Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wie gelingt es uns, ein wirklich erfülltes, authentisches Leben zu führen? Ob öffentlich in den Medien oder in unserem eigenen Umfeld – kaum eine Frage stellen wir uns aktuell so häufig wie diese, sowohl privat als auch beruflich. Wissenschaftliche Studien zeigen: Nicht äußere Faktoren machen uns glücklich, sondern für ein gelungenes Leben kommt es vor allem auf unsere innere Haltung an. Introvertierte Menschen haben jedoch ein grundlegend anderes Mindset als extrovertierte Persönlichkeiten. Das heißt, im Vergleich zu den Extros verfügen sie über besondere Stärken, aber auch über spezifische Hürden, die letztlich über die Frage nach dem Lebensglück mitentscheiden. Bestseller-Autorin Sylvia Löhken zeigt diese Stärken und Hürden auf und macht in ihrem neuen Buch Introvertierten Mut, gemäß ihren eigenen Neigungen, Bedürfnissen und Stärken zu leben. Anhand von vielen aufschlussreichen Beispielgeschichten und Erfahrungsberichten beschreibt sie fundiert und praxisnah, wie Introvertierte ihre Stärken vorteilhaft nutzen und mit ihren Hürden umzugehen lernen. Denn Glück erfahren wir, wenn wir in der Lage sind, unser Leben selbstbestimmt in die eigene Hand zu nehmen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 322
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Sylvia Löhken
Das Entwicklungsbuchfür introvertiertePersönlichkeiten
Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.
Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Für Tom Peters
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-800-9
ISBN epub: 978-3-95623-527-6
Lektorat: Anke Schild
Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de
Illustrationen: Dr. Michael Meinhard, Bonn | www.bosse-meinhard.de
Autorinnenfoto: Tom Peters
© 2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,
nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Das E-Book basiert auf dem 2017 erschienenen Buchtitel "Leise Menschen – gutes Leben" von Sylvia Löhken, ©2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
www.gabal-verlag.de
www.facebook.com/Gabalbuecher
www.twitter.com/gabalbuecher
Das Leben ist ein Roadmovie …
TEIL IVON INNEN NACH AUSSEN: WER WOLLEN SIE SEIN?
Was sind leise Menschen?
Wo Ihre Persönlichkeit steckt
Was macht unser Leben glücklich?
Zwei Arten von Glück
Von der Theorie ins echte Leben: Die Terman-Studie
Wann ist ein Leben gelungen? Die Grant-Studie
Beständigkeit und Veränderung
Veränderungsstufen
Veränderungen auf Intro-Art
Das Fundament: Selbstwertgefühl
Das Selbstwertgefühl entwickeln
TEIL IIIHRE STÄRKEN – IHRE FREIRÄUME
Stärken und Hürden
Übersicht: Intro-Stärken
Übersicht: Intro-Hürden
Vorsicht
Mit Vorsicht auf dem Weg
Vorsicht und Vertrauen
Die Schattenseite: Angst
Konzentration
Mit Konzentration auf dem Weg
Die Schattenseite: Kleinteiligkeit
Substanz
Mit Substanz auf dem Weg
Die Schattenseite: Selbstverleugnung
Zuhören
Mit Zuhören auf dem Weg
Die Schattenseite: Überstimulation
Ruhe
Mit Ruhe auf dem Weg
Die Schattenseite: Passivität
Unabhängigkeit
Mit Unabhängigkeit auf dem Weg
Die Schattenseite: Flucht
Analytisches Denken
Mit analytischem Denken auf dem Weg
Die Schattenseite: Verkopftheit
Schreiben
Mit Schreiben auf dem Weg
Die Schattenseite: Kontaktvermeidung
Beharrlichkeit
Mit Beharrlichkeit auf dem Weg
Die Schattenseite: Fixierung
Einfühlungsvermögen
Mit Einfühlungsvermögen auf dem Weg
Die Schattenseite: Konfliktscheu
TEIL IIITUN SIE’S MIT ABSICHT
Gelungenes Leben
Überblick: Das haben Sie erfahren
Da fehlt noch etwas!
ANHANG
Anmerkungen
Expertinnen und Experten
Literaturhinweise
Onlineressourcen
Über die Autorin
»Tell me, what is it you plan to do
with your one wild and precious life?«
Mary Oliver, »The Summer Day«
Leise Menschen – gutes Leben. Dieser Titel ist ein Versprechen. Er verspricht, dass Sie als introvertierter Mensch nicht nur ein erfülltes, gelungenes Leben haben können, sondern auch, dass Ihnen das gerade mit Ihren speziellen Eigenschaften gelingt, die Sie zu einer Intro-Persönlichkeit machen.
Inspirationen für die Gestaltung des eigenen Lebens
Mit diesem Buch bekommen Sie Anregungen dafür, wie Sie Ihre Wochen und Tage und Jahre gestalten. Es erfüllt seinen Zweck, wenn Sie eine Idee davon bekommen, wie Sie sich Ihr Leben wünschen und wie Sie es gelingen lassen können. Wenn es Sie ermutigt, Ihre eigenen Stärken, Neigungen und Bedürfnisse anzusehen und aus ihnen das reifen zu lassen, was im Rückblick einmal der großartige Film Ihres Lebens sein wird.
Wenn dieser Film ein Roadmovie ist: Wohin soll Ihre Reise dann eigentlich gehen? Der Weg zu den Antworten auf diese Frage ist gleichzeitig leicht und schwer. Einerseits haben wir in unseren Lebensentwürfen so viel eigenen Gestaltungsspielraum wie nie zuvor. Niemand zwingt uns, in die Fußstapfen unserer Eltern zu treten. Frauen haben in unserem Kulturkreis den gleichen rechtlichen Bewegungs- und Entscheidungsspielraum wie Männer. Vor wirklich existenzieller Not sind wir im Vergleich zu anderen Ländern gut geschützt.
Freie Auswahl in der Lebensgestaltung also? Schön wär’s! Denn andererseits ist es gerade die Offenheit unserer Lebensentwürfe, die Entscheidungen so schwer werden lässt. Kinder oder ein unabhängiges Leben? Karriere oder viel Zeit für Privates? Selbstständig oder angestellt? Reisen: wohin? Wohnen: wo? Lesen: was?
Dieses Buch gibt Ihnen Orientierungspunkte, die Ihnen Möglichkeiten zeigen und Entscheidung erleichtern. Es macht Ihnen Mut dazu, Ihren leisen Weg auf Ihre ganz eigene Weise zu gestalten. Es hilft Ihnen, Ihre Wünsche zu entdecken und Freiheiten auszuprobieren. Es zeigt Ihnen Ihre Stärken, aber auch typische Hürden, die gerade Intros immer wieder zu schaffen machen. Und es erzählt von der delikaten Balance zwischen der Beständigkeit und der Veränderung.
Anregungen und Impulse statt To-do-Listen
Dabei habe ich keine systematische Gesamtübersicht angestrebt. Das hier ist kein Lehrbuch des Lebens. (Auch wenn ich selbst oft so gern eines hätte: Ein solches Buch gibt es nicht und kann es nicht geben. Vielleicht ist genau das ein Glück …) Listen zum Abarbeiten helfen wenig, wenn es um die Vielfalt menschlicher Entwicklungsmöglichkeiten geht. Eine To-do-Liste würde Sie nur beengen und einschränken. Sie finden aber auf den Seiten, die folgen, viele Anregungen und Impulse, die anderen leisen Menschen geholfen haben, diese Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen und zu leben. Einigen dieser Menschen werden Sie in diesem Buch begegnen, berühmten und weniger berühmten introvertierten Menschen, die eines eint: Sie haben eine interessante Wegstrecke zurückgelegt und wichtige Erfahrungen gemacht, von denen sie uns berichten. Das macht dieses Buch zu einer Art Buffet. Sie, liebe Leserin und lieber Leser, Sie haben die Wahl und können sich aussuchen, was Sie für Ihren eigenen Weg als Richtungsschild oder Proviant nutzen mögen. Einige Zentro- und Extro-Persönlichkeiten werden Sie übrigens auch finden, denn lernen können wir allerbestens auch von Menschen, die anders sind.
Jedes Kapitel endet mit Hinweisen auf weiterführende Informationsquellen: auf Bücher und Videos, Blogs und Websites. So können Sie sich einfach bedienen, wenn Sie besonderes Interesse an einem bestimmten Thema haben und mehr wissen wollen oder wenn Sie zum jeweiligen Thema lieber etwas hören und sehen anstatt lesen möchten.
Und wenn Sie es ausgelesen haben, dieses Buch, dann wird es spannend: Dann setzen Sie in Ihr eigenes Leben um, was Sie für sich als richtig erkannt haben. Sie werden sehen: Es geht gar nicht unbedingt darum, dass Sie alles stehen und liegen lassen und sich spektakulär neu erfinden (obwohl auch das manchmal vorkommt). Viel interessanter ist es, wenn Sie Ihre eigene Persönlichkeit in ihren Möglichkeiten erschließen und ihr eine Entwicklung ermöglichen. Bevor der Begriff von der Antifaltenkosmetik besetzt wurde, nannten wir das schlicht: reifen.
Vielleicht ist das persönliche Reifen die aufregendste Reise, die Sie unternehmen können. Sie haben dieses eine, dieses wunderbare Leben mit einer einzigartigen Mischung von Eigenschaften, die nur Sie in dieser Kombination haben. Bringen Sie sie zum Blühen!
Genießen Sie die Fahrt auf den Straßen Ihres Lebens, in Ihrem eigenen und einzigartigen Roadmovie. Ich wünsche Ihnen schöne Entdeckungen – und mögen Sie an einem Ort ankommen, der Ihnen gut gefällt.
Ihre Sylvia Löhken
»Nur in stillen Wassern
spiegeln sich die Sterne.«
Chinesisches Sprichwort
»Was, so viele?«, fragt mich die spanische Kollegin auf einer Konferenz. Das ist oft die erste Reaktion, wenn ich erwähne, dass 30 bis 50 Prozent der Menschen introvertiert sind. Und zwar überall auf der Welt: Das Verhältnis ist in eher »leisen« Ländern wie Japan oder Norwegen ähnlich wie in eher »lauten« Ländern wie Brasilien und Nigeria. Die Evolution hat weder Extros noch Intros benachteiligt oder zur Minderheit werden lassen. Wahrscheinlich hat das Gründe.
Intros und Extros – zwei große Schubladen
Intro- und Extroversion sind in ihrer Bedeutung ähnlich prägende und ähnlich wichtige Eigenschaften wie die Geschlechtszugehörigkeit. Sie prägen uns tief. Aber wie auch der Unterschied zwischen männlich und weiblich sind sie große »Schubladen«, die allein nicht so aussagekräftig sind, aber eine gute grundsätzliche Orientierung ermöglichen. Die ist allerdings in diesem Fall nicht an äußeren Merkmalen, sondern an der Innenausstattung ersichtlich.
Introvertiert bedeutet »nach innen gewandt«, so wie extrovertiert (oder extravertiert) »nach außen gewandt« bedeutet. Diese unterschiedliche Ausrichtung zeigt sich an ganz verschiedenen Stellen im Hirn. Wir sind allerdings nicht einfach Intros oder Extros, sondern Mischungen, wir alle haben also intro- und auch extrovertierte Eigenschaften. Das heißt: Wir können in einem Bereich eher nach außen, in einem anderen wieder nach innen gewandt sein.
Die meisten Menschen neigen leicht zur einen oder zur anderen Seite. Das sehen Sie in der Grafik daran, dass die Verteilungskurve in der Mitte hoch ist und zu den Rändern der Skala hin abflacht.
In der Mitte der Skala liegen die Zentro- oder Ambivertierten, bei denen intro- und extrovertierte Merkmale ungefähr gleich verteilt sind. Wenn Sie über sie Näheres nachlesen mögen: In meinem Buch Intros und Extros (2014) habe ich den Zentros reichlich Raum gegeben.
Unterschiede im zentralen Nervensystem
Ihre Persönlichkeit steckt vor allem in Ihrem Kopf. Intro- und Extro-Gehirne unterscheiden sich, und das ist eigentlich nur logisch: »Nach innen« und »nach außen« gewandte Menschen setzen ihre Energie auf unterschiedliche Weise ein. Das wirkt sich auf die »Hardware« aus, und Intros und Extros haben tatsächlich in drei Zonen des zentralen Nervensystems verschiedene Ausstattungen.
Über die biologischen Unterschiede zwischen Intros und Extros habe ich bereits ausführlich geschrieben. Wenn Sie schon einmal eines meiner Bücher zum Thema gelesen haben (Löhken 2012, 2014 oder 2016), kennen Sie sich damit aus – und ich will Sie hier nicht damit langweilen. Andererseits sollen Sie natürlich diese Bücher nicht extra kaufen müssen, um mehr zu erfahren. Die nächsten drei Abschnitte sind deshalb ein Kompromiss: Ich beschreibe die Unterschiede und füge noch »Kleingedrucktes« hinzu, das Sie bei Interesse lesen können, aber nicht müssen.
Intros brauchen Ruhe
Intros benötigen mehr Ruhe und Regeneration. Sie brauchen häufiger den Rückzug, um äußere Eindrücke gut zu verarbeiten und sich zu erholen. Intensive Gefühlswallungen sind bei Intros ziemlich selten. Sie brauchen manchmal länger, um zu reagieren, tun das dann aber besonders passend.
Extros können vergleichsweise leichter und besser Außenreize verarbeiten. Sie sind sogar darauf angewiesen, dass »etwas passiert« und sie nicht zu viel Leerlauf haben. Schließlich heißt extrovertiert ja auch »nach außen gerichtet«. Ruhe, Nachdenken und Innehalten sind nicht so ihre Sache. Stattdessen probieren Extros lieber Dinge aus oder reden über das, was sie noch nicht wissen. Sie erholen sich sogar in Kontakt mit der Außenwelt. Außerdem können Extros himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt sein – ihr Gefühlsleben ist vergleichsweise intensiv. Die Begeisterung ist eine Extro …
Das Kleingedruckte
Diese Eigenschaften von Intro- und Extrovertierten hängen mit dem aktiven und dem ruhigen Teil unseres vegetativen Nervensystems zusammen. Alle Menschen haben zwar beide Teile, aber in unterschiedlichen Gewichtungen.
Das vegetative Nervensystem ist eine Art Autopilot: Es sorgt dafür, dass wir für alles, was wir zum Überleben brauchen, genügend Energie zur Verfügung haben, also fürs Bewegen und Verdauen, für Angriff oder Flucht, aber auch für Körpertemperatur, Blutdruck oder Herzfrequenz. Stellen Sie sich nur vor, Sie müssten all dies mit Ihrem Bewusstsein steuern …
Diese unübersichtliche Aufgabe schafft unser vegetatives Nervensystem mit zwei unterschiedlichen Kreisläufen: dem Sympathikus und dem Parasympathikus.
Der Sympathikus ist auf Leistung ausgerichtet. Er sorgt dafür, dass wir uns schnell bewegen, beschleunigt unseren Herzschlag und blockiert die Verdauung – schnell weglaufen und die Pasta verdauen gehen also nicht gleichzeitig. Stattdessen holt der Sympathikus sich die Energie in Form von Fettsäuren aus unseren Polstern. Was ja gar nicht so übel ist.
Der Parasympathikus wird auch Ruhenerv genannt. Er hilft uns, uns zu entspannen, uns zu erholen und Nahrung zu verdauen. Dank ihm können wir Energie speichern und wiederherstellen. So wie der Sympathikus für das kurzfristige Überleben zuständig ist, sichert der Parasympathikus das langfristige Überleben. Wenn er an der Reihe ist, sinkt der Herzschlag, und die Verdauung kommt in Schwung.
Sympathikus und Parasympathikus können nicht gleichzeitig aktiv sein. Wenn der »schnelle« Sympathikus das Kommando hat, geht es darum, eine Stresssituation zu bewältigen – da wäre der langsame Parasympathikus fehl am Platz. Und nur wenn umgekehrt der Parasympathikus für Ruhe und Wiederaufbau sorgen kann, können wir gesund bleiben.
Zwei wichtige Botenstoffe (auch Neurotransmitter genannt) aktivieren das vegetative Nervensystem: Dopamin den Sympathikus und Acetylcholin den Parasympathikus. Dopamin sorgt für innere und äußere Bewegung, also für den motorischen Antrieb, aber auch für Neugier, die Suche nach Abwechslung und für das Anstreben von Belohnungen: Dank ihm handeln wir, riskieren etwas, reden mehr, erobern neue Bereiche oder verteidigen alte, wir sind wacher – kurz: Wir sind aktiv und machen uns auf zu neuen Ufern.
Dopamin sagt: »Los, mach schon!«Acetylcholin meint: »Erst mal mit der Ruhe.«
Acetylcholin sorgt im System des Parasympathikus dafür, dass es uns gut geht, wenn wir uns nach innen wenden und zur Ruhe kommen. Es sorgt ebenso für Wohlgefühl und ist an anderen schönen Dingen beteiligt als Dopamin: an Reflexion, Gedächtnis, Konzentration, Lernen und Aufmerksamkeit.
Wir wissen heute, dass Intros stärker vom Parasympathikus geprägt werden. Sie reagieren empfindlicher auf Dopamin und sind deshalb leichter von äußeren Eindrücken überstimuliert. Dafür braucht das Introsystem im Vergleich auch eine längere Zeit für die Übermittlung von Reizen.
Extros dagegen sind stärker vom Sympathikus geprägt; sie haben zwar vergleichbar viel Dopamin in ihren Nervenbahnen wie Intros – aber die Dopamindosis ist in Extro-Hirnen messbar aktiver.
Wenn Intros sich wohlfühlen, liegt das dagegen eher an der Wirkung des parasympathischen Acetylcholin.
Unterschiedliche Verarbeitung von Außeneindrücken
Der zweite Unterschied betrifft die Verarbeitung von Außeneindrücken. Die nach außen gewandten Extrovertierten haben im Vergleich zu ihren Intro-Brüdern und -Schwestern eine solide Ausstattung mitbekommen: Sie können viel über die Sinne aufnehmen und finden neue Eindrücke und Erfahrungen angenehm anregend. Unruhig oder gereizt werden Extros, wenn sie zu wenig mit Außenreizen versorgt werden: zum Beispiel bei Routinetätigkeiten oder in langweiliger Gesellschaft. Viel Abwechslung und ein gutes Tempo im täglichen Leben finden sie dagegen gut.
Intros dagegen bekommen eher das gegenteilige Problem: Ihnen wird es leicht zu anstrengend, wenn zu viel auf einmal auf sie einprasselt. Leise Menschen brauchen auch zuweilen längere Zeit zum Nachdenken und wirken womöglich nach außen inaktiv. Dafür haben sie zwischen ihren Ohren jede Menge Aktivität: einen inneren Reichtum in Bereichen wie Nachsinnen, Vergleichen, Lernen, Erinnern, Problemlösen. Die Gedanken und Gefühle der Innenwelt können dann auch genau das sein: eine ganze Welt. Und auch Intros können sich langweilen: wenn ihnen das, was sie bereden, bedenken oder bearbeiten sollen, zu wenig Futter fürs Hirn bietet.
Das Kleingedruckte
Alle Menschen haben eine Ausstattung im Hirn, die es ihnen ermöglicht, Eindrücke von außen zu verarbeiten, die über die Sinne hereinkommen. Extro-Hirne haben in den Bereichen, die für die Aufnahme von Sinnesreizen zuständig sind, richtig viel Kapazität; es gibt einen messbar stärkeren Blutfluss. Sie haben es dadurch leicht, viele verschiedene Außeneindrücke aufzunehmen.
In Intro-Hirnen fließt im Vergleich weniger Blut durch die Bereiche, die auf die Aufnahme von Sinneseindrücken spezialisiert sind. Doch es gibt einen fairen Ausgleich: Das Blut ist nämlich nicht weg aus den Intro-Hirnen; es ist einfach woanders, nämlich in der vorderen Großhirnrinde: dort, wo Lernen, Entscheiden, Erinnern und Problemlösen angesiedelt sind. Das ist ausgleichende Gerechtigkeit! Dies bedeutet aber nicht, dass Intros immer schneller sind, wenn Denken angesagt ist. Im Gegenteil: Intros haben ganz wörtlich »längere Leitungen« in ihren Hirnen, weswegen die Reize längere Strecken zurücklegen.
Intros sind oft vor- und umsichtige Menschen. Sie überlegen sorgfältig, bevor sie ein Risiko eingehen, und achten gut auf das, was um sie herum passiert. Sie werten diese Eindrücke dann sorgfältig aus. Das ist eine gute Grundlage für Intro-Stärken wie gutes Beobachten und Zuhören, tiefe Reflexion und Einfühlungsvermögen. Intros wirken auf ihre Mitmenschen oft verlässlich und vertrauenerweckend. Sie geraten durch Neues und Unerwartetes allerdings leichter in Stress als Extros. Von äußeren Anreizen lassen Intros sich dafür weniger locken; Statussymbole oder klassische Karrieren sind für sie oft merkwürdig wenig attraktiv.
Intros streben eher nach Sicherheit, Extros nach Anreizen
Extros dagegen sind für attraktive Anreize eher empfänglich. Sie fühlen sich in Risiken und Ungewissheiten wunderbar lebendig, mögen oft teure und statusträchtige Besitztümer und schätzen Überraschungen und neue Erfahrungen. Im Ferrari sitzt eher eine Extro als eine Intro. Extros lassen sich von Belohnungen leichter locken als Intros und wagen auch Ungewöhnliches, um sie zu bekommen. Manchmal unterschätzen Extros Gefahren und überschätzen sich selbst, wenn sie reizvollen Zielen nachgehen. In anstrengenden, stressreichen Situationen bewahren Extros leichter Ruhe und reagieren flexibel.
Das Kleingedruckte
Im Emotionsbereich unseres Hirns, dem limbischen System, spielt der sogenannte Mandelkern (Nerdwort: Amygdala) eine der Hauptrollen im großen Gefühlskino. Er ist so etwas wie die Vorsichtszentrale und zuständig für die Einschätzung von Gefahren. Er versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, wenn ihm etwas bedrohlich oder riskant vorkommt.
Der Mandelkern in Intro-Hirnen reagiert im Vergleich zu Extro-Hirnen empfindlicher auf Umweltreize. Deshalb geraten Intros durch Neues und Unerwartetes leichter in Stress und empfinden Risiken intensiver.
Extros haben im limbischen System ebenfalls einen Bereich, der besonders empfindlich reagiert: das Belohnungs- oder auch Lustzentrum (Nerdwort: Nucleus accumbens). In diesem Bereich des großen Gefühlskinos entstehen Glücksgefühle. Die haben Intros zwar auch ganz gern, aber das Extro-Belohnungssystem reagiert messbar stärker auf Umweltreize.
Intro oder Extro? Machen Sie den Test
Wenn Sie wissen wollen, wo Sie persönlich angesiedelt sind, dann finden Sie auf meiner Website einen Test, mit dem Sie schnell herausfinden, welche Intro-Eigenschaften Sie haben: www.intros-extros.com/online-test/. Sie benötigen keinen besonderen Zugang und ich frage Sie weder nach Ihrem Namen noch nach Ihrer E-Mail-Adresse.
»Das Glück ist eine leichte Dirne.«
Heinrich Heine
In den virtuellen und echten Buchläden gibt es viele, viele Meter an Literatur, die uns dabei helfen soll, glücklich zu werden. Rein neurobiologisch gesehen fühlen wir uns glücklich, wenn ein Cocktail aus verschiedenen Hormonen und Neurotransmittern ausgeschüttet wird: vor allem Serotonin, Noradrenalin und das Dopamin, dem wir oben schon begegnet sind.
Intros sind selten euphorisch
Das aktive Belohnungszentrum der Extros scheint sie – zusammen mit dem höheren Dopaminpegel – im Vergleich zu den Intros sozusagen talentierter für Glücksgefühle zu machen. Und wenn wir Glücksgefühle mit euphorischen Zuständen gleichsetzen, dann ist daran sogar etwas Wahres: Intros sind mit ihrer Hirnchemie relativ selten euphorisch. Zum Glück ist Glück aber viel mehr als ein himmelhoch jauchzendes Rosawolkenweltumarmungsgefühl und Fühlgut-Ding.
Es gibt keine objektive Messlatte für das Glück. Und somit auch keinen Vergleichsmaßstab. Ist die Intro, die mit einem heißen Tee und einem guten Buch am Kamin sitzt, weniger glücklich oder glücklicher als der Extro, der fröhlich lachend mit seinen Kumpels in der Achterbahn sitzt?
Glück – immer eine Momentaufnahme
Die beiden Beispiele zeigen eine Eigenschaft des Glücks: Es ist eine Momentaufnahme. Kein Mensch der Welt wacht morgens glücklich auf, geht glücklich durch den Tag und legt sich am Abend glücklich schlafen. (Und ganz ehrlich: Wenn es einen solchen Typen gäbe – würden Sie ihn kennenlernen wollen?) Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, dass das Glück in unserem Leben so etwas wie ein Nebenprodukt ist: Es passiert uns manchmal. Für eine kurze Zeit. Und dann sind wir wieder im Normalzustand oder auch einmal unglücklich, je nachdem.
Das Thema Glück ist so wichtig, dass ich Sie für die zweite, echte Art des Glücks auf eine Reise zum Urvater der Glücksphilosophie mitnehmen möchte: zu Aristoteles. Er war der Erste, der das Thema aus den Dunstkreisen von Politik und Religion befreite und auf den einzelnen Menschen bezog. Glück sollte durch eigenes Denken und Handeln »machbar« werden. Aristoteles gab vor diesem Hintergrund in seiner Nikomachischen Ethik schon vor über 2300 Jahren Anhaltspunkte zu nach wie vor ziemlich aktuellen Fragen: Was ist ein gutes Leben? Wie wird man glücklich? Das Thema Glück beschäftigt die Menschen offensichtlich schon länger.
Glück durch Lust und Glück durch gelungene Lebensführung
Es gibt zwei Arten und zwei Verständnisse von glücklichem Wohlbehagen: zum einen das Glück durch Lust, zum anderen das Glück durch gelungene Lebensführung.1 Das Glück durch Lust ist an Gefühle und Ereignisse gebunden: Schmerz soll vermieden, Wohlbehagen maximiert werden. Wir wissen heute, dass Glücksgefühle, die auf guten Ereignissen beruhen (eine neue Liebe, eine dicke Gehaltserhöhung, ein Wunschkind, ein Lottogewinn), ziemlich schnell vergehen. Geld allein macht eben nicht dauerhaft glücklich. Erst recht nicht, wenn der Nachbar mehr hat als wir …
Aristoteles zeigt erstmals: Es ist die eigene Lebensführung, die uns zu Glück verhilft: wenn wir, wie er sagt, »richtig handeln«. Was das ganz genau bedeutet, macht er vom Einzelnen abhängig. Aber er gibt allgemeine Hinweise, was zählt. Hier ein Überblick:
Glück nach Aristoteles: gelungene Lebensführung
1. Leben Sie Ihre eigenen Begabungen und Stärken in Ihren Handlungen.
2. Setzen Sie sich Ziele, die größer sind als nur Ihr eigenes Lebensglück. Sie sollen auch anderen nützen und nicht rein egoistisch sein, sondern einem übergeordneten Sinn dienen – also anderen oder einer guten Sache zugutekommen.
3. Tun Sie das, was für Sie gut, richtig und wertvoll ist. Heute nennen wir das »intrinsische Motivation«. Eine solche liegt vor, wenn Sie noch etwas anderes erwarten, das hinter Ihrem Handlungsziel liegt. Beispiel: Sie helfen jemandem und fühlen sich deshalb gut. Oder: Sie gründen ein Start-up, um Ihre Idee von einem erfolgreichen Unternehmen umzusetzen.
4. Bestimmen Sie selbst, mit welchem Handeln es Ihnen gut geht und was für Sie wert- und sinnvoll ist: freiwillig und in eigener Verantwortung. Zwang macht nicht glücklich, sich anpassen an andere auch nicht. Viel deutet darauf hin, dass emotionale Erlebnisse eher glücklich machen als materieller Besitz. Der Sommerausflug mit Freunden wäre damit eher glücksfördernd als der Besitz eines Picknickkorbs.
Wesentlich für glückliche Momente und Zufriedenheit ist, dass wir etwas tun, was für uns tief sinnbesetzt ist. Und nicht die äußeren Ereignisse sind es, die uns glücklich machen, sondern es sind die Strategien und Haltungen, mit denen wir äußere Ereignisse durchleben. Genuss darf – Aristoteles zufolge und überhaupt – trotzdem sein. Er liegt aber auf einer ganz anderen Ebene als bei den lustbetonten Glücksklimmzügen. Freude und Vergnügen sind im Rahmen einer gelungenen Lebensführung keine Ziele, sondern natürliche Nebenwirkungen eines selbstbestimmten und sinnvollen Lebens, wie sich aus den vier genannten Prinzipien ergibt.
In schlechteren Zeiten wachsen
Unter uns Intros können wir eine Tatsache festhalten, die unsere Belohnungszentren wenig stimuliert: Es ist sehr gut, dass wir nicht ständig glücklich sind. Unsere Wachstums- und Reifungsphasen liegen gerade in den Zeiten, in denen wir nicht zufrieden und vergnügt in die Welt sehen oder in denen wir Krisen durchleben. »Drachen steigen gegen den Wind«, sagt ein chinesisches Sprichwort, und das gilt für unsere innere Entwicklung womöglich auch.
Tiefes Glück durch Sinn
Viele außergewöhnliche Persönlichkeiten lebten in Umständen, die sehr unangenehm waren. Albert Schweitzer baute sein Krankenhaus im Dschungel. Viktor Frankl entwickelte seine Gedanken zu einem guten, sinnerfüllten Leben im Konzentrationslager. Mutter Teresa lebte mit den Ärmsten der Armen in Kalkutta. Für lustbetont Lebende ist in solchen Biografien wenig Glück möglich – und doch erfahren gerade Menschen, die es nach außen hin schwer haben oder es sich schwer machen, besonders glückliche Phasen.
So weit die Gedanken zum Glück. Doch wohin soll die Reise zu einem guten Leben konkret gehen? Es gibt verschiedene Konzepte davon, wie wir unser Leben entwickeln können. Viele sind an eine Weltanschauung oder an eine Lebenssituation gebunden, setzen also bestimmte Grundannahmen voraus. Stellen Sie sich vor, Sie fragen den Dalai Lama, einen muslimischen Flüchtling oder die methodistisch geprägte US-Spitzenpolitikerin Hillary Clinton nach ihrem Rezept für ein gelungenes Leben. Die Antworten werden sich wahrscheinlich in vielen Aspekten unterscheiden.
Zum Glück gibt es Wissenschaftler, die den ganz großen Wurf wagen. Sie beobachten über Jahre eine größere Zahl von Versuchspersonen und suchen nach soliden Daten, die Auskunft über ein gelungenes Leben geben. Zwei dieser Langzeitstudien stelle ich Ihnen kurz vor: die Terman-Studie und die Grant-Studie.
Terman-Studie: Daten zu 1500 Personen
Die Terman-Studie ist die älteste Langzeit-Studie in der Psychologie. Untersucht wurden die Lebensläufe von 1500 hochbegabten Menschen, die um 1910 in Kalifornien geboren wurden. Der Stanford-Psychologe Lewis Terman, Entwickler des Stanford-Binet-Intelligenztests, hatte die Intro-Stärke der Beharrlichkeit: Er protokollierte über 35 Jahre hinweg die Entwicklung seiner Probanden; nach seinem Tod übernahmen andere Wissenschaftler die Weiterführung der Studie.
Die Studie ist aus verschiedenen Gründen auf Kritik gestoßen, insbesondere wegen ihrer hoch umstrittenen Vorannahmen zur Vererbung, aber auch weil die Teilnehmenden sämtlich aus Familien kamen, die sozial und ökonomisch deutlich über dem amerikanischen Durchschnitt lagen. Es ist also nicht klar, ob der IQ oder das günstige soziale Umfeld für spätere Erfolge verantwortlich war. Lässt man Fragen nach Begabung und ihren Ursprüngen außen vor, so lassen sich aus dieser Studie aber spannende Ergebnisse ableiten.
Hängt ein langes, gesundes Leben mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen?
Terman stellte viele Fragen, die die Persönlichkeit der Teilnehmenden erkundeten. Wie vernünftig ist das jeweilige Kind? Ist es fröhlich? Geht es gern auf Partys? Spielt es lieber im Haus oder draußen? Zu solchen Merkmalen liegen Daten für über 1500 Menschen vor – und das erlaubt eine Frage, die für unser Thema wichtig ist: Hängt ein langes, gesundes Leben mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen?
Ganz wesentlich für ein gutes Leben: Gewissenhaftigkeit
Aus den Daten der Studie lassen sich Antworten finden, die über ein reines »Ja« weit hinausgehen. Das Persönlichkeitsmerkmal, das demzufolge für ein langes Leben am wichtigsten ist, ist (»tadaa!«): die Gewissenhaftigkeit.
Die Psychologen Howard Friedman und Leslie Martin von der University of California (Riverside) griffen auf die Daten der Terman-Studie zurück und stellten fest: Beharrlichkeit und Gewissenhaftigkeit beeinflussen die Länge und sogar die Qualität eines Lebens signifikant positiv.2 Beharrlichkeit und Gewissenhaftigkeit, Besonnenheit und gute Organisation haben größere Auswirkungen auf den Erfolg als Intelligenz. Die Studie liefert Nachweise dafür, dass die so langweilig klingende Eigenschaft der Gewissenhaftigkeit viele gute Dinge mit sich bringt. Howard Friedman und Leslie Martin zeigen anhand der Daten, dass gewissenhafte Menschen gesündere Lebenssituationen und Beziehungen aufsuchen. Sie fassen zusammen:
An der Harvard-Universität in Cambridge / Massachusetts begleiten seit rund 80 Jahren Wissenschaftler 268 Harvard-Absolventen der Abschlussjahrgänge 1939 bis 1944 – und zwar vom Studium bis in den Ruhestand. Die Grant-Studie gehört zu den größten und ältesten weltweit und sie ist noch immer nicht abgeschlossen. Hinter diesem riesigen Projekt steht eine große Forschungsfrage, die genau unserem Interesse entspricht: Was ist ein erfülltes, gelungenes Leben?
Die Grant-Studie kombiniert medizinische, psychologische und soziologische Daten
Solide Antworten auf diese große Frage sollten statistisch tragfähig sein und auch kritischen wissenschaftlichen Nachfragen standhalten. Deshalb war das Verfahren von Beginn an sehr aufwendig: Die körperliche und psychische Gesundheit wird ebenso untersucht wie die Zufriedenheit der Teilnehmer. In regelmäßigen Abständen – mindestens alle zwei Jahre – führen Psychologen ausführliche Gespräche mit den Teilnehmern. Eine medizinische Untersuchung steht alle fünf Jahre an. Mehrmals jährlich füllen die Teilnehmer ausführliche Fragebögen aus. Diese Kombination macht die Studie so besonders: Sie liefert verlässlich umfangreiche medizinische, psychologische und soziologische Daten in Kombination.
Die Teilnehmer der Studie haben viele äußere Gemeinsamkeiten: Es sind durchweg männliche, weiße Amerikaner, die mit ihrem Harvard-Studium zur Bildungselite gehören und über einen sehr hohen Sozialstatus verfügen. Weil es aber sonst kaum so umfangreich und solide über so viele Jahre erhobene Daten gibt, greifen dennoch viele Wissenschaftler auf die Studie zurück.
Was aber ist nun ein gelungenes Leben? Innerhalb der Studie lautet die Antwort so:
Diese Aussage konkretisiert zwar die Vorstellung von einem gelungenen Leben. Allerdings wollen Sie wahrscheinlich nicht warten, bis Sie die ersten Jahre Rente hinter sich haben, um Ihr eigenes Leben danach einzuschätzen.
Die nächste und noch interessantere Frage lautet deshalb: Wie genau erreichen die Teilnehmer ein erfülltes, gelungenes Leben?
Ein erfülltes Leben erreichten etwa 25 Prozent
Ein erfülltes Leben erreichten etwa 25 Prozent der Männer. Die Daten der Studie liefern klare Anhaltspunkte, wie ihnen das gelingen konnte. Einige Kriterien haben wir schon geahnt: Es ist besser, nicht zu viel zu rauchen und zu trinken. Übergewicht ist ebenfalls wenig hilfreich, wenn es uns im Alter gut gehen soll. Es ist außerdem besser, wenn wir uns ab und zu mehr bewegen als nur vom Sofa zum Kühlschrank.
Darüber hinaus gibt es aber auch spannendere Ergebnisse. George Vaillant, der die Studie seit 1967 leitet, sagt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung4: »Glück hat mehr mit Eleganz als mit Wohlstand zu tun. Eine gewisse Ordnung der Umgebung und der Umstände gehören zum Glück, und dazu Menschen, die man liebt und die einen lieben.«
Erste Erkenntnis: Das Wichtigste ist Bindung
Das klingt erst einmal abstrakt. Wie genau sollen wir das anstellen? Drei Erkenntnisse geben uns eine Orientierung. In einem Interview mit dem Spiegel bringt Vaillant die erste wichtige Erkenntnis der Studie so auf den Punkt:5 »Das mit Abstand Wichtigste ist die Bindung. Dabei geht es nicht unbedingt um die Bindung zum Lebenspartner, sondern eher um die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen.«
Zu diesen Beziehungen gehören eine Kindheit mit zugewandten Eltern und eine enge Verbindung zu den Geschwistern ebenso wie eine stabile Partnerschaft und gute Freunde. Wenn Sie ein erfülltes Leben anstreben, sollten einfühlsame Verbindungen zu Familienmitgliedern und Freunden also ganz oben auf Ihrer Liste stehen. Pflegen Sie Ihre Kontakte, Ihre guten Beziehungen – und Ihre Fähigkeit, Kontakte zu schließen und zu erhalten!
Intros sind wie Extros Gemeinschaftswesen – der Unterschied liegt in der Gestaltung von Gemeinschaft: Intros haben bevorzugt mit wenigen Menschen tief gehende Kontakte und einen vertrauensvollen Austausch, anstatt mit vielen Menschen einen weniger verbindlichen Austausch zu pflegen.
Zweite Erkenntnis: Es geht nicht um die Umstände, sondern um den Umgang damit
Die zweite wichtige Erkenntnis ist: Nicht die äußeren Umstände sind es, die uns glücklich oder unglücklich machen. Wie wir allerdings mit diesen Umständen umgehen, das ist umso wichtiger. Oder anders formuliert: Die »Adaptierer« haben eine gute Aussicht auf ein gelungenes Leben. Das sind Menschen, die versuchen, auch aus schwierigen Umständen zu lernen, und die das Erkannte später nutzen.
Gerade für Intros ist dabei ein Aspekt wichtig: Fressen Sie Probleme nicht in sich hinein. Die Studie zeigt deutlich: Das macht uns auf Dauer krank. Nach außen gewandte Extros sind dagegen eher in Versuchung, ihren Frust nach außen abzuleiten – worunter dann die Mitmenschen leiden.
Dritte Erkenntnis: Gefühle so kanalisieren, dass sie nicht schaden
Die dritte Erkenntnis betrifft den Umgang mit den eigenen Gefühlen. Menschen mit einem gelungenen Leben schaffen es, ihre Gefühle so zu kanalisieren, dass sie sich und anderen nicht schaden – zum Beispiel regulieren sie Frustration durch Sport.
Hier sind die Ergebnisse der beiden Studien über gelingendes Leben noch einmal in kurzer Rezeptform:
Terman-Studie: 5 Rezepte für ein langes und gutes Leben
1. Seien Sie beharrlich.
2. Seien Sie besonnen.
3. Seien Sie gewissenhaft.
4. Kultivieren Sie Ihre gute Organisation.
5. Lehnen Sie sich zurück, wenn Sie nicht den IQ von Albert Einstein haben. Die ersten vier Eigenschaften sind für ein erfolgreiches Leben wichtiger.
Grant-Studie: Rezepte für ein erfülltes, gelungenes Leben (definiert als ein gesundes, zufriedenes Leben)
1. Verzichten Sie auf Alkohol und Tabak und bleiben Sie normalgewichtig. Bewegen Sie sich regelmäßig.
2. Pflegen Sie Ihre Kontakte zu anderen Menschen. Gestalten Sie vertrauensvolle Bindungen zu Partner, Kindern, Verwandten und Freunden.
3. Lernen Sie aus den Umständen, auch wenn diese schwierig sind. Nutzen Sie das Gelernte.
4. Stehen Sie zu Ihren Gefühlen, aber kanalisieren Sie sie so, dass Sie sich und anderen nicht schaden.
Intros sind optimal ausgestattet
Sehen Sie noch einmal in Ruhe auf dieses Rezeptblatt für ein gutes Leben – eine halbe Seite, in der viele, viele Jahre Forschung stecken. Fällt Ihnen etwas auf? Ich war erstaunt, als ich sah: Mit ihren Stärkepotenzialen an Substanz und Vorsicht, analytischem Denken und Beharrlichkeit sind Intros optimal ausgestattet, um der nächsten sinnvoll aussehenden Station ihrer Entwicklung entgegenzuwandern.
Und auch wenn Intros nicht in Euphorie ausbrechen, sobald sie eine Station ihres Lebens gut gemeistert haben: Entscheidend ist etwas ganz anderes. Wer sich bewegt, weil er etwas vom Leben erwartet, der bewegt auch etwas von seiner Welt. Und gelungenes Leben hat etwas mit dieser Art von Bewegung zu tun: Es entwickelt sich.
Doch hier kommt der zur Beständigkeit neigende Intro zur nächsten Frage: Ist es für unsere Entwicklung nicht manchmal gut, lieber am jeweiligen Platz zu bleiben? Wann ist dann Bewegung angesagt? Um diese Fragen geht es im nächsten Abschnitt.
»Mensch, was du liebst,
in das wirst du verwandelt werden.«
Angelus Silesius
Intros neigen zur Beständigkeit
Gelungenes Leben enthält immer beides: Beständigkeit und Veränderung. Meistens wünschen wir uns, dass das, was wir in unserem Leben als gut erleben, möglichst unverändert bleibt. Vor allem Intros mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit wünschen sich oft, dass alles so bleibt, wie es ist: Der Job möge sicher sein, unsere Beziehungen stabil, unsere Gesundheit erst recht. Rituale und Routinen haben etwas Beruhigendes und Anheimelndes. Halten Sie sich die ganz einfachen Dinge vor Augen: Was trinken Sie? Wo gehen Sie gern essen?
Manchmal aber wollen wir Dinge in unserem Leben ändern. Oder wir denken, wir müssen. Das können Lebensumstände sein, aber auch eigene Verhaltensweisen. In diesem Abschnitt fragen wir uns, wie Veränderung eigentlich gelingen kann.
»Entwicklung heißt Bewegung, Bewegung beinhaltet Veränderung – und paradoxerweise kann eben auch das Bemühen, uns selbst treu zu bleiben, Veränderung verlangen. […] Zwischen diesen beiden Polen – Beharren auf dem Alten einerseits und dem Wunsch nach […] Veränderung andererseits – bewegen wir uns ein Leben lang.«
Dr. Elisabeth Mardorf (2012), S. 24
Veränderungen erfolgen meist langsam
Echte Veränderungen geschehen meistens langsam: In der Natur wechseln allmählich die Jahreszeiten. Wir reifen langsam vom Kind zum Erwachsenen. Das gilt auch für unser Innenleben: Nur sehr selten machte es »Zack!« und auf einmal sind wir ganz anders. Dennoch müssen wir uns manchmal entscheiden: Will ich X ändern? Oder soll X bleiben?
Veränderungsstufe 1: wahrnehmen, wo es drückt
Sehen wir uns diese Stufen in einem solchen Prozess einmal an. Bei der ersten Veränderungsstufe geht es darum, wahrzunehmen, wo es drückt. Woran lässt sich erkennen, ob gerade eine Bewegung oder ein beharrliches Bleiben gut ist? Der Impuls, dass wir bei allen Stabilitätswünschen doch etwas ändern wollen, geht meistens mit einem Gefühl des Unbehagens am Status quo einher. Etwas piekst uns, stört uns, macht uns unzufrieden oder tut uns weh.
Diese Fragen helfen:
Was tut weh?
Womit bin ich unzufrieden?
Die drei Intros in den nachfolgenden Beispielen haben ganz unterschiedliche Druckpunkte, die auf Veränderungen verweisen.
Anne, Theo und Gabi: Veränderung im Beruf (1)
Anne ist Managerin in einem mittelständischen Unternehmen. Ihr fällt immer wieder auf, dass ihre Anwesenheit und auch ihre Äußerungen wenig Aufmerksamkeit bekommen. Besonders in Meetings nervt sie das. Sie hat noch einiges vor und wünscht sich eine entsprechende Außenwirkung. Sie will deshalb etwas ändern.
Theo ist in seinem Job als Projektmanager in einem Automobilkonzern erfolgreich. Aber er fragt sich in letzter Zeit immer wieder, ob das alles ist. Er fühlt sich gelangweilt und irgendwie auch unausgefüllt.
Gabi hat eine Familienphase hinter sich, die viel länger als geplant gedauert hat. Ihre jüngere Tochter war in ihren Kleinkindjahren oft im Krankenhaus und brauchte viel Zeit und Betreuung. Sie spürt einen inneren Druck, jetzt wieder in den Beruf einzusteigen.
In solchen Situationen wünschen wir uns, dass eine Veränderung eine Verbesserung bringt. Und wir haben auch einen Antrieb dazu: weil wir ja eben unzufrieden sind. Dieser Antrieb gibt uns den Mut, die Veränderungen auch anzugehen: weil es sich ab einem bestimmten Zeitpunkt schlimmer anfühlt, wenn wir nichts tun. Das überzeugt sogar ein zaghaftes Vorsichtszentrum im Gehirn.
Veränderungsstufe 2: Verstand nutzen, Muster suchen
Wenn unser Verhalten unerwünschte oder unangenehme Folgen hat, dann wollen wir das zwar gern ändern. Wirklich herankommen können wir an das Problem aber nur, wenn wir eine Ahnung davon bekommen, wo die Ursachen liegen könnten. Das ist eine Aufgabe für unseren Verstand: eine Analyseleistung. In der zweiten Phase unserer Veränderung sehen wir deshalb genauer hin. Wir entdecken Zusammenhänge.
Diese Fragen helfen:
Wo tritt das Problem auf? Wo noch? Habe ich Gewohnheiten, die zu dem Problem führen? Gibt es Zusammenhänge zwischen den Situationen, die mir in den Sinn kommen, wenn ich an mein Problem denke?
Anne, Theo und Gabi: Veränderung im Beruf (2)
Anne macht, was sie besonders gut kann: eine Liste. Sie hält jede Situation fest, in der sie sich übergangen oder zu wenig gehört fühlt. Ihre Analyse: Immer dann, wenn sie mündlich kommuniziert, kommt sie nicht gut an. Dazu gehören Meetings, Vortragssituationen, aber auch Gespräche. Anne weiß auch, dass sie dazu neigt, leise und schnell zu sprechen.
Theo fragt sich, was genau ihn so langweilt und frustriert. Dabei stößt er rein sachlich auf viele Dinge, die ihm sehr gut gelingen: Komplizierte Konzepte, die Kollegen gern vor sich herschieben, schreibt er gern und konzentriert. Seine Projekte managt er mit ruhiger Hand und er kommt mit seinem Team gut klar. Er löst auch heikle Probleme gut und ist sogar so etwas wie der Diplomat in seiner Abteilung. So richtig kommt Theo mit diesen Überlegungen nicht weiter, denn das, was er tut, ist weder über- noch unterfordernd. Er versteht seinen Überdruss nicht.
Gabi überlegt, in welchen Situationen sie aus dem Familienkontext herauswill. Ihr wird klar, dass der Impuls immer dann kommt, wenn es gerade wieder einmal finanziell knapp wird. Ihr Mann ist Freiberufler im IT-Bereich und verdient ganz gut, aber unregelmäßig. Wenn Aufträge ausbleiben, spürt Gabi das Bedürfnis, Geld hinzuzuverdienen und für die Familie eine gute materielle Grundlage zu sichern.
Wenn wir Veränderungen nur mit dem Verstand schaffen wollen, dann … Ach, nehmen wir ein Beispiel. Haben Sie schon einmal einen ganz vernünftigen Vorsatz für das neue Jahr gefasst? Weniger Süßigkeiten essen, mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben? Und? Genau.
Veränderungsstufe 3: Gefühle mitnehmen
Der Verstand allein reicht also nicht aus. Unser Fühlen ist älter, stärker und auch stabiler: Auch in Situationen, in denen wir kaum denken, fühlen wir. Wenn wir uns verändern, ist das unbequem und anstrengend. Wenn unser Gehirn einmal bestimmte Muster hat, dann gibt es sie nur ungern auf. Veränderungen schaffen wir nur, wenn wir das vierte Rezept der Grant-Studie befolgen, das Sie gerade kennengelernt haben: wenn wir unsere Gefühle ernst nehmen. Das ist die dritte Veränderungsstufe: Gefühle mitnehmen. Dabei ist es erlaubt, auch über den Raum hinauszudenken, in dem Sie im letzten Schritt Ihre Situation analysiert haben. Das tun Sie, indem Sie sich emotional in einen Bereich beamen, der für Sie gut aussieht und die Veränderung lohnt.
Diese Fragen helfen:
Was macht mir richtig Freude? Wonach sehne ich mich? Wovon träume ich? Wann geht es mir besonders gut?
Unser Gefühlskompass leitet uns. Aber er ist nicht so konkret wie der Verstand, der alles schön in Sprache packen kann. Es kann passieren, dass Sie einen Gefühlsimpuls spüren und etwas tun, um ihm nachzugehen. Sie verändern sich also – und dann sind Sie doch nicht zufrieden. In solchen Fällen ist es am besten, noch einmal auf den Kompass zu blicken und einen neuen Anlauf zu versuchen. Bei Anne, Theo und Gabi ging es sehr unterschiedlich weiter:
Anne, Theo und Gabi: Veränderung im Beruf (3)
Anne fühlt sich wohl, wenn sie in ganz kleinen Gruppen oder allein ist. Und sie zieht es vor, zu schreiben, anstatt zu reden. Besonders gern plant sie und schreibt Listen, weshalb ihr die Arbeit in Veränderungsstufe 2 auch so leicht fiel. Und sie mag soziale Medien. Die Antworten findet Anne selbst erst einmal grenzwertig: Mit Listen lässt sich schließlich kein Managementjob erledigen, mit dem Besuch von Websites auch