenblick die mächtige Maschine unter dem Gaspedal. Dann ließ ich den Porsche sanft vom Parkplatz rollen.

„Was hat dein Vater so gemacht?“

„Er hatte eine Immobilienfirma in Bonn. Hat sein Geld gemacht, als die Bundesregierung noch dort war.“ Ich versorgte Sam mit Details aus meinem erfundenen Leben, während wir durch den abendlichen Stadtverkehr cruisten. Irgendwann, als ich ihm nicht noch mehr Lügen auftischen wollte, fragte ich nach der Band, die wir an diesem Abend hören würden. Ein Freund von ihm war der Schlagzeuger und hatte Sam mit den Karten versorgt.

„Sonst wäre ich nicht gegangen“, sagte Sam. „Ich meine, das ist eigentlich uncool, die Freundin daheim über der Kloschüssel zu lassen und selber rauszugehen und sich zu amüsieren.“

„Für sie war das aber okay, oder nicht?“

„Ja – nur für mich eigentlich nicht. Wir haben das besprochen, bevor du geklingelt hast. Ich bin nur mit, weil sie darauf bestanden hat.“ Spielerisch zog ich einen Schmollmund. „Dann liegt dir also nichts an meiner Gesellschaft?“ Er grinste. „Das nun auch wieder nicht. Immerhin werde ich heute Abend dort mit der schärfsten Blondine überhaupt aufkreuzen. Das ist gut fürs Ego.“

„Ihr Männer. Wann werdet ihr begreifen, dass Frauen nicht nur Schmuck und Zierde für euch sind?“

„Du darfst dich gerne auch mit mir schmücken, wenn dir das hilft.“

„Na, an Selbstbewusstsein fehlt es dir ja nicht.“

„Nö, warum auch?“

In der Nähe der Uni fand ich einen Parkplatz. Wir beschlossen, auf die Vorgruppe zu verzichten und lieber noch einen Cocktail trinken zu gehen, ehe wir uns ins Gewühl der Party stürzten. Die Mai Tais in der Studentenkneipe ums Eck reichten nicht an die im Roofgarden heran, aber sie lockerten die Stimmung und gaben unseren Händen etwas zu tun, während wir langsam miteinander warm wurden. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, war ich für längere Zeit mit ihm allein. Ich ließ ihn von der Uni erzählen und genoss inzwischen seinen Anblick: die kräftigen Finger, die mit dem Strohhalm spielten, die breiten Schultern in der Lederjacke. Das Shirt, das er darunter trug, hing ihm locker über die Hose, war aber eng genug, dass es seinen Sixpack erahnen ließ, wenn er sich bewegte. Ich stellte mir vor, wie ich meine Hände unter den verwaschenen Stoff gleiten ließ. Sein Körper musste warm und fest sein, das Spiel der Muskeln fühlbar unter der Haut. Ob er sich die Brust rasierte? Rasierte Männer waren meist sehr eitel, und Sam war zwar schön, machte aber keinen sonderlich eingebildeten Eindruck, er sah eher auf eine lässige, natürliche Art gut aus, die nur wenigen Männern gegeben ist. Ich würde meine Finger unter seinen Hosenbund stecken und seinen Gürtel öffnen, dann würde ich die Hose langsam nach unten schieben...

„Anna? Hallo?“ Ich schrak auf.

„Oh, sorry, ich war mit den Gedanken... woanders.“ Da war wieder dieses jungenhafte Grinsen auf seinem Gesicht.

„Man hätte meinen können, du würdest mich mit Blicken ausziehen.“

„Was?! Nein! Ich meine... du hast schließlich eine Freundin.“ Er ließ seinen Blick an mir hinunterwandern, ganz langsam.

„Die Gedanken sind frei“, sagte er. Ich stürzte meinen Mai Tai hinunter.

