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Lesbisch für Anfängerinnen - Teil 3 der Trilogie Liebe, Freundschaft und das Geheimnis aphrodisierender Speisen. Ein heiterer lesbischer Liebesroman. Die Clique um Tina, Astrid und die WG-Frauen wird vom Leben mal wieder heftig durchgeschüttelt. Nicht genug damit, dass Käthe der Rausschmiss aus ihrer Wohnung droht. Sie bangt dazu um ihren Job, weil das Frauenkulturhaus von der Schließung bedroht ist. Als sie und ihre Freundinnen herausfinden, wer hinter dem Ganzen steckt, erleben sie eine böse Überraschung … Nebst Irrungen und Wirrungen spielt auch so manches Frauenherz verrückt: Während Martha ein Auge auf die toughe und widerspenstige Anwältin Ayshe geworfen hat, schwärmt Julia die hübsche aber mürrischen Journalistin Charlotte an. Derweil schreibt die kochbegeisterte Tina für ein Gourmet-Magazin einem Artikel über aphrodisierende Speisen. Die sie hemmungslos an ihren Freundinnen testet. Mit teils ungeahnten Folgen. Heiter, turbulent, romantisch.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Neuauflage
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Drei Monate später
Lesbisch für Anfängerinnen – wie alles begann …
Dank
Mehr von Celia Martin
Impressum
Celia Martin
Lesbisch für Anfängerinnen 3:
Damenwahl
Roman
Lesbisch für Anfängerinnen 3: Damenwahl
Celia Martin
© 2014 Butze Verlag
© 2024 Celia Martin
Alle Rechte vorbehalten.
Cover unter Verwendung von Motiven
aus Canva und
©Shutterstock (176013449)
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage der 2014 erschienenen Ausgabe gleichen Titels, veröffentlicht im Butze Verlag, Uetersen
Dieses eBook, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung der Autorin nicht vervielfältigt, wiederverkauft oder weitergegeben werden.
Liebe Leserin, lieber Leser,
manchmal verfliegt die Zeit schneller, als man denkt.
Beim Erscheinen meines Erstlingswerks »Lesbisch für Anfängerinnen – Willkommen in der WG!« im Jahr 2008, das zunächst als Hörbuch, später auch in anderen Ausgaben, auf den Markt kam, war ungewiss, ob die Geschichte um die heterosexuelle Tina, deren Leben gehörig durcheinandergewirbelt wird als sie versehentlich in einer Lesben-WG landet, das Publikum mitreißen würde. Erfreulicherweise wurde das Buch ein großer Erfolg. Zwei weitere, unter anderem dieses hier, und eine Weihnachtsgeschichte rund um Tina und die WG-Frauen folgten. Dass ich immer noch so herzliche und positive Rückmeldungen dazu erhalte, freut mich sehr!
Der Butze Verlag, in dem die Erstausgaben erschienen, hat leider Ende 2023 sein Programm eingestellt, die Rechte der Reihe fielen an mich zurück. Sollte ich die Geschichten in der Schublade liegen lassen? Ganz sicher nicht, ich habe mich entschieden, sie zu überarbeiten und neu auf den Markt zu bringen.
Ich hoffe, dass die Erlebnisse von Tina und ihren neu gewonnenen Freundinnen weiterhin für unterhaltsame Lesestunden sorgen. Doch eines ist mir vorneweg wichtig: Geschrieben wurden die Bücher zu einer Zeit, seit der sich vieles verändert hat. Besonders die technischen Möglichkeiten einer zunehmend virtuellen Welt als auch die öffentliche Wahrnehmung queeren Lebens. Aber auch politisch. So ist es mir wichtig zu betonen, dass die im Roman geschilderte Partei fiktiv und nicht an aktuelles politisches Geschehen angelehnt ist.
Zeitlos sind jedoch die Themen, die ich rund um das lesbische (Liebes-)Leben meiner Figuren aufgreife. Auch wünsche ich mir, dass Sie in den Texten das gelegentliche Augenzwinkern erkennen, mit denen ich viele Szenen geschrieben habe.
Viel Spaß bei der Lektüre wünscht
Celia Martin
Mai 2024
»Du Sau!«
Die Stimme klang rau und irgendwie ... lockend.
Ich fuhr heftig zusammen, brachte selbst aber keinen Ton heraus. Eine solch vulgäre Wortwahl verschlug mir nämlich meistens die Sprache. Da half es auch nichts, dass es sich dabei um ein Kompliment zu handeln schien.
»Du kleines, scharfes Stück. Ich will dich. Sofort!«
Lautes Atmen drang an mein Ohr. Eindeutig erregt. Hochgradig. Mir fehlten die Worte, in meiner Brust brannte es. Dabei dachte ich nur an eines – weg hier! Schnell! Bevor noch mehr passierte, das ich nicht wollte. Das war nicht meine Welt. Aber für eine Flucht war es zu spät. Brünstige Laute drückten mich buchstäblich zu Boden, hielten mich fest. Ich schaffte es gerade noch, tief Luft zu holen, bevor es richtig losging.
»Bist du heiß!«
Gemessen an der Hitzewelle, die bei diesem Satz durch meinen Körper flutete, meine Wangen und Ohren zum Glühen brachte, war heiß gar kein Ausdruck.
»Weg mit dem Höschen!«
Nein! Bitte nicht! Ein genießerisches Zungenschnalzen war die Antwort auf meine stillen Gebete. Himmel! Wie war ich bloß in diese Situation geraten! Schuld daran war eindeutig Käthe. Alles begann vor ungefähr zwei Wochen …
Käthe saß in der unserer WG-Küche und heulte Rotz und Wasser.
Die Niagarafälle waren ein Dreck dagegen.
»Das geht schon eine ganze Weile so«, flüsterte mir Lilli zu. Sie und Martha wechselten einen besorgten Blick. Ich zog automatisch ein Taschentuch aus meiner Jacke und reichte es der Weinenden, die sich lautstark schnäuzte, um dann wieder von Neuem in Tränen auszubrechen. Das Taschentuch sah aus, als könne man es auswringen. Was war los mit Käthe? Ich rätselte im Stillen über den Auslöser dieser Tränenflut. Hatte sie Ärger im Job? War jemand gestorben und ich wusste es noch nicht? War das hier ein Fall für Wodka? Oder Valium?
Mir war nicht wohl, noch nie hatte ich Käthe in einem solchen Zustand erlebt. Sie sah zerdrückt und zerflossen aus, wie ein rotes Gummibärchen, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.
»Sorry Schwestern, ich habe meine Bachblüten verlegt«, knurrte Martha in der ihr eigenen, trockenen Art. »Aber gleich kommt Susanne, vielleicht erfahren wir dann, was los ist.«
Der heutige Abend war unser Jour fixe. Susanne, meine beste lesbische Freundin, und ich hatten bis vor einigen Monaten hier in der Wohngemeinschaft mit Lilli und Martha gelebt. Inzwischen waren wir ausgezogen, beide der Liebe wegen. Suse hatte die erste Zeit nach ihrem Auszug in Graz gelebt, der Heimatstadt ihrer Liebsten Anne.
Inzwischen waren beide zurück in der Stadt, hatten geheiratet und ein eigenes Nest bezogen, während ich in meiner eigenen Wohnung lebte und glücklich mit Astrid liiert war.
Lilli, die schon immer unaufgeregt und pragmatisch zusammenhielt, was eben so in einer Frauen-WG zusammengehalten werden musste, hatte vor kurzem das Monatstreffen eingeführt, damit wir uns nicht alle aus den Augen verloren.
Den ersten Donnerstag im Monat verbrachten wir vier seither mit Spaghetti und Rotwein in der WG-Küche, wie in alten Zeiten.
Als es klingelte, wollte ich bereits aufspringen, um zu öffnen. „Lass mal, Tina, ich gehe schon“, sagte Martha. Mir schien, sie atmete erleichtert auf und beeilte sich, zur Tür zu kommen. Martha war bei Weitem die Unsentimentalste von uns allen. Gleichzeitig war sie am wenigsten eng mit Käthe befreundet. Die warf sich beim Anblick von Susanne, die gleich darauf in der Küche erschien, heulend in deren Arme. Suse blickte verstört auf das Häuflein Elend.
»Hey, Süße, was ist denn mit dir los?«, wollte sie wissen. Ihre Augen huschten zu uns Dreien, aber wir konnten nur mit den Schultern zucken. Wenigstens redete Käthe jetzt. Na ja, wenn man ihre bruchstückhaften Satzfetzen so bezeichnen konnte.
»Gemeinheit ...«, schniefte sie, »... Gauner ... muss raus ... und dann noch ... unmöglich ... Seiten gewechselt ... wie konnte ich bloß ... Gelder gestrichen ... erledigt«.
Ihr Gestammel war nicht zu entschlüsseln. Während sie sich in Suses weiche Rundungen schmiegte, kam mir in den Sinn, dass Käthe, seit ich sie kannte, immer unbeweibt gewesen war. Und noch nie hatte ich die dünne Frau mit dem hennarot gefärbten Haar und dem Mausgesicht mit einer Frau flirten oder gar kuscheln sehen.
»Das lasse ich mir nicht gefallen!«, schrie sie plötzlich in meine Gedanken hinein. Käthe setzte sich in Susannes Armen auf und schob ihre eckige Brille zurecht.
»Was ist denn Käthe? Seit du vor einer halben Stunde hier aufgetaucht bist, heulst du, und wir wissen nicht, warum. Geht es um eine Frau? Um zu wenig Zuwendung oder, womöglich noch schlimmer, schlechten Sex?« Martha zog einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf, ihre langen Beine in der engen Lederhose wippten nervös.
»Blödsinn!«, schnaufte Käthe und drückte eine letzte Träne aus dem Augenwinkel. »Was du immer denkst. Du hast ja wohl nichts anderes im Kopf.«
»Schon gut«, ging Lilli verbal zwischen die ewigen Streithennen. Wäre sie nicht gewesen, hätte in der Vergangenheit sicher mehr als eine der an der Tagesordnung stehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beiden im Streit geendet. »Sag uns einfach endlich, was los ist.«
»Es ist ... weil ... alles kommt zusammen«, wimmerte Käthe nun schon wieder. Ein erneuter Sturzbach an Tränen lief über ihr blasses Gesicht, aus dem die Nase tiefrot und verschwollen hervorstach.
»Was kommt wozu?« Susanne rückte etwas von ihrer Freundin ab. Auf ihrem T-Shirt hatte sich ein großer, feuchter Fleck gebildet. Sie versuchte vergeblich, ihn trockenzuwedeln.
»Die Wohnung ist weg«, verkündete Käthe mit Grabesstimme. »Unser ganzes Haus. Abriss. Bau von Luxuswohnungen.«
»Du musst aus deiner Wohnung ausziehen?«
Wir alle wussten, dass Käthe sich mit ihrem Gehalt als Sozialpädagogin keine großen Sprünge leisten konnte und verdammtes Glück hatte, in einem schönen, aber wenig komfortablen Altbau eine kleine, bezahlbare Wohnung zu haben, in der sie seit Urzeiten zur Miete wohnte.
»Okay, das ist hart, aber nicht das Ende der Welt. Du musst sicher nicht von heute auf morgen da raus. Es wird sich schon was finden. Zur Not ziehst du eben eine Weile bei uns ein. Zwei Zimmer stehen ja leer.« Lillis stets ruhige Stimme schien mühelos alle Schicksalsfäden zu entwirren.
Martha warf ihrer großen, dunkelhaarigen Wohngenossin einen unwilligen Blick zu. Ich konnte mir schon denken, warum. Die Vorstellung Käthe als Mitbewohnerin ertragen zu müssen, strapazierte ihre Nerven. Käthe war eigenwillig, manchmal regelrecht dogmatisch und ging zum Lachen meistens in den Keller. Zwischen Martha, die mit ihrer leichtlebigen Art und ihren häufig wechselnden Damenbekanntschaften das Leben und die Geliebten nahm, wie sie kamen, und der problemorientierten Käthe lagen Welten.
»Das ist ja noch nicht alles!«, heulte die nun lauthals auf. »Ihr wisst ja gar nicht, wer dieses Projekt politisch unterstützt.«
Jetzt funkelten ihre Augen wie Diamanten. Sie trompetete noch einmal in das Taschentuch, bevor endlich ihre Tränen versiegten, und sie zum Weitersprechen ansetzte: »Marion!«
»Marion? Um Himmels willen«, entfuhr es Susanne.
»DIE Marion?« Martha beugte sich interessiert nach vorn.
»Doch nicht Marion Steiner?«, fragte Lilli.
»Welche Marion?«, fragte ich verständnislos.
Viele Frauen waren in dieser WG zu meiner Zeit ein- und ausgegangen, diesen Namen hatte ich jedoch noch nie gehört. Er schien bei den Frauen wie eine Bombe einzuschlagen.
»Marion. Früher Steiner, jetzt Borgwald«, verkündete Käthe.
Danach herrschte in der Küche Totenstille.
»Klärt ihr mich jetzt mal bitte auf?«, verlangte ich.
Käthe machte eine hilflose Handbewegung, als ginge es über ihre Kräfte, mir mehr zu verraten.
»Marion, gute Göttin«, murmelte Martha und Lilli gab ein Geräusch von sich, das an einen defekten Fahrradschlauch erinnerte.
»Wie ... was ... warum trägt sie jetzt einen anderen Namen?« Suse starrte Käthe mit großen Augen an.
»Sie ist in die Politik gegangen. Kandidiert bei der nächsten Kommunalwahl. Und jetzt ratet mal, für welche Partei? Da kommt ihr nie drauf. Sie ist bei der Neuen Konservativen Liste Spitzenkandidatin für das Sozialdezernat der Stadt. Und diese Partei steht voll hinter dem Bauprojekt. Wenn die Konservative ins Stadtparlament kommt, und das gilt als sicher, wird sie als kleiner Partner ihrer Wunschkoalition das Ding durchziehen wollen. Das ist aber längst nicht alles.«
Sie starrte so düster um sich, dass ich vorsichtshalber ein Stückchen von ihr abrückte.
»Marion hat auch noch lauthals verkündet, den lesbischen Kulturverein und damit auch das Frauenkulturhaus schließen zu wollen. Ach ja, und das Allerschlimmste wisst ihr noch gar nicht.«
Ich fragte mich im Stillen, was das sein sollte, das diese Katastrophenmeldungen noch toppen könnte.
»Sie hat geheiratet. Einen Mann!« Käthes Stimme schwoll bei diesen Worten an, schraubte sich schrill bis unter die Decke der WG-Küche und hinterließ bei allen Anwesenden den Ausdruck des Entsetzens auf den Gesichtern. Außer bei mir, ich verstand nur Bahnhof. Zwar war Käthes Abneigung gegen sämtliche Männer dieser Welt legendär, aber was hatte das alles mit ihr zu tun? Warum war sie so schrecklich mitgenommen wegen der Heirat einer kandidierenden Kommunalpolitikerin?
»Ach du liebes Lieschen.« Lilli blies die Backen auf. Martha gluckste vor freudlosem Lachen, Susanne stieg jetzt mit ein in Käthes Lamento und zerdrückte ein paar Tränen im Augenwinkel. Mitfühlende Tränen, wie mir gleich klar wurde.
»Wer ist diese Marion?«, fragte ich noch einmal.
Vier Augenpaare wandten sich mir zu. »Eine ehemalige Schwester, Mitbegründerin des lesbischen Kulturvereins.«
Was konnte ich da Tröstendes sagen? Tut mir leid für den Verlust einer aus unseren Reihen? War das alles wirklich so schlimm? Käthe war noch nicht fertig. Den Clou hatte sie sich bis zum Schluss aufgehoben. »Und sie ist meine Ex!«
Das ging an meine Adresse. Dann fing sie wieder an zu heulen.
Käthe und Marion waren einst das Powerpaar der Lesbenszene gewesen. Gemeinsam hatten sie vor etlichen Jahren, also zu einer Zeit, da ich das Wort Lesbe noch nicht einmal buchstabieren konnte, für den lesbischen Kulturverein gekämpft, hatten Demos organisiert und Gelder gesammelt. Als die Beziehung auseinanderging, war Käthe als ein Häuflein Elend zurückgeblieben. Marion hatte sich entschieden, ein spätes Jurastudium zu beginnen, war dazu in eine andere Stadt gezogen und zwischendurch für einige Austauschsemester im Ausland gewesen. Die Verbindung zwischen ihr und Käthe riss irgendwann komplett ab. Marion verschwand von der Bildfläche und Käthe, die nie halbherzige Beziehungen eingegangen wäre, war überzeugt, ihre einzige große Liebe verloren zu haben. Sie blieb fortan alleine.
»Jetzt ist sie wieder da. Trägt einen braven Haarschnitt, Businesskostüme und einen Ehering am Finger. Und opfert alles, wofür sie früher mal gekämpft hatte, ihrer politischen Karriere.« Käthe schnaubte empört und griff dankbar zu dem Glas Rotwein, das Lilli ihr fürsorglich zugeschoben hatte.
»Hast du mit ihr geredet?«, wollte Susanne wissen. »Habt ihr euch gesehen?«
Käthe trank einen großen Schluck Wein, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß schon eine ganze Weile, dass es Bestrebungen gibt, dem Frauenkulturhaus die Mittel zu kürzen und hielt es für das übliche Hin und Her der Politik, das wir seit Jahren gewohnt sind. Vor zwei Tagen habe ich meine Wohnungskündigung erhalten. Das war alles schon schlimm genug. Aber dass Marion mit ihrer konservativen Truppe in beides verwickelt ist, weiß ich erst seit heute. Das setzt dem Ganzen die Krone auf.«
Die Konservative Liste. Das war eine ganz frisch gegründete und aus dem Stand heraus erfolgreiche kleine Partei, die sich kommunalpolitisch bereits einen Namen gemacht hatte.
»Ein Sprungbrett für Leute, die spät in die Politik eingestiegen sind«, schniefte Käthe.
»Wenn sie rhetorisch alle so gut drauf sind wie Marion, kein Wunder«, murmelte Martha.
»Was willst du jetzt machen?«
»Auf uns kannst du zählen.«
»Komm erst einmal zur Ruhe.«
Alle redeten durcheinander. Beinahe hätten wir die Türklingel überhört. Lilli ging und machte auf. Sie kam mit einer Frau zurück, die ich noch nie gesehen hatte. Sie war mittelgroß, trug die schwarzen Haare lang und offen und wirkte ungeheuer energisch.
»Das ist Ayshe Topcuk, meine Anwältin. Sie vertritt uns auch in der Sache des Kulturzentrums«, verkündete Käthe nach einem erneuten Einsatz des Taschentuches.
»Hallo«, sagte Ayshe Topcuk lässig in die Runde.
Martha saß immer noch rittlings auf ihrem Stuhl. Scheinbar unverändert, wenn man nicht genau hinsah. Doch beim Auftauchen der Fremden fuhr sie sich mit einer langsamen Bewegung durch ihren blonden Schopf, der glatt und glänzend ihre Ohren umspielte. Dabei starrte sie die schöne Anwältin auf eine Art und Weise an, die ich in Anbetracht der Situation fast schon unanständig fand. Als sich die Blicke der beiden Frauen trafen, fing die Luft im Raum vor meinen Augen an zu brennen. Martha, die Jägerin der Nacht, hatte ein neues Opfer ins Visier genommen! Außer mir schien nur Lilli etwas zu bemerken, sie zog die Augenbrauen amüsiert nach oben und grinste in sich hinein.
Lilli selbst lebte seit Jahren monogam in einer Art Fernbeziehung mit Claire, einer französischen Stewardess. Dennoch verstanden sich Lilli und Martha, der feste Beziehungen eher suspekt waren, großartig. Susanne war nach wie vor ganz auf Käthe konzentriert und wurstelte sich vor lauter Mitgefühl für ihre unglückliche Freundin wild in den rotbraunen Haaren herum, bis diese wie üblich kreuz und quer auf ihrem Kopf standen.
»Käthe und ich dachten daran, eine groß angelegte Aktion zu starten. Zum einen, um in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit auf die geplanten Kürzungen im lesbischen Kulturverein zu lenken, zum anderen, um die rüde und unsoziale Entmietung ganzer Häuserblocks publik zu machen.« Ayshe hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Sie deutete fragend auf einen Stuhl und setzte sich dann. »Ich habe mal alles zusammengetragen, was bisher darüber bekannt ist.« Aus ihrer Handtasche holte sie ein großes, zusammengerolltes Blatt Papier und zog es auf dem Tisch glatt. »Betroffen sind diese fünf Mietshäuser.«
Martha zog ihre begehrlichen Blicke von der Anwältin ab, wandte sich dem Blatt Papier zu und pfiff durch die Zähne. »Die stehen ja über Eck, wenn man zu den Wohnungen die dazu gehörigen Hinterhöfe nimmt, ergibt sich eine ziemlich große Fläche.«
»Genau! Vor allem, wenn nicht mehr sechsgeschossig gebaut wird, wie bisher. Es ist von zwölf bis fünfzehn Etagen die Rede.« Ayshe Topcuk nickte zu ihren Worten und warf uns allen einen intensiven Blick zu, bevor sie fortfuhr. »Das ist ein Grund, warum diese Ecke so begehrt ist. Der zweite ist die relativ zentrale Lage. Nur wenige Gehminuten von einer beliebten Einkaufsstraße entfernt soll hier ein Komplex entstehen. Serviced Appartements für die, ich zitiere, modernen Arbeitsnomaden, ein Büro- und Geschäftshaus mit Einkaufspassage, Gastronomie sowie einer Erlebnislandschaft über sämtliche Gebäude hinweg auf dem Dach. Da kommen eine Freiluft Lounge-Bar hin, ein Schwimmbad, dazu Dachbegrünung, eine Voliere, Fitnessgeräte. Dort können dann die Büromenschen schnell mal vom Arbeitsplatz hinauf huschen und sich einbilden, die radelten durch den Odenwald. Alles, was der gestresste Großstädter so braucht, um sich nach seiner anstrengenden Arbeit zu erholen. Eine wahre Goldgrube, die Investoren stehen Schlange und die vermeintlich nächste Stadtregierung suhlt sich bereits in einem Ruhm, der erst noch verdient werden will. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Ich sah vor meinem inneren Auge überarbeitete Menschen in zu enger und zu bunter Sportbekleidung auf Elektrorädern herumhampeln. Kein schöner Anblick. Ayshe sah uns erneut alle nacheinander eindringlich mit ihren klaren, espressofarbenen Augen an. Martha blickte verträumt zurück, der Glanz in ihren Augen zeigte mir, dass in ihrem Kopf eindeutig ein anderer Film ablief, als bei uns anderen. Vielleicht turnte sie in Gedanken bereits unter dem anfeuernden Gekreisch von regenbogenfarbenen Papageien mit Ayshe an der Voliere herum.
»Käthe dachte, dass ihr sie und unser gemeinsames Anliegen unterstützen könntet. Jede von euch hat Verbindungen, wenn wir die alle nutzen, erreichen wir eine große Anzahl von Frauen, denen zumindest das Frauenkulturhaus nicht egal sein dürfte. Viele davon werden ganz sicher auch die rüde Entmietung dieser Wohnhäuser«, sie schlug einmal kräftig auf den Plan, der vor ihr lag, »nicht ohne Protest hinnehmen.«
»Wir sind dabei«, sagten Lilli, Susanne und ich wie aus einem Mund. »Wir arbeiten mit euch zusammen.«
Ja. Genau. Ganz eng, schien Marthas hungriger Blick auf Ayshe zu sagen. Aber das fiel womöglich wieder bloß mir auf. Während Käthe sich schniefend bei uns bedankte, lud Lilli kurzerhand sie und Ayshe zum Essen ein. »Es ist genügend da«, fand sie. Und so kam es, dass an diesem Abend in der Küche meiner ehemaligen WG eine Menge revolutionärer Pläne geschmiedet wurden.
»Du warst aber lange weg«, murmelte meine Freundin Astrid, als ich kurz vor Mitternacht zu ihr ins Bett kroch. Blonde, kurze Haarsträhnen lugten vorwitzig unter der Decke hervor und ich roch den Duft von Astrids Apfelshampoo.
»Es gibt viel zu erzählen«, berichtete ich, noch ganz aufgeregt von dem, was wir den ganzen Abend über besprochen hatten.
»Bin müde«, kam die wenig enthusiastische Antwort. Astrid war den ganzen Abend Taxi gefahren und hatte vermutlich noch gar keine Ahnung von den dunklen Wolken, die über dem Kulturhaus schwebten. Zwar war sie eine der Vorstandsfrauen des lesbischen Kulturvereins, der als Träger für das Frauenkulturhaus fungierte, aber Käthe hatte die schlimme Nachricht dort noch gar nicht verbreitet. Ich war zwar hellwach, wollte sie aber nicht um den Schlaf bringen. Jedenfalls nicht mit irgendwelchen Hiobsbotschaften. Mir schwirrten ganz andere Gedanken durch den Kopf. Vorsichtig krabbelten meine Finger unter der Decke zu ihr hinüber.
»Mmmmh«, machte Astrid, als meine Hand die feste Rundung ihres Hinterns erreicht hatte. Langsam schob ich mich näher an sie heran. »Knackig«, lobte ich den Zustand ihres Hinterteils und zwickte spielerisch hinein, was sie zum Kichern brachte.
»Das kommt vom Sport«, murmelte sie mit einem Grinsen in der Stimme und zog sich die Decke etwas aus dem Gesicht. »Das ist das, was du nicht so gerne machst, liebe Tina.«
Sport? Ne, musste nicht sein. Mir fielen da wesentlich angenehmere Arten der körperlichen Ertüchtigung ein. »Wenn du nicht so müde wärst, würde ich dir schon zeigen, wie fit ich trotzdem bin«, murmelte ich in ihr Ohr.
»Ach wirklich?« Jetzt war sie eindeutig interessiert und zog mich unter ihre Decke. Als sie viel später einschlief, lag ein Lächeln auf ihren Lippen und auch ich dachte nur noch an angenehme Dinge.
Henriette von Lojewski, Inhaberin einer Cateringagentur und eines kleinen Delikatessenladens, darüber hinaus Verlegerin und Chefredakteurin der Hochglanzzeitschrift Mangiare, hielt, wie jeden Freitag, die Redaktionskonferenz ab.
Seit sie und ich eine gemeinsame kulinarische Reise nach Italien unternommen, und ich im Anschluss einen Artikel für sie verfasst hatte, war ich feste freie Mitarbeiterin und schrieb nun über alles, was das Herz von Feinschmeckern und solchen, die es werden wollten, höher schlagen ließ.
Henriette sah wie immer tipptopp und wie aus dem Ei gepellt aus. Das kleine Redaktionsteam, außer mir waren noch fünf Frauen und zwei Männer dabei, diskutierte wie jede Woche eifrig über den Stand der für das aktuelle Heft geplanten Artikel und suchte nach guten Ideen für die nächste Ausgabe.
»Ein neuer, ganz heißer Trend ist die vegane Küche«, sagte einer der Mitarbeiter.
»Ich würde gerne etwas über regionale, ländliche Rezepte passend zu Slow Food machen«, bemerkte eine Autorin neben mir.
»Wie wäre es mal wieder mit modernen Suppenrezepten?«, fragte eine andere.
Wir diskutierten und verwarfen die Suppenidee vorerst, weil sie Henriettes Meinung nach besser in den Herbst passte. Eine Kollegin bekam die Aufgabe, einen Beitrag über ein leichtes Sommermenü zu verfassen. Und dann nannte mir Henriette ihre Stichworte zu dem, was ich ihrer Meinung nach tun sollte.
»Tina, ich möchte, dass du was über aphrodisierende Nahrungsmittel schreibst, mit passenden Rezepten.«
Ach du liebes Lieschen!
Davon hatte ich so gar keine Ahnung. Trotzdem nickte ich und schrieb groß die Worte »Aphrodisiaka aus Küche und Garten« auf meinen Block. Mir würde schon etwas einfallen.
»Kannst du gerne alles vorher testen und uns einen Erfahrungsbericht geben«, grinste eine Kollegin über den Tisch.
Henriette lächelte fein. Sie kannte mein Privatleben und wusste, wie verliebt ich in meine Freundin war. Als alle aufbrachen, um die letzten Texte für diesen Tag zu schreiben, ihre Schreibtische aufzuräumen oder sich bereits für die kommende Arbeitswoche zu inspirieren, hielt Henriette mich kurz zurück. »Tina, wie geht es dir bei uns? Alles okay?«
Ich nickte heftig. Henriette hatte mir im Büro einen Schreibtisch mit einem superduper Computer inklusive aller benötigten Programme eingerichtet. Darüber hinaus verfügte ich jetzt über ein neues Laptop, sodass ich auch zu Hause oder unterwegs arbeiten konnte. Aber das war es nicht, was mich begeisterte. Es waren die Themen, bei denen ich gar nicht den Eindruck hatte zu arbeiten. Ich ging eher einem meiner Hobbys nach; alles, was mit Kochen und Backen zusammenhing, bedeutete Spaß und ging mir leicht von der Hand.
»Henriette, ich bin dir dankbar, dass du mir das Angebot gemacht hast, und habe es nicht bereut, zu dir gewechselt zu haben. Ich fühle mich pudelwohl!«
Das stimmte. Mein vorheriger Job bei einer Versicherung hatte sich nach etlichen Jahren definitiv totgelaufen gehabt. Meine neue Chefin lächelte, drückte fest meinen Arm und lobte meine bisherige Arbeit. So gestärkt konnte ich frohen Mutes ins Wochenende aufbrechen. Meine Arbeit war fertig. Ich hatte einen Text über alte Sorten von Frühlingsgemüse, die in der modernen Küche gerade wieder entdeckt wurden, verfasst und das passende Bildmaterial über eine Agentur geordert. Nun konnte ich mich der neuen Herausforderung stellen. So verknallt, wie Astrid und ich waren, hatte mein Liebesleben zwar nicht unbedingt einen Schubs nötig, trotzdem freute ich mich schon darauf, sinnlich-anregende Rezeptideen auszuprobieren und auch meine Freundinnen damit zu überraschen.
Die Idee hatte sich bereits in meinem Kopf festgesetzt, die ersten gedanklichen Assoziationen tauchten in meinem Kopf auf, als ich auf dem Nachhauseweg an einem Gemüseladen vorbeikam. Appetitlich angerichtet lockten dort glänzende Auberginen, saftige Trauben und duftende Erdbeeren.
»Grüner Spargel, ganz günstig«, radebrechte jemand von schräg hinten.
Ja, warum eigentlich nicht, die Spargelzeit war fast schon vorbei.
»Okay, ich nehme ein Bündel«, sagte ich, ohne mich umzudrehen. Meine Blicke huschten begehrlich über die anderen Obst- und Gemüsesorten, die in allen Regenbogenfarben leuchteten.
»Wie viele Personen?«
»Zwei.« Meine Hände griffen bereits nach Pfirsichen, die aromatische Duftwogen verbreiteten. Die karamellisiert, dazu eine Vanillecreme … Schon allein die Vorstellung ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Menü für zwei? Nehmen Sie noch Litschis. Die sind gut.«
»Gut wofür?« Jetzt drehte ich mich um, die Pfirsiche in der Hand und sah in das breite Grinsen eines südländischen Gemüseverkäufers.
»Für die Liebe«, meinte er lächelnd und verdrehte die Augen vielsagend.
»Ach wirklich? Erzählen Sie mir mehr!«, verlangte ich eifrig und legte die Pfirsiche bei ihm ab, um nach den von ihm angepriesenen kleinen Früchten zu greifen.
»Spargel, ja?«, rief er begeistert aus. »Nimmst du bisschen Sellerie vorher und Litschis nachher …«
Sein Gesicht strahlte jetzt und er kam mir bedrohlich nahe. »Machst du gutes Essen für deinen Mann, ja?«
»Ich habe keinen Mann«, antwortete ich unvorsichtigerweise. »Ich recherchiere nur.«
Leider verstand er mich falsch oder verwechselte etwas. »Keinen Mann? Macht nichts. Komme ich zu dir, machen wir schönes Essen und hinterher …« Er schnalzte mit der Zunge, sah mich auf eine klebrige Art von oben bis unten an und fuchtelte mit den Pfirsichen in den Händen herum.
Ach du liebes Lieschen! Dachte er wirklich, ich sei auf der Suche, gerade nach ihm? »Unverschämtheit! Ich hab‘s mir anders überlegt. Behalten Sie ihr Zeug!« Empört drehte ich mich um.
»Brauchst du Chili, Fräulein!«, rief er mir lachend hinterher. Ohne mich umzudrehen, zeigte ich ihm den Stinkefinger. Beidseitig.
Als ich in meine Wohnung zurückkehrte, klebte ein Notizzettel an meiner Tür. »Komm hoch!«, stand in Julias klarer Handschrift darauf. Julia wohnte seit einiger Zeit über mir. Sie war die Tochter von Herrn Dr. Spengler, der früher in der Wohnung oben lebte. Inzwischen bewohnte er mit meiner Mutter ein Haus am Stadtrand. Die beiden verlebten ihren zweiten Frühling.
So sehr ich mich für meine Mutter freute, die Scheidung von meinem Vater, die für dieses neue Arrangement unabdingbar gewesen war, hatte mir dennoch wehgetan.
Mein Trost war es, auch meinen Vater nicht allein zu wissen, er hatte seinem Leben eine entscheidende Wende verpasst und lebte mit seiner neuen Flamme seit Kurzem auf einer Baleareninsel. Nun war Julia so etwas wie meine Stiefschwester.
Nicht nur deshalb verbrachten wir viel Zeit miteinander. Ich hatte sie schon seit unserem Kennenlernen ins Herz geschlossen.
»Was liegt an?«, fragte ich, als sie mir die Tür öffnete. Julia winkte mich mit einer Hand in die Küche, in der anderen hielt sie einen angebissenen Apfel.
»Du weißt schon Bescheid wegen der Sache mit dem Kulturzentrum«, sagte sie kauend, schluckte ihren Bissen hinunter und warf den säuberlich abgenagten Apfelbutzen gut gezielt in den Mülleimer. »Käthes Anwältin, eine Ayshe Topcuk, hat mich heute früh angerufen. Sie will mich engagieren. Den Auftrag habe ich sicherlich auch ein bisschen dir zu verdanken.« Julia zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Sie spielte dabei auf die Tatsache an, dass ich sie, die als Privatdetektivin arbeitete, in meinem Freundinnenkreis eingeführt hatte. Weil sie mir aus freundschaftlicher Verbundenheit in einer sehr wichtigen Sache zur Seite gestanden hatte, konnte ich ruhig ein wenig für sie die Werbetrommel rühren.
»Was sollst du denn machen?«, wollte ich wissen. Mir war nicht klar, wozu Ayshe und Käthe eine Detektivin anheuerten.
»Es geht um die schmierigen Verbindungen zwischen der Politik, der Verwaltung und diesen Bauherren. Außerdem«, Julia zögerte kurz und sah unsicher zu mir herüber, bevor sie doch fortfuhr, »hat Käthe durchblicken lassen, sie verstehe nicht ganz, was diese Marion Borgwald für ein Spiel spielt. Kennst du die Dame?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist Käthes Ex und jetzt mit einem Mann verheiratet.«
»Oh Göttin, und das passiert ausgerechnet unserer Käthe.« Julia schüttelte wild ihr Haupt, sodass die dunkelbraunen Locken flogen. »Hat sie ihre Männerallergie davor oder danach entwickelt?«
Wider Willen musste ich kurz lachen. »Die hatte sie schon, bevor sie das von Marion erfuhr.«
»Ist schon merkwürdig. Nach allem, was Käthe mir erzählt hat, war diese Marion doch flott an allem beteiligt, was lesbische Kultur in unserer Stadt bedeutet. Jetzt taucht sie nach Jahren aus der Versenkung wieder auf und will das zerstören? Kannst du das verstehen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Na ja, das gibt es ja, dass Leute ihre eigene Vergangenheit am liebsten ausradieren würden.« Julia hatte nach einer Mandarine gegriffen und schälte sie langsam. Der fruchtige Duft verbreitete sich in der Küche.
»Muss doch nicht sein. Ich als langjährige Hetera zum Beispiel war einigen der Frauen in meinem lesbischen Kosmos am Anfang mehr als suspekt. Inzwischen wissen eh alle über meine fragwürdige Vergangenheit Bescheid, niemand regt sich mehr darüber auf.« Ich nahm dankbar einige Mandarinenschnitze an, die Julia mir hinhielt.
»Du spielst jetzt auf die Tatsache an, dass du nicht lesbisch auf die Welt gekommen bist?« Julia schmatzte leicht beim Kauen. »Bei dieser Marion scheint das andersrum gewesen zu sein. Vermutlich will sie es jetzt nicht mehr an die große Glocke hängen, dass sie früher mit einer Frau zusammen war, fürchtet um ihre konservative Wählerschaft. Was wäre besser geeignet, das eigene frühere Tun ad absurdum zu führen, als die radikale und öffentlichkeitswirksame Zerstörung desselben?« Sie wischte sich die Hände an einer Serviette ab und beugte sich zu mir herüber. »Hilfst du mir, ein bisschen Licht in die Sache zu bringen?«
»Wie jetzt? Ich sagte dir doch, dass ich Marion nicht kenne.«
»Noch nicht. Aber ich habe einen Plan, wie wir ohne großes Aufsehen Kontakt zu ihr aufnehmen können. Und darüber hinaus noch Insiderinformationen zu dem geplanten Bauprojekt bekommen.«
Da war ich aber mal gespannt.
»Ich dachte an deine Freundin Vera, deren Mann ist doch ein bekannter Immobilienmakler und ...«
»Oh nein, Julia. Lass Vera aus dem Spiel. Sie ist eine enge Freundin, aber ich will sie für so etwas nicht ausnutzen.«
»Ausnutzen? Aber Tina, davon ist doch gar keine Rede. Sie könnte uns helfen, indem sie uns eine Einladung besorgt oder uns einfach mitnimmt. Der konservative Klüngel trifft sich nämlich morgen Abend auf Einladung der Investorengruppe im Orchideensaal des Botanischen Gartens. Eine Veranstaltung nur für handverlesene, geladene Gäste übrigens. Alles Leute, die man hofft, demnächst mit im Boot zu haben. Dort wird im kleinen Kreis ausführlich über das Bauprojekt informiert.« Sie lehnte sich zurück und sah mich mit blitzenden Augen an.
»Woher weißt du denn, dass Vera und ihr Mann auf der Gästeliste stehen?«
»Weiß ich nicht, vermute ich aber. Die Investoren brauchen die Fachkenntnis hier vor Ort, um ihre Objekte schnell und vor allen Dingen an solvente Interessenten vermieten zu können. Veras Mann ist einer der bekanntesten und seriösesten Makler der Stadt, wie du sehr wohl weißt!«
Wusste ich, denn auch meine Wohnung hier im Haus, hatte mir Hans-Dietrichs Büro vermittelt. Auf strenges Anraten seiner Frau Vera, mit der ich seit einer denkwürdigen Begegnung in der zu einem Varieté gehörenden Tiger-Bar befreundet war.
»Also gut, ich rufe Vera an und frag sie.«
»Und du musst mit, Tina. Ich brauche dich bei dieser Sache. Das wird größer, als wir jetzt ahnen, da bin ich mir sicher.«
»Wo warst du? Ich habe schon ein paar Mal angerufen«, muffelte Astrid ins Telefon. Es war später geworden bei Julia und meine Liebste klang etwas angesäuert.
»Hatte mein Handy nicht an«, entschuldigte ich mich. Vermutlich verdrehte Astrid am anderen Ende jetzt die Augen. Meine Abneigung gegen technischen Firlefanz war ihr bekannt. Erst seit mir Julia eines ihrer abgelegten Mobiltelefone geschenkt hatte, war ich auch unterwegs zu erreichen. Theoretisch jedenfalls, denn meistens hatte ich das Ding ausgestellt.
»Käthe hat mir schon berichtet, worum es gestern Abend ging«, fuhr Astrid fort. »Warum hast du mir denn nichts erzählt?«
»Wir hatten Besseres zu tun, schon vergessen?«
Astrid gluckste kurz auf. »Ich muss morgen ins Kulturhaus zu einer Sondersitzung des Vereinsvorstandes. Wir beraten, wie es weitergehen soll.«
Kein Wort über Julia. Es schien, als habe Käthe auch den anderen Frauen noch nichts davon erzählt, dass sie eine Privatdetektivin engagiert hatte.
»Aber darüber will ich jetzt gar nicht weiter sprechen. Ist alles so unerquicklich.«
»Dann komm gleich vorbei. Ich habe zwei schöne DVDs und eine Flasche Wein für uns besorgt«, lockte ich sie. Dann legten wir auf.
Während ich auf Astrid wartete, rief ich bei Vera an.
»Tina, Schätzchen, wie geht es dir?« Wie immer freute sie sich, von mir zu hören. Vera war eine der Frauen, auf die ich mich stets hatte verlassen können. Seit ich sie kannte, hatte sie mir in vielen Situationen meines Lebens beigestanden, ohne Wenn und Aber. Auch wenn es jetzt nicht um mich persönlich ging, war es mir unangenehm, sie schon wieder um etwas zu bitten. Aber Julia hatte mir die Wichtigkeit meiner Mission so heftig eingebläut, dass ich mir einen Ruck gab.
»Vera, seid ihr, also du und dein Mann, morgen Abend zu der Veranstaltung im Orchideensaal des Botanischen Gartens eingeladen? Da, wo über das neue Bauvorhaben gesprochen wird?«
Einen Moment lang blieb es still in der Leitung.