Leben mit dem Ullrich-Turner-Syndrom - Angelika Bock - E-Book

Leben mit dem Ullrich-Turner-Syndrom E-Book

Angelika Bock

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Beschreibung

Diagnose Ullrich-Turner-Syndrom: Damit stehen plötzlich viele Fragen für betroffene Eltern, Mädchen und Frauen im Raum. Auch Ärzte und Fachleute haben nicht immer ausreichende und befriedigende Antworten. Vom Ullrich-Turner-Syndrom sind ausschließlich Frauen betroffen. Bei ihnen ist das zweite der beiden X-Chromosomen verändert oder es fehlt, daher gehören zu den Hauptsymptomen i.d.R. Kleinwuchs und das Ausbleiben einer spontanen Pubertätsentwicklung. Die Autorin ist selbst eine Betroffene: Sie zeichnet ein lebendiges Bild ihres Alltags und gewährt Einblick in ihre Gedanken und Gefühle. Außerdem berät sie seit mehreren Jahren Mädchen und Frauen mit dem Ullrich-Turner-Syndrom. Unter anderem gibt das Buch auf folgende Fragen Antworten: Was ist denn bei einer Frau mit UTS anders? Welche typischen Entwicklungsprobleme treten in der Pubertät auf? Ist für mich ein selbstständiges Leben in einer eigenen Partnerschaft möglich? Wohin kann ich mich mit Fragen und Schwierigkeiten wenden? Die Autorin macht auf sehr einfühlsame Weise anderen Betroffenen Mut und räumt viele Vorurteile aus, ohne dabei problematische Bereiche auszuklammern. Mit grundlegenden medizinischen Informationen, Kontaktadressen und hilfreichen Literaturhinweisen.

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Seitenzahl: 132

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Angelika Bock

Leben mit dem Ullrich-Turner-Syndrom

Mit Geleitworten vonRita Süssmuth und Elke Müller-Seelig

Ernst Reinhardt Verlag München Basel

Angelika Bock, Diplom-Psychologin, Rehaklinik Usedom, Heringsdorf, betreut ehrenamtlich das Informations- und Beratungstelefon der Deutschen UTS-Vereinigung e.V. Sie war mehrere Jahre Vorsitzende dieser Selbsthilfeorganisation.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-01618-1 (Print)ISBN 978-3-497-61898-9 (PDF-E-Book)ISBN 978-3-497-61899-6 (EPUB)

© 2002 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG einschließlich Einspeisung/Nutzung in KI-Systemen ausdrücklich vor.

Printed in EU

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 MünchenNet: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Geleitwort von Rita Süssmuth

Geleitwort von Elke Müller-Seelig

Vorwort

1Ullrich-Turner-Syndrom – was ist das?

2Medizinische Informationen im Überblick

Diagnostik

Wachstumshormon-Therapie

Die Östrogen-Substitution

Mögliche psychosoziale Folgeprobleme

Hilfen im Gesundheitssystem

3Erfahrungen einer Betroffenen im Alltag und in Bezug auf die Therapie

In der Kindheit

Alltag und Gesundheitsprobleme

Wie kann hier die Selbsthilfevereinigung unterstützen?

Was ist machbar und womit muss ich leben lernen?

Als Jugendliche

Alltag, Gesundheit und Bewältigungsstrategien

Die Wahrnehmung von Entwicklung

Zum Anderssein befreit oder verdammt?

Körperwahrnehmung und Psyche

Als junge Erwachsene

Alltag, Gesundheit und Selbständigkeit

Schattenseiten und Ängste

UTS und Beruf

Was hat bei der Bewältigung geholfen?

4Wünsche einer Patientin im Jahr 2002

Wünsche an und für das tägliche Miteinander

Wünsche an und für die Selbsthilfe

Wünsche an und für betroffene Eltern

Wünsche an und für die Forschung

5Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Menschenwürde, Leidverminderung und andere ethische Aspekte moderner Diagnostik und Behandlung

6Angebote der Selbsthilfe und weitere hilfreiche Informationsquellen

Literaturhinweise

Geleitwort

Ich bin seit nunmehr etwa einem Jahr Schirmherrin der Deutschen Ullrich-Turner-Syndrom-Vereinigung e. V. und hatte Gelegenheit, mich zum Turner-Syndrom im Allgemeinen und der Lebenssituation Betroffener und ihrer Familien zu informieren. Hierbei wurde mir eine Verbesserung der Lebensqualität betroffener Familien zum Anliegen. Denn auch wenn viele Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte hier einige Verbesserungen erreichen konnten, bleibt einiges verbesserungsbedürftig.

Gerne komme ich nun der Bitte nach, dieses Buchprojekt mit meinen guten Wünschen zu empfehlen. Hier kommt eine Betroffene zu Wort und schildert ihre Erfahrungen in verschiedenen Bereichen in ehrlicher und reflektierter Weise. Ich würde mir wünschen, dass hierdurch die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der betroffenen Familien gelenkt wird und die Behandlungs- und Beratungssituation sich auch in diesem Bereich weiter verbessert. Der Selbsthilfe-Organisation wünsche ich, dass so noch mehr Betroffene und ihre Familien den Weg zu ihr finden und damit zu einer größeren Freiheit im Umgang mit der genetischen Veränderung.

Februar 2002        Prof. Dr. Rita Süssmuth, MdB

Geleitwort

Liebe betroffene Mädchen, betroffene Mütter und Väter, liebe Leserinnen und Leser!

„Wenn Du Dich auf den Weg machst, öffnet der Horizont seine Grenzen ...!“ Mit dem Buch von Angelika Bock über ihr Leben mit dem Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) halten Sie eine Geschichte in den Händen, die Ihrer Geschichte ähnlich sein kann oder doch ganz anders ...

Jede Frau muss sich auf ihre Weise mit UTS auseinandersetzen, sich auf den Weg machen, diese beschwerliche Straße entlangzugehen – Schritt für Schritt, barfuß oft, sich Blasen holend, nach dem geeigneten Schuhwerk suchend, in der Hoffnung, sich vor inneren und äußeren Schmerzen schützen zu können.

Jede betroffene Frau muss ihre ganz persönlichen Möglichkeiten finden, die das Weitergehen leichter und besser machen. Auf diesem Weg mit UTS steht man oft wie vor einer Mauer, und sicher keimt nicht nur einmal der Wunsch auf, die Mauer möge eine Öffnung anbieten, durch die Sie wegschlüpfen können oder dürfen – als betroffene Frau oder auch als Eltern einer betroffenen Tochter.

Nur mit viel Mut und Kraft und vor allem mit bedingungsloser Zuwendung von Familie, Freunden und anderen Betroffenen ist es möglich, den eigenen Weg weitermarschieren zu können. Und dabei doch ab und zu stehenbleiben zu dürfen, stehen zu bleiben, um auch wieder die Buntheit und Lebendigkeit des Lebens wahrnehmen und genießen zu können.

Es ist ein mühevoller Weg, nach Lösungen zu suchen und welche zu finden, Entscheidungen zu treffen und Veränderungen zuzulassen. Und dieser ganz eigene und persönliche Weg ist noch lange nicht zu Ende. Ein Weg mit vielen Stolpersteinen, der aber auch wunderbar glatte Wegstücke haben kann!

Die eine oder andere Leserin wird bei der Lektüre quälende Gedanken und Gefühle bei sich selbst erleben – Gedanken und Gefühle zur Vergangenheit, Gegenwart oder zur Zukunft. Mal sind diese Gedanken klar und fassbar, mal sind sie nebelig und trüb. Vielleicht werden Ihre Gedanken und Gefühle durch dieses Buch von Angelika Bock etwas Gestalt annehmen, vielleicht erleichtert es Ihnen ein weiteres Stück Ihres Weges, oder es ermutigt Sie, einen eingeschlagenen Weg zu verlassen. Eben dann, wenn Sie erkennen, dass Ihnen eine Entscheidung, eine Lösung, ein Lebensmotto nicht gut tun.

Und so sehe ich bei aller „Betroffenheit“ das große Potenzial, das dieses Buch als Perspektive zum Weiterleben und -erleben eröffnen kann! Wir sollten es uns wert sein, unser einzigartiges Leben anzunehmen und zu gestalten! Viele gute Gedanken beim Lesen dieses Buches wünscht Ihnen

Marienheide/Kattwinkel im Mai 2002

Elke Müller-SeeligReferentinfür Familienpädagogik

Das Beste ist die tiefste Stille,in der ich gegen die Welt wachse –und gewinne, was Sie mirmit Feuer und Schwert nicht nehmen können.

(Johann Wolfgang von Goethe)

Vorwort

Nach jahrelangem Kontakt zur Deutschen Ullrich-Turner-Syndrom- Vereinigung, einer Menge Selbsterfahrung und auch professionellen Hilfen sitze ich nun hier und gehe daran, etwas über mein Leben mit der genetischen Veränderung „Ullrich-Turner-Syndrom“ (im Folgenden mit „Turner-Syndrom“ oder UTS abgekürzt) zu schreiben. Ich tue das, weil ich hoffe, damit anderen Betroffenen und deren Eltern helfen zu können. Und weil es mir hilft, mich nicht zu verstecken, sondern zu artikulieren. Vor allem aber, weil inmitten aller Diskussion um Pränataldiagnostik, Gentechnik und das Gesundheitssystem die eigentlich Betroffenen bisher kaum zu Wort kommen. Vielleicht manchmal auch (noch) keine Worte für ihr persönliches Erleben finden.

Hierbei bin ich zum einen ganz persönlich betroffen. Zum anderen bin ich, so denke ich, aber auch als Diplom-Psychologin in der Lage, Manches ebenso aus einem professionellen Blickwinkel zu reflektieren.

Immer noch gibt es auch unter Medizinern Vorurteile und einen Mangel an Information zum Thema UTS. Zudem erlebe ich mich als Betroffene angesichts der Entwicklungen in der Pränataldiagnostik und Genforschung als immer bedrohter in meiner Existenzberechtigung. Ich möchte ehrlich und offen über Probleme und auch über persönliches Leid berichten, aber ich möchte vor allem allen Lesern vermitteln, dass ein Leben mit einer genetischen Veränderung durchaus lebenswert sein kann und dass wir am Ende Frauen sind wie viele andere auch. Wir leiden in der Regel weniger unter medizinischen Problemen als vielmehr unter Vorurteilen, Abwertung und Isolation. Wir haben Fähigkeiten, Wünsche, Ängste und eine Persönlichkeit wie alle anderen Menschen auch. Ich wünsche mir, dass dies anhand meines persönlichen Erlebnisberichtes deutlich werden kann – greifbarer und persönlicher als aus Fachbüchern. Ich schreibe dies als ganz persönliches Projekt, für das ich allein verantwortlich zeichne. Es spiegelt mein subjektives Erleben und meine persönlichen Ansichten wider. Jede einzelne Betroffene könnte ihre ganz eigene Geschichte schreiben, und zu vielen Themen gibt es selbstverständlich auch ganz andere Argumente und Möglichkeiten. Dies ist jedoch meine Geschichte, so wie ich sie erlebt habe und erlebe – als eine von vielen, die geschrieben werden könnten.

Es gibt viele Menschen und Erfahrungen, für die ich dankbar bin. Es war ein langer Weg bis zu diesem Buch und hier seien die wichtigsten genannt, durch die dieser Weg möglich wurde:

Die Regionalgruppen Homburg-Saar und Berlin

Der Vorstand (alt und neu) der Deutschen UTS-Vereinigung – stellvertretend seien Frau Bettina von Hanffstengel, und Frau Gabriele Scheuring genannt.

Pater Herrmann Kügler

Die Katholische Hochschulgemeinde Trier – hier möchte ich vor allem Altfried G. Rempe, Beate Barg, Thomas Jakobs und Benedikt Welter nennen.

Frau Elke Müller-Seelig – mit besonderem Dank für viele wichtige Anregungen zum Manuskript und Zeit für sicher nicht immer einfache Gespräche.

Professor Dr. med. Fritz Haverkamp, Universitäts-Kinderklinik Bonn, der mich dankenswerter Weise bei den medizinischen Informationen beraten hat.

Frau Bettina Schärfe – für jahrzehntelange Freundschaft und viele erheiternde E-Mails.

Vielen Eltern und Betroffenen für gute Gespräche und Ermutigung. Bedanken möchte ich mich auch beim Ernst-Reinhardt-Verlag und meiner Lektorin Dipl.-Psych. Ulrike Landersdorfer, dass ein solches Projekt möglich wurde – und sie sich die Mühe gemacht haben, meine Ideen wo nötig zu strukturieren.

Februar 2002          Angelika Bock

1 Ullrich-Turner-Syndrom – was ist das?

Ich möchte hier ganz knapp (in Anlehnung an den Text des Faltblattes der Deutschen Ullrich-Turner-Syndrom Vereinigung e. V.) über die wichtigsten Aspekte informieren. Ich werde auf viele Punkte an anderer Stelle nochmals ausführlicher eingehen. Für weitere medizinische Informationen sei auf die Literaturliste und die nächste Universitätsklinik verwiesen.

Das Ullrich-Turner-Syndrom ist nach dem amerikanischen Arzt Henry Turner und dem deutschen Kinderarzt Otto Ullrich benannt. Es handelt sich um eine genetische Veränderung auf dem 23. Chromosomenpaar, das für das Geschlecht entscheidend ist. Es sind ausschließlich Frauen betroffen, bei denen sich ja hier im Normalfall zwei X-Chromosomen finden: XX. Im Falle von UTS ist das zweite XChromosom entweder beschädigt oder bei der Zellteilung verlorengegangen. Dies kann durchgehend oder auch nur in einigen Zelllinien der Fall sein. Letzteres wird als Mosaikform bezeichnet. Diese Veränderung tritt etwa bei 1 von 2 500 Mädchengeburten auf. Bisher konnte noch keine Ursache für UTS identifiziert werden. Es handelt sich nicht um eine Erbkrankheit im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Abweichung im Zellteilungsprozess. Eine familiäre Häufung konnte bislang nicht festgestellt werden. Lediglich bei den seltenen Fällen der Schwangerschaft einer Betroffenen ist das Risiko einer Fehlbildung erhöht. Bei einer Mosaikform kann als Erfahrungswert gelten, dass die Beeinträchtigungen in der Regel weniger schwer sind. Die Hauptsymptome sind:

•Kleinwuchs mit einer durchschnittlichen Erwachsenengröße von 1,46m

•Aufgrund einer Unterentwicklung der Eierstöcke bleibt meistens eine spontane Pubertätsentwicklung aus. Frauen mit UTS sind bis auf seltene Ausnahmen unfruchtbar.

Weitere Symptome, die im Einzelfall auftreten können, aber nicht müssen (ca. bei 1/3 der Betroffenen) sind:

•Herz- oder Nierenfehlbildungen

•Lymphödeme an Händen und Füßen

•Eine seitliche Halsfalte (Pterygium Colli)

•Häufige Leberflecken (Pigmentnaevi)

•Ein herabhängendes Augenlid (Ptosis)

•Häufige Mittelohrentzündungen mit dem Risiko einer Hörminderung

•Verformungen an den Nägeln

Die Intelligenz unter Betroffenen entspricht der in der Normalbevölkerung: Das heißt, die meisten sind normal intelligent, einige hochintelligent und einige weniger intelligent.

Zur Standardbehandlung gehört heute eine Behandlung mit synthetischem Wachstumshormon im frühen Kindesalter sowie eine Behandlung mit Östrogen-Präparaten etwa ab dem 12. Lebensjahr.

Ich werde in diesem Buch auf einige oft gestellte Fragen und häufiger geäußerte Ansichten von Eltern eingehen und einen Eindruck vom Leben einer Betroffenen vermitteln. Hier einige dieser häufig gestellten Fragen – oder auch Neudeutsch FAQ’s:

•Kann ich/meine Tochter denn später ganz normale Beziehungen haben?

•Kann ich/meine Tochter normal zur Schule gehen?

•Sieht man mir/meiner Tochter das UTS später an?

•Welche Diagnostik sollte ich/sollten wir machen lassen?

•Erzählen die heute Erwachsenen meiner kleinen Tochter nicht Horrorgeschichten, die heute überholt sind? • Wird meine Tochter/werde ich ein eigenständiges Leben führen können?

•Meine Tochter wird so sehr unter dem UTS leiden, ist es nicht besser, sie wird nie geboren?

•Hat jemand, der so aussieht, im Beruf nie eine Chance?

•Wozu mit ihr über Sexualität reden – sie wird ja sowieso nie einen Partner finden?

•Wozu einer Selbsthilfevereinigung beitreten – was habe ich davon?

2 Medizinische Informationen im Überblick

Hier einige zusätzliche Informationen zu Diagnostik und Behandlung, die einige der häufig gestellten Fragen beantworten, aber sicher nicht eine ausführliche Beratung durch einen Facharzt und weitere Lektüre ersetzen können. Herr Professor Dr. med. Fritz Haverkamp von der Universitäts-Kinderklinik Bonn hat mich hier dankenswerterweise beraten.

Diagnostik

Das Vorliegen eines Turner-Syndroms kann zu sehr verschiedenen Zeitpunkten und aus verschiedenen Anlässen heraus diagnostiziert werden. Es gibt vermutlich durchaus Betroffene, die nie diagnostiziert wurden.

•Die sichere Feststellung eines Turner-Syndroms geschieht ganz sicher erst über eine Chromosomenanalyse bzw. die Erstellung eines Karyotyps. Chromosomen sind Strukturen innerhalb des Zellkerns, die Erbanlagen tragen. Ein Karyotyp ist der Chromosomensatz eines Menschen anhand von Zahl und Gestalt der Chromosomen.

•Pränatal kann heute UTS bei ausgeprägten Lymphödemen durch Ultraschall oder durch eine Amniozentese (eine Fruchtwasseruntersuchung) oder eine Chorionzotten-Biopsie (die Untersuchung des Mutterkuchens) festgestellt werden.

•Im Falle von auffälligen Lymphödemen oder ernsthaften Herzproblemen (etwa einer Aortenisthmussthenose, also der Verengung der Schlagader am Herzen) kann eine Diagnose im Säuglingsalter erfolgen.

•Häufig wird das Turner-Syndrom bei ausgeprägtem Kleinwuchs im Schulalter festgestellt (die mittlere Körperhöhe erwachsener Betroffener liegt bei 146,8 cm).

•Schließlich wird nicht selten erst bei Ausbleiben der spontanen Pubertätsentwicklung (dies trifft für 80–90 % der Betroffenen zu) im Teenager-Alter und der Suche nach der Ursache hierfür die genetische Veränderung festgestellt.

Die meiste Erfahrung haben in diesem Bereich sicher pädiatrische Endokrinologen an Unversitäts-Kinderkliniken oder anderen größeren pädiatrischen Einrichtungen. Dort ist auch ein Austausch zwischen den Bereichen Kinderheilkunde, Genetik und Gynäkologie am Einfachsten. In der Regel gibt es dort ambulante Sprechstunden, in denen dann das weitere Vorgehen festgelegt wird.

Wachstumshormon-Therapie

Allgemein sind viele Mädchen mit UTS schon bei der Geburt kleiner als andere. Mit UTS im Durchschnitt 48,5 cm, gesunde Kinder im Durchschnitt 52 cm. Meist wird die Endgröße später erreicht, und der mit der Pubertät verbundene Wachstumsschub bleibt aus. Seit einigen Jahren ist eine Behandlung mit Wachstumshormonen möglich. Dabei ist folgendes zu beachten:

•Eine Behandlung mit Wachstumshormon-Präparaten ist je nach Diagnose-Zeitpunkt vom frühen Kindesalter an bis zur Pubertät bzw. dem Abschluss des Knochenwachstums möglich. Je nach Diagnosezeitpunkt und fachlicher Auffassung des behandelnden Arztes kann auch die Dauer der Wachstumshormonbehandlung sehr unterschiedlich sein. Meist dauert sie aber über mehrere Jahre an.

•Heute werden gentechnisch synthetisierte Wachstumshormone gegeben – auch in Kombination mit Oxandrolon, einem Anabolikum.

•In der Regel wird durch eine Behandlung die individuelle Endgröße so rascher erreicht. Verschiedene Studien berichten über sehr unterschiedlichen Gewinn im Vergleich zur prognostizierten Endgröße. Mir bekannt sind Angaben von möglichen 2–8 cm mehr an Endgröße. Hier bestehen erhebliche individuelle Unterschiede, wie erfolgreich eine Behandlung jeweils ist.

•Der Erfolg einer Wachstumshormonbehandlung hängt unter anderem vom Alter bei Beginn der Dosierung und der Dauer der Behandlung ab. Hier gibt es noch recht unterschiedliche Vorgehensweisen in verschiedenen Kliniken. Es werden zwar heute schon recht gute Erfolge erzielt und in einigen Fällen wurde eine Endgröße von über 8 cm über der prognostizierten Endgröße erreicht. Ob die Hoffnungen auf eine möglichst „normale“ Endgröße erfüllt werden können, hängt jedoch von vielen individuellen Bedingungen ab.

•Die Behandlung besteht aus einer täglichen Injektion, die sich die Betroffene je nach Alter selbst geben kann.

•Während der Behandlungszeit sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen vorgesehen.

•Es bestehen verschiedene Auffassungen über Dosierung, optimalen Handlungsbeginn und die zu empfehlende Behandlungsdauer.

Die Östrogen-Substitution

Bei Frauen mit Turner-Syndrom sind die äußeren Genitalien, Gebärmutter und Scheide normal ausgebildet. Die Eierstöcke sind jedoch zu Bindegewebe ohne Funktion umgewandelt. Somit wird nicht wie bei anderen Frauen Östrogen vom Körper selbst gebildet und muss somit von außen zugeführt werden. Dies geschieht meist in Form von Tabletten, es sind mittlerweile aber auch Pflaster- und Gelpräparate auf dem Markt. Folgendes erscheint mir zu diesem Thema wissenswert:

•Heute werden meist ab einem Alter von 12–13 Jahren – möglichst zeitgleich mit dem Beginn der Pubertät bei den anderen Mädchen in der Schulklasse – Östrogenpräparate gegeben. Begonnen wird in aller Regel mit sehr geringen Dosen, die dann allmählich gesteigert werden.

•In der Regel wird ab hier die Betreuung durch einen (Kinder-) Gynäkologen übernommen.

•Durch eine Hormonbehandlung kommt es zu einer altersgemäßen Brustentwicklung und später dem Einsetzen einer Regelblutung.

•Eine entsprechende Behandlung wirkt sich positiv auf das psychische Befinden und die Selbstwahrnehmung als Frau aus. Die Scheidentrockenheit wird positiv beeinflusst und die sexuelle Erlebnisfähigkeit dadurch erhöht.

•Eine ausreichende Östrogen-Substitution beugt zudem späterer Osteoporose vor.