Lass den Teufel tanzen - Teresa De Sio - E-Book

Lass den Teufel tanzen E-Book

Teresa De Sio

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Beschreibung

Ein sprachgewaltiger Roman, der den Abgründen des Lebens trotzt.

In der Nacht des Karnevalssamstags 1956 wird der Gutsherr Narduccio Greco vergiftet aufgefunden. Der Verdacht fällt sofort auf die zwölfjährige Tagelöhnertochter Archina Solimene, ein unzugängliches Mädchen, das – da sind sich die Bewohner des weltabgewandten apulischen Dorfes Mangiamuso einig – vom Teufel besessen ist. Zusammen mit ihrer Schwester, die sich bei Narduccio verdingte, stellt sie allerlei Kräutertränke her, darunter die hochgiftige Stramunella. Man munkelt, Narduccio habe sich an ihr vergangen und sei aus Rache getötet worden. Doch was passierte wirklich in jener Nacht? Mit ungeheurer Sprachgewalt und eindringlichen Bildern schildert Teresa De Sio Archinas Schicksal im Netz von Aberglauben, Lügen und Intrigen einer archaisch anmutenden Dorfgemeinschaft so farbig und lebensprall, dass der Leser sofort in ihren Bann gerät.

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Inhaltsverzeichnis

PrologMangiamusoArchina, der Teufel und die TarantelSonntag und MontagRückkehr nach MangiamusoEpilogDankCopyright

Prolog

Filomena und das Teufelskraut

SEHEN SIE, SCHAUEN Sie hier, Signorina, wenn Sie diese ganz kleinen Blätter der Pflanze gepflückt haben – aber Sie müssen die nehmen, die nahe am Boden wachsen, weil die anderen nicht gut sind –, dann legen Sie die Blätter in eine Schale wie die hier, aus Holz, und dann müssen Sie sie mit einem Mörser ganz, ganz fein zerstoßen. Das dauert eine Weile, bis es ein helles Pulver gibt, sehen Sie, und das tut man in ein Glas, und wenn das jemand trinkt, dann merkt er das nicht, weil es eigentlich nach nichts schmeckt. Man nennt es stramunella, Stechapfelpulver. Genau so haben wir das früher immer gemacht, hauptsächlich meine Mutter, Gott hab sie selig, damals, als ich noch klein war. Sie hatte es von meiner Großmutter gelernt. Wenn man die richtige Menge nimmt, dann wird ein Mensch ganz weich und nachgiebig, wie soll ich sagen, und wenn er sich vorher nicht für Sie interessiert hat, ändert sich das. Nimmt man mehr, dann kann es passieren, dass er einschläft oder starke Schmerzen bekommt, und dann muss man den Arzt rufen. Macht man jedoch einen Fehler und nimmt zu viel, tja, niemand weiß genau, was dann passiert, aber es kann so weit gehen, dass die Person stirbt. Ich bin bei solchen Sachen immer ganz vorsichtig gewesen, und deshalb haben sie unserer Familie auch genützt, damals, als wir noch in Procida gewohnt haben, weil die Leute zu uns kamen, damit wir ihnen solche Mittelchen anrühren. Dafür haben sie uns dann Geld gegeben oder auch andere Sachen, ein bisschen Mehl zum Beispiel, oder Zucker, was kein Geld war, aber trotzdem gegen den Hunger geholfen hat, denn damals besaßen wir kaum mehr als das Hemd auf unserem Leib, so arm waren wir. Es war Krieg, und unsere Mutter hat immer zu mir gesagt: »Filumè, leg die Hände nicht in den Schoß! Sich regen bringt Segen, und Fleiß bringt Brot, Faulheit Not.« Damals arbeitete unser Vater Solimene Nunzio im Kerker von Procida, der Terra Murata, den man deshalb so nannte, weil er uneinnehmbar auf einer hohen Klippe stand und immer noch steht, auch wenn es heute kein Kerker mehr ist. Er passte dort auf die Gefangenen auf.

Jedenfalls müssen Sie sehr vorsichtig sein. Die Leute denken immer nur das Schlimmste, sie haben Angst, wissen nicht Bescheid … Lassen Sie es sich von mir sagen, die ich so viel älter bin als Sie … Wenn Sie wüssten, was wir wegen des Pulvers mit meiner Schwester Archina alles durchgemacht haben … Nein, Archina ist kein seltsamer Name, das können Sie nicht wissen, aber meine Schwester hieß deshalb so, weil die Schutzheilige der Insel Procida die Madonna dell’Arco ist und dort früher und sogar heute noch viele Mädchen zu Ehren der Heiligen Jungfrau auf diesen Namen getauft werden … Jedenfalls hat meine Schwester einmal einen Fehler mit dem Pulver gemacht und damit meine ganze Familie in den Ruin getrieben. Sie können sich daran nicht mehr erinnern, weil Sie noch zu jung sind und nicht von hier, aber damals haben die Leute aus Mangiamuso, nachdem das mit Narduccio Greco passiert war, gesagt, es sei die Schuld meiner Schwester. Wenn ich mich nicht irre, war das 1955 oder 56, zur Zeit des Karnevals. Es war damals schon etwa zwölf Jahre her, dass wir hierher ins Salento gezogen waren, aber die Leute behandelten uns immer noch wie Fremde. Ich war Dienstmädchen bei den Grecos. Und dann hat mich Donna Mariannina, das war die Frau von Narduccio, aus dem Haus gejagt, denn wenn ich nicht bei ihr gearbeitet hätte, sagte sie, dann wäre auch Archina nie dorthin gekommen und hätte niemals Narduccio kennengelernt.

Jedenfalls waren das ziemlich schlechte Zeiten für unsere Familie. Glauben Sie mir, Signorina, die Leute sind schrecklich, sie hören nicht auf ihr Herz und weiden sich am Unglück der anderen, und dann wird man ganz schnell an den Pranger gestellt… man wird verurteilt, weil man anders ist als sie, und selbst wenn einer überhaupt nichts damit zu tun hat, freuen sie sich, wenn sie ihm ins Gesicht spucken und seiner Familie die Schuld geben können. Und was haben sie mir ins Gesicht gespuckt, Signorina, was haben sie gespuckt! Was für ein Glück, dass die meisten dieser Unglückseligen längst selbst vor ihrem höchsten Richter stehen, und wären sie noch hier, da können Sie sicher sein, würden sie nach wie vor auf uns spucken …

Aber jetzt habe ich Sie abgelenkt mit all diesen Geschichten, und Sie haben nicht mehr aufgepasst, wie ich das Pulver zubereite. Sehen Sie, nun ist es fast fertig, ganz fein und hell … Dann erkläre ich Ihnen noch das mit der Menge, und Gott sei’s befohlen, machen Sie dabei keinen Fehler! Auch wenn schon das neue Jahrtausend angebrochen ist und Sie eine moderne Frau aus der Stadt sind, kann auch Ihnen ein Missgeschick passieren, und dann geben Sie mir die Schuld. Ach, Signorina, Sie gehen auf die Universität – wie kommt es dann, dass Sie sich für die Angelegenheiten von uns armen Leuten interessieren? Was sagen Sie, die Tarantel? Die Tarantella? Von wegen Tarantella – es war der Hunger, der uns allen das Hirn weggefressen hat …

Jedenfalls wusste man bei ihr, also bei meiner Schwester, schon von Geburt an, dass sie nicht gesund war. Und was für eine Eile sie hatte, in dieses Tal der Tränen geboren zu werden! Zweieinhalb Monate kam sie zu früh zur Welt, und meine Mutter hatte überhaupt noch nicht mit ihr gerechnet, rein gar nicht, die Ärmste. Dabei hatte ihr schon die Schwangerschaft reichlich zu schaffen gemacht. Es war im November 1945, Allerheiligen, und ich war acht Jahre alt, als bei dieser armen Frau urplötzlich die Wehen einsetzten, an der Friedhofsmauer von Procida, wo wir wie alle Jahre hingegangen waren, um Blumen ans Grab ihrer Eltern zu bringen. Gerade noch rechtzeitig hat man sie aufgefangen und ganz schnell nach Hause gebracht, damit sie in ihrem eigenen Bett gebären konnte. Mein Vater schickte nach Donna Aurelia, der Apulierin, die sich so nannte, weil sie aus Specchia kam. Sie war sogar über drei Ecken verwandt mit meinem Vater. Und diese Donna Aurelia kam auf der Stelle, weil sie als Hebamme arbeitete, und half ihr beim Gebären. Archina war winzig klein, als sie herauskam, und von einer Art Blase umhüllt, die ganz rot vom Blut war. Die Hebamme sagte, die Blase komme aus dem Mutterleib, und das sei eine gute Sache, weil das kleine Mädchen schon im Hemd geboren sei, und dass wir die Blase gleich in den Bach werfen sollten, damit der Mutter nicht die Milch versiegt und die Kleine wächst und gedeiht. Aber ich glaube, das haben wir in der Aufregung vergessen …

Sehen Sie, Signorina, ich bin schon alt, ganze siebzig bin ich schon, und ich kann Ihnen sagen, da kommen wir auf die Welt und wissen unser ganzes Leben lang nicht, was von einem Moment auf den anderen passieren wird. Weder unser Schicksal kennen wir, noch den Tod. Und wie er sein wird, dieser Tod, dabei reden sie schon davon, wenn wir noch klein sind, und machen uns Angst davor, aber wer will es wirklich wissen, was für eine Fratze er hat, dieser Tod … und wann es sein wird und wo … daheim … im Bett… oder an irgendeinem unbekannten Ort. Und wer kann es schon sagen … ganz gleich, was du machst, irgendwann stehst du vor ihm, vor Gevatter Tod. Kein Mensch weiß, was für ein Päckchen er zu tragen hat …

Bei Archina war das anders. Die wurde geboren, und mit ihr, im selben Bett, kam auch ihr Schicksal zur Welt. Ich glaube fest daran, dass alles vorherbestimmt ist!

Jedenfalls gingen während der Geburt seltsame Dinge vor sich. Ich war noch so klein, aber ein bisschen verstand ich schon, wenn auch nur wenig. Ich glaube, sie schrien alle durcheinander … ja, ja, so war es, meine Mutter kreischte, dass sie diese Tochter nicht wolle, dass sie ihr den Leib gesprengt und sich nach draußen gefressen habe, und mein Vater brüllte von hinter der Schlafzimmertür, sie solle still sein, sonst würde die Madonna sie bestrafen, und Donna Aurelia rief, dass sich das kleine Mädchen mit der Nabelschnur erdrossle, und Desinfektionsmittel gebe es auch keines.

Was soll ich Ihnen sagen, so war es. Oder zumindest habe ich es so in Erinnerung.

Meine Mutter hatte nach der Entbindung plötzlich ein ganz weißes Gesicht, sie hörte mit dem Schreien auf und sagte nichts mehr. Das kleine Mädchen brachten die Frauen gleich in das andere Zimmer, weil sie meinten, der armen Frau könne man es nicht anvertrauen, so viel, wie sie gelitten habe, zumal es dem kleinen Neugeborenen auch nicht gut ging, weil es ja so klein war und, wie Donna Aurelia befürchtete, gar nicht überleben würde. Noch hatte das kleine Ding keinen Namen, und so sagte Donna Aurelia zu meinem Vater, er müsse die Madonna dell’ Arco um Gnade anflehen, und wenn sein Töchterchen nicht sterbe, müsse er es auf den Namen Archina taufen. Und so machte er es. Doch er vergaß, die Madonna auch für meine Mutter um Gnade anzuflehen, denn am Tag darauf bekam sie ein heftiges Kindbettfieber und verstarb. Und das Schicksal meiner Schwester war vorbestimmt…

Am Nachmittag des Begräbnisses kam Mamas ganze Verwandtschaft aus Procida und auch einige aus der Familie meines Vaters, die allesamt Apulier waren und von hier, aus Mangiamuso, stammten.

Alle weinten und schauten meinen Vater an. Er saß für sich allein, ganz still, mit gesenktem Kopf, und rollte sich während des gesamten Begräbnisses diese stinkenden Zigaretten, die er immer rauchte. Die Verwandten, sie sahen ihn an und dann mich, und dann steckten sie die Köpfe zusammen und sagten mit leiser Stimme: »Und jetzt? Wer wird sich um sie kümmern, um diese armen kleinen Geschöpfe und um diesen armen Mann? Wie soll er das alleine bloß schaffen …« Wie ich Ihnen gesagt habe, ich war damals noch ziemlich klein, gerade mal acht Jahre alt … Verstehen Sie, ich hatte noch gar nicht begriffen, was geschehen war. Donna Aurelia hatte mich nicht ins Schlafzimmer gelassen, wo meine tote Mutter lag, weshalb ich sie nicht gesehen hatte. Stellen Sie sich vor, und so dachte ich am nächsten Tag, als meine Mutter nicht mehr da war, dass sie irgendwohin gegangen sei, bloß um das kleine Mädchen nicht mehr sehen zu müssen, das ihr so viel Schmerzen bereitet hatte. Oder, so dachte ich, vielleicht war sie ja auch nach Neapel zu ihrer Schwester gefahren, die Nonne im Kloster San Giovanni war und die sie in der Tat gelegentlich für zwei oder drei Tage besucht hatte. Nur dass am Morgen danach ebenjene Nonne, meine Tante, zu uns kam, und meine Mutter war immer noch nicht da … Aber was wusste ich damals schon, was es heißt, wenn jemand stirbt.

Diese Tante, die Nonne, hatte als junges Mädchen Gemma geheißen, nannte sich aber, seit sie den Schleier genommen hatte, nur noch Schwester Addolorata, und so nannten wir sie auch. Sie war jung und groß gewachsen, jünger und größer als meine Mutter. Und an jenem Nachmittag, als nach dem Begräbnis alle nach Hause gegangen waren, rückte sie ihren Stuhl neben meinen Vater, der immer noch ganz still und mit ausgestreckten Beinen dasaß, rauchte und zu Boden schaute. Mein Vater hat sein ganzes Leben lang geraucht, diese Zigaretten, von denen seine Finger ganz gelb wurden und die ihn, wenn man mich fragt, auch ins Jenseits befördert haben. Auch die Tante sagte kein Wort, doch man merkte, dass sie weinte, denn sie zog immer wieder die Nase hoch. Ab und zu streckte sie die Hand aus und legte sie meinem Vater aufs Knie, vielleicht um ihn zu trösten. Und alle schauten zuerst sie an und dann mich, die ich mit einem harten Zwieback, den sie mir gegeben hatten, unter dem Esstisch saß und daran knabberte, um mir die Zeit zu vertreiben, denn es dauerte lange, bis man den gegessen hatte. Und ich war zufrieden, denn sicher wissen Sie nicht mehr, wie gut der war, dieser Zwieback, den ich damals noch essen konnte, ohne mir die Zähne daran auszubeißen. Ach ja, Signorina, alles hat sich verändert, die Zeit vergeht, und die Dinge sind nicht mehr das, was sie mal waren … auch der Zwieback … und die Menschen … und die Gedanken, die man sich macht, die einem manchmal durch den Kopf gehen. Da vergehen so viele Jahre, in denen man denkt, was weiß ich, dass zum Beispiel dieser Tisch da … dass er rot ist, und ganz plötzlich, eines Morgens, merkt man, dass er in Wirklichkeit grün ist. Und dann kann man sich vielleicht sagen: »Na und? Wäre rot denn besser als grün?« Aber es geht gar nicht um besser oder schlechter, sondern nur darum, dass man nicht daran gewöhnt ist, und es ist schwer, sich an etwas zu gewöhnen, denn selbst wenn man alle Zeit der Welt dazu hat, gewöhnt man sich nicht mehr daran.

Jedenfalls glaube ich, dass an genau dem Tag unsere apulischen Verwandten und auch Donna Aurelia meinen Vater überredet haben, dass er dort in Procida nicht bleiben könne, denn wie sollte er das schaffen mit diesem kleinen Ding, das gerade erst auf der Welt war, und einem anderen von acht Jahren, und das war ich … Nur Schwester Addolorata, meine Tante, beharrte darauf, dass wir nicht wegziehen müssten, weil sie vielleicht bei uns bleiben wolle, schließlich seien wir die Töchter ihrer verstorbenen Schwester, und es habe ihr sowieso immer leidgetan, uns nicht aufwachsen zu sehen. Ich weiß nicht, wie es kam, jedenfalls ließ sich mein Vater von seiner Verwandtschaft überzeugen, und so zogen wir, kaum war unsere Mutter einen Monat unter der Erde, hierher nach Mangiamuso, und auch Donna Aurelia, der unsere Familie ans Herz gewachsen war, begleitete uns. Und es war ein Segen, dass sie mit uns kam, denn am Ende war sie es, die uns großgezogen hat.

Signorina, bitte entschuldigen Sie, wenn ich mich in Ihre Angelegenheiten einmische, aber wozu brauchen Sie denn das Pulver, das ich Ihnen zubereite? … Nein, wissen Sie … oft … oft meint es jemand nur gut … oder er will sich einen Scherz erlauben, und dann passiert ein Unglück. Also seien Sie auf der Hut, wenn Sie es anwenden! Aber Sie nehmen ja alles auf, was ich Ihnen sage … Und es ist auch gut so, dass Sie all diese alten Geschichten hören …

Jedenfalls, die Moral von der Geschichte ist, dass meine Schwester und ich hier aufgewachsen sind, und am Ende war es fast so, als wären wir hier im Salento geboren. Ich selbst bin jedoch oft nach Procida zurückgekehrt, weil dort einige Vettern von uns wohnten, und außerdem, wie soll ich sagen … dieses Meer, das war das Meer meiner Heimat, und die Farben… und auch die Art zu reden habe ich mir ein wenig beibehalten, ja, mit meiner Schwester habe ich oft in diesem Dialekt gesprochen, und ich sage Ihnen noch etwas: Wenn meine Zeit gekommen ist, wer weiß, ob ich dann nicht dorthin zurückkehre. Außerdem hat auch Archina, nachdem das Unglück mit Narduccio Greco passiert war, nach Procida zurückkehren müssen. Einfach um die Wogen ein bisschen zu glätten und den Klatschweibern das Maul zu stopfen. Wer weiß! Vielleicht hat unser ewiger Vater das ja so vorgesehen, dass wir alle irgendwann wieder dorthin zurückkehren, wo wir herkommen. Auch wenn niemand genau weiß, was eigentlich aus ihr geworden ist, ob sie tot oder noch am Leben ist, und wo. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war, als unser Vater im Sterben lag und sie ihn im Krankenhaus besuchte. Danach habe ich nichts mehr von ihr gehört.

Aber auch hier ist es recht schön, das muss ich Ihnen sagen. Mittlerweile habe ich mich gut eingewöhnt … All diese rote Erde … Und was haben wir davon umgegraben, als wir noch jung waren! Die Grecos, bei denen ich als junges Mädchen arbeitete, hatten so viel Land und zwölftausend Olivenbäume …

Gewiss, wir hatten Glück, denn kaum waren wir hier angekommen, erzählte uns eine Kusine von den Grecos, die mich sogleich, obwohl ich noch so jung war, in Dienst nahmen. Und was waren das für gute Leute, Donna Mariannina und Compare Narduccio! Von ihrer Seite der Familie hatten sie einen Haufen Land geerbt. Sie war bildschön und blond, einige Jährchen älter als er, aber sie waren einander zugetan, obwohl sie keine Kinder hatten, und niemals hat man sie streiten hören. Nie gab es Klatsch über ihr Haus … bis zu jenem verfluchten Tag.

Auch unser Vater hatte Glück, denn er fand eine Arbeit auf dem Gutshof der Familie Santo, und was hatten die erst für Geld! Im Dorf wurde schlecht über sie geredet, vor allem über ihn, über Angelo Santo, der es zwar übel in den Knochen hatte, ganz krumm und bucklig ging und am Schluss sogar mit einem Wägelchen herumgefahren werden musste, doch die Leute herumkommandierte wie ein General. Es hieß, er sei geizig und böse, aber das sagte man nur hinter vorgehaltener Hand … Bei ihm lebten zwei Zwillingsschwestern, die älter waren als er, verbitterte, säuerliche Weiber, die keiner zur Frau haben wollte, nicht einmal die Hunde hätten sie gewollt. Diese alten Jungfern verließen nie das Haus und versteckten die Lebensmittel unter dem Bett, damit sie von den Angestellten des Gutshofes nicht gefunden werden konnten, zu denen eben auch unser Vater gehörte. Doch unser Vater sagte zu Hause nie etwas über diese Dinge und beklagte sich auch nicht.

Um auf meine Schwester zurückzukommen, so wuchs das kleine Mädchen am Anfang hier in Apulien gut heran. Archina spielte mit den anderen Kindern aus unserer Nachbarschaft, ging bereits zur Schule, und die Lehrerin meinte, sie sei ein kluges Kind. Und so gab es, bis sie acht Jahre alt war, überhaupt keine Probleme. Dann jedoch, ich weiß nicht, wie das kam, begann es mit ihr bergab zu gehen. Es schien, als wäre Archina krank, sie hörte auf zu essen, sprach kein Wort mehr, und wenn man sie etwas fragte, so gab sie keine Antwort. Sie bekam einen bösen Husten, man nennt das wohl Bronchialasthma, der einfach nicht besser wurde. Es hieß, der Husten rühre von einer trockenen Lunge her, und dazu kam auch noch ein Ausschlag am ganzen Körper, der nie ganz abheilte. Ich fragte sie: »Was hast du nur?«, aber sie sagte nichts, blieb immer stumm, und wenn sie doch einmal sprach, dann redete sie immer über den monaciello. Sie war nämlich wie besessen von der Idee, dass wir im Haus diesen kleinen Mönch hätten. Wissen Sie denn, Signorina, was es mit diesem Mönchlein auf sich hat? Das ist ein winzig kleines Männchen in einer Kutte, das manchmal bei Leuten im Haus auftaucht, als wäre es, was weiß ich, die Seele eines toten Kindes … Manchmal wacht es über dich und bringt dir Glück. Man muss nur am Abend einen Teller Nudeln auf die Fensterbank stellen, und den isst das Mönchlein dann ganz auf, und am nächsten Tag ist der Teller voller Geld. Andere Menschen jedoch, die quält der kleine Mönch. Meine Schwester zum Beispiel, die quälte er. Sie sagte, er komme immer des Nachts und mache ihr Angst. Und sie behauptete, er wolle sie um jeden Preis vergiften. Damals kam mir auch der Gedanke, ihr beizubringen, wie man aus den Blättern des Stechapfels jenes Pülverchen zubereitet, um sie zu beruhigen. Ich wollte nur, dass sie sich ein bisschen beschäftigt, aber sie steigerte sich immer mehr in die Sache hinein. Jeden Abend stellte sie einen Teller mit Nudeln oder mit Erbsen auf die Fensterbank und streute ein bisschen von dem Pulver darüber, und am Morgen lief sie dann gleich hin, um nachzusehen, ob das Mönchlein Geld dagelassen hatte. Aber nichts geschah. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass es zu einem solchen Unglück kommen könnte … So verging die Zeit, doch die Dinge wendeten sich nicht zum Besten. Sogar in der Schule sagten die Lehrer jetzt, das Mädchen sei sonderbar, immer mit den Gedanken woanders, dabei könnten sie sich nicht vorstellen, wie es dazu gekommen war. Es war auch in dieser Zeit, als die mappatèlla bei ihr auftauchte … wie soll ich das erklären, eine mappàta, ein kleines Säckchen, das sie sich aus einem alten Kissenbezug genäht hatte. Tagsüber band sie sich den Beutel um die Taille, wie einen Gürtel, und nachts legte sie ihn unters Kopfkissen … Und wehe dem, der versuchte herauszufinden, was sich in dem Beutel befand! Da wurde meine Schwester zum Tier, es konnte sogar vorkommen, dass sie einen kratzte. Jedenfalls ist es weder mir noch Donna Aurelia jemals gelungen, herauszufinden, was es mit dem Beutel auf sich hatte. Archina tat sehr geheimnisvoll damit, doch man merkte sofort, dass ihr diese mappàta sehr wichtig war. Aber wissen Sie, in jener Zeit machte meine Schwester um alles ein großes Geheimnis. Immer wieder kam es vor, dass sie verschwand, dass sie einfach das Haus verließ und niemand wusste, wo im Dorf sie unterwegs war oder was sie machte. Der Vater … Was meinen Sie? Nein, dem war sie überhaupt nicht wichtig. Das Einzige, was er für sie tat, war, dass er sie ab und zu auf den Hof von Angelo Santo mitnahm, weil er meinte, die beiden alten Damen hätten sie gern und machten ihr immer Krapfen oder etwas Süßes. Und dann war da dieser Severino, der ein entfernter Neffe der Santos war; mit dem hatte sich Archina angefreundet. Immer wenn sie dorthin gingen, bestand unser Vater darauf, dass sie sich wusch und herausputzte. Er ließ sie ihr weißes Kommunionkleid anziehen, das sie ein bisschen umgenäht hatte, weil er meinte, die Santos seien wichtige Leute und ihretwegen müsse man sich gut anziehen. Er hingegen blieb immer verschlossen und traurig, als wäre ihm alles verleidet. Ich glaube, dass er Archina nie besonders gerngehabt hat, weil er ihr die Schuld daran gab, dass unsere Mutter gestorben war, während sie sie zur Welt brachte. Es ist nicht schön, das zu sagen, aber gerngehabt hat er immer nur mich. Und ich? Was konnte ich machen? Ich habe versucht, sie abzulenken. Auch ich habe sie oft mitgenommen, vor allem, wenn ich zur Arbeit bei den Grecos ging. Donna Mariannina sagte zu mir: »Filumè, lass dieses arme Wesen nicht allein zu Hause, bring sie mit hierher, damit sie mir Gesellschaft leistet«, und dann brachte sie ihr das Zeichnen bei, und Narduccio Greco spielte ihr auf dem Grammofon Schallplatten vor. Er plauderte mit ihr, las ihr jede Menge Geschichten vor, er nahm sie mit aufs Feld und erklärte ihr, wie man den Acker bestellt, wie man sät und erntet, das Wasser, die Sonne … eben alles, was das Feld anging und was dem Mädchen immer gefallen hatte. Hätte ich nur geahnt, was dann passiert ist, wäre ich doch nie damit einverstanden gewesen, dass sie so viel Zeit mit dem Compare Narduccio verbringt! Aber was will man machen, so ist das Leben.

Jedenfalls, je mehr Jahre ins Land gingen, desto mehr wurde meine Schwester zu einer Art Tier, mit dem man nichts mehr anzufangen wusste.

Dabei hatte ich gedacht, an einem bestimmten Punkt … Sie wissen schon, das Alter, in dem es ein bisschen schwierig wird. Zum Beispiel erinnere ich mich noch ganz genau an die Nacht, in der meine Schwester zum Fräulein wurde, Sie wissen schon, was ich meine, jedenfalls, als sie zum ersten Mal ihre Regel bekam, die Blutung, mit der die Zeit der Kindheit aufhört und mit der ein Mädchen erwachsen wird. Jedenfalls weiß ich noch genau, dass sie und der Vater am Abend von draußen heimgekommen waren und die Kleine keinen Appetit hatte und sich gleich hinlegte. Am Morgen danach, als es Zeit war, in die Schule zu gehen, machte sie keinerlei Anstalten aufzustehen, mucksmäuschenstill war es da drinnen im Zimmer. Damals wollte sie sowieso nicht mehr in die Schule gehen, weil sie sagte, die anderen Kinder würden sie verprügeln, und so dachte ich, das sei auch diesmal der Grund, weshalb sie nicht aufstehen wolle, und ich wollte nicht, dass der Vater etwas merkte, weil er sie dann nur geschlagen hätte. Damals war ich schon etwa zwanzig, aber in die Schule war ich nie gegangen, weshalb mir etwas daran gelegen war, dass wenigstens die Kleine ein wenig Bildung bekam. Jedenfalls ging ich auf Zehenspitzen zu ihr ins Zimmer, in dem nur wenige Möbel standen, und da lag Archina ganz still im Dunkeln auf dem Bett, wie tot. Und es sah nach einem gewaltsamen Tod aus, denn ihre Beine waren beschmutzt, und auch das Laken und ihr Unterkleid, alles war mit etwas Braunem verschmiert, das aussah wie geronnenes Blut, und das war es auch. Ihr erstes Blut. Woran ich mich dann noch erinnere, ist, dass sie schlief, aber im Schlaf redete. Sie sagte, da seien Indianer, mit all ihren Pferden und den bunten Federn und ihren bemalten Gesichtern, die aus dem Gebirge herabgekommen seien, und es sei Maglie und auch wieder nicht Maglie, und dass sie sich unter dem Wagen versteckt habe, und deshalb hätten die Indianer sie nicht gesehen, aber alle anderen hätten sie umgebracht, nur sie hätte sich retten können, aber dann hätte einer der Indianer sie unter dem Wagen entdeckt und wäre gekommen, um sie mit dem Messer abzuschlachten. Und ich, Signorina, ich stand vor ihr und hab mir das alles angehört. Mir kam das alles ein bisschen komisch vor, vor allem das viele Blut, denn obwohl ich so viel älter und schon seit einigen Jahren voll entwickelt war, erinnerte ich mich noch gut an meine erste Blutung und daran, dass es damals viel weniger Blut gewesen war. Und dann zuckte Archina zusammen, und ohne die Stimme zu verändern, sagte sie: »Compare, wenn ich mir wehtue, brauche ich nicht in die Schule zu gehen.« Danach machte sie die Augen auf und sah mich in ihrem Zimmer stehen. Und da musste ich lachen, weil ich einfach nicht wusste, wie sie auf diese Indianer gekommen war, in welchem Film sie sie gesehen hatte, dass sie sie so gut beschreiben konnte, oder vielleicht hatte sie sie auch in einem der Heftchen mit den bunten Bildern entdeckt, die Donna Aurelia kaufte und die ich nicht anschaute, aber Archina schon, ja, die sie sogar versteckte, und wehe, wenn einer sie anfasste! Den sollten die Türken gefangen nehmen! Jedenfalls, was soll ich Ihnen sagen, Signorina, die Wahrheit ist, dass man nie auslernt. Sie könnten mir zu Recht sagen, dass die Dinge, die man wissen muss, in irgendwelchen Büchern stehen, dass man in die Schule gehen und lernen muss und dass man dann am Ende schlauer ist… Ach, Signorina, es ist ein wahres Elend, wenn man nichts begreift und wie hinter dem Mond lebt, denn damals lebten wir so, wie hinterm Mond … Es gab keine Bücher, sondern die Dinge passierten einfach, und niemand sagte einem vorher etwas … und hinterher war niemand da, um einen zu trösten, denn was geschehen ist, ist geschehen.

Es war genau in der Zeit, und jetzt kommen wir zu dem, wofür Sie sich interessieren, Signorina, dass die Geschichte mit dem Biss passierte. Wissen Sie, hierzulande sagt man, wenn man im Sommer aufs Feld geht, dann kann es sein, dass man von dieser Spinne, der Tarantel, gebissen wird. Es heißt, die Taranteln sind in Wirklichkeit die Geister von Verstorbenen, und wenn sie dich beißen, dann geht die Seele des Verstorbenen auf deinen Körper über und macht dich krank. Das war im Jahr 1955 oder 56. Archina war damals zwölf, es war Ende Juni, und ich erinnere mich, dass es wahnsinnig heiß war. Eines Nachmittags war ich gerade dabei, im Hof der Grecos die Wäsche aufzuhängen, als ich Donna Aurelia sah, die ganz aufgeregt war und mir sagte, dass es meiner Schwester schlechter gehe als sonst.

Ich machte mir Sorgen, holte mir rasch auf dem Hof die Erlaubnis, und wir liefen zu uns nach Hause. Und tatsächlich war Archina schweißgebadet und aufgebracht, als wir sie dort vorfanden. Wie ein Tier im Käfig ging sie auf und ab, setzte sich auf das Feldbett, das bei uns in der Küche aufgeschlagen war, stand wieder auf. An einem bestimmten Punkt legte sie sich wieder hin, die Augen ins Leere gerichtet und ohne ein Wort zu sagen, doch dabei wimmerte sie, als wäre ein Feuer in ihrer Brust, das sie von innen verbrannte. »Sag, mein Kind, ich bin’s, die Tante, was ist los mit dir?«, fragte Donna Aurelia, die wir mittlerweile »Tante« nannten. Archina aber sagte nichts, als ginge das Gesagte ihr zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Am anderen Tag wurde sie noch sonderbarer. Da sagte Donna Aurelia zu mir: »Filumè, die Kleine ist bestimmt von der Tarantel gebissen worden.« Und sie meinte, wir sollten die Musikanten rufen, damit sie bei uns zu Hause aufspielten und Archina dazu tanzen konnte, und dann würde sie schwitzen und die Tarantel vertreiben. Und so wurde es gemacht.

Es kamen Vincenzino Epifani, der Barbier, der die Geige spielte, Don Luigi, der Makler, mit seiner Ziehharmonika, und Uccio Blasi, kein Geringerer als der Kommandant der Carabinieri, mit seiner Gitarre. Mit dem Tamburin kam niemand, denn das schlug Donna Aurelia persönlich. Und nicht einmal ich könnte mehr so recht sagen, ob es eher wie ein Fest oder wie ein Begräbnis war.

Drei ganze Tage wurde gespielt, Signorina! Drei Tage spielten die Musikanten, und meine Schwester, sie tanzte. Ab und zu wurde eine Pause gemacht, damit alle sich etwas ausruhen und ich für die Leute vom Orchester etwas zu Essen machen konnte. Dann begann das Spielen und Tanzen von Neuem. Am Schluss wurde meine Schwester müde und schlief ein. Donna Aurelia meinte, jetzt sei alles gut, und die Musikanten konnten nach Hause gehen. Was soll ich Ihnen sagen, so war’s. Sicher war es eine seltsame Angelegenheit, weil Archina ja nie allein auf den Feldern herumstreifte. Wann also sollte sie gebissen worden sein? Und wo? Aber nun ja, vielleicht an dem Tag, als sie mit dem Vater nach Maglie gefahren war, denn in dieser Stadt machten sie, wie er sagte, besonders gute Taue, Besen und Stoffe, weshalb er gelegentlich dorthin fuhr, um Material zu kaufen, das er für die Arbeit bei Angelo Santo brauchte. Damals waren sie zwei Tage dort gewesen, und vielleicht war ja Archina bei dieser Gelegenheit gebissen worden, denn schließlich sagt man, dass es genau in dieser Gegend die Tarantel wirklich noch gab, auch wenn damals nach der Landung der Alliierten in Salerno die Amerikaner irgendwelche Mittel gegen Ungeziefer gesprüht hatten und man seither angeblich von Taranteln dort nichts mehr gehört hat.

Jedenfalls steht fest, dass meine Schwester schon am Tag nach der Tanzerei langsam wieder so wurde wie vor ihrer Krankheit. Oder wenigstens dachten wir das. Ich beruhigte mich, machte meine Arbeit, und das Leben ging weiter. Bis dann, einige Monate später, das mit Narduccio Greco passierte. Eines schönen Morgens fand man ihn tot in seinem Bett liegend, einfach so, mausetot. Ich kann bis heute nicht sagen, wie es passiert war. Donna Marianninas Schreie hörte man im ganzen Dorf, und sie benahm sich dermaßen von Sinnen, dass man fast glauben mochte, auch sie sei von der Tarantel gebissen worden. Im Haus der Grecos trafen zunächst der Arzt und dann die Carabinieri ein, dann die Zwillingsschwestern Santo und noch andere Leute. Donna Mariannina schrie und sagte Dinge, die überhaupt keinen Sinn ergaben … Dinge über meine Schwester. Ausgerechnet sie, die meine Schwester immer gerngehabt hatte wie ihre eigene Tochter. Sie sagte, Archina habe Narduccio Geld abknöpfen wollen, aber er wollte ihr keines geben, und so habe sie ihm eben das Leben genommen. Lauter wirre Sachen sagte sie, die niemand verstand. Aber gewiss war Donna Mariannina vor lauter Schmerz völlig von Sinnen. Das habe ich jedenfalls gedacht. Und so kam es, wissen Sie, dass im Dorf das Gerede begann … wie gemein die Menschen doch sind … all diese Sachen, dass meine Schwester diese fixen Ideen gehabt hatte, dass sie dieses Mönchlein sah, das sie des Nachts piesacke und ihr die Kehle zudrücke, dass sie gelernt habe, dieses Pulver hier zuzubereiten, und dass sie es jede Nacht in einem Teller aufs Fensterbrett stelle, um das Mönchlein damit zu vergiften … Und der arme Narduccio Greco, sagten sie, das heißt, das sagte der Arzt, sei genau an einer Vergiftung gestorben! Jedenfalls hatten sie doch tatsächlich meine Schwester in Verdacht! Und dass es wirklich so geschehen sein könnte! Eine Hexe schimpften sie sie, eine Hure und eine halb Verrückte. Andererseits, wenn selbst Donna Mariannina ihre Meinung so plötzlich geändert hatte und sie beschuldigte, ihrem Haus Unglück gebracht zu haben… meine Schwester, die doch noch ein Kind war … Glücklicherweise fanden sich jedoch keinerlei Beweise, und so konnte niemand etwas machen. Einige Tage später brachte mein Vater Archina nach Procida zurück, und es wurde nicht mehr darüber geredet. Zum Glück verkaufte auch Donna Mariannina binnen weniger Wochen ihr Haus, das Grundstück und all das, was sie noch in Mangiamuso hielt, und verließ das Dorf. Doch wie und warum und durch wessen Hand dieses Gift in den Körper jenes herzensguten Mannes gelangt war, ist niemals ans Tageslicht gekommen.

Und hier ist das Abenteuer zu Ende … wie ich gesagt habe … Und wie viele andere Dinge hätte ich noch zu erzählen! Sehen Sie, Signorina, und bei all dem Reden habe ich Ihnen die stramunella fertig gemacht. Aber hören Sie auf mich, und seien Sie vorsichtig damit! Ach, entschuldigen Sie vielmals, Signorina, über all dem Erzählen bin ich ganz dumm im Kopf geworden und habe Ihnen nicht einmal einen Kaffee angeboten.

Mangiamuso

Karnevalssamstag

AM LETZTEN TAG des Karnevals kochen die Leidenschaften hoch, sie drücken und drängen und kommen ans Tageslicht, und sie zeigen, aus welchem Holz die Menschen wirklich geschnitzt sind. Wie überall auf der Welt ziehen die Leute auch hier in Mangiamuso andere Kleider an, sie tragen fremdartige Kittel und Hemdchen aus schwarzer Spitze, mit glitzernden Steinen und Tand besetzt, Schleier und Perücken oder auch Hosen mit Lumpen und Flicken am Hinterteil. Die Männer verkleiden sich als Frauen und die Christen als Tiere. Die Armen tun so, als wären sie reich, und die Reichen, als wären sie arm. Vielleicht wollen sie endlich zeigen, wie sie wirklich sind, oder sie wollen alle Spuren verwischen.

Wir schreiben das Jahr 1956, und die Menschen glauben noch an alles.

Ganz am oberen Ende der Hauptstraße des Dorfes – jenem Teil der Straße, der auch an gewöhnlichen Tagen besonders belebt ist und den Platz vor der Präfektur mit der Piazzetta della Signuría am Ende des Ortes verbindet – erscheinen jetzt, am späten Nachmittag dieses letzten Tages im Karneval, die Söhne des Bürgermeisters Siani. Der Corso trägt bereits sein festliches Feierabendkleid, ringsum toben und tanzen die Masken, und überall auf den Ständen mit türkischem Honig und Zuckerwatte, die sich wie eine Schlange aus geschmolzenem Zucker die ganze Straße entlang bis zum Hauptplatz ziehen, wo das Dorf aufhört und das übrige Salento beginnt, liegt Konfetti. Bei den Söhnen des Bürgermeisters handelt es sich um zwei schmächtige und spindeldürre Burschen, die sechs und acht Jahre zählen, doch wie Zwillinge wirken, als wären sie über denselben Leisten geschustert, hässliche Knaben, was man jetzt jedoch nicht sehen kann, weil sie als Hündchen verkleidet sind. Ohne große Begeisterung laufen sie an der Hand ihrer Mutter, der Signora Siani, über den Corso, einem stadtbekannten Vollweib mit gewaltigem Busen, das die Hündchen jedes Mal mit einem Ruck zurückzerrt, wenn sie stehen bleiben, um eines der kleinen Mädchen mit Konfetti zu bewerfen, so wie die Tochter des Notars Marra, die sich im ausladenden Kostüm einer Hofdame aus dem achtzehnten Jahrhundert über den Corso schleppt, einem dieser Kleider, die mit solcher Sorgfalt und so viel Aufwand genäht wurden, dass auch der Letzte im Dorf mit einem Blick und ein für alle Mal begreift, wer sich »etwas leisten kann« und wer nicht, und ihm entsprechenden Respekt zollt. Ohne anzuhalten, geht Signora Siani an der Lottoannahmestelle vorüber, die auch an diesem Festtag geöffnet ist, denn wie man weiß, hat die Hoffnung niemals Ruhetag. Auf einem Hocker, der kaum ihr Gewicht tragen kann, sitzt die Sapúta direkt vor der Annahmestelle. Wie immer ist sie allein und betrunken, hat in der Hand ein Gläschen mit Magenbitter oder ähnlichem Gesöff, und ihre hundertvierzehn Kilo quillen an beiden Seiten über den Hocker und bringen sie bei der kleinsten Bewegung aus dem Gleichgewicht. Sie ist als Haremsdame verkleidet und trägt ein himmelblaues Kostüm