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Das Buch "Lebenslinien" ist eine gelungene Mischung aus Kurzgeschichten und Gedichten, wie das Leben sie schreibt. Selbst Erlebtes und vor allem Beobachtetes wird in lebensnahen Kurzgeschichten und Worten präsentiert. Untermalt mit Bildern, auch aus dem Leben gegriffen. Kleine Kunstwerke der Beobachtung. Ein Lesevergnügen der anderen Art.
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Seitenzahl: 75
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„Lebenslinien“ ist eine gelungene Mischung aus Kurzgeschichten und Gedichten, wie das Leben sie schreibt. Selbst Erlebtes und vor allem Beobachtetes wird in lebensnahen Kurzgeschichten und Worten präsentiert.
Untermalt mit Bildern, auch aus dem Leben gegriffen. Kleine Kunstwerke der Beobachtung.
Ein Lesevergnügen der anderen Art.
Jule Stahlberg ist Diplom Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und Australian Shepherd Hündin „Jody“ an der Nordsee.
Sie schreibt bereits seit ihrem achten Lebensjahr, hat viele Jahre für die ortsansässige Tageszeitung als freie Mitarbeiterin geschrieben.
Ihr Debütroman „Der Weg der Amsel“, den sie mit ihrer Freundin und Coautorin Sjamme Heibült vor zwei Jahren veröffentlichte, erfreut sich einer breiten Leserschaft.
Und so darf man gespannt sein, wie hier der Spagat zwischen Prosa und Poesie gelingt.
Dame mit Hut
Narben
Ein Ozean Abstand
Wenn Du gehst
SchwOma
Rückwärts
Das zweite Mal
Auch morgen Kaffe
Hinterhofromanze
Lampenschirme
Beziehungsweise
Kindheitserinnern
Einmal Labyrinth und zurück
Das Landei
Oh wie schön ist Panama
Abendstimmung
Port Lockroy
Burnout
Wenn eine, eine Reise tut
Urlaubsmuffel
Wo Großmutters Wiege stand
Eine Rose für mich
Mittsommernacht
Neue Wege
Versunken betrachtete Ella die Auslagen hinter der Schaufensterscheibe, vor der sie seit nun geschlagenen 15 Minuten regungslos stand.
Einer schöner, als der andere, prächtig anzusehen in ihrer Perfektion, den bunten Farben, den Mustern und Materialien, der Kunstfertigkeit der Hutmacherin. „Um Gotteswillen Kind, doch nicht bei deinem runden Gesicht,“ hörte sie die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.
Ella seufzte leise, wandte sich ab und machte sich endgültig auf den Weg ins Büro. Heute Abend auf dem Rückweg hatte sie ja wieder die Möglichkeit diese wunderschönen Hüte, die nie und nimmer für sie geeignet sein würden, zu betrachten - immerhin betrachten.
Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu und neben dem Entenfüttern im Park am Wochenende war es Ellas ganze Freude, jeden Tag auf dem Wegzur Arbeit und zurück die sich verändernde Auslage im Geschäft der Hutmacherin anzusehen. Heute nun würden die Herbstmodelle rauskommen und Ella war den ganzen Tag schon so aufgeregt, dass die Vorfreude einen rosigen Glanz auf ihre Wangen zauberte.
„Na Ella, endlich mal eine Verabredung,“ grinsend foppte Lucy sie, genau wissend, dass dem nicht so war. Ella runzelte ärgerlich die Stirn. „Nein,“ antwortete sie barscher, als sie wollte, denn eigentlich mochte sie die fröhliche Lucy mit den roten Locken als Kollegin ganz gern. Sie hatte immer gute Laune und keine Probleme damit ihr reges Privatleben unbekümmert mit den Kollegen der Abteilung zu teilen.
Aber heute konnte sie Lucy nicht leiden, nicht wenn es um etwas so wichtiges wie die neue Kollektion der Herbsthüte ging.
Unkonzentriert werkelte Ella an diesem Tag vor sich hin, eigentlich nicht ihre Art, aber viermal im Jahr ganz genau immer zu der Zeit wenn die neuen Hüte ausgestellt wurden, konnte sie nicht anders. Sie konnte nicht anders als den ganzen langen Tag in Gedanken bei diesen herrlichen Stücken zu sein und sie konnte nicht anders als furchtbar wütend über dieses ewige „Kind Dein rundes Gesicht“ in ihrem Kopf zu sein! Die Herbstmodelle! Ella seufzte still auf und zwang sich, sich auf ihre Ablage zu konzentrieren.
Die ersten Flocken sausten im Wind um Ellas Nase, die dick in einen Schal gepackt war.
„Herrlich, diese kleine Mütze mit dem entzückenden Fellrand,“ sinnierte Ella und drückte sich fast die Nase an der mit Eisblumen beschlagenen Scheibe platt. Die junge Verkäuferin von drinnen winkte ihr fröhlich zu, sie waren ja inzwischen schon sowas wie Freundinnen.
„Schaufensterfreundinnen,“ grummelte Ella missgelaunt und ging weiter in die zumindest warmen Büroräume.
Flirrende hellgrüne Blätter der ersten Frühlingstage spiegelten sich in der frisch geputzten Scheibe des Schaufensters mit den ersten neuen Hüten der Saison. Ella lächelte der jungen Verkäuferin zu, die gerade einen unglaublich schönen knallroten Hut aus Madeira Spitze mit breiter Krempe drapierte.
„Unglaublich dieser Hut,“ ging es Ella durch den Kopf ,“ob ich ihn einfach mal ß“ „Gott bewahre Kind, dein rundes Gesicht,“ Ella schüttelte den Kopf und wollte gerade weiter gehen, als sie eine Hand an ihrem Arm spürte.
Die junge Verkäuferin lächelte sie an, in den Händen hielt sie den unglaublichen Hut, der warme Frühlingswind spielte mit den schwarzen langen Bändern aus Spitze, „Wollen sie ihn nicht einfach nur mal ausprobieren, er müsste sehr gut zu ihrem dunklen Harr passen,“ fragend blickte die Schaufensterfreundin sie an. “Ich,“ stotterte Ella,“ ich äh, ich – muss zur Arbeit. “ Schnell wollte sie sich abwenden und losstürmen.
„Heute ist Samstag,“ sagte die Verkäuferin,“ da haben sie doch frei! Nur mal probieren, sie müssen ihn ja nicht kaufen, oder?“ sie lächelte Ella gewinnend an. Ella folgte der Verkäuferin vorsichtig in das Geschäft, als beträte sie etwas sehr Heiliges, als hätte sie Angst, etwas Wundervolles zu stören, durch ihr Eintreten.
“Gott, du hast so ein schrecklich rundes Gesicht, Kind, armes, liebes, sei nicht all zu betrübt, es kann eben nicht jeder Hut tragen.“
Das ewige Hutthema wollte einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Ella riss der jungen Frau den Hut fast aus den Händen und setzte sich ihn zornig auf den Kopf. Immer noch wütend blickte sie in den Spiegel und hielt die Luft an. „Der,“ japste sie,“ der ist ja einfach un glaublich!“ Erstaunt blickte Ella auf die dunkelhaarige junge Frau im Spiegel, mit den strahlend himmelblauen Augen und dem lachenden Mund,“ der ist einfach irre schick!“ rutschte es aus ihr heraus. „Ja,“ lachte die Verkäuferin,“ der ist irre schick, wie für sie gemacht.“
Ella war schwindelig, schrecklich schwindelig, immer noch flau und schwindelig, als sie den inzwischen vollen Gehweg Richtung ihrer Wohnung eilte. Sie hatte es getan! Unglaublich, sie hatte ein horrendes Geld ausgegeben, nur für sich, für sich allein, für einen sündhaft teuren, unglaublich mondänen, einfach irre schicken Hut! Lachend drehte sie sich im Kreis, eine Hand an der breiten Krempe, damit ihr die neue Errungenschaft nur nicht vom Kopf wehte – lachend und lachend – und glücklich! Sie bemerkte den jungen Mann nicht, den sie dabei anrempelte und auch nicht die ältere Dame mit dem dicken Mops, die ihr ungläubig nachsah, oder die junge Frau mit dem Kinderwagen, die sich mit ihr freute. Der Hut, der schicke rote Hut war jetzt ihrer! Ella blätterte in der Sonntagszeitung, wie es an den langen ruhigen Sonntagen ihre Gewohnheit war, eine Tasse Kaffee neben sich und zwei Kekse das Brot für die Enten hatte sie schon auf der Kommode neben der Tür bereit gelegt, nachher noch eine Stunde in den Park.
Auf einmal fiel ihr Blick auf dicke schwarze Buchstaben:
Dame mit Hut! stand da geschrieben.
Ich habe Dich letzten Samstag in der
Stadt gesehen
und gleich sind mir Deine wunderbar
strahlenden Augen
aufgefallen. Ich möchte Dich gerne
wiedersehen
Wenn Du auch magst, komm Sonntag
gegen drei
in den Stadtwaldpark. Ich warte am
Ententeich.
Ellas Blick flog zur Uhr, zwanzig vor drei! Wenn sie sich beeilte, konnte sie es noch schaffen, wenn – oh Gott – wenn…..!
Ella sprang auf, rannte zur Tür, griff im Vorbeilaufen ihren Hut, ihre Schlüssel und mit einem Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
„Das Entenbrot!“ Schoss es Ella durch den Kopf, als sie die Treppe hinuntersauste, „das dumme Entenbrot,“ lachend hetzte Ella weiter.
E
Egal – Entenfüttern war gestern!
Die junge, dunkelhaarige Krankenschwesterschülerin begrüßt mich einem fröhlichen „Guten Morgen, ich möchte gerne Blutdruck und Temperatur messen, sind sie sie wach genug?“ Da ich bereits seit 06.00
Uhr sozusagen gestiefelt und gespornt in meinem Bett sitze, habe ich nichts gegen die übliche Morgenroutine. Sie legt die Blutdruckmanschette an und guckt aufmerksam auf den Bildschirm, alles ganz modern hier. Während sie guckt, gucke ich auch und bemerke die vielen feinen, kaum sichtbaren weißen Narben an ihrem Unterarm.
Die kenne ich, solche kenne ich. Ich kenne sie aus den vielen Jahren meiner Tätigkeit in der Psychiatrie. Da ich mit meinen inzwischen stolzen 60 Jahren kein Fan von totschweigen und weggucken mehr bin, spreche ich sie an.
„Was hat das Leben denn da mit ihnen gemacht?“, frage ich und lächle sie an. Sie wird ein bisschen rot, versucht aber nicht ihren Arm zu verstecken. Das finde ich gut und es erhöht meine Sympathie für sie. „Ach das,“ sagt sie und fährt mit der freien Hand über die feinen Linien. „Das war glaube ich so ein Pupertätsding. Ich kannte mich selbst nicht mehr und kannte mich nicht mehr aus. Alleswar so anders und neu und ich würde das heute nie, nie mehr machen.“ „Hm,“ ich runzle ein wenig die Stirn, „ich kenne diese Narben, es gibt einige junge Mädchen bei uns in der Psy, die sie tragen. Das Leben macht manchmal Narben. Manche Menschen tragen sie in sich, manche tragen sie aussen und manchen eben innen und aussen. Ich kenne keinen, der keine davongetragen hat. Wo auch immer.“ „Ja,“ sagt sie, „das ist wohl so. Ich würde es heute trotzdem nicht mehr machen.