Lesen? Gefällt mir! - Fröhliche Freundinnengeschichten - Anne Hertz - E-Book

Lesen? Gefällt mir! - Fröhliche Freundinnengeschichten E-Book

Anne Hertz

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Beschreibung

Meine Bücher, meine Welt ...

Witzig, klug und immer gut gelaunt – das ist Carla. Ihr größter Wunsch: Endlich bei der Schülerzeitung mitmachen und Journalistin werden. Nur leider nimmt sie da keiner ernst. Doch mit Hilfe ihrer Freundinnen und ein wenig Flunkern an der richtigen Stelle ändert sich das schlagartig! Plötzlich denken alle, dass Carlas Ideen von einer berühmten Bloggerin stammen. Das ist ihre Chance, um zu beweisen, was in ihr steckt. Ganz besonders dem süßen Lasse, der einer brandheißen Story über Welpenschmuggel auf der Spur ist und einen Undercovereinsatz plant …

Enthält die Bände »Juni und ich – Flunkern wie gedruckt« und »Juni und ich – Auf Schritt und Tritt genial« von Anne Hertz.

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Seitenzahl: 239

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Die Autorinnen

© Melanie Dreysse

Anne Hertz ist das Pseudonym der Autorinnen Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, die nicht nur gemeinsam schreiben, sondern als Schwestern auch einen Großteil ihres Lebens miteinander verbringen. Bisher haben die Schwestern als Duo mit ihren Romanen eine Gesamtauflage von 1 Million Exemplaren erreicht und eine große Fangemeinde fiebert jedem neuen Buch entgegen. Ein höchst außergewöhnliches Autorenduo, das in Hamburg lebt und arbeitet und mit »Juni & ich« seine erste Kinderbuchreihe vorgelegt hat.

Mehr über cbj auf Instagram unter @hey_reader

ANNE HERTZ

FRÖHLICHE

FREUNDINNEN-

GESCHICHTEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren

Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Erstmals als cbt Taschenbuch-Sammelband

Dieser Sammelband besteht aus den Einzelbänden:

»Juni & ich – Flunkern wie gedruckt« von Anne Hertz

© 2013 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

und »Juni & ich – Auf Schritt und Tritt genial« von Anne Hertz

© 2014 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten durch cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Grafikagentur Kathrin Schüler

unter Verwendung von Bildmaterial von © Shutterstock.com (AstroStar, Raskind Anna)

ah · Herstellung: LW

Satz: KCFG – Medienagentur Neuss

ISBN 978-3-641-28959-1V001

www.cbj-verlag.de

Anne Hertz

Flunkern wie gedruckt

Für Luzie

Man kann mit dem Widmen nicht früh genug anfangen.

A.H.

1. Kapitel

Donnerstag. Erster Tag nach den Sommerferien. Stimmung: geht so bis na ja. Vor allem ziemlich aufgeregt.

Mein Name ist Carla Ehrenthal. Na gut. Eigentlich Carlotta, benannt nach meiner Oma. Aber wer will schon so heißen wie eine 70-Jährige, auch wenn es die tollste 70-Jährige der Welt ist? Das ist einfach ätzend. Deswegen also Carla. Was ist sonst noch ätzend? So einiges. Zum Beispiel, eine kleine Schwester zu sein. Manchmal jedenfalls – wie jetzt. Seit einer halben Stunde stehe ich vor dem Badezimmer und schlage Wurzeln – denn meine allerliebste Schwester Emma hat sich einfach eingeschlossen und macht nicht auf, obwohl ich schon fünfmal gegen die Tür gebollert habe.

»Emma!«, brülle ich und klopfe ein sechstes Mal wie eine Irre. »Jetzt komm endlich raus, ich muss mich auch fertig machen!«

»Momeheeent!«, trällert sie fröhlich. Auch das hat sie schon sechsmal gemacht, der blöden Kuh ist es total egal, dass ich auch noch duschen und mich für die Schule fertig machen muss. Dabei steht mein erster Schultag nach den Ferien in der sechsten Klasse des Henri-Nannen-Gymnasiums bevor. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Toll! Selbst wenn Emma jetzt rauskommt, bleiben mir noch genau zehn Minuten Zeit. Mein kleiner Bruder Anton kommt vorbeigeschlurft.

