Lassen Sie sich nicht täuschen - Philip Houston - E-Book

Lassen Sie sich nicht täuschen E-Book

Philip Houston

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Beschreibung

Die ehemaligen CIA-Mitarbeiter Philip Houston, Michael Floyd und Susan Carnicero sind Profis auf dem Gebiet der Lügendetektion. In Lassen Sie sich nicht täuschen verraten die Experten, welche Techniken sie bei der Aufdeckung von Verbrechen einsetzen und wie man diese auch im Alltag anwenden kann. Anhand spannender Fälle des amerikanischen Geheimdienstes erklären die Autoren, an welchen verbalen und nonverbalen Verhaltensmustern man Lügen, Verrat und Betrug erkennt. Ein hervorragender Ratgeber, um dem Gegenüber auf die Schliche zu kommen und ein für alle Mal jeden Lügner zu enttarnen!

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Seitenzahl: 284

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
1. Überarbeitete Auflage 2017
Dieses Buch ist 2014 unter dem Titel Erkenne den Lügner  erschienen,
© 2014 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 65209
SPY THE LIE
Copyright © 2012 by Philip Houston, Michael Floyd, Susan Carnicero, and Don Tennant
Published by arrangement with St. Martin’s Press, LLC. All rights reserved.
Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLC durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen, vermittelt.
Die englische Originalausgabe erschien 2012 bei St. Martin’s Press unter dem Titel Spy the lie.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, ­Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Marion Zerbst
Lektorat: Ute König
Umschlaggestaltung: Laura Osswald
Umschlagabbildung: Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-86882-866-5
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-115-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-116-6
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:
www.mvg-verlag.de

Inhalt

Impressum
Inhalt
Einführung: Willkommen in unserer Welt
1 Warum es uns so schwerfällt, Lügnern auf die Spur zu kommen
2 Welche Hindernisse stehen der Entlarvung von Lügen im Weg?
3 Ein paar Grundprinzipien der Lügendetektion
4 Das Täuschungs-Paradoxon: Warum man die Wahrheit ignorieren muss, um sie zu finden
5 Wie Lügner sich herausreden
6 Die überzeugendsten Lügen
7 Die Entrüstung des Lügners
8 Optische Lügenindizien
9 Die Wahrheit in der Lüge: Wie man unabsichtliche Botschaften erkennt
10 Wer nicht fragt, bekommt keine Antwort
11 Wie man mit Lügen richtig umgeht
12 Vorsicht vor unzuverlässigen Lügenindizien!
13 Ein Paradebeispiel für unehrliches Verhalten
14 Na schön – und was jetzt?
Anhang I
Anhang II
Glossar
Über die Urheber und Autoren dieses Buches
Danksagung

EinführungWillkommen in unserer Welt

Stellen Sie sich vor, heute ist der Spätnachmittag des 11. September 2001. Rettungsmannschaften kämpfen inmitten eines riesigen Trümmerhaufens am Ground Zero in New York an der Stelle, wo heute früh noch die beiden Türme des World Trade Centers standen, in beißendem Gestank mit den grauenhaften Folgen einer unvorstellbaren Tat. In der Nähe von Shanksville (Pennsylvania) wurde durch das Wrack der United-Airlines-Maschine mit der Flugnummer 93 ein ehemals friedliches Feld zum Schauplatz einer entsetzlichen Katastrophe. Nur ein paar Minuten von der Stelle am George Washington Parkway entfernt, wo Sie und Ihre Kollegen zu begreifen versuchen, was gerade passiert ist, kokelt der verkohlte Riss in der Nordwestfassade des Pentagon immer noch vor sich hin. Auf die Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Attentat verübt worden!

In Ihrem Denken und Fühlen unterscheiden Sie sich gar nicht so sehr von den Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, die sich gerade den Kopf über diese Katastrophe zerbrechen. Alle werden von ähnlichen Emotionen bewegt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Sie bei der CIA arbeiten und ganz besondere Fähigkeiten besitzen, die nun gebraucht werden, um herauszufinden, wer hinter diesem Attentat steckt, welche Bedrohung für das amerikanische Volk von diesen Leuten ausgeht und wie das Land sich vor einem weiteren Angriff schützen kann. Willkommen in unserer Welt!

Wir drei sind aus völlig verschiedenen Richtungen in diese Welt gekommen und haben sehr unterschiedliche Ausbildungen genossen. Aber es gibt auch etwas, was uns miteinander verbindet: Wir interessieren uns für die menschliche Natur und sind überzeugt davon, dass Unaufrichtigkeit leider nur allzu viele Probleme verursacht, mit denen wir uns als Individuen, als Nation und als Weltgemeinschaft auseinandersetzen müssen.

Phil Houston war Berufsoffizier bei der CIA mit jahrelanger Erfahrung in der Durchführung von Lügendetektortests. Das prädestinierte ihn nicht nur für wichtige Missionen, bei denen er internationale Ermittlungen beaufsichtigte und für die Sicherheit von CIA-Mitarbeitern und -Einrichtungen verantwortlich war; in Hunderten von gewaltfreien Verhören hatte er außerdem jene besondere Methode entwickelt, die nun – in einer der schwierigsten Situationen, die es in der Geschichte der USA jemals gegeben hat – dringend gebraucht wurde. Michael Floyd war vor seinem Eintritt in die CIA als Lügendetektor-Ermittler in der Privatwirtschaft tätig gewesen. Dort hatte er CIA-Mitarbeiter und Personal aus privaten und öffentlichen Unternehmen in der Durchführung von Lügendetektortests geschult. Außerdem hatte er bei Hunderten von kriminalpolizeilichen Ermittlungen selbst solche Tests durchgeführt – oft in Fällen, die großes öffentliches Aufsehen erregten. Susan Carnicero war Kriminalpsychologin und Under-Cover-Agentin bei der CIA – die Spionin, die aus der Kälte kam –, ehe sie als Expertin für Mitarbeiterüberwachung und Lügendetektor-Ermittlerin bei diesem Geheimdienst zu arbeiten begann. Und so hatten wir alle drei eine Leidenschaft entwickelt, die sich wie ein roter Faden durch unser Leben zog: Wir wollten in der Lage sein, herauszufinden, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht.

Die Methode, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen möchten, ist aus unseren Erfahrungen mit Lügendetektortests entstanden. Mit solchen Tests kann man die Aufrichtigkeit eines Menschen ziemlich gut überprüfen, wenn sie von einem kompetenten Untersucher durchgeführt werden. Die Methode, die wir daraus entwickelt haben, ist ähnlich zuverlässig oder sogar noch zuverlässiger als die Ergebnisse, die man mit einem Lügendetektor erzielen kann.

Diese Methode wurde innerhalb unseres Geheimdienstes für CIA-interne Verwendungszwecke entwickelt, über die wir hier nichts verraten dürfen, weil die Informationsquellen und Vorgehensweisen der CIA strenger Geheimhaltung unterliegen. Phil hat bei der Entwicklung dieses Verfahrens die wichtigste Rolle gespielt. Doch dank ihrer Wirksamkeit erfreute sich diese Methode bald allgemeiner Anerkennung, sodass auch andere Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden ihre Mitarbeiter darin schulen ließen. Seitdem arbeiten wir drei gemeinsam an der Weiterentwicklung dieses Verfahrens und daran, es für weitere Anwendungsmöglichkeiten zu adaptieren.

Wie ist es uns möglich geworden, diese Methode an andere Menschen weiterzugeben? Im Jahr 1996 erhielten Phil und einige seiner Kollegen vom Sicherheitsdienst der CIA die Erlaubnis, auch private Unternehmen in dieser Lügendetektionsmethode zu schulen. Viele Geheimdienst-Anwendungen dieses Verfahrens unterlagen strenger Schweigepflicht, doch die Methode selbst brauchte nicht geheim gehalten zu werden, also gab es keinen Grund, die Schulung nicht auch externen Interessenten anzubieten. Susan, die Ausbildungsleiterin für diese Methode innerhalb der CIA werden sollte, wirkte kurze Zeit später auch an diesen externen Schulungen mit. Seitdem haben wir unser Lügendetektionsverfahren an Hunderte von Organisationen weitervermittelt: an Wall Street-Klienten, Unternehmen und Anwaltskanzleien, gemeinnützige Institutionen, akademische Einrichtungen und Strafverfolgungsbehörden.

Doch uns war klar, dass es für dieses Modell enorm viele Anwendungsmöglichkeiten gibt. Es gab also immer noch eine riesige Gruppe potenzieller Interessenten, die wir mit unseren Schulungsprogrammen niemals alle erreichen konnten. Also bestand der nächste logische Schritt darin, dieses Verfahren in Buchform an alle Menschen weiterzugeben, die es in ihrem täglichen Leben gut gebrauchen können – zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule oder an der Universität. Und jetzt kommen Sie ins Spiel.

Wie alle Menschen beschäftigen auch Sie sich immer wieder mit Fragen, auf die Sie gerne Antworten hätten, weil diese Antworten für Ihr Leben wichtig sind. Ist Ihr Vorgesetzter mit seinen Prognosen für die nächsten beiden Quartale wirklich ehrlich? Oder schwindelt er nur, wenn er sagt, dass die Mitarbeiter gut daran täten, dem Unternehmen die Treue zu halten, statt zur Konkurrenz überzulaufen? Sagt Ihr Göttergatte die Wahrheit, wenn er Ihnen versichert, dass er gestern Abend nur noch mit ein paar Kumpels in die Kneipe gegangen ist, um sich einen Absacker zu genehmigen? Hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter wirklich noch nie Drogen ausprobiert? Andere Fragen haben vielleicht weniger wichtige persönliche Konsequenzen für Sie, aber Sie wüssten die Antworten trotzdem gern: Ist es diesem Fußballer ernst mit seiner Behauptung, dass er nicht im Traum daran denkt, zu einer anderen Mannschaft zu wechseln? Ist eine Koalition mit der CDU für diese Politikerin wirklich ausgeschlossen?

Und nun stellen Sie sich vor, Sie könnten diese und viele andere Fragen, die Sie in Ihrem Leben tagtäglich beschäftigen, mithilfe eines Lügendetektionsverfahrens beantworten. Nehmen wir an, Sie können tatsächlich Fähigkeiten entwickeln, mit deren Hilfe man Lügner auf frischer Tat ertappen kann. Willkommen in Ihrer neuen Welt!

1Warum es uns so schwerfällt, Lügnern auf die Spur zu kommen

Die Menschen lassen sich nicht belügen, weil sie es müssen, sondern weil sie es wollen.

Malcolm Muggeridge

Scheinbar hatte Phil an diesem Tag das große Los gezogen. Der ausländische Agent, mit dem er in einem Hotel im Zentrum der Stadt verabredet war (das Land dürfen wir aufgrund der geheimen Projekte, die die CIA dort verfolgt, nicht nennen), hatte dem Geheimdienst 20 Jahre lang gute Dienste geleistet, und seine Loyalität schien über jeden Zweifel erhaben zu sein. Dieser Mann – nennen wir ihn Omar – war in diesen 20 Jahren schon mehrfach im Rahmen von Einsatzbesprechungen und routinemäßigen Sicherheitsinterviews von CIA-Mitarbeitern befragt worden, und jedes dieser Gespräche hatte seine Glaubwürdigkeit aufs Neue bestätigt. Omar hatte sich seine Sporen als vertrauenswürdiger Partner verdient, der zu allen Missionen bereit war, mit denen man ihn beauftragte.

Vor ein paar Wochen waren Phil und ein Kollege vom Sicherheitsdienst von ihrem Heimatstandort Langley aus losgeschickt worden, um in mehreren Ländern Routinegespräche mit wichtigen Agenten zu führen. Denn genau wie die CIA-Mitarbeiter selbst müssen auch die externen Agenten regelmäßig im Rahmen von Gesprächen überprüft werden, um sicherzugehen, dass sie die strengen Sicherheitsbestimmungen des Geheimdienstes immer noch erfüllen. Phil fand diese Arbeit interessant (praktische Einsätze waren für CIA-Mitarbeiter stets eine willkommene Abwechslung), aber gleichzeitig auch nervenaufreibend, denn diese Gespräche erforderten hundertprozentige Konzentration und konnten stundenlang dauern, wenn ein Agent bei der Befragung den Verdacht erweckte, nicht ganz ehrlich zu sein.

Phil nahm es mit der Erledigung seiner Hausaufgaben stets sehr genau. Er schaute Omars Akte so gründlich durch, als habe er vor, seine geliebten East Carolina University Pirates auf ein Spiel gegen Virginia Tech vorzubereiten. Er studierte die Berichte über Omars frühere Aktivitäten Wort für Wort, damit ihm auch ja nicht das kleinste Detail, nicht die leiseste Nuance entging. Als er die Akte wieder schloss, war er zufrieden: Das würde ein leichtes Gespräch werden. Omar hatte ganz offensichtlich nichts zu verbergen.

Als Phil das gesicherte Gebäude verlassen wollte, in dem sie untergebracht waren, um zu dem Treffpunkt mit Omar zu fahren, lief ihm sein Kollege über den Weg.

»Wahrscheinlich wirst du nicht rechtzeitig zurück sein, um noch mit mir zum Abendessen zu gehen, hm?«, fragte er.

»Oh doch – mein heutiges Gespräch ist ein Kinderspiel«, versicherte Phil. »In zwei Stunden bin ich wieder da.«

»Nie im Leben«, widersprach sein Kollege. Die Skepsis war ihm deutlich anzumerken.

»Doch. Heute habe ich endlich einmal Glück«, beharrte Phil. »Meine letzten Gespräche waren wirklich sehr verzwickt, aber diesmal ist es anders. Dieser Bursche wurde schon von so vielen Kollegen überprüft, dass man sich seinetwegen wirklich keine Sorgen mehr zu machen braucht. Zwei Stunden – länger dauert es nicht.«

Phil steuerte auf den Treffpunkt zu, ein Zimmer in einem mehrstöckigen Hotel im Stadtzentrum. Schon allein, um Omar zu diesem Hotel zu bringen, war eine geheime Operation nötig gewesen – ein genau ausgeklügelter Plan, mit hundertprozentiger Präzision ausgeführt, um Omar vor der Entdeckung durch feindliche Geheimdienste zu schützen. Als Phil und Omar sich in dem verabredeten Raum – einer Suite mit einer bequemen Sitzecke in einem der obersten Stockwerke – niedergelassen hatten, begannen die beiden zunächst ein freundliches Gespräch miteinander, und dann kam Phil zur Sache.

Er setzte sich aufs Sofa und forderte Omar auf, in dem Sessel neben ihm Platz zu nehmen. Phil hatte schon Hunderte ähnlicher Gespräche geführt, das alles war reine Routine für ihn. In lockerem, aber geschäftsmäßigem Ton ging er die Liste seiner Standardfragen durch. Wie erwartet beantwortete Omar alle Fragen wie aus der Pistole geschossen und schien sich dabei kein einziges Mal unwohl in seiner Haut zu fühlen: Nach 20-jähriger Erfahrung kannte auch er das Procedere, das merkte man ihm deutlich an.

»Sie arbeiten nun schon jahrelang für uns«, sagte Phil. »Waren Sie denn auch schon mal für einen anderen Auftraggeber tätig?«

Eine legere Formulierung für die Frage, die er diesem langjährigen, altbewährten Agenten stellen musste: Hatte er jemals für die »bösen Jungs« gearbeitet?

Omars Reaktion verblüffte Phil. Er zögerte mit der Antwort, rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her und stellte dann mit sichtbarem Unbehagen die Gegenfrage: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich bete?«

Phil traute seinen Ohren nicht. Was sollte das denn? Mit dieser Reaktion hatte er überhaupt nicht gerechnet.

»Klar, kein Problem«, sagte er, obwohl er sich immer noch nicht ganz von seinem Schock erholt hatte. Er rechnete damit, dass Omar für ein paar Sekunden den Kopf senken und anschließend seine Frage beantworten würde. Deshalb verwirrte ihn das, was als Nächstes kam, nur noch mehr.

Omar stand auf, ging ins Badezimmer und kam mit einem Handtuch zurück. Was auch immer dieser Bursche da vorhat, dachte Phil, gut ist das auf gar keinen Fall. Es ergab einfach keinen Sinn! Schließlich hatte Omar sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen und Phil war überzeugt davon, dass er in diesem Gespräch bisher alle Fragen ehrlich beantwortet hatte. Also musste es irgendeine plausible Erklärung für seine Reaktion geben.

Omar trat ans Fenster, während Phil immer noch vergeblich versuchte, aus seinem Verhalten schlau zu werden: Was macht der da eigentlich? Versucht er mit dem Handtuch jemandem ein Signal zu geben? Was kommt hier wohl noch alles auf mich zu? Doch dann begriff er: Omar ist Moslem. Er steht am Fenster, um sich zu orientieren, denn er muss beim Beten in Richtung Mekka schauen. Moslems beten mehrmals am Tag zu genau festgelegten Zeiten, vielleicht war das jetzt eben einfach so ein Zeitpunkt.

Tatsächlich breitete Omar das Handtuch sorgsam auf dem Fußboden aus und kauerte sich mit dem Gesicht nach unten darauf. Während er betete, drehten sich Phils Gedanken im Kreis. Er begann an sich selbst zu zweifeln: Hatte er Omar auf irgendeine Weise beleidigt? Hatte er es am gebührenden Respekt gegenüber seiner Religion fehlen lassen? Er konnte nur hoffen, dass er bei der Führung dieses Gesprächs irgendetwas falsch gemacht hatte. Hoffentlich lag das Problem nicht bei Omar! Schließlich war Omar für die CIA in diesem Land ein wichtiger Agent. Wenn Phil nun mit der Hiobsbotschaft zurückkehrte, eine Informationsquelle, der man so viele Jahre lang vertraut und die man in so vielen bisherigen Gesprächen für zuverlässig befunden hatte, sei verdächtig, würde der Chef nicht Omars, sondern Phils Kopf fordern. Außerdem bekam Phil allmählich Hunger und der Zeitpunkt für das verabredete Abendessen rückte immer näher. Niemand wünschte sich sehnlicher als Phil, dass mit Omar alles seine Richtigkeit haben möge.

Nachdem Omar etwa zehn Minuten lang gebetet hatte, erhob er sich, faltete das Handtuch zusammen und kehrte zu seinem Sessel zurück. Als Phil seine Gedanken ordnete, um das Gespräch fortzuführen, fiel ihm auf, dass er sich innerlich von seinem Wunsch beeinflussen ließ, Omar zu glauben: Er war nicht mehr in der Lage, das Verhalten des Agenten objektiv zu beurteilen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn nochmals mit der vorher bereits gestellten Frage zu konfrontieren.

Omars Reaktion fiel ganz anders aus, als Phil gehofft hatte: Er zögerte und scharrte mit den Füßen. Ihm war deutlich anzumerken, wie unwohl er sich fühlte. »Warum stellen Sie mir so eine Frage?«, protestierte er schließlich. »Gibt es etwa Grund zur Besorgnis?«

Den gab es jetzt tatsächlich. Omars verbale und nichtverbale Reaktionen auf diese Frage verrieten Phil, dass es nun an der Zeit war, seinem Gesprächspartner die entscheidenden Informationen zu entlocken. Er besann sich auf seine in jahrelanger Übung vervollkommneten konfrontationsfreien Verhörstrategien und verwandelte sich in eine Art menschliches GPS, das mit unfehlbarer Sicherheit auf sein Ziel zusteuerte: ein Geständnis.

Und dieses Ziel erreichte Phil schneller, als er erwartet hatte. Innerhalb einer knappen Stunde gab Omar zu, dass er in all den 20 Jahren seiner Tätigkeit als CIA-Agent gleichzeitig auch noch für den Geheimdienst eines feindlichen Landes gearbeitet hatte.

Aber damit war Phils Aufgabe noch lange nicht erledigt: Jetzt musste er sich vergewissern, ob Omar mit seiner Behauptung, die ganze Zeit über für die »bösen Jungs« gearbeitet zu haben, auch wirklich die Wahrheit sagte. Also blieb er im Verhörmodus und stellte ihm nun Fragen, deren Antworten Omars Geständnis bestätigen sollten. Nun, da die Wahrheit, die Omar zwei Jahrzehnte lang erfolgreich vor der CIA verborgen hatte, ans Licht gekommen war, packte der Doppelagent aus: Er erzählte, wie er während seiner Ausbildung bei der CIA so getan hatte, als sei er ein blutiger Anfänger – obwohl er das meiste schon vorher vom Geheimdienst des anderen Landes gelernt hatte. Einige seiner erfolgreichsten Missionen gegen die Amerikaner beschrieb er ganz genau in allen Details. Bei einem dieser Geständnisse lief es Phil kalt den Rücken hinunter:

Die Leute, die den Schlüssel zu den Geheimnissen sämtlicher CIA-Operationen weltweit in der Hand halten, sind die Kommunikationsoffiziere. Sie sind für den internen Nachrichtenaustausch zwischen ihrem Standort (Langley) und anderen CIA-Posten auf der ganzen Welt zuständig. Damit haben sie Zugang zu hochsensiblen Kommunikationsnetzwerken innerhalb der CIA und zu sämtlichen geheimen Dokumenten, die an ihren Posten übermittelt oder von ihrem Standort aus woandershin weitergeleitet werden. Somit sind diese Kommunikationsoffiziere wahre Informations-Fundgruben für gegnerische Geheimdienste.

Wie sich herausstellte, hatte Omar im Lauf der Zeit einen erschreckend engen Kontakt zu den Kommunikationsmitarbeitern des nächstgelegenen CIA-Postens in seinem Land aufgebaut. An diesem Standort gab es zwei Kommunikationsoffiziere, die gemeinsam in einem Haus wohnten und einen einheimischen Diener beschäftigten. Omar war in der besten Position, um sich Einblick in die Aktivitäten und Gespräche im Haus der beiden CIA-Offiziere zu verschaffen – denn er hatte den Diener angeworben und eingestellt.

Diese Offenbarung war der nächste Schlag für Phil, der sehr wohl wusste, welcher Schaden durch eine solche Situation entstehen konnte. Doch zum Glück stellte sich bald heraus, dass die Sache doch nicht ganz so schlimm war: Omar vertraute Phil an, dass der Diener seine Stelle im Haus der beiden Kommunikationsoffiziere schon nach ein paar Monaten plötzlich und unerwartet gekündigt hatte. Als Omar seinem Auftraggeber bei dem feindlichen Geheimdienst diese schlechte Nachricht übermittelte, war der Vorgesetzte – ein ehemaliger Gewichtheber – darüber so aufgebracht gewesen, dass er nach einem Stuhl griff und ihn mit bloßen Händen auseinanderbrach. Er habe gar nicht gewusst, dass es den »bösen Jungs« so wichtig war, einen Agenten im Wohnbereich der Kommunikationsoffiziere zu haben, erklärte Omar. Und er habe sogar angefangen, um seine eigene Sicherheit zu fürchten, als der Auftraggeber ihm dann vor Wut förmlich ins Gesicht sprang und ihn unbeherrscht anbrüllte.

Phil nickte aufmerksam und mitfühlend, während Omar seine Beichte ablegte. Doch innerlich frohlockte er. Er hatte schon viele Verabredungen zum Essen versäumt, bei denen sich der Verzicht nicht so sehr gelohnt hatte wie an diesem Abend.

Als Phil das Gespräch beendete, dämmerte draußen bereits der Morgen. Omar machte sich auf den Weg nach Hause; ohne Zweifel war ihm bewusst, dass diese Sache ernste Konsequenzen für ihn haben würde. Phil kehrte zum CIA-Gelände zurück und setzte sich sofort mit Langley in Verbindung. Die Mitarbeiter dort konnten kaum glauben, dass Omar ein falsches Spiel gespielt hatte. Wie konnte das sein? Wie hatte dieser Mann sich all die Jahre über so gut verstellen können?

Allmählich ahnte Phil die Lösung des Rätsels. Er wusste nur zu gut, dass sich Unehrlichkeit manchmal extrem schwer entlarven lässt. Und ihm war auch klar, dass er sich in jener Hotelsuite mit Omar gefährlich nah am Abgrund bewegt hatte. Beinahe hätte er die Sache vermasselt. Denn er hatte sich so sehr gewünscht, diesem Mann glauben zu können. Er hatte sogar nach Gründen gesucht, die ihn glaubwürdig machten, und die Schuld an dem Problem bei sich selbst gesucht – bei seiner mangelnden Sensibilität für Omars religiöse Vorstellungen und Praktiken. Erst als er sich zur Ordnung gerufen und konsequent an einer systematischen, objektiven Vorgehensweise festgehalten hatte, war es ihm gelungen, Omars doppeltes Spiel zu enttarnen.

Diese systematische Vorgehensweise kristallisierte sich erst im Nachhinein allmählich in seinem Kopf heraus. Es war ein System, das er damals gerade erst entwickelte – eine Kombination aus dem Training, das er erhalten hatte, und seiner scharfen Beobachtungsgabe: Denn natürlich hatte Phil das Verhalten der Menschen in den Hunderten von Gesprächen, die er im Lauf seiner Karriere führen musste, stets genau beobachtet. Er schien ein besonderes Geschick für die Einschätzung menschlichen Verhaltens zu haben, und dieses Gespür verfeinerte sich mit der Zeit immer mehr. Es war so eine Art Bauchgefühl – und doch gleichzeitig mehr als das: eine mentale Analyse seiner Gesprächspartner, eine kaum wahrnehmbare, unterbewusst ablaufende Katalogisierung ihrer verbalen und nichtverbalen Reaktionen auf seine Fragen. Und ­diese Verhaltensweisen fügten sich nun allmählich wie Puzzleteile zu einem Lügendetektionsverfahren zusammen, das sich als außergewöhnlich effektiv erweisen sollte: Phil war dabei, sein halb unbewusstes Gespür in eine quantifizierbare, nachvollziehbare Reihe von Vorgehensweisen umzusetzen. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass aus diesem Umsetzungsprozess eines Tages eine Methode entstehen würde, mit der man Wahrheit von Lüge unterscheiden kann und in der sich Mitarbeiter von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden, ja sogar Belegschaften von Unternehmen und Privatpersonen aller Art schulen lassen würden.

2Welche Hindernisse stehen der Entlarvung von Lügen im Weg?

Das größte Problem beim Kommunikationsprozess ist die Illusion, ihn bereits gemeistert zu haben.

Daniel W. Davenport

So etwas wie einen menschlichen Lügendetektor gibt es nicht und ich möchte hier gleich von vornherein klarstellen, dass wir auch uns selbst keineswegs für Lügendetektoren halten. Kein Mensch auf diesem Planeten kann hundertprozentig sicher sein, ob sein Gegenüber lügt oder nicht – es sei denn, diese Person behauptet etwas, wovon man schon von vornherein weiß, dass es nicht stimmt. Wenn Ihnen zum Beispiel jemand weismachen will, er sei von 2008 bis 2009 Torwart bei den Stuttgarter Kickers gewesen, und Sie haben den Werdegang dieser Fußballmannschaft genau verfolgt, dann wissen Sie, dass dieser Mensch Sie angelogen haben muss. Wenn Sie sich dagegen mit Fußball überhaupt nicht auskennen und keine Ahnung haben, wer bei dieser Mannschaft im Tor gestanden hat, können Sie auch nicht auf Anhieb feststellen, ob Ihr Gesprächspartner die Wahrheit sagt oder nicht. Und daran wird auch die Lektüre dieses Buches (oder irgendwelcher anderer Bücher) nichts ändern.

Wir können Ihnen aber ein paar Werkzeuge an die Hand geben, die sich bei der Entlarvung von Lügen schon in unzähligen Situationen als sehr hilfreich erwiesen haben, und wir können Ihnen auch zeigen, wie man mit diesen Werkzeugen umgeht. Sie gehören zu jener systematischen Vorgehensweise, die Phil während seiner Tätigkeit bei der CIA im Laufe von Hunderten von Gesprächen und Verhören entwickelt hat und aus denen schließlich unsere Lügendetektionsmethode entstanden ist.

Ehe wir uns nun in der Praxis mit dieser Methode beschäftigen, sollten Sie sich jedoch erst einmal klarmachen, dass Ihnen bei der erfolgreichen Entlarvung von Lügen ein paar ernsthafte Hindernisse im Weg stehen. Folgende Probleme haben uns besonders zu schaffen gemacht:

WIR SIND FEST DAVON ÜBERZEUGT, DASS UNS NIEMAND ANLÜGEN WIRD. Dieser Irrglaube war das Hauptproblem, mit dem Phil bei seinem Gespräch mit Omar zu kämpfen hatte – einem Agenten, der von der CIA schließlich bereits auf Herz und Nieren geprüft worden war und dessen Ehrlichkeit und Unbedenklichkeit damals über jeden Zweifel erhaben zu sein schien. Dieses Hindernis ist auf eine Grundprämisse unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zurückzuführen: In unserem Kulturkreis geht man davon aus, dass ein Mensch unschuldig ist, solange er keiner Schuld überführt werden konnte. Außerdem wird uns schon von Kindesbeinen eingetrichtert, dass es kaum etwas Schlimmeres gibt als Lügen. Fast alle Kinder bekommen von ihren Eltern zu hören: Wenn sie etwas vermasseln und es durch eine Lüge zu vertuschen versuchen, so ist diese Unwahrheit noch zehnmal schlimmer als ihre eigentliche Missetat. Diese Konditionierung ist ein wichtiger Einflussfaktor und kann uns in echte Schwierigkeiten bringen, wenn es darum geht, herauszufinden, ob jemand lügt oder nicht: Wir wollen unseren Mitmenschen ganz einfach glauben. Das Problem ist nur, dass der Mensch tatsächlich lügt – und zwar sehr oft. Einige verhaltenspsychologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass wir innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden mindestens zehnmal die Unwahrheit sagen; dazu gehören auch die sogenannten »Notlügen«, zu denen wir greifen, um unsere Mitmenschen nicht zu verletzen oder Konflikte zu vermeiden. Psychologen gehen davon aus, dass jeder Mensch Sie anlügen wird, wenn er glaubt, dass dies in seinem Interesse liegt. Und wir haben dieser desillusionierenden Tatsache noch eine weitere Erkenntnis hinzuzufügen: Er wird Ihnen umso eher eine Lüge auftischen, wenn er das Gefühl hat, damit durchzukommen.

Es gibt auch noch einen weiteren Grund, warum wir unseren Mitmenschen so gerne glauben möchten: Den meisten Leuten ist ziemlich unwohl dabei, über andere zu urteilen – und das mit gutem Grund. Wir wollen nicht den ersten Stein auf jemanden werfen, weil wir genau wissen, dass wir selber schließlich auch nicht perfekt sind. Dabei sollten wir allerdings bedenken, dass der Prozess der Wahrheitsfindung an sich überhaupt nichts mit Werturteilen zu tun hat. Ganz im Gegenteil: Wenn wir uns bei diesem Prozess in irgendeiner Form von Urteilen leiten lassen, ist das ein Handicap, denn es lenkt uns von der systematischen Vorgehensweise ab, an die wir uns halten müssen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Wir – die drei Autoren dieses Buches – haben überhaupt kein Interesse daran, die Menschen, von deren Ehrlichkeit wir uns ein Bild machen möchten, in irgendeiner Form zu be- oder verurteilen. Wir wollen mit unserer Suche nach der Wahrheit lediglich objektive Tatsachen ans Tageslicht fördern, damit die in der jeweiligen Situation bestmögliche Entscheidung getroffen werden kann.

WIR GEHEN BEIM MENSCHLICHEN VERHALTEN VON FALSCHEN VORSTELLUNGEN AUS. Wir alle haben schon von verschiedenen Verhaltensweisen gehört oder gelesen, die angeblich darauf hindeuten, dass unser Gegenüber nicht die Wahrheit sagt. (Einige davon werden wir in Kapitel 12 noch näher beleuchten.) Im Rahmen unserer Tätigkeit bei der CIA haben wir jedoch festgestellt, dass es dafür einfach nicht genügend Beweise gibt: Diese Verhaltensweisen sind bei Weitem keine so zuverlässigen »Lügendetektoren« wie die verräterischen Unehrlichkeitssignale, die Sie in diesem Buch kennenlernen werden. Deshalb sollte man sich lieber nicht auf solche angeblich »typischen« Verhaltensweisen verlassen, wenn man herausfinden möchte, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht.

KOMMUNIKATION IST EIN KOMPLEXES PHÄNOMEN. Vielleicht haben Sie die Sache noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet, aber wenn Sie herausfinden möchten, ob jemand lügt, tun Sie in Wirklichkeit nichts anderes, als einen Kommunikationsprozess zu analysieren. Dabei bewegt man sich oft auf schwankendem Boden, und zwar aus mehreren Gründen.

Zunächst einmal liegt es an der Ungenauigkeit unserer Sprache: Oft genug hören wir irgendein Wort und geben ihm sofort unsere eigene Deutung. Diese Interpretation beeinflusst unser Verständnis der Botschaft, die der Gesprächspartner uns vermittelt, und infolgedessen natürlich auch unsere Reaktion. Das zweite Problem besteht darin, dass es bei der Analyse von Kommunikation nicht nur um Worte geht – sie machen nicht einmal den Hauptanteil des Kommunikationsprozesses aus. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt: Wenn wir die Elemente dieses Prozesses in zwei Kategorien einteilen – verbale (aus Wörtern bestehende) und nichtverbale (nicht aus Wörtern bestehende) Kommunikation –, machen die nichtverbalen Botschaften den Löwenanteil aus.

Warum ist das im Zusammenhang mit dem Thema Lügendetektion so wichtig? Ganz einfach: Wenn wir versuchen, die Botschaften unseres Gesprächspartners zu analysieren, und Kommunikation in erster Linie nichtverbal ist, dann müssen wir wissen, wie man solche nichtverbalen Signale entschlüsselt. Was haben wir im Rahmen unserer Ausbildung darüber gelernt? Wahrscheinlich nicht allzu viel. Aber die verbalen Botschaften, mit denen kennen wir uns doch aus, oder? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Wie viele Leute würden von ihrem Ehemann bzw. ihrer Ehefrau sagen, dass er/sie gut zuhören kann? Tatsächlich halten sich die kommunikativen Fähigkeiten der meisten Menschen sehr in Grenzen, und das ist ein großer Hemmschuh bei der Lügendetektion. Um unsere Mitmenschen erfolgreich der Lüge überführen zu können, müssen wir also zunächst einmal die Komplexitäten des Kommunikationsprozesses in den Griff bekommen – und das ist gar nicht so einfach.

JEDER MENSCH IST ZWANGSLÄUFIG VOREINGENOMMEN. Obwohl das Wort »Voreingenommenheit« einen negativen Beigeschmack hat, sind wir alle in irgendeiner Hinsicht voreingenommen – und das muss gar nicht einmal unbedingt etwas Negatives sein. Wenn Sie eine Lieblingsfußballmannschaft haben, sind Sie voreingenommen, denn dieses Team ist für Sie zweifelsfrei das beste. Wenn Sie irgendeiner Sache nicht völlig neutral gegenüberstehen, sind Sie voreingenommen – das heißt, Sie sind entweder dafür oder dagegen. Unsere Voreingenommenheit hat großen Einfluss darauf, ob wir jemandem Glauben schenken oder nicht, und wir können uns nun mal nicht erst in einem geistigen Blitzdurchgang über unsere Vorurteile klar werden, wenn uns jemand gegenübersteht, mit dem wir gleich ein Gespräch führen werden. Dazu reicht die Zeit nicht aus. Also müssen wir unsere Neigung zur Voreingenommenheit irgendwie in den Griff bekommen, damit wir während des Gesprächs nicht darüber nachzudenken brauchen.

Angenommen, Sie arbeiten an einem Kriminalfall aus den Neunzigerjahren, in dem der Anführer einer satanistischen Sekte in Kalifornien angeblich 60 Kinder, die zu der Sekte gehörten, sexuell missbraucht haben soll. Eines dieser Opfer – ein dreizehnjähriges Mädchen von sanftem, freundlichem Wesen – hat den Ermittlern wahre Horrorgeschichten darüber erzählt, was sie und die anderen Kinder damals durchmachen mussten. Natürlich hat der Anführer der Sekte alles abgestritten und es gibt auch keine Beweise für die abscheulichen Schilderungen des Mädchens. Wer hat nun die Wahrheit gesagt: der satanistische Sektenführer oder das junge Mädchen? Niemand, der den Bericht des Mädchens hörte, hatte irgendwelche Zweifel daran. Könnte da wohl eine gewisse Voreingenommenheit mit im Spiel gewesen sein?

Michael wurde aufgefordert, das Mädchen zu verhören. Die Methode, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen werden, ermöglichte es ihm, seine eigene Voreingenommenheit unter Kontrolle zu bringen. Tatsächlich ist Michael dadurch der Wahrheit auf die Spur gekommen: Schließlich gab das Mädchen zu, dass ihre Geschichte von A bis Z erlogen war.

Susan erhielt von einem Klienten den Auftrag, ein Gespräch mit einer Bewerberin zu führen. Der Klient erwähnte, dass bei dieser Frau (nennen wir sie Mary) eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Wie alle Menschen, die in ihrem Leben selbst schon einmal mit dieser furchtbaren Krankheit zu tun hatten, hätte Susan sehr leicht eine aufrichtige Sympathie für diese Krebspatientin empfinden und sich dadurch in ihrer Gesprächsführung beeinflussen lassen können – und niemand hätte es ihr übel genommen. Doch da Susan professionell mit ihrer Voreingenommenheit umgehen konnte, brachte sie in dem Gespräch einiges über Mary in Erfahrung, was für ihren potenziellen künftigen Arbeitgeber ein großer Schock war. Schon ein einziges Gespräch genügte, um herauszufinden, dass Mary ihre Krebsdiagnose nur vortäuschte. Ihre Eltern waren nämlich vor Kurzem bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und das hatte unangenehme Konsequenzen für ihren Lebensstil: Sie wusste, dass man sie nun aus ihrem Jachtclub ausschließen würde, da die Mitgliedschaft auf den Namen ihrer Eltern lief. Allerdings durften Familienangehörige verstorbener Mitglieder ein weiteres Jahr lang die Privilegien dieser Mitgliedschaft genießen, wenn es in ihrem Leben erschwerende Umstände gab. Also beschloss Mary, dem Leiter des Clubs eine Krebserkrankung vorzuschwindeln. Ihre Rechnung ging tatsächlich auf, doch da die Eltern ihrer besten Freundin demselben Club angehörten, musste sie auch dieser Familie gegenüber so tun, als habe sie Krebs. Und um der Sache die Krone aufzusetzen, hatte der Vater ihrer Freundin Mitleid mit ihr und bot ihr eine Stellung in seiner Firma an. »Wenn ich keine Lust zum Arbeiten habe«, vertraute Mary Susan an, »brauche ich denen einfach nur zu erzählen, dass ich an diesem Tag zur Chemotherapie muss.« Sicherlich können Sie sich denken, dass Mary das Bewerbungsgespräch bei Susan nicht bestanden hat und die Stelle nicht bekam.

Zum Schluss noch eine wichtige Warnung zum Thema Voreingenommenheit: Unterschätzen Sie die Macht dieses Einflussfaktors nicht! Auch wenn wir noch so eine hohe Meinung von unserem Urteilsvermögen haben – wenn wir unsere Vorurteile nicht in den Griff bekommen, sind wir verloren. Phils zwei Söhne könnten Ihnen erzählen, dass ihr Vater sie, als sie noch klein waren, immer so lange für schuldig hielt, bis ihre Unschuld erwiesen war. Seine Tochter Beth dagegen war nie an irgendetwas schuld: Sie war »Vaters Liebling«.

Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Ob es Ihnen nun bewusst ist oder nicht: Wahrscheinlich haben Sie bei dem Versuch, einen Menschen zu durchschauen und herauszufinden, ob er die Wahrheit sagt oder nicht, bisher immer die sogenannte »allgemeine Verhaltensanalyse« eingesetzt. Und darin liegt auch tatsächlich eine gewisse Logik – man denkt: »Wenn ich mich wie eine Art ›menschlicher Staubsauger‹ verhalte und möglichst viele Informationen aus meinem Gegenüber herauszuholen versuche, steht mir am Ende ein Maximum an Daten zur Verfügung, und auf dieser Basis kann ich die bestmögliche Entscheidung treffen.« Doch so plausibel das auch klingen mag – es funktioniert nicht, denn bei dieser Vorgehensweise stürmen einfach zu viele Informationen auf Sie ein. Sie müssen so viele Denkvorgänge durchlaufen, um all diese Daten zu verarbeiten, dass Ihr Gehirn damit überfordert ist. Das ist so, als versuche man aus einem Feuerwehrschlauch zu trinken – es geht einfach nicht. Außerdem können Sie dann viele Verhaltensweisen, die Sie an Ihrem Gegenüber beobachten, gar nicht richtig einordnen, sondern sind auf Spekulationen angewiesen. Zum Beispiel hört man oft, dass Menschen, die in »geschlossener« Haltung dasitzen – also die Arme vor der Brust verschränken –, ihrem Gesprächspartner irgendetwas verschweigen oder verheimlichen wollen. Aber was ist, wenn Ihr Gegenüber sich in dieser Position einfach nur zufällig wohlfühlt? Oder vielleicht friert er ja auch. Wir stellen also Spekulationen darüber an, warum dieser Mensch so dasitzt, und das ist wohl kaum eine zuverlässige Methode, um an exakte Daten heranzukommen.

Wir müssen diesen Informationsfluss, der auf uns einströmt, also in die richtigen Bahnen lenken, und das geht nur mit einer systematischen Vorgehensweise, die alle irrelevanten Daten herausfiltert. Mit der Methode, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen, können Sie genau das erreichen.

Ehe wir uns mit dieser Methode beschäftigen und auf verschiedene typische Lügenindizien eingehen, sollten Sie sich zunächst noch etwas klarmachen: Menschliches Verhalten ist nicht unbedingt logisch und entspricht auch nicht immer unseren Erwartungen. In dem, was wir für logisch halten, spiegeln sich lediglich unsere eigenen Vorstellungen und unser persönlicher moralischer Kompass wider. Ein Psychologe, der bei der CIA arbeitete, hat uns immer wieder eingeschärft, dass zwischen menschlichem Verhalten und Logik höchstens ein zufälliger Zusammenhang besteht. Wir können das nur bestätigen.

Susan hat schon in recht jungen Jahren gelernt, mit dem Unerwarteten zu rechnen. Einmal machte Susan mit ihrer kleinen Tochter Lauren und ihrer Freundin Cindy Urlaub auf Jamaika, und zwar in einem Haus ihrer Familie, das zu einer Ferienanlage gehörte. In dieser Ferienanlage arbeiteten eine Haushälterin und ein Poolboy, die das Ferienhaus schon seit Jahren betreuten und das uneingeschränkte Vertrauen der Familie genossen. In jenem Jahr engagierte Susan über das Hotel zusätzlich auch noch ein Kindermädchen, das sich um Lauren kümmern sollte.