Lebendige Seelsorge 2/2022 - Verlag Echter - E-Book

Lebendige Seelsorge 2/2022 E-Book

Verlag Echter

0,0

Beschreibung

Diese Zeilen schreibt Frau Professorin Dr. Hildegard Wustmans nach der 3. Versammlung des Synodalen Weges in Frankfurt, der bundesweiten Aktion #OutInChurch, einem offenen Brief von elf Generalvikaren an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, in dem sie sich für die vollständige Rechtssicherheit kirchlicher Mitarbeiter:innen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem privaten Beziehungsstatus einsetzen, und während der dramatischen Kriegssituation in der Ukraine. Was erleben wir da gerade: Transformation "by design or by disaster" (Harald Welzer)? Die Welt – auch die kirchliche Welt – steht Kopf. Muster werden aufgebrochen, Utopien werden entlarvt. Diese wenigen Aspekte zeigen schon, dass Transformation keine Standardaufgabe ist und sich ihr niemand entziehen kann. In diese Zusammenhänge hinein erscheint die Lebendige Seelsorge mit dem Themenschwerpunkt Transformation: Lisanne Teuchert fragt, ob Transformation das Projekt Gottes mit der Welt ist, Michael Schüßler analysiert Dynamiken pastoraler Musterunterbrechungen und Doris Reisinger geht auf spezifische Dynamiken zwischen spirituellen und institutionellen Wandlungsprozessen ein. Ulrike Rose beschreibt, welche wechselseitigen Chancen sich für Ordensgemeinschaften und einen Sozialraum im Zusammenhang mit der Umnutzung von Klostergebäuden ergeben können. Im Interview kommt mit Isabell Huschka eine Expertin zu Wort, die Profit- und Non-Profit-Unternehmen durch Transformationsprozesse navigiert. Im Praxisteil lenkt Tobias Faix den Blick auf die Fragestellung, was Transformation mit Glaubenspraxis zu tun hat, und Albert Gerhards veranschaulicht, dass der christliche Sakralbau bis in die Gegenwart ein Ort von Transformation war/ist. Nachhaltigkeit ist der Fokus von Gerhard Kruip. Er zeigt auf, dass diese eine radikale Transformation in allen Bereichen verlangt. Dass gesellschaftliche Transformationen für Jugendliche zu einer besonderen Herausforderung werden können, arbeitet Bettina Brandstetter aus und um 'Wandlung' geht es im Beitrag von Alexander Zerfaß. Simon Rüffin beleuchtet den Zusammenhang von Transformation und katholischer Diaspora. Bernd Mönkebüscher reflektiert Reaktionen auf die Aktion #OutInChurch und macht deutlich, dass es mehr als einen offenen Brief von elf Generalvikaren braucht, um eine ehrliche Kirche zu werden. Das Heft spannt wie gewohnt einen weiten thematischen Bogen und regt hoffentlich zum Nachdenken an.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 152

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

THEMA

Transformation: Das Projekt Gottes mit der Welt?

Von Lisanne Teuchert

Transformation: Zur Dynamik pastoraler Musterunterbrechungen

Von Michael Schüßler

Transformationen der Kirche und die Welttransformation Gottes

Die Replik von Lisanne Teuchert auf Michael Schüßler

Nicht über uns, nicht vor uns, in den Ereignissen unter uns

Die Replik von Michael Schüßler auf Lisanne Teuchert

Dynamiken zwischen spirituellen und institutionellen Wandlungsprozessen

Von Doris Reisinger

PROJEKT

Transformation von Klöstern

Eine große Chance für Ordensgemeinschaften und Gesellschaft

Von Ulrike Rose

INTERVIEW

„Sich neu erfinden, um weiter zu existieren.“

Ein Gespräch mit Isabell Huschka

PRAXIS

Was hat Transformation mit Glaubenspraxis zu tun?

Eine Bestandsaufnahme aus ökumenischer Sicht

Von Tobias Faix

Transformation von Kirchengebäuden

Von Albert Gerhards

Transformation zur Nachhaltigkeit

Sozialethische Impulse

Von Gerhard Kruip

Möglichkeitsräume Jugendlicher in Zeiten gesellschaftlicher Transformation

Von Bettina Brandstetter

Wandlung – ein anderer Begriff für Transformation

Von Alexander Zerfaß

SEELSORGE UND DIASPORA: BONIFATIUSWERK

Transformation und katholische Diaspora

Wie Veränderungen den eigenen Blick weiten können

Von Simon Rüffin

FORUM

Für eine Kirche ohne Angst, aber dafür ehrlich

Von Bernd Mönkebüscher

POPKULTURBEUTEL

Konzil, oder: Grundlegende Erneuerung ist Frauensache

Von Matthias Sellmann

NACHLESE

Re:Lecture

Von Michael Sommer

Buchbesprechungen

Impressum

Die Lebendige Seelsorge ist eine Kooperation zwischen

Echter Verlag und Bonifatiuswerk.

EDITORIAL

Hildegard Wustmans Herausgeberin

Liebe Leserin, lieber Leser,

diese Zeilen schreibe ich nach der 3. Versammlung des Synodalen Weges in Frankfurt, der bundesweiten Aktion #OutInChurch, einem offenen Brief von elf Generalvikaren an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, in dem sie sich für die vollständige Rechtssicherheit kirchlicher Mitarbeiter:innen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem privaten Beziehungsstatus einsetzen, und während der dramatischen Kriegssituation in der Ukraine.

Was erleben wir da gerade: Transformation „by design or by disaster“ (Harald Welzer)? Die Welt – auch die kirchliche Welt – steht Kopf. Muster werden aufgebrochen, Utopien werden entlarvt. Diese wenigen Aspekte zeigen schon, dass Transformation keine Standardaufgabe ist und sich ihr niemand entziehen kann.

In diese Zusammenhänge hinein erscheint die Lebendige Seelsorge mit dem Themenschwerpunkt Transformation: Lisanne Teuchert fragt, ob Transformation das Projekt Gottes mit der Welt ist, Michael Schüßler analysiert Dynamiken pastoraler Musterunterbrechungen und Doris Reisinger geht auf spezifische Dynamiken zwischen spirituellen und institutionellen Wandlungsprozessen ein. Ulrike Rose beschreibt, welche wechselseitigen Chancen sich für Ordensgemeinschaften und einen Sozialraum im Zusammenhang mit der Umnutzung von Klostergebäuden ergeben können. Im Interview kommt mit Isabell Huschka eine Expertin zu Wort, die Profit- und Non-Profit-Unternehmen durch Transformationsprozesse navigiert. Im Praxisteil lenkt Tobias Faix den Blick auf die Fragestellung, was Transformation mit Glaubenspraxis zu tun hat, und Albert Gerhards veranschaulicht, dass der christliche Sakralbau bis in die Gegenwart ein Ort von Transformation war/ist. Nachhaltigkeit ist der Fokus von Gerhard Kruip. Er zeigt auf, dass diese eine radikale Transformation in allen Bereichen verlangt. Dass gesellschaftliche Transformationen für Jugendliche zu einer besonderen Herausforderung werden können, arbeitet Bettina Brandstetter aus und um ‚Wandlung‘ geht es im Beitrag von Alexander Zerfaß. Simon Rüffin beleuchtet den Zusammenhang von Transformation und katholischer Diaspora. Bernd Mönkebüscher reflektiert Reaktionen auf die Aktion #OutInChurch und macht deutlich, dass es mehr als einen offenen Brief von elf Generalvikaren braucht, um eine ehrliche Kirche zu werden.

Das Heft spannt wie gewohnt einen weiten thematischen Bogen und regt hoffentlich zum Nachdenken an.

Ich wünsche es Ihnen und uns.

Prof.in Dr. Hildegard Wustmans

THEMA

Transformation: Das Projekt Gottes mit der Welt?

„Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde“ (Jes 43,19). Mitten in der Geschichte verheißt Gott Transformation. Transformation: Lässt sich so Gottes ‚Weltprojekt‘ zusammenfassen oder wird diese Vorstellung problematisch, wenn man sie näher durchdenkt? Lisanne Teuchert

Transformation ist ein formaler Begriff, der das Woher und Wohin des so beschriebenen Prozesses erst einmal offenlässt. Der Begriff sagt nur so viel: Es geht um einen Prozess der Umformung. Veränderung entsteht nicht aus dem Nichts, sondern durch Umgestaltung des Vorhandenen.

Systematisch-theologisch erinnert der Begriff an die Themen von Schöpfung und Neuschöpfung. Schon biblisch steht neben der Vorstellung einer creatio ex nihilo – einer Schöpfung aus dem Nichts – die Vorstellung einer Schöpfung durch Formung: In Gen 2 formt Gott den Menschen wie ein Töpfer aus Erde und Staub. Noch mehr verweist der Begriff der Transformation aber auf die Vorstellung einer Neuschöpfung (vgl. Thomas 2009). Denn wenn Gott die Welt am Ende der Zeit ‚neu schafft‘ (vgl. Jes 43,19), „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1) verheißt, dann ist ja schon etwas da: die alte Schöpfung mit ihrer Geschichte, ihren Abermillionen Menschen, Tieren und Pflanzen, ihren Verirrungen und Erfolgen, ihren kollektiven und individuellen Tragödien und Wundern.

TRANSFORMATION DER SCHÖPFUNG – NOCH NICHT UND SCHON JETZT

Günter Thomas hat dementsprechend Transformation als ein Modell dafür ausgemacht, wie sich das neuschöpferische Handeln Gottes vorstellen lässt. Er grenzt es ab von Restitution und Substitution (vgl. Thomas 2009, 23–25). Anders als bei einer Substitution, die das Vorhandene schlicht durch etwas Neues ersetzt, bleibt bei einer Transformation eine gewisse Kontinuität gewahrt. Was ist, wird nicht ausgelöscht, sondern verwandelt. Es gibt durchaus theologische Traditionen, die eine Substitution der Welt durch Gott nahelegen, die von einer Annihilation am Ende der Zeiten sprechen, einfach weil der Zustand der Welt so verloren scheint. Harald Welzer unterscheidet eine Transformation ‚by design‘ von einer Transformation ‚by disaster‘: In diesen Traditionen aber fallen ‚design‘ und ‚disaster‘ zusammen. Das Desaster ist Teil des Plans – und zwar des Plans zur Rettung der Welt. In der Transformation bleibt das Vorhandene bestehen, auch wenn es umgeformt wird. Anders als bei einer Restitution, die zurück zu einem ursprünglichen paradiesischen Zustand springt und die „sehr gute“ (Gen 1,31) Schöpfung wiederherstellen will, bleibt das, was gewesen ist, in der Transformation nicht nur bestehen, sondern auch von Bedeutung. Die Schöpfung wird nicht auf ‚reset‘ gestellt. Dieser Kontinuitätsaspekt von Transformation scheint in gegenwärtigen Verwendungsweisen eher im Hintergrund zu stehen, geht es doch zum Beispiel in kirchlichen Prozessen um die Veränderung, den Aufbruch, die Anpassung an neue Gegebenheiten. Vielleicht, weil der absolute Neubeginn mitten in unseren Bezügen und Geschichten für uns kaum jemals möglich ist.

Lisanne Teuchert

Dr. theol., Habilitandin im Fach Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum; Promotion zur Vorsehungslehre aus eschatologischer Perspektive; ordinierte Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Wenn Gott am Ende also transformativ, verwandelnd, umformend handelt – und dieses Modell favorisiert Thomas –, prägt das im Sinne präsentischer Eschatologie nicht auch, wie Gott gegenwärtig in der Welt handelt? Hebt das „Neues Schaffen“ (Jes 43,19) nicht schon mitten in der Geschichte an? Formt Gott nicht die Welt kontinuierlich in seinem Sinne um? Auch wenn es um Gottes gegenwärtiges Handeln in Natur, Geschichte und individuellem Leben geht, müsste das nicht zwangsläufig ohne Einbeziehung des Vorhandenen, der bestehenden Schöpfung und ihrer eigenen Entwicklung und Bewegung geschehen, sondern könnte sich auch in der Arbeit mit und am Vorhandenen ereignen. Gottes Handeln in der Welt muss also nicht so aussehen, dass Gott gegen die Schöpfung und ihre Eigenlogik handelt, d.h. interveniert, das eine aussetzt und das andere an seine Stelle setzt, sondern könnte zumindest auch als Transformation verstanden werden, die zielstrebig, aber auch bewahrend die Welt verwandelt.

Als solches klingt das zunächst attraktiv, führt die Interventionsvorstellung doch nicht erst neuzeitlich zu Problemen im Wirklichkeitsverständnis, sondern schon prinzipiell zu Anfragen an das Gottesbild, Gottes Verhältnis zu seiner Schöpfung und zur Frage, warum Interventionen ausbleiben, also zur Theodizee. Attraktiv bleibt das Transformationsmodell auch bei näherem Hinsehen, es wirft aber Fragen und Probleme auf, die zu bedenken sind. Diese Fragen und Probleme zeigen zugleich die Leistungen und Grenzen davon auf, Transformation als Überbegriff für Gottes ‚Weltprojekt‘ zu verwenden.

In der Transformation bleibt das Vorhandene bestehen, auch wenn es umgeformt wird.

WIE OFFEN IST DER TRANSFORMATIONSPROZESS?

Woraufhin verwandelt Gott die Welt? Sicher auf das Reich Gottes oder die neue Schöpfung hin. Aber je mehr Gott das Vorhandene in sein Handeln einbezieht – also auch das, was Menschen für sich und andere entscheiden und vollziehen, im Guten wie im Bösen –, desto mehr kann fraglich werden, ob Richtung und Ziel noch erkennbar bleiben. In der Theologie gibt es unterschiedliche Modelle für diesen Prozess. In stark deterministischen Modellen und in Geschichtstheologien, die von einem klaren Progress ausgehen und dabei höchstens vorübergehende Intermezzi zulassen, bleibt der Transformationsprozess sehr geschlossen. Dafür wird auch kaum mit gegenläufigen Ereignissen gerechnet, die diesen Prozess irritieren könnten. Ganz im Gegensatz dazu geht etwa die Prozesstheologie von radikaler Offenheit aus. Gott könnte mit seiner Verwandlung der Welt auch scheitern. Er lockt sie zwar in die richtige Richtung, aber ob die Geschöpfe darauf eingehen – wer weiß. Sicher ist nur: Gott verwahrt alles Gewesene in seinem Gedächtnis. Was das sein wird, bleibt offen. Dafür allerdings bedenkt die Prozesstheologie wie kaum eine andere theologische Richtung den kooperativen Grundmodus des Handelns Gottes. Der Offene Theismus (Open Theism) – eine jüngere Strömung in den USA, die sich in Anknüpfung und Abgrenzung zur Prozesstheologie versteht (vgl. einführend Pinnock u.a.) – möchte diesen kooperativen, gewaltlosen Aspekt beibehalten. In Beziehung zu stehen, offen zu sein für die Geschöpfe, sich von ihnen affizieren zu lassen, das wird dort als wichtiger Teil des biblischen Zeugnisses über Gottes Wesen gesehen. Deswegen bleibt Gott beeinflussbar und der Transformationsprozess irritierbar; oft genug muss Gott ‚Zick-Zack-Wege‘ gehen, um sein Ziel zu erreichen. Der Offene Theismus hält aber anders als die Prozesstheologie an einer klaren Hoffnungsperspektive fest: Gott habe vor allem in der Auferstehung gezeigt, dass sein Handeln auch gegen größte Widerstände letztlich zum Erfolg führt. Aufgrund dieser „soliden Erfolgsgeschichte“ (Sanders, 187f.) hätten wir Grund, an einem guten Ausgang der Umformung der Welt festzuhalten. Der Offene Theismus versucht damit einen Mittelweg, dessen Anliegen verständlich ist, hat allerdings Mühe, das hohe Risiko, das Gott eingeht (vgl. Sanders), wieder einzufangen. Dabei enthält dieser Weg jedoch einen richtigen Hinweis: den Hinweis auf den Hoffnungsstatus von Aussagen über Gottes Handeln in der Welt wie über das Ende der Geschichte. Zur Hoffnung muss aber auch Grund sein.

Die erste systematische Frage, die sich an die Vorstellung von einer Transformation als ‚Weltprojekt‘ Gottes stellt, lautet also: Wie offen muss die Transformation der Welt durch Gott gedacht sein, damit die Freiheit der Geschöpfe ihren Platz hat, die Geschichte der Schöpfung gewürdigt wird, der bewahrende Aspekt des Handelns Gottes und seine Kooperation mit den Geschöpfen zum Tragen kommt und als Teil eines Beziehungsgeschehens formuliert werden kann? Und wie geschlossen muss die Transformation der Welt durch Gott gedacht sein, damit die Hoffnung, wie sie in der christlichen Eschatologie gebündelt ist, und die Glaubwürdigkeit der endzeitlichen Verheißungen, wie sie biblisch bezeugt sind, aufrechterhalten werden können?

WIE INVOLVIERT IST GOTT IN DIESEN TRANSFORMATIONSPROZESS?

Eine weitere Frage, die systematisch-theologisch in diesem Zusammenhang zu denken gibt und bereits angeklungen ist, betrifft die Beziehungshaftigkeit und den ‚Standort‘ Gottes im Transformationsprozess. Reinhold Bernhardt hat drei Modelle für den Modus identifiziert, wie Gott in der Welt handelt (vgl. Bernhardt, 29–39). Erstens gebe es schon im biblischen Kanon die Vorstellung eines Königs, der von oben nach unten regiert und in personalen Handlungsakten seine Herrschaft ausübt (das aktualistische Modell). Hier scheint Gott von enthobener Position aus zu agieren, ohne sich dazu selbst in die Welt hinein entäußern zu müssen. Ganz anders – zweitens – im sapiential-ordinativen Modell: Gott wirkt hier durch die Ordnungen, die seiner durchdachten Schöpfung zugrunde liegen; eine Vorstellung, die in der Weisheitsliteratur Israels verbreitet ist. Das könnte durch den prozessualen, weniger aktualen Charakter dem Transformationsgedanken näherliegen als das erste Modell. Aber auch hier scheint Gott kaum involviert in dieses Wirken, obwohl es ganz im Gegensatz zum aktualistischen Modell radikal immanent und von unten nach oben gedacht ist. Die Transformation der Welt läuft gewissermaßen durch zuvor geschaffene Strukturen von alleine ab bzw. durch das Wirken einer ‚Weltvernunft‘ oder ‚Weltkraft‘. Bernhardt stellt das nicht zufrieden. Er optiert für ein drittes Modell, das Modell der „operativen Präsenz“: Gott wirkt durch seine Anwesenheit. Von seiner Gegenwart geht eine Kraft aus, die die Welt verändert. Etwa so, wie die Anwesenheit eines liebenden Vaters oder die Geborgenheit des Kindes im Mutterleib verändernde Kraft entfalten (vgl. auch Bernhardt, 390f.). Geschieht Transformation also durch die Präsenz Gottes?

Gott wirkt durch seine Anwesenheit. Von seiner Gegenwart geht eine Kraft aus, die die Welt verändert.

Auch der schon angesprochene Open Theism versucht die Involviertheit Gottes in seinem Handeln an der Welt hervorzuheben. Dort entspricht das eher einem sich entäußernden, inkarnatorischen, kenotischen Grundzug in der Theologie: Gott gibt sich selbst hinein in die Auseinandersetzung mit der Schöpfung und ihrer Entwicklung und scheut dabei weder Tod noch Teufel. Gott riskiert nicht nur etwas im Verlauf der Weltgeschichte, sondern er riskiert auch sich selbst (vgl. zum Risiko Christoffersen; Springhart u.a.; Thomas 2019). Ähnlich wie beim ersten Problem stellt sich dann aber die Frage, wie Gott wieder zu sich selbst kommt, wie er sich durchsetzen kann in der Auseinandersetzung mit widergöttlichen Mächten und ihm entgegenstehenden Tendenzen. Wie schafft Gott es – anders gewendet – die ‚agency‘ im Transformationsprozess zu behalten, damit es eben nicht zu einer „transformation by disaster“ kommt, in einem Sinn, den er ganz und gar nicht intendiert hat? Wie kann sich seine Präsenz als operativer, als wirkmächtiger erweisen als die Präsenz anderer Mächte und Kräfte?

Die systematische Frage, die sich von hier aus an die Vorstellung einer Transformation der Welt stellt, könnte mithin so formuliert werden: Wie involviert muss Gott in die Transformation der Welt gedacht werden, damit seine Liebe und sein Beziehungswille zur Geltung kommen, und wie entzogen, damit er nicht von anderen Dynamiken und Mächten überwältigt wird, die ebenfalls kräftig mitformen?

WO SETZT GOTTES TRANSFORMIEREN AN?

Wie schon mehrfach deutlich wurde, liegt in einer Transformationsvorstellung die Arbeit mit dem Vorhandenen, mit den Geschöpfen und ihren Entscheidungen und Hervorbringungen, also ein kooperativer Grundzug des Handelns Gottes in der Welt, nahe. Damit rücken die geschöpflichen Akteur*innen in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie sind es, auf die Gott einwirkt. Häufig wird dabei in erster Linie an Menschen, ihr Denken, Fühlen, Entscheiden und Handeln, gedacht. Droht mit dem Abschied eines direkten Handelns Gottes an der Schöpfung, also auch der Natur, die schöpfungstheologische Weite im Transformationsmodell verlorenzugehen? Wenn Gott Neues schafft, geht es auch um Wasserströme und Wege in der Wüste. Gerade in der Moderne – so die Analyse von John M. Hicks (vgl. Hicks) – ist dieser Gedanke problematisch geworden. Von einem gegenwärtigen Handeln Gottes in der Welt konnte dann gar nicht mehr gesprochen werden, so Hicks, sondern allenfalls im deistischen Sinn von einem Gott, der der Entwicklung seiner initialen Schöpfung zuschaut. Die Postmoderne fand nach Hicks hingegen einen Weg, das Handeln Gottes in der Welt zu retten: nämlich in einem personalistischen Sinn, über die Einwirkung auf das Innere des Menschen.

Bei Romano Guardini findet sich eine solche personalistische Theologie (vgl. Teuchert, 73–110). Wo Menschen sich ganz auf das Reich Gottes ausrichten und sich in allen ihren Bezügen zur Welt davon bestimmen lassen, da beginnt die Veränderung der Welt bereits, da wird Gottes Reich bereits Wirklichkeit. Um die ganze Schöpfung jenseits der Menschenwelt einbeziehen zu können, muss Guardini allerdings auf eine Schichtenontologie zurückgreifen, die davon ausgeht, dass höhere Schichten die unteren integrieren und dadurch neu bestimmen. Auf breite Zustimmung wird eine solche Ontologie heute kaum hoffen dürfen.

Wo Menschen sich ganz auf das Reich Gottes ausrichten und sich in allen ihren Bezügen zur Welt davon bestimmen lassen, da beginnt die Veränderung der Welt bereits, da wird Gottes Reich bereits Wirklichkeit.

Es wäre zu überlegen, ob sich das Problem mithilfe einer relationalen Ontologie lösen ließe: mit der Vorstellung also, dass etwas erst durch seine Bezüge zu dem wird, was es ist – ein Stück Stoff zu einer Fahne zum Beispiel (vgl. Teuchert). Im Bemühen, die Wandlung bei der Eucharistie für die Gegenwart zu formulieren, hatten einen ähnlichen Versuch schon Theologen wie Edward Schillebeeckx und Piet Schoonenberg unternommen: Es ist der Bezugskontext, der aus Brot und Wein Leib und Blut Christi werden lässt. Wenn Sinn und Zweck (finis) und Bedeutung (signum) verändert werden, ändert sich auch, was die Dinge sind, so die These. So entsteht die Vorstellung einer Transformation der Welt durch ‚Transfinalisation‘ und ‚Transsignifikation‘. Das hat Anklänge an Effekte des Framings, wie sie zum Beispiel in der Psychotherapie oder im Journalismus bekannt sind: Der Kontext, in den Ereignisse gestellt werden, bestimmt, was sie (für jemanden) sind. Gott würde die Welt dadurch transformieren, dass er das Vorhandene in neue Bezüge, in einen neuen Kontext stellt, sie seinem Reich dienen lässt. Aber auch diese Ontologie kann nicht als allgemeinhin akzeptiert gelten. Sie steht zudem im Verdacht, letztlich doch nur einen Perspektivwechsel bei den Menschen zu beschreiben, abgesehen von der Gefahr einer fragwürdigen Umdeutung des Geschehenen („Die Krise immer als Chance sehen“ usw.).

Die systematische Frage, die hier an die Vorstellung einer Transformation der Welt als Gottes ‚Weltprojekt‘ gerichtet bleibt, lautet also: Wie ‚objektiv‘, wie ontologisch weit muss der Gegenstandsbereich von Gottes Handeln gedacht werden, damit der Universalitätsanspruch des christlichen Schöpfungs- und Neuschöpfungsglaubens gewahrt bleibt, und wie ‚subjektiv‘, wie eng, damit der cooperatio-Aspekt des Handelns Gottes zur Geltung kommt?

FAZIT: LEISTUNGEN UND GRENZEN DER VORSTELLUNG, GOTTES GEGENWÄRTIGES HANDELN ALS TRANSFORMATION ZU DENKEN

Wenn wir uns vorstellen, dass Gott die Welt laufend transformiert, geht es weniger um die Hoffnung auf ein zukünftiges Handeln, das die Welt ersetzt oder auf den Werkszustand zurückstellt. Es geht in dieser Vorstellung viel stärker um die Zeit zwischen erster und zweiter, alter und neuer Schöpfung. Dieser Zwischenraum erhält eine gewichtige Bedeutung. Das kann Menschen motivieren und daran glauben lassen, dass es von Relevanz ist, wo sie in der Geschichte mitmischen, und dass sie mitten in dieser Geschichte entdecken können, wo Gottes Neuschaffen schon jetzt anhebt. In den Reich-Gottes-Theologien von Albrecht Ritschl bis Martin Luther King wurde dieser motivationale und hoffnungsspendende Aspekt zur Wirkung gebracht. Darin liegt zweifelsohne eine Stärke. Die Vorstellung, dass Gottes ‚Weltprojekt‘ in einer umfassenden Transformation besteht, wird Gottes Beziehungswesen und Beziehungswillen außerdem besser gerecht als weite Teile der traditionellen Vorsehungslehre, die Gottes Vorsehung im Sinn eines Weltplans oder eines Regenten auf der Wolke gänzlich ohne christliche Grundmomente wie Gottes Beziehung zu Israel, Fleischwerdung, Kreuz und Auferstehung konzipierten. Diese standen oft genug im Zusammenhang mit einem Gottesbild, in dem Gott vom Drama der Weltgeschichte unberührt blieb.

Bei allem Raum für die Freiheit und Selbstentwicklung der Schöpfung darf das rettende, von außen erlösende Moment des Handelns Gottes nicht unterbeleuchtet werden.