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Von Liebe und Tod - lesbischer Kriminalroman Zwei Frauen auf der Flucht vor einem gnadenlosen Gegner. Doch wie weit können sie einander trauen? Als Eve sich in Shenmi verliebt ahnt sie nicht, dass die stürmische Affäre mit der geheimnisvollen Halb-Chinesin ihr Leben in mehr als einer Hinsicht auf den Kopf stellen wird. Denn deren Vater, ein mächtiger Wirtschaftsboss, will seine Tochter mit einem Geschäftsfreund verheiraten. Eve ist ihm dabei ein Dorn im Auge. Das Paar versteckt sich auf einer griechischen Insel. Doch dann verschwindet Shenmi plötzlich und Eve muss sich gegen eine Entführung zur Wehr setzen. Ein Überfall auf sie und ihre Verfolgerin Daria ändert alles. Fortan sind die beiden Frauen Verbündete. Gemeinsam auf der Flucht vor einem Gegner, den sie nicht kennen. Während Eve nur eines will – Shenmi finden, machen Daria verwirrende Emotionen zu schaffen. Warum fühlt sie sich ausgerechnet von einer Frau angezogen? Die Suche nach ihrem unbekannten Feind führt Daria und Eve durch mehrere Länder. Als die Lösung des Rätsels zum Greifen nah scheint, werden auf einmal die Karten neu gemischt. Die beiden Frauen finden sich auf verschiedenen Seiten wieder. Erneut beginnt ein Ringen. Um Vertrauen. Um Liebe. Um Tod. Ein lesbischer Krimi Noir. Spannend. Dramatisch.Gefühlvoll. Gewürzt mit einer Prise Erotik an den richtigen Stellen.
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Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Prolog
Der Angriff
Verheißung und Leidenschaft
Die Toten
Auf der Flucht
Ein sicheres Haus
Das Versteck
Mörderischer Auftrag
Tödliches Eis
Das Geschäft
Licht
Dank
Weitere Romane von Celia Martin
Impressum
Celia Martin
Von Liebe und Tod
Kriminalroman
Text © Celia Martin 2016/2022
2. überarbeitete Auflage, April 2022
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.
Coverabbildung unter Nutzung von Motiven von
Shutterstock (579705130)
und Pixabay
Zwei Frauen auf der Flucht vor einem gnadenlosen Gegner. Doch wie weit können sie einander trauen?
Als Eve sich in Shenmi verliebt ahnt sie nicht, dass die stürmische Affäre mit der geheimnisvollen Halb-Chinesin ihr Leben in mehr als einer Hinsicht auf den Kopf stellen wird. Denn deren Vater, ein mächtiger Wirtschaftsboss, will seine Tochter mit einem Geschäftsfreund verheiraten. Eve ist ihm dabei ein Dorn im Auge.
Das Paar versteckt sich auf einer griechischen Insel. Doch dann verschwindet Shenmi plötzlich und Eve muss sich gegen eine Entführung zur Wehr setzen. Ein Überfall auf sie und ihre Verfolgerin Daria ändert alles. Fortan sind die beiden Frauen Verbündete. Gemeinsam auf der Flucht vor einem Gegner, den sie nicht kennen.
Während Eve nur eines will – Shenmi finden, machen Daria verwirrende Emotionen zu schaffen. Warum fühlt sie sich ausgerechnet von einer Frau angezogen?
Die Suche nach ihrem unbekannten Feind führt Daria und Eve durch mehrere Länder. Als die Lösung des Rätsels zum Greifen nah scheint, werden auf einmal die Karten neu gemischt. Die beiden Frauen finden sich auf verschiedenen Seiten wieder. Erneut beginnt ein Ringen. Um Vertrauen. Um Liebe. Um Tod.
Die Frau mit dem kurzen kastanienfarbenen Haar zögerte kaum wahrnehmbar, bevor sie das Bürohochhaus betrat. Draußen lag die Luft schwer in den belebten Straßen. Im Inneren des Gebäudes sorgte eine Klimaanlage für stets gleichbleibende Temperaturen, sowie ein Gefühl der Frische. Hier war es kühl und ruhig, der Lärm der Stadt blieb vor den großen, blauschimmernden Glastüren. Die Frau zog ihr Basecap tiefer in die Stirn. Ohne sich an eine der Mitarbeiterinnen des Empfangsdesks zu wenden, schritt sie zielstrebig zum hinteren Teil der Lobby, wo in diesem Moment ein Aufzug hielt. Eine Handvoll Angestellter entstieg der Kabine. Die Männer und Frauen in ihren gut sitzenden Anzügen und Kostümen wirkten gestresst und achteten nicht auf die Besucherin. Ihre Augen hingen wie festgefroren an den Displays ihrer Smartphones, während sie zum Ausgang eilten.
Die Frau stieg ein und drückte auf den Knopf für die oberste Etage. Mit sanftem Ruck fuhr der Lift an. Ein leises Sirren begleitete sie auf ihrem Weg hinauf. Dort stieg sie aus, wandte sich nach rechts. Kein Laut drang hier herauf und auch aus keinem der Büros hörte man etwas. Am Ende des Ganges blieb sie vor einer Bürotür stehen. Dort stand der Name, den man ihr genannt hatte. Sie klopfte einmal an, erwartungsgemäß antwortete niemand und sie betrat den Raum mit einer Schlüsselkarte.
Das Büro war groß und sehr aufgeräumt. Die Frau verschwendete keinen Blick auf die Einrichtung. Dem Eingang gegenüber befand sich eine Fensterfront, die auf eine Dachterrasse hinausging. Die Besucherin öffnete die Tür und trat in den Schatten eines Überbaus, der an einer Seite durch eine Glasfront geschlossen war. Dort, eingerahmt von einigen großen Töpfen voll üppiger Grünpflanzen, standen ein kleiner Mosaiktisch und drei Stühle. Die Frau warf einen Blick zurück in das Büro. Es war noch immer leer. Sie vergewisserte sich, dass sie von der Sitzgruppe aus die Tür im Auge behalten konnte. Dann ließ sie sich nieder und wartete.
Erster Teil
Als Daria Eve das erste Mal sah, hing die an einem Seil von der Decke eines Kellers und starrte die Frau vor sich hasserfüllt an.
Eve war nackt, man hatte ihr die Arme über dem Kopf gefesselt. Sie musste höllische Schmerzen empfinden, stöhnte aber nicht einmal.
Daria ging langsam auf die Gefangene zu. Unwillkürlich glitt ihr Blick dabei weg von den zornfunkelnden hellgrünen Augen. Glitt über die kleinen Brüste, den flachen Bauch, die linke, blutverkrustete Hüfte. Um an dem lockigen Dreieck zwischen Eves Schenkeln hängenzubleiben. Ein helles Kastanie, dunkler als das kurze Haar, das von Schmutz und Schweiß verklebt vom Kopf abstand.
Der Geruch, der von der Frau in Ketten ausging, traf Darias Nase. Sie trat einen weiteren Schritt näher.
»Hallo Daria«, sagte die, die sich Tara nannte.
»Hat sie geredet?«, fragte die Angesprochene, ohne den Blick von Eve abzuwenden.
»Nein.« Tara stellte sich neben Daria, verschränkte die Arme und schaute die Gefesselte versonnen an. »Wir haben sie noch nicht richtig befragt«
Richtig bedeutete: hartes Verhör.
»Wir wollten auf dich warten, auf deine Befehle.«
Daria nickte gedankenverloren.
Ein Jammer, dass sie sowieso sterben muss, egal, ob sie jetzt redet oder nicht, bedauerte sie innerlich das, was unweigerlich kommen würde.
Und das auch noch durch Darias eigene Hand.
Sie wandte sich seufzend zu Tara um und nahm das Messer entgegen, das ihr ihre offizielle Stellvertreterin reichte.
»Gut, dann wollen wir das Vögelchen mal zum Singen bringen.«
*
Eve spürte sofort, dass die dunkelhaarige Frau gefährlich war. Viel gefährlicher noch als die beiden, die sie überfallen und hierher geschleppt hatten.
Sie erkannten sich auf den ersten Blick, Kämpferinnen, die sie waren. Sie standen lediglich auf verschiedenen Seiten.
Was Eve am meisten bedauerte, war ihre eigene Arglosigkeit. Sie hätte einfach nicht gedacht, dass ihr Feind ihr Frauen auf den Hals hetzen würde. Tumbe, muskelbepackte Kerle vielleicht, oder einen Scharfschützen. Aber eine kleine, pummelige Irin? Siobhans Sommersprossen und ihr fröhliches Lachen hatten sie getäuscht, als sie sich in Genf im Hotelflur begegneten. Sekunden später war die Rothaarige über ihr gewesen, kaum dass Eve die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet hatte. Trotz des Überraschungseffekts und der körperlichen Stärke der anderen wäre Eve mit Siobhan fertig geworden. Die Frau, die sich Tara nannte, war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Groß, athletisch, eiskalt. Da war die Sache besiegelt gewesen.
Sie mussten sich nicht vorstellen, mussten Eve nicht sagen, wer sie geschickt hatte. Sie wusste es. Sie kannte ihren Widersacher und fragte sich, wie sie sich auch nur eine einzige Sekunde hatte in Sicherheit wiegen können.
Die Frau, die nun den Keller betreten hatte, sandte Signale aus, die Eve zum Zittern brachten. Daria war groß, das gewellte, schwarzbraune Haar fiel offen bis auf Kinnhöhe. Schmale, graue Augen fixierten ihr Gegenüber und Eve spürte, wie sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper bildete. Ein leichtes Zucken der Lider, als ihr Blick auf Eves Schoß fiel, war die einzige sichtbare Regung der anderen.
Daria selbst war auf eine herbe Art attraktiv. Ihr Gesicht wurde beherrscht von hohen Wangenknochen, einem breiten, weich geschwungenen Mund und dem zwingenden Blick ihrer schmalen grauen Augen. Sie trug eng anliegende Lederkleidung am sportlichen Leib. Eine lange Hose, Bikerstiefel, eine kurze Jacke, deren Reißverschluss sie beim Eintreten geöffnet hatte. Unter dem T-Shirt zeichneten sich üppige Brüste ab, die zu den Rundungen ihrer Hüfte passen.
Alles in allem kein übler Anblick, wenn Eves Situation eine andere gewesen wäre. Und die Begegnung mit dieser Frau war für die eindeutig getrübt durch das Messer in der Hand, mit dem die Daria nun auf sie zutrat.
*
Eve hatte Angst, das konnte man sehen und spüren. Ihre Furcht hing wie ein unsichtbares Netz in der Luft. Schweiß perlte auf Oberlippe und Stirn.
Daria trat ohne zu zögern auf sie zu. Das Messer lag fest in ihrer Hand. »Willst du uns nicht doch sagen, wo wir das finden, was du gestohlen hast?« Darias leise Stimme klang fast sanft, als sie Eve diese Frage stellte.
Die starrte ihr Gegenüber bloß an und schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, was ihr von mir wollt.«
Darias Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an. »Schade«, sagte sie so leise, dass nur Eve es hören konnte. Tara trat aus dem Hintergrund stirnrunzelnd näher, um der Konversation folgen zu können. Siobhan hatte sich auf einen Stuhl am Eingang gelümmelt und gähnte ungeniert laut. Sie schien sich nicht dafür zu interessieren, was Daria gleich mit dem Messer tun würde.
Tatsächlich dachte sie an den Schokoriegel, der in ihrer Jacke steckte, und fragte sich, ob es wohl pietätlos wäre, ihn gerade jetzt zu essen.
Die rothaarige Irin kam nicht mehr dazu, ihren Hunger auf Süßes zu stillen und Tara sollte nicht mehr erfahren, was Daria Eve zuraunte. Denn in derselben Sekunde peitschten Schüsse durch den Keller. Tara zuckte, als habe man ihren Körper an einem unsichtbaren Faden gezogen, bevor sie einen Schwall Blut spuckte und zusammensank. Siobhan war auf den Beinen, bevor ihre Partnerin am Boden aufschlug. Ihre Heckler & Koch spuckte Feuer, am Kellereingang schrie jemand etwas, es war eine männliche Stimme, eine zweite antwortete. Siobhan warf ihren Stuhl in die Eingangsöffnung und flitzte hinter einen Mauervorsprung links davon. Eine Kugel sirrte durch den Raum. Sie traf die einzelne Glühbirne an der Decke, die in einem Hagel von zersplittertem Glas auf den Steinboden fiel.
In der Dunkelheit war nicht mehr viel zu erkennen. Ein Schemen tauchte am Kellereingang auf. Darias Messer flog auf ihn zu und verursachte ein gurgelndes Röcheln bei seinem Opfer. Siobhan verließ ihre Deckung, schoss zwei Mal auf die Tür und auch Daria hatte inzwischen eine Pistole gezogen und schlich, eng an die Wand gedrückt nach vorne. Die Frauen hielten die Tür nun von beiden Seiten im Blick. Jetzt war alles ruhig. Niemand rührte sich. Es mochten zehn Minuten so vergangen sein, als Siobhan beschloss, es sei genug. Sie lief, tief gebückt, zur Kellertür und sah hinaus. Ein Schuss krachte und die Irin fiel hinterrücks in den Raum hinein, ein dunkelrotes Loch mitten in der Stirn. Daria fing an zu zittern, sie musste ihre Waffe nun mit beiden Händen festhalten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Schütze auftauchte. Bei Eves Anblick blieb er einen Moment wie angewurzelt stehen. Daria schoss ihm in den Kopf, sprang über den noch im Fall befindlichen Körper und hastete durch die Tür. Danach wurden noch einmal zwei Schüsse abgegeben. Es folgte - Stille.
Eve, die immer noch am Seil hing, keuchte laut auf. Das war der einzige Laut im Raum, und da keine Antwort kam, schien es, als sei sie die einzige Überlebende dieses Massakers.
*
Eves Handgelenke brannten wie Feuer. Die Haut dort war aufgeschürft und blutig, dennoch hatte sie nicht aufhören können, zu versuchen, sich zu befreien. Jedes Mal, wenn keine ihrer beiden Bewacherinnen zu ihr hersah, hatte sie ihre Hände in den Fesseln gedreht und gewunden in der Hoffnung, das Seil zu dehnen. Nun lag Tara vor ihr. Sie lebte noch, ein Geräusch, das sich wie eine kaputte Pumpe anhörte, drang aus ihrer Brust. Die Kugel hatte ihre Lunge durchschlagen, hellroter Schaum rann ihr übers Kinn. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte Eves Fesseln nicht lösen können. Die fragte sich nur kurz, wer die Kerle waren, die die Frauen angegriffen hatten. Sie wollte ihnen keine Gelegenheit geben, auch sie zu erledigen. Ihr Blick wanderte nach oben. Das Seil war doppelt gelegt und direkt an ihren Handgelenken verknotet. Der Rest lief durch einen Haken, der in der Kellerdecke eingelassen war. Dieser Haken war an der Spitze offen, sodass Eve einen Versuch starten konnte, sich zu befreien. Sie atmete konzentriert ein und aus, um die Anspannung aus dem Körper zu kriegen. Dann umfasste sie mit den Fingern das Seil und hangelte sich vorsichtig nach oben. Ihre Arme schmerzten und ihre Muskeln und Sehnen schienen bei jeder Bewegung aufzuschreien. Dennoch machte sie weiter, Handbreit um Handbreit, bis sie nach dem Haken greifen konnte. Mit letzter Kraft zog sie sich so weit höher, dass die Spannung im Seil nachließ und sie die Schlaufe über die Spitze ziehen konnte. Dann fiel sie völlig am Ende ihrer Kräfte zu Boden.
Der Stein unter ihr war kalt und hart. Sie schlug sich das linke Knie so heftig an, dass sie das Bein einen Moment lang nicht mehr rühren konnte. Eve keuchte, die Wunde an der Hüfte hatte wieder angefangen zu bluten, so wie der Riss im Finger, mit dem sie über den scharfen Rand des Hakens gerutscht war. Schwankend stand sie auf. Noch immer nackt, noch immer beide Handgelenke aneinandergebunden, taumelte sie dem Eingang entgegen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war.
Sofern ich in diesem Aufzug nicht in einer Fernfahrerkneipe lande, kann ich alles verkraften, dachte sie. Siobhan starrte blicklos an die Decke, die Arme ausgebreitet, als wolle sie Engel im Schnee spielen. Tara röchelte auf einmal entsetzlich, dann war sie ganz still. Selbst wenn Eve die Möglichkeit gehabt hätte, Hilfe zu holen, jetzt war es zu spät. Ihr Blick streifte den Mann, den Darias Messer in den Hals getroffen hatte. Er lebte nicht mehr. Ebenso wenig wie der, der an der Wand vor der Kellertür lag. Wer waren diese Kerle mit der militärisch anmutenden, fast identischen Kleidung aus schlammfarbenen Hosen und olivfarbenen Shirts? Mit immer noch gefesselten Händen stieg Eve die Steintreppe nach oben. Hier draußen war es dunkel und sie tastete sich vorsichtig voran, stolperte einmal und verlor fast das Gleichgewicht. Die Tür am Ende der Treppe stand halb offen, es drang kein Laut zu ihr herunter. Behutsam schob sie sie mit einem Bein auf und betrat nach einem sichernden Blick den Raum. Sie befand sich in einer altmodisch eingerichteten Küche. Unter der Spüle aus angeschlagenem, weißem Emaille lag ein weiterer Toter. Eve blickte sich hastig um. Ein Glasfenster der Hintertür war eingeschlagen, so waren die Eindringlinge ins Haus gelangt. Nur, um wen handelte es sich und was wollten sie von den Frauen? Von ihr? Nichts schien mehr zusammenzupassen und obwohl sie anfangs zu wissen geglaubt hatte, warum sie entführt worden war, fragte sie sich nun, ob sie in etwas hineingeraten war, das rein gar nichts mit ihr persönlich zu tun hatte.
Eve zog die Besteckschublade unter dem altmodischen Küchentisch auf. Sie klemmte, sodass Eve mit ihren gefesselten Händen Schwierigkeiten hatte und heftig daran ruckeln musste. Egal, zuerst musste sie jetzt ihre Fesseln loswerden. Sie griff nach einem scharfen langen Messer mit massivem Griff, schleppte sich zu der kleinen Essecke und ließ sich dort auf einen Stuhl plumpsen. Dann steckte sie den Messergriff zwischen ihre Knie, presste sie so fest zusammen, wie es nur ging. Sie begann, das Seil an der Schneide zwischen ihren Handgelenken auf und ab zu bewegen.
Wenige Minuten später waren ihre Hände frei und Eve ließ sich erleichtert gegen die Stuhllehne sinken. Sie blutete aus mehreren Wunden, war total verdreckt, erschöpft und hatte keine Ahnung, wo sich ihre Klamotten, ihre Papiere und ihr Geld befanden. Also musste sie das Haus durchsuchen.
Ihr Knie knackte unangenehm, als sie sich erhob. Gleichzeitig war es ihr, als nähme sie noch ein anderes Geräusch wahr, das irgendwoher aus dem Haus zu kommen schien. Sie verharrte, aber als sie nichts mehr hörte, ging sie weiter. Das Haus war klein, neben der Küche gab es im Erdgeschoss lediglich noch ein verwohnt aussehendes Zimmer, in dem eine Couchgarnitur, ein riesiger Schrank und ein Fernseher standen. Eine Uhr tickte und es roch nach Staub und etwas Undefinierbarem, das Eve mit Alter und Krankheit in Verbindung brachte. Eine ausgetretene Holztreppe führte in das obere Stockwerk, wo es heller war und ein Hauch von frischer Luft durch den Gang strömte. Und noch etwas anderes, etwas wie Eisen, bei dessen Geruch sich Eve sämtliche Nackenhaare aufstellten. Sie blickte nach rechts in ein karg möbliertes Schlafzimmer, geradeaus ging es dann wohl ins Bad. Eve schob die Tür auf und blieb erstarrt stehen, als kühles Metall ihre Schläfe berührte und ein leises Klicken ihr verriet, dass sie jetzt gleich so gut wie tot war.
*
Daria hatte den Kerl in der Küche erledigt, dabei selbst eine Kugel abbekommen. Ein glatter Durchschuss im linken Oberarm, die Fleischwunde blutete heftig und der Schmerz hatte sie kurzzeitig umgerissen. Sie hockte im Badezimmer und versuchte, sich einen Verband anzulegen, als sie ein leises Knacken auf der Holztreppe hörte. Noch einer! Sie erhob sich leise und trat hinter die Tür. Schritte, vorsichtig und fast unhörbar gesetzt, verhielten kurz und näherten sich danach. Vor Anspannung presste sie den Kiefer fest zusammen. Wie viele Kerle hatte man auf sie angesetzt? Die Tür schwang auf. Fast war sie erleichtert, dass nicht ein Typ des Killerkommandos hereinkam, sondern Eve. Wie hatte die es bloß hingekriegt, vom Haken zu kommen? Sie wirkte wie ein zerrupfter Vogel. Aus dem Nest gefallen, orientierungslos. Sah bemitleidenswert fertig aus, kein Wunder nach all dem, was sie mitgemacht hatte. Dennoch, ein zähes kleines Biest, das es bis hierher geschafft hatte, wo sie doch vor einer halben Stunde schon so gut wie tot war. Dabei wirkt sie so verteufelt sexy, wenn man auf diesen Typ von Frauen stand. Sie war immer noch nackt und blieb stocksteif stehen, als Darias Waffe ihre Schläfe berührte. Eve war unbewaffnet, wenn man einmal von dem Küchenmesser absah, das sie in der Hand hielt. »Fallen lassen«, forderte Daria. Das Messer fiel klappernd zu Boden, wo Daria es hinter sich stieß. Dann ließ sie, nach kurzem Zögern, die Pistole sinken. Sie zeigte mit dem Kopf zur Dusche hinüber.
»Kein warmes Wasser heute, aber es wird auch so reichen«, murmelte sie und sank mit einem Seufzen zurück auf den billigen Plastikhocker neben dem Waschbecken.
»Wieso so nett? Bringst du nur saubere Mädels um?«
Daria zog bei dieser spöttischen Bemerkung von Eve die Brauen hoch. »Nein. Ich bringe eigentlich gar niemanden um.« Das war wahr und doch irgendwie gelogen, aber Eve musste ja nicht wissen, dass sie ihr erster richtiger Auftrag gewesen wäre. Natürlich erst, sobald sie erfahren hätte, was ihr Auftraggeber von der anderen wissen wollte. »Mir ging es um die Informationen. Die sind jetzt zweitrangig, denn irgendjemand hat es auf uns alle abgesehen. Außerdem glaube ich, dass wir nicht lange alleine bleiben werden. Das Killerkommando wird vermutlich bald vermisst und wir sollten so schnell es geht von hier verschwinden. So, wie wir beide gerade aussehen, könnten wir uns gleich ein Schild um den Hals hängen, wo draufsteht: >Hier sind die zwei Frauen, die Werauchimmer sucht.< Also ist es besser, sich etwas präsentabel zu machen.« Sie wuchtete sich hoch und nahm das feuchte Handtuch wieder auf, mit dem sie ihre Wunde gesäubert hatte.
*
Eves Blick fiel in den Spiegel und sie erschrak, als sie sich sah. Daria hatte recht, es war unmöglich, so auf die Straße zu gehen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die geschwollenen Lippen. Ihr linkes Auge war nur noch ein blutunterlaufener Schlitz. Siobhan war nicht zimperlich gewesen. Eve stieg in die Dusche, bevor diese Daria es sich doch noch anders überlegte. Das Wasser war nicht wirklich kalt, eher lauwarm und fühlte sich einfach köstlich an, allerdings nicht an den Stellen, die wund waren, da brannte es wie Feuer. Es gab weder Seife noch Shampoo, und Eve rubbelte Gesicht und Haare so gut es ging sauber. Als sie nach zehn Minuten aus der Kabine heraustrat, sah sie besser aus, war aber weit von ihrem Normalzustand entfernt. Sie griff nach einem Badetuch und wickelte sich ein.
Daria hatte in der Zwischenzeit einen Wattebausch mit Jod getränkt und presste ihn auf ihren Arm. Vor Schmerz schoss ihr das Wasser in die Augen und sie krümmte sich über dem Waschbecken.
»Gib mir die Mullbinde, ich lege dir einen Verband an«, hörte Eve sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. Misstrauisch blickte Daria aus wässrigen Augen zu ihr herüber.
»Ja, ja, du wolltest mich mit deinem Messer bearbeiten und eigentlich sollte ich dir dafür die Fresse polieren, aber dazu habe ich keine Lust. Zumal ihr die Falsche erwischt habt. Was immer ihr sucht, ich habe es nicht.« Sie griff nach dem Verbandszeug. »Außerdem glaube ich, wir sind beide so lädiert, dass wir gemeinsam bessere Chancen haben, hier zu verschwinden.«
»Aha«, antwortete Daria nur.
»Ja, zumindest bis zum nächsten Ort, dort werden sich unsere Wege trennen.«
Sie bugsierte Daria auf den Hocker und begann, routiniert, die Mullbinde anzulegen.
»Gut gemacht«, lobte Daria, als ihre Krankenschwester fertig war, und betastete den Verband. Dann blickte sie auf und erstarrte.
Eve hielt Darias Waffe in der Hand. Sie war direkt auf ihre Besitzerin gerichtet. Ein Schuss, er würde direkt in Darias Stirn landen, und die Chose wäre vorbei. War sie blöd gewesen, der anderen zu vertrauen! Aber Eve drückte nicht ab. »Ich will wissen, warum ihr mich entführt habt!« Sie hockte sich auf den Badewannenrand, genau gegenüber, dabei fixierte sie Daria ohne erkennbare Regung.
»Mensch, Mädchen, das weißt du doch! Stell dich nicht blöd! Du hast etwas aus dem Büro von meinem Auftraggeber Kirk & Lomb Enterprises mitgehen lassen. Ein paar Sachen, die auf keinen Fall dessen Unternehmen hätten verlassen dürfen. Dass du so unvorsichtig warst, wird dir der Inhaber niemals verzeihen. Der will dich in Stücke geschnitten auf einem Silbertablett serviert. Aber vorher will er sein Eigentum zurück.« Darias Augen waren dunkel geworden. Sie war wütend. Darin mischte sich noch etwas, das Eve nicht deuten konnte.
Sie schüttelte den Kopf. »Kirk & Lomb?« Verständnislos sah sie Daria an. Der Name sagte ihr nichts. Was war das denn für ein Blödsinn? Hatte sie noch kurz zuvor geglaubt zu wissen, wem sie ihre missliche Lage zu verdanken hatte, war sie jetzt mehr als verblüfft. Musste ihr der Name dieses Unternehmens etwas sagen? Trotz ihres demolierten Zustands versuchte sie, sich einen Reim auf das Ganze zu machen. Dachte angestrengt über Aufträge nach, die sie in den letzten Wochen und Monaten erledigt hatte. Etwas, von dem ihr Gegenüber hoffentlich nichts wusste … Sonst würde sie nicht aus der Sache hier rauskommen! Nein, entschied sie. All das konnte nichts mit dieser Entführung zu tun haben. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Eine andere Erklärung gab es nicht. »Ich kenne diese Firma nicht, war daher niemals dort. Und ich weiß rein gar nichts über irgendwelche Dinge, die ich angeblich mitgehen hab lassen. Durchsuch doch meine Sachen! Und was soll ich auch mit Gelump, Schmuck, Bilder oder was auch immer man dort vermisst. Ich mache mir nichts draus und verdiene mein Geld lieber anders.«
Darias Augen hatten bei dieser Aussage von Eve einen merkwürdigen Ausdruck angenommen. Sie schüttelte langsam den Kopf. »Es ist Wahnsinn, aber ich glaube dir«, sagte sie dann.
Eve ließ die Waffe sinken und schaute ihr Gegenüber nachdenklich an. Daria hatte etwas an sich, das sämtliche Alarmglocken in ihr zum Läuten brachte. Gleichzeitig strahlte sie etwas aus, das so gar nicht zu dem toughen Auftreten passte und sie verwirrte. Sie schob das Gefühl energisch weg und legte die Waffe auf den Waschtisch zurück.
Im selben Moment schlug die Tür auf. Eve erkannte den Mann, es war derjenige, der in der Küche gelegen hatte. Schwer verletzt, sein T-Shirt war schwarz vor Blut, aber offensichtlich nicht tot.
»Votzen«, knurrte er und riss Eve, die ihm am nächsten stand, zu sich herüber. Sein gemein aussehendes Butterflymesser lag schon an ihrem Hals, als Daria blitzschnell nach der Waffe griff und ihn ohne zu zögern erschoss. Das Messer fiel klappernd zu Boden, der Mann sank nach hinten und Eve fiel mit ihm, rutschte auf dem muskulösen Körper an der Wand entlang nach unten. Zu Tode erschrocken fasste sie sich an den Hals, wo sich ein feiner, blutiger Strich befand. Zwei, drei Millimeter mehr und ... urplötzlich brach sie in Tränen aus.
»Du hättest mich treffen können«, schrie sie, das Adrenalin in ihren Adern machte sie aggressiv.
»Hab ich aber nicht. Steh auf! Wir müssen hier weg!« Daria hielt sich nicht lange auf, sie griff nach Eves Hand und zog sie hoch. Einen Moment lang standen sich die Frauen ganz dicht gegenüber und es wirkte fast so, als ob Daria die Hand heben und Eve übers Haar streichen wollte.
Die stöhnte und betastete ihre Hüfte. »Okay, lass uns verschwinden. Aber sag mir vorher, wo meine Sachen sind.«
*
Das Haus, in dem man sie überfallen hatte, lag ziemlich einsam außerhalb eines fast verlassenen Dorfes oberhalb von Genf. Rundum war nichts zu hören als Vogelgezwitscher.
Sie nahmen den Porsche, den Daria ein Stück entfernt am Rand eines Waldgrundstücks geparkt hatte. Daneben standen ein schweres Motorrad und der SUV, in dem man Eve hergebracht hatte.
Es war hart für Daria gewesen, zurück in den Keller zu gehen, nur um festzustellen, dass Tara und Siobhan tot waren. Wenigstens musste sie nichts aufräumen, die Mädels trugen bei ihren Einsätzen niemals etwas bei sich, das Auskunft über ihre Identität gab. Die würde zwar über kurz oder lang aufgedeckt, doch jeder Zeitvorsprung war wichtig. Auch bei den Männern war Daria nicht fündig geworden. Wer immer sie geschickt hatte, musste von dem Haus gewusst haben, das sie und ihr Team nutzte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Dieser Ort war sicher gewesen. Es gab kaum jemanden, der ihn kannte. Es war nicht auszuschließen, dass der Überfall nur dazu gedient hatte, Eve zu befreien. Aber ihr Instinkt, der normalerweise gut arbeitete, sagte ihr etwas anderes.
Daria fuhr den Wagen trotz ihrer Verletzung kraftvoll und konzentriert. Eve, wieder bekleidet, fummelte an ihrer Jeans herum und förderte schließlich ein Päckchen Kaugummi aus der hinteren Tasche.
»Lass mich an der nächsten Bushaltestelle raus«, verlangte sie.
Daria nickte zerstreut. Dann bremste sie abrupt ab. »Was, wenn die Kerle schon nach uns suchen? Die einzige Straße, die in die Stadt hineinführt, lässt sich gut bewachen.«
»Und dann fahren wir auch noch so einen unauffälligen Wagen.«
Der mahagonifarbene Porsche 911 Targa 4S war ein absoluter Hingucker.
»Selbst wenn wir hier durchkommen, du kannst unmöglich in dein Hotel zurück«, murmelte Daria.
Eve sah skeptisch zu ihr herüber. »Wer sollte hinter mir her sein? Ich meine, außer dir und deinen beiden Amazonen?«
Ein Hauch von Traurigkeit glitt über Darias Gesicht. »Diese Frauen waren mehr als Partnerinnen. Ich mochte sie. Aber in unserem Job muss man eben mit allem rechnen.« Sie räusperte sich, bevor sie fortfuhr. »Egal. Wir gehen auf Nummer Sicher.« Sie wendete den Wagen. »Wir nehmen die Landstraße in Richtung Frankreich«, entschied sie.
»Nein!« Eves Hand knallte gegen Darias Oberarm. »Ich will nach Genf zurück!«
»Warum?« Darias Augen zogen sich wütend zusammen. »Du bist dort drei Tage im Hotel gehockt und hast nichts gemacht, außer Spesen beim Zimmerservice, im Restaurant und in der Bar.«
»Ihr habt mich beobachtet?« Fassungslos starrte Eve ihre Begleiterin an.
»Natürlich. Wir dachten, du triffst dich mit jemandem. Deinem Auftraggeber, dem du die gestohlenen Unterlagen übergibst. Erst, als wir in deinem Zimmer nichts gefunden haben, dein Smartphone nichts hergab und ganz offensichtlich niemand auftauchte, um dich zu treffen, haben wir entschieden, dich direkt zu fragen.«
»So nennst du das?« Eve lachte lautlos auf. Gleich wurde sie wieder ernst. »Diese Unterlagen – sind also etwas Wertvolles?«
»Darauf kannst du Gift nehmen«, knurrte Daria. »Ihr Besitzer will sie zurück. Aber wenn sich herumgesprochen hat, dass er sie sucht, werden ruckzuck noch ein paar weitere Bluthunde wach. Die dann ebenfalls danach suchen.«
»Worum geht es denn?«
Daria schob die Unterlippe vor und starrte durch die Windschutzscheibe auf die menschenleere, schmale Straße vor ihnen. »Wirtschaftsspionage. Im ganz großen Stil.«
Eve ließ sich in ihren Sitz zurückfallen und sah auf ihre Hände. »Damit habe ich nichts zu tun«, sagte sie leise. »Dennoch, meine ganzen Sachen und mein Handy sind noch im Hotel.«
»Vergiss es. Deine Sachen bewahrt das Hotel für dich auf. Und ein Handy brauchst du bestimmt nicht. Oder willst du geortet werden?«
Eve schwieg.
»Gut, wir befinden uns nördlich vom Genfer See. Wenn wir in Richtung Nordwesten fahren, können wir hinter Le Brassus die Grenze nach Frankreich überqueren. Ich gehe nicht davon aus, dass sie diesen Weg so schnell nachverfolgen. Drüben können wir immer noch überlegen, wie es weitergeht.«
Eve nickte. Sie sagte nichts mehr und wirkte völlig in sich versunken.
*
Der andere Wagen tauchte ungefähr eine halbe Stunde später hinter ihnen auf. Eine dunkle Limousine mit Stern und getönten Scheiben.
»Verdammt«, murmelte Daria und beschleunigte. Der Motor des Porsche röhrte auf und sie flogen scheinbar über die Landstraße. Eve drehte sich um. »Sie kommen näher. Bist du sicher, dass die was von uns wollen?«
»Ganz sicher, so wie die fahren!« Daria sah mit zusammengekniffenen Augen nach vorne. »Nimm eine der Waffen aus dem Handschuhfach«, wies sie Eve an. »Entsichern und dann auf Abstand halten …«
»Ich kann nicht schießen«, unterbrach Eve, die die Waffe zwar bereits in der Hand hielt, sie dabei aber ansah wie ein fremdes Wesen aus dem All. Der Porsche kam ins Schlingern, Daria keuchte auf, als habe ihr jemand in den Magen geschlagen.
»Festhalten!«, rief sie, Sekundenbruchteile nachdem sie diese Nachricht verdaut hatte. Bevor Eve etwas sagen oder tun konnte, lenkte Daria der Wagen mit quietschenden Reifen auf einen schmalen Waldweg. Im selben Moment knatterte eine Maschinengewehrsalve, es regnete Blätter und Aststücke, Eve hob instinktiv den Arm, um ihren Kopf zu schützen.
»Los, raus!« Daria hatte abrupt gebremst und bereits die Tür geöffnet. Jetzt ließ sie sich fallen. Die Limousine hatte Schwierigkeiten auf dem unebenen Untergrund, was ihnen einen hauchdünnen Vorsprung verschaffte.
»Dort hinüber!« Daria rannte. Eve hatte den Wagen ebenfalls verlassen und sprintete neben ihr her. Sie erreichten eine kleine Anhöhe und Daria trieb sie hinauf. Sie warf einen Blick zurück und sah zwei Typen mit MPs hinter ihnen herrennen. Einen Moment lang stand sie still, so, als ob ihr klar wäre, dass sie beide keine Chance mehr hatten. Dann gab sie sich einen Ruck und folgte Eve, die gerade ins Unterholz abgetaucht war, und damit einige Sekunden aus der Sicht ihrer Verfolger heraus verschwand. Daria sah sie hinter einen Felsbrocken rennen, der wie ein riesiger Fingerhut aus dem Gras emporwuchs. Sie überlegte nicht lange und lief in die entgegengesetzte Richtung, wo sie einen dicht belaubten Baum ausgemacht hatte, in dessen untere Äste sie sich jetzt schwang. Es war nicht ideal, und sie wusste, ihre Chance war minimal. Doch es blieb ihr keine Wahl. Ihre Verfolger hatten inzwischen den Felsen erreicht, hinter dem sie beide Frauen vermuteten. Der eine gab dem anderen ein Zeichen, sie trennten sich und gingen vorsichtig um den übermannshohen Stein herum. Daria hatte eine Position gefunden und zog ihre Waffe. Sie ahnte, dass sie nur einen Versuch haben würde, bevor ihr eine MP-Salve um die Ohren flog.
Den Mann, der ihr am nächsten war, erledigte sie mit einem Schuss. Der zweite fuhr herum und begann, in ihre Richtung zu feuern. Ihr Glück war, dass sie auf dem Ast hing und er sie durch das Blätterwerk nicht wirklich gut sehen konnte. Eine Kugel streifte sirrend ihr Ohr und dann trat Eve hinter dem Felsbrocken hervor. Sie hielt die Pistole mit beiden Händen, weit von sich gestreckt und machte ein Gesicht, als müsse sie gleich kotzen. Der Kerl nahm wohl nur eine Bewegung schräg hinter sich wahr und drehte sich blitzschnell um. Nicht schnell genug. Eve, die Frau, die nicht schießen konnte, drückte ab, immer wieder, bis das Magazin der Glock leer war. Der Kerl ging durchsiebt in die Knie und hauchte auf dem Laubboden sein Leben aus. Eve ließ die Waffe sinken, beugte sich nach vorn und gab alles von sich, was sich in ihrem Magen befunden hatte. Es war nicht viel, und als Daria endlich vom Baum geklettert und zu ihr getreten war, war dieser Moment auch schon wieder vorbei.
*
Bis zum Abend waren sie durchgefahren. Ihre Fahrt hatte länger gedauert als vorgesehen, da auf den kurvenreichen Straßen mit viel Gefälle ständig enervierend langsame Wagen vor ihnen waren. Bei La Cure hatten sie die Grenze nach Frankreich überquert, hatten bei Morez die Schnellstraße verlassen und waren nun in der Nähe von Foncine-le-bas in einem kleinen Hotel abstiegen. Eve, die sich hinter Sonnenbrille und Tuch versteckt ins Zimmer geschlichen hatte, weil sie für ihre Begriffe immer noch aussah wie aus der Mülltonne gezogen, schloss sich für eine halbe Stunde im Bad ein, während Daria halblaut zwei Telefonate führte.
Danach begab Daria sich unter die Dusche. Als sie die Kabine zuzog, stieg ihr bereits wieder der Duft von Eve in die Nase. Ein Duft, der ihr unter die Haut kroch, ihre Sinne weckte und etwas in ihrem Bauch elektrisierte. Später, als Eve ihr den Verband wechselte, nahm sie zum ersten Mal den Druck ihrer Fingerspitzen und die kühle Haut auf ihrer wahr.
»Ist was?« Eve hatte sie dabei ertappt, wie sie sie ansah.
»Nö.« Daria drehte den Kopf und versuchte, an etwas anderes zu denken. Eve machte sie irgendwie an, und das passte ihr gerade überhaupt nicht in den Kram. Sie wusste zu wenig über diese merkwürdige Frau. Eve war tough und bei Kirk & Lomb Enterprises schien man sich sicher, dass sie es war, die die Unterlagen gestohlen hatte. Daria war davon nicht mehr ganz so überzeugt wie noch zu Beginn ihres Auftrags. Sie hatten nichts bei Eve gefunden und wenn sie nicht eine verdammt gute Schauspielerin war, hatten die Anschuldigungen sie absolut überrascht. Dann war da noch etwas. Daria konnte Eve nicht töten, ohne die Informationen zu haben, die man bei Kirk & Lomb wollte. Gleichzeitig kam es auch nicht infrage, eine gefesselte Frau mit sich zu schleppen. Vor allem, wenn man nicht wusste, wer noch alles hinter einem her war. Nein, es war das Beste gewesen, gemeinsam abzuhauen. Eve hatte ihr im Wald das Leben gerettet und sich dabei in Gefahr begeben. Aber konnte sie ihr wirklich trauen? Daria fühlte sich erschöpft und innerlich zerrissen. Etwas zog sie zu Eve hin und signalisierte gleichzeitig Gefahr. Sie stand unter permanenter Anspannung.
Zusätzlich forderte ihr Körper nach der langen Fahrt und den Strapazen des Tages sein Recht. Sie hatte einen derartigen Hunger, dass ihr schon der Magen wehtat und Eve ging es offensichtlich ähnlich. Daria beschloss, alle weiteren Entscheidungen bis nach dem Essen aufzuschieben.
Sie fanden ein gemütliches Bistro, was ihrer beider Laune etwas hob. Daria bestellte Steak, blutig, dazu Gemüse und Rotwein. Eve entschied sich für ein vegetarisches Gericht und trank nur Wasser. Sie redeten wenig. Nicht, weil es nichts zu reden gegeben hätte. Eher, weil sie todmüde waren, verwirrt, angeschlagen. Eve sprach nicht darüber, aber Daria spürte auch so, dass ihr das, was im Wald geschehen war, zu schaffen machte. Auch wenn sie wussten, dass die Kerle sie eiskalt erledigt hätten, war es schwer zu akzeptieren, jemanden getötet zu haben. Das alles verstand Daria sehr gut.
Gleich nach dem Essen kehrten sie in ihr Hotel zurück. Eve legte sich als Erste hin und blinzelte verwirrt, als Daria sich plötzlich über sie beugte.
»Sorry, reine Vorsichtsmaßnahme«, murmelte sie, als sie Eves Arm mit Handschellen an den Bettpfosten kettete. Die schnaubte empört. Dennoch schliefen beide ein, kaum dass Daria den Kopf auf das Kissen gelegt hatten. Jede eingehüllt in ihre eigenen Träume.
Ein halbes Jahr zuvor
Eve rannte.
Der Schweiß lief ihr übers Gesicht, er brannte in den Augen und sie spürte bereits einen stechenden Schmerz in der linken Wade. Dennoch trieb sie sich voran. Jeden Tag steigerte sie ihr Pensum. Jetzt, wo sie an ihre Grenze gekommen war, wollte sie zusätzlich ein bisschen mehr aus ihrem Körper herausholen. Sie drehte kurz vor ihrem Ziel erneut ab, hängte eine weitere Schleife dran, bevor sie, schwer atmend und völlig ausgepumpt, das noble Apartmenthaus direkt am Central Park betrat. Der Doorman grüßte und holte den Lift für sie heran, der sie in das fünfzehnte Stockwerk beförderte.
Shenmi schlief noch. Eve ging unter die Dusche, um sich Schweiß und Staub abzuspülen. Es war sechs Uhr morgens, ein eiskalter Märztag, dennoch hatte Eve keine Sekunde da draußen gefroren. Sie übte seit Jahren, sich weder von Hitze noch von Kälte beeindrucken zu lassen. Während sie ihr kurzes, zwischen Honig und Kastanie changierendes Haar trocken rubbelte, schlenderte sie nackt ins große Schlafzimmer hinüber. Obwohl die Jalousien heruntergelassen waren und kaum ein Lichtstrahl ins Zimmer drang, trug Shenmi, wie immer, eine Schlafmaske. Sie lag auf dem Rücken, die Arme auf dem flachen, überdimensionalen Kopfkissen ausgebreitet.
Eve trat neben ihre Geliebte und zog an der Bettdecke. Sie glitt herab und offenbarte einen schmalen, schönen Körper, mit der elfenbeinfarbenen Haut der Asiatinnen. Shenmi trug ein weißes seidenes Schlafkleidchen mit Spaghettiträgern. Eve hockte sich neben sie ans Bett und schob ihre Hand darunter. Ihre kühlen Finger trafen auf glatte, warme Haut. Shenmi murmelte im Schlaf etwas. Ein Lächeln umspielte Eves Lippen, die so tat, als glaube sie ihr, dass sie noch schlief. Sie wusste, dass ihre Freundin wach war, seit sie dem veränderten Rhythmus ihres Atems lauschte. Sanft streichelte sie die glatt rasierte, feuchte Muschel mit den prallen Halbmonden. Die Asiatin stöhnte kurz auf, ihr Puls beschleunigte sich. Eve konnte es am Schlagen einer Ader ihres Halses erkennen. Sie liebten diese Spiele, bei denen Eve so tat, als ob sie ihre Geliebte im Schlaf nahm.
Zwei Fingerspitzen tauchten in die seidige Flüssigkeit ein, Eves Daumen suchte den vorwitzigen Knubbel darüber, umkreiste ihn aufreizend langsam. Shenmis Schenkel öffneten sich eine Winzigkeit mehr, ihr Atem wurde tiefer. Eve schob zwei Finger in ihre Geliebte hinein, ließ sie gegeneinander reiben, bewegte sie dabei gemächlich vor und zurück, ohne die Position ihres Daumens zu verändern. Mit der anderen Hand schob sie Shenmis Hemdchen nach oben, bis der flache, lang gestreckte Bauchnabel freilag. Ein kleines Tattoo zog sich darum, ein blauer Drache, der herzförmiges Feuer spuckte. Er zitterte, die blau-rote Flamme zuckte verdächtig. Eve wurde von der Erregung ihrer Geliebten angesteckt. Sie legte eine Hand auf eine von Shenmis festen Brüsten, zog an der Warze und zwirbelte sie dann mit genau der Intensität, die die andere mochte. Mehr Feuchtigkeit drang zwischen Shenmis Schenkeln hervor. Eve glitt immer müheloser tiefer in die warme Höhle hinein. Sie schob einen dritten Finger dazu, dehnte das zarte Gewebe durch ihre stetigen Bewegungen. Shenmis Kopf pendelte wie in Zeitlupe auf dem Seidenkissen hin und her. Ihre Lippen öffneten sich halb, dunkel vor Verlangen. Eve zog ihre Hände von Shenmi ab, was ein empörtes Schnauben auslöse. Dann griff sie unter den Rücken ihrer Freundin, drehte sie auf den Bauch, kniete sich hinter die Asiatin und schob ihre Schenkel unter deren Hüftknochen. Shenmi winkelte die Beine so an, dass Eves Finger mühelos erneut ihren Platz in der Tiefe ihrer Venus fanden. Während sie sie gleichmäßig vor und zurückgleiten ließ, drückte sie Shenmis Schenkel genüsslich immer weiter auseinander. Die war inzwischen so nass, dass Eve kein Gleitgel mehr brauchte, als sie nun einen weiteren Finger nach dem anderen eintauchte.