Lektionen fürs Leben. Lebensweisheiten aus 100 Werken der Weltliteratur - Joseph Piercy - E-Book

Lektionen fürs Leben. Lebensweisheiten aus 100 Werken der Weltliteratur E-Book

Joseph Piercy

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Beschreibung

Was lehrt uns das Lesen, das Lesen von Literatur? Der Frage geht dieses Buch auf unterhaltsame Weise nach. Von Brasilien bis Afrika, von Charlotte Brontë bis Haruki Murakami – Romane behandeln die großen Fragen des Lebens. Liebe und Romantik, Konflikt und Unterdrückung, Psychologie und Identität sind universelle Themen der Literatur. Anhand von Beispielen aus über 100 Werken der Weltliteratur, Zitaten, Themen, Kernaussagen, Konflikten, zeigt Joseph Piercy, wie Literatur unser Leben bereichert und unseren Horizont erweitert. Die Weisheit vielgeliebter Klassiker und neu zu entdeckender Romane aus anderen Kulturkreisen – ein Muss für Bibliophile!

  • Der erste literarische Lebensratgeber
  • Die großen Fragen des Lebens beantwortet von den großen Autor*innen der Weltliteratur
  • Mit Lebensrat von Charles Dickens, Jane Austen, den Bronte-Schwester, Victor Hugo, Mark Twain, Haruki Murakami u.v.m.
  • Liebe, Toleranz, Recht und Unrecht, Moral, Familie, Streit, Frieden, Macht, Heimat, Gesundheit ...

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Seitenzahl: 176

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JOSEPH PIERCY

LEKTIONEN FÜRS LEBEN

LEBENSWEISHEITEN AUS 100 WERKEN DER WELTLITERATUR

Aus dem Englischen von Jan Strümpel

ANACONDA

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Life Lessons from Literature bei Michael O’Mara Books in London. Copyright © Michael O’Mara Books Limited 2023

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Adobe Stock / TatyanaYagudina

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-31834-5V001

www.anacondaverlag.de

In liebender Erinnerung an Dr. Alan Piercy (13. März 1941 bis 9. Januar 2023)

INHALT

Einleitung

1. Kapitel  Liebe und Beziehungen

2. Kapitel  Mensch und Gesellschaft

3. Kapitel  Unterdrückung und Kampf

4. Kapitel  Psychologie und Persönlichkeit

5. Kapitel  Geschichte und Erinnerung

Dank

EINLEITUNG  BEKENNTNISSE EINER LESERATTE

Ich habe mich zu erinnern versucht, welches das allererste von mir gelesene Buch war. Ich meine das allererste ›richtige‹ Buch, das erste Erwachsenen-Buch, den ersten mehr als 200 Seiten dicken Roman. Früh habe ich die Bücher von Roald Dahl gelesen, oder besser: verschlungen, die ganzen Romane des schwedischen Autors Nils-Olof Franzén rund um den Meisterdetektiv Agaton Sax und andere Kinderbuch-Klassiker. Aber was war das erste Buch, das wirklich zu mir sprach, das einen bleibenden Eindruck in mir hinterließ und mir etwas über das Leben und die Welt erzählte? Ich denke, es war Unten am Fluss (1972) von Richard Adams, vordergründig ein Roman über Kaninchen, dabei zugleich ein Buch über Glauben und Politik, das den Heldenmythos aufgreift und den zeitlosen Erzählstoff vom Streben nach Freiheit und dem Kampf gegen Unterdrückung und Tyrannei. Ein früher Fall von Öko-Thriller war es zudem auch noch. Das Buch umfasst über 500 Seiten, und ich weiß noch, wie ich nach dem Umblättern der letzten Seite dachte, jetzt hast du etwas geleistet, dass ich aber auch ein eigenartiges Gefühl von Verlust empfand. Ich war derart tief abgetaucht in die Geschichte, dass mir einige der Figuren richtig ans Herz gewachsen waren. Sie fehlten mir bereits, ich begehrte nach mehr. Fast 25 Jahre später sollte Richard Adams eine Art Fortsetzung seines Romans vorlegen, aber da hatte ich mich längst weiterentwickelt, wobei die Kaninchen aus Unten am Fluss immer einen Platz in meinem Herzen und Denken haben werden.

Der große russisch-amerikanische Schriftsteller Vladimir Nabokov behauptete in seinem berühmten Essay »Gut lesen und gut schreiben«, dass »man ein Buch nicht einfach lesen kann: man kann es nur wieder lesen«. Ich frage mich, wie es mir wohl mit Unten am Fluss ginge, würde ich es heute wieder lesen. Die Geschichte, die die Fantasie des Achtjährigen angeregt hatte, wird meinen gut fünfzig Jahre alten strapazierten Geist wohl kaum in vergleichbarer Weise in ihren Bann schlagen. Dafür dürfte ich jetzt Dinge darin erkennen, die mir beim ersten Durchgang mit Sicherheit entgangen sind, was ganz normal ist angesichts meiner begrenzten Welterfahrung als junger Leser. So würde ich das Buch wohl am Bechdel-Test (einer Art Geschlechterklischee-Test) scheitern sehen, was den Anteil und die Rolle weiblicher Kaninchen in dieser Geschichte betrifft. Es ist eine verbreitete Kritik an Adams’ Roman, dass die weiblichen Kaninchen im Wesentlichen nur beim Thema Fortpflanzung von Bedeutung sind (wobei, hier geht es um Kaninchen, und die vermehren sich nun mal ziemlich munter). Ich wollte mir meine schönen Erinnerungen an Unten am Fluss nicht trüben lassen, daher habe ich mich Nabokov zum Trotz gegen eine erneute Lektüre entschieden, und so erinnere ich mich der Abenteuer von Hazel, Fiver, Bigwig und General Woundwort für alle Zeit durch den Filter meiner kindlichen Fantasie.

Bei der Arbeit an diesem Buch hielt ich mich dann aber doch an Nabokovs Maxime, denn ich bin zu vielen Büchern zurückgekehrt, die ich in verschiedenen Phasen meines Lebens und auf verschiedenen Stufen meiner geistigen Entwicklung gelesen hatte. Es war schon interessant zu sehen, wie ganz anders ich bei der Wiederbegegnung auf die Figuren und die Erzählweise mancher Bücher reagierte, mit denen ich mich zum Teil vor über dreißig Jahren zuletzt beschäftigt hatte. Nabokov zufolge findet der konkrete Leseakt, also wie die Augen die Seiten abtasten und das Gehirn die Wörter verarbeitet, so statt, dass manche inhaltlichen oder stilistischen Feinheiten, die einem Roman seine Substanz verleihen, bei der ersten Lektüre oft übersehen werden. Das kann man so und so sehen, denn es kommt gewiss ein Stück weit darauf an, wie intensiv und zu welchem Zweck sich jemand mit dem Text befasst. Ich gebe Nabokov durchaus recht, dass man bei der erneuten Lektüre Details erkennt, die zuvor überlesen worden waren, aber ich würde sagen, das hängt doch alles sehr davon ab, wie sich die persönliche Sicht eines Menschen auf die Welt und die Gesellschaft im Lauf der Zeit verändert hat. Nehmen wir als Beispiel Schlachthof 5 von Kurt Vonnegut, das ich erstmals mit Anfang zwanzig auf der Uni im Grundstudium gelesen habe. Ich mochte den Roman sehr; über ihn erfuhr ich manches zur Bombardierung Dresdens durch die Alliierten, wovon ich bislang nichts gewusst hatte (Siegern eines Konflikts werden ihre Kriegsverbrechen selten vor Augen geführt), er brachte mich zum Lachen, und ich schwelgte in seinem trashigen, psychedelischen, science-fiction-mäßigen Wahnwitz. Als ich das Buch dreißig Jahre später wieder las, staunte ich darüber, wie voller Zorn es ist und wie sehr durchdrungen von quälender Melancholie. Sicher, in dem Roman geht es auch witzig zu, aber die Scherze sind traurig und voller Galgenhumor und haben nichts von der wilden, düsteren Dreistigkeit, die ich in Erinnerung hatte.

Auch mit E. M. Forster habe ich mich auf der Universität befasst, und ich fand seine Bücher unfassbar langweilig. Ihre komisch gemeinten Elemente wirkten gedrechselt und künstlich auf mich, und die darin verankerte Kritik am viktorianischen Biedersinn oder dem Widerstand gegen die Moderne ließ mich kalt. Es macht bekanntlich einen Unterschied, ob man zum Vergnügen liest oder es tut, weil man eine Hausarbeit schreiben oder eine Prüfung ablegen muss, und so war meine Sicht auf Forster durch die Studiensituation wohl verstellt. Als ich jedenfalls drei Jahrzehnte später Zimmer mit Aussicht wieder las, war ich begeistert von der feinsinnigen Ironie, dem zarten Humor und dem kompakten Stil, die mir bei der ersten Lektüre allesamt entgangen waren.

Dieses Buch ist der Freude am Lesen (oder Wiederlesen) gewidmet und möchte aufzeigen, wie die Beschäftigung mitKlassikern der Literatur unser Verständnis von der Welt und dem Dasein erweitern kann. Die »Erkenntnisse daraus« wollen nichts feststellen; jeder Mensch liest anders, zieht jeweils eigene Dinge aus diesem oder jenem Buch und reagiert ganz individuell auf seine Themen und Gedanken. Es geht mir nur um ein paar Betrachtungen zum Charakter der hier ausgewählten Romane und darum, einen Eindruck ihrer jeweiligen »Geschmacksrichtung« zu vermitteln. Ein Satz noch zu Spoilern: Ich habe so weit es ging versucht, nicht die ganze Handlung eines Romans zu verraten, aber hier und da war es unmöglich aufzuzeigen, wie ein Thema oder eine bestimmte Intention konkret umgesetzt wurde, ohne auf Schlüsselszenen des Erzählten Bezug zu nehmen. Diese Einführungen wollen nichts als Lockvögel sein; es gibt Tausende andere, noch unentdeckte Wege, ein Buch zu genießen oder zu interpretieren.

Die fünf Kapitel widmen sich thematischen Aspekten, die prägend sind für Romane aus früheren Zeiten. Den größten Raum nimmt das Kapitel über Mensch und Gesellschaft ein. Das ist kein Wunder, denn Romane stecken voller Figuren mit menschlichen Eigenschaften (wenn auch manchmal in Form sprechender Kaninchen), und die Erwartung an einen Roman ist seit jeher, dass er der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Die anderen vier Kapitel befassen sich ebenfalls mit Romanen über Menschen und die Gesellschaft, aber in enger gefasster oder spezifischerer Form durch Sezieren der Psyche oder die Darstellung von Konflikten. Selbstverständlich hätten etliche Romane in gleich mehreren Kapiteln ihren Platz gefunden. Tess von den d’Urbervilles zum Beispiel wird im Kapitel über Liebe und Beziehungen behandelt, könnte aber genauso gut in den Kapiteln über Unterdrückung und Kampf oder Mensch und Gesellschaft vorkommen – je nachdem, auf welchen Themenbereich in dem Werk man den Schwerpunkt legt.

Bei der Auswahl der Werke wurde auf eine internationale Bandbreite geachtet, die verschiedene Kulturen widerspiegelt. Man neigt unbewusst zum Bevorzugen europäischer Romane, zumal der Roman in seiner modernen Form ja in Europa entstand und immer weiter ausdifferenziert wurde. Aber ich hatte auch große Freude am Entdecken von Büchern, die ich noch nicht kannte, speziell Romanen aus Asien. Die Auswahl ist überwiegend subjektiv – wie jede Auswahl dieser Art – und erhebt keinerlei Anspruch darauf, irgendwie maßgeblich oder in Stein gemeißelt zu sein. Aber interessanterweise begegnet man bei der Internet-Recherche nach Listen von der Sorte »Die 100 besten Romane in englischer Sprache« oder »Die 100 größten Romane des 20. Jahrhunderts« vielen der hier behandelten Titel häufig wieder, und das zeugt doch von gewisser Einigkeit über den »Klassiker«-Status einiger Werke. Eines bedauere ich sehr, nämlich dass sich so wenige Schriftstellerinnen in der Auswahl befinden. Dies hängt direkt damit zusammen, dass Frauen in der Vergangenheit so wenige Chancen hatten, zu schreiben und auf sich aufmerksam zu machen. Inzwischen hat sich das geändert, einer Statistik aus dem Jahr 2022 zufolge wurden 70 Prozent der eintausend bestverkauften Romane in den USA von Frauen geschrieben. Wenn in einhundert Jahren jemand ein Buch wie dieses schreibt, wird das Verhältnis der Geschlechter darin wahrscheinlich – hoffentlich – deutlich ausgewogener sein.

Das Schöne an der Arbeit an diesem Buch war unter anderem, dass es meine Liebe zum Lesen neu befeuert hat. Man wird doch allzu leicht durch Smartphones und Computer abgelenkt, von Multimedia, dem Internet, der 24/7-Bestrahlung durch News, Streaming-Angebote usw. und findet dann gar nicht mehr die Zeit, sich mal entspannt hinzusetzen, zum Buch zu greifen und zu lesen. Ich habe beschlossen, das einfach wieder verstärkt zu tun und dafür mein Hirn weniger durch Videos von Skateboard fahrenden Katzen zuzukleistern. Aus Büchern lernen wir etwas über das Leben, die Welt um uns herum und die Menschen, die sie bevölkern, und was wir durch sie lernen, erweitert unser Verständnis von uns selbst und anderen.

Joseph Piercy

1. KAPITEL  LIEBE UND BEZIEHUNGEN

Die Erkundung der Liebe hat in der Weltliteratur eine weit zurückreichende Tradition. Die Gattung Liebesroman entsteht im 4. und 5. Jahrhundert im antiken Griechenland, hier etabliert sich der Erzählstoff von der verzehrenden Leidenschaft zwischen zwei Menschen, die zahlreiche Prüfungen bestehen und Hürden überwinden müssen, bevor sie ihre Liebe ausleben dürfen. Ein namhaftes Beispiel dieser Gattung ist die – erst Mitte des 16. Jahrhunderts in andere europäische Sprachen übersetzte – Aithiopika des Heliodoros von Emesa. Am Muster dieser Geschichte orientierten sich viele Schriftsteller wie Miguel Cervantes und William Shakespeare oder im 17. Jahrhundert der Dramatiker Jean-Baptiste Racine, der sie sein Lieblingsbuch nannte.

Im 19. Jahrhundert hatte sich der Liebesroman als literarische Form etabliert. Inzwischen wurden Frauenfiguren in ihrer Individualität und mit ihren eigenen Sehnsüchten ernster genommen und positiver dargestellt. Die Romane von Jane Austen und der Brontë-Schwestern waren wichtige Beiträge zu diesem Wandel hin zur Psychologie der Liebe und des Begehrens. Das Spektrum ihrer literarischen Darstellung reicht von der tragischen Liebe, die unter einem schlechten Stern steht, mit Shakespeares Romeo und Julia als dem wohl berühmtesten Beispiel, bis zu den romantischen Komödien der heutigen Unterhaltungsliteratur. Andere Romane loten psychologisch die Untiefen der Liebe aus, dann entwickelt obsessive Liebe eine zerstörerische Kraft. Gleich aus welcher Richtung das Thema Liebe angegangen wird, immer machen fiktionale Geschichten uns Lesenden ein Angebot, sich selbst darin wiederzuerkennen und über das eigene Verständnis von der Liebe nachzudenken.

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CHARLOTTE BRONTË

JANE EYRE

Worum es geht

Ein schauriger Liebesroman, erzählt entlang der sittlichen und geistigen Entwicklung seiner willensstarken Heldin gleichen Namens.

Die Erkenntnis daraus

Erfüllung im Leben kommt aus einer Liebe, deren moralischer Kompass unerschütterlich ist. Bleib deinen Grundsätzen immer treu, was immer auch das Leben dir an Steinen in den Weg legt.

Jane Eyre (1847) ist der Inbegriff des im 19. Jahrhundert zur Ausprägung gelangten romantischen Schauerromans. Bevölkert von grausamen Grotesken samt düsteren Vorahnungen und den für sie typischen dunklen Geheimnissen, verwebt Charlotte Brontë vor schmuckloser Kulisse alle klassischen Elemente der gothic novel zu einem der ersten ikonischen feministischen Romane. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird zwar nicht direkt thematisiert, aber Jane ist willensstark, geistig unabhängig und prinzipienfest, auf Kummer und widrige Umstände reagiert sie mit großer innerer Stärke. Am Ende des Romans hat Jane finanzielle Unabhängigkeit und einen Status erlangt, die ihr erlauben, die Umstände ihrer Hochzeit mit Rochester selbst zu bestimmen, statt sie sich von ihm oder der patriarchal strukturierten Gesellschaft im viktorianischen England diktieren zu lassen. Ihre Unabhängigkeit in Geist und Seele bringt folgendes Zitat wunderbar auf den Punkt:

»Ich vermag allein zu leben, wenn Selbstachtung und die Umstände von mir verlangen, dass es so sei. Ich brauche meine Seele nicht zu verkaufen, um Glück zu erkaufen. Ich besitze einen Schatz in meinem Innern, einen Schatz, der mit mir geboren wurde, der mich am Leben erhalten wird, wenn jedes fremde Glück mir fern bleiben sollte oder mir nur um einen Preis geboten wird, den ich nicht zu zahlen vermag.«

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GUSTAVE FLAUBERT

MADAME BOVARY

Worum es geht

Ein langweiliger Arzt aus der Provinz heiratet eine attraktive, aber flatterhafte jüngere Frau, die sich nach romantischen Abenteuern, Intrigen und dem »schönen Leben« sehnt. Im Versuch, der tristen Realität zu entfliehen, lässt sich Emma Bovary auf zwei zum Scheitern verurteilte Affären ein.

Die Erkenntnis daraus

Die Unfähigkeit, zwischen verklärten Fantasiebildern und der Alltagsrealität zu unterscheiden, kann zu einer Tragödie und ins Verderben führen.

Die Titelfigur Emma Bovary ist eine tragische Heldin im klassischen Sinn, da sie von all dem, was fehlerhaft an ihr ist, letztlich zugrunde gerichtet wird. Es ist leicht, Emma mit ihrem Kopf voller oberflächlicher Fantasien für kapriziös und dumm zu halten. Und Flaubert macht sich auf Emmas Kosten durchaus lustig mit theatralischen Sätzen wie: »Sie wollte sterben, aber zugleich wollte sie auch in Paris leben.« Ihre Sehnsucht nach sozialem Status und materiellem Wohlstand kontrastiert mit der Trostlosigkeit und den Sitten auf dem Land; der Roman trug denn auch ursprünglich den Untertitel: »Ein Sittenbild aus der Provinz«.

All ihren Plänen und ihrem ehrlichen Streben zum Trotz bleibt Emma Bovary unerfüllt, da ihr Traum vom »schönen Leben« ihren Blick auf die Realität verzerrt hat, zumindest auf die Realität des von ihr erwarteten Lebens. Dieses Missverhältnis zwischen ihren hochfliegenden Schwärmereien und der geisttötenden Banalität von Emmas Leben sorgt für erheblichen Kummer und Frustration, wie die folgende Passage deutlich macht:

»Im tiefsten Grunde ihrer Seele harrte sie freilich immer des großen Erlebnisses. Wie der Schiffer in Not, so suchte sie mit verzweifelten Augen den einsamen Horizont ihres Daseins ab und spähte in die dunstigen Fernen nach einem weißen Segel. Dabei hatte sie gar keine bestimmte Vorstellung, ob ihr der richtige Kurs oder der Zufall das ersehnte Schiff zuführen solle, nach welchem Gestade sie dann auf diesem Fahrzeug steuern würde, welcher Art dieses Schiff überhaupt sein solle, ob ein schwaches Boot oder ein großer Ozeandampfer, und mit welcher Fracht er fahre, mit tausend Ängsten oder mit Glückseligkeiten beladen bis hinauf in die Wimpel. Aber jeden Morgen, wenn sie erwachte, rechnete sie bestimmt darauf, heute müsse es sich ereignen. Bei jedem Geräusch zuckte sie zusammen, fuhr sie empor und war dann betroffen, dass es immer noch nicht kam, das große Erlebnis. Wenn die Sonne sank, war sie jedes Mal tieftraurig, aber sie hoffte von Neuem auf den nächsten Tag.«

Verdirbt Flaubert die allgemeine Moral?

Als Madame Bovary 1856 zunächst als Fortsetzungsroman in der Literaturzeitschrift La Revue de Paris erschien, war die Aufregung groß. Flaubert wurde angeklagt, am Ende sprach ihn das Gericht vom Vorwurf der Obszönität und der »Verderbnis der allgemeinen Moral« frei, wobei das damit einhergehende Aufsehen erheblich zum Absatz des Buches und zum Ruhm des Schriftstellers beitrug. Die Staatsanwaltschaft war in Sorge, dass das Buch den Ehebruch im französischen Bürgertum verherrlicht und eine Hausfrau aus der Provinz als Urbild einer Nymphomanin darstellt. Das ist natürlich Unsinn, und längst gilt der Roman mit seinen Schlaglichtern auf ein spezielles Unbehagen im Bürgertum als Meisterwerk des Realismus im Europa des 19. Jahrhunderts. Kurioserweise vertrat der Chefankläger im Prozess die Ansicht, dass jeder Versuch, die Realität literarisch darzustellen, als Verstoß gegen die guten Sitten betrachtet werden sollte. Genau diese heuchlerische Haltung des aufstrebenden Bürgertums nimmt das Buch in subtiler Weise aufs Korn.

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GABRIEL GARCÍA MÁRQUEZ

DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DER CHOLERA

Worum es geht

Die ein halbes Jahrhundert umspannende Geschichte einer verbotenen Liebe vor dem turbulenten Hintergrund von Kriegen und Krankheiten.

Die Erkenntnis daraus

Liebeskummer lässt sich als eine Art Krankheit betrachten, die durch Geduld und Beharrlichkeit jedoch eines Tages überwunden und besiegt werden kann.

Diese Liebesgeschichte ist alles andere als konventionell und rührselig. Ständig durchkreuzt García Márquez die Erwartungen des Lesers – zum Beispiel, indem eine der Hauptfiguren unvermittelt durch einen Unfall zu Tode kommt. Als Fermina ihm ihre Liebe entzieht, schwört Florentino, ihr dennoch treu zu bleiben. Doch dann stürzt er sich, schier unersättlich, auf das schöne Geschlecht, umgarnt Hunderte von Frauen. Viele von ihnen sind unglücklich und gefährdet, Florentino jedoch zeigt wenig Verantwortungsbewusstsein oder schlechtes Gewissen angesichts dessen, was er tut, selbst wenn seine Affären in Selbstmord und Mord münden.

Der 1985 erschienene Roman erkundet die Vorstellungen von Liebe aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen sozialen und historischen Kontexten. Die Liebe überwindet letztlich alle möglichen Belastungen und Tragödien, ohne dabei frei von Täuschungen und Selbstbetrug zu sein. Bei der Beerdigung ihres Mannes gesteht Florentino Fermina seine anhaltenden Gefühle für sie: »Auf diese Gelegenheit habe ich über ein halbes Jahrhundert gewartet, um Ihnen erneut ewige Treue und stete Liebe zu schwören.« Damit lädt er den Leser ein, sich von der Geschichte seiner Liebe forttragen zu lassen.

Schon gewusst?

