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Liebe, Heiraten – nichts für den reichen Unternehmer Gabriel de Luca! Trotzdem braucht er jetzt eine Braut, und zwar schnell! Allerdings nur zum Schein, um mehrere lukrative Weinberge in der Toskana zu kaufen. Denn deren Besitzer ist ein absoluter Romantiker und Familienmensch. Zum Glück erklärt sich Gabriels Assistentin Helen spontan bereit, die Scharade mitzumachen. Aber wenn alles nur ein Spiel ist, warum prickelt es dann dabei plötzlich so verboten sinnlich? Helens überraschend leidenschaftliche Küsse wecken bald nie gekannte Gefühle in Gabriel …
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Seitenzahl: 209
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2024 by Cathy Williams Originaltitel: „A Wedding Negotiation with Her Boss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA, Band 2654 Übersetzung: Rita Koppers
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751524803
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Sagen Sie jetzt nicht, dass ich Sie beim Schlafen erwischt habe …“
Helen setzte sich auf und sah blinzelnd zum Fernseher. Anscheinend war auf die Detektivserie, die sie sich angesehen hatte, eine Dokumentation gefolgt, in der es um überdimensionale Herrenhäuser in LA ging.
Sie hielt ihr Handy dichter ans Ohr und räusperte sich. „Natürlich nicht.“
Es war Samstagabend, kurz nach halb zehn. Und ja, sie mochte zwar nicht geschlafen haben, aber sicher hatte sie ein wenig gedöst. Das würde sie ihrem Chef natürlich nicht sagen. Warum rief er sie überhaupt um diese Zeit an?
Er hatte wohl ihre Gedanken gelesen. „Ich frage ja nur, weil es nach britischer Zeit erst halb zehn ist. Dabei fällt mir ein, sollten Sie nicht eigentlich unterwegs sein und sich amüsieren?“
Helen hörte, dass Gabriel belustigt klang, und sie hatte keine Mühe, sich ihn vorzustellen. Viel zu sexy, mit dichten Wimpern, die seine schwarzen Augen umrahmten und für die die meisten Frauen töten würden. Mit einem Körper, muskulös und sündhaft perfekt gebaut.
Seit etwas über drei Jahren arbeitete sie nun für ihn, und sie wusste, dass ihr ereignisloses Leben für diesen Mann, der nie stillstehen konnte, eine Quelle ständiger Erheiterung war.
Er genoss das Leben in vollen Zügen, arbeitete hart und schien geradezu aufzublühen, wenn er keinen Schlaf bekam. Wenn er nicht arbeitete, vergnügte er sich mit sexy Blondinen. Helen musste es wissen, weil sie im Lauf der Zeit eine Reihe von ihnen kennengelernt hatte. Blonde Frauen mit großen Brüsten, unglaublich verführerisch und immer eifrig darauf bedacht, zu gefallen. Es ärgerte sie, wie viel Zeit sie darauf verschwendete, an ihren Chef und seine ständig wechselnden Freundinnen zu denken. Ehrlich gesagt ärgerte es sie, dass sie überhaupt an diesen Mann dachte.
„Stimmt“, sagte sie. „Und wie kann ich Ihnen helfen?“
„Das klingt doch sehr förmlich, oder nicht?“
„Gabriel, warum rufen Sie mich an einem Wochenende an, wenn Sie in Kalifornien sind und … Moment, wie spät ist es dort?“
„Ungefähr dreizehn Uhr.“
„Warum rufen Sie mich an einem frühen Samstagnachmittag an?“
„Es hat leider mit der Arbeit zu tun.“
Sofort war Helen hellwach. Wenn es um die Arbeit ging, konnte Gabriel auf sie zählen. Aber war nicht eigentlich vorgesehen, dass er eine Woche eine unbedingt notwendige Ruhepause machte?
„Es ist Samstag, Gabriel. Sicher kann doch alles, was mit der Arbeit zu tun hat, bis nach dem Wochenende warten, oder nicht?“ Sie zögerte. „Und … ähm, ich dachte, Sie wären dort mit … ich habe ihren Namen vergessen.“
„Fifi.“
„Ach ja, natürlich. Fifi.“ Fifi hatte eigentlich einen eher langweiligen Namen – Fiona – und war seit etwas über vier Monaten Gabriels Geliebte. Helen hatte ihr zweimal Blumen geschickt, etliche Verabredungen für die beiden im Theater oder in schicken Restaurants arrangiert und den Kauf eines extrem teuren Armbands beaufsichtigt. Vor ein paar Wochen hatte sie Fifi sogar einmal persönlich getroffen, als sie unangekündigt in den wunderschönen Londoner Büros von Gabriels Hauptsitz in England aufgetaucht war.
Fifi war klein, vollbusig, mit einem Wust an hellblonden Locken, die bis zur Taille reichten und die an dem Tag, als sie in einem knappen Outfit erschienen war, zu einem kunstvollen Pferdeschwanz zusammengefasst waren. Ihre Aufmachung begründete sie damit, dass sie gerade vom Training kam und es für eine nette Idee hielt, mit Gabriel irgendwohin zum Lunch zu gehen, sollte er nicht zu beschäftigt sein.
Helen runzelte die Stirn. „Wollten Sie nicht eine lange überfällige Auszeit nehmen und sich entspannen … mit Fifi … bevor Sie sich mit Arturio treffen? Ich bin sicher, dass Sie mir das gesagt haben.“
„Das war der Plan.“
„Vermutlich wird sie nicht begeistert sein, wenn Sie an einem Samstag mit Ihrer Sekretärin telefonieren, um über die Arbeit zu sprechen“, gab Helen zu bedenken.
Helen stellte den Fernseher stumm und machte es sich auf dem Sofa bequem. Sie war erst achtundzwanzig Jahre alt. Vielleicht hätte sie heute Abend etwas Abenteuerlicheres machen sollen, als nach einem vegetarischen Nudelgericht fernzusehen. Aber sie war nie gern in Clubs und Bars gegangen und hatte auch nie einen Sinn darin gesehen, sich dazu zu zwingen, nur weil sie zufällig in London wohnte. Sie hatte ein paar Freundinnen und ging hin und wieder mit einer von ihnen zum Essen, ins Theater oder ins Kino. Und wenn sie sich entschied, an einem Samstagabend zu Hause zu bleiben, würde sie deswegen nicht verzweifeln. Ein ruhiges Leben in Cornwall, wo sie aufgewachsen war, hatte den Weg für sie festgelegt, und sie hatte sich bisher nie geschämt, ihm zu folgen.
Bis ihr die amüsierte Stimme ihres Chefs unter die Haut ging und sie dazu veranlasste, noch einmal darüber nachzudenken. Draußen hatte sich die untergehende Sonne hinter einem blassgrauen Himmel versteckt, der von orangefarbenen Streifen durchzogen war. Es war immer noch sommerlich mild, und durch die Fenster hörte sie das Lachen und die Stimmen der Menschen, die vorbeigingen. Menschen, die genau den Spaß hatten, den sie, wie sie ärgerlich feststellte, auch haben sollte.
Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Ringfinger und strich über die Stelle, an der einmal ein Verlobungsring gesteckt hatte. Doch schnell verdrängte sie die Erinnerung.
„Schwer zu sagen, weil sie nicht hier ist.“
„Aber ich habe ihr doch im gleichen Hotel ein Zimmer gebucht, in dem Sie auch sind. Habe ich die Flüge durcheinandergebracht? Ich bin sicher, dass ich ihr für den Tag nach Ihrer Ankunft einen Flug gebucht habe, also vor zwei Tagen.“
„Beruhigen Sie sich, Helen. Das haben Sie auch, und sie ist angekommen.“
„Dann verstehe ich nicht …“
„Lange Geschichte. Nein, streichen Sie das – es ist eine kurze Geschichte. Es reicht wohl, wenn ich sage, dass die Sache zwischen uns nicht funktioniert hat und dass sie heute Morgen davongestürmt ist.“
„Aha.“
„Höre ich da leichte Kritik hinter dem Aha?“
„Überhaupt nicht. Es tut mir leid, dass es nicht wie geplant gelaufen ist, Gabriel. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit mir zu tun hat.“
Kritik?
Helen würde nie so weit gehen, ihrem Chef zu sagen, was sie von seiner Aufmerksamkeitsspanne in Bezug auf Frauen hielt, denn das ging sie nichts an. Aber hinter ihrem leise geäußerten Aha hatte tatsächlich Kritik mitgeschwungen. Sie hatte keine Ahnung, warum Frauen in Bezug auf diesen Mann so hilflos waren. Denn sah man davon ab, wie ungeheuer gut er aussah und wie überaus großzügig er war, blieb nur ein reicher Mann, der sich nicht binden konnte – und es auch nicht wollte.
Eine kleine Stimme flüsterte ihr zu, dass diese eindimensionale Darstellung ihm ganz sicher nicht gerecht wurde. Aber Helen war geschickt darin, dem verwirrenden Gedanken auszuweichen, dass sie nur zu gut wusste, was Frauen in ihrem sündhaft tollen und charismatischen Chef sahen.
Es war einfacher, sich an die Fakten zu halten. Und es war nun einmal Tatsache, dass sie sich in all der Zeit, die sie nun für ihn arbeitete, an keine Beziehung erinnern konnte, die länger als ein paar Monate gedauert hatte. Und zwischen diesen Beziehungen gab es nur kurze Pausen.
Er repräsentierte den Typ von Mann, auf den sie sich niemals emotional einlassen würde, egal, wie gut aussehend, charmant und reich er war. Ärgerlich war jedoch, dass ihr Körper sich manchmal weigerte, mit ihrem Verstand zusammenzuarbeiten, sodass allein der Gedanke an Gabriel sie nervös machen konnte.
So wie jetzt. Als sie ihn nun etwas über einen Unfall sagen hörte, riss Helen sich zusammen und bat ihn, noch einmal zu wiederholen, was er eben gesagt hatte. Sie richtete sich gerade auf, ihr Puls schlug schneller.
„Na ja, ich war im Fitnessraum, als Fifi hinausgestürmt ist, und anscheinend war eines der Gewichte, die ich in Angriff nehmen wollte, ein bisschen zu gewagt. Habe es ungeschickt aufgehoben und geschafft, meine Hand dabei zu verrenken.“
„Sie haben sich die Hand verrenkt?“
„Schrecklich, ich weiß, aber schließlich bin ich auch nur ein Mensch.“
„Das ist ja furchtbar. Haben Sie Schmerzen?“
„Danke für Ihre Anteilnahme. Die Hand ist von einer hübschen Rothaarigen verbunden worden. Und Sie können erleichtert sein, mehr als Paracetamol brauche ich nicht.“
„Sie scheinen nicht sehr verzweifelt darüber zu sein, dass Fifi verschwunden ist, falls ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
„Dürfen Sie.“ Und nein, bin ich tatsächlich nicht.
Sie merkte, dass er kurz zögerte, und fragte sich, ob er versucht war, ihr zu erzählen, was geschehen war.
Das hatte er bisher noch nie gemacht. Beziehungen kamen und gingen, und üblicherweise fand sie es spätestens dann heraus, wenn die Blumen an einen anderen Namen und eine andere Adresse geschickt werden mussten.
Wenn es jedoch um die Arbeit ging, hätten sie und Gabriel nicht besser zueinander passen können. Manchmal fühlte es sich so an, als könnten sie in diesem Bereich ohne Worte agieren. Streifzüge in ihr Privatleben waren allerdings nicht erlaubt, worauf sie von Anfang an bestanden hatte.
Alles, was Gabriel von ihr wusste, hatte er dem beeindruckenden Lebenslauf entnommen, den sie für ihr Vorstellungsgespräch vor mehr als drei Jahren aufgestellt hatte.
Aber ihr Privatleben? Davon hatte er keine Ahnung!
Er wusste nichts über den Kerl, mit dem sie mal verlobt gewesen war. Und dass sie geglaubt hatte, wie perfekt George Brooks für sie war. Der perfekte Mann für ein Mädchen, das durch seine Vergangenheit darauf konditioniert war, die riskante Unberechenbarkeit der Überholspur zu meiden. Ein Mädchen, das gelernt hatte, Sicherheit und Stabilität zu schätzen. Sie war mit ihm zur Schule gegangen, und seit ihrem siebzehnten Lebensjahr mit ihm ausgegangen. Für all ihre Freunde, ganz zu schweigen von seinen Eltern und ihrem Vater, war eine Ehe eine ausgemachte Sache gewesen. In einer kleinen Stadt in Cornwall, wo jeder jeden kannte, war dies eine Liebesbeziehung wie aus dem Märchen gewesen – nur ohne märchenhaftes Ende.
Es war das Beste gewesen, zumindest rückblickend. Hätte er nicht Schluss gemacht und sie hätten einander geheiratet, wäre die Ehe früher oder später gescheitert. George hatte recht gehabt, die Beziehung zu beenden, bevor sie ihr Ehegelübde abgelegt hatten. Es war richtig gewesen, dass er seinem Herzen gefolgt war, das ihn wenige Monate nach der Trennung direkt in die Arme einer anderen Frau geführt hatte. Er war so behutsam gewesen, als er mit Helen Schluss gemacht hatte und so besorgt um ihr Wohlergehen.
Trotzdem, wenn man sitzen gelassen wurde, stellte man seinen eigenen Wert infrage, oder nicht?
Sie hatte diese unglückliche Zeit hinter sich gelassen, das gut gemeinte, gefühlsduselige Mitgefühl der Freunde überstanden und war, mit wertvollen Lektionen im Gepäck, nach London gezogen.
In Bezug auf Männer hatte Helen danach eine unüberwindbare Mauer um sich errichtet, weil sie nie wieder verletzt werden wollte. Ihre Vergangenheit, ihr verwundetes Herz und ihre Unsicherheit Männern gegenüber würde sie niemals dem prüfenden Blick anderer Menschen öffnen, am wenigsten dem ihres Chefs, der all das nicht verstehen würde.
Aber gerade eben hatte Gabriel diese unausgesprochene Grenze zwischen ihnen überschritten und ihr Einblick in sein Privatleben gewährt. Und das wollte sie nicht, wie sie mit plötzlich schneller schlagendem Herzen entschied. Denn sie wollte auf keinen Fall in Versuchung geführt werden, das Gleiche zu tun.
Ihre Ansichten über Beziehungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Und Helen fühlte sich sehr verletzlich bei der Vorstellung, dass ihr selbstbewusster, sexy Chef einen Einblick in das bekam, was in ihr vorging. Zwischen ihnen gab es Grenzen, und so wollte sie es auch. Ihr Recht auf Privatsphäre war nicht verhandelbar, denn würden irgendwelche Risse ans Licht kommen, wüsste sie nicht, wohin das führen mochte. Tief im Inneren wusste Helen, dass sie sich seiner auf beunruhigende Weise als Mann bewusst war. Und das konnte sich als bedrohlich erweisen, sollte sie dem je Raum gewähren.
„Dann haben Sie mich also angerufen, weil …?“ Zurück zur Arbeit, auf vertrautes Terrain.
Gabriels Stimme klang nun weicher. „Arturio Diaz ist bereits hier in Kalifornien. Er hat sich entschlossen, mit seiner Frau früher zu kommen, für einen kleinen Urlaub. Und er will sich meine Weinberge hier selbst anschauen, um zu sehen, ob die Trauben zu seinen erstklassigen Produkten passen. Sie wissen ja, das Label Diaz ist ihm heilig.“
Helen lächelte. Sie und Gabriel hatten ausführlich darüber gesprochen, als vor etwas über einem Jahr zur Sprache kam, Arturios Weinberge in der Toskana zu übernehmen, eine würdige Ergänzung zu seinen eigenen in Kalifornien.
Obwohl Gabriel in London ansässig war, lagen seine Wurzeln in Kalifornien. Vor vielen Jahren war etwas von dem großen Vermögen, das Gabriel nach dem Tod der Eltern geerbt hatte, in kalifornische Weinberge investiert worden, die über die Jahre jedoch vernachlässigt worden waren.
Gabriel hatte die richtigen Leute engagiert, um das Richtige zu tun, hatte Geld in das Projekt gesteckt und dann entschieden, einen Schritt weiterzugehen, sobald er mit den kalifornischen Trauben Glück hatte. Er hatte ihr erklärt, es sei nicht annähernd so befriedigend, guten Wein zu trinken, wie dabei zuzusehen, wie guter Wein gemacht wurde. Deswegen hatte er sich schon bald nach italienischen Weinbergen umgesehen – und damit wieder eine Verbindung zum Geburtsland seiner Eltern aufgenommen.
Er hatte mehr gefunden, als er erwartet hatte. Seine Suche führte zu einer familiären Verbindung, die seit Jahren keinen Bestand mehr gehabt hatte. Wie sich herausstellte, war Arturio durch Gabriels Familie großväterlicherseits mit ihm verwandt.
Arturios hochwertige Weinberge waren perfekt, und in den nächsten Monaten hatte Gabriel sich mehr und mehr selbst eingebracht, um sie zu erwerben. Helen hatte seinen Worten entnommen, dass er sich auch deswegen so gründlich mit dem Weinbau vertraut machte, weil dies eine Verbindung zu einer Vergangenheit darstellte, von der er kaum etwas wusste. Das Projekt bekam solch eine wichtige Bedeutung, dass Helen fast schon Angst davor hatte, etwas könne den Abschluss doch noch gefährden.
„Natürlich hat Arturio sich vielmals entschuldigt, dass er vor dem festgelegten Termin gekommen ist, aber alles hat gut geklappt“, fuhr Gabriel am anderen Ende fort. „Und ich muss zugeben, dass es mir gefällt, ihn hierzuhaben. So kann ich ihm zeigen, dass er nichts befürchten muss, wenn er an mich verkauft. Ihm gefällt der Gedanke, dass alles in der Familie bleibt, und das bedeutet mir sehr viel.“ Er hielt kurz inne. „Um auf den Punkt zu kommen. Ich habe die Sache vorangetrieben, jetzt, da Fifi wieder in England ist, und ich brauche Sie hier.“
„Aber Sie wollten das Geschäft doch allein abwickeln.“
„Als es um die Vorarbeit ging, ja, aber Arturio scheint jetzt unbedingt auf einen Abschluss erpicht zu sein. Er will sich wieder seinem verdienten Ruhestand hingeben. Schließlich ist er schon weit über siebzig. Ich selbst kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mich aus dem Geschäft zurückzuziehen, aber er hat mir erzählt, dass er genug Kinder und Enkel hat, die ihn für die nächsten hundert Jahre beschäftigt halten. Jedenfalls müssen noch einige Details geklärt werden, bevor grünes Licht gegeben werden kann, und ich brauche Sie dafür hier vor Ort. Abgesehen davon kann ich meine rechte Hand nur beschränkt benutzen, weil ich noch ein paar Tage den Verband tragen muss.“
„Ich soll nach Kalifornien kommen?“
„Ja. Gibt es ein Problem damit?“
„Nun, eigentlich nicht …“
„Sie haben doch einen Reisepass, oder?“
„Natürlich.“
„Und er ist noch gültig, nehme ich an?“
„Vermutlich, ja. Natürlich.“
„Wunderbar. Ich möchte Sie rechtzeitig hierhaben, damit Sie den Kleinkram des Vertrags durchgehen. Morgen wäre gut.“
„Morgen?!“
„Helen, warum spüre ich da ein gewisses Zögern? Sie werden höchstens drei oder vier Tage hier sein. Ich habe bereits meine Juristen zusammenkommen lassen, und auch wenn die Sache noch nicht abgeschlossen ist, denke ich nicht, dass es in letzter Minute noch Probleme geben wird. Sie müssten nur bei ein paar Meetings dabei sein und Protokoll führen.“ Er hielt inne. „Sehr kurzfristig, das ist mir klar, aber ich weiß wirklich nicht, wo das Problem ist. Die Sache ist wichtig. Hunde und Männer müssen ein paar Tage warten.“
„Hunde und Männer?“, wiederholte Helen verwirrt.
„Andere Hürden fallen mir nicht ein, warum Sie sich nicht in den Flieger setzen und herkommen könnten. Und ich muss Sie ja nicht daran erinnern, dass all das fester Bestandteil eines Jobs ist, der sehr gut bezahlt wird.“
„Das ist mir klar, Gabriel“, entgegnete Helen steif.
Zweifellos wurde ihr weit mehr als üblich bezahlt. Innerhalb von drei Jahren hatte sie einige Gehaltserhöhungen bekommen, ganz zu schweigen von zwei großzügigen Boni. Es war seine Art, dafür zu sorgen, dass sie ihm nicht davonlief. Sie war nicht unersetzlich, denn das war niemand, doch sie kam dem ziemlich nahe.
Trotz seines schillernden Liebeslebens nahm Gabriel seine Arbeit sehr ernst, und Helen wusste, dass er alles tun würde, um die Beziehung zu der einen Person, mit der er so gut zusammenarbeitete, nicht zu gefährden.
Deshalb kam er ihr immer gerne entgegen. Aber es gab Grenzen, und ihr wurde klar, dass sie jetzt an diese Grenzen stieß. Er wollte sie in Kalifornien haben, und als er von ihren Pflichten und ihrem hohen Gehalt sprach, hatte eine leichte Schärfe in seiner Stimme gelegen.
„Ich habe keine Hunde“, sagte sie hastig.
„Und Männer?“
„Das geht Sie nichts an“, entgegnete sie kühl, weil es stimmte. Sie hörte ihn leise lachen. Helen konnte sich nicht erinnern, dass er sie je nach ihrem Privatleben gefragt hatte. Vielleicht hatte er hin und wieder eine oder zwei allgemeine Fragen gestellt, was sie am Wochenende gemacht hatte, aber nie in Bezug auf Männer. Hatte er sich je über ihr Liebesleben Gedanken gemacht? Oder glaubte er, sie hätte keines und würde jeden Abend zu Hause bleiben, während die Welt sich um sie herum drehte?
Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass ihr sexy Chef sich Fragen über ihr Privatleben stellte. Und sie überlegte, wie es sich anfühlen mochte, wenn er sie als Frau und nicht nur als seine zuverlässige Angestellte sehen würde. Aber sollte sie je wieder einem Mann vertrauen, dann sicher keinem mit Bindungsangst wie Gabriel. Und doch spürte sie hin und wieder, dass sein bezwingender Sexappeal ihrer Entschlossenheit zusetzte.
Sie hörte, wie Gabriel sich kurz räusperte. „Sie haben recht, es geht mich nichts an!“
„Ihnen mag es nichts ausmachen, ob andere wissen, mit wem Sie sich treffen, aber es gibt Menschen, die in diesem Punkt ein bisschen zurückhaltender sind.“
Vielsagendes Schweigen folgte am anderen Ende, und Helen hätte sich ohrfeigen können, weil sie damit doch etwas preisgegeben hatte.
„Ich … ich gebe Ihnen Bescheid, welchen Flug ich gebucht habe“, beeilte sie sich zu sagen, um die unbehagliche Stille zu durchbrechen, die auf ihre spontane Antwort gefolgt war. „Vielleicht ist es aber auch nicht möglich, so kurzfristig noch etwas zu finden.“
„Das wird kein Problem sein, Helen. In der ersten Klasse gibt es immer freie Plätze. Sie wissen ja, wo ich bin. Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn Sie sich im gleichen Hotel ein Zimmer reservieren. Sie können gerne die teuerste Suite nehmen, die zur Verfügung steht. Ich möchte nicht, dass Sie sich unwohl fühlen, wenn Sie hier sind.“
Weil sie sich zu seiner Verblüffung zunächst geziert hatte, zu kommen? Weil ihr ein kleines Vermögen gezahlt wurde und eine Geschäftsreise ins Ausland Teil dieses großzügigen Pakets war?
Hatte seine Stimme bei dieser Bemerkung sarkastisch geklungen?
Helen war ein Gewohnheitstier, das seine Komfortzone mochte. Das konnte er natürlich nicht wissen. Genauso wenig, dass ihre Lebensumstände sie zu dem Menschen gemacht hatten, der sie jetzt war. Diese Routine zu verlassen schien so viel Mut zu erfordern, selbst wenn sie wusste, dass es nur kleine, unbedeutende Schritte waren.
Ihr Leben hätte anders verlaufen können, hätte sie nicht vor langer Zeit ihre Mutter und ihren Bruder durch einen Autounfall verloren. Sie war kaum acht gewesen, als es passierte, und es war sehr schlimm für sie gewesen. Sehr viel später hatte sie die Zeitungsausschnitte über diese Tragödie gelesen. Ein Lkw, der quer auf der Fahrbahn stand, hatte für einen schweren Auffahrunfall mit zwölf Todesopfern gesorgt.
Danach hatte sich ihr Vater verändert. Sie konnte sich noch vage an den Mann erinnern, der so entspannt, locker und sorgenfrei gewesen war. Diese fernen Erinnerungen wurden überlagert von einem Dad, der Frau und Sohn verloren und so große Angst hatte, seine Tochter auch noch zu verlieren, dass er sie in Watte packte und ihr beibrachte, nie ein Risiko einzugehen. Sowohl emotional als auch in Bezug auf Leib und Leben. Und Helen, die ihren Vater sehr liebte, wäre nie im Traum eingefallen, sich dem zu widersetzen.
Sie hatte fleißig gelernt, Schulausflüge ins Ausland sausen lassen – denn wer wusste schon, was auf den Skipisten alles passieren konnte? – und war bei den Teenagerpartys nie lange dabei gewesen, weil sie nicht sicher sein konnte, ob dort Alkohol oder Drogen angeboten wurden.
Als sie und George ein Paar wurden, hätte ihr Vater nicht glücklicher sein können. George war eine bekannte Größe gewesen, dazu bestimmt, Steuerberater zu werden und sich auf die Weise um Helen zu kümmern, die ihr Vater für die richtige hielt.
Wenn sie zurückblickte, erkannte sie, dass die Vorstellung von einer sicheren Zukunft für sie ausschlaggebend gewesen war. Sie war noch zu jung gewesen, um erkennen zu können, dass es in einer langfristigen Beziehung um mehr ging als nur Sicherheit. Sie war verliebt in die Idee gewesen, geliebt zu werden, und erst im Nachhinein erkannte sie, dass es dieser Beziehung an sehr vielem gefehlt hatte. Und dass man es mit der Sicherheit auch übertreiben konnte …
Der Umzug nach London – ihr erstes großes Abenteuer – war die einzige Abweichung von der jahrelangen Routine, und Helen musste immer noch lächeln, wenn sie daran dachte, wie ihr Vater auf ihre Entscheidung reagiert hatte. Selbst jetzt noch warnte er sie vor allem und jedem, was in dunklen Gassen auf sie lauern könnte. Aber ernüchtert, wie sie gewesen war, wollte sie unbedingt die Welt dort draußen kennenlernen. In Cornwall zu bleiben, war undenkbar gewesen.
Also hatte sie auf stur geschaltet, und obwohl ihr Vater seine üblichen Bedenken vorgetragen hatte, musste sie fairerweise zugeben, dass er sich ohne viel Aufheben gefügt hatte. Er hatte verstanden, dass sie es für sich tun musste, um sich wieder zu erholen.
Ihre Arbeitsbeziehung mit Gabriel hatte all den Regeln entsprochen, die sie aufgestellt hatte. Sie hatte hart gearbeitet, doch nie die Grenze überschritten, die es zwischen ihnen gab.
Sie fühlte sich wohl innerhalb dieser Begrenzung. Und es war das erste Mal, dass sie geschäftlich ins Ausland reiste. Wenn Gabriel im Ausland war, regelte er die Dinge selbst. Die Sache mit seiner Hand und dass das Geschäft mit Arturio nun schneller abgeschlossen werden konnte, hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Deshalb konnte sie ihm kaum verübeln, dass er von ihr erwartete, nun für ihn einzuspringen.
Trotzdem war die Aussicht, jenseits des Büros in London Umgang mit ihm zu haben, seltsam einschüchternd.
Unsinn.
Warum sollte es so sein? Schließlich würde sie auch dort arbeiten, nur in einer anderen Umgebung.
„Natürlich.“
„Wir haben alles online, aber bringen Sie auf jeden Fall die Ordner mit. Arturio hat erst vor Kurzem im neuen Jahrhundert Fuß gefasst. Zu Hause hat er alles delegiert, aber hier muss er allein klarkommen und möchte vielleicht die Ordner durchblättern.“
„Es ist doch nett, dass er so altmodisch ist.“ Helen lächelte und dachte an ihren Vater, der sich ähnlich verhielt, obwohl er jünger war als Arturio. Er hatte als Gerüstbauer gearbeitet, aber nachdem er nun in Rente war, hatte er seine alte Leidenschaft, das Fischen, wieder aufgenommen und versuchte sein Glück im lukrativen Krabbenfang. Seine Beute verkaufte er an Restaurants in der Umgebung. Wozu also sollte er sich mit Computern auskennen?
„Nett, aber zeitraubend“, bemerkte Gabriel mit liebevoller Nachsicht, „wenn man alles auf dem Papier durchgehen muss. Abgesehen davon mag ich ihn zu sehr, um ihm nicht seinen Wunsch nach jedem Ordner zu erfüllen, den er von uns haben möchte. Ich wusste gar nicht, dass Ihnen so etwas so gut gefällt, weil Sie doch in Bezug auf alles, was Hightech betrifft, der klügste Mensch sind, den ich kenne.“
Helen errötete und war froh, dass er es nicht sehen konnte.