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Elias J. Connor

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Beschreibung

Als er sie das erste mal traf, wusste er, das würde sein Leben verändern. Aber er hatte nie damit gerechnet, wie sehr... Leon, ein 18-jähriger junger Mann aus gutem Hause, lernt die gleichaltrige Noemi erstmals in einem Lokal kennen, wo er öfters einkehrt. Sie ist bildhübsch, schüchtern und verschlossen. Leon gerät sofort in ihren Bann. Alles blüht und ist voller Rosen. Leon ist glücklich, die große Liebe gefunden zu haben. Aber Noemi hütet ein großes Geheimnis, welches Leon nach und nach herausfindet: Noemi ist schwer drogenabhängig. Weil Leon sie jedoch über alles liebt, geht er für sie sämtliche Wege, um den Kreislauf der Sucht zu beenden – ohne zu merken, dass er selbst immer tiefer in die Drogenhölle hineinrutscht und dabei zum größten Dealer im Umkreis wird... LEON ist die dramatische, tabulose Biografie eines Dealers, der aus Liebe zu seiner Freundin durch die Hölle geht. (Neuversion von LEON LUDWIG.)

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Elias J. Connor

Leon

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Prolog

Kapitel 1 - Dieser verfluchte Zivildienst

Kapitel 2 - Neonlichter

Kapitel 3 - Wer bist du?

Kapitel 4 - Das Ende vom Regenbogen

Kapitel 5 - Disput mit den Eltern

Kapitel 6 - Der heimliche Besuch

Kapitel 7 - Ich will tanzen

Kapitel 8 - Noemis kleine Schwester

Kapitel 9 - Diese flehenden Augen

Kapitel 10 - Sniper

Kapitel 11 - Butterfly Effect

Kapitel 12 - Ich auch

Kapitel 13 - In anderen Welten

Kapitel 14 - In der Hölle

Kapitel 15 - Alleine in der Nacht

Kapitel 16 - Clean

Kapitel 17 - Wie Ferien

Kapitel 18 - Nacht und Nebel

Kapitel 19 - Wieder in der Hölle

Kapitel 20 - Auf der Suche nach Noemi

Kapitel 21 - In seiner Hand

Kapitel 22 - In Liebe, Leon

Kapitel 23 - Sirenen

Kapitel 24 - Die Entlassung

Kapitel 25 - Das heimliche Treffen

Kapitel 26 - Cassandras eigene Wohnung

Kapitel 27 - Mick

Kapitel 28 - Sie merkt es nicht

Kapitel 29 - Noemis Vermächtnis

Kapitel 30 - Das Geständnis

Kapitel 31 - Kein Job

Kapitel 32 - Der dunkelste Tag in Cassandras Leben

Kapitel 33 - Gefängnis

Kapitel 34 - Wieder LKH

Kapitel 35 - Leons Versprechen

Kapitel 36 - Die Versöhnung

Kapitel 37 - Düstere Nacht

Kapitel 38 - Alleine

Kapitel 39 - Ich bin doch clean

Kapitel 40 - Sie ist schon gegangen

Kapitel 41 - Ganz unten

Kapitel 42 - Freiheit

Kapitel 43 - Willst du

Impressum

Widmung

Für Nadja.

Inspiration, Ideenlieferin, Muse.

Der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe, und diejenige, für die ich es geschrieben habe.

Für Jana.

Freundin, Seelenverwandte, engste Vertraute.

Tausend Welten haben wir beide betreten, voll Emotionen, voller Gefühl und voller Liebe.

Danke, dass es dich gibt.

Prolog

Ich musste nicht eine Sekunde überlegen, ob ich es mache. Es war gar nicht so schwer. Am Anfang war es richtig Scheiße, aber irgendwann ist es einfach ganz normal.

Für mich war es der Alltag. Für andere musste das ein Überlebenskampf sein, aber wenn man es einmal erlebt hat, dann ist es beim zweiten oder dritten Mal nicht mehr so schlimm. Man gewöhnt sich dran. Jeden Tag aufs Neue.

Ich mache das ja nicht für mich, sagte ich mir immer. Ich tat es für sie. Weil wir beide keine Chance hätten, wenn ich es nicht tun würde. Und das wollte ich nicht. Sie verlieren. Um nichts in der Welt wollte ich sie verlieren. Ja, sie sagen immer, ich bin ja erst 18 Jahre, ich weiß noch nichts vom Leben und werde so vieles noch entdecken.

Aber ich wusste mehr, als sie wissen. Ich wusste viel mehr vom Leben, als die anderen erahnen konnten, und weiß Gott, ich bereute keine Sekunde. Dafür, dass ich einen Menschen wie sie kennen durfte, bereute ich keine Sekunde.

Heute war wieder ein so beschissener Tag. Nicht nur, dass ich den Stoff nicht losgeworden bin, ich wurde auch noch aufs Massivste bedroht. Von einem Jungen, der zwei Köpfe kleiner war als ich, aber er hatte eine Waffe, und die richtete er genau auf meine Augen.

Ich stand da und bebte vor Angst, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich spielte den Coolen, das konnte ich ja ganz gut. Das habe ich hier sehr oft gelernt, und die meisten Leute haben auch Respekt.

Aber dieser Junge – ich wusste nicht einmal, wie er heißt – bedrohte mich und zielte mit der Waffe auf mich. Ich hatte mich dann gefügt. Sehr widerwillig zwar, aber letzten Endes dachte ich doch, es sei besser, das zu tun, was er verlangte.

Wo war die Gang? Wie oft haben sie sich für mich eingesetzt, aber heute ließen sie mich alleine dort stehen. Der Junge mit seiner Waffe hatte zehn, zwölf Gorillas hinter sich stehen. Mit zwei oder drei von ihnen wäre ich ja vielleicht noch fertig geworden, aber zehn oder zwölf?

Das waren gut und gerne Waren im Wert von 700 Euro, die der mir abgezogen hatte. Ich musste sie ihm geben, für umsonst. Ich hatte eigentlich geplant, die Sachen bei einer befreundeten anderen Gruppe aus der Ecke loszukriegen, die hätten auch bezahlt. Aber diese Gang hat spitz bekommen, dass ich sie letztens beschissen hatte, weil das Zeug nicht hundertprozentig war. Konnte ich doch nicht ahnen, ich hatte es vom selben Dealer wie immer.

Jetzt hatte ich auch für mich nichts mehr, und ich wusste nicht, wie ich an neuen Stoff kommen sollte. Ich sah nur die ganze Zeit dieses dämmrige Licht vor mir, das ab und an wie eine Neonröhre flackerte. Ich wusste nicht, wie lange ich hier schon saß, und langsam wurde es auch kalt.

Ich wusste nicht einmal mehr, wo ich war. War ich noch in der gleichen Stadt? Wie lange bin ich gelaufen, bis ich hier ankam?

Ich wusste es nicht mehr.

Und immer diese Schmerzen. Sie wurden von Mal zu Mal stärker. Wenn ich nicht bald an neues Zeug komme, dann ist das mein Tod, dachte ich bei mir.

Aber wie sollte ich das machen? Diese Scheißkerle haben mir alles abgezogen, und ich hatte nicht mal mehr einen Hunderter für einen Schuss.

Verdammt!

Es gab sie in meinem Leben, diese Momente, von denen du dir gewünscht hättest, dass sie ewig dauern.

Heute war definitiv nicht einer von diesen Tagen.

Aber ich bereute es nicht. Ich bereute es keine Sekunde lang, auch wenn ich wusste, dass ich das sollte. Ich würde mich jetzt irgendwie, wenn ich es noch schaffe, auf den Weg zu ihr machen. Sie musste ja irgendwo sein. Ich wusste, sie würde es noch viel stärker als ich brauchen, und auch wenn die Schmerzen unerträglich waren und ich keine Ahnung hatte, wo sie steckt, ich würde mein Versprechen halten und ihr etwas bringen. Ich wusste nicht, wie, aber ich würde es halten.

Wir waren erst 18 Jahre alt. Aber wir haben mehr schon gesehen vom Leben als jemand, der 30 ist, und der den normalen Weg gewählt hatte. Wir haben diesen gewählt.

Und ich tat es für sie. Für Noemi. Und fast war es, als sähe ich sie jetzt vor mir stehen, mit ihrem Kleid, lila und aus Seide…

Kapitel 1 - Dieser verfluchte Zivildienst

Ich saß auf dem Stuhl und war ziemlich nervös. Natürlich würde ich es zu Hause nicht sagen, so viel war klar. Meine Eltern waren sehr integer. Alles musste seine Richtigkeit haben, alles musste am rechten Platz sein. Das Leben musste in geordneten Bahnen verlaufen. Da hatte ich einfach keinen Bock auf den Ärger, der mir blühen könnte.

Na ja, aber ich hatte seit einer Woche unentschuldigt gefehlt. Und dass das an meinem Chef nicht unerkannt vorbei geht, das hätte ich mir auch denken können. Jetzt saß ich hier auf diesem Stuhl und wartete darauf, dass er zur Tür rein kommt und mir mein Disziplinarverfahren auferlegt.

Der Job war ja eigentlich gar nicht so schlecht. Ich war seit drei Monaten im Zivildienst, hier im Altenheim, und eigentlich waren die Leute hier ganz cool drauf. Manchen von ihnen sah man ja gar nicht an, dass sie schon 70 oder 80 Jahre alt waren. Die waren so voller Lebensfreude. Sie fühlten sich ganz und gar nicht abgeschoben. Ja, manche von ihnen blühten hier erst richtig auf. Ich dachte oft bei mir, Mensch, wenn ich mal so alt werde, dann möchte ich auch so voller Lebensfreude sein.

Aber ich war letzte Woche irgendwie auf Achse, da hatte ich zum Arbeiten keine Zeit. Ich bin morgens nicht raus gekommen. Und mittags hatte ich dann vergessen, anzurufen. Vielleicht auch absichtlich, das wusste ich nicht genau. Als ich dann abends wieder dran gedacht hatte, hing ich aber schon wieder in der Kneipe oder in der Disco.

Ich trank mir gerne mal einen. Nicht übermäßig viel, aber so zehn, zwölf Gläser waren es schon. Durfte ich ja auch mit meinen 18 Jahren. Aber letzte Woche hatte ich wohl etwas übertrieben, und jetzt hatte ich das Diszi am Hals.

Ich holte aus meiner Tasche gerade die Flasche Wasser raus, um meinen Brand zu löschen, den ich noch vom Vorabend hatte. Da kam Herr Schrödel dann rein.

„Guten Tag, Leon, wie geht es dir?“, fragte er superhöflich.

Man konnte ihn hinter seinem Rauschebart fast nicht verstehen. Würde man ihn beschreiben wollen, käme die Figur des Catweasel ihm wahrscheinlich am Nächsten.

„Ja, es geht“, antwortete ich.

„Nun, dann nehmen wir mal deine Personalien auf“, begann er.

Ich war genervt. „Sie kennen meine Personalien“, sagte ich. „Sie haben mich vor drei Monaten an die Dienststelle überwiesen, ich war hier bei ihnen im Büro zum Erstgespräch.“

Herr Schrödel tat so, als hätte er mich gar nicht gehört.

„Name?“, fragte er.

„Leon“, sagte ich angenervt.

„Der volle Name.“

„Leon Ludwig“, antwortete ich.

„Adresse?“, wollte er wissen. Die kannte er auch, dennoch fragte er mich.

„Villa Kunterbunt 7003“, flüsterte ich.

„Noch mal, bitte, ich habe dich nicht verstanden.“

Ich stieß einen lauten Seufzer aus. „Hahnenweg 7 in Düsseldorf“, antwortete ich dann.

„Nun, Leon, du weißt, warum du heute hier bist?“

Ich nickte stumm.

„Seit letzter Woche Dienstag bist du in deiner Dienststelle nicht erschienen. Vor drei Wochen hattest du im Altenheim schon einmal einen Tag unentschuldigt gefehlt, und jetzt hast du dich in der ganzen letzen Woche nicht einmal dort gemeldet.“

„Wissen Sie, ich darf zu meiner Verteidigung sagen, dass ich eigentlich vorgesehen war für einen Job im Büro des Bundesamtes für…“, begann ich, wurde aber dann von Herrn Schrödel unterbrochen.

„Der Zivildienst ist eine sehr ernste Angelegenheit, die man heute, Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends, schon alleine deshalb ernst nehmen sollte, weil er bald schon wegfallen könnte. Und dann sind erst recht Menschen wie diejenigen, die du betreust, angewiesen auf Menschen wie dich. Da kann man sich einen solchen Lapsus nicht mehr erlauben. Wer dann ein freiwilliges Jahr macht, der ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft.“

„Das heißt ja aber auch, dass man heute Menschen wie mich noch ersetzen kann“, warf ich ein.

„Willst du deine Stelle unbedingt aufs Spiel setzen?“, fragte Herr Schrödel nach. „Weißt du, welches Strafmaß vorgesehen ist bei Nichteinhaltung der Richtlinien? Wären wir bei der Bundeswehr – die übrigens auch demnächst in eine Berufsarmee umgewandelt werden soll – käme das einer Fahnenflucht gleich.“

Ich stieß einen genervten Seufzer aus. „Herr Gott noch mal, dann sagen Sie mir doch, was Sie von mir erwarten.“

„Ich erwarte, dass du dir über die möglichen Konsequenzen in der Zukunft, sollte so etwas noch einmal vorkommen, im Klaren bist. Ich erwarte, dass du nicht mehr unentschuldigt fehlst und für jedes Fehlen ein ärztliches Attest anbringst. Du wirst dich bei mir, bei der Heimleitung und gesondert beim Bundesamt schriftlich entschuldigen. Verstanden?“

Das sollte alles sein? Ein Schreiben machen, oder von mir aus mehrere, auf dem steht: Ich war ein unartiger, böser Junge? Das dürfte ja zu machen sein.

„War’s das?“, wollte ich wissen.

„Fürs Erste, ja.“ Herr Schrödel packte mitten im Gespräch eine Banane aus, die er zu schälen begann. „Und ich rate dir, lass den Alkohol weg. Ich rieche, dass du gestern getrunken hast.“

„Kommt nicht wieder vor“, gab ich dann klein bei, unter der Hoffnung, dass dieses blöde Diszi bald zu Ende sei.

Ich stand bereits auf zum Gehen, dann drehte Herr Schrödel sich noch einmal zu mir und sah mich aus seinem Chefsessel mit ernsten Augen an.

„Ich werde deine Eltern benachrichtigen“, meinte er dann.

So ein verfluchter Mist.

Jetzt hatte ich die Kacke richtig am Dampfen. Ich hatte gehofft, dass die das nicht spitz kriegen. Aber jetzt würde er die anrufen, und was mir dann zu Hause blühen würde, daran mochte ich gar nicht denken.

Wäre echt besser, heute dort gar nicht aufzukreuzen, dachte ich so bei mir. Meine Güte, ich war 18. Ich durfte machen, was ich wollte.

Also hieß das für mich, ab in die nächste Kneipe und zwei, drei Alt trinken. Vielleicht auch etwas mehr.

Es war mittlerweile Abend, so gegen zehn Uhr herum musste es gewesen sein. Ich saß hier im Lokal und redete die meiste Zeit nicht. Ich döste so bei meinem Bier vor mich hin.

Morgen hatte ich eh frei… hatte ich doch, oder? Es war doch morgen Samstag, oder nicht?

Ich war schon so benebelt, dass ich nicht mehr genau wusste, welcher Tag heute war. Aber eigentlich interessierte mich das gar nicht.

Ich weiß nicht mehr, welche Musik gerade lief, als ich das erste Mal diese Augen sah. Ich weiß nicht mehr, was der Typ neben mir sagte, als sie herein kam. Ich hörte ihn nur irgendetwas sagen, aber seine Worte gingen unter meinem Herzschlag total unter.

Ich sah eigentlich auch nicht mehr, was um mich herum passierte.

Aber dieses Mädchen setzte sich dann auf einmal neben mich. Als ich zu ihr rüber sah, sah ich dieses lila Kleid, das sie trug.

Ich sah ihr in die Augen, und ohne etwas zu sagen, streifte ich über den oberen Ärmel dieses Kleides.

„He“, machte sie nervös.

„Tschuldigung“, sagte ich, unter der Hoffnung, dass sie nicht merkte, dass ich schon einen im Tee hatte. „Ist das Seide?“

„Muss wohl“, meinte das Mädchen. „Wenn es sich so anfühlt.“

„Ja, tut es“, gab ich zu verstehen.

Ich wusste nicht mehr, was sie sich bestellte. Aber ich sagte dann dem Kellner, dass er ihr Getränk auf mich schreiben sollte.

Sie sah mich an. „Denkst du, ich hätte es nötig, mich einladen zu lassen?“, fragte sie. „Sehe ich so aus?“

Ich schnaufte aus. So war das nicht geplant. Eigentlich war es gar nicht geplant. Aber sie ging mir von der ersten Sekunde an nicht mehr aus dem Kopf.

Ich beschloss, ihre Einwände schlicht zu überhören.

„Morgen ist eine Party in der Disco im Zentrum“, begann ich. „Du kennst doch diese riesige Diskothek in der Altstadt, wie heißt die noch gleich?“

Sie sah mich mit großen Augen an. Dann lachte sie freundlich.

„Hör zu, wenn du mich schon anbaggern willst, dann solltest du dich vielleicht etwas besser vorbereiten, wenn du mich in eine Disco einladen willst. Den Namen solltest du schon wissen.“

Sie trank ihr Getränk dann leer und gab dem Ober dann einen Fünfer. Schließlich stand sie auf, lächelte mir noch mal nett zu und verließ genauso geheimnisvoll wie sie herein kam das Lokal wieder.

Ich wusste nicht einmal ihren Namen. Es ist mir noch nicht einmal geglückt, wenigstens aus ihr herauszubekommen, wie sie heißt.

Alles, was ich auf dem Nachhauseweg in meinem Kopf hatte, war der Duft ihres Parfüms, ihre langen Haare, und ihr lila Kleid aus Seide.

Zu Hause setzte ich mich aufs Bett. Ich verschränkte die Arme hinter mir und lag rücklings auf meiner Bettdecke. Den Ärger vom heutigen Tag hatte ich bereits vergessen, und meinen Eltern bin ich erfolgreich aus dem Weg gegangen, die hatten schon geschlafen, als ich kam.

Wer war dieses geheimnisvolle Mädchen?

Ich wollte sie wieder sehen. Das wollte ich um jeden Preis.

Kapitel 2 - Neonlichter

Ich wartete.

Aber statt mit mir zu schimpfen, sah mich mein Vater einfach nur stumm an. Er wusste genau, dass ich das noch weniger ertragen konnte, als wenn er was sagt, ich dann zurück schreie, ihm sage, dass es doch mein Scheiß Leben ist und es ihn nichts angehe, ob ich auf der Arbeit schwänze oder warum auch immer fehle.

Aber er saß einfach da am Küchentisch unserer Prachtvilla und sah mich an. Sehr ernst musterte er mich.

„Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“, fragte er.

Ich schnaufte aus und wollte ansetzen, ihm etwas zu sagen, aber er unterbrach mich zugleich.

„Du hast letzte Woche ein Disziplinarverfahren gehabt. Du musstest dich bei allen möglichen Stellen entschuldigen, und das schriftlich. Und jetzt hast du schon wieder zwei Tage gefehlt, weil du nichts Besseres zu tun hast, als dein Geld in die Kneipe zu tragen?“

„Ich war beim Arzt, ich habe ein Attest“, warf ich ein.

Mein Vater kratzte über seine Halbglatze. „Du bekommst 1000 Euro von uns, und das jeden Monat. Du musst nicht einmal arbeiten und kannst dich voll auf dein Studium, was du hoffentlich nach dem Zivildienst beginnen wirst, konzentrieren. Dann ist das bisschen Arbeit im Altenheim doch nicht zu viel verlangt. Warum lässt du dich so hängen?“

„Ich lasse mich nicht hängen“, entgegnete ich. „Ich hab mich nicht wohl gefühlt und war beim Arzt, ganz offiziell.“

„Junge, wir wissen doch beide, dass der Grund für deine Unpässlichkeit deine Sauferei war“, sagte er.

Gott, er konnte sich immer so gewählt ausdrücken. Wie ich das hasste. Er benutzte nie Worte wie „Scheiße“, „Fuck“ oder „Kacke“.

„Mann“, gab ich zu verstehen. „Ich hab nicht zu viel getrunken.“

„Du solltest mal überlegen, ob du nicht vielleicht ein Alkoholproblem haben könntest“, warf er ein. „Es gibt Stellen, die dir da helfen können. Ganz gleich, was es kostet.“

War ja klar. Den guten Schein der Familie wahren. Den guten Schein wahren, dass man aus gutem Hause kommt. Darum ging es ihm. Mehr nicht.

„Ich brauche keine Hilfe“, sagte ich dann sachlich. „Ich bin 18 und kann machen, was ich will.“

„So lange du die Füße unter meinem Tisch hast…“, fing er an.

„Das interessiert mich nicht“, unterbrach ich ihn. „Jedes Mal kommst du mit der Leier, solange ich die Füße unter deinem Tisch habe. Meine Güte, ich habe ein Leben. Ich bin halt nicht so integer wie ihr, wo alles strickt nach Regeln abläuft und man sogar nach Stundenplan vögelt, wenn überhaupt.“

„Ich bitte mir solche Worte aus“, sagte der Vater streng. „In dieser Familie wird nicht so gesprochen, schon gar nicht über Mutter und mich.“

„Leck mich!“ Ich stand auf und lief Richtung Eingangstüre. „Ich bin dann mal weg. Hab keinen Bock auf solche Konversationen.“

Entnervt hörte ich meinen Vater noch ausschnaufen und mir etwas hinterher brüllen, aber das nahm ich schon nicht mehr wahr.

Heute war ein lauer Sommerabend. Ich setzte mich in meinen Audi Cabrio, machte das Dach runter und stellte dann die Anlage auf ganz laut. Dann fuhr ich los.

In der Disco sollte heute viel los sein. Es war zwar nicht Wochenende, aber sie hatten ja immer mal auch unter der Woche irgendwelche Veranstaltungen. Meist spielten dann dort Bands, oder sie machten irgendwelche Mottopartys mit süßen Studentinnen, die ich dort kennen lernen könnte. Ja, das wär’ was. Dann könnte ich mir vielleicht heute eine abschleppen und mit nach Hause nehmen. Auf das Gesicht meiner Eltern am nächsten Morgen würde ich mich freuen. Die dachten ja sowieso, dass ich nicht in der Lage wäre, eine richtige Beziehung zu führen, bei meinen wechselhaften Sexualpartnerinnen, wo keine Beziehung länger als drei Monate hielt.

Ha. Andere haben One Night Stands. Ich habe wenigstens Beziehungen von drei Monaten, dachte ich so bei mir, und sah im Geiste schon meinen Vater dieses betreffende Mädchen mit zahlreichen Fragen zubombardieren.

What the fuck, kam es mir in den Sinn, als ich mein Auto parkte. Wollen doch mal sehen, was heute Abend so läuft.

Ich musste zwar morgen wieder raus, aber das interessierte mich jetzt nicht.

Als ich die Anlage ausstellte und meine Haare noch mal bürstete, kamen auch schon drei, vier Mädels an meinem Auto vorbei gerauscht.

„Coole Karre“, sagte eine.

„Netter Sound“, sagte eine andere.

Ich grinste sie an.

Tja, manche Situationen erfordern nicht mal irgendwelche Vorbereitungen oder besondere Kenntnisse. Meine Kunst zu flirten war, dass ich die Dinge einfach auf mich zukommen ließ und gar nicht größer drüber nachdachte, was ich eventuell sagen könnte oder sie eventuell sagt. Es war eigentlich wie automatisch, dass aus mir im passenden Moment immer der passende Spruch heraus kam.

Ich betrat die Disco, und ungeachtet dessen, dass mein Auto draußen auf dem Parkplatz stand und ich ein echtes Problem hätte, müsste ich nachher wieder nach Hause fahren, bestellte ich mir gleich ein großes Bier und einen Klaren dabei. Unverzüglich kippte ich das dann in mich rein und fühlte mich gleich noch besser, noch größer als ich es ohnehin schon war.

„Noch mal das Gleiche“, sagte ich dann zum Kellner.

Kaum eine Sekunde später rauschte das Mädchen, das eben draußen am Auto vorbei ging, um die Ecke.

„Na, wie geht’s?“, fragte ich sie. Sie sah mich freundlich an. „Wo sind deine Freundinnen?“, wollte ich dann wissen.

„Tanzen“, antwortete sie. „Hast du auch Lust?“

„Na, sicher“, gab ich zu verstehen. Und dann legte ich galant die Hand auf die Schulter des Mädchens und führte sie zur Tanzfläche.

Wenn einer wusste, wie abhotten geht, dann war sie es. Meine Güte, die konnte tanzen. Und ich stand fast bewegungslos neben ihr, aber in meinem fortgeschrittenen alkoholisierten Zustand fühlte ich mich als großartiger Tänzer.

Nach einer Weile kam dann so ein Typ und kam mit ihr ins Gespräch. Ich nickte ihr freundlich zu und verkrümelte mich wieder an die Theke.

Ich beobachtete einige der Mädchen, die hier waren, während ich immer mehr trank und immer mehr die Tatsache außer Acht ließ, dass ich morgen arbeiten musste und mit dem Auto hier war.

Aber keine kam an sie ran.

Keine von ihnen hatte mir den Zauber geben können, den ich fühlte, als ich sie zum ersten Mal sah. Ihre langen, blonden Haare gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Der Duft ihres Parfüms klebte noch immer in meiner Nase, so als säße sie jetzt neben mir und ich könnte sie riechen. Und dann erst ihre tiefblauen Augen – Mann, oh, Mann, so etwas hat die Welt noch nicht gesehen.

Es war jetzt fast eine Woche her, dass ich sie damals in der Kneipe getroffen habe. Und ich habe mir Gedanken gemacht, wer sie sein könnte, oder wo ich sie finden könnte. Aber ich fand sie nicht.

Ich wusste nach wie vor nicht mal ihren Namen.

Scheiße, dachte ich bei mir. Mit ihr, das könnte ich mir echt vorstellen. Nicht nur, weil sie hübsch war. Vielleicht sogar eine Ecke zu hübsch. Sie war so anders als die Anderen. Ihr Auftreten, ihre ganze Art, jedes ihrer Worte – sie war so… ich konnte es nicht beschreiben und fand kein Wort dafür. Aber irgendetwas machte, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Wenn mich jemand fragen würde, was ich an ihr schätze, dann würde ich antworten: Einfach alles.

Ich war schon stark alkoholisiert und hatte schon mindestens zehn Bier und zehn Kurze intus, als dann eine Band auf die Bühne kam. Ich wusste nicht einmal, welche Band das war. Aber ich fühlte mich dann auf einmal berufen, mich zum Aufgang der Bühne zu schleichen, hinter den Kulissen herumzugeistern und schließlich dann auf der Bühne zu landen.

Jetzt sah mich jeder an. Ich stand hier oben, und jeder sah mich an.

„Wir haben einen Gast hier“, hörte ich den Sänger der Band sagen. „Wie ist dein Name?“

„Leon“, lallte ich.

„Okay, Leon, dein Publikum“, machte der Sänger. „Publikum, das ist Leon.“

Die Menge klatschte.

Entweder waren sie genau so besoffen wie ich, oder sie dachten wirklich, ich würde jetzt etwas machen.

„Leon, hast du Bock, bei unserem nächsten Titel mitzusingen?“, fragte mich der Sänger.

„Klar“, stammelte ich. „Bin ein Klasse Sänger.“

Und dann ging das Lied los. Ich weiß nicht, ob ich es kannte, aber im besoffenen Kopf trällerte ich einfach mit und stammelte die Worte nach, die der Sänger sang, in der völlig falschen Tonlage natürlich.

Es wurde mir schon in den ersten Sekunden, als der Track lief, total dämmrig, und ich geriet ins Wanken.

Ich hörte die Menge grölen. Ich wusste nicht, ob sie mitsangen, oder ob sie mich auslachten und mich sogar wegapplaudierten.

Das Flackern der Neonlichter drang an meine Augen, aber schon bald war es nur noch ein Flackern. Ich merkte nichts mehr, bekam nichts mehr mit. Und dass ich über nichts mehr nachdachte und mir über keine Konsequenzen dessen, was gerade passierte, Gedanken machte, war jetzt gerade egal. Ich stand einfach torkelnd da oben und sah das Flackern des Neonlichts, welches pulsierte.

Auf einmal… stand sie vor mir. Sie stand im Publikum, in der Mitte der grölenden Menge, und sah mir fest in die Augen.

Kein Zweifel, sie war es. Ich könnte diese Augen nie vergessen. Und jetzt stand sie da und sah mich an. Und sie lächelte.

Das war das Letzte, was ich sah, bevor ich zusammenklappte.

Das Licht war hell und weiß. Es schien durch meine Augen durch, obwohl ich sie noch geschlossen hatte.

Mann, mir war so kotzübel.

Wo war ich?

Ich spürte, dass ich weich lag. Wo immer ich jetzt war, ich lag auf irgendeinem weichen Untergrund. Und es roch komisch hier, so nach Medizin und so steril.

„Er hat keine schwerwiegenden Verletzungen, nur ein paar Prellungen“, hörte ich jemanden sagen.

„Was ist geschehen?“, sagte eine Stimme, die mir bekannt vorkam.

„Eine junge Frau hatte ihn gestern Nacht hergebracht. Sie wollte uns ihren Namen aber nicht sagen“, sagte wieder jemand.

Komisch, ich war ganz geistesabwesend, aber die einzelnen Wortfetzen des Gesprächs bekam ich sehr gut mit.

Allerdings fühlte ich mich nicht in der Lage, irgendwie auf das Gehörte zu reagieren.

„Können wir ihn mit nach Hause nehmen?“, hörte ich wieder die bekannte Stimme von eben.

„Wir wollen ihn noch ein oder zwei Tage zur Beobachtung hier behalten, wenn Sie nicht eine Entlassung fordern.“ Der, der das sagte, muss offenbar Arzt oder so gewesen sein. Und ich musste offenbar in einer Praxis, oder schlimmer noch, in einem Krankenhaus sein.

Warum? Was ist bloß geschehen?

Ich dachte krampfhaft nach, aber irgendwie gelang es mir nicht.

Was war das Letzte, woran ich mich erinnern konnte? Was nur?

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Sie.

Dieses unbekannte, fremde Mädchen, das ich schon zweimal sah. Letzte Woche in der Kneipe, und gestern muss ich sie in der Disco gesehen haben. Aber was ist geschehen?

Ich öffnete vorsichtig meine Augen und sah dann in das verdutzte Gesicht meines Vaters.

„Junge, wie geht es dir?“, fragte er mich gleich.

Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich stammelte nur irgendwelche Kraftausdrücke, glaube ich, die meine Schmerzen beschreiben sollten. Er sah mich einfach an und fragte Gott sei Dank nicht weiter.

„Wir nehmen ihn mit“, hörte ich ihn dann sagen.

Ich muss dann vom Bett aufgestanden sein. Ich muss mechanisch meine Sachen zusammengeklaubt haben und mich angezogen haben. Diesen weißen Kittel, den ich trug, wollte ich so schnell wie möglich loswerden. Man sagt ja solche Dinge über Menschen, denen ein weißer Kittel angezogen wird. Ich wusste nicht einmal, wer ihn mir angezogen hatte.

Ich muss dann mit meinem Vater zum Auto gelaufen sein. Dann muss er mich eingeladen haben, und wir sind dann wohl nach Hause gefahren.

Zu Hause muss ich mich auf mein Bett gelegt haben, nachdem ich etwa eine gefühlte halbe Stunde auf dem Klo verbracht habe, um dort in Ruhe zu kotzen.

Und plötzlich hörte ich die Haustürklingel. Ich registrierte es nicht, aber ich hörte sie.

Ich hörte, dass jemand die Haustüre geöffnet haben musste.

… und plötzlich klopfte es an meiner Zimmertür. Und dann ging die Türe auf…

„Leon?“, hörte ich die süßeste aller je gehörten Stimmen fragen.

Und ich sah ihr in die Augen, diesem engelsgleichen Mädchen. Lächelnd sah sie mich an, während sie sich zu mir auf den Bettrand setzte.

„Leon, bist du wieder okay?“, wollte sie dann wissen.

Ich war nicht mächtig, ein Wort zu sagen. Meine Traumfrau saß hier bei mir auf dem Bett. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen.

Und mit einem Mal vergaß ich, wie schlecht ich mich eben noch gefühlt haben muss.

„Du bist gestern zusammengeklappt“, erklärte sie. „Ich hab dich ins Krankenhaus gebracht.“

Ich sah sie an.

„Hast du noch Schmerzen?“, sagte sie mit zarter Stimme. „Kannst du reden?“

„Glaub, schon“, stammelte ich. „Wer bist du?“

Und sie streichelte mir über den Kopf und sah mir tief in die Augen. Dann lächelte sie.

„Ich heiße Noemi.“

Jetzt hatte sie einen Namen, die Fremde, die Unbekannte. Jetzt kannte ich ihren Namen. Noemi.

Hätte ich gewusst, dass dies mein Leben so sehr verändert, dann hätte ich mir gewünscht, dass heute gestern wäre. Oder letzte Woche.

Kapitel 3 - Wer bist du?

Während sie sich stumm in meinem Zimmer umsah, krallte ich mir die Jogginghose, welche auf der Lehne meines Stuhls neben meinem Bett lag, und zog sie mir schnell über.

„Entschuldige, wie es hier aussieht…“, brachte ich nur hervor.

„Nein, nein, ist schon okay“, meinte sie dann. „Ihr wohnt sehr schön.“

Sie holte ein Haargummi aus ihrer Hosentasche, dann band sie sich die lange, blonde Mähne zu einem hübschen Pferdeschwanz zusammen.

„Noemi…“, sagte ich. „Wie hast du mich gefunden?“

Sie grinste nur.

„Ich hab deine Brieftasche dem Arzt gegeben, als ich dich gestern Nacht im Krankenhaus abgeliefert habe.“ Sie stand auf und sah meine CDs durch. „Du stehst auf coole Musik.“

„R’n’B und Rap, das ist so mein Ding. Aber kein Aggro Berlin.“ Ich lief zur Anlage und legte eine CD von Beyoncé rein.

„Wow“, machte Noemi. „Das ist Halo. Kenne ich.“

Ich nahm Noemi an die Hand und führte sie zu dem Tisch, der bei mir im Raum stand. Dann holte ich aus einem Kühlschrank in meinem Zimmer zwei Energy Drinks und gab Noemi einen davon.

„Magst du die?“, fragte ich.

„Ja“, antwortete sie.

Eine Weile saßen wir einfach nur da und lauschten Beyoncés Worten.

Ich konnte es immer noch nicht fassen. Sie war da. Das Mädchen, über das ich die ganze letzte Woche nachgedacht habe. Das engelsgleiche Wesen, deren Anblick ich seit unserem ersten Treffen nicht vergessen konnte – sie saß hier bei mir am Tisch und hörte Musik mit mir.

Ich musste ihr keine Fragen stellen. Ich musste nicht wissen, wer sie war, oder wo sie herkam. Ich musste nichts über sie wissen.

Es war nur wichtig, dass sie jetzt mit mir hier war, mit mir zusammen in diesem Zimmer saß, und mich mit ihren blauen Augen so lieb ansah.

Habe ich mich verliebt?

Es war nicht wie bei den anderen Frauen. Es war nicht so, dass ich auf irgendetwas aus war, was sowieso nicht lange dauern würde. Oder gar einen One Night Stand.

Bei Noemi war es etwas Anderes. Ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben, aber es war etwas, was ich so mit meinen achtzehn Jahren noch nicht erlebt habe, seit ich begonnen habe, mich in Mädchen zu verlieben.

Ich wusste immer, was ich sagen sollte. Ich wusste immer, mich bei den Mädchen, mit denen ich in Kontakt trat, auszudrücken und ins rechte Licht zu setzen.

Bei Noemi wusste ich es nicht. Stumm wie ein Fisch schaute ich sie einfach nur an und lächelte.

„Hey, du sagst ja gar nichts“, stellte sie dann fest.

„Bin wohl noch etwas benebelt…“, gab ich zu.

Seltsam – vor jedem anderen Mädchen wäre es mir peinlich gewesen. Aber bei Noemi hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht durch eine rosarote Brille sehen würde. Ich dachte nicht, ich müsste mich irgendwie verstellen, besonders cool rüberkommen oder jemand vorgeben zu sein, der ich nicht war.

„Das war ja auch eine Hammeraktion gestern“, sagte sie zu mir. „Kannst froh sein, dass du dir bei deinem Sturz von der Bühne nicht irgendwas gebrochen hast.“

„Ich bin von der Bühne gestürzt?“, fragte ich ungläubig.

„Aber volle Kanne“, meinte sie. „Schon beim ersten Lied.“

„Was um alles in der Welt hab ich denn auf der Bühne gemacht?“

Noemi lachte. „Du hast versucht zu singen“, meinte sie zu mir.

Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen und hielt sie mir vors Gesicht.

„Keine Sorge“, sagte Noemi. „Es hat keiner gemerkt, dass du nicht singen konntest. Als es richtig losging, lagst du schon unter der Bühne.“

Ich musste lachen.

„Passiert dir eigentlich so was öfters?“, wollte sie wissen.

„Manchmal“, gab ich zu. „Ich bin mal nur in Unterhose mit dem Auto losgefahren und kam in eine Polizeikontrolle.“

Noemi musste lachen.

„Und als ich in Amerika im Urlaub war, da hat mich mal eine Frau angesprochen, die mich dann mit auf eine öffentliche Toilette genommen hatte, um zu knutschen. Und wenig später war sie weg, und mein ganzes Geld auch.“

„Haha“, machte Noemi. „Selbst Schuld.“ Sie lachte laut.

„Es hat sich hinterher rausgestellt, dass sie wohl eine Prostituierte war. Ich hatte nie vor, mit ihr mitzugehen oder mit ihr was zu machen. Aber das musste ich dann den Bullen erklären, die mich für einen Freier hielten. Ist ja in Amerika streng verboten.“

„Und wie hast du dich rausgeredet?“

„Ich hab einfach gesagt, ich Tourist, ich keine Ahnung.“

Wir lachten beide.

„Wo in der Welt warst du noch gewesen?“, fragte sie schließlich.

Und dann lief ich zum Schrank und holte eine Fotomappe heraus.

„In Amerika mehrmals. Dann viel in Spanien, in Portugal, in England und einmal auch in Thailand.“

Noemi sah sich die Fotos an, die ich während meiner Reisen geschossen hatte.

„Das sind tolle Bilder“, meinte sie dann leise. „Ihr müsst ja ganz schön Kohle haben, wenn du so herum kommst.“

„Mein Vater ist Manager in einem Zeitungsunternehmen“, erklärte ich ihr. „Ist nicht schlecht.“

„Und du? Was machst du so?“ Sie sah mich an.

„Ich bin zurzeit Zivi in einem Altenheim.“

„Cool“, sagte sie. „Finde ich ganz schön mutig. Viele würden das nicht machen wollen.“

„Ich hab eigentlich kein Problem damit“, stellte ich klar. „Die Alten sind cool drauf. Und sie freuen sich, wenn ich mal ab und zu ein bisschen frischen Wind in die Bude bringe.“

„Und nach dem Zivildienst, was willst du dann machen?“

„Ich will studieren“, meinte ich. „Weiß aber noch nicht genau, was. Wahrscheinlich Medienwissenschaften oder so.“

„Interessant“, stellte Noemi fest. „Ich hätte auch gerne studiert.“

Ich sah sie an und legte einen fragenden Blick auf. „Ich dachte eigentlich, du wärst eine Studentin von der Fachhochschule.“

„Wie kommst du darauf?“, wollte sie wissen.

„Die Meisten, die in diese Disco gehen, kommen doch von der Fachhochschule.“

„Ich nicht“, sagte Noemi. „Ich bin in der Ausbildung.“

„Aha“, machte ich. „Würde ich auch lieber machen als zu studieren, aber meine Eltern erwarten das von mir.“

„Warum willst du eine Ausbildung machen? Studieren ist doch cool.“ Noemi legte dann die Fotos wieder zur Seite.

„Eigenes Geld verdienen“, meinte ich daraufhin. „Aber irgendwie… weißt du, es ist manchmal schwer für mich, morgens aus den Federn zu kommen.“

„Aber du hast einen guten Job“, machte sie mir dann klar. „Weißt du, diese alten Menschen können so dankbar sein. Und wenn du sie im Stich lässt, wäre das nicht fair ihnen gegenüber.“

„Ja, da hast du sicher Recht.“

„Hast du öfters schon gefehlt?“, wollte Noemi wissen. „Du hättest doch sicher heute arbeiten sollen.“

„Ja, ich hatte letztens ein Disziplinarverfahren wegen meiner Fehlstunden.“

„Leon, du solltest echt regelmäßig zur Arbeit gehen“, gab mir Noemi zu Bedenken.

„Erzählst du mir auch etwas über dich?“, fragte ich Noemi dann fast beiläufig.

Sie schien es zu überhören.

„Komm, gehen wir in die Eisdiele, hast du Lust?“, sagte sie stattdessen.

Ich schnaufte aus. „Ich versuche es“, meinte ich dann.

Es war heute ein sonniger Abend. Die Wespen und Hummeln schwirrten um den Tisch herum, an dem Noemi und ich in der Eisdiele saßen. Im Radio lief italienische Musik. Hörte ich nicht so gerne, aber hier klang sie irgendwie schön. So beruhigend.

„Ich nehme einen Nussbecher“, bestellte Noemi beim Kellner, der dann kam.

„Ich trinke nur was“, sagte ich schließlich.

Ich bestellte mir ein Pils. Aber schon bevor ich die Bestellung aussprechen konnte, nahm Noemi meine Hand.

„Leon“, sagte sie. „Nach gestern… meinst du nicht…“

„Okay“, lächelte ich. „Ich nehme den Schokobecher.“

„Du trinkst gerne mal Einen“, stellte Noemi dann fest. Und irgendwie machte es mir gar nichts aus, dass sie danach fragte.

„Schon“, sagte ich leise.

„Mehrmals die Woche?“, fragte sie.

Ich nickte.

„Regen sich deine Eltern deswegen immer wieder auf?“, wollte sie schließlich wissen.

„Kann sein“, meinte ich, während ich sie einfach lächelnd ansah.

„Leon“, flüsterte Noemi, als sie meine Hand nahm. „Was ist mit dir? Du siehst so geistesabwesend aus.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Weißt du“, begann ich, „ist dir das auch schon mal passiert? Du triffst auf jemanden, und plötzlich hast du das Gefühl, dass du diese Person seit Jahren kennst, dass du nichts vor ihr verheimlichen musst und ihr alles sagen kannst, und dass, egal was es ist, du das Gefühl hast, dass sie dich versteht und zu dir hält?“

Noemi nickte schwach.

„Mir geht es mit dir so“, gab ich ihr gegenüber dann zu. „Es ist so… ich weiß nicht… plötzlich ist alles so anders…“

„Ich hab auch irgendwie das Gefühl, ich würde dich schon Jahre kennen“, meinte Noemi dann lächelnd.

„Aber trotzdem weiß ich nichts über dich“, stellte ich fest.

„Keine Fragen, keine Lügen“, sagte Noemi leise.

Ich schaute sie stumm an.

„Wir werden noch Zeit genug bekommen, mehr von uns zu erfahren“, machte sie nachdenklich. „Findest du nicht?“

„Okay“, lächelte ich. „Wobei ich wirklich das Gefühl habe, du kennst mich schon gut.“

„Ich werde dir mehr erzählen“, sagte Noemi schließlich. „Bei Zeiten erzähle ich dir mehr über mich. Aber jetzt möchte ich noch nicht.“

„Kein Problem“, sagte ich zu ihr. „Heißt das, dass wir uns wieder sehen?“

Noemi strahlte mich an. „Auf jeden Fall“, sagte sie.

Sie gab mir heute noch keinen Kuss, als sie dann ging, nachdem sie mich wieder nach Hause zurück brachte. Aber ihre Augen verrieten mehr als tausend Worte.

Ich fühlte etwas. Ich fühlte etwas, und das war immens.

Und ich glaube, ihr ging es genau so.

Ich war nicht so ganz sicher, dass sie mich auch liebte oder sich in mich verliebt hatte. Alles war richtig schön heute. Ich könnte losrennen und die ganze Welt umarmen. Und sie lächelte, als ob sie das auch wollte.

Ich war jedenfalls verliebt. Und ich freute mich so sehr, dass ich sie bald wieder treffen würde.

Noemi. Fremdes, geheimnisvolles Mädchen, das mein Leben gekreuzt hatte.

Ich wusste nicht, warum sie geheimnisvoller war als ich dachte. Aber in diesem Moment, als ich so da stand vor unserer Haustüre und ihr nachschaute, als sie zur Bushaltestelle ging, war es gar nicht wichtig, etwas über sie zu wissen. Sie war Noemi, mein unbekannter Engel. Und mehr brauchte sie zu diesem Zeitpunkt nicht zu sein.

Kapitel 4 - Das Ende vom Regenbogen

Ich steuerte den Wagen mit konstanten hundertzwanzig Stundenkilometern über die französische Autobahn. Der Fahrtwind wehte uns in den Haaren, und Noemi hatte ihre Füße auf die vorderen Armaturen gelegt, während ihre langen, blonden Haare hin und her wehten.

Schließlich band sie sich einen Zopf und sah mich mit strahlenden Augen an.

„Hunger?“, wollte ich dann von ihr wissen. Aber sie reagierte gar nicht auf meine Frage.

„Du, Leon, das kommt mir alles so vor wie in einem Traum“, sagte sie stattdessen. „Mit dir so einfach mal ein Wochenende wegfahren, einfach mal ins Grüne, irgendwo hin… das ist so der Wahnsinn.“

„Danke“, lächelte ich ein bisschen stolz.

„Wann hast du das letzte mal so etwas Verrücktes gemacht?“, wollte sie dann wissen.

„Ich glaube, etwas so Verrücktes noch nie“, überlegte ich.

„Aber du hast doch schon jede Menge Unsinn gemacht“, stellte Noemi fest.

„Noch nie nüchtern.“ Ich lächelte sie an. „Du, ich habe jetzt seit gut zwei Wochen nichts mehr getrunken.“

„Mensch, das ist ja toll“, sagte Noemi stolz. „Siehst du, es geht ja auch ohne Alkohol.“

„Ja“, stellte ich fest. „Mit dir auf jeden Fall.“

Als das Hinweisschild für Straßburg kam, nahm ich die Ausfahrt und bog, nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, in eine Straße ein, die in die Stadt hinein führte.

Wir landeten wenig später in der Altstadt, und da gab es ein kleines Hotel, was sehr urig aussah. Es hatte gerade mal drei Stockwerke. Die Fenster waren groß und im gotischen Stil gehalten, und das Mauerwerk war fest wie das einer Kirche. Das Haus war so gar nicht mein Stil. Aber alle Häuser hier in der Straßburger Altstadt waren so, und es erinnerte mich an die Schlösser, die ich als Kind mit meinem Vater zusammen in der Provence und dem Loire-Tal ansah. Es gefiel mir irgendwie. Es war anders, aber es gefiel mir.

„Wie findest du es?“, wollte ich von Noemi wissen.

„Ist doch sicher schweineteuer“, meinte sie daraufhin.

„Maus“, sagte ich. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich sehr gerne auf diesen Trip eingeladen habe. Geld spielt keine Rolle.“

Noemi schnaufte aus.

„Mach dir keine Gedanken, bitte“, sagte ich zu ihr.

Noemi sah mich einfach an und lächelte.

„Komm, bitte“, sagte ich zu ihr. „Gehen wir rein und fragen?“

„Okay“, sagte Noemi.

Während ich zum Check-in ging und unsere Taschen in das Haus hinein trug, suchte Noemi die Toilette auf und schien sich ein bisschen frisch zu machen.

Wenig später hatten wir bereits unser Zimmer.

Es war richtig schön gelegen, mit Blick auf den angrenzenden Garten. Und überall duftete es hier nach Rosen und Lilien. Und im weiteren Bereich war sogar ein Gewürzgarten angelegt, wie man ihn von den typischen Schlössern dieser Gegend her kannte.

Ich stand am Fenster und sah hinaus.

Ich bemerkte nicht, dass Noemi für eine Weile im Badezimmer verschwunden war. Sie sagte zwar, dass sie auf die Toilette musste, aber das war jetzt bestimmt eine Viertelstunde her.

Ich genoss die frische Sommerluft und zündete mir eine Zigarette an.

Als Noemi wiederkam, lehnte sie sich an mich, und ich legte meinen Arm um sie.

„Es ist so wahnsinnig toll hier“, sagte sie leise.

Ich bemerkte nicht, dass sie auf einmal gar nicht mehr so zufrieden aussah. Ich sah nicht, dass sie nicht mehr ihr Lächeln auf den Lippen hatte, sondern nachdenklich zu Boden sah, statt wie ich aus dem Fenster raus zu schauen und die Atmosphäre in sich aufzusaugen.

„Gehen wir nachher in die Stadt?“, fragte ich sie. „Da ist eine Waikiki-Bar.“

„Ja“, sagte sie. „Das ist eine sehr schöne Idee.“

Ich sah ihr in die Augen, und als ich den Blick auf sie erhaschte, lächelte sie mich an.

„Ist alles okay, Noemi?“, fragte ich dann leise.

Sie nickte. „Es ist nur… ich hatte irgendwie noch nie das Gefühl, dass ich je so verliebt war…“

Mein Herz klopfte.

„Ich dachte schon, du würdest es nicht sagen“, lächelte ich. „Ich bin auch sehr verliebt, Noemi. Und ohne Ende glücklich.“

Sie lehnte sich an mich.

„Leon, ich möchte deine feste Freundin sein“, hauchte sie. „So richtig.“

Plötzlich holte sie etwas aus ihrer Tasche. Ich sah erst nicht, was es war, aber dann sah ich ein kleines Etui. Sie gab es mir schließlich.

„Hier, das ist für dich“, flüsterte sie.

Ich öffnete das Etui, und heraus kam ein wunderschöner silberner Ring.

„Wow…“, entfuhr es mir nur.

Und dann küsste sie mich. Innig und lange.

Ich war vielleicht jemand, der mit Mädchen nicht unbedingt ein schwieriges Spiel hatte. Aber in dieser Beziehung, und gerade bei Noemi, war ich doch ein bisschen altmodisch. Ich war froh, dass dies erst jetzt unser erster richtiger Kuss war. Das machte unsere ganz junge Liebe noch viel interessanter und wertvoller.

„Love you“, flüsterte ich ihr dann anschließend zu.

„Ich dich auch“, sagte sie.

Und während unserem zweiten Kuss krabbelte ich mit meinen Fingern an ihrem Arm hinauf. Als ich an der Innenseite von ihrem Ellbogen angelangt war, spürte ich plötzlich etwas, was ich nicht zuordnen konnte.

Ich strich ihr über den Kopf, als unser zweiter Kuss zu Ende ging, und dann sah ich es: Einstichwunden. An der Innenseite ihrer Ellbögen hatte sie mehrere Einstichwunden. Ich hatte dem keine besondere Bedeutung zugemessen. Hätte ich auch nicht getan, wenn sie nicht auf einmal so traurig geschaut hätte.

„Maus, was ist los?“, fragte ich sie dann.

„Ich… mir ist grad nicht gut“, stammelte Noemi dann. Und wieder rannte sie zur Toilette.

Als sie wieder heraus kam, schien es ihr ruckartig besser zu gehen.

„Alles okay?“, fragte ich dann.

„Ich bin glücklich, Leon“, hauchte sie nur leise.

Am Abend waren wir dann in der besagten Waikiki-Bar. Wir tranken beide keinen Alkohol, es lief auch so perfekt. Wir fühlten uns großartig und redeten den ganzen Abend bei unseren Cocktails ohne Alkohol.

Noemi war, anders als vorhin, ganz ausgelassen, fröhlich und zufrieden. Und ich liebte es, sie so zu sehen.

Später tanzten wir sogar noch Engtanz zur ruhigen Musik, die sie hier spielten. Und so gegen ein Uhr nachts gingen wir dann wieder raus an die frische Luft.

Als Noemi tief einatmete, sah ich sie an und machte es ihr nach.

„Spürst du das?“, fragte ich.

„Was?“

„Das Glück“, meinte ich.

„Ja“, sagte sie.

In dieser Nacht geschah das erste Mal zwischen uns. Hier in Frankreich, in einem wahnsinnig schönen Hotelzimmer in einem alten, rustikalen Haus. Und es war das Wahnsinnigste, was ich seit Langem erlebt habe.

Kein Drink dieser Welt, kein Mädchen dieser Welt hätte mir das geben können. Und es war so echt, so neu und toll alles.

Ich wusste in dieser Sekunde schon, dass ich alles getan hätte, um dieses Glücksgefühl zu halten, was immer geschieht.

Als Noemi eingeschlafen ist, betrachtete ich sie noch eine Weile, wie sie neben mir im Bett lag. Auf dem Stuhl lagen ihre Klamotten, und auf dem Nachtschrank ihre Brieftasche.

Ich wollte gerade ihre Brieftasche in ihren Rucksack hinein tun, damit sie nicht verloren ging – und da fiel ihr Personalausweis heraus. Ich wollte mir kurz das Bild ansehen… und dann sah ich die Adresse: Berliner Straße 15.

Berliner Straße? In Düsseldorf?

Das hätte jede andere Straße sein können, ich hätte sie nicht gekannt. Aber die Berliner Straße war in der ganzen Stadt bekannt. Und diese traurige Berühmtheit erlangte sie, weil sie als die absolut schlechteste Wohngegend mit der höchsten Kriminalitätsrate bekannt war. Sie war so heruntergekommen, dass dort nur die Ärmsten der Armen lebten, die besonders schwierigen Fälle sozusagen. Diese Menschen, die Leute wie meine Eltern als Asozial abstempeln würden. Gangster. Banden. Ghetto-Kids. Drogensüchtige…

Noemi machte ihre Augen auf, als sie merkte, dass ich mit ihrem Ausweis in der Hand an ihrem Bettrand saß.

„Schatz, ich wollte ihn nur wieder zurücktun, er ist raus gefallen“, versuchte ich mich zu entschuldigen.

„Nicht schlimm“, sagte Noemi leise. „Jetzt weißt du ja, warum ich nicht gerne etwas über mich erzählen wollte.“

„Maus, es ist mir egal, wo du her kommst“, versicherte ich ihr. „Jetzt sind wir hier zusammen, das zählt.“

„Die Gegend, aus der ich komme, und in der ich lebe, ist nicht die Beste, ich weiß…“, begann Noemi. „Aber das ist auch für mich nicht leicht.“

„Ich habe keine große Vorstellung, wie das Leben dort ist“, sagte ich dann zu ihr. „Aber glaube mir bitte, es ist nicht wichtig für uns.“

„Danke“, hauchte sie. „Es ist mir sehr viel Wert, dass du mich akzeptierst, wie ich bin. Aber ich bitte dich trotzdem, mich dort nicht zu besuchen.“

„Warum?“, wollte ich schließlich wissen.

„Es ist einfach eine schlimme Gegend, und ich möchte nicht, dass du mich dort so siehst.“

„Aber Maus, ich habe dir doch gesagt, dass das nicht wichtig ist.“ Ich sah sie ernst an. „Aber okay, ich werde dich dort nicht besuchen, wenn du es nicht magst. Es gibt tausend andere Orte, an denen wir uns treffen können.“

„Tausend Orte, die schöner sind als der, von dem ich komme.“ Sie lächelte mir zu, und dann gab sie mir einen Kuss.

Ich legte mich neben sie und lehnte meinen Kopf an ihre Schuler.

„Du, verrätst du mir, gegen was du eigentlich allergisch bist?“, fiel es mir dann plötzlich ein.

„Wie?“, sagte sie dann. „Gegen gar nichts, denke ich. Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Na, ich hab doch vorhin an deinem Arm die Einstiche gesehen, da dachte ich, du bekommst regelmäßig Allergiespritzen oder so. Ein Arbeitskollege von mir hat das auch, der hat es mit Pollen und Heuschnupfen und so.“

Noemi erschrak.

Sie sagte nichts.

Hätte ich dieses versteckte, vielleicht fast absichtlich offensichtliche Signal deuten können. Hätte ich es bloß deuten können. Aber das konnte ich jetzt noch nicht.

Als von ihr keine Erklärung kam, fragte ich nicht näher nach.

Es war nicht wichtig, wo sie herkam. Es war nicht wichtig, dass sie offenbar aus ärmlichen Verhältnissen kam. Ich liebte sie, das zählte. Ich liebte sie, weil sie meine Freundin war. Ganz offiziell.

Und es sollte nichts geben, was uns wieder trennen würde.

Kapitel 5 - Disput mit den Eltern

Mist, dass es heute geregnet hatte. Gerade an diesem Sonntag, wo ich wieder mal frei hatte, wäre ich gerne mit meinem Cabrio mit Noemi durch die Gegend gebrettert, Pampa-Power. Ab ins Grüne.

Aber na, ja, ich hatte mich auch auf den schönen Fernsehabend gefreut. In meinem Zimmer hab ich schon alles vorbereitet. Ich hab Chips und Cola gekauft, und die Kerzen brannten schon. Da war es auch nicht wichtig, dass wir heute einen typischen Frauenfilm ansehen würden – Dirty Dancing. Zum wievielten Mal der wohl schon im Fernsehen lief? Aber Noemi wollte ihn unbedingt ansehen.

Bis sie kommen würde, legte ich schon mal unsere Lieblings-CD auf. Ich klönte auf meiner Couch und rauchte eine Zigarette, während ich auf sie wartete.

Etwa eine halbe Stunde später ging die Türklingel. Aufgeregt und in meinen besten Sonntagsklamotten lief ich das große Treppenhaus hinunter und ging durch die Eingangshalle unserer Villa zur Türe.

„Ist für mich“, sagte ich meinen Eltern, die im Wohnzimmer saßen und lasen.

Als ich öffnete und sie so vor mir stand, klopfe mein Herz. Wir waren jetzt schon über einen Monat zusammen, aber sie schaffte es jedes Mal aufs Neue, dass es sich so anfühlt, als wäre es der erste Tag.

„Hey, Maus“, begrüßte ich sie.

„Hey“, sagte sie, während sie mir einen Kuss gab.

Dann liefen wir ins Wohnzimmer. Meine Eltern schauten kurz auf.

„Mama, Papa, ihr kennt ja Noemi schon vom Sehen“, stellte ich sie ihnen vor.

„Guten Tag“, grüßte mein Vater sie höflich.

Schüchtern gab Noemi ihm die Hand.

„Nun, was habt ihr für heute geplant?“, wollte mein Vater wissen.

„Wir sehen uns einen Film an“, sagte ich zu ihm.

„Interessant“, meinte mein Vater. „Noemi, erzählen Sie doch mal etwas über sich. Was machen Sie so? Wie wohnen Sie so?“

„Papa, bitte“, versuchte ich, meinen Vater abzulenken.

„Sind Sie Studentin an der Fachhochschule?“, fragte dieser dann aber unbeirrt.

„Ich bin in der Ausbildung“, erklärte Noemi dann schließlich.

„Oh“, sagte mein Vater. „Unser Sohn wird ab kommendem Jahr sein Studium aufnehmen. In welcher Branche machen Sie Ihre Ausbildung?“

„Bäckereifachverkäuferin“, sagte Noemi nur knapp.

Ich spürte schon, dass sie eigentlich genau so genervt war wie ich.

„Nun, das ist ja ein sehr solides Handwerk“, stellte mein Vater fest. „Machen Sie die Ausbildung im Betrieb Ihrer Eltern? Dann stünde dem ja nichts im Weg, dass Sie eines Tages den Betrieb übernehmen.“

„Ja, vielleicht“, ging ich dann dazwischen. „Können wir jetzt in mein Zimmer gehen?“

„Natürlich“, sagte mein Vater.

Gott sei Dank, er fragte nicht nach. Hätte er gewusst, wo Noemi herkommt, wo sie wohnt, dann hätte er sie achtkantig rausgeschmissen.

Wir bekamen vom Film nicht viel mit. Schon als sie begonnen haben, so eng zu tanzen und Baby auf der Party ankam, wo sie den Lehrer traf, waren wir mitten in eine wilde Knutscherei vertieft.

Aber die Musik des Films war ganz nett. Sie lief im Hintergrund, war eigentlich gar nicht so mein Stil, aber sie passte zur Situation.

„Leon“, flüsterte Noemi dann, während sie ihren Kopf in meine Schulter legte. „Ich liebe dich.“

„Ich dich auch, Noemi“, sagte ich zu ihr.

Noemi schnaufte aus.

„Was ist?“, fragte ich. „Ist alles okay?“

„Ja“, sagte sie. „Ich fühle mich bei dir so… so sicher…“

„Danke“, antwortete ich, ohne größer nachzudenken.

„Es ist nur…“, sagte sie nach einer Pause. „Du hast so ein tolles Haus, du hast so viele Sachen. Und ich, ich bin nur so ein einfaches Mädchen…“

„Ach, Schatz“, meinte ich. „Du bist kein einfaches Mädchen. Du bist ein ganz besonderes Mädchen.“

„Aber was habe ich dir denn schon zu bieten?“, machte sie traurig.

„Noemi, du hast mir mehr zu bieten als es je irgendjemand Anderes könnte“, gab ich ihr zu verstehen. „Mach dir doch keine Sorgen. Es ist mir nicht wichtig, wo du herkommst oder was du machst. Ich finde es nur so endlos schön, mit dir zusammen zu sein.“

„Aber deine Eltern…“, warf sie ein.

„Scheiß auf die“, antwortete ich. „Ich weiß doch selbst am Besten, wen ich liebe, und mit wem ich zusammen sein möchte. Da haben die mir nicht reinzureden.“

Noemi sagte nichts mehr und legte ihren Kopf wieder in meine Schultern, während ich sie über ihren Arm streichelte.