»Mann, was bist’n du so laut? Putz dir doch die Zähne in der Küche. Geht viel schneller.«

Ich gucke ihn so böse an, wie ich nur kann. Und das ist um diese frühe Uhrzeit richtig böse. Was versteht ein Achtjähriger schon von Styling und dass ich dafür Zeit und vor allem einen Spiegel brauche? »Emma!«, versuche ich es noch einmal. »Wenn du nicht sofort die Tür aufmachst, hole ich Mama.«

»Uhhh!«, kommt es ironisch zurück, »da hab ich jetzt aber Angst!« Na gut. Ich muss deutlicher werden.

»Ich habe deinen iPod!«, brülle ich und gratuliere mir innerlich zu diesem Schachzug. Emmas iPod, den sie vor zwei Wochen zu ihrem vierzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hat, ist für sie so etwas wie ein Nationalheiligtum.

»Was?«, kommt es prompt zurück, die Stimme meiner Schwester nun in hysterischer Höhenlage.

»Deinen iPod! Und wenn du bei drei nicht aus dem Bad bist, landet er im Gästeklo! Eins, zwei …« Die Tür wird aufgerissen, vor mir steht Emma und starrt mich entsetzt an. Dafür, dass sie so lange im Bad war, sieht sie aus – wie immer. Blonde lange Spaghetti-Haare, die einfach nur so runterhängen, blass, mit langen, dünnen Armen und Beinen, die in Jeans und Langarmshirt stecken.

»Gib den sofort her!«, blafft sie mich an und streckt mir eine Hand entgegen.

»Was?«

»Meinen iPod!«

»Hab ich nicht.« Bevor sie reagieren kann, bin ich schon an ihr vorbei ins Bad geflitzt, hab sie in den Flur geschubst, die Tür hinter mir zugeknallt und abgeschlossen. So. Endlich!

»Carla!«, höre ich sie kreischen. »Rück sofort meinen iPod raus!«

»Liegt in deinem Zimmer!«, rufe ich.

»Wenn du da rauskommst, gibt es aber richtig Ärger!«

»Uhhh!«, antworte ich und muss kichern. »Da hab ich jetzt aber Angst!«

Bevor ich hören kann, ob Emma noch etwas erwidert, stehe ich schon unter der Dusche. Schließlich habe ich jetzt nur noch knapp acht Minuten und damit keine Zeit, mich weiter mit meiner blöden Schwester zu streiten. Während ich mich so schnell es geht einseife und mir die Haare wasche, denke ich zum etwa hundertsten Mal an den Tag, der jetzt vor mir liegt. Und ich muss zugeben, dass ich ganz schön aufgeregt bin. Nicht weil es der erste Tag nach den Sommerferien ist. Der wird bestimmt wie immer, ich kenne ja schon alle Lehrer und meine Klassenkameraden. Nein, der Grund für meine Aufregung ist ein anderer. Denn! Tataaa: Heute Nachmittag um drei findet die erste Redaktionskonferenz der Feder statt, das ist die Schülerzeitung des Henri-Nannen-Gymnasiums. Ab der sechsten Klasse darf man da mitmachen, und weil für mich schon immer klar war, dass ich Journalistin werden will, muss ich natürlich unbedingt hin! Meine beste Freundin Isa, die mit mir in dieselbe Klasse geht, reißt schon Witze darüber, dass ich bald bei den Reichen und Schönen ein- und ausgehen werde. Dabei werd ich doch eine investigative Journalistin, also eine, die politische Skandale und so aufdeckt – hat sie wohl nicht richtig zugehört, als ich es ihr die letzten hundertfünfundfünfzigmal erzählt habe.