„Zeit für die Band, oder nicht?“

„Na klar.“ Er rutschte vom Barhocker. „Ich zahle.“

Es wurde nicht besser, als er in der überfüllten Aula seine Jacke an der Garderobe abgab. Er sah so wahnsinnig sexy aus in seinen abgenutzten Jeans und dem weichen Linkin-Park-Shirt mit den Tourdaten von 2009 auf dem Rücken. Zum Glück begann die Band gerade ihr Konzert. Wir stürzten uns ins Gewühl, tanzten und sangen die Lieder mit, die wir kannten – Coverversionen aus den letzten zehn Jahren, aber die waren mir viel lieber als die selbstkomponierten Versuche eines Nachwuchsmusikers. Es war heiß und laut, und bald schwitzten wir beide. Zumindest tat ich so. Ich zog mein Hemd aus und knotete es mir um die Hüften. Darunter trug ich ein weißes Tanktop, unter dem mein BH hervor blitzte. Ziemlich gewagt, aber da war ich nicht die einzige. Eine schwarz gefärbte Cinderella mit weißen Brüsten in einer Spitzenauslage tanzte sich an Sam heran und versuchte, seinen Blick einzufangen. Er lächelte höflich, und sie nahm es als Aufforderung, ihn anzuquatschen. Sie war ziemlich pummelig, was in ihrem kurzen Rock unübersehbar war. Provozierend reckte sie ihre Brüste heraus und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm etwas ins Ohr zu rufen, und er nickte und suchte hilflos meinen Blick. Als Cinderella ihm die Hand auf den Arm legte, wurde es mir zu viel. Ich kam ran, schlang Sam einen Arm um die Taille und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. Er roch unglaublich gut, nach Männerschweiß und Aftershave, und seine Haut unter dem T-Shirt war warm und verschwitzt. Meine Finger wollten sich dort festsaugen, und beinahe vergaß ich, Cinderella böse anzufunkeln. Als ich es nachholte, zog sie schleunigst Leine. Mit Bedauern nahm ich meine Hand unter Sams T-Shirt hervor und ging auf Abstand, so gut es auf der engen Tanzfläche möglich war.

„Danke“, rief er mir ins Ohr. „Ich hätte das aber auch selber hingekriegt.“

„Hätte aber länger gedauert“, rief ich zurück. Wir tanzten, und ich sah, wie er mich unverhohlen musterte. Mein Tanktop war ein bisschen durchsichtig. Wenn seine Gedanken wirklich frei waren, wollte ich nur zu gerne wissen, wo die sich herumtrieben. Ich zog das Tanktop aus der Hose und hob es ein wenig an, als wollte ich mir damit Luft zufächeln. Ein Vorteil meines Doppellebens ist, dass ich mir Sport und Fitness-Studio spare und immer perfekt in Form bin. Seine Augen wurden riesig. Die Stirn abtupfend hob ich es noch etwas höher. Dann streifte ich es brav wieder herunter und tanzte weiter, als sei nichts gewesen. Es dauerte nicht lange, bis mich ein fremder Typ von der Seite anbaggerte.

„Heiß hier, was?“, rief er mir zu und tränkte mich in seiner Bierfahne. Seine Hand landete auf meiner Hüfte, wo seine Finger sofort ein Stück nackte Haut fanden. Normalerweise hätte er sich binnen Sekunden winselnd auf dem Boden gewunden, aber ich wollte wissen, was Sam tat.

„Ja, gewaltig heiß!“, gab ich also zurück und ließ die Hand des Typen, wo sie war. Er tanzte sich dichter an mich heran und begann, auf Körperkontakt zu gehen. Er schob ein Bein zwischen meine Schenkel und versuchte, mich in seinen Tanzrhythmus zu ziehen. Mein Blick kreuzte den von Sam. Da war er auch schon an meiner Seite, legte den Arm um mich, zog mich von dem anderen weg und küsste mich voll auf den Mund. Etwas in mir explodierte. Sterne tanzten vor meinen Augen. Ich spürte seine Zunge auf meinen Lippen und erwiderte den Kuss stürmisch. Ich spürte, wie er sich an mich krallte und unterdrückt stöhnte. Wir pressten uns aneinander, küssten uns weiter und schoben uns die Hände unter die Shirts, während rund um uns die Partygäste tanzten und die Musik dröhnte. Ein Zurück war nicht vorstellbar. Eng umschlungen drängten wir uns an den Rand der Tanzfläche, stolperten die Stufen hinauf und Richtung Ausgang. Die Aula lag wie ein glitzerndes Ufo in der dunklen Uni. Wir bogen in einen dunklen Gang ein, weg von dem Licht und den Leuten. Die Seminarräume waren verschlossen. Wir blieben auf dem Gang stehen und küssten uns. Seine Hände schoben mein Shirt in die Höhe und fanden meine Brüste. Schnell hatte er meinen BH aufgehakt und sie befreit. Ich stöhnte in seinen offenen Mund, während ich mit seinem Gürtel kämpfte. Er half mir und schob erst seine, dann meine Hose hinunter. Aus meinen Boots kam ich ganz leicht, indem ich sie mit den Fußspitzen an der Ferse lockerte, und aus ihnen ausstieg.

Wir rieben uns aneinander, streichelten und küssten uns, flüsterten Dinge wie „Sei leise“ und „Wir sollten aufhören“ und „Was, wenn jemand uns überrascht?“, bis wir dann aufhörten zu reden, weil es keinen Sinn hatte. Er legte seine Hände um meinen Hintern, hob mich hoch und drückte mich gegen die Wand. Mit dem Fuß streifte ich die Hose ab, die nun nur noch an einem Knöchel hing. Ich schlang die Beine um ihn, klammerte mich fest und spürte, wie er in mich eindrang.

Keine zwei Minuten später war alles vorbei. Der Rausch verging und ließ uns erschöpft, verschwitzt und mit Muskelkrämpfen zurück. Wir lösten uns voneinander und zogen uns wieder an. Hand in Hand gingen wir zurück in Richtung Party, und hinaus aufs dunkle Uni-Gelände. Die Nacht war kühl und erinnerte uns daran, dass wir unsere Jacken an der Garderobe abgegeben hatten. Wir setzten uns auf eine steinerne Beetumrandung und schwiegen.

„Das darf nicht mehr passieren“, sagte Sam irgendwann. „Ich fühle mich schrecklich.“

„Kann ich verstehen. Deine Freundin krank daheim, und du betrügst sie auf einer Uni-Party...“

„Genau. Super. Vielen Dank.“ Er kickte einen Stein weg, der klickernd in der Dunkelheit verschwand.

„Tut mir leid“, flüsterte ich.

„Mir nicht. Und das ist das Problem. Anna, ich habe das Gefühl, ich hätte mein Leben lang nur auf dich gewartet.“

Ich sah ihn an. „Machst du Schluss?“

Er seufzte und presste die Fäuste gegen die Stirn. „Ich weiß nicht. Ich muss nachdenken.“

„Tu es nicht“, sagte ich. „Mach nicht Schluss. Du würdest es bereuen. Nicht wegen eines One-Night-Stand – der noch nicht mal eine ganze Nacht gedauert hat. Du weißt überhaupt nichts über mich... und ich kann im Augenblick keine feste Beziehung eingehen.“

„Warum nicht?“ Ich kramte mein Handy aus der Tasche, rief die SMS auf und gab es ihm.

Ich weiß, wo du wohnst.

„Scheiße“, sagte er. „Was soll das sein? Eine Drohung?“

„Danach sieht's aus, oder?“

„Aber warum? Und wer? Ein ehemaliger Lover?“

„Nein. Jemand, mit dem ich Stress hatte... früher. Ich dachte, er hätte mich aus den Augen verloren, aber scheinbar doch nicht.“

„Und was machst du? Gehst du zur Polizei?“

„Nein. Simsen ist nicht strafbar. Aber es kann sein, dass ich aus Frankfurt weggehe. Ich will nicht, aber vielleicht ist es besser. Für alle.“

„Das ist ein bisschen verfrüht, wegen einer SMS, findest du nicht?“

Ich atmete tief die kühle Nachtluft. „Ich weiß es nicht. Wenn es der Typ ist, an den ich denke, kann ich nicht früh genug weit weggehen. Andererseits wird er mich überall finden.“

„Und was will er von dir?“

„Ich weiß es doch nicht, Sam. Vielleicht reicht es ihm, mir Angst einzujagen.“

Sein Blick haftete auf mir. „Du erzählst mir nicht die Hälfte von dem, was du weißt, oder?“

„Ja. Und das ist auch richtig so. Ich kann dich unmöglich da hinein ziehen.“

„Aber...“

„Nein!“ Ich bellte ihn geradezu an, und er zuckte zurück.

„Ist ja gut. Denk nur bitte daran – wenn du Hilfe brauchst, bin ich da.“

„Ja. Danke.“ Wir schwiegen und starrten in die Dunkelheit. Wir hatten beide keine Lust mehr auf die Party. Als uns kalt wurde, holten wir unsere Jacken, gingen zum Auto und fuhren heim.

Die nächste SMS kam, als Sam gerade Alexas Tür leise hinter sich geschlossen hatte.

Und? Hat er's dir ordentlich besorgt?

8. Kapitel

Bedburg, Spätsommer 1589

«Wir werden sterben.»

Der Frühling war vorbei, der Sommer auch schon, und Katharina war immer noch da. Hauptsächlich, weil sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte. Seit dem Winter war es etwas erträglicher geworden. Peter war oft tagelang unterwegs gewesen. Wenn er zuhause gewesen war, schlief er, und wenn die Lust ihn überkam, hatte er sich an Sibil vergangen. Katharina ließ er zumeist in Ruhe.

Der Schlächter ging immer noch um. Tote Dörfler, Gerber, Köhler, totes Vieh. Man wusste nicht, wo er als nächstes zuschlagen würde. Ein Wahnsinn wäre es gewesen, hätten zwei alleinstehende Frauen versucht, sich durchzuschlagen. Doch vielleicht hatten sie zu lange gewartet.

„Wir werden sterben“, flüsterte Sibil. „Wir werden sterben.“