Lederstrumpf - James Fenimore Cooper - E-Book

Lederstrumpf E-Book

James Fenimore Cooper

0,0

Beschreibung

Generationen von Lesern haben sich an den "Lederstrumpfgeschichten" Coopers begeistert und die Abenteuer verfolgt, die der Fallensteller und Waldläufer Natty Bumppo und sein Freund, der Delawarenhäuptling Große Schlange, in den Zeiten der Besiedlung Amerikas zu bestehen haben. Sie werden von den vordringenden Siedlern immer weiter nach Westen verdrängt und müssen erleben, daß der Untergang des roten Mannes besiegelt ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 876

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nach einer alten Übersetzung bearbeitet von Franziska Kleiner

Titel der amerikanischen Originalausgaben:

The Deerslayer, The Last of the Mohicans,

The Pathfinder, The Pioneers, The Prairie

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Verlag Neues Leben – eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book: 978-3-355-50052-4

1. Auflage dieser Ausgabe 2018

© 2005 Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlagentwurf: Buchgut, Berlin,

www.eulenspiegel.com

Inhalt

Wildtöter

Der letzte Mohikaner

Der Pfadfinder

Die Ansiedler

Die Prärie

Wildtöter

Erstes Kapitel

Die Ereignisse, die wir hier erzählen wollen, trugen sich zwischen den Jahren 1740 und 1745 zu, in einer Zeit, da die Ansiedlungen der Ko­lonie New York sich auf die vier atlantischen Grafschaften, einen schmalen Landstrich zu beiden Seiten des Hudson und auf einige wenige vorgeschobene Nachbarschaften an den Ufern des Mohawk und des Schoharie beschränkten.

Die Sommersonne hatte schon seit Jahrhunderten die Spitzen der stolzen Eichen und Föhren erwärmt und ihre Glut bis in deren zähe Wurzeln hinabgesandt, als eines Tages Stimmen aus den Tiefen des Urwaldes erschollen, dessen laubige Wipfel im strahlenden Licht eines wolkenlosen Junitages gebadet lagen, während darunter, im tiefen Schatten, die Stämme der Bäume sich düster und gewaltig aus dem Boden erhoben.

Es waren zwei Stimmen, die einander zuriefen, und sie kamen von zwei Männern, die ihren Weg verloren hatten und in verschiedenen Richtungen suchten. Schließlich verkündete ein lauter Ruf, daß die Mühe von Erfolg gekrönt worden war, und dann brach der eine der Männer aus dem dichtverschlungenen Labyrinth hervor und betrat eine Lichtung.

»Endlich wieder Luft!« rief der Mann, sobald er sich im Freien befand, und er schüttelte seinen mächtigen Leib wie ein Fleischerhund, der soeben aus tiefem Schnee kommt. »Hurra, Wildtöter! Endlich wieder Licht! Und drüben liegt der See.«

Diese Worte waren kaum gesprochen, als der zweite Waldbewohner die Büsche über dem Sumpf zur Seite bog und auf der Lichtung erschien. Eilends richtete er seine Waffen und seine in Unordnung geratene Kleidung, dann begab er sich zu seinem Gefährten, der bereits Vorkehrungen für eine Rast traf.

»Kennt Ihr den Platz?« fragte der, den der andere Wildtöter genannt hatte, »oder galt Euer Jauchzen nur der Sonne?«

»Beides, Junge, beides. Ich kenne den Platz und bin nicht böse, daß ich einen so nützlichen Freund wie die Sonne sehe. Ich will nicht Harry Hurry heißen, wenn dies nicht der Platz ist, auf dem die Landsucher im letzten Sommer gelagert haben. Schaut, dort liegt das abgestorbene Strauchwerk von ihrer Hütte, und hier ist die Quelle. – So gern ich die Sonne habe, mein Junge, brauche ich sie doch nicht, um zu wissen, daß Mittag ist; mein Magen ist ein so guter Zeitmesser wie irgendeine Uhr in der Kolonie, und er zeigt schon auf halb eins. Öffne also deinen Quersack, damit ich das Werk wieder für sechs Stunden aufziehen kann.«

Nach diesem Vorschlag gingen beide an die Vorbereitungen für ihr einfaches Mahl. Ein edleres Bild kraftvoller Männlichkeit, als jener bot, der sich Harry Hurry nannte, wäre schwer zu finden gewesen. Sein wirklicher Name war Henry March; aber die Grenzleute, die von den Indianern die Gewohnheit der Spitznamen angenommen hatten, nannten ihn Harry Hurry, was etwa Heinz Eilig oder Der Rasche Heinz bedeutet. Er hatte sich diesen Spitznamen durch sein hastiges, sorgloses und rücksichtsloses Wesen erworben und durch eine Ruhelosigkeit, die ihn beständig auf den Beinen hielt, so daß er in fast allen der weitverstreuten Ansiedlungen zwischen der Kolonie und Kanada bekannt war. Harry Hurry war mehr als sechs Fuß, vier Zoll hoch, und da er überaus wohlgebaut war, entsprach seine Kraft völlig den Erwartungen, die sein riesenhafter Körper erweckte. Das Gesicht war gutmütig und hübsch, sein Ausdruck gerade und frei.

Wildtöter, wie Harry seinen Gefährten nannte, war ebenfalls wohl sechs Fuß hoch, aber seine Gestalt war zart und schlank im Vergleich zu der Harrys, zeigte jedoch immerhin eine Muskulatur, die, wenn nicht ungewöhnliche Kraft, so doch ungewöhnliche Behendigkeit verriet. Sein Gesicht war nicht auffallend, es lag ein Ausdruck von Ehrlichkeit, ernstem Willen und aufrichtiger Empfindung in ihm.

Beide Grenzer waren noch jung. Harry Hurry mochte sechs- oder achtundzwanzig Jahre zählen, während Wildtöter einige Jahre jünger zu sein schien. Beider Anzüge bestanden zum großen Teile aus gegerbten Hirschhäuten und wiesen all die üblichen Zeichen dafür auf, daß diejenigen, welche sie trugen, ihre Zeit an den Grenzen der zivilisierten Gesellschaft und im unendlichen Urwald verbrachten. Doch zeigte sich in der Anordnung von Wildtöters Kleidung ein gewisses Streben nach Nettigkeit und malerischem Aussehen, besonders in seinen Waffen und seiner Ausrüstung. Seine Büchse war in hervorragendem Stande, der Griff seines Jagdmessers sauber geschnitzt, sein Pulverhorn mit entsprechenden Sinnsprüchen verziert und seine Kugeltasche mit Wampumstickerei geschmückt. Harry Hurry hingegen trug sich in einer sorglosen unordentlichen Art.

»Kommt, Wildtöter, greift zu und zeigt, daß Ihr einen Delawaren-Magen habt, wenn Ihr Euch schon immer rühmt, eine Delawaren-Erziehung erhalten zu haben!« rief March und gab das Beispiel, indem er ein Stück kalten Wildbrets in seinen Mund schob, das soviel wie das ganze Mahl eines europäischen Bauern ausmachte. »Greift zu, Junge, und beweist jetzt mit den Zähnen dieser Hirschkuh, daß Ihr Euren Mann steht, wie Ihr es vorher mit der Büchse getan habt.«

»Nein, nein, Harry Hurry, es ist keine Heldentat, eine Hirschkuh niederzuschießen, noch dazu in der Schonzeit«, erwiderte der andere. »Die Delawaren haben mir meinen Namen nicht wegen meines kühnen Herzens gegeben, sondern weil ich ein sicheres Auge und rasche Beine habe.«

»Die Delawaren sind selber keine so großen Helden«, brummte Harry durch die Zähne, »sonst hätten sie sich wohl von den landstreichenden Vagabunden, den Mingos, nicht zu Weibern machen lassen.«

»Man hat die Sache nie richtig aufgeklärt, sagte Wildtöter ernst. »Die Mingos erfüllen die Wälder mit ihren Lügen und geben den Worten und Verträgen einen falschen Sinn. Ich lebe jetzt zehn Jahre unter den Delawaren und weiß, daß sie so tapfer sind wie jedes andere Volk.«

»Hört mal, Wildtöter, da wir nun einmal dabei sind, könnten wir offen miteinander sprechen. Ihr habt so viel Glück mit dem Wild gehabt, daß es Euch einen Beinamen eingetragen hat. Aber sagt, habt Ihr je auf was Menschliches geschossen? Habt Ihr je die Flinte auf einen Feind abgedrückt, der sie auch auf Euch abdrücken könnte?«

Eine eigentümliche Scham spiegelte sich in den offenen Zügen des jungen Mannes.

»Die Wahrheit zu gestehen, ich hab’s nie getan«, antwortete er schließlich. »Die Delawaren haben Frieden gehalten, so lange ich bei ihnen lebte, und ich halte es für schlecht, einem Menschen das Leben zu nehmen, ausgenommen in einem offenen und ehrlichen Krieg.«

»Was? Habt Ihr nie einen Burschen beim Stehlen an Euren Fallen und Häuten ertappt und das Gesetz an ihm mit eigenen Händen vollzogen, dem Richter in den Ansiedlungen so die Mühe erspart und dem Halunken die Prozeßkosten?«

»Ich bin kein Trapper, Harry Hurry«, erwiderte der junge Mann stolz, »ich lebe von meiner Büchse; und wenn’s auf die ankommt, so will ich’s mit jedem aufnehmen zwischen dem Hudson und dem Sankt-Lorenz-Strom. Ich hab noch nie ein Fell verkauft, das nicht ein Loch im Kopf gehabt hätte neben denen, die die Natur zum Sehen und zum Atmen gemacht hat.«

»Ja, ja das mit den Tieren ist schön und gut, hat aber sehr wenig zu bedeuten neben einem Skalp und einem Hinterhalt. Wer einen Indianer aus dem Busch erschießt, der handelt nach dessen eigenen Regeln. Und jetzt, wo wir noch dazu das haben, was Ihr einen ehrlichen Krieg nennt, sag ich Euch eins: Mich werdet Ihr nicht lange in Eurer Gesellschaft haben, lieber Natty, wenn Ihr Euch nicht für Eure Schießübungen etwas aussucht, das höher gewachsen ist als die vierfüßigen Tiere.«

»Unsere Reise ist bald beendet, wie Ihr sagt, March, und wir können noch heute auseinandergehen, wenn’s Euch gefällt. Ihr wißt, ich treffe hier einen Freund, der’s für keine Schande hält, mit einem Menschenbruder umzugehen, der noch nie seinesgleichen getötet hat.«

»Wenn ich nur wüßte, was den schleichenden Delawaren so früh im Jahr in diese Gegend führt«, murmelte Harry Hurry vor sich hin. »Wo, sagt Ihr, soll der junge Häuptling Euch treffen?«

»An einem kleinen runden Felsen in der Nähe des Seeufers, wo die Stämme häufig hinkommen, um ihre Verträge zu schließen und die Streitäxte zu begraben. Die Mingos, wie wir Waldläufer die Irokesen nennen – andere sagen Huronen oder Maquas – und die Mohikaner behaupten beide, daß das Land ihnen gehört, und in Friedenszeiten ist’s auch so eine Art Gemeingebiet zum Fischen und Jagen. Gott weiß, was in Kriegszeiten daraus werden mag.«

»Gemeingebiet!« rief Harry laut lachend. »Da möcht ich doch wissen, was der Schwimmende Tom dazu sagen wird. Er sagt, der See ist sein Eigentum, weil er seit fünfzehn Jahren darauf herumschwimmt.«

»Und was wird die Kolonie zu dem Streit sagen? Das Land muß doch irgend jemandem gehören. Die großen Herren dort, die erheben ja selbst Anspruch auf diese Wildnis hier, wenn auch keiner von ihnen in eigener Person auch nur in sie hineinzuschauen wagt.«

»Das mag für die anderen Teile der Kolonie gelten, Wildtöter, hier nicht. Kein menschliches Wesen hat je einen Fußbreit Grund und Boden in diesem Teil des Landes besessen; keiner ist je in eine Eigentumsurkunde eingetragen worden. Und so hat der alte Tom ein größeres Recht daran als irgendein anderer auf der Gotteswelt.«

»Nach dem, was Ihr erzählt Harry Hurry, muß der Schwimmende Tom ein seltsamer Mensch sein; woher kommt er denn?«

»Der alte Tom ist kein richtiger Mensch, eher eine Moschusratte, jedenfalls hat er mehr von der Art dieses Tieres als von der Art irgendeines anderen lebenden Geschöpfes. Einige sagen, daß er in seiner Jugend ein freies Leben auf dem Meer geführt habe, im Verein mit einem gewissen Kidd, den sie als Seeräuber gehenkt haben, lange bevor wir beide auf der Welt waren. Und man erzählt sich auch, daß er in diese Gegend gekommen ist, weil er sich dachte, daß die königlichen Kreuzer nicht über die Berge fahren werden und er seinen Raub hier in den Wäldern in Frieden genießen kann.«

»Da irrt er, Harry. Nirgends kann ein Mensch seinen Raub in Frieden genießen.«

»Das kommt wohl nur auf seine Gemütsart an. Der alte Tom, der genießt seinen Teil, wenn er wirklich was erwischt hat, mit seinen Töchtern in schönster Ruhe und Bequemlichkeit und ist wunschlos glücklich.«

»Ganz recht, er hat ja auch Töchter. Ich habe die Delawaren, die in diesen Gegenden gejagt haben, des öfteren allerlei Geschichten von diesen jungen Frauenzimmern erzählen hören. Ist denn keine Mutter bei ihnen?«

»War einmal, selbstverständlich; ist aber tot und versenkt, seit mehr als zwei Jahren.«

»Wie?« fragte Wildtöter und sah seinen Kameraden erstaunt an.

»Tot und versenkt, sag ich. Der alte Bursche hat sein Weib in den See hinabgelassen. Aber ob er es getan hat, um sich das Graben zu ersparen, oder weil er dachte, daß das Wasser die Sünden eher abwäscht als die Erde, das ist mehr als ich sagen kann. Aber vor der Esther hab ich alle Achtung; denn mehr Empfehlung braucht ein Frauenzimmer nicht, als eine Tochter wie Judith Hutter geboren zu haben.«

»Ja, Judith war der Name, den die Delawaren nannten. Wenn ich dran denke, was sie sagten, kann ich wohl nicht glauben, daß das Mädel nach meinem Geschmack wäre.«

»Nach deinem Geschmack!« rief March, den die Gleichgültigkeit wie die Vermessenheit seines Kameraden gleichermaßen in Hitze brachte. »Seit wann, zum Teufel, hast du denn einen Geschmack, und noch dazu, wenn’s sich um ein Weib handelt? Du bist ja nur ein Jüngelchen.«

»’s ist Juni, Harry Hurry, und nicht eine Wolke ist zwischen der Sonne und uns; spart also Eure Hitze«, antwortete der andere durchaus ruhig, »jeder Mensch kann seinen Geschmack haben, und ein Eichhörnchen hat ein gutes Recht, sich seine Meinung über eine Wildkatze zu bilden.«

»Schon gut, ’s mag aber nicht immer klug sein, sie der Wildkatze zu sagen«, grollte March. »Kommt, Wildtöter«, fügte er nach kurzem Nachdenken gutmütig lachend hinzu, »kommt, wir sind geschworene Freunde. Wir werden doch nicht über ein eingebildetes Weibsstück in Streit geraten. Um Euch die Wahrheit zu sagen, Wildtöter, ich hätte das Mädel schon vor zwei Jahren geheiratet, hätten mich nicht zwei Dinge abgehalten, und das eine war ihr Leichtsinn.«

»Und was mag wohl das andere gewesen sein?« fragte der Jäger, der zu essen fortfuhr wie einer, den die Sache nicht sonderlich interessierte.

»Daß ich nicht sicher war, ob sie mich haben wollte. Das Frauenzimmer ist hübsch, und sie weiß es gut. Aber leider Gottes hat sie Fehler, über die ich nicht hinwegsehen kann, und manchmal schwör ich, nie wieder hier an den See zu kommen.«

»Das wird wohl der Grund sein, weshalb Ihr immer wiederkommt. Durch Schwören und Fluchen wird nichts fester oder sicherer.«

»Wenn Ihr von der Judith alles wüßtet, was ich weiß, dann würdet Ihr ein wenig Fluchen schon angebracht finden. Die Offiziere von den Forts am Mohawk kommen manchmal an den See zum Fischen und Jagen, und dann ist die Kreatur ganz außer sich. Man sieht’s an der Art, wie sie ihren Schmuck und Putz trägt, und daran, was für Faxen sie mit all den Kurschneidern macht.«

»Das ist unziemlich für die Tochter eines armen Mannes«, erwiderte Wildtöter ernst. »Die Offiziere sind feine Herren, und wenn sie ein Mädchen wie Judith ansehen, so kann’s nur mit schlechten Absichten sein.«

»Wenn ich mir nur über die verdammten Offiziere keine Gedanken machen müßte, dann würde ich ja das Mädel mit Gewalt entführen und sie heiraten. Der alte Tom kann sich um seine andere Tochter, die Hetty, kümmern.«

»Wie, ist noch ein Vogel im Nest?« fragte Wildtöter, die Augen erhebend. »Die Delawaren haben mir nur von einer erzählt.«

»Das ist auch ganz natürlich, wenn man von Judith und Hetty Hutter spricht. Hetty ist nur nett, ihre Schwester aber, Bursche, das sag ich dir, die ist ein Mädel! Hetty will immer gern den rechten Weg gehen, aber manchmal weiß sie nicht wie. Die arme Hetty ist, wie ich’s nenne, nicht ganz klug im Kopf.«

»Solche stehen in des Herrn besonderer Hut«, sagte Wildtöter feierlich. »Denn er sorgt für alle die, die nicht ihr ganzes Teil Vernunft haben. Auch die Rothäute haben Ehrfurcht vor ihnen, denn der böse Geist sucht sich eher einen geistig Reichen.«

Harry achtete kaum auf Wildtöters Worte und hing seinen eigenen Gedanken nach. »Wäre schrecklich für mich, wenn ich die Judith verheiratet fände nach den sechs Monaten, die ich fort war!«

»Habt Ihr denn das Wort des Mädchens, daß Ihr Euch Hoffnungen macht?«

»Ganz und gar nicht. Ich weiß nicht, wie’s kommt. Ich seh doch gut aus, das kann ich in jeder Quelle bestätigt finden, auf die die Sonne scheint, und doch hab ich das Mädel nie so weit gekriegt, daß sie mir ein Versprechen oder auch nur ein herzliches, gutes Lächeln gegeben hätte. Wenn sie sich aber unterstanden hat, in meiner Abwesenheit zu heiraten, dann kann sie die Freuden der Witwenschaft kennenlernen, ehe sie zwanzig ist!«

»Ihr würdet doch dem Mann nichts antun, den sie genommen hat, bloß weil er mehr nach ihrem Geschmack war als Ihr?«

»Nicht? Warum nicht? Wenn ein Feind meinen Weg kreuzt, schlag ich ihn tot! Wenn wir jenseits der Gesetze leben, dann müssen wir unsere eigenen Richter und Scharfrichter sein. Und wenn ein Mann eines Tages in den Wäldern tot gefunden wird, wer will dann sagen, wer ihn erschlagen hat?«

»Wenn der Tote gerade Judith Hutters Mann wäre, dann könnte ich, nach dem, was ich eben gehört habe, gerade genug sagen, um die Kolonie wenigstens auf die rechte Fährte zu bringen.«

»Du! Du halbgarer, wildbretjagender Bengel! Du wolltest wagen, den Harry Hurry anzuzeigen?«

»Ich wage schon, die Wahrheit zu sagen, Harry Hurry, ob’s Euch betrifft oder irgendeinen Menschen auf der Welt.«

March sah seinen Kameraden einen Augenblick mit stummer Verwunderung an. Dann faßte er ihn mit beiden Händen an der Gurgel und schüttelte seinen schmächtigen Körper mit einer Heftigkeit, die dem anderen einige Knochen zu verrenken drohte. Und dies geschah durchaus nicht im Scherz. Zorn blitzte aus den Augen des Riesen.

»Ich dachte, wir wären Freunde«, sagte March schließlich. »Aber Ihr habt heute das letzte Geheimnis von mir gehört.«

»Ich verlange auch keins zu wissen, wenn sie von dieser Art sind. Aber da habt Ihr meine Hand, und wir wollen nicht länger von der Sache reden und nicht mehr daran denken. – Laßt uns aufbrechen, um die Schwestern selbst zu sehen.«

Harry Hurry brach er in ein lautes, gutmütiges Gelächter aus, das ihm Tränen in die Augen trieb, nahm die dargebotene Hand, und beide waren wieder versöhnt.

Die Überbleibsel des Mahles waren rasch aufgelesen; dann schulterten die Reisenden ihre Bündel, nahmen ihre Waffen auf, verließen die kleine Lichtung und verschwanden in den tiefen Schatten des Waldes.

Zweites Kapitel

Die beiden Abenteurer brauchten nicht weit zu gehen. Harry Hurry hatte bald die Richtung wiedergefunden und schritt voran. Der Wald lag dunkel, aber kein Unterholz versperrte mehr den Weg, und der Fuß trat auf sicheren und trockenen Boden. Sie waren etwa eine Meile vorgedrungen, als March plötzlich anhielt, spähend um sich blickte, verschiedene Gegenstände sorgfältig prüfte und längere Zeit in Betrachtung der gefällten Baumstämme verharrte, die überall umherlagen.

»Das muß die Stelle sein, Wildtöter«, sagte er schließlich.

»Ihr meint das gekrümmte Fichtenstämmchen, das in den Zweigen des Unterholzes festgehakt ist?«

»Und meine Hand war’s«, rief Harry Hurry aus. »Ich muß zugeben, Wildtöter, Ihr habt wirklich ein famoses Auge für Spuren in den Wäldern.«

»Es geht, Harry Hurry; es wird immer besser, das gebe ich zu, ist aber doch nur wie ein Kinderauge, wenn ich an einige andere denke. Da ist Tamenund, der ist heute so alt, daß wenige sich an seine Jugend erinnern können, und doch entgeht nichts seinem Blick. Der ist schon beinahe so scharf wie der Geruch eines Jagdhundes. Dann Unkas, Chingachgooks Vater, der rechtmäßige Häuptling der Mohikaner; es ist fast unmöglich, an dem ungesehen vorbeizuschleichen. Meins wird immer besser, ich geb es zu, aber es ist noch lange nicht vollkommen.«

»Wer ist eigentlich Chingachgook, von dem Ihr so viel redet?« fragte Harry Hurry, während sie auf das Fichtenstämmchen zuschritten. »Eine umherstreifende Rothaut bestenfalls, was?«

»Nein, das ist er nicht, Harry Hurry; er ist die beste von allen umherstreifenden Rothäuten, wenn Ihr sie so nennen wollt. Geschähe ihm sein Recht, so wäre er ein großer Häuptling. So aber ist er nur ein tapferer und rechtschaffener Delaware; denn sein Volk ist gefallen. Ach, Harry Hurry, auch Euer Herz würde warm werden, wenn Ihr in den Winternächten in ihren Hütten säßet und sie von der alten Größe der Mohikaner erzählen hörtet!«

»Hört einmal, Freund Nathaniel«, sagte March. Er war stehengeblieben und sah seinem Kameraden voll ins Gesicht. »Wenn ein Mensch das alles glauben wollte, was die anderen Leute von sich selber erzählen, könnt’s ihm geschehen, daß er eine viel zu hohe Meinung von ihnen und eine viel zu geringe von sich selbst bekäme. Und die Rothäute sind die größten Prahlhänse.«

»Seht, da sind wir an dem Fleck, den Ihr sucht«, warf Wildtöter ein.

Diese Bemerkung schnitt das Gespräch ab. Wildtöter wies auf den Stamm einer gewaltigen Linde, die ihre Zeit erfüllt hatte und unter ihrem eigenen Gewicht niedergebrochen war. Sie vermoderte langsam unter dem Einfluß der Witterung, und ihr Inneres war ausgehöhlt.

»Ja, da haben wir, was wir brauchen«, rief Harry Hurry, nachdem er das breitere Ende der Linde gemustert hatte, »und alles so schön in Ordnung, als hätten wir’s in Mutters Kommode gelassen. Kommt, helft mir, Wildtöter, in einer halben Stunde sind wir flott.«

Beide gingen bedächtig an die Arbeit. Zunächst entfernte Harry einige große Rindenstücke, die vor der weiten Höhlung des Baumes lagen. Dann zogen beide ein Rindenkanoe hervor, mit Sitz, Ruder und allem Nötigen, selbst mit Angelruten und Schnüren versehen. Das Boot war durchaus nicht klein, aber doch verhältnismäßig leicht, und die Kraft Harry Hurrys war so groß, daß er es ohne Anstrengung auf die Schulter nahm und selbst beim Aufladen alle Hilfe ablehnte.

Die Männer verließen den Platz. Wildtöter bahnte seinem Gefährten den Weg nach rechts oder links, wie dieser es anordnete. Zehn Minuten später standen sie plötzlich im strahlenden Sonnenlicht auf einer schmalen kiesigen Landzunge, die vom Wasser umspült war.

Ein Ruf des Erstaunens kam von Wildtöters Lippen, ein leiser und vorsichtiger Ruf. Vor ihnen lag eine weite Wasserfläche, so klar und ruhig, daß sie einer Schicht reiner Bergluft glich, die man in einen Rahmen von Hügel und Wald eingepreßt hatte. Ihre Länge betrug etwa sieben Meilen, die Breite war ungleich, an der Landspitze mochte sie etwa anderthalb Meilen betragen, während sie sich gegen Süden um mehr als die Hälfte verringerte. Die Ufer waren unregelmäßig, von Buchten und vielen vorspringenden Landspitzen ausgezackt. Am nördlichen Ende erhob sich ein einzelner Berg, während nach Ost und West das Land flacher abfiel.

Über dem See lag eine feierliche Stille. Wohin das Auge sah, traf es nichts als die spiegelglatte Fläche des Sees, den friedlichen Anblick des Himmels und den dichten Rahmen der Wälder. Nirgends zeigte sich eine Lichtung. So weit das Land zu sehen war, von dem runden Gipfel des Berges bis hinab zum Horizont, wellte sich das ununterbrochene Grün; in üppiger Vegetation hingen die Bäume noch über den See hinaus, aus der Dunkelheit des Waldes nach dem Licht strebend. Niemals und nirgends hatte Menschenhand hier das Werk der Natur entstellt, das in Sonnenlicht gebadet dalag, von den Balsamlüften des Junimonats gemildert und von dem mannigfachen Glanz der riesigen Wasserfläche belebt.

»Großartig! Wunderbar! Da wird ein Mensch besser, wenn er das ansieht!« rief Wildtöter, der auf sein Gewehr gestützt dastand und nach rechts und links, nach Nord und Süd, hinauf und hinab schaute »Harry Hurry, Eure Judith müßte wohl ein braves Frauenzimmer sein, wenn sie ihr Leben auf so einem schönen Fleck zugebracht hat. – Aber was ist denn das dort vor uns? für eine Insel ist’s zu klein und für ein Boot zu groß, und doch steht es mitten im Wasser?«

»Das ist’s ja, was die galanten Herren von den Forts die ›Biberburg‹ nennen. Das ist das feste Haus des alten Tom; denn er hat zwei. Das hier steht still, das andere schwimmt, ist bald da, bald dort im See. Das andere nennen sie die Arche.«

»Seht Ihr etwas von dieser Arche?« fragte Wildtöter.

»Sie liegt gewiß weiter südlich oder ist in einer Bucht vor Anker gegangen. Aber mit dem Kanoe sind zwei Ruderer wie wir in einer Viertelstunde bei der Burg.«

Wildtöter half seinem Kameraden, die verschiedenen Sachen im Kanoe unterzubringen, das bereits im Wasser schwamm. Dann stiegen die beiden Männer ein, und nach einem kräftigen Stoß schoß das leichte Fahrzeug wohl acht oder zehn Klafter über das Wasser hin. Von gleichmäßigen festen Ruderschlägen getrieben, glitt das Boot über die stille Fläche auf den seltsamen Bau zu. Mehrmals hielten die Männer im Rudern inne und schauten um sich, wenn hinter den Spitzen ein weiteres Stück des Sees und bewaldete Berge auftauchten.

»Das erwärmt einem das Herz!« rief Wildtöter, als sie zum vierten oder fünften Male anhielten. »Und kein Mensch, Harry Hurry, sagt Ihr, kann sich Eigentümer all dieser Pracht nennen?«

»Niemand als der König. Der mag wohl so ein Recht beanspruchen, aber er ist so weit fort, daß sein Anspruch den alten Hutter nicht stört.«

»Ich beneide diesen Mann! Ich weiß, ’s ist unrecht, und ich wehre mich dagegen, aber ich beneide ihn!«

»Ihr braucht ja nur Hetty zu heiraten«, rief March lachend. »Der alte Bursche gibt Euch dann sicher einen Anteil am Wild auf fünf Meilen im Umkreis.«

»Kommen die roten Männer oft hier an den See?« fragte Wildtöter, ohne auf die Neckereien des andern zu achten.

»Ja, sie kommen und gehen; manchmal in Trupps, manchmal einzeln.«

»Ich bin wahrhaftig froh, daß Chingachgook diesen See ausgesucht hat, denn noch nie habe ich so etwas Herrliches gesehen.«

»Ja, weil ihr stets bei den Delawaren wart, und dort gibt’s keine Seen. Aber weiter nach Norden und nach Westen gibt’s Seen genug, Wildtöter. Doch eine zweite Judith Hutter gibt’s nicht!«

Dazu lächelte der andere, und beide legten sich wieder rüstig in die Ruder, bis sie auf etwa hundert Schritt an die Burg herangekommen waren. Hier mußte Judiths Bewunderer seine Ungeduld zügeln, da man deutlich sehen konnte, daß das Gebäude im Augenblick unbewohnt war.

Die »Biberburg«, wie irgendein witziger Offizier das Haus scherzhaft genannt hatte, erhob sich mitten im See, eine Viertelmeile vom nächsten Ufer entfernt. Die Strecke zum Nordende des Sees betrug wohl zwei Meilen, und nahezu eine Meile war zum Ostufer zurückzulegen. Das Haus stand auf Pfählen, und unter ihm flutete das Wasser. Da Wildtöter bemerkt hatte, daß der See sehr tief war, begriff er nicht, wie man hier einen Pfahlbau hatte errichten können, bis Harry Hurry ihm erklärte, daß sich an dieser Stelle, etwa sechs bis acht Fuß unter der Wasserfläche, eine lange, schmale Sandbank einige hundert Schritt nach Norden und Süden erstrecke. In diese hatte Hutter die Pfähle getrieben.

»Sie haben dem alten Kerl dreimal das Haus am Land angezündet, die Indianer oder die Jäger. Das eine Mal verlor er dabei seinen Sohn; seit dieser Zeit flüchtet er bei Gefahr aufs Wasser. Da kann ihn niemand an­greifen, wer nicht im Boot kommt, und die Beute und die Skalpe lohnen die Mühe nicht, Kanoes auszuhöhlen. Und die Burg ist kugelsicher.«

Wildtöter wußte genug von den Kriegen an der Grenze, um beurteilen zu können, was für ein uneinnehmbarer Punkt das schwimmende Gebäude war, da die Angreifer in ihren Booten dem Feuer der Belagerten ausgesetzt sein mußten. Auch war der Holzbau so kunstvoll gefügt, daß er weit größeren Schutz als die gewöhnlichen Blockhäuser bot. Wände und Ecken waren aus mächtigen Fichtenstämmen zusammengesetzt, die Balken waren auf drei Seiten geglättet und an jedem Ende mit mächtigen Zapfen versehen. Auf den Spitzen der Pfähle waren massige Schwellen angebracht, in denen entsprechende Löcher ausgebohrt waren; in diese Löcher hatte man die Zapfen der aufrechttstehenden Stämme eingelassen. An den oberen Enden der senkrechten Balken waren Bretter in ähnlicher Weise angebracht. Die Fußböden bestanden aus gleichfalls geglätteten kleinen Balken, das Dach war aus leichten, fest aneinandergeschlossenen Stangen gefügt und mit Rinde bedeckt. Die Balken waren an ihren dünnsten Stellen mindestens zwei Fuß dick. Da sie von ungleicher Breite waren, sah das Haus von außen rauh und uneben aus, aber dank der geglätteten Innenseiten bildeten sie eine einheitliche, feste Wand, die recht schmuck aussah.

Der Kamin war nicht zuletzt ein merkwürdiges Stück der Burg, und Harry Hurry erklärte seinem Kameraden, wie er gemacht worden war.

»Ihr scheint ja die ganze Geschichte der Burg zu kennen, Harry Hurry«, sagte Wildtöter lächelnd.

»Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen, wie sie gebaut wurde«, antwortete Harry. »Es war ein ganzer Trupp von uns am See, in dem Sommer, als der alte Bursche baute, und wir halfen ihm dabei. Der alte Teufel ist nicht geizig mit dem Essen, und da wir oft an seinem Herd gesessen hatten, fanden wir’s nur recht und billig, ihm zur Hand zu gehen, bevor wir mit unseren Häuten nach Albany zogen. Die Hetty, so wenig Verstand sie hat, das Backen und Braten versteht sie wundervoll!«

Während sie so sprachen, war das Kanoe so nahe an die Burg herangekommen, daß nur noch ein Ruderschlag sie von der Anlegestelle trennte. Diese bestand aus einer hölzernen Plattform vor dem Eingang, die etwa zwanzig Fuß im Quadrat messen mochte.

»Das nennt der alte Tom seinen Vorhof«, bemerkte Harry Hurry, während er das Kanoe festband, »’s ist, wie ich dachte: Keine Seele drinnen, die ganze Familie auf der Reise.«

Während Harry Hurry Fischspeere, Angelruten, Netze und ähnliches Zeug im »Vorhof« besah, war Wildtöter mit einer Neugier ins Haus getreten, die er, der Indianerart so sehr angenommen hatte, nicht oft zeigte. So sonderbar die Burg von außen schien, so tadellos sauber war sie im Innern. Der ganze Raum, etwa zwanzig Fuß breit und vierzig lang, war in mehrere schmale Zimmer unterteilt. Das Gemach, das er zuerst betreten hatte, diente offenbar als Wohnzimmer und Küche. Die Möbel waren sonderbar zusammengewürfelt, manche von ihnen waren von primitivster Machart; aber in einer Ecke standen eine Uhr mit einem schönen Gehäuse aus dunklem Holz und zwei oder drei Stühle sowie ein Tisch und ein Schreibtisch. Die Uhr tickte eifrig; aber ihre bleiernen Zeiger wiesen erst die elfte Stunde, obwohl die Sonne deutlich zeigte, daß der Mittag schon vorbei war. Außerdem stand dort noch eine dunkle, massige Truhe.

Nachdem Wildtöter sich in diesem Raum umgesehen hatte, hob er einen Holzriegel in die Höhe, öffnete eine Tür und trat in einen engen Gang, der das Innere des Hauses in zwei Hälften teilte. Er öffnete eine Tür und fand sich in einem Schlafzimmer. Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß der Raum von Frauen bewohnt wurde. An der einen Wand hingen an Pflöcken verschiedene Gewänder von viel feinerer Art, als man an solchen Orten zu finden erwartete, auch Bänder und dergleichen Putz. Es fehlte auch nicht an hübschen Schuhen mit schönen Silberschnallen, wie sie in wohlhabenden Familien getragen wurden. Das Kissen auf der einen Seite des Bettes war mit feinerem Linnen überzogen als das danebenliegende.

All dies bemerkte Wildtöter mit einer Genauigkeit, die seinen roten Freunden, den Delawaren, alle Ehre gemacht hätte.

Manches Jahr war vergangen, seit Wildtöter zum letzten Mal an einem Ort gewesen war, an dem Frauen seiner Hautfarbe wohnten. Kindheitserinnerungen stürmten auf ihn ein; und er verweilte mit einer zärtlichen Empfindung, wie er sie lange nicht gekannt. Als er das Zimmer verließ, war er trauriger geworden. Er sah sich nicht weiter um, sondern kehrte langsam und in Gedanken versunken nach dem Vorhof zurück.

»Der alte Tom hat sich auf einen neuen Beruf geworfen und versucht nun sein Glück mit den Fallen«, rief Harry Hurry.

Wildtöter ging auf diese Worte nicht ein, sondern sagte: »Harry Hurry, ’s ist aber wirklich herrlich hier, man wird gar nicht müde, auf die Umgebung zu schauen.« Er blickte mit stiller Freude auf die dunklen Hügel und das glasklare Wasser. »Hat man vom Gouverneur oder vom König aus dem See schon einen Namen gegeben?« fragte er plötzlich.

»Noch nicht; als ich das letztemal mit meinen Fellen hierher kam, fragte mich einer von den königlichen Vermessern über die Gegend aus. Auf seinem Pergament war ein See aufgezeichnet, wo’s keinen gibt; so fünfzig Meilen weiter weg. Na, von dem, was ich ihm erzählte, wird seine Karte wohl nicht besser werden.«

Und Harry Hurry lachte von Herzen; denn solche Streiche bereiteten den Leuten von der Grenze ein besonderes Vergnügen, die das Heranrücken der Zivilisation als eine Schmälerung ihres eigenen gesetzlosen Reiches betrachteten.

»Ich bin froh, daß er keinen Namen hat«, sagte Wildtöter, »wenigstens keinen Bleichgesichtnamen; denn auf ihre Taufen folgt immer die Verwüstung. Die Rothäute werden ihn schon kennen.«

»Was die Indianerstämme angeht, so hat jeder einen Namen für ein und dieselbe Sache. Das machen sie hier wie sonstwo. Wir nennen den Fleck unter uns ›Glimmerspiegel‹, weil er rundum von Fichten eingefaßt ist, die seine Wasser spiegeln, und zwar mit den Gipfeln nach unten.«

»Und der Abfluß, er muß doch einen Abfluß haben, hat der noch keinen Namen von der Kolonie?«

»Darin sind sie uns überlegen! Denn das dickste Ende haben sie unten, und die Namen der Flüsse gehen natürlich stromaufwärts. Ihr habt doch den Susquehannah im Delawarenland gesehen?«

»Das hab ich wohl, und ich habe hundertmal an seinen Ufern gejagt.«

»Nun, der Susquehannah und der Abfluß dieses Sees sind ein und dasselbe und, so glaub ich, haben auch die gleichen Namen. Es freut mich, daß sie den Namen, den die Rothäute ihm gegeben haben, beibehalten mußten; denn ’s wär zu hart, ihnen beides zu nehmen, das Land und die Namen!«

Wildtöter gab keine Antwort; er stand auf seine Büchse gelehnt und sah auf den See hinaus. Glatt wie Glas und klar wie reine Luft lag er vor ihm und spiegelte die in dunklen Fichten gekleideten Berge an seinem Ostrand wider, während die Bäume auf den Landspitzen fast über ihn wuchsen und hier und da glitzernde Buchten durch einen Bogen von Laub und Zweigen sichtbar wurden. Unbewußt fühlte der junge Mann den beruhigenden Einfluß, den eine so ganz von der heiligen Stille der Natur atmende Landschaft ausübt.

Drittes Kapitel

Harry Hurry hatte die Gerätschaften des Schwimmenden Tom zur Genüge besichtigt und rief jetzt seinen Gefährten zum Boot, um sich auf die Suche nach der Familie zu machen. Unter Hutters Sachen hatte er ein halbwegs brauchbares Fernglas gefunden, und durch dieses beobachtete er vorher sorgfältig den ganzen nördlichen Abschnitt des Wassers.

»’s ist, wie ich dachte«, sagte er schließlich und setzte das Glas ab, »der alte Kerl treibt sich bei diesem schönen Wetter irgendwo im Süden herum. Rudern wir eben hinab und stöbern ihn in seinem Versteck auf.«

»Haltet Ihr es für nötig, Euch auf diesem See zu verstecken?« fragte Wildtöter, während er mit Harry Hurry ins Boot stieg. »Wen könnt Ihr in dieser Einsamkeit fürchten?«

»Denkt nur an Eure Freunde, die Mingos, und all die Wilden, die im französischen Lager stehen. Gibt’s einen Fleck auf der Erde, Wildtöter, wo diese unruhigen Schufte nicht hinkommen?«

»Ich habe auch nichts Gutes von ihnen gehört, Freund Harry, obwohl ich noch nie auf dem Kriegspfad gegen sie oder irgendeine andere Seele war. Freilich, nach dem, was die Delawaren erzählten, muß ich sie schon für arge Schufte halten.«

»Das könnt Ihr mit gutem Gewissen, und übrigens jeden anderen Wilden, dem ihr begegnet, auch!«

Gegen diese Ansicht aber protestierte Wildtöter, und während sie den See hinabruderten, entspann sich eine heftige Diskussion zwischen ihnen über den Unterschied zwischen Rothäuten und Blaßgesichtern.

»Ihr werdet zugeben, Wildtöter, daß ein Mingo mehr als ein halber Teufel ist«, schrie Harry Hurry, der bald in eine Hitze geriet, die nahe an Wut grenzte. »Wenn Ihr mir auch einreden wollt, daß die Delawaren lauter Engel sind. Das laß ich nicht einmal für Weiße gelten. Nun will ich Euch mal was sagen. Drei Farben gibt’s auf der Welt: Weiß, Schwarz und Rot. Weiß ist die nobelste Farbe, und darum ist der weiße Mann der beste, dann kommt der Schwarze, und darum hält man ihn auch in den Siedlungen der Weißen, um ihn arbeiten zu lassen; Rot kommt zuletzt, und das zeigt wohl, daß ein Indianer höchstens halb als Mensch gelten kann.«

»Gott hat uns alle geschaffen, Weiße, Schwarze und Rote; und er hat sicherlich wohl gewußt, warum er uns verschiedene Farben gab. In der Hauptsache hat er uns aber alle drei gleich geschaffen; obschon ich nicht leugnen will, daß jede Rasse ihre besonderen Gaben hat. Die Gaben des weißen Mannes sind die der christlichen Zivilisation, während die der Rothäute mehr für die Wildnis taugen. So wär’s arge Sünde für einen weißen Mann, wenn er einen Toten skalpierte; für einen Indianer aber ist’s eine besondere Tugend.«

»Na, das kommt auf den Feind an. Und einen Wilden skalpieren, das scheint mir nicht viel anders, als wenn man einem Wolf die Ohren abschneidet, um den Preis zu bekommen, oder einem Bären das Fell abzieht. Was den Schopf einer Rothaut betrifft, so seid Ihr ganz klar im Unrecht, wenn man bedenkt, daß die Kolonie selbst einen Preis für Skalpe ausgeschrieben hat.«

»Ja, und ’s ist eine schlimme Sache, Harry Hurry. Ich leugne nicht, daß es unter den Indianern Stämme gibt, die verdorben sind. Aber die Franzosen in Kanada sind schuld daran. In einem regelrechten Krieg, wie wir ihn jetzt haben, muß man alle Gefühle des Mitleids unterdrücken. Aber das Skalpieren, um Prämien zu erlangen, ist eine andere Sache.«

»Nun nehmt aber Vernunft an, Wildtöter, wenn’s gefällig ist. Ein Gesetz kann doch nicht ungesetzlich sein, so wenig wie das, was wahr ist, erlogen sein kann.«

»Das klingt vernünftig, hat aber einen ganz unvernünftigen Sinn; denn die Gesetze sind nicht gleich. Es gibt Gesetze von Gott, solche von der Kolonie und wieder andere vom König und dem Parlament. Und wenn die Gesetze der Kolonie und die vom König gegen die Gesetze Gottes verstoßen, dann sind sie schlecht. – Sehen wir lieber nach Eurem Freund aus, sonst fahren wir noch an ihm vorbei, wenn er irgendwo am buschigen Strand versteckt liegt.«

Längs des Sees hingen die kleineren Bäume über die steilen Ufer ins Wasser, und ihre Zweige tauchten oft in das durchsichtige Element hinab. Während sie ihr Boot dicht am Westufer des Sees hielten, fuhren sie in beständiger Spannung, denn keiner konnte voraussagen, was hinter der nächsten Landspitze verborgen sein mochte. Sie kamen rasch vorwärts; die Riesenkraft Harry Hurrys spielte mit der leichten Barke wie mit einer Feder, und die Geschicklichkeit seines Gefährten am Steuer erwies sich als ebenso nützlich. So oft sie um eine Landspitze bogen, warf Harry Hurry einen Blick hinter sich und erwartete, die Arche in der Bucht vor Anker oder am Strand liegen zu sehen. Sie waren bereits nur mehr eine Meile vom Südende des Sees und etwa zwei von der Burg entfernt, als er plötzlich zu rudern aufhörte, ungewiß, in welcher Richtung sie sich halten sollten.

»Es wäre möglich, daß der alte Bursche den Fluß hinabgefahren ist«, sagte er, nachdem er sorgfältig das Ostufer mit den Blicken abgesucht hatte; »denn er hat sich in letzter Zeit viel mit dem Biberfang abgegeben.«

»Wo ist denn der Abfluß«, fragte Wildtöter, »ich sehe keine Öffnung in den Ufern oder zwischen den Bäumen, die so aussieht, als ob ein Fluß wie der Susquehannah hindurchströmen könnte.«

»Auch Flüsse fangen klein an, wie die Menschen, Wildtöter; und den Abfluß seht Ihr nicht, weil die Ufer hoch und steil sind und die Fichten und Schierlingsbäume mit allem Unterholz darüber hängen wie ein Dach über einem Haus. Wenn der alte Tom nicht in seiner Rattenhöhle sitzt, dann muß er sich im Fluß verkrochen haben.«

Während sie weiterfuhren, erklärte Harry Hurry, daß die Rattenhöhle eine flache Bucht sei, so genannt, weil sich dort besonders viele Moschusratten fänden. Sie biete eine so vorzügliche Deckung für die Arche, daß ihr Eigentümer jedesmal, wenn’s ihm nützlich erscheine, gern darin liege.

Inzwischen hatten sie die Landspitze erreicht, das Rattenloch, von dem Harry gesprochen hatte, konnte nicht mehr weit sein.

»Nun werden wir die Arche gleich sehen«, sagte Harry Hurry, als das Boot um die Spitze glitt, wo das Wasser so tief war, daß es geradezu schwarz erschien. Die beiden Reisenden konnten die ganze Bucht überblicken. Aber nur das friedliche Wasser lag vor ihnen.

Das Boot hatte nur wenig oder gar kein Geräusche gemacht; denn die Grenzleute beachten gewohnheitsgemäß die äußerste Vorsicht bei allen Bewegungen. Es ruhte auf dem glasklaren Wasser, als schwebte es in der Luft. In diesem Augenblick knackte ein Zweig auf dem engen Landstreifen, der die Bucht von dem offenen See trennte. Beide Abenteurer machten unwillkürlich eine Bewegung nach ihren Büchsen, die nie außer Reichweite lagen.

»Es war zu schwer für ein leichtes Geschöpf«, flüsterte Harry Hurry, »es klang wie der Tritt eines Menschen.«

»Rudert zu dem Stamm dort drüben, ich springe an Land und schneide dem Geschöpf den Rückzug ab, egal ob’s nun ein Mingo ist oder eine Moschusratte«, erwiderte Wildtöter.

Harry Hurry tat, wie ihm geheißen, und bald war Wildtöter am Ufer und drang auf seinen Mokassins mit solcher Vorsicht in das Dickicht, daß er auch nicht das geringste Geräusch verursachte. Eine Minute später war er in der Mitte des schmalen Landstreifens und bewegte sich mit äußerster Wachsamkeit durch die Büsche auf die Spitze zu. Da knackten die trockenen Zweige abermals, und das Geräusch wiederholte sich in kurzen Abständen. Auch Harry hörte das Geräusch. Er stieß das Kanoe in die Bucht zurück und hielt die Büchse bereit. Eine Minute atemloser Erwartung folgte. Dann trat ein prachtvoller Rehbock aus dem Dickicht hervor, schritt gravitätisch bis zum äußersten sandigen Ende vor und begann, seinen Durst am Wasser des Sees zu stillen. Harry zögerte einen Augenblick, dann hob er die Büchse an die Wange, zielte und feuerte.

Erst hörte man nur den scharfen Knall des Schusses, dann folgten wenige Augenblicke tiefster Stille, bis die Schallwellen den Berg am gegenüberliegenden Ufer erreicht hatten und von dort, immer wiederholt, meilenweit durch die Hügel hin rollten. Der Bock tat einen Sprung vorwärts in das tiefe Wasser und begann in den See hinauszuschwimmen. Mit einem lauten Schrei sprang Harry hinterher, um die Verfolgung aufzunehmen. Harry hatte schon die Spitze erreicht, als Wild­töter auf dem Sande erschien und ihm winkte, zurückzukommen.

»Es war sehr unvorsichtig, loszudrücken, bevor wir das Ufer ausgekundschaftet hatten und wußten, wer sich dort verborgen hält«, sagte er, als Harry nur langsam und ungern gehorchte.

»Es war ungeschickt, den Bock zu verfehlen«, rief Harry aus, während er seine Mütze in den Nacken schob und mit den Fingern durch seine Locken fuhr.

»Ein solcher Laut kann uns einen ganzen Stamm auf den Hals hetzen.«

»Na, wenigstens weiß der alte Tom jetzt, daß Besucher da sind und er die Töpfe aufs Feuer setzen kann. Kommt ins Boot Freund, wir wollen die Arche aufspüren, solange noch Tag ist.«

Wildtöter stieg ins Boot, und sie überquerten den See, wobei sie auf den Abfluß zuhielten. Sie hatten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie den Bock aus dem Wasser auftauchen und auf den Strand zu waten sahen. Dort schüttelte das edle Tier das Wasser von seinen Flanken und verschwand im Walde.

Als das Boot dann, von der Strömung gleichsam angesogen, langsam in der Flußmündung vorwärts trieb, geriet es in die Dunkelheit des Blätter­daches, in welche das Tageslicht nur durch vereinzelte Öffnungen drang.

»Hier ist ein natürliches Versteck«, flüsterte Hurry. »Verlaßt Euch drauf, der alte Tom hat sich hier irgendwo mit seiner Arche verborgen Wir wollen eine kurze Strecke den Fluß hinunter fahren.«

Die Strömung war stark genug, so daß keiner der beiden Abenteurer sein Ruder gebrauchte, außer um das leichte Boot in der Mitte der Strömung zu halten. Sie durchforschten aufmerksam jede Windung des Flusses, passierten eine nach der anderen, und das Kanoe hatte bereits eine gute Strecke zurückgelegt, als Harry sich plötzlich an einem Busch festhielt und so die Bewegung des Bootes hemmte.

»Da ist der Alte!« flüsterte Harry, wobei er mit dem Finger wies und herzlich lachte, »er ist hinter den Ratten her, wie ich’s mir dachte; steht wahrscheinlich bis an die Knie in Schlamm und Wasser. Er untersucht die Fallen und die Köder. Wo aber mag die Arche sein? Ich will jedes Fell wetten, das ich in diesem Sommer erjage, daß Judith sich mit ihren kleinen Füßen nicht in die Nähe von solchem Schlamm wagt.«

»Ihr seid zu streng gegen die Frauenzimmer, Harry. Die Judith wird wohl gar nicht so eitel sein, wie ihr glaubt.«

»Es ist ein Vergnügen, die Wahrheit aus dem Munde eines Mannes zu hören, und wär’s nur einmal im Leben«, sagte eine angenehme, volle und doch sanfte weibliche Stimme so dicht am Boot, daß beide Insassen von ihren Sitzen aufsprangen. »Von Euch, Henry March, kann ein Mädchen keine guten Worte erwarten. Aber ich freue mich, zu sehen, daß Ihr besseren Umgang habt als früher.«

Gleichzeitig war ein ungewöhnlich schönes, junges Frauengesicht zwischen den Blättern aufgetaucht, kaum um eines Ruders Länge von Wildtöter entfernt. Ein freundliches Lächeln grüßte den jungen Mann, und der finstere Blick, den sie auf Harry Hurry warf, obschon gemacht und kokett, ließ ihre Schönheit noch mehr hervortreten.

Die Männer hatten, ohne es zu wissen, dicht vor der Arche, die in den Büschen verborgen lag, angehalten; Judith Hutter brauchte nur die Zweige vor einem der Fenster beiseite zu schieben, um mit Hurry und Wildtöter sprechen zu können.

Die Arche war ein höchst einfaches Fahrzeug. Ein breites Flachboot bildete den schwimmenden Teil, in dessen Mitte, die ganze Breite und ungefähr zwei Drittel der Länge bedeckend, sich ein niedriger Bau erhob, der ähnlich wie die Burg errichtet war, jedoch aus leichterem, nicht kugelsicherem Material. Dach und Wände waren mit Rinde bedeckt. Doch war es verhältnismäßig leicht zu steuern. Die Kabine war in zwei Räume unterteilt: in einen für den Vater und einen zweiten für die Töchter. Die höchst einfache Küche befand sich außerhalb der Kabine, im Freien, am Ende des Bootes.

Geschickt angeordnete Büsche und Zweige hatten das Versteck der Arche so vollkommen gemacht, daß sogar die zwei waldeskundigen Männer getäuscht werden konnten. Sie lenkten nun das Boot zu einer geeigneten Öffnung in den Büschen. Dann sprang Harry an Bord und war bald in ein fröhliches und streitbares Gespräch mit Judith verwickelt. Wildtöter hingegen, nachdem er, von der außerordentlichen Schönheit Judiths betroffen, einen bewundernden Blick auf sie geworfen hatte, ging sogleich daran, die Arche aufs sorgfältigste zu untersuchen.

Nachdem er alles besichtigt hatte, durchschritt er die beiden Kajütenräume, wie er es auf der Burg getan hatte; er gelangte zum Heck der Arche, wo er die andere Schwester, mit einer Handarbeit beschäftigt, sitzen sah.

Wildtöter stellte seine Büchse auf den Boden. Mit beiden Händen auf das Rohr gelehnt, wandte er sich dem Mädchen zu. Indianererziehung hatte ihn gelehrt, diejenigen, die nicht im vollen Besitz ihrer Verstandeskräfte waren, mit besonderer Rücksicht zu behandeln. Übrigens war in Hetty Hutters Erscheinung nichts, was sein Interesse hätte abschwächen können. Sie sah ihrer Schwester sehr ähnlich, schien gleichsam ein bescheideneres Abbild von ihr zu sein. Wohl hatte sie nichts von Judiths Glanz, aber der ruhige, reine Ausdruck ihres Gesichts zog fast jeden an, der sie sah.