Das Schreiben liegt meiner Familie im Blut. Nicht nur dass Papa neben seinem Job als Anwalt schon mehr als zehn Krimis geschrieben hat – meine Tante ist keine Geringere als Julia Nieburg! Ja, genau, DIE Julia Nieburg, die bekannte Chefredakteurin der Zeitschrift »Leben aktuell«! Noch bekannter ist sie allerdings unter ihrem Pseudonym »Juni Jupiter«. Als Juni ist sie richtig berühmt und schreibt einen Blog, eine Art Tagebuch im Internet, den ganz viele Leute lesen. Ein Pseudonym ist ein Name, den man sich als Autor für sich selbst ausdenkt und den man dann für seine Bücher oder Zeitungsartikel benutzt. Funktioniert also wie ein Künstlername. Die Idee mit »Juni« kam von mir, da habe ich einfach ihren Vor- und Nachnamen kombiniert, was Tante Julia so toll fand, dass sie den Vorschlag sofort übernommen hat.

Um bei der Redaktionskonferenz nachher einen richtig guten Eindruck zu machen, habe ich mir von meiner Tante schon ein paar Tipps geholt und ihr meine Themenliste mit den Vorschlägen für die Feder gezeigt. Zum Beispiel könnte man in jedem Heft ein Interview mit einem anderen Lehrer machen und ihn dabei über seine eigene Schulzeit befragen. Dann hatte ich noch die Idee für verschiedene Preisausschreiben, bei denen alle Henri-Nannen-Schüler mitmachen können, zum Beispiel ein Foto- oder ein Gedichtwettbewerb. Außerdem möchte ich vorschlagen, dass es in jeder Ausgabe so etwas wie einen Test gibt: die beste Eisdiele, die beste Konditorei, das beste Freibad und so weiter. Tante Julia fand meine Themen ganz her-vor-ra-gend. Ist also gebongt: Ab heute beginnt meine Karriere als Starreporterin des Henri-Nannen-Gymnasiums.

Immer noch Donnerstag. Immer noch erster Schultag. Aber Stimmung schon deutlich besser.

»Carla, du bist einfach großartig! Gut, dass du endlich bei uns mitarbeitest!«

Hendrik Aschenbach, seit zwei Jahren Chefredakteur der Feder, ist von seinem Platz aufgesprungen und fängt an zu klatschen, erst langsam, dann immer schneller. Und nicht nur er, auch die anderen Jungs und Mädchen applaudieren, alle zusammen spenden mir Beifall.

»Ich glaube, wir sind uns alle einig«, ruft Hendrik. »Wir haben eine neue Chefreporterin für die Feder! Glückwunsch, Carla Ehrenthal!«

Ich will gerade aufstehen und zu Hendrik gehen, als mich jemand sehr unsanft an der Schulter schüttelt.

»Hey, träumst du? Du musst aussteigen!«

Wie, aussteigen? Woraus denn aussteigen? Einen Moment bin ich völlig verwirrt. Dann wird mir klar, dass ich nicht im Redaktionsbüro der Feder sitze, sondern auf dem Rücksitz von Papas Auto. Mist. Ich habe tatsächlich geträumt. Es ist gar nicht Hendrik, der mit mir redet, sondern mein Vater, der darauf wartet, dass ich aus seinem Auto klettere. Wir stehen nämlich direkt vor meiner Schule. Normalerweise fahren Emma und ich mit dem Fahrrad, aber heute hat uns Papa netterweise hinkutschiert, nachdem er Anton an der Grundschule abgesetzt hat. Seufzend schnalle ich mich ab, lehne mich nach vorn und gebe meinem Vater einen Kuss auf die Wange.

»Tschüs, Paps.«

»Tschüs, meine Kleine. Und viel Spaß am ersten Tag.«

Pöh! Meine Kleine! Ich bin bald Chefreporterin. Wartet’s nur ab!

2. Kapitel

Vorm Schulgebäude. Alles wie immer. Aber einige Leute wissen nicht, was sie tun.

»Hey, Vorsicht! Willst du mich über den Haufen rennen?« Das Mädchen mit den kinnlangen roten Haaren guckt erschreckt hoch – sie hat mich erst in dieser Sekunde bemerkt. Dabei ist sie eigentlich direkt auf mich zugesteuert. Nur leider eben rückwärts. Und da hat der Mensch nun mal keine Augen im Kopf.

Gibt’s ja nicht! Was macht die bloß?

»Tschuldigung«, stottert sie, »ich hab dich gar nicht gesehen.«

»Ich hab’s gemerkt.«

»Tja, war so beschäftigt mit den Fotos«, fügt sie erklärend hinzu. Fotos? Jetzt sehe ich es auch: In den Händen hält sie eine Kamera. Offenbar hat sie die ganze Zeit unsere Schule fotografiert und dabei den Rückwärtsgang eingelegt. Seltsam.

»Machst du Fotos von unserer Schule?«, will ich wissen.

Sie nickt. »Ja.«

»Und warum?«

»Ich fotografiere eben gern. Schon immer. Ich werde mal Fotografin.«

»Aha. Aber wieso gerade unser Schulgebäude?« So besonders aufregend sieht das ja nun nicht gerade aus und sie selbst gehört nicht zum Henri-Nannen-Gymnasium. Da sie ungefähr so alt ist wie ich, wäre sie mir sonst schon mal aufgefallen.

»Ich bin neu hierhergezogen. Heute ist mein erster Schultag am Henri Nannen, den dokumentier ich.« Sie macht eine kurze Pause. »Ich heiße übrigens Lilli.«

Dann will ich mal freundlich sein und den Neuzugang herzlich willkommen heißen.

»Ich bin Carla. 6b bei Frau Willich und Herrn Andres. Hoffe, dir gefällt es hier.«

Lilli nickt wieder. »Ja, danke. Ich weiß noch nicht, in welche Klasse ich komme. Erfahre ich bestimmt gleich. Ich mach dann mal weiter.« Ohne ein weiteres Wort hebt sie ihre Kamera und fotografiert schon wieder. Die ist ja schräg.

Ich drehe mich um und gehe die Stufen zum Eingang hoch. Schnell Isa finden – die sechs Wochen, ohne sie jeden Tag zu sehen, waren ganz schön lang!

Eine Stunde später. Man sieht sich immer zweimal im Leben.

Während wir den ersten Klassenrat im neuen Schuljahr abhalten, der im Wesentlichen daraus besteht, sich die wichtigsten Neuigkeiten der letzten sechs Wochen zu erzählen, klopft es.

»Herein!« Frau Willich guckt neugierig Richtung Tür. Ich und die anderen sechsundzwanzig Schüler der 6b auch. Als Erstes taucht der Kopf von Frau Hansmann, unserer Unterstufenleiterin, auf. Und zwei Sekunden später folgt ein Gesicht, das ich heute schon einmal gesehen habe: Lilli.

»Hallo 6b!«, begrüßt uns Frau Hansmann fröhlich. »Ich möchte euch eine neue Mitschülerin vorstellen: Lilli Weidinger. Lilli kommt aus München und ist in den Sommerferien zu uns nach Hamburg gezogen. Ich hoffe, sie wird sich bei uns wohlfühlen. Ihr könnt ihr bestimmt dabei helfen, sich hier gut einzuleben.«

Wir nicken brav, Frau Willich steht auf, geht zu Lilli und reicht ihr die Hand.

»Hallo, Lilli! Schön, dass du da bist. Dann wollen wir mal einen Platz für dich suchen. Oder hast du vielleicht eine Idee, neben wem du sitzen möchtest?«

Unsicher sieht sich Lilli im Klassenzimmer um, dann entdeckt sie mich.

»Da!« Sie zeigt auf mich. »Ich würde gern neben Carla sitzen, wenn das kein Problem ist.«

Frau Willich lächelt. »Ach, ihr kennt euch schon? Das ist ja nett. Na, dann machen wir das so. Es ist sowieso nicht gut, dass Carla und Isa immer nebeneinandersitzen. Die beiden quