Küss mich, Pirat - Cat Lewis - E-Book

Küss mich, Pirat E-Book

Cat Lewis

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Beschreibung

Wer braucht schon Prinz Charming, wenn man einen Piraten haben kann? Emilys Leben gleicht einem Trümmerhaufen, nachdem ihr Freund sie mit ihrer Cousine betrogen hat. Um sie abzulenken, überreden ihre Freundinnen sie zu einer Reise nach Ibiza, wo sie auf den attraktiven Piraten Colin treffen. Der verdreht Emily völlig den Kopf und obwohl sie weiß, dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt ist, entwickelt sie Gefühle für ihn. Dabei ist Emily sich sicher, dass ihr Herz einen weiteren Verlust nicht verkraften kann.

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Cat Lewis

 

 

 

 

 

 

 

 

Roman

 

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Ashera Verlag

Hauptstr. 9

55592 Desloch

[email protected]

www.ashera-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.

Covergrafik: iStock

Innengrafiken: iStock

Coverlayout: Atelier Bonzai

Redaktion: Alisha Bionda

Lektorat & Satz: TTT

Vermittelt über die Agentur Ashera

(www.agentur-ashera.net)

 

 

 

Für den kleinen Piraten,

der mein Herz gekapert hat.

 

Inhalt

Eine Reise ins Ungewisse

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Das ertrinkende Herz

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Land in Sicht

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danksagung

Die Autorin

 

 

 

Wenn ich eines in den vergangenen Wochen gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass je mehr Eiscreme man in sich hineinschaufelt, desto mehr denkt man über das Leben nach. Wie ein Film zogen die letzten eineinhalb Jahre an mir vorbei und ich untersuchte ihn bis ins kleinste Detail. Wann war das alles derart aus dem Ruder gelaufen? Wann hatten Nick und ich uns aus den Augen verloren? Wann hatte ich den entscheidenden Fehler begangen, der ihn schließlich in die Arme einer anderen Frau trieb? Oder war ich etwa von Anfang an nicht genug? War ich etwa eine Frau, die mit rosaroter Brille lebte und ihre eigenen Fehler nicht erkannte? Wohin war das Glück verschwunden, das ich glaubte, gefunden zu haben? Ich hing fest in einer Endlosschleife aus Zweifeln, Selbstmitleid, unzähligen Tränen und der Frage, warum ausgerechnet ich so ein Pechvogel war, dem alles zu entgleiten schien, das ihm lieb und teuer war.

Knapp fünf Wochen war es her, dass Nick mit meiner Cousine Chloe durchgebrannt war, nachdem ich sie in flagranti bei ihm zu Hause erwischt hatte. Er war gerade dabei gewesen, genüsslich Sahnehäubchen von ihren Mini-Brüsten zu schlecken. Mir wurde bei dem Gedanken daran noch immer übel.

Heute Morgen hatten Lucy und Mia, meine beiden besten Freundinnen, vor der Tür gestanden, jede mit einem Koffer in der einen und der Kreditkarte in der anderen Hand, und mich durch ihre schicken, übergroßen Sonnenbrillen gemustert. Dass es draußen wie aus Eimern goss, schien die beiden wenig zu interessieren.

»Wollt ihr bei mir einziehen, oder was?« Ich unterdrückte den Drang, über meinen quietschrosafarbenen Einhornpyjama nachzudenken, während die beiden wie immer frisch und aufgetakelt waren.

»Zieh dich an, Emily, wir verreisen!«, sagte Lucy auf ihre gewohnt direkte Art, schob mich beiseite und trat ein.

»Wir … tun was?«, keuchte ich überrascht und wusste nicht, wie mir geschah.

»Wir sind es leid, dass du in deiner trostlosen Höhle versauerst. Es wird Zeit, dass du zu den Lebenden zurückkehrst«, bemerkte Mia.

»Ich habe aber keine Lust darauf. Lasst mich in Ruhe!«, maulte ich, ließ mich jedoch von Mia durch die Wohnung bugsieren.

»Du gehst duschen, wir packen den Koffer!« Lucys Befehlston jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. »Hast du die Kreditkarte aufgetaut?«

»Aufgetaut?« Ich blickte sie irritiert an. Wo war ich gelandet? In einer kitschigen US-Komödie?

»Ach, vergiss es. Tu, was wir sagen, und dir wird nichts geschehen.« Mia wedelte mit der Hand und bedeutete mir, ins Badezimmer zu verschwinden.

»Ja ja, schon gut.«

Keine zwei Stunden später fanden wir uns am Last-Minute-Schalter von Heathrow wieder und planten unsere Reise ins Blaue. Drei Single-Ladys, aufgetakelt bis zum Gehtnichtmehr, auf der Suche nach einem spaßigen Urlaub am Strand. Lucys Worte, nicht meine. Es überraschte mich kaum, dass uns der junge Mann am Schalter mit einem Grinsen im Gesicht eine Reise auf die Balearen buchte. Genau das war es, was ich an den Mädels liebte: Unsere spontanen Trips quer durch die Welt. Wir hatten Glück, dass wir durch die Unterstützung unserer Eltern finanziell unabhängig waren. Jeden Monat bekamen wir das nötige Geld zur Verfügung gestellt, um unsere Mieten zu bezahlen. Nebenbei jobbten wir ab und an in verschiedenen Cafés und Geschäften, um unser verwöhntes Londoner Studentenleben führen zu können. Zumindest gönnte ich mir den einen oder anderen Luxus, wenn ich mit Lucy und Mia unterwegs war, denn der Spaß mit meinen Freundinnen war etwas, das ich wie die Luft zum Atmen brauchte. Aber ob mir das diesmal wirklich helfen würde?

 

 

Ich machte den ersten Schritt aus dem Flugzeug und lief gegen eine Hitzewand. Wären hinter mir nicht noch mehr Fluggäste gewesen, die nach draußen drängten, hätte ich wohl direkt kehrtgemacht und wäre nach London zurückgeflogen. In meiner Heimatstadt packten die Leute gerade bei angenehmen zwanzig Grad die Sommerkleider aus. Hier hingegen herrschten wüstenartige Temperaturen, die mir sofort die Schweißperlen auf die Stirn trieben.

»Na, hab ich zu viel versprochen?« Mia streckte die Arme gen Himmel. Mit Lucy und mir im Schlepptau stolzierte sie die Treppe hinunter, als wäre sie auf einem Laufsteg in Mailand.

»Es ist herrlich!«, flötete Lucy und steckte die langen, roten Locken mit einer schmetterlingsförmigen Haarklammer hoch.

Ich verdrehte die Augen, denn meine gute Laune und die Vorfreude hielten sich in Grenzen.

Wir drängten uns wie alle anderen auch in den aufgeheizten und nicht klimatisierten Bus, der uns zum Terminal bringen sollte.

»Jetzt guck nicht so griesgrämig. Hallo? Wir sind auf Ibiza!« Lucy boxte mir gegen den feucht glänzenden Arm und warf daraufhin einen angewiderten Blick auf ihre Hand.

»Fass mich bloß nicht an«, murrte ich, wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und erntete einen bockigen Gesichtsausdruck.

Wir Engländer waren solch eine Hitze nicht gewohnt und wer hätte schon damit rechnen können, dass uns im Hochsommer auf den Balearen derart hohe Temperaturen erwarteten? Na gut, wenn ich mein Hirn eingeschaltet hätte, wäre ich darauf gekommen. Das befand sich jedoch momentan im Standby-Modus, um nicht in Versuchung zu geraten, über Nick nachzudenken. Ich tat es trotzdem. Nick war überall. In meinen Träumen, meinen Gedanken, meinem zersplitterten Herzen …

Es gab kein Entkommen. Am Flughafen hatte ich geglaubt, ihn inmitten der Menge gesehen zu haben, dabei war es nur irgendein Typ gewesen, der Ähnlichkeit mit ihm hatte. Verfluchter Mist. Wenn es doch wenigstens aufhören würde, so verdammt wehzutun!

Seufzend presste ich den Stoffrucksack an mich und verfluchte mich innerlich, nicht Mias Beispiel gefolgt zu sein, und meine langen, an mir klebenden Haare zusammengebunden zu haben. Dummerweise hatte ich gerade keinen Haargummi oder eine Spange zur Hand, sodass ich sie lediglich zusammendrehen und über meine Schulter hängen lassen konnte.

Ratternd fuhren wir dicht an dicht gedrängt los und klammerten uns an die Haltestangen, die das alte Gefährt zu bieten hatte. Wenige Minuten später wurden wir in die stickigen Hallen des Flughafens entlassen und machten uns auf den Weg zur Gepäckabholung.

Zwei Stunden später kamen wir erschöpft im Hotel an. Was uns als Last-Minute-Schnäppchen angepriesen wurde, entpuppte sich als eine von russischen Touristen besetzte Bruchbude. Nachdem wir eingecheckt hatten, traten wir in den mittelalterlich wirkenden Fahrstuhl und drückten auf die Taste für das achte Stockwerk. Die Türen schlossen sich, doch mehr geschah nicht. Der Aufzug spielte Toter Mann und rührte sich keinen Zentimeter. Die Türen konnten wir auch nicht mehr öffnen.

»Oh Gott, oh Gott, oh Gott, ich habe doch Klaustrophobie! Aaaah, die Wände kommen immer näher! Ich …«

»Du hältst jetzt die Klappe!«, fuhr ich Mia an und drückte auf den Notfallknopf. Draußen ertönte ein lautes Scheppern, sodass wir vor Schreck zusammenzuckten.

»Oh Mann, wo sind wir hier nur gelandet?« Lucy versuchte, die Schachttüren zu öffnen. Aber ihre Mühe war vergebens. Sie brach sich lediglich einen Fingernagel ab und heulte auf.

Von außen schlug jemand gegen den Aufzug. Mit einem Krachen setzte der sich in Bewegung, hielt in der zweiten Etage an und die Türen gingen auf. Fluchtartig versuchten wir, uns gleichzeitig durch die enge Türöffnung zu quetschen. Es dauerte einen Moment, ehe wir uns so sortiert hatten, dass wir gesittet eine nach der anderen die Kabine verlassen konnten.

»Mit dem Aufzug fahr ich nie wieder!«, schimpfte Mia und schüttelte vehement den Kopf, während wir das Gepäck zur Treppe zerrten.

Ich ignorierte das zustimmende Gemurmel von Lucy, schließlich war sie an diesem Dilemma schuld. Das Hotel hatte nämlich sie ausgesucht.

An meinem Versuch, den Koffer die Stufen hinaufzuwuchten, scheiterte ich kläglich, denn ich verlor das Gleichgewicht. Instinktiv griff ich mit einem erschrockenen »Woaaaah!« nach dem Geländer. Das riss dabei aus der Verankerung und drohte, mit mir gemeinsam einen weniger eleganten Abgang zu machen.

Lucy stemmte sich sofort von hinten gegen mich, sodass ich es doch noch schaffte, auf den Beinen zu bleiben, während der Koffer mit einem lauten Rumpeln an uns vorbeifiel, und am Fuß der Treppe liegen blieb.

»Verdammte Scheiße!« Ich hielt mich an Lucy fest. Mia studierte mit leerem Blick das lose herabhängende Geländer, dem ich mit meinem Stunt den Rest gegeben hatte. Die Situation war so absurd, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Unser Spontanurlaub entwickelte sich mehr und mehr zu einem Albtraum.

»Warte, ich helfe dir.« Lucy brachte ihren Koffer zum Ende der Treppe und kehrte anschließend zu mir zurück, um mir mit meinem zur Hand zu gehen.

»Danke.« Ich lächelte zaghaft.

Lucy lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ach, hör doch auf. Dafür sind Freunde da. Wir fangen uns immer wieder gegenseitig auf, nicht wahr?«

 

 

 

Meine Gedanken und Gefühle fuhren Karussell. Je länger ich versuchte, nicht über Nick nachzudenken, desto intensiver wurden sie. Wir hatten uns damals auf einer Uni-Party kennengelernt und einen ziemlich schlechten One-Night-Stand miteinander verbracht. Es war mein erster gewesen, im Gegensatz zu meinen sprunghaften Freundinnen. Nick und ich waren betrunken und er hat-te keine Ahnung mehr, wo er die Kondome versteckt hatte. Letztendlich zog ich eines aus der Tasche und bereute es bitterlich, denn er schlief während des ziemlich lahmen Sexes ein. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, ehe ich den Klotz von mir runterbekommen hatte. Wenn ich so im Nachhinein darüber nachdachte, fragte ich mich, warum ich nicht sofort das Weite gesucht hatte. So wäre mir eine Menge Kummer erspart geblieben.

Am nächsten Morgen hatten wir uns am Frühstückstisch getroffen, lachten über unseren Patzer und kamen ins Gespräch. Nick war klug, halbwegs attraktiv und freundlich. Es hatte vom ersten nüchternen Moment an zwischen uns gepasst und ich war viel zu bequem gewesen, um infrage zu stellen, ob eine Beziehung mit einem Dauerstudenten das Richtige für mich war. Er lieb-te Partys, Musik und Frauen, doch er wollte einen ruhigeren Lebensstil für sich ausprobieren. Ich war es leid, weiterhin Single zu sein, und packte die Gelegenheit beim Schopf. So beschlossen wir, es zu versuchen und zu sehen, was aus uns wurde.

Das funktionierte so lange, bis er plötzlich Heißhunger auf Sahne bekam. Ich wäre nicht abgeneigt gewesen, wenn er mich gefragt hätte, aber meine Cousine schien entweder Nippel mit Erdbeergeschmack zu haben oder er bevorzugte kleinere Brüste für seine Nasch-orgien. Er würde schon noch sehen, was er davon hatte, wenn er aufging wie ein Muffin.

»Zum wievielten Mal liest du diesen Schund jetzt schon?«, unterbrach Lucy meine Gedanken. Sie nahm mir das Buch aus der Hand, das ich in den letzten Minuten nur angestarrt, statt gelesen hatte.

»Hey, gib’s zurück! Edward hat Bella gerade im Wald stehen lassen!« Ich beugte mich zu Lucy, dem Biest, rüber, kam jedoch nicht an meine zerlesene Ausgabe von New Moon heran.

»Ja, und? Du weißt doch genau, dass die stylische Hellseherin mit Miss Open Mouth nach Volterra reisen wird, um Mister Sparkle vor der öffentlichen Entblößung zu retten.«

»Hör auf zu spoilern.« Bockig rümpfte ich die Nase und erhob mich von meiner Strandmatte. »Ich mag das Buch. Es … hilft mir.«

»Bei was? Dich an den Schwachmaten zu erinnern? Du kannst nicht leugnen, dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Edward und Nick besteht. Ich habe nie verstanden, was du an dem findest.«

Manchmal hasste ich meine beste Freundin für ihr loses Mundwerk. Sie wusste nie, wann es besser war, zu schweigen. »Sprich weiter und ich werde den nächsten Flieger in Richtung London nehmen«, knurrte ich und schaute sie böse an.

»Jetzt gib ihr schon ihren Depri-Vampir zurück. Sonst springt sie noch von der Klippe«, murmelte Mia genervt und blätterte eine Seite ihrer Klatschzeitschrift um.

»Mia! Warum fällst du mir jetzt auch noch in den Rücken?«

»Von dem Felsen da vorne? Keine Sorge, da fällt sie nicht tief.« Lucy zeigte auf die steinige Landschaft, die sich laut Rezeption Strand schimpfte.

Seufzend kramte ich eine Flasche Wasser aus der Tasche und trank einen Schluck. Es hatte keinen Sinn, noch länger mit den beiden zu diskutieren.

»Wer weiß … vielleicht kommt ja irgendein strahlender Held vorbei und rettet sie?« Mia nahm Lucy kichernd das Buch ab und legte es zurück auf meine Matte.

»Vor was denn? Einer Krabbe?«

»Das ist doch egal! Hauptsache gut gebaut, braun gebrannt und glitzerfrei«, erwiderte Mia und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger.

»Mann, ihr nervt!« Meine Laune war nun vollends im Keller. Ich schnappte mir Mias Strohhut, legte mich hin und bedeckte mein Gesicht damit. »Dieser Urlaub ist die Hölle«, nuschelte ich.

Die erste Nacht in unserer Gruft, die sich aus irgendeinem Grund, der mir nicht ersichtlich war, als Hotel bezeichnen durfte, war schrecklich gewesen. Die Balkontür fiel fast aus den Angeln, die Betten quietschten, die Dusche war undicht und den Handtuchhalter hatte ich gestern Abend auch in der Hand gehabt, obwohl dieser eigentlich fest mit der Wand verbunden sein sollte. An der Zimmerdecke wimmelte es von Spinnennetzen und wir konnten von Glück reden, dass keines der Viecher so dumm war, sich uns zu zeigen. Die anderen Hotelgäste schienen nicht allzu viel von Schlaf zu halten, denn sie feierten noch bis spät in die Nacht am dreckigen Pool und später in den Gängen weiter. Vielleicht steckte ein ausgeklügelter Plan dahinter, sich den Aufenthalt erträglicher zu machen und möglichst wenig Zeit im Zimmer zu verbringen. Lucy hatte vor-geschlagen, sich die Unterkunft schönzutrinken, aber so tief war selbst ich noch nicht gesunken.

»Okay, jetzt reicht es aber!« Lucys aufgebrachte Stimme riss mich zurück in die Realität. Sie nahm den Hut von meinem Gesicht und ich blickte blinzelnd zu ihr auf. Breitbeinig und die Hände in die Hüften gestemmt, stand sie vor mir und musterte mich streng.

»Nick ist ein blöder Arsch und du hast etwas viel Besseres verdient. Wir haben eine bescheidene Unterkunft erwischt und der Strand gleicht einer Mondlandschaft, aber hey! Haben wir uns jemals von irgendwas unterkriegen lassen?« Sie sah von mir zu Mia und fuhr fort. »Erinnert ihr euch an das Bett in dem Hostel in den Highlands, das unter Mias Hintern weggebrochen ist? Oder die Küchenschaben im Müsli in der französischen Pension? Wir haben schon wesentlich Schlimmeres als das hier erlebt. Hör auf zu jammern, denn es gibt auf dieser Insel noch viel mehr Strände. Nehmen wir uns doch einen Mietwagen und fahren rum. Wir können auch die Busse nutzen, die hier ständig hin und her pendeln. Wir werden richtig viel Spaß haben und du, meine Süße«, sie deutete mit dem Finger auf mich, »wirst dich bald daran erinnern, wie man herzhaft lacht. Keine Frau hat es nötig, einem Mann hinterherzutrauern, der es nicht wert ist. Vergiss den Kerl.« Wie ein Cowgirl setzte sie den Hut auf und nickte Mia und mir zum Ab-schluss zu. »Wer ist dafür, dass wir uns jetzt vom Acker machen?«

Einige Leute um uns herum hatten während Lucys Rede innegehalten und ihr genauso gespannt gelauscht wie Mia und ich. Nun brachen sie in tobenden Beifall aus und bekräftigten noch einmal, wie gut sie es fänden, wenn wir jetzt gingen, indem sie die Arme hoben und uns ermutigend zunickten.

Na vielen Dank auch.

Mia und ich starrten unsere Freundin sprachlos an, nickten ebenfalls und packten unsere Sachen zusammen.

Lucy hatte schon immer einen sehr aufbrausenden und impulsiven Charakter gehabt, und war nicht selten dafür verantwortlich, dass wir unsere Hintern bewegten und in die Gänge kamen. Mia war das ruhige und bodenständige Gegenteil. Insgeheim nannte ich sie unsere Stimme der Vernunft, auch wenn sie sich heute von Lucys dunkler Seite der Macht hatte mitreißen lassen.

Und ich … ich war einfach nur Emily. Verpeilt, emotional, dank des amerikanischen Fernsehens fast schon kitschig-romantisch und – so hoffte ich jedenfalls – irgendwie liebenswert. Lucy hatte recht. Ich wollte nicht länger das Mädchen mit gebrochenem Herzen sein, das erst gekittet werden musste. Zwar ging so etwas nicht von jetzt auf gleich, doch ich wusste tief in mir drin, dass das Leben auch ohne Nick weitergehen würde. Aber nach über eineinhalb Jahren Beziehung brauchte ich Zeit, um darüber hinwegzukommen, dass meine eigene Cousine eine begehrenswertere Oberweite hatte als ich.

Lucy hatte völlig recht. Wir sollten uns den Urlaub nicht durch schlechte Laune und unglückliche Umstände kaputtmachen lassen. Zum Trübsal blasen hatte ich auch noch Zeit, wenn wir wieder daheim waren. Und wer weiß, was uns hier noch erwartete?

Das gefühlt erste Mal seit Wochen schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Voller Tatendrang sprang ich auf. »Okay, Ladys. Lasst uns aufbrechen und die Insel erkunden!«

 

 

Nachdem wir uns im Hotel umgezogen und an der Rezeption einen Fahrplan besorgt hatten, machten wir uns auf den Weg zum Bus. Unser Ziel war Ibiza-Stadt, hierzulande auch Eivissa genannt. Wir wollten in der Inselhauptstadt bummeln gehen, gemütlich durch die Straßen und Gassen schlendern, einkaufen und etwas Ge-nießbares zu Essen finden. Der Tag war noch lang und Langeweile fehl am Platz.

Die Busfahrt stellte sich als unspektakulär heraus. Ich starrte die meiste Zeit aus dem Fenster und beobachtete die teils sehr eigensinnigen Fahrkünste der Inselbewohner. Obwohl ich selbst keinen Führerschein besaß und somit nicht viel Ahnung hatte, bildete ich mir ein, dass es zum elementaren Grundwissen gehörte, zuerst den Blinker zu setzen, ehe man zur Vollbremsung ansetzte, um abzubiegen. Manche Sitten würde ich wohl nie verstehen.

Froh, unfallfrei in der Stadt angekommen zu sein, machten wir uns direkt auf den Weg zum Hafen, um dort die Sightseeingtour zu beginnen. Die Sonne stand hoch am Himmel und ich konnte spüren, wie die Strahlen auf meiner Haut brannten. Ich zog die Sonnencreme aus dem Rucksack und cremte mir erneut Gesicht und Arme ein. Im Gegensatz zu den anderen war die Chan-ce auf eine gesunde Bräune bei mir zwar etwas höher, da ich von Natur aus nicht die typische englische Blässe besaß, doch ich musste trotzdem auf der Hut sein.

»Habt ihr Lust auf ein Eis?« Mia deutete auf ein Café, das im Straßenverkauf sowohl Eiskugeln in der Waffel als auch im Becher anbot. Eine beachtliche Menschen-ansammlung stand vor dem Verkaufstresen und wartete mehr oder weniger geduldig darauf, bedient zu werden.

»Gute Idee«, stimmte ich zu und machte Anstalten, mich auf den Weg dahin zu begeben. »Ich habe schon fast sechsunddreißig Stunden keines mehr gegessen.«

»Du Ärmste. Geht’s dir gut? Hast du schon Entzugserscheinungen? Gleich ist es überstanden.« Mia grinste breit, während Lucy aussah, als versuche sie etwas in der Ferne zu lesen. Dabei kniff sie die Augen zusammen, als habe sie irgendwelche Schmerzen. Es war einzig und allein ihrer Eitelkeit zuzuschreiben, dass sie noch keine Brille trug, obwohl sie diese dringend nötig hatte.

»Bringt ihr mir einen Milchshake mit? Ich schaue derweil mal, was eine Inselrundfahrt kostet.« Sie deutete auf die Boote, die am Ufer lagen und vor denen bunte Angebotstafeln aufgebaut waren.

»Äh, klar. Erdbeere oder Schokolade?«, fragte ich.

»Schokolade!« Und schon verschwand sie, während Mia und ich uns auf den Weg zum Café machten.

»Wir könnten ihr auch einen Milchshake mit dem blauen Eis holen und sagen, dass es pürierte Schlümpfe sind«, schlug Mia vor und reihte sich in die Schlange ein.

Stirnrunzelnd sah ich sie an. »Manchmal ist dein Humor echt schräg.«

Sie zuckte mit den Schultern und machte sich gut gelaunt daran, die verschiedenen Eissorten zu inspizieren.

Als wir endlich an der Reihe waren und die Bestellung aufgaben, kam Lucy freudestrahlend angerannt.

»Ihr glaubt nicht, was ich getan habe!«, rief sie aufgeregt und hüpfte vor uns auf der Stelle herum wie ein Kind.

»Lass mich raten«, sagte Mia und legte den Zeigefinger an ihr Kinn. »Du hast mit einem gut aussehenden Kerl Samba getanzt!«

»Nicht ganz. Ich habe einem gut aussehenden Kerl Geld gegeben, damit er uns heute Nachmittag zu einem Barbecue in irgendeiner Bucht bringt.«

»In irgendeiner Bucht?«, hakte Mia skeptisch nach.

Lucy kicherte und nickte.

»Bist du wahnsinnig?«, rief ich entsetzt.

»Musst du immer gleich vom Schlimmsten ausgehen? Er arbeitet natürlich für so ein Unternehmen, das Touren anbietet. Mach dir keine Sorgen, das ist alles safe.«

»Sag das doch gleich.« Mia verdrehte die Augen und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Würdest du endlich anfangen, an deiner Wortwahl arbeiten, könntest du solche Missverständnisse vermeiden.«

Lucy winkte ab. »Sei nicht so eine Spießerin, Mialein. Das wird toll! Wir fahren mit einem Piratenschiff da hin. Dort gibt es was zu essen, Lagerfeuer, jemand trällert schaurige Seemannslieder und heute Abend bringen sie uns mit einem Bus zum Hotel zurück.«

Zugegebenermaßen klang das wirklich lustig, auch wenn mich der Gedanke an ein Schiff keine Luftsprünge machen ließ. Davon abgesehen lernten wir im Idealfall nette Leute kennen und bekamen – im Gegensatz zum Hotel – womöglich auch noch gutes Essen. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob ich Lucy in ihrem derzeitigen Zustand noch länger ertragen konnte. Mir war bewusst, dass sie es nur gut mit mir meinte und mich auf andere Gedanken bringen wollte, aber sie neigte ab und an dazu, zu übertreiben. Vielleicht würde sich ihre überzogene Euphorie ein wenig legen, wenn ich mich auf das Abenteuer einließ.

Der Typ hinterm Tresen reichte uns die Becher und den Milchshake und wir bezahlten schnell, da das Eis bereits zu schmelzen begann. Ich drückte Lucy ihren Shake in die Hand und verspürte tatsächlich einen Hauch von Vorfreude. »Wann geht’s denn los?«

Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr, während sie genüsslich an ihrem Strohhalm nuckelte. »In drei Stunden. Wir haben die letzten Tickets bekommen. Scheint eine begehrte Tour zu sein«, antwortete sie und grinste zufrieden über das ganze Gesicht.

