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Der Lektüreschlüssel erschließt Friedrich Schillers "Die Jungfrau von Orleans". Um eine Interpretation als Zentrum gruppieren sich 10 wichtige Verständniszugänge: * Erstinformation zum Werk * Inhaltsangabe * Personen (Konstellationen) * Werk-Aufbau (Strukturskizze) * Wortkommentar * Interpretation * Autor und Zeit * Rezeption * "Checkliste" zur Verständniskontrolle * Lektüretipps mit Filmempfehlungen * Raum für Notizen Mit seinem 1801 erschienenen und uraufgeführten Drama "Die Jungfrau von Orleans" hatte Friedrich Schiller zu seinen Lebzeiten großen Erfolg. Die Geschichte des lothringischen Bauernmädchens Johanna von Orleans, das – unter Berufung auf göttliche Eingebung – die französischen Truppen im Dreißigjährigen Krieg von Sieg zu Sieg führte, dann in die Hände der Engländer fiel und 1431 als Hexe verbrannt wurde, rückt Schiller aus den Grenzen des bloßen Geschichtsdramas heraus – Johanna wird bei Schiller nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sondern erlebt die Apotheose auf dem Schlachtfeld.
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Seitenzahl: 83
LEKTÜRESCHLÜSSEL FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER
Friedrich Schiller
Von Andreas Mudrak
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002 [u. ö.]. (Universal-Bibliothek. 47.)
Alle Rechte vorbehalten© 2006, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartGesamtherstellung: Reclam, DitzingenMade in Germany 2013RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetrageneMarken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960195-3ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015380-2
www.reclam.de
1. Erstinformation zum Werk
2. Inhalt
3. Personen
4. Werkaufbau
5. Wort- und Sacherläuterungen
6. Interpretation
7. Autor und Zeit
8. Rezeption
9. Checkliste
10. Lektüretipps / Filmempfehlungen
Anmerkungen
Die Jungfrau von Orleans (1801) ist Schillers drittes klassisches Drama nach der Wallenstein-Trilogie (1798/99) und Maria Stuart (1800). Das Drama verarbeitet erneut einen historischen Stoff: die Geschichte des lothringischen Bauernmädchens Jeanne d’Arc, geboren 1412 in Domrémy, das während der Zeit des so genannten »Hundertjährigen Krieges« zwischen England und Frankreich (1339–1453) die französischen Truppen siegreich anführte. Als sie 13 Jahre alt war, so die Legende, erschienen ihr der Erzengel Michael sowie die Heiligen Katharina und Margareta, von denen sie den Auftrag erhielt, Frankreich vor den Engländern zu retten. 1429 folgte sie ihren inneren Stimmen und erbat sich von Baudricourt, dem Gouverneur der Stadt Vaucouleurs, sie zum Dauphin Karl VII. in Chinon zu geleiten. Der König ließ ihre Glaubwürdigkeit überprüfen und sagte ihr schließlich eine militärische Truppe zu. 1429 beendete Jeanne d’Arc die Belagerung der Stadt Orleans durch die Engländer und ermöglichte die Krönung des Königs in Reims. 1430 wurde sie von den mit dem Feind kollaborierenden Burgundern gefangen genommen, den Engländern ausgeliefert, 1431 in Rouen von einem Inquisitionsgericht als Hexe verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Erst 25 Jahre später führte eine Überprüfung des Verfahrens zum Widerruf des Urteils durch Papst Kalixt III. 1920 wurde sie von der katholischen Kirche heilig gesprochen.
Schiller führt seine Johanna – im Gegensatz zur historischen Jeanne d’Arc, die trotz der militärischen Erfolge in Wirklichkeit nie einen Menschen getötet hat und ausschließlich eine patriotische Fahnenträgerin gewesen ist – als brutal kämpfende Kriegerin vor. Dafür fürchten sie auch im Stück die englischen Feinde, die in ihr Satan selbst am Wirken sehen. Zugleich führt Schiller mit ihr einen Charakter vor, der allen Widerständen und Rückschlägen zum Trotz seine Lebensaufgabe erkennt, menschliche Schwächen überwindet und im Tode zu ruhmvoller Verklärung gelangt.
Genau dieser Widerspruch ist es, der aus heutiger Sicht den Zugang zu dieser Tragödie erschwert. Die Heldin im Zentrum des Dramas erweckt nicht zwingend Sympathie. Ihr Denken und Handeln muss nach heutigen ethischen Maßstäben hinterfragt werden: Darf ein Mensch mit missionarischem Eifer eine Aufgabe erfüllen, einen angeblich göttlichen Auftrag ausführend, auch wenn dieser das Töten von Menschen verlangt? Gerhard Schulz bringt diese moralischen Überlegungen, zu denen die Lektüre von Schillers Jungfrau von Orleans Anstoß gibt, auf den Punkt: »In ihrem Weg zur Selbsterfüllung wird nun Johanna zeitweilig zur rücksichtslosen Terroristin, die mit dem ›Geisterreich‹ einen ›furchtbar bindenden Vertrag‹ abgeschlossen hat«1.
Eine besondere Brisanz erhält dieses Thema, wenn zudem ein Teenager – die historische Johanna stirbt bereits mit 19 Jahren – in religiöser und nationaler Begeisterung entflammt. Die junge Erwachsene widersetzt sich der traditionellen Frauenrolle, lehnt es ab zu heiraten und verfolgt fanatisch die ihr aufgetragene Pflicht: So wird sie zur Gotteskriegerin, die kaltblütig ihre Gegner, die englischen Besatzer Frankreichs, bekämpft.
In Anbetracht dessen mag man sich als Schüler fragen: Soll ich etwa verstehen lernen, wie die Psyche einer Gewalttäterin aussieht, einer Fundamentalistin? Schiller – ein Verherrlicher von Gewalt?
Der vorliegende Lektüreschlüssel möchte u. a. diese kritische Fragestellung aufgreifen und versuchen zu erklären, welche Botschaft Schiller mit dieser Tragödie, die Johann Wolfgang Goethe als Schillers bestes Werk ansah, vermitteln wollte. Den Dichter fesselte an diesem legendären Stoff gerade die Mädchenfigur der Johanna, die Weibliches, Heldenhaftes und Göttliches in sich vereinigt. Die Zeitgenossen um 1800 rührte das Schicksal von Schillers Heldin, die ihre Weiblichkeit und Pflichttreue zugleich spürt, jedoch ihr menschliches Leben ihrer Sendung unterordnen muss. So gesehen setzt Schiller an der inneren Tragik, an dem Dilemma der jungen Frau an, worin sich des Dichters kritische Haltung gegenüber Johannas blutigem Handeln äußert: Die Jungfrau von Orleans gibt ihr Menschsein, ihr Frausein auf und wird ein Opfer des Auftrags, der ihr erteilt worden ist.
1. In der Nähe von Domrémy, einem Dorf in der Provinz Champagne im Nordosten Frankreichs, wendet sich Johannas Vater Thibaut d’Arc, ein reicher Grundbesitzer, an seine Nachbarn. Er fühlt sich wegen der drohenden Invasion der Engländer gedrängt, seine drei Töchter zu verheiraten. Unter großzügiger Zusicherung von Ackerland, Haus und Hof wünscht er den Werbern seiner beiden älteren Töchter ein gutes und treues Ehebündnis und kündigt feierlich das Hochzeitsfest an, das am nächsten Tag stattfinden soll.
2. Thibaut d’Arc schilt seine dritte und jüngste Tochter Johanna, weil sie sich der Heirat mit dem vortrefflichen Jüngling Raimond verweigert. Im Gegensatz zu Raimonds Verständnis für ihren Hang zu Einsamkeit und für ihre weltabgewandte Frömmigkeit vergleicht Thibaut seine Tochter mit einem »einsiedlerischen Vogel« (86). Von Warnträumen beunruhigt, deutet er Johannas merkwürdiges Verhalten als Eitelkeit, weil sie sich anscheinend ihrer niederen Herkunft schäme. Mit dem Hinweis auf Johannas Begabung, Tugendhaftigkeit und Gehorsam gegenüber ihren Schwestern kann Raimond den Zorn d’Arcs etwas mildern. Dieser warnt aber seine Tochter davor, magisch anmutende Handlungen auszuüben.
3. Als der Landmann Bertrand aus dem Marktstädtchen Vaucouleurs mit einem Soldatenhelm zurückkommt, der ihm von einer Zigeunerin aufgenötigt worden ist, reißt ihn Johanna an sich. Bertrand berichtet von der Notlage der Franzosen: Die Engländer sind bis an die Loire vorgestoßen. Die Truppen des französischen Dauphins sind ohne Sold und Willenskraft. Nicht nur die Mutter Karls, Königin Isabeau, auch die Burgunder haben sich mit dem Feind verbündet.
Die Kunde, dass wenigstens der Ritter Baudricour mit seiner kleinen Truppe den Belagerern von Orleans standhält, versetzt Johanna in Begeisterung. Sie prophezeit den Sieg über die Engländer und die Reichsverräter und offenbart die Vision von einem befreiten Frankreich als gerechtem Gottesstaat.
Dagegen hält der resignierte Thibaut es für ratsam, sich dem Schicksal in Gottvertrauen hinzugeben und »Der Erde Fürsten um die Erde losen« (376) zu lassen.
4. In einem langen Monolog verabschiedet sich Johanna von der Gegend, die sie so geliebt hat. Ein göttlicher Ruf sei an sie ergangen: Sie müsse auf ewig Jungfrau bleiben, werde kein gewöhnliches Frauenleben führen, sondern am Ende »mit kriegerischen Ehren« (415) belohnt werden. An sie sei die Mission ergangen, Frankreich zu erretten und ihren König zu krönen. Den Helm sieht sie als göttliches Zeichen des Kriegsauftrags.
1./2. Im königlichen Hoflager zu Chinon ist Dunois, der uneheliche Sohn des Herzogs von Orleans, empört über den schwächlichen König, dem er vorwirft, sich höfischem Zeitvertreib hinzugeben statt den Verteidigungskampf aufrechtzuerhalten. Er beklagt den Rücktritt des Oberbefehlshabers des französischen Heeres, der sich bereits mit dem König überworfen hat. Sein Unverständnis und sein Spott Karl gegenüber steigt umso mehr, als dieser ihn angesichts leerer Kriegskassen auffordert, er solle sich bei den lombardischen Finanziers Geld leihen.
3. Drei Ratsherren berichten dem König von der schier ausweglosen Lage, die sogar den Befehlshaber von Orleans genötigt hat, mit den Feinden eine Kapitulationsfrist zu vereinbaren. Die Nachricht vom Tod eines anderen Offiziers und vom drohenden Rückzug des verbündeten schottischen Heeres versetzen den hilflosen König in tiefe Resignation.
4. Freigebig will des Königs Geliebte Agnes Sorel ihren kostbaren Schmuck zu Geld machen lassen, mit dem die Truppen Karls bezahlt werden können. Sie beabsichtigt mit ihrem »Beispiel der Entsagung« (639) Entschlossenheit und Kampfeswillen zu demonstrieren.
5. Der königliche Offizier La Hire bringt die Kunde, dass der Herzog von Burgund, der sich mit dem englischen Feind verbündet hat, ein Versöhnungsgesuch abgelehnt hat. Der Herzog lehnt einen ritterlichen Zweikampf mit Karl ab und fordert stattdessen die Auslieferung Du Chatels, der seinen Vater ermordet hat. Zudem hat das Parlament in Paris Karl seiner Thronansprüche enthoben und den Knaben Heinrich VI. als neuen französischen König eingesetzt. Doch der Schmach nicht genug, hat Karls eigene Mutter, die Königin Isabeau, dem neuen Kinderkönig gehuldigt und ihren Sohn in aller Öffentlichkeit als Missgeburt verspottet.
Niedergeschlagen macht Karl VII. Anstalten, abzudanken und seine Truppen zur Aufgabe zu bewegen, in der Hoffnung, Philipp der Gute, der Burgunderherzog, werde menschlich mit den Besiegten verfahren.
Sorel und Dunois appellieren an den Nationalstolz ihres Dauphins, damit dieser ehrenvoll den Verteidigungskrieg weiterführe. Als sich Karl zum Rückzug hinter die Loire nach Südfrankreich entschließt, wendet sich Dunois enttäuscht von ihm ab.
6./7. Der treu ergebene Du Chatel rät Karl inbrünstig, mit Philipp dem Guten Frieden zu schließen, und ist bereit, sich selbst auszuliefern. Der König ist zwar vom Opfermut seines Offiziers gerührt, befiehlt aber den Truppenabzug, was Sorel zu einem wehmütigen Beklagen der für sie jammervollen Verbannung hinreißt.
8./9. Unerwartet kehrt La Hire zurück und verkündet die Wende des Schicksals, von der Raoul, ein lothringischer Ritter, berichtet: Während der Kampfeshandlungen sei plötzlich eine Jungfrau »Wie eine Kriegesgöttin« (956) aufgetaucht, die »ein Glanz / Vom Himmel« (958 f.) zu umleuchten schien. Dank der Verwirrung unter den Engländern hätten die französischen Soldaten zweitausend Feinde zu töten vermocht. Die Jungfrau, die auch beim Volk Begeisterungsstürme hervorruft, möchte Karl im Hoflager aufsuchen.
Um die Wunderkraft der Jungfrau auf die Probe zu stellen, werden die Rollen getauscht und Dunois setzt sich anstelle von König Karl auf den Thron.
10. Johanna erkennt den Dauphin, obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hat. Ihre prophetische Gabe lässt sie sogar den Inhalt Karls nächtlicher Gebete nennen, was den König überzeugt. Der erstaunten Hofgesellschaft offenbart Johanna ihre Herkunft und ihre wundersame göttliche Berufung: Die heilige Mutter Gottes selbst sei zu ihr getreten und habe sie aufgefordert, ihr Schäferinnendasein aufzugeben und das Schwert umzugürten, um damit die Feinde Frankreichs zu vernichten.