Dann klopfte es plötzlich, und wenig später ging meine Zimmertüre auf.

„Leon, kann ich dich kurz draußen sprechen?“, sagte mein Vater in seiner superhöflichen Form.

Widerwillig dackelte ich dann mit ihm vor meine Zimmertüre.

Dann drückte er mir etwas in die Hand.

Noemi und ihre Sachen. Sie muss vorhin ihre Brieftasche verloren haben, als wir unten im Wohnzimmer waren. Mein Vater gab sie mir und sah mich streng an.

„Oh“, sagte ich. „Hat sie wohl fallen lassen. Danke.“

„Ich habe nachgeschaut“, sagte mein Vater dann. „Weißt du, wo deine Freundin wohnt? Das ist mit Abstand die schlimmste Gegend in der Stadt, wenn die Adresse stimmt.“

„Wieso spionierst du in der Brieftasche meiner Freundin?“, sagte ich verärgert.

„Dann weißt du, wo sie herkommt“, stellte er fest, ohne auf meine Frage einzugehen. „Ich möchte, dass du sie jetzt bittest zu gehen. Und ich möchte sie nicht mehr hier in meinem Haus sehen, darüber bin ich mir mit deiner Mutter einig.“

„Was?“ Ich sah ihn streng an. „Was hast du dich eigentlich in meine Beziehungen einzumischen?“

„Junge, du wirst schon bald, wenn du studierst, eine nette Kommilitonin finden, die wie du aus gutem Hause kommt.“

„Scheiß auf dein gutes Haus“, sagte ich zu ihm. „Ich bin mit Noemi zusammen. Sie ist meine Freundin, egal wo sie herkommt, und damit Ende.“

„Ich warne dich“, sagte er lauter.

„Würdest du bitte leiser reden, das ist unhöflich meiner Freundin gegenüber“, äffte ich seinen geschwollenen Ton nach.

„In zehn Minuten ist sie aus der Türe draußen“, gab er mir unmissverständlich zu verstehen. „Und du wirst sie nicht wieder sehen.“

Ich nahm die Brieftasche und machte, nachdem ich wieder in meinem Zimmer war, die Türe fest zu.

„Was wollte er?“, fragte Noemi dann.

Aber ich wollte ihr nicht sagen, was mein Vater mir sagte.

„Er hatte deine Brieftasche gefunden“, sagte ich zu ihr, als ich sie ihr gab. „Du, sollen wir was ganz Verrücktes machen?“

Noemi sah mich an.

„In Neuss ist heute Jahrmarkt“, meinte ich. „Da gibt es eine ganz verrückte Achterbahn. Traust du dich, sie zu fahren?“

„Es regnet“, stellte Noemi fest.

„Dann macht es umso mehr Spaß“, sagte ich leise zu ihr.

„Was ist wirklich los?“, fragte Noemi dann.

Ich schnaufte aus.

„Deine Eltern wollen mich nicht hier haben, stimmt’s?“, wollte sie wissen.

Ich sah sie nur an.

„Ist schon okay“, meinte sie schließlich. „Ich hab’s nicht anders erwartet.“

„Mein Vater hat in deiner Brieftasche herumspioniert“, erklärte ich. „Er muss deinen Ausweis gefunden haben, wo drin steht, dass du in der Berliner Straße wohnst.“ Ich nahm sie in den Arm. „Aber bitte glaube mir, das ist nicht wichtig. Ich lasse mir von meinen Eltern nicht sagen, mit wem ich zusammen bin, und mit wem nicht.“

„Leon, aber wo sollen wir uns denn treffen, wenn wir uns hier nicht mehr sehen können?“

„Das kriegen wir schon hin“, sagte ich zu ihr. „Dann nehme ich mir eben eine eigene Wohnung. Kann ich innerhalb von zwei, drei Monaten arrangieren.“

Noemi sah mich an und atmete resigniert aus.

„Mach dir bitte nicht so viele Gedanken“, meinte ich. „Komm, hauen wir ab von hier.“

Wir fuhren dann auf den Jahrmarkt und fuhren tatsächlich mit der Achterbahn. Anschließend gingen wir ins Festzelt, und obwohl es immer noch nieselte, hatten wir Spaß ohne Ende.

Typisch meine Eltern. Wie gerne hätte ich ihnen an den Kopf geknallt, dass Noemi es geschafft hat, dass ich seit mittlerweile fast zwei Monaten nichts mehr trank. Es ist ihnen nicht mal aufgefallen, dass ich wieder regelmäßig zur Arbeit ging, und dass ich die Abende nicht mehr in Kneipen oder Discos verbrachte, es sei denn, Noemi war dabei, und dann tranken wir auch nur Cola, Kaffee oder Energy Drinks.

Einen Abend später war das Wetter wieder besser, und wir machten dann unsere Tour ins Grüne. Wir fuhren einfach mit dem Auto los, irgendwo hin. Wir sahen uns ein kleines Dorf an, das überwiegend aus Fachwerkhäusern bestand, wir gingen an einem versteckten Marktplatz einkaufen und machten dann auf einer Wiese ein Picknick. Und am Abend besuchten wir noch einen Segelflughafen.

„Ich fand den Tag richtig schön“, sagte ich zu ihr, während wir auf dem Rückweg nach Düsseldorf waren.

„Ich auch“, lächelte Noemi. „Ich muss jetzt aber leider langsam wieder nach Hause…“

„Ja“, sagte ich. „Ich bringe dich natürlich. Sehen wir uns morgen wieder?“

Noemi sah mich an. „Kannst du mich bitte einfach an der Straßenbahnhaltestelle am Bahnhof rauslassen? Da fährt eine Bahn, die direkt vor meiner Haustüre hält.“

„Ich kann dich doch nach Hause bringen“, überlegte ich.

Und plötzlich sah Noemi wieder so traurig aus. Das war schon manchmal der Fall, und ich hatte es schon ein paar mal gemerkt, dass sie manchmal solche Momente hatte – in der einen Sekunde war sie mit mir überglücklich, und in der nächsten Sekunde schaute sie dann ganz traurig, so als wenn sie irgendetwas bedrücken würde.

„Was ist los, Schatz?“, fragte ich sie, als ich bereits auf die Landstraße in Richtung Düsseldorf einbog.

„Ich möchte nicht, dass du mich dort besuchst“, sagte sie nachdenklich. „Ich möchte nicht, dass du in meiner Straße vorbei kommst.“

„Ach, Maus…“, begann ich.

„Es ist mir irgendwie peinlich, und ich möchte das, was wir haben, nicht dadurch gefährden.“

„Es muss dir nicht peinlich sein“, stellte ich klar.

„Ich will eigentlich gar nicht nach Hause“, hauchte Noemi schließlich.

„Ich auch nicht“, sagte ich lächelnd zu ihr.

Wir verbrachten dann den Abend in einem Hotel irgendwo in einem Dorf. Ich bezahlte es heimlich mit der Kreditkarte, die auf meinen Vater lief. Ich dachte in diesem Moment nicht nach, dass er es herausbekommen würde. Dieser Abend, diese Nacht war zu schön, um sich darüber Gedanken zu machen. Und Noemi war so glücklich und ausgelassen. Mein Herz ging mir auf, als ich sah, welche Freude sie mit mir hatte.

Am nächsten Morgen brachte ich sie dann zum Bahnhof nach Düsseldorf. Nachdem wir uns mit einem leidenschaftlichen Kuss verabschiedeten, fuhr ich dann wieder zurück zu mir nach Hause.

Schon als ich parken wollte, stand mein Vater in der Haustüre und betrachtete mich mit Argusaugen.

„Wo warst du gewesen?“, fragte er mich, als ich ausstieg.

„Unterwegs“, sagte ich.

„Warum mietest du dich in einem Hotel ein?“, sprudelte es gleich aus ihm heraus.

Scheiße. Er muss die Abrechnung schon bekommen haben.

„Na, hier dürfen wir uns ja nicht aufhalten“, warf ich ihm verärgert entgegen. „Wenn ich mit Noemi eine Nacht verbringen möchte, dann muss ich das wohl künftig woanders machen.“

„Ich habe dir gesagt, du wirst sie nicht wieder sehen“, sagte er streng.

Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört, und ging in Richtung der Eingangstüre unseres Hauses.

„Wenn du sie noch mal triffst, dann werden Mutter und ich dich enterben“, stellte mein Vater klar.

Enterben. Das war krass.

Es war geplant, dass ich Medienwissenschaften studiere und später die Firma und das Haus meiner Eltern vererbt bekäme. Sie malten sich meine Zukunft in ihrem Kopf schon so schön aus.

Aber ich hatte vielleicht ganz andere Pläne, das wusste ich doch jetzt noch nicht. Ich könnte genauso gut auch ohne das Erbe meiner Eltern leben. Das interessierte mich nicht. Ich ließ mir doch von meinen Eltern nicht vorschreiben, mit wem ich eine Beziehung führte.

---ENDE DER LESEPROBE---