»Na dann bin ich gespannt …«, murmelte ich und schob mir einen Löffel mit Vanilleeis in den Mund.

Mit ihrer spontanen Piratenaktion hatte uns Lucy einen Strich durch die Rechnung gemacht, was die ausgiebige Sightseeing- und Shoppingtour durch Ibiza-Stadt betraf. Deswegen nutzten wir die verbleibenden Stunden vor der Abfahrt dazu, die nahegelegenen Gassen abzulaufen und einige Läden abzuklappern. Zeit, um noch einmal zurückzukommen, hatten wir in den nächsten Tagen mehr als genug.

Lucy war völlig aus dem Häuschen, als wir zum Hafen zurückkehrten. Breit grinsend lief sie vor uns her, drehte sich um, und gab uns mit einer Geste zu verstehen, dass wir uns beeilen sollten. Als wir nichts dergleichen taten, stöhnte sie auf. »Kommt schon, wir sind spät dran!«

»Warum bist du denn so aufgedreht? Haben sie dir einen Lapdance versprochen oder was?«, fragte Mia.

»Spinn nicht rum, das ist eine Familientour. Aber da ist dieser schnuckelige Kerl …« Kichernd zog Lucy die Tickets hervor.

»Aha. Daher weht also der Wind.« Mia seufzte kopfschüttelnd.

Erst jetzt fiel mir das Schiff auf, auf dessen Segel ein Totenkopf prangte. Bei genauerer Betrachtung konnte man erkennen, dass es sich um ein dekoriertes motorbetriebenes Boot handelte und das hölzerne Steuerrad nur Zierde war. Die Kinder, die bereits an Bord waren, schienen ihren Spaß daran zu haben, und tobten wild herum.

»Moment, wir wollen auch noch mit!«, rief Lucy plötzlich und lief los. Mia und ich folgten ihr. Wir waren offensichtlich die Letzten. Ich warf einen Blick auf die Uhr: Wir waren fünf Minuten zu spät dran.

Mir war der junge Mann, der bereits dabei war, die Schiffstaue vom Steg zu lösen, bisher nicht aufgefallen. Er kam auf uns zu und warf einen Blick auf die Tickets, die Lucy ihm vorzeigte.

»Jetzt aber schnell, wir wollen los«, sagte er, woraufhin ich unsinnigerweise stehen blieb.

»Aye, aye, Käpt’n!«, flötete Lucy und zog Mia zum Schiff. Dabei lachten und gackerten sie wie hysterische Hühner und schauten sich immer wieder verstohlen um.

»Du gehörst auch dazu?«

Der Typ war einen Kopf größer als ich und sah freundlich aus tiefblauen Augen zu mir hinab. Augen, die von einer schwarzen Kajallinie umrandet waren. Und ich sollte verdammt sein, aber er war der erste Mann, dem ich begegnete, dem das wirklich stand. Das dunkle Haar war verstrubbelt und ein Fünftagebart zierte sein Gesicht. Ich war mir ziemlich sicher, dass er genau die richtige Länge hatte, sodass er beim Küssen nicht mehr kratzen würde.

Über dem weißen Leinenhemd, das halb offenstand, trug er eine dunkle Lederweste. Um den Hals hatte er ein braun-weißes Tuch gewickelt, über seiner Brust hing eine lederne Kette mit einem Medaillon. Passend dazu zierten schwarze Bänder seine Handgelenke und ein metallener Degen war an seinem Stoffgürtel befestigt. Er sah genauso aus, wie ich mir einen waschechten Piraten vorstellte. Selbst den typischen Ohrring trug er.

Hastig wandte ich den Blick wieder seinem Gesicht zu. Dabei atmete ich tief ein und sein Geruch strömte in meine Nase. Er roch so gut! So männlich, nach Leder, und so …

»Sag mal, Schätzchen, gefällt dir, was du siehst?

---ENDE DER LESEPROBE---