Cholera heißt auf Spanisch cólera, was eine doppelte Bedeutung hat. Neben der Krankheit, die den Hintergrund für den Roman bildet, kann cólera auch leidenschaftliche Wut bedeuten. Der Titel ist also ein Wortspiel, es verbindet die Krankheit der Liebe mit den Emotionen und der Wut, die ihr innewohnen. Möglicherweise ist das Engagement von Doktor Juvenal Urbina, die Stadt von der darin wütenden Cholera zu befreien, auch eine Metapher für die Befreiung seiner Frau Fermina vom Furor ihrer Leidenschaft für Florentino als junge Frau.

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VLADIMIR NABOKOV

LOLITA

Worum es geht

Die Geschichte der verzehrenden Begierde eines gebildeten, mittelalten Mannes nach einem zwölfjährigen Mädchen und deren verheerende Folgen.

Die Erkenntnis daraus

Pädophile Menschen manipulieren, nötigen und täuschen alles und jeden um sich herum, ohne sich um ihre moralische Verderbtheit und Grausamkeit zu scheren.

Dies ist der berühmteste Roman des russischen Emigranten Vladimir Nabokov, erschienen 1955, und sicherlich sein umstrittenster. Der Held berichtet in Form einer Ich-Erzählung von seiner obsessiven Liebe zu seiner zwölfjährigen Stieftochter Lolita. Dabei ist Humbert Humbert kein gewöhnlicher Pädophiler. Er ist kultiviert, attraktiv, charmant und geistreich und erzählt in ergreifend schöner Sprache von seinem quälenden Verlangen nach dem Objekt seiner Zuneigung.

Humberts angsterfüllte Schilderungen sind so herzzerreißend und mit derart scharfem Blick für Details, voll cleverer Wortspiele und Ironie, dass man es dem Leser (den Humbert regelmäßig direkt als Mitglied einer imaginären Geschworenen-Jury anspricht) fast nachsehen muss, wenn er seinem Flehen um Gnade und Verständnis stattgibt.

Nabokov spielt dem Leser unentwegt Streiche und vollführt Taschenspielertricks. Als Humbert sein Verlangen nach Lolita befriedigt hat, beginnt die Sympathie für ihn nachzulassen, und im Verlauf des Romans wird das ganze Ausmaß seiner erbarmungslosen Manipulation und Herrschaft über Lolita zunehmend deutlich. Humbert ist ein höchst unzuverlässiger Erzähler, und dem Leser wird jeglicher Einblick in Lolitas Innenwelt und Gedanken verwehrt, stattdessen werden ihm dürftige Versuche der Selbstrechtfertigung präsentiert. Gegen Ende wandelt sich die Empörung über dieses Monster fast wieder in ein Gefühl von Mitleid, denn Humbert ist zu einer erbärmlichen Gestalt geworden, ausgehöhlt und zerstört durch seine Obsession und seine Taten, nicht einmal mehr der moralischen Abscheu des Lesers wert.

Dies ist ein verblüffender Roman mit vielen Ebenen und reich an Erfindungskraft, seine Prosa gehört zum Schönsten, was in englischer Sprache geschrieben wurde. Das Buch hat jedoch auch seine Kritiker, denen Nabokovs fröhliche Finten und Wortspiele angesichts dieses so überaus schändlichen Themas nicht geheuer sind. Die genannte Erkenntnis daraus ist ziemlich sinnfällig und naheliegend, aber es lassen sich noch komplexere Lehren aus Lolita ziehen, was nämlich das Wesen der menschlichen Grausamkeit und der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden anderer betrifft. Hat man diesen Roman einmal durch, schreit er danach, noch einmal gelesen zu werden, denn er steckt voller Spuren, Sprachspiele und Anspielungen, die man beim ersten Mal leicht übersieht, die aber eine genauere Betrachtung lohnen.

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JANE AUSTEN

STOLZ UND VORURTEIL

Worum es geht

Die Geschichte der stürmischen Beziehung zwischen der Tochter eines Gutsbesitzers vom Lande und einem wohlhabenden Aristokraten.

Die Erkenntnis daraus

Die hässlichen Sünden Stolz und Voreingenommenheit gefährden die Aussichten auf Glück und dass sich erfüllt, wonach das Herz im Tiefsten verlangt.

Stolz und Vorurteil