La Paloma - Gisa Pauly - E-Book

La Paloma E-Book

Gisa Pauly

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Beschreibung

La Paloma, ade – auf, Matrosen, ohé! Mamma Carlotta weilt wieder einmal bei Schwiegersohn Erik und den Enkeln auf Sylt – doch von Entspannung kann keine Rede sein. Erst muss sie Erik beim Nordic Walking unterstützen, damit ihm die sportliche Motivation nicht abhandenkommt, und dann gibt es neue Aufregung: Die ehemalige Sylter Operettensängerin Lydia Warenholz ist nach vielen Jahren zurück, um ihrer Karriere neuen Schwung zu verleihen. Aber am Tag nach ihrem großen Konzert wird sie mausetot aufgefunden! Außerdem herrscht dicke Luft in Mamma Carlottas Stammkneipe, seit nebenan ein schickes neues Restaurant eröffnet hat. Auch Mamma Carlotta wandert ob der miesen Stimmung ab. Oder liegt es vielleicht doch eher daran, dass ihr dort ein äußerst charmanter Italiener den Hof macht? In den turbulenten Sylt-Krimis von Gisa Pauly prallt das Temperament von Mamma Carlotta auf die Mentalität der Inselbewohner, vor allem aber mischt sich die Italienerin immer wieder in die polizeilichen Ermittlungen ihres friesisch-wortkargen Schwiegersohns ein. Wer Rita Falk und den Eberhofer mag, wird auch von Mamma Carlotta begeistert sein. Perfekte Cozy Crime für Ihre Strandlektüre – machen Sie Urlaub mit Mama Carlotta!  Bücher für den Urlaub gibt es viele. Hervorragende Regionalkrimis ebenso. Doch kaum ein anderer Nordsee-Krimi bringt das Lebensgefühl auf Sylt mit so viel Charme und Situationskomik auf den Punkt wie die Mamma Carlotta-Reihe. Lassen Sie die Seele baumeln und schmökern Sie nach Herzenslust – die Romane von Gisa Pauly sind ein pures Vergnügen und ein perfekter Tipp für Ihre Urlaubslektüre.  »Da steckt Spannung drin und jede Menge Lebensweisheit.« SR3 Krimitipp  Eine Figur wie Mamma Carlotta gibt es nur einmal. Seit mittlerweile 15 Jahren lässt Bestsellerautorin Gisa Pauly ihre vorlaute Schwiegermutter auf die Leser los und findet mit jedem weiteren Band der Krimireihe neue Fans, die laut lachen und in einem spannenden Kriminalfall mitfiebern wollen.  »Gisa Pauly hat mit der redseligen Italienerin eine Sylter Prominente geschaffen, die vor Sympathie strotzt.« Recklinghäuser Zeitung  Mamma Carlottas unverzüglicher Weg an die Spitze der Bestsellerlisten ist kein Zufall. Gisa Pauly hat viel Herzblut in die Erschaffung ihrer liebenswerten Nervensäge mit italienischen Wurzeln gesteckt und vermischt südländisches Feuer mit kühler Cosy Crime an der Nordsee.  Die Jagd nach dem Mörder wird mit Mamma Carlotta fast zur Nebensache Seit mehr als 15 Jahren liefert Gisa Pauly mit ihren Regionalkrimis immer wieder Nachschub für eine riesige Lesergemeinde. Und es ist kein Ende in Sicht.  »Die italienische Miss Marple von Sylt.« Brigitte  Der andauernde Erfolg der Cosy Crimes mit Mamma Carlotta beruht nicht zuletzt auf der charmanten und liebevollen Art, mit der Autorin Gisa Pauly ihrer Hauptfigur immer wieder neue Facetten entlockt. Mamma Carlotta ist eine Schwiegermutter aus dem Bilderbuch – und dennoch ganz anders. Reihenweise Lesefutter aus den Bestsellerlisten Spannung und jede Menge Witz garantiert: Entdecken Sie nach dem Auftakt »Die Tote am Watt« auch alle anderen Mamma-Carlotta-Bücher der Krimireihe und kehren Sie immer wieder nach Sylt zurück. Es lohnt sich.  - Band 1: Die Tote am Watt - Band 2: Gestrandet - Band 3: Tod im Dünengras - Band 4: Flammen im Sand - Band 5: Inselzirkus - Band 6: Küstennebel - Band 7: Kurschatten - Band 8: Strandläufer - Band 9: Sonnendeck - Band 10: Gegenwind - Band 11: Vogelkoje - Band 12: Wellenbrecher - Band 13: Sturmflut - Band 14: Zugvögel - Band 15: Lachmöwe - Band 16: Schwarze Schafe - Band 17: Treibholz - Band 18: Breitseite - Band 19: La Paloma

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Covergestaltung: Eisele Grafik·Design, München

Covermotiv: Stock.adobe.com, Shutterstock.com und Freepik

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

1 – Im allerletzten Augenblick …

2 – »Da soll ich mich …

3 – Als Mamma Carlotta …

4 – Erik wartete nicht, …

5 – Carolin kam die Treppe …

6 – Sören war überrascht, …

7 – Mamma Carlotta nahm …

8 – »Bist du sicher«, fragte …

9 – Fietjes Nackenmuskulatur …

10 – Sören legte das …

11 – Als Mamma Carlotta …

12 – Erik suchte mal …

13 – Es war immer gut, …

14 – Erik sah auf die Uhr. …

15 – Mamma Carlotta griff …

16 – Die Staatsanwältin …

17 – Der Einkauf im Großmarkt …

18 – Erik legte das Telefon …

19 – Mamma Carlottas Kopf …

20 – Diesmal war seine …

21 – Mamma Carlotta war …

22 – Eriks erster Weg …

23 – Giovanni Muratoni …

24 – Der Parkplatz am …

25 – Mamma Carlotta erkannte …

26 – Sie schlenderten über …

27 – In Frau Kemmertöns’ …

28 – Den Wagen hatten …

29 – Mamma Carlotta war …

30 – Tilla war vor Erik …

31 – Als sie erwachte, wurde …

32 – Erik ließ sich Zeit, …

33 – Tilla entschloss sich, …

34 – Das Hotel Horizont …

35 – Mamma Carlotta wusste, …

36 – Adrian Minwegen ließ …

37 – Die Türklingel schrillte, …

38 – Erik hatte Tilla an …

39 – Mamma Carlotta hatte …

40 – Die Staatsanwältin hatte …

41 – Mamma Carlotta hatte …

42 – Erik griff nun sogar …

43 – Mamma Carlotta starrte …

44 – Der nächste Morgen …

45 – Carolin kam in die …

46 – Erik hatte Tilla …

47 – Carolin saß mit ihrem …

48 – Erik stand in Lydia …

49 – Carolin brach bald …

50 – Sören war der Erste, …

51 – Felix’ Handy läutete. …

52 – Sie gingen zu Fuß. …

53 – Mamma Carlotta war …

54 – Sören wartete in …

55 – Carlotta Capella sah …

56 – Erik öffnete vorsichtig …

57 – Sie hielt es für besser, …

58 – Erik atmete tief ein …

59 – Die Auberginenfrikadellen …

60 – Enno Mierendorfs Stimme …

61 – Tove Griess schien …

62 – Sie hatten mehrmals …

63 – Die Zeit legte sich …

64 – Es war, als hätte …

65 – »Du kannst bei mir …

66 – Adrian Minwegen sah …

67 – Carolin erschien schon …

68 – Das Auto war auf …

69 – Sie hatte ihren kleinen …

70 – Erik rüttelte an Tillas …

71 – Fifi war begeistert, …

72 – Erik richtete sich …

73 – Mamma Carlotta hatte …

74 – Erik starrte seinen …

75 – Mamma Carlotta starrte …

76 – Sie halfen Fee Gersson …

77 – Für Fifi hatte der …

78 – Erik begrüßte Boris …

79 – Herr Kemmertöns ging …

80 – Bill Hoover sah ihn …

81 – Im La Pergola war es …

Danksagung

Rezeptanhang

Panini di Parma

Spaghetti Napoli

Sizilianische Auberginenfrikadellen mit Tomaten-Salsa

Süße Sünde

Gefüllte Tomaten

Carabaccia (Zwiebelsuppe aus der Toskana)

Tenerelle (Fleischklößchen in Pilzsoße)

Bananencreme

Cipolle al forno (Gebackene Zwiebeln)

Maccheroncini alla Senese (Makkaroni mit pikanter Soße)

Überbackene Hähnchenbrustfilets

Mascarpone-Ecken Fiorella

Mediterranes Ofengemüse

Parmesan-Risotto

Gebackener Kabeljau mit Oliven

Ingwercreme

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1

Im allerletzten Augenblick hielt sie sich an der Tischkante fest. Beinahe wäre sie vom Stuhl gefallen! Mamma Carlotta setzte sich gerade hin, hob den Kopf, der ihr auf die Brust gesunken war, und drückte die Wirbelsäule an die Rückenlehne. Vielleicht sollte sie das Radio anstellen, um sich wach zu halten? Aber Musik würde sie nur erneut einlullen, und irgendwelche Wortbeiträge wären vermutlich so langweilig, dass ihr damit das Gleiche passieren würde. Es war doch immer dasselbe! Niemand sagte ihr Bescheid, keiner ihrer Angehörigen dachte darüber nach, dass sie sich Sorgen machte, solange nicht alle zu Hause waren.

Nun merkte sie, dass der Zorn es vielleicht schaffte, sie wach zu halten. Negative Gefühle hinderten viel eher daran, sich zu entspannen und in den Schlaf zu sinken. Sie öffnete das linke Auge und blickte zur Uhr. Beinahe Mitternacht. Die Pizzeria, in der Felix kellnerte, musste eigentlich längst geschlossen haben. An Wochentagen aßen dort Familien, oft mit kleinen Kindern, die früh ins Bett mussten. Aber da die Pizzeria den Eltern von Felix’ Freundin gehörte, konnte es immer sein, dass ihr Enkel sich entschloss, dort zu übernachten. Das tat er manchmal, aber nicht immer, sodass seine Großmutter nie genau wusste, ob es Sinn hatte, auf ihn zu warten. Sehr ärgerlich!

Und seit Carolin fürs Inselblatt arbeitete, musste man bei ihr immer mit allem rechnen. Vereine, über deren Jahreshauptversammlungen sie zu berichten hatte, trafen sich vornehmlich abends, und Konzerte, Lesungen oder Auftritte von Comedy-Stars fanden natürlich auch später am Tag statt. Besonders spät kam Carolin dann heim, wenn sie es schaffte, nach einer solchen Veranstaltung noch ein Interview mit einem der Künstler zu ergattern. Dann befürchtete ihre Großmutter bereits das Schlimmste, bis sie endlich zu Hause auftauchte. Dazu noch Erik mit seinen unregelmäßigen Dienstzeiten! Wenn er in einem Kapitalverbrechen ermittelte, wusste seine Schwiegermutter oft nicht einmal, ob er zum Essen kommen würde oder ob sie sich völlig vergeblich um Antipasti, Primo, Secondo und Dolce kümmerte. Zurzeit passierte zum Glück auf Sylt nichts, dem der Kriminalhauptkommissar seinen Feierabend opfern musste, aber wenn er mit der Staatsanwältin essen ging, so wie an diesem Abend, wusste Mamma Carlotta eben auch gern, ob die beiden wohlbehalten wieder im Süder Wung angekommen waren.

Dummerweise durfte sie sich nicht einmal darüber beschweren, dass sie auf dem Küchenstuhl einschlief, weil ihre Angehörigen sie so lange warten ließen. Würde sie sich beklagen, bekäme sie zur Antwort, dass sie sich frühzeitig ins Bett legen und die Zimmertür fest verschließen solle, damit sie von den Schritten auf der Treppe nicht geweckt wurde. Kein Mitglied der Familie Wolf wollte, dass sie wartete, bis alle gesund zurückgekehrt waren. Im Gegenteil! Die Kinder lachten ihre Nonna aus, und Erik hatte es sich sogar verbeten. Er sei kein kleiner Junge mehr, hatte er ihr vorgehalten, der seine Mama nach der Rückkehr anhauchen müsse, um zu beweisen, dass er keinen Alkohol getrunken habe.

Das war natürlich ein sehr dummer Vergleich. Mamma Carlotta merkte nun, dass der Ärger tatsächlich ihre Müdigkeit vertrieb und ihren Körper aufrichtete. Sie nahm sogar die Füße von dem zweiten Stuhl, den sie sich zurechtgestellt hatte, damit sie es bequemer hatte. Verächtlich schnaubte sie. Als wenn sie Erik kontrollieren wollte! So ein Unsinn! Sie wollte einfach nur wissen, dass ihm auf dem Nachhauseweg nichts zugestoßen war, ihm und der Staatsanwältin. War das so schwer zu verstehen? So hatte sie es auch bei ihren Kindern gehalten. Immer hatte sie erst schlafen gehen können, wenn alle sieben wohlbehalten in ihren Betten lagen.

Als sie Schritte vor dem Haus hörte, stand Mamma Carlotta auf und trat ans Fenster. Tatsächlich! Erik und Tilla. Hand in Hand kamen sie aufs Haus zu und küssten sich, während Erik den Schlüssel aus seiner Jackentasche suchte. Carlotta beobachtete sie gerührt. Ein ungleiches und dennoch harmonisches Paar! Ihr Schwiegersohn, so behäbig und ruhig, die Staatsanwältin dagegen quirlig und attraktiv. Ihm war, wenn es um Äußerlichkeiten ging, nur sein Schnauzer wichtig, während sie Mode liebte und ihre körperlichen Vorzüge gern in Szene setzte. In Momenten wie diesem musste Mamma Carlotta immer an die Zeit denken, in der ihr Schwiegersohn die Staatsanwältin nicht hatte ausstehen können. Grässlich hatte er sie gefunden, unverschämt, unhöflich! Und sie? Sie hatte immer wieder durchblicken lassen, dass sie Erik für unfähig hielt, viel zu langsam, zu schwerfällig. Und dann … ja, dann hatte sich etwas zwischen ihnen geändert, und schließlich war ein tiefes positives Gefühl aus dem entstanden, was früher nur Ablehnung gewesen war. Mamma Carlotta zögerte. An Liebe mochte sie noch nicht denken, denn sie glaubte, dass Erik seine Beziehung zu der Staatsanwältin auch noch nicht so nannte. Aber Mamma Carlotta war zuversichtlich, dass aus der Verliebtheit irgendwann Liebe werden würde.

Als sie hörte, dass sich der Schlüssel im Schloss drehte, nahm sie schnell ein Tuch zur Hand und wischte über die Spüle, damit es so aussah, als wäre sie bis jetzt mit Hausarbeit beschäftigt gewesen.

Prompt fragte Erik misstrauisch, als er eintrat: »Du bist noch wach?«

Die Staatsanwältin nannte es beim Namen. »Du hast auf uns gewartet?«

Das bestritt Mamma Carlotta selbstverständlich, redete von einem Fernsehprogramm, das sie gelangweilt habe, von Flecken auf der Spüle, denen sie mit einem neuen Putzmittel zu Leibe rücken wollte, und dass sie gerade beschlossen habe, zu Bett zu gehen. »Ich warte doch nicht auf euch«, schloss sie. »Wie kommt ihr darauf?«

Erik grinste, als durchschaute er sie. »Ein Absacker?« Das war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung. Er ging in die Vorratskammer, kam mit einer Grappaflasche zurück und holte die passenden Gläser aus dem Wohnzimmer.

Dr. Tilla Speck ließ sich währenddessen am Küchentisch nieder. Die Jacke ihres hellgrauen Hosenanzugs hatte sie an der Garderobe gelassen. Ihr weißer Pullover hatte auf der rechten Brust einen kleinen Tomatenfleck, der ihr vermutlich den Abend verdorben hätte, wenn er ihr aufgefallen wäre.

»Ist Carolin noch nicht zurück?« Als Mamma Carlotta den Kopf schüttelte, sagte Tilla: »Es hat einen bösen Verkehrsunfall in Kampen gegeben.« Sie winkte hastig ab, als sie sah, dass Mamma Carlotta erschrocken zusammenfuhr. »Nein, nein, ein Mann ist das Opfer, keine junge Frau.«

»Woher weißt du das?«, fragte Mamma Carlotta aufgeregt.

»Im La Pergola saß ein Kollege von Erik am Nachbartisch. Der hatte Bereitschaft, musste auf den Nachtisch verzichten und nach Kampen fahren. Vermutlich ist Carolin wieder als rasende Reporterin unterwegs.« Tilla lachte amüsiert. »Wetten, dass ihr Chefredakteur sie nach Kampen geschickt hat?«

Mamma Carlotta wurde erneut von Sorge gepackt. Seit ihre Enkelin Volontärin beim Inselblatt war, sauste sie mit einem Motorroller über die Insel und verglich sich selbst gern mit Karla Kolumna, der Freundin von Benjamin Blümchen, mit deren Abenteuern sich Carolin als Kind gern beschäftigt hatte. Wie Karla Kolumna verabschiedete sie sich seitdem mit »Tschüsselchen!« und erschien stets wie sie mit »Hallöchen!«.

»Mitten in der Nacht?« Mamma Carlottas Stirn bekam tiefe Sorgenfalten. »Hoffentlich fährt sie vorsichtig.«

»Sie ist doch ein vernünftiges Mädchen«, sagte Tilla, und Erik bekräftigte es.

Aber Mamma Carlotta sah genau, dass auch er erleichtert aufatmete, als ein wohlbekanntes Knattern den Süder Wung heraufkam und vor dem Haus erstarb. Mamma Carlotta hatte die Tür schon geöffnet, bevor ihre Enkelin ihren Motorroller abgestellt hatte.

Carolin sah mitgenommen aus, als sie in die Küche kam. Sie war blass, die Haare hatten sich aus dem Gummi gelöst, mit dem sie im Nacken zusammengebunden waren, und hingen ihr ins Gesicht. Sie trug nur eine dünne Jacke und schien gefroren zu haben. Der September war zwar tagsüber noch warm, abends jedoch kühlte es merklich ab, und der Wind erinnerte oft schon an den Herbst. »Puh! Das war echt eine heftige Sache.« Sie warf der Grappaflasche einen interessierten Blick zu und ließ sich auf einen Stuhl fallen, ohne die große Umhängetasche abzunehmen. Ihr Crossbody Bag, ein Begriff, den ihre Nonna sich nicht merken konnte, war immer dabei.

Erik holte ein weiteres Glas aus dem Wohnzimmer und goss seiner Tochter bereitwillig ein. »So schlimm?«

Carolin stürzte den Grappa hinunter und schüttelte sich. »Der Mann ist tot.«

Erik erschrak, Tilla brauchte einen zweiten Grappa, und Mamma Carlotta ließ sich erschüttert neben ihrer Enkelin auf einen Stuhl sinken. »Das ist ja … terribile!«

»Und dann noch Fahrerflucht«, ergänzte Carolin mit dumpfer Stimme und strich mit einer fahrigen Geste ihre Haare zurecht, die ihr jedoch gleich wieder ins Gesicht fielen. Anscheinend hatte sie mehr gesehen, als für ihr Seelenheil gut war. Jedenfalls hielt sie ihrem Vater noch einmal ihr Glas hin, der allerdings nur zögernd nachgoss.

Von einem Moment zum anderen war Erik ein Polizeibeamter, der von einem Verbrechen erfahren hatte. Er setzte sich seiner Tochter gegenüber, als wollte er sie vernehmen. »Was weiß man?«

Carolin versuchte zu grinsen, aber es misslang. »Bin ich die Polizei? Die haben natürlich alles sofort abgesperrt. Aber ein paar Fotos habe ich trotzdem machen können.« Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche, gab die PIN ein und rief ihre Fotos auf. Dann hielt sie es ihrem Vater hin. »Alles voller Blut.«

Erik schob ihr Smartphone mit einer heftigen Geste zurück. »Wie kannst du solche Fotos schießen, Caro?«

»Ich bin Journalistin, Papa.« Carolins Stimme klang aggressiv, wie immer, wenn ihr Vater etwas an ihrer Arbeit zu beanstanden hatte. Sie öffnete ihre Jacke, als würde ihr unter den Einwänden ihres Vaters nun endlich warm.

»Volontärin«, korrigierte Erik. »Ein Unding, dass Koopmann dir so viel freie Hand lässt.«

»Mein Chefredakteur weiß eben, dass ich gut bin.«

Diesen Satz hätte sie besser nicht gesagt. Mamma Carlotta wusste, wie Erik auf so eine Überheblichkeit reagierte. Sie wurde unruhig, suchte nach Gründen, dieses Gespräch abzukürzen oder auf einen anderen Weg zu schieben, ohne sich auf die eine oder die andere Seite schlagen zu müssen … aber es gelang ihr nicht.

»Du nennst es gut«, sagte Erik mit grimmiger Betonung und anschwellender Stimme, »wenn du dich über alles hinwegsetzt, was anständig ist? Einen Toten in dieser wehrlosen Lage zu fotografieren, das ist … einfach geschmacklos.« Jetzt schrie er seine Tochter sogar an. »Du nimmst ihm jede Würde, merkst du das nicht? Und denk mal an die Angehörigen!«

»Noch ist das Foto ja nur auf meinem Handy«, keifte Carolin zurück.

»Du musst dich über sämtliche Anordnungen meiner Kollegen hinweggesetzt haben.«

Mamma Carlotta sah sofort, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Carolins trotzige Haltung verriet alles. »Wie kommst du darauf?«

»Garantiert bist du angewiesen worden, den Tatort zu verlassen! Niemand hat dir erlaubt, so nah an das Opfer heranzugehen. Stimmt’s?«

»Papa! Ich mache meinen Job und du deinen!«

Jetzt war es nicht nur Mamma Carlotta, sondern auch die Staatsanwältin, die Beschwichtigungsversuche unternahm. »Erik, bedenk doch …«

Aber sie kam nicht weit. Der behäbige Kriminalhauptkommissar, der selten laut und unbeherrscht wurde und eigentlich nie einen Anflug von Temperament an den Tag legte, fegte die sanfte Stimme, deren Klang schon erkennen ließ, was Tilla sagen wollte, aus der Luft. »Ich mache meinen Job schon viele Jahre«, brüllte er Carolin an. »Und du stehst gerade mal am Anfang deiner Karriere!«

»Enrico …« Mamma Carlotta hätte eigentlich wissen müssen, dass alles noch schlimmer wurde, wenn sie in dieser Situation ihrem Schwiegersohn damit kam, dass er sich beruhigen solle. »Reg dich nicht auf, ti prego …«

2

»Da soll ich mich nicht aufregen?« Erik ging unruhig am Fußende des Betts hin und her, seine Stimme war noch immer laut und unbeherrscht. »Am Ende betreibt Caro genauso miesen Journalismus wie ihr Chefredakteur. Koopmann setzt sich auch über alles hinweg, dem geht es immer nur um Sensationsgier.«

Tilla war vor Erik ins Bad gegangen, wohl in der Hoffnung, dass er sich beruhigt haben könnte, wenn sie ins Schlafzimmer zurückkam. Als sie einsehen musste, dass sie sich getäuscht hatte, war sie zu Bett gegangen, in der Erwartung, dass er sich neben sie legte und in ihren Armen seinen Ärger vergaß.

Aber Eriks Zorn war noch lange nicht verraucht. »Ich sollte mal mit Koopmann reden.«

Tilla, die sich schon in ihre Schlafposition gerollt hatte, schreckte hoch und schob sich ein Kissen in den Nacken. »Das kannst du nicht machen. Caro ist volljährig. Wenn du ihr reinredest, wird alles noch schlimmer.«

»Solange sie die Füße unter meinen Tisch stellt …«

»Nein, Erik!« Nun saß die Staatsanwältin aufrecht im Bett. »Nicht dieser Spruch! Den hat mein Vater früher immer von sich gegeben, wenn er nicht weiterwusste. Der ist vollkommen antiquiert. Oder willst du etwa, dass Carolin doch wieder auszieht?«

Das wollte Erik auf keinen Fall. »Auf Sylt kann ein volljähriges Kind nicht einfach ausziehen«, knurrte er. »Hier gibt’s keine Wohnungen, die bezahlbar sind.« Nun knöpfte er endlich sein Hemd auf und stieg aus seiner Hose.

»Carolin ist schon mal nach Hamburg gegangen.«

»Und wieder nach Hause gekommen«, ergänzte Erik.

»Das heißt nicht, dass sie auch das nächste Mal zurückziehen wird.«

»Ich werde sie trotzdem nicht anders behandeln als jede x-beliebige Journalistin. Wenn Caro meint, sie kann sich mehr herausnehmen, weil ihr Vater Kriminalhauptkommissar von Sylt ist, dann hat sie sich geschnitten.«

»Du meinst, die Kollegen von der Verkehrspolizei haben sie nicht zurückgehalten, weil sie fürchteten, dann Ärger mit dir zu bekommen?« Sie zog das Kissen aus ihrem Nacken und streckte sich wieder aus. »Dann musst du denen Vorwürfe machen und nicht deiner Tochter.«

Erik merkte, dass er Gefahr lief, bei dieser Diskussion den Kürzeren zu ziehen. Er riss die Pyjamahose so wütend hoch, dass die Schrittnaht riss, was nicht zu seiner Besänftigung beitrug. Zornig stapfte er ins Bad, warf die Tür laut hinter sich ins Schloss und starrte eine Weile in den Spiegel. Dass Carolin aber auch ausgerechnet fürs Inselblatt arbeiten musste! Warum war sie nicht Hotelkauffrau geblieben? Kürzlich hatte er den Direktor des Hotels Horizont getroffen, in dem Carolin ihre Ausbildung begonnen, aber leider nicht beendet hatte. Der hatte durchblicken lassen, dass er nicht abgeneigt war, Carolin wieder einzustellen. Aber wenn er seiner Tochter davon erzählte, würde sie bockig reagieren, das wusste er, ohne länger darüber nachzudenken.

Er griff nach seiner Zahnbürste und drückte einen viel zu langen Strang Zahnpasta darauf, der zur Hälfte auf seinem Daumen landete. Tilla hatte recht, er musste vorsichtig sein. Mit Vorwürfen erreichte er gar nichts. Fingerspitzengefühl war gefragt. Aber ohne Zahnpasta darauf …

3

Als Mamma Carlotta am nächsten Morgen aufwachte, kam es ihr so vor, als hätte sie verschlafen. Aber ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass alles so wie immer war. Sie brauchte keinen Wecker, sie wachte jeden Tag zur gleichen Zeit auf. Dass sie sich nicht ausgeschlafen fühlte, lag daran, dass die Stimmung schlecht gewesen war, als sie sich zu Bett begeben hatte. Die Nachtruhe hatte leider nicht dafür gesorgt, dass aus der Entmutigung Optimismus geworden war, wie ihn die aufgehende Sonne oft mit sich brachte. Sie fühlte sich noch immer niedergeschlagen und enttäuscht, weil Erik und Carolin sich mal wieder in die Haare geraten waren, wie so oft, wenn ihre Berufe kollidierten. Nur gut, dass die beiden an diesem Morgen voraussichtlich nicht aufeinandertreffen würden. Carolin durfte länger schlafen und erst später in der Redaktion erscheinen, da sie am Abend zuvor so lange für das Inselblatt unterwegs gewesen war. Und Erik würde vermutlich zur gewohnten Zeit ins Büro fahren, vielleicht sogar früher als sonst, da die Staatsanwältin zeitig nach Flensburg zurückfahren wollte. Sie hatte am Nachmittag einen Termin bei Gericht, und Erik würde sie natürlich zum Bahnhof fahren.

Mamma Carlotta blieb noch eine Weile liegen, lauschte auf die Geräusche des erwachenden Tages, auf den Wind, der in den Bäumen rauschte, auf den Schrei einer Möwe, auf den eine andere antwortete, auf den schwachen Verkehrslärm, der von der Westerlandstraße kam, auf ein, zwei Autos, die den Süder Wung entlangfuhren. Eine Wohnstraße, in der vor vielen Jahren kleine Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken gestanden hatten, von denen mittlerweile viele durch Anbauten für Touristen erweitert worden waren. Anfänglich waren es Zimmer gewesen, deren Bewohner morgens in das Wohnzimmer der Hausbesitzer kamen, das während der Saison zum Frühstückszimmer wurde und abends zum Gemeinschaftsraum. Aber das war mittlerweile nicht mehr in Mode. Heute verbrachten die Feriengäste ihren Urlaub am liebsten in einer Ferienwohnung, waren gern unabhängig, fanden sich damit ab, sich ihr Frühstück selbst zuzubereiten, konnten die Abende im eigenen Wohnzimmer verbringen. Lucia, Carlottas Tochter und Eriks Frau, hatte auch gelegentlich davon gesprochen, das Haus im Süder Wung, Eriks Elternhaus, in dem er aufgewachsen war, entsprechend zu erweitern und sich selbst damit eine Aufgabe zu geben, die überdies das Familieneinkommen aufpolstern konnte. Aber dazu war es nicht mehr gekommen. Ein schwerer Autounfall auf dem Weg zum Autozug, ein unachtsamer Lkw-Fahrer, dem Lucia in ihrem Auto entgegengekommen war, und alle Zukunftspläne waren zunichte gemacht worden.

Mamma Carlotta merkte, wie die Trauer sich über sie stülpen und sie lähmen wollte. Sie erhob sich schwerfällig, fühlte sich mindestens so alt, wie sie war, wenn nicht älter, spürte ein Ziehen in den Schultern, das sonst nicht da war, und war drauf und dran, sich einfach wieder zurücksinken zu lassen und weiterzuschlafen. Aber so etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie getan, allenfalls bei hohem Fieber oder drohender Fehlgeburt. Unter Ersterem litt sie selten, vom Zweiten war sie zum Glück ein für alle Mal befreit. Also würde sie auch heute zur gewohnten Zeit die Treppe hinunter und in die Küche gehen, um das Frühstück vorzubereiten. Tilla brauchte natürlich etwas Gesundes und Nahrhaftes, bevor sie aufbrach. Mamma Carlotta wusste ja, dass ihr bis zum Abend niemand mehr etwas Gutes vorsetzen würde. Und Sören, Eriks Mitarbeiter, erwartete selbstverständlich sein Rührei mit den kross gebratenen Schinkenwürfeln. Er kam seit einiger Zeit immer etwas später, weil er wusste, dass sein Chef neuerdings Sport trieb. Direkt nach dem Aufstehen, noch vor der ersten Mahlzeit des Tages. Auch heute? Mamma Carlotta überlegte kurz, während sie sich das Nachthemd über den Kopf zog, sich einen Morgenmantel überwarf und ins Badezimmer ging. Nein, heute sicherlich nicht. Solange die Staatsanwältin im Hause war, hatte er aufs Nordic Walking verzichtet. Schon deswegen, weil Tilla nicht bereit gewesen war, ihn zu begleiten. Dabei hatte Erik extra zwei Paar Walkingstöcke gekauft, damit er nicht allein losziehen musste. Um Geselligkeit ging es ihm dabei nicht, eher im Gegenteil, sondern vielmehr darum, dass seine Motivation erhalten blieb, wenn ein anderer ihn antrieb und ihn an seine guten Vorsätze erinnerte.

Mamma Carlotta stieg seufzend unter die Dusche. Es war ja klar, dass ihr Schwiegersohn sie dafür ausersehen hatte. Gleich am Tag nach ihrem Eintreffen auf Sylt hatte er sie mit diesem merkwürdigen Sport bekannt gemacht.

Mamma Carlotta hatte lachen müssen. »Skifahren ohne Skier?«

Aber Erik hatte sich mal wieder als ausgesprochen humorlos erwiesen. Sie solle sich nicht darüber lustig machen, hatte er ihr erklärt, das Gehen mit Stöcken sei wesentlich effektiver als die Fortbewegung ohne Stöcke. Das Nordic Walking kurble das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem an und senke einen erhöhten Blutdruck. Außerdem sei es bei Knie- und Rückenproblemen hilfreich, weil etwa neunzig Prozent der gesamten Körpermuskulatur aktiviert werden. »Also ein unbestreitbares Ganzkörpertraining!«, hatte Erik geschlossen, der theoretisch bereits bestens trainiert war.

Und sie, seine Schwiegermutter, hatte auf den Hinweis verzichtet, dass bei ihr Herz und Kreislauf auf Zack seien, der Blutdruck ebenso, und auf dem Gang durch die steilen Gassen ihres umbrischen Dorfes habe sie auch keine Rücken- und Kniebeschwerden. Ihr Körper sei durch das ständige Auf und Ab nämlich bestens trainiert. Aber dann hatte sie begriffen, dass es Erik nicht um die Gesundheit seiner Schwiegermutter ging, sondern ausschließlich um seine eigene. Mamma Carlotta sollte lediglich dafür sorgen, dass er keine Ausreden fand, die gegen das regelmäßige Training sprachen. »Aber schaden kann es dir ja auch nicht.«

»D’accordo!« Sie hatte es eingesehen und war selbstverständlich auch bereit, ihrem Schwiegersohn bei der Einhaltung seiner Vorsätze zu helfen. »Naturalmente!« Sie zwang sich zu einem eiskalten Guss und stieg aus der Dusche. »Ma non oggi!« Nein, heute nicht.

Eine kleine Heimzahlung hatte er verdient, weil er am Abend zuvor die gute Stimmung verdorben hatte. Er würde merken, dass sie geduscht hatte, damit war klar, dass für sie eine schweißtreibende sportliche Betätigung an diesem Morgen nicht infrage kam.

Während sie sich abtrocknete, wurde sie jedoch unsicher. War wirklich Erik an dem Streit schuld gewesen? Hatte er nicht vielleicht recht gehabt mit seinem Anspruch an Carolin? Womöglich waren sie beide schuld, Erik, weil er seiner Tochter mit Forderungen gekommen war, statt sie freundlich zu bitten, und Carolin, weil sie sich tatsächlich für eine gute Story oft über alles andere hinwegsetzte.

Zu ihrer Überraschung traf Mamma Carlotta Erik in der Küche an. Im Jogginganzug, einem verschwitzten T-Shirt und dem Stirnband, das ihm überhaupt nicht stand.

Verdutzt starrte sie ihn an. »Enrico!«

Noch nie war es vorgekommen, dass ihr Schwiegersohn am Morgen eher in der Küche erschien als sie. »Cosa fai qui? Was machst du hier?«

»Ich wollte dich nicht wecken.«

»Aber wir … du und ich …« Nun war sie fast ein wenig beleidigt, dass er ohne sie zum Nordic Walking aufgebrochen war, wo sie sich doch gerade damit abgefunden hatte, die Sportpartnerin ihres Schwiegersohns sein zu müssen.

»Ich wollte unbedingt loslaufen, bevor Tilla aufwacht. Sie hätte mich nicht gelassen.«

Mamma Carlotta war derart verblüfft, dass ihr eins der Eier aus der Hand rutschte, die sie fürs Rührei aus dem Kühlschrank holte. Mit einem hässlichen Geräusch zerplatzte es auf dem Fußboden, was aus ihrer Verwunderung prompt blanken Zorn machte. Da half es nur wenig, dass augenblicklich Kükeltje, die kleine schwarze Katze der Familie Wolf, auf der Bildfläche erschien und bereitwillig einen großen Teil der Reinigung übernahm, indem sie das Ei vom Boden schleckte. Aber natürlich musste nachgewischt werden. Während Mamma Carlotta einen Putzlappen holte und sich über den klebrigen Rest hermachte, erkundigte sich Erik der Form halber: »Kann ich helfen?«

Eine rein rhetorische Frage. Er wusste, dass seine Schwiegermutter es nicht leiden konnte, wenn man ihr helfen wollte. Der Haushalt war ihr Hoheitsgebiet, wer ihr zur Hand gehen wollte, stand ihr nur im Wege.

Zum Glück war sie schnell fertig, brachte den Putzlappen zurück und holte ein weiteres Ei aus dem Kühlschrank. »Du musst sehr früh aufgestanden sein. Hast du die große Runde gemacht?«

Die große Runde, das war der Weg nach Westerland auf Fuß- und Radwegen, abseits der Autostraßen, eine herrliche Strecke, besonders das Stück auf dem Holzbohlenweg direkt am Strand. Das waren gut sechs Kilometer, für Mamma Carlotta kein Problem, für Erik eine Herausforderung, das merkte sie jedes Mal, wenn er es sich auch nicht gerne anmerken ließ.

Er lächelte verlegen. »Nein, ich bin nur ein Stück Richtung Braderup gelaufen. Eine gute halbe Stunde, mehr nicht.« Mit sehr ernster Miene, geradezu wichtigtuerisch, fügte er hinzu: »Aber es ist ja wichtig, dass man regelmäßig läuft. Ich will vor mir selbst keine Ausreden gelten lassen.«

Mamma Carlotta ließ ihre Verblüffung an den Eiern aus, die diesmal besonders lange und temperamentvoll gequirlt wurden. Erik schien es wirklich ernst zu sein mit seiner Fitness. Seit Jahren redete er davon, endlich Sport treiben zu wollen, aber nie hatte er bisher etwas an seinem bequemen Lebensstil geändert. Abend für Abend hatte er sich aufs Sofa sinken lassen und die Sache mit dem Sport auf die nahe Zukunft verschoben. Und dabei war es dann geblieben. Nun aber machte er einen wirklich entschlossenen Eindruck. Und das sogar an einem Morgen, an dem er nicht von seiner Schwiegermutter mit Aufmunterungen auf die Joggingstrecke getrieben worden war.

»Ich dachte, heute würdest du nicht …«

Aber er winkte energisch ab. »Ich wachte auf und hatte geradezu das Bedürfnis, mich zu bewegen.«

Mamma Carlotta stellte den Handmixer ab und starrte ihn mit offenem Mund an. War das noch Enrico, ihr behäbiger Schwiegersohn, der sich nur bewegte, wenn es sein musste, und dann auch nur so langsam wie möglich? So sehr sie seine Bemühungen unterstützen wollte, weil ihr natürlich an seiner Gesundheit lag, so besorgt war sie nun, dass sich etwas verändern könnte, woran sie gewöhnt war.

Aber in diesem Moment war sie nur froh, dass er nicht von Carolin und den Fotos sprach, die sie gemacht hatte. Auch Tilla, die kurz darauf in der Küche erschien, ganz Staatsanwältin, korrekt gekleidet, mit einer Aktenmappe unter dem Arm, redete nicht von der Verstimmung des Abends. Mamma Carlotta atmete auf und machte sich frohgemut an die weitere Vorbereitung des Frühstücks. Tisch decken, Aufschnitt, Käse und Honig aus dem Vorrat holen, vor allem die selbst gemachte Feigenmarmelade, die sie bei jedem Besuch auf Sylt für Sören mitbrachte.

Er erschien bald. Rotwangig wie immer, mit zerzausten Haaren, in atmungsaktiver Sportkleidung, nach einer flotten Fahrt mit seinem Rennrad. Alles wie immer. Und strahlend! Auch das gehörte zu ihm, und Mamma Carlotta liebte es. Sören schaffte es tatsächlich, auch nach unzähligen Besuchen der Schwiegermutter seines Chefs, noch immer höchst erfreut zu sein, dass sie darauf bestand, ihm ein Frühstück zuzubereiten, und sogar glaubhaft versicherte, alles andere wäre eine Beleidigung für sie.

»Moin, Signora!« Seine roten Apfelbäckchen leuchteten, die dünnen Haare standen vom Kopf ab, nachdem er die Mütze heruntergezogen hatte.

Kükeltje, die sich auf dem Stuhl zusammengerollt hatte, der für Sören reserviert war, verzog sich, Sören ließ sich nieder und betrachtete seinen Chef stirnrunzelnd. »Du warst schon laufen, Chef?«

Ihm schien es wie Mamma Carlotta zu gehen. Eigentlich befürwortete er Eriks Ambitionen, andererseits waren sie ihm geradezu unheimlich.

Erik erhob sich. »Ich gehe schnell duschen. Fangt ruhig schon ohne mich an.«

Das ließ Sören sich nicht zweimal sagen. Mit leuchtenden Augen betrachtete er das Rührei mit den kross gebratenen Schinkenwürfeln, das Mamma Carlotta ihm auf den Teller füllte, und schloss genießerisch die Augen. Wie fast jeden Morgen.

Dr. Eva-Mathilda Speck, die Staatsanwältin, hatte schon ihre Arbeit im Sinn und nur zerstreut genickt, als Mamma Carlotta ihr Rührei und Panini anbot. Nun schien sie gar nicht gemerkt zu haben, dass sie beides aufgetan bekommen hatte. Sie zog einige Papiere aus ihrem Aktenkoffer und begann sie zu studieren. Wie immer sah sie blendend aus und natürlich so, als hätte es am Vorabend keinen Streit gegeben, der sie ihre Ruhe gekostet hatte. Entweder hatte sie trotzdem gut geschlafen oder kannte irgendeinen kosmetischen Kniff, der verhinderte, dass man ihr stundenlange Diskussionen vor dem Einschlafen oder ebenso langes Wachliegen aufgrund von schweren Gedanken ansah. Sie trug wieder eins ihrer dunklen Kostüme, die Mamma Carlotta stets bewunderte. So etwas würde sie auch gern mal anziehen! Aber einen so kurzen Rock und eine derart knappe Jacke würde sie wohl niemals tragen können, nicht einmal, wenn der Sohn ihres Cousins zweiten Grades wirklich die Doktorwürde erringen oder dessen Schwester tatsächlich den Adeligen heiraten würde, mit dem sie seit Jahren liiert war. Allerdings war Mamma Carlotta entschlossen, das Äußerste zu versuchen, sollte sie zu einer dieser beiden Feierlichkeiten eingeladen werden.

In der ersten Etage rauschte die Dusche, Tilla Speck klappte ihre Akte zu und wandte sich an Sören, der sich ganz aufs Rührei konzentrierte. »Es wäre mir lieb, wenn Sie sich heute um diesen Unfall kümmern würden.« Erklärend setzte sie hinzu: »Letzte Nacht in Kampen. Ein Toter und Fahrerflucht.«

Sören verschluckte sich und musste lange husten, bevor er antworten konnte. »Davon habe ich noch nichts gehört.«

Mamma Carlotta schaffte es, keinen einzigen Ton hervorzubringen, während Tilla Sören erklärte, was am Abend zuvor geschehen war. Manchmal wunderte sie sich selbst darüber, wie gut sie schweigen konnte!

»Der Aufprall muss heftig gewesen sein«, ergänzte die Staatsanwältin, »wenn der Mann sofort tot war.«

»Aber das ist kein Fall für die Kriminalpolizei«, meinte Sören.

»Man weiß nie«, gab die Staatsanwältin zurück. »Nicht, dass das Inselblatt früher zu recherchieren beginnt und am Ende besser informiert ist als die Polizei. Ich möchte nicht, dass irgendwas in der Zeitung steht, von dem die Polizei noch nichts weiß.«

4

Erik wartete nicht, bis der Zug abfuhr, in dem die Staatsanwältin saß. Sie war ohnehin schon in Gedanken bei dem Termin, den sie in Flensburg hatte, war auf dem Weg zum Bahnhof einsilbig gewesen und hatte mehrere Telefongespräche geführt. An diesem Tag war sie mal wieder in erster Linie Staatsanwältin und erst in zweiter Linie seine Freundin. Aber er hatte Verständnis dafür. Wenn er selbst in einem schwierigen Fall steckte, ging es ihm ja ähnlich.

Er trug ihr den Koffer ins Abteil, was sie zwar vehement abwehrte, er sich aber dennoch nicht nehmen ließ, dann küsste er sie flüchtig, stieg aus und winkte ihr durchs Fenster ein letztes Mal zu. Das aber bemerkte sie schon gar nicht mehr. Sie wühlte in ihrer Tasche herum, vermutlich auf der Suche nach irgendwelchen Papieren, die sie während der Zugfahrt studieren würde. Möglich aber auch, dass die kurze Verstimmung vom Vorabend dazu geführt hatte, dass sie ihn mit Verachtung strafen wollte. Wieder mal war sie anderer Ansicht gewesen, wenn es um Carolin ging. Tilla war der Meinung, dass er seine Tochter unfair behandelte, während er selbst der Ansicht war, dass Carolin sich an die Regeln zu halten hatte, die die Polizei aufstellte. Und er konnte und wollte nicht einsehen, dass er mit ihr anders umgehen sollte als mit jedem anderen Journalisten. Erik straffte seinen Rücken, während er den Bahnsteig verließ. Carolin war seine Tochter, er wollte sich von Tilla nicht reinreden lassen. Das musste sie endlich verstehen.

Er war froh, dass er nur den Kirchenweg zu überqueren hatte, um ins Büro zu kommen. Endlich war die Renovierung des Polizeireviers abgeschlossen. Es hatte auch lange genug gedauert. Nun aber strahlte das historische Gebäude, das früher einmal das Amtsgericht gewesen war, in neuem Glanz. Es war umfangreich modernisiert und energetisch saniert worden. Ein paar Restarbeiten mussten noch erledigt werden, die würden jedoch den Dienstbetrieb nicht stören.

Die hässlichen Container in der Stephanstraße, am Fuß des Telekomturms, konnten nun abgebaut werden. Die Kriminalpolizei, die in der oberen Etage des Telekomgebäudes untergebracht gewesen war, hatte als letzte Abteilung in das renovierte Gebäude Einzug gehalten. Die Rückkehr war lärmend und fröhlich gewesen, trotz der vielen Probleme, die natürlich sofort auf der Hand lagen. Die Umzugskisten mussten ausgepackt, alle Arbeitsunterlagen einsortiert und ungewohnte Ordnungen geschaffen werden, die sich durch neue Möbel ergaben. Ständig suchte Erik nach irgendetwas, was er dringend brauchte, was aber entweder noch nicht ausgepackt oder aber an einer Stelle gelandet war, wo er es nicht auf Anhieb fand. Schließlich musste die Arbeit ja weiterlaufen. Es hatte lange gedauert, bis er sich in seinem Büro wieder heimisch fühlte. Aber das Ergebnis der Umbauarbeiten gefiel ihm, die längst fällige Garagenanlage und vor allem die Barrierefreiheit. Endlich konnten auch Menschen mit Behinderung zur Polizei kommen, ohne vor einer hohen Treppe zu stehen und nicht zu wissen, wie sie die Eingangstür erreichen sollten. Es war wirklich allerhöchste Zeit für eine Modernisierung gewesen. Das Polizeirevier Westerland war nun mit einem Mal zu einem Vorzeigeobjekt geworden. Ein bisschen war er sogar stolz darauf, so, als wäre er an den Planungen beteiligt gewesen oder hätte sogar selbst Hand angelegt.

Sören streckte den Kopf aus seinem Büro und winkte ihn herein. »Komm mal, Chef! Hier haben wir einen Zeugen des Unfalls letzte Nacht in Kampen.«

Erik war wie elektrisiert. Direkt nach dem Unfall waren alle Spuren gesichert worden, die zu dem flüchtigen Fahrer führen könnten, heute Morgen, bei Tageslicht, würden die Untersuchungen fortgesetzt werden. Vielleicht konnte der Zeuge, der sich gemeldet hatte, Aufschluss über das Auto geben, das den armen Mann angefahren hatte, oder sogar über den Fahrer.

Der Zeuge hieß Ralf Gehring, war ein Mann in den Sechzigern, groß, schlank, gut gekleidet. Wie er sahen viele Kampener aus, die dort einen zweiten Wohnsitz hatten.

Eriks Einschätzung wurde kurz darauf bestätigt. Herr Gehring berichtete, dass er sein Haus am Hans-Hansen-Wai seit vielen Jahren besitze, nun aber beschlossen habe, es zu verkaufen. »Wir fahren nur noch selten nach Sylt, seit meine Frau gesundheitlich eingeschränkt ist. Es lohnt sich einfach nicht mehr, die Immobilie noch zu halten.« Er berichtete, dass er sich entschlossen habe, einen Makler zu beauftragen, und hoffte natürlich auf einen guten Gewinn. »Die Häuser auf Sylt sind ja alle im Wert gestiegen. Und ich habe dafür gesorgt, dass das Haus in gutem Zustand ist. Alles tipptopp gepflegt.«

Das glaubte Erik unbesehen. Aber er wollte nun endlich wissen, was Ralf Gehring in der letzten Nacht beobachtet hatte.

Dieser hatte vollstes Verständnis für seine Ungeduld. Er selbst sei in der freien Wirtschaft tätig gewesen, er wisse, dass Zeit Geld sei, und gehe davon aus, dass sich das auch bei der Polizei so verhielt. »Meine Frau geht, wenn wir auf Sylt sind, regelmäßig zu einer Nageldesignerin und lässt sich dort die Nägel maniküren. Frau Kregelin hat ihr erzählt, dass ihr Mann Lenz sich soeben als Immobilienmakler selbstständig gemacht hat. Er war sehr daran interessiert, unser Haus zu vermitteln.« Gehring zögerte und betrachtete seine eigenen Fingernägel, die ebenfalls sorgfältig manikürt waren. »Ich hatte eigentlich an einen der großen Makler gedacht, aber Caren wollte Frau Kregelin gern einen Gefallen tun und ihrem Mann helfen, beruflich Fuß zu fassen.« Er seufzte leicht und ließ durchblicken, dass der Wunsch seiner Frau sich nicht unbedingt mit seinen eigenen Vorstellungen deckte. Anscheinend hatte er Zweifel, dass der noch unerfahrene Makler den besten Preis für ihn herausholen würde.

Erik warf Sören einen fragenden Blick zu, der nickte unauffällig. Ja, dieser Makler, der Ehemann der Nageldesignerin, war der Mann, der in der letzten Nacht in Kampen sein Leben verloren hatte. Enno Mierendorf und Rudi Engdahl, die Kollegen im Revierzimmer, hatten seinen Namen notiert. Er hatte Papiere bei sich gehabt, seine Identität war schnell zu klären gewesen.

»Wir hatten ein angenehmes Gespräch«, fuhr Ralf Gehring fort, »aber ich war nicht wirklich davon überzeugt, dass Herr Kregelin der richtige Makler für mich ist.« Nun sah er etwas verlegen aus, als er verriet, dass er, nachdem er sich von Herrn Kregelin verabschiedet hatte, ans Fenster getreten war, um ihm nachzusehen. »Ich wollte wissen, was er für ein Auto fährt. Daran erkennt man schließlich, ob jemand erfolgreich ist oder nicht. Wenn er mit einem Golf gekommen wäre oder irgendeinem kleinen Fiat, hätte ich mich gegen die Zusammenarbeit entschieden.«

»Und?«, fragte Erik. »Fuhr er einen Mercedes?«

»Das konnte ich nicht mehr feststellen«, antwortete Ralf Gehring. »Herr Kregelin überquerte gerade die Straße, dort standen auf einem Parkstreifen mehrere Autos …« Er seufzte tief auf. »Bevor er auf der anderen Seite war, hörte ich, dass ein Wagen startete, mit quietschenden Reifen, der Fahrer schien Vollgas zu geben …« Kopfschüttelnd sah er auf seine Hände. »Ich bin sogar sicher, dass er ohne Licht fuhr.«

Erik beugte sich vor. Das klang sehr interessant. »Wollen Sie damit andeuten, dass es jemand auf Herrn Kregelin abgesehen hatte?«

Ralf Gehring nickte. »Ja, den Eindruck hatte ich. Er fuhr direkt auf Herrn Kregelin zu. Die Straße ist zwar nicht breit, aber breit genug. Der Fahrer hätte ausweichen können, aber er schien es nicht zu wollen.«

»Und wie hat Herr Kregelin reagiert?«

»Er sprang zur Seite. Aber das half ihm nicht. Der Wagen erfasste ihn voll.«

»Was war das für ein Wagen? Haben Sie die Automarke erkannt? Die Farbe? Vielleicht sogar das Kfz-Kennzeichen?«

Ralf Gehring schüttelte bedauernd den Kopf. »Tut mir leid, aber … ich weiß nur, dass das Auto dunkel war. Irgendein Mittelklassewagen, besonders groß war er jedenfalls nicht.«

Sören mischte sich ein. »Warum kommen Sie erst jetzt damit?« Seine Stimme klang scharf und vorwurfsvoll.

Ralf Gehring sah nun sehr schuldbewusst aus. »Wir waren uns zunächst nicht sicher … Ich habe lange mit meiner Frau darüber geredet … Man will ja keine Pferde scheu machen. Wenn ich mich jetzt geirrt habe …« Er stockte, dann fuhr er beherzt fort: »Heute Morgen haben wir dann beobachtet, dass die Polizei noch immer auf der Suche nach Spuren war. Alles ist abgesperrt, jeder Zentimeter der Straße wird abgesucht. Da hat mir Caren klipp und klar gesagt, dass ich zur Polizei gehen muss. Fahrerflucht nach so einem Unfall ist ja schon schlimm genug. Aber wenn der Unfall gar kein Unfall ist, sondern ein … Mord! Mittlerweile bin ich auch ganz sicher. Das war kein Unfall, das war Mord.« Er blickte Erik an, als rechnete er damit, gemäßigt zu werden, aber seine Wortwahl wurde nicht beanstandet. »Der Wagen hat zunächst heftig gebremst, mit quietschenden Reifen. Herr Kregelin lag davor, völlig bewegungslos. Ich dachte, der Fahrer würde aussteigen, sich ansehen, was er angerichtet hatte, Hilfe leisten, die Polizei rufen … aber er setzte kurz zurück und fuhr …« Herr Gehring schluckte heftig, sein Adamsapfel bewegte sich aufgeregt auf und ab. »Er fuhr … mir kam es sogar so vor, als …«

Erik war bereit, ihm zu helfen. »Wollen Sie etwa sagen, er hat das Opfer überfahren? Absichtlich?«

Ralf Gehrings Oberkörper bewegte sich hin und her, er schien sich nicht zu einer klaren Aussage durchringen zu können. »Vielleicht … vielleicht auch nicht. Sicher bin ich mir nicht. Aber … es könnte sein. Ich stand ja völlig unter Schock. Ganz genau konnte ich es nicht erkennen, und ich habe meinen eigenen Augen in diesem Augenblick nicht getraut.«

Sören stand auf und stellte sich vor Gehring. »Und das erzählen Sie uns erst heute? Warum haben Sie nicht sofort eine Aussage gemacht? Die Kollegen waren vor Ort, die hätten das gleich aufnehmen können.«

»Ich war mir zu unsicher.« Ralf Gehring sah jetzt ausgesprochen schuldbewusst aus.

»Und jetzt sind Sie sicher?« Die Frage klang aggressiv, und das hatte Sören durchaus beabsichtigt.

»Wenn man eine Nacht über eine Sache geschlafen hat, stellt sie sich häufig in einem anderen Licht dar.«

»Anders im Sinne von sensationeller?«

»Sie meinen, ich habe das alles aufgebauscht?«

»Zumindest kommt es mir merkwürdig vor«, beharrte Sören, »dass Sie sich nach so einer Beobachtung schlafen legen und warten, bis Ihre Frau Sie zur Polizei schickt.«

Ralf Gehring war froh, als er entlassen wurde. Die Beanstandung, dass er nicht früher zur Polizei gekommen war, dass er nicht das Haus verlassen und die Verkehrspolizisten über seinen Verdacht aufgeklärt hatte, hatte er mit gesenktem Kopf über sich ergehen lassen. Er wäre einfach total durcheinander gewesen, hatte er immer wieder beteuert, er hätte erst am Morgen wieder klar denken können. Bereitwillig ließ er seine Visitenkarte da, um weitere Fragen zu beantworten, die sich noch ergeben könnten, dann wurde er von Erik persönlich zum Ausgang gebracht. Dort lobte er noch eine Weile die Renovierung des Polizeireviers, dann hatte er wohl das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, und empfahl sich.

Erik ging zu Sören zurück. »Was hältst du davon?«

Sören war immer noch zornig. »Ich glaube ihm nicht. Wenn einer eine Nacht darüber schlafen muss und erst am nächsten Morgen weiß, dass er Zeuge eines Mordanschlags war …« Er zog ein Gesicht, als zählte er Ralf Gehring zu den Zeugen, die sich gern wichtigtun und dafür aus der Wahrheit eine Attraktion machen.

»Wir müssen das Fahrzeug finden, dann haben wir vielleicht auch den Unfallfahrer.«

»Ist schon alles veranlasst«, antwortete Sören. »Sämtliche Werkstätten wissen Bescheid. Nicht nur die auf der Insel, auch alle auf dem nahen Festland.«

»Und die Kollegen von der Verkehrspolizei sollen sich auf den Parkplätzen umsehen, vor den Hotels und den Apartmenthäusern.«

»Die wissen auch bereits Bescheid«, gab Sören zurück. »Wenn der Wagen nicht in einer Garage steht, müsste er eigentlich auffallen.«

»Gut.« Erik griff zum Telefon und erkundigte sich, wer von den Kollegen der Verkehrspolizei in der Nacht am Tatort gewesen war. Aber er konnte niemanden erreichen. Wer letzte Nacht Dienst gehabt hatte, war am Morgen nicht mehr im Einsatz.

Er ließ sich die Adresse des Unfallopfers geben und sagte zu Sören: »Vielleicht sollten wir seine Frau aufsuchen.«

Sören war alles andere als begeistert. »Eine trauernde Witwe? Können wir nicht erst was Erfreuliches machen?«

»Was denn?«

Sören fiel nichts ein, also stand er auf und griff nach seiner Jacke. »Meinetwegen. Wo wohnt sie?«

5

Carolin kam die Treppe herunter, kaum dass Erik das Haus verlassen hatte. Mamma Carlotta wusste gleich, dass das kein Zufall war. Ihre Enkelin hatte ihrem Vater nicht begegnen wollen, eine kluge Entscheidung. Je mehr Zeit verstrich, desto unklarer und konturloser wurden die Vorwürfe, die gefallen waren. Am Abend würde Erik gar nicht mehr genau wissen, worüber er sich aufgeregt hatte, und Carolin hätte dann selbstverständlich entschieden, die Fotos, die den toten Mann in seinem Blut zeigten, dem Chefredakteur vorzuenthalten. Spätestens am nächsten Morgen, wenn Erik sah, dass seine schlimmsten Befürchtungen sich nicht bestätigt hatten, würde alles wieder gut sein. Abstand war also genau das Richtige.

Mamma Carlotta betrachtete ihre Enkelin dennoch unzufrieden. In Italien ging kein junges Mädchen aus dem Haus, ohne sich zurechtgemacht zu haben, und verzichtete niemals darauf, sich so anzuziehen, dass der Nachbarsjunge, der Straßenkehrer oder sogar der Lehrer hinter ihr herblickte. Carolin jedoch sah heute wieder so aus wie schon als Zwölfjährige. Sie trug Jeans mit hellen Söckchen und Sneaker, ein unauffälliges T-Shirt und darüber einen Hoody. Sie war ungeschminkt und wollte offenbar den ganzen Tag ohne Frisur auskommen. Die Haare mit einem Gummiband im Nacken zusammenbinden, das war für Mamma Carlotta jedenfalls keine Frisur, sondern nur eine Maßnahme, um sich während der Arbeit nicht von den Haaren stören zu lassen. Sie nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass Carolin nicht vergaß, dass sie jung und hübsch und in einem Alter war, in dem sie unbedingt den passenden Männern auffallen sollte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Mamma Carlotta es nicht gerne gehabt hatte, wenn Carolin sie zu Feinkost Meyer begleiten wollte. Damals hatte sie nur Schwarz getragen, sogar ihre Nägel schwarz lackiert und ihre schwarz gefärbten Haare so hoch toupiert, dass man Angst haben musste, ein Vogel könne sich dort niederlassen und seine Eier in ihrem Haarnest ausbrüten wollen. Während der Zeit, in der sie im Hotel gearbeitet hatte, musste sie dann Röcke tragen, die niemandem gefielen, ihr am allerwenigsten, eine schlichte Frisur und dezentes Make-up, sodass sie modisch auf demselben Stand war wie die Kollegin an der Rezeption, die kurz darauf in Rente ging. Auch das hatte nicht unbedingt den Beifall ihrer Nonna gefunden. Nun aber war sie in eine Schlichtheit zurückgefallen, die ihr ebenso wenig gefiel.

Carolin hatte sich gerade am Frühstückstisch niedergelassen, da öffnete sich die Haustür, und Felix polterte so laut ins Haus, als wollte er sichergehen, dass man ihn wahrnahm. Er riss die Tür weit auf, sodass sie an die Wand prallte, trampelte auf der Fußmatte herum, statt die Schuhe geräuschlos abzustreifen, warf dann mit Wucht die Tür ins Schloss und stürmte in die Küche, als gälte es, dort ein Feuer zu löschen. »Moin!«

Die Pizzeria, in der er arbeitete, öffnete erst am frühen Abend, die Stunden vorher, wenn seine Freundin in der Schule war, verbrachte Felix meist am Süder Wung. Mariella würde im Sommer ihr Abitur machen, das Felix bereits in der Tasche hatte.

»Felice!« Mamma Carlotta zog ihren Enkel an den Tisch, drückte ihn auf einen Stuhl, fuhr zärtlich durch seine dunklen Locken, zog ihm die Jacke herunter und hängte sie in der Diele an den Garderobenhaken. Felix war der Einzige in der Familie, dem es gefiel, derart bemuttert zu werden. Carolin konnte es nicht leiden, wenn ihre Nonna ihr jeden Handgriff abnehmen wollte, und Erik verbat es sich sogar. Felix hingegen warf sich mit Begeisterung in das Hätscheln, Tätscheln und Verwöhnen seiner Nonna wie in ein weiches Himmelbett, in dem er sich nur ausstrecken musste, um alles zu bekommen, was er brauchte. Felix war eben ganz anders als sein Vater und seine Schwester. Die beiden waren durch und durch friesisch, während Felix ganz auf die Familie seiner Mutter kam. Sein Äußeres, seine dunklen Haare, die braunen Augen, die getönte Haut waren italienisch, sein Temperament und seine Marotten ebenfalls. Dass er seine Haare nicht mehr lang und zum Pferdeschwanz gebunden trug, erfreute seine Nonna, aber dass er noch immer durchlöcherten Jeans den Vorzug gab und nach wie vor seine Ohren mit Ringen und Strasssteinchen schmückte, war ein ständiges Ärgernis. Doch wenn er nach Hause kam, um sich von ihr verwöhnen zu lassen, sah sie darüber hinweg.

»Macht Mariella dir kein Frühstück?«, fragte Carolin anzüglich, während sie dabei zusah, wie ihr Bruder von dem Panino abbiss, den seine Oma ihm mit Honig bestrichen hatte. »Oder ihre Mutter?«

»Mariella frühstückt morgens nicht«, antwortete Felix kauend. »Sie ist eben Italienerin.« Er warf seiner Nonna einen Blick zu, die morgens auch nicht mehr als einen Keks oder einen Zwieback runterbrachte, nach zwei oder drei starken Espressi, verstand sich. »Und ihre Mutter pennt bis mittags.«

Mamma Carlotta brummte eine kritische Bemerkung, aber nur ganz leise, damit es niemand verstand. Man wusste ja nie, wie sich die Sache mit den Zanchettis entwickelte. Noch war Felix davon überzeugt, in Mariella die Liebe seines Lebens gefunden zu haben, aber eine erfahrene Frau wie Carlotta Capella hatte schon oft erlebt, dass so etwas trotzdem schnell zu Ende sein konnte. Andererseits gab es auch viele Beispiele, in denen eine junge Liebe bis zur Goldenen Hochzeit und darüber hinaus hielt, also sollte man es sich nicht schon vor der Verlobung mit der Familie der Freundin verderben. Womöglich würden die Zanchettis wirklich irgendwann so was wie Verwandte werden.

Die Wolfs hatten mittlerweile Bekanntschaft mit ihnen geschlossen, die Sympathie war jedoch nicht so groß gewesen, dass sie zu einer Freundschaft geführt hatte. Erik war sowieso davon überzeugt, dass die Liebe zwischen Felix und Mariella bald vorbei sein würde, spätestens dann, wenn Mariella aufs Festland ging, um Medizin zu studieren. Dumm nur, dass Felix sich darauf eingelassen hatte, in der Pizzeria zu arbeiten, weil er nicht wusste, was er nach dem Abitur machen sollte. Studieren? Er wusste nicht, was. Eine Ausbildung? Da war ihm auch nichts eingefallen. Kein Wunder, dass ihm das Angebot von Mariellas Vater gerade recht gekommen war. So konnte er sich das Geld für den Führerschein verdienen. Dass Aldo Zanchetti darauf vertraute, aus Felix erstens seinen Schwiegersohn und zweitens den Nachfolger für seine Pizzeria machen zu können, notfalls auch nur Letzteres, war etwas, das Erik in Sekundenschnelle wütend machte, sobald die Sprache darauf kam. Schon deswegen lehnte er es ab, die Zanchettis mal einzuladen oder einen weiteren Besuch in ihrem Restaurant zu machen. Auf keinen Fall wollte er die Pläne von Mariellas Vater unterstützen, nicht einmal dadurch, dass er die Familie sympathisch fand. Sein Sohn sollte kein Pizzabäcker werden! Wer ihn nach dem Grund für diese Weigerung fragte, musste sich warm anziehen. Darüber war mit ihm nicht zu reden. Geradezu temperamentvoll hieß es dann: »Ich will das nicht. Basta!«

Carolin machte sich auf den Weg zur Redaktion und ignorierte den warnenden Blick ihrer Oma, die sie nonverbal daran erinnern wollte, dass sie nichts tun dürfe, was ihrem Vater missfiel, und Felix holte seine Gitarre aus seinem Zimmer. Er würde sich mit seinen beiden Freunden Ben und Finn treffen, die an diesem Morgen ebenfalls freihatten. Die drei wollten ins Pfarrheim gehen, wo ihnen ein Raum zur Verfügung gestellt worden war, in dem sie proben konnten. Sie nannten sich Die Verbotenen Dosen, in Anlehnung an ihre Vorbilder Die Toten Hosen, und produzierten eine Menge Krach, sodass der Pfarrer zur Bedingung gemacht hatte, dass die Proben ausfallen mussten, wenn die Frauenhilfe sich im Pfarrheim traf, und erst recht, wenn der Kirchenchor sich auf einen Auftritt vorbereitete.

Carolin verabschiedete sich gewohnheitsgemäß mit »Tschüsselchen!«, Felix mit der Ankündigung, dass er die nächste Nacht am Süder Wung zu verbringen gedenke, weil er einen freien Abend habe, womit er seine Nonna erwartungsgemäß glücklich machte.

Als die Kinder aus dem Haus waren, räumte Mamma Carlotta die Küche auf, goss das Basilikumpflänzchen auf der Fensterbank, machte die Betten und putzte durchs Bad. Nun hätte sie sich um die Wäsche kümmern, das Bügelbrett aufklappen oder sogar die Fenster putzen können, aber ihr fiel ein, dass sie, seit sie auf Sylt war, noch nicht die Zeit gefunden hatte, Käptens Kajüte einen Besuch abzustatten. Ihr Schwiegersohn hatte sie in den ersten beiden Tagen so ausgiebig mit dem Nordic Walking bekannt gemacht, dass sie Mühe gehabt hatte, die Einkäufe zu erledigen und für die Familie zu kochen.

»Füße konzentriert aufsetzen und abrollen, kraftvoll mit den Füßen abstoßen, leicht gebeugte Knie beim Gehen, schwungvolle Armbewegungen aus der Schulter heraus …« So hatte er es von Sören gelernt und an seine Schwiegermutter weitergegeben.

Sie warf den vier Walkingstöcken, die an der Garderobe hingen, einen verächtlichen Blick zu und griff nach ihrer Einkaufstasche, die sie immer mitnahm, egal, wohin sie ging. Schließlich musste man ja irgendwo das Portemonnaie, den Hausschlüssel und die Papiertaschentücher lassen, wenn man unterwegs war. Mamma Carlotta nahm die Schürze ab, die sie immer umband, wenn sie die Eier fürs Frühstück quirlte. In ihrem Dorf trug sie ihre Schürze den ganzen Tag, ging damit auch einkaufen und band sie nur ab, wenn sie einen Besuch machen wollte. So hielten es ihre Nachbarinnen ebenfalls, aber Carolin hatte ihrer Nonna schon bei ihrem ersten Aufenthalt auf Sylt geraten, niemals mit vorgebundener Schürze aus dem Haus zu gehen. Auch die Pantoletten hatte Carolin ihr ausreden wollen, aber da war Mamma Carlotta hartnäckig geblieben. Jedenfalls im Sommer. In Panidomino trug sie Pantoletten von März bis Oktober, auf Sylt nur, solange das Wetter gut war. An diesem Tag lugte eine Septembersonne durch die Wolkendecke, also würde sie nicht extra in feste Schuhe steigen, für die man sich auf einen Stuhl setzen musste, um die Schnürsenkel zu binden. Das war eben der Vorteil von Pantoletten, man schlüpfte hinein und war fertig.

Mamma Carlotta wandte sich der Westerlandstraße zu. Als sie sie überquerte und in den Hochkamp einbog, riss die Wolkendecke vollkommen auf, ein blauer Himmel kam zum Vorschein, der sich in Minutenschnelle ausbreitete. So war das immer auf Sylt, das wusste sie inzwischen. Das Wetter änderte sich ständig und häufig von einem Moment auf den anderen. Als sie losgegangen war, hatte sie sich noch gefragt, ob es besser gewesen wäre, eine Strickjacke überzuziehen, jetzt war sie froh, dass sie nur ihr leichtes Sommerkleid trug. Zwar sorgte der Wind dafür, dass sie nicht ins Schwitzen kam, aber dennoch fror sie nicht. Sie genoss im Gegenteil die flinken kalten Stöße, die in ihre dunklen Locken fuhren, das kühle Fächeln, das über ihre Wangen strich. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und dem Wind das Gesicht hingehalten. Wenn das Wetter so blieb, dann würde sie vielleicht noch zum Strand gehen.

Als sie in den Hochkamp eingebogen war und ihn überblicken konnte, blieb sie verblüfft stehen. Käptens Kajüte hatte sich verändert. Nein, nicht die Imbissstube selbst, sondern ihre Umgebung. Mamma Carlotta starrte das Nachbarhaus an, das bei ihrem letzten Besuch noch ein Gebäude voller Ferienwohnungen gewesen war. Jetzt jedoch war das Erdgeschoss umgebaut worden. Ein Ladenlokal? Mamma Carlotta näherte sich vorsichtig und entdeckte ein Schild, das neben der Eingangstür lehnte. Vermutlich sollte es an diesem Tag noch aufgehängt werden. »Palermo – sizilianische Spezialitäten«!

Ein neues Restaurant? Am Hochkamp? Direkt neben Toves Imbissstube? Die Tür zu Käptens Kajüte stand offen, Carlotta hörte seine wütende Stimme, die immer an das Bellen eines Seehundes erinnerte, und überlegte, ob sie wirklich einkehren oder besser warten sollte, bis er sich beruhigt hatte. Was auch immer seinen Unmut erregt hatte, mit dem Wirt war nicht gut Kirschen essen, wenn man ihm die Laune verdorben hatte. Cholerisch, wie er war, schlug er dann mit Worten oder durchaus auch mal mit Fäusten um sich. Ein Grund von vielen, warum Käptens Kajüte nicht unbedingt zu den bestbesuchten Imbissstuben der Insel gehörte. Jetzt allerdings schien er kein Streitgespräch zu führen, sondern jemanden vor der Theke stehen zu haben, der seiner Meinung war. In jede Gesprächslücke, die Tove zuließ, stieß ein aufgebrachtes »Jau!«, und nach jedem Satz erntete er ein blindwütiges »Genau!«. Das alles untermalt von Vicky Leandros, die einen gewissen Theo aufforderte, mit ihr nach Lodz zu fahren. Mamma Carlotta sah durchs Fenster, dass ein Mann von der Müllabfuhr vor Toves Theke stand, der sich zu dem Kaffee, den er serviert bekommen hatte, ein Gespräch über Politik aufdrängen ließ.

Sie beschloss, den Besuch in der Imbissstube aufzuschieben. Es war ja auch sowieso viel besser, die Sonne zu nutzen, die sich möglicherweise in einer halben Stunde schon wieder hinter einem Wolkenberg verzogen hatte, und zum Strand zu gehen. Mit zügigen Schritten lief sie den Hochkamp hinab, aufs Meer zu, das noch nicht zu erkennen, aber längst zu erahnen war. Jedes Mal, wenn sie diesen Weg nahm, kam es ihr so vor, als liefe sie direkt in den Himmel hinein, der durch nichts verstellt wurde, durch kein Haus, keinen Baum. Erst als sie an dem kleinen Strandwärterhäuschen ankam, breitete das Meer sich vor ihr aus, dunkelblau, tintenblau, beinahe schwarz. Vielleicht lag es an dieser intensiven Farbe, dass die Schaumkronen noch weißer wirkten als sonst. Mamma Carlotta vertiefte sich in den Anblick, genoss ihn mit allen Sinnen, sah es nicht nur, roch und schmeckte das Meer auch, hatte den bitteren Geruch in der Nase und das Salz auf den Lippen.

»Moin, Signora!«

Erschrocken fuhr sie zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Fietje Tiensch, der Strandwärter, auf sie zugetreten war. Er residierte in seinem Strandwärterhäuschen, wo er die Gästekarten zu kontrollieren hatte und aufpassen musste, dass am Strand nichts geschah, was einen Badegast gefährdete.

Fietje sah aus wie immer. Er trug eine weite Hose, in deren Bund er ein Tau gezogen hatte, das dafür sorgte, dass ihm die Hose nicht auf die Füße fiel, dazu graue Turnschuhe, die mal weiß gewesen sein mochten und so aussahen, als wären sie ihm zu groß. Den Troyer trug er auch meistens, ihn legte er nur an ganz heißen Tagen ab. Und auf dem Kopf saß seine Bommelmütze, die er sowohl bei Kälte als auch im Hochsommer aufsetzte. Fietje ohne seine Bommelmütze war undenkbar.

Er folgte Mamma Carlotta auf die obere Plattform der großen hölzernen Treppenanlage, wo sie sich immer gern eine Weile aufhielt und den herrlichen Blick über den Strand und über das Meer genoss, ehe sie sich an den Abstieg machte. »Waren Sie schon bei Tove?«

Mamma Carlotta verneinte. »Ich habe nur seine Stimme gehört. Nach guter Laune hörte sich das nicht an.«

Fietje nickte, als hätte er nichts anderes erwartet, zupfte an seinem dünnen Bärtchen, das mal kürzer, mal länger war, je nachdem, ob Fietje Lust zum Rasieren hatte oder nicht. »Wenn das so weitergeht, suche ich mir eine andere Stammkneipe. Tove ist nur noch mieser Laune, seit er erfahren hat, dass das Palermo im Nachbarhaus aufmacht.«

6

Sören war überrascht, als er hörte, dass die Kregelins in seiner Nähe wohnten. Die Westerheide in Wenningstedt war eine ringförmige Straße, die von der Braderuper Straße abging. Viele Häuser gab es dort, am äußeren Rand vornehmlich Einfamilienhäuser, aber keine Zweitwohnsitze, das sah man auf den ersten Blick. Die meisten waren einfache Klinkerhäuschen, die schon lange dort standen, ohne Friesenwall davor, ohne Reetdächer, oft um Ferienwohnungen in einem Anbau oder im Souterrain erweitert, in der Mitte des Rings auch einige Mehrfamilienhäuser, in denen Sylter wohnten, die auf der Insel lebten und arbeiteten. Sören war nie bei seinen Eltern ausgezogen, da er bisher keine bezahlbare Wohnung auf der Insel gefunden hatte, sich aber bei seinen Eltern auch recht wohlfühlte. Sie stammten aus Hörnum und hatten irgendwann die Chance bekommen, in der Westerheide ein Grundstück zu kaufen und dort zu bauen. Das Haus war klein und besaß im Souterrain ein Apartment. Sörens Mutter hatte einmal davon geträumt, mit der Vermietung an Feriengäste ein bisschen Geld dazuzuverdienen. Nun aber waren Sörens Eltern sehr zufrieden damit, dass ihr Sohn dort lebte, der keine Miete zahlen musste, sie aber unterstützte, wenn es notwendig war. Und da sie natürlich älter wurden, trat diese Situation immer häufiger ein.

Sören stieg aus und betrachtete das Mehrfamilienhaus, vor dem Erik geparkt hatte. »Ich glaube, ich kenne niemanden, der hier lebt.«

Die Wohnung der Kregelins war in der ersten Etage, aber auf ihr Läuten öffnete niemand.

Eine Frau erschien hinter ihnen mit einem Schlüssel in der Hand. Sie drängte sich zwischen ihnen hindurch und steckte den Schlüssel ins Schloss. »Zu wem wollen Sie?«

»Zu Frau Kregelin«, antwortete Erik.