»Ihr seid Hetty Hutter«, fragte Wildtöter mit so viel Wohlwollen in der Stimme, daß ihm das Mädchen sogleich ihr Vertrauen entgegenbrachte. »Harry Hurry hat mir von Euch erzählt.«

»Ja, ich bin Hetty Hutter«, erwiderte das Mädchen mit leiser, sanfter Stimme; »Judith Hutters Schwester und Thomas Hutters jüngste Tochter.«

»Dann weiß ich Eure Geschichte; denn Harry Hurry redet viel, und besonders viel von den Angelegenheiten anderer Leute. Ihr verbringt wohl die meiste Zeit auf dem See, Hetty?«

»Gewiß. Die Mutter ist tot, der Vater arbeitet bei den Fallen. Wie heißt Ihr?«

»Ja, das ist eine Frage, die sich leichter stellen als beantworten läßt; denn obwohl ich sehr jung bin, hab ich doch mehr Namen getragen als einige der größten Häuptlinge Amerikas.«

»Sagt mir all Eure Namen«, erwiderte das Mädchen, »und ich kann vielleicht Euren Charakter aus ihnen ablesen.«

»Ich gebe nicht soviel auf Namen. Aber ich will sie Euch alle nennen. Zuvörderst bin ich Christ wie Ihr, und von meinen Eltern habe ich den Namen geerbt. Mein Vater hieß Bumppo, und der Name, den ich bei der Taufe erhielt, war Nathaniel, oder Natty, wie die meisten Leute sagen.«

»Ja, ja, Natty und Hetty«, unterbrach ihn das Mädchen und sah lächelnd von ihrer Arbeit auf. »Ihr seid Natty und ich bin Hetty, obschon Ihr Bumppo seid und ich Hutter. Bumppo ist aber nicht so hübsch wie Hutter.«

»Nun, das ist Geschmackssache. Übrigens behielt ich den Namen nicht lange; denn die Delawaren fanden bald heraus, daß mir das Lügen verhaßt war, und so nannten sie mich zuerst ›gerade Zunge‹.«

»Das ist ein guter Name«, unterbrach Hetty ernst; »seht Ihr wohl, daß Namen was bedeuten!«

»Ich will es wohl zugeben; vielleicht verdiente ich den Namen, denn ich mag das Lügen wirklich nicht leiden. Bald aber entdeckten sie, daß ich rasche Beine hatte, und da nannten sie mich Taube.«

»Das ist ein hübscher Name!« rief Hetty, »Tauben sind schöne Vögel.«

»Die meisten Dinge dieser Welt sind schön in ihrer Art, mein Kind, obschon die Menschen sie verderben. Nachdem ich nun einige Zeit Botenwege gegangen war und Spuren verfolgt hatte, merkten sie, daß ich das Wild schneller und sicherer aufspürte als die meisten anderen Burschen, und nannten mich Langeohr; denn sie sagten, ich sei so schlau wie ein Jagdhund.«

»Das ist nicht schön«, antwortete Hetty, »ich hoffe, Ihr habt diesen Namen nicht behalten.«

»Nur bis ich reich genug war, mir eine Büchse zu kaufen«, fuhr Wildtöter nicht ohne einen gewissen Stolz fort; »dann zeigte sich, daß ich einen Wigwam mit Wildbret versehen konnte; und mit der Zeit bekam ich den Namen Wildtöter. Den trage ich jetzt; wenn ihn auch manche unbeträchtlich finden mögen, die den Skalp eines Mitmenschen höher einschätzen als das Gehörn eines Bockes.«

»Ich gehöre nicht zu diesen, Wildtöter«, erwiderte Hetty. »Judith liebt Soldaten und bunte Röcke und Federbüsche; aber ich gebe nichts darauf. Mich erfüllen sie mit Schauern, denn ihr Geschäft ist doch, andere Menschen zu töten. Ich mag Euren Beruf lieber; und Euer letzter Name ist sehr gut, besser als Natty Bumppo.«

Wildtöter sah das Mädchen einen Augenblick an. Ihr bleiches Ge­sicht war ein wenig gerötet, und ihre sonst so ruhigen und heiteren Augen hatten bei den letzten Worten aufgeblitzt.

»Jawohl, Harry Hurry«, murmelte Wildtöter, als er durch die Kajüten zurück nach dem anderen Ende des Bootes schritt. »Das sieht ein Blinder, wie’s um das arme Geschöpf steht.«

Die Gedanken Wildtöters wurden durch die plötzliche Ankunft des Eigentümers der Arche unterbrochen, dessen Kanoe jetzt in der engen Öffnung erschien. Hutter hatte offenbar das Boot Hurrys erkannt; denn er war nicht erstaunt, ihn hier zu sehen.

»Ich hab Euch schon in der vergangenen Woche erwartet«, sagte er halb brummend und halb liebenswürdig, »ein Läufer war durchgekommen, alle Fallensteller und Jäger zu warnen und zu benachrichtigen, daß es zwischen der Kolonie und Kanada wieder Streit gibt; und ich fühlte mich recht einsam hier oben in den Bergen, mit drei Skalpen im Hause und nur einem Paar Hände, sie zu schützen.«

»Wenn ich zwei solche Töchter hätte wie Judith und Hetty«, erwiderte March, »würde es mir gewiß geradeso gehen, obschon ’s mir sonst lieber ist, den nächsten Nachbarn fünfzig Meilen weit weg als in Rufweite zu haben.«

»Trotzdem schien’s Euch nicht ratsam, allein in die Wildnis zu kommen«, erwiderte Hutter, wobei er einen fragenden, mißtrauischen Blick auf Wildtöter warf.

»Warum sollte ich! Man sagt, daß sogar ein schlechter Kamerad den Weg verkürzt; und dieser junge Mensch hier ist sogar ein ganz passabler. Das ist Wildtöter, alter Tom, ein bekannter Jäger unter den Delawaren; aber er ist ein Christ wie Ihr und ich.«

»Seid willkommen, junger Mann«, brummte Tom, dem anderen seine knochige Hand entgegenstreckend; »in solchen Zeiten ist jedes weiße Gesicht gut Freund, und ich zähle auf Euch. Kinder können auch ein starkes Herz schwach machen, und diese beiden Töchter machen mir mehr Sorge als all meine Fallen, Häute und Rechte aufs Land.«

»Ich hab alle Achtung für den Mann, der’s eingesteht«, sagte Harry. »Also Alter, ich trete bei Euch als Beschützer Eurer Judith ein, und Wildtöter kann Euch helfen, Hetty zu behüten.«

»Vielen Dank, March«, erwiderte die Schöne mit klangvoller Stimme. Ihre Aussprache bewies eine bessere Erziehung, als man nach der Lebensart und der Erscheinung des Vaters vermutet hätte. »Schönsten Dank; aber Judith Hutter weiß sich schon selber zu beschützen ...«

»Judith«, unterbrach sie der Vater, »schwatz nicht solches Zeug und hör uns erst mal an. Es sind bereits jetzt Indianer am Seeufer, und kein Mensch kann sagen, wie nahe sie uns schon sein mögen!«

»Wenn das wahr ist, Hutter«, sagte Harry Hurry, und sein veränderter Gesichtsausdruck zeigte, wie ernst er die Sache nahm, »wenn das wahr ist, dann ist Eure Arche in einer sehr unglücklichen Situation.«

»Ihr habt recht, Harry, und ich wünschte von ganzem Herzen, wir wären jetzt an einem anderen Ort als in diesem engen Fluß. Zum Verstecken ist er wohl gut, aber wehe dem, der darin aufgespürt wird, denn es ist schwer, aus dem Fluß hinauszukommen, ohne daß wir niedergeschossen werden wie Hirsche an der Tränke!«

»Seid Ihr ganz sicher, Hutter, daß die Rothäute wirklich aus Kanada sind?« fragte Wildtöter in bescheidenem, aber ernstem Ton. »Habt Ihr sie gesehen, könnt Ihr ihre Bemalung beschreiben?«

»Gesehen hab ich keinen. Aber etwa eine Meile weiter, unten am Strom, als ich nach meinen Fallen schaute, traf ich auf eine frische Fährte, die durch den Sumpf nordwärts führte. Und ich sah wohl, daß es eine Indianerspur war; dann fand ich auch einen abgetragenen Mokassin, den einer fortgeworfen hatte.«

»Das sieht einer Rothaut auf dem Kriegspfad nicht ähnlich«, sagte Wildtöter kopfschüttelnd. »Aber wenn Ihr den Mokassin mitgenommen habt, dann zeigt ihn mir bitte. Ich bin hergekommen, um einen jungen Häuptling zu treffen; vielleicht war es seine Spur, auf die Ihr gestoßen seid.«

»Ich hoffe, Harry Hurry, Ihr kennt diesen Mann gut, der mit einem Wilden zusammentreffen will, und das in einer Gegend, in der er noch nie war«, sagte Hutter in keineswegs freundlichem Ton. »Verrat ist eine Indianertugend; und die Weißen, die lange unter den Stämmen leben, nehmen leicht ihre Art an.«

»Wahr wie das Evangelium, alter Tom; aber nicht anzuwenden auf Wildtöter. Für seine Tapferkeit stehe ich nicht ein, wohl aber für seine Ehrlichkeit.«

»Ich möcht vor allem wissen, was er hier sucht.«

»Das ist bald gesagt, Hutter«, erwiderte der junge Mann mit der Ruhe eines Menschen, der ein gutes Gewissen hat. »Als die Delawaren die Nachricht erhielten, daß der Wampum und die Streitaxt dem Stamm zugeschickt werden sollten, verlangten sie von mir, ich solle unter die Leute meiner Farbe gehen und auskundschaften, was im Gange sei. Das tat ich auch. Nachdem ich zurückgekehrt war und dem Häuptling berichtet hatte, traf ich am Schoharie einen königlichen Beamten, der den befreundeten Stämmen im Westen Geld schicken wollte. Dies schien für mich und Chingachgook eine gute Gelegenheit, gemeinschaftlich unseren ersten Kriegspfad zu gehen; und an dem Felsen am Ende dieses Sees wollten wir uns treffen. Ich will Euch nicht verhehlen, daß Chingachgook noch etwas anderes auszuführen gedenkt; aber das hat mit Eurer Angelegenheit nichts zu tun und ist sein Geheimnis; deshalb kann ich nichts weiter darüber mitteilen.«

»Wenn’s weder den Krieg noch die Jagd betrifft, muß es die Liebe sein«, unterbrach Judith schnell.

»Ich hab nichts dazu zu sagen. Chingachgook soll mich morgen abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, an dem Felsen treffen. Danach werden wir unsere Wege gehen und niemandem Schaden tun als den Feinden des Königs, die auch die unseren sind. Da ich Harry Hurry am Schoharie traf, als er auch hierher wandern wollte, beschlossen wir, die Reise gemeinsam zu machen.«

»Und Ihr glaubt, die Fährte könnte die Eures Freundes gewesen sein?« fragte Hutter.

»Ja, das vermute ich. Ich kann aber auch unrecht haben. Wenn ich den Mokassin sehe, könnte ich Euch sofort sagen, ob er von einem Delawaren stammt oder nicht.«

»Da ist er«, sagte Judith, die bereits zum Kanoe gegangen war, um ihn zu holen. »Sagt uns, was er bedeutet, Freund oder Feind!«

»Den hat kein Delaware gemacht«, sagte Wildtöter, der die abgetragene Fußbekleidung sorgfältig prüfte; »kann sein, der Mokassin kommt aus nördlichen Gegenden, aus dem Land jenseits der großen Seen.«

»Wenn dem so wäre, dürften wir keine Minute länger hier bleiben«, sagte Hutter, und Iugte durch das Laub des Verstecks hinaus als erwarte er, bereits einen Feind am gegenüberliegenden Ufer zu sehen. »In einer Stunde bricht die Nacht herein. Habt Ihr das Echo eines Schusses in den Bergen gehört, vor ungefähr einer halben Stunde?«

»Ja, alter Mann«, antwortete Harry Hurry schuldbewußt; »denn ich selbst habe das Gewehr losgedrückt.«

»Ich fürchtete schon, er wäre von den französischen Indianern gekommen. Es war sehr unvorsichtig von Euch, ohne Not in Kriegszeiten zu feuern. Der Schuß kann uns verraten haben.«

Hutter hielt nun eine lange Beratung mit seinen Gästen. Er erklärte ihnen, wie schwer es sein würde, die Arche im Dunkeln durch den engen Strom zu treiben, ohne die Aufmerksamkeit der Indianer zu erwecken.Wenn welche in der Nähe waren, hielten sie sich zweifellos nahe am Fluß oder am See auf.

»Alter Tom«, rief Harry, »wenn wir fort wollen, so fangen wir lieber gleich an. Um so früher wissen wir, ob wir heute noch unsere Skalpe als Nachtmützen haben werden oder nicht.«

Niemand widersprach der Aufforderung. Die Arche wurde rasch losgebunden, und indem sie das Ankerseil einholten, bewegte das schwere Fahrzeug sich langsam aus dem Versteck heraus. Kaum war es von den Zweigen gelöst, als es sich in den Fluß hinaus drehte und durch die Gewalt der Strömung dicht an das Westufer herangetrieben wurde. Das matte Licht, das durch die schmale Öffnung fiel, die oben in der Luft den Weg anzudeuten schien, den der Fluß nahm, vermehrte noch das Gefühl der Unsicherheit und Gefahr; denn es ließ die Gegenstände in einem Dämmer verschwimmen. Die Sonne war noch nicht vollends untergegangen, aber ihre Strahlen fielen schon schräg in das Tal.

Die Arche glitt vorwärts. Die große Breite des Fahrzeugs verhinderte, daß es tief in das Wasser einsank, und der Widerstand des rasch dahinfließenden Elements war so nicht allzu groß. Hutter hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die sogar einem Seemann zur Ehre gereicht hätten. Bei der Fahrt stromabwärts hatte er schwere Steine an das Seil gebunden und in der Flußmitte versenkt. So hatte er gleichsam Teilanker gebildet, von denen jeder durch das Gewicht der anderen daran gehindert wurde, aus der Richtung zu geraten. Dadurch hielt sich die Arche in der Mitte des Stromes.

Die Furcht vor Entdeckung verdoppelte ihre Kräfte. So sehr die Männer an das Leben in den Wäldern gewohnt waren, vermehrte das Dunkel des beschatteten Flusses doch ihre Unruhe. Als die Arche die letzte Biegung des Susquehannah erreichte und der See durch die Bäume schimmerte, waren alle erleichtert.

Wildtöter war voller Interesse für all das. Zum erstenmal in seinem Leben befand er sich in der Nähe des Feindes oder hatte wenigstens Grund, es zu glauben. Als er seinen Posten an einem der Fenster einnahm, passierte die Arche gerade den engsten Teil des Flusses, wo das Wasser des Sees in das Flußbett eintrat. Die Baumwipfel zu Häupten stießen hier gegeneinander.

Die Arche fuhr durch die letzte Biegung dieses laubigen Eingangs zum See, als sich Wildtöter ein Anblick bot, der einen so erfahrenen Wachposten wohl hätte erschrecken können. Fast halbkreisförmig hing ein Fichtenstamm über das Wasser hinaus. Auf diesem Baum saßen nicht weniger als sechs Indianer, während andere bereit standen, ihnen zu folgen. Wildtöter bemerkte die Wilden in dem Augenblick, als sie das Dickicht verließen und den untersten Teil des Baumes erkletterten. Vertraut mit Indianersitten, sah er sofort, daß sie alle in voller Kriegsbemalung waren und einem feindlichen Stamm angehörten.

»Los, Harry Hurry«, schrie er; »zieht am Seil, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

Der Ruf klang so furchtbar ernst, daß Hutter und March mit allen ihren Kräften zogen. Die Arche verdoppelte ihre Geschwindigkeit. Sobald die Indianer merkten, daß man sie entdeckt hatte, stießen sie ihren furchtbaren Kriegsruf aus und, auf dem Stamm vorwärts laufend, sprangen mit verzweifelten Anstrengungen nach ihrer Beute. Sechs waren auf dem Baum, und alle versuchten den Sprung. Alle, bis auf ihren Anführer, fielen in den Fluß. Der Häuptling, der den gefährlichen Posten an der Spitze genommen hatte, schlug am äußersten Hinterteil der Arche auf.

Der Fall hatte ihn betäubt, und für einen Augenblick blieb er gebückt stehen. Im selben Moment sprang Judith aus der Kabine und stieß den Indianer mit aller Kraft über den Bootsrand, so daß er kopfüber in den Fluß fiel. Sie blickte ihm noch über den Rand nach und lachte schließlich in ihrer heiteren, angenehmen Art. Alles dies währte nur wenige Sekunden. Wildtöter faßte sie um die Taille und zog sie schleunigst in die Kabine zurück. Es war höchste Zett; denn kaum waren die beiden in Sicherheit, als der Wald vom Geheul widerhallte und Kugeln gegen die Balken prasselten.

Aber die Arche hatte sich in der Zwischenzeit rasch voran bewegt und war bereits außer Gefahr. Die Wilden hörten auf zu feuern, da sie wohl einsahen, daß sie ihre Munition nur unnütz verschwendet hätten.

Die Arche war nun aus dem Bereich der Strömung gekommen, und das Fahrzeug trieb auf den offenen See hinaus, so daß die Feinde sich nicht mehr versucht fühlen konnten, irgend etwas gegen sie zu unternehmen.

Viertes Kapitel

Im Bug des Bootes fand nun eine Beratung statt, an der auch Judith und Hetty teilnahmen.

»Wir haben einen großen Vorteil vor den Irokesen, oder was sie sonst sein mögen«, sagte Hutter. »Wir befinden uns auf dem Wasser. Es gibt kein Kanoe am ganzen See, von dem ich nicht wüßte, wo es versteckt ist. Und da Eures hier ist, Harry Hurry, befinden sich nur noch zwei an Land, und die sind so gut in hohlen Stämmen verborgen, daß die Indianer sie kaum finden werden.«

»Das kann man nie genau sagen«, bemerkte Wildtöter; »ein Jagdhund hat keine bessere Nase als eine Rothaut, die etwas zu gewinnen hofft.«

»Sehr richtig, Wildtöter«, rief March. »Ich kalkuliere, sie werden die übrigen Kanoes vor morgen nacht haben, wenn sie ernstlich die Absicht haben, Euch auszuräuchern, alter Tom.«

Hutter blieb die Antwort schuldig. Minutenlang blickte er schweigend nach dem Himmel, dem See und dem Waldgürtel, der ihn dicht um­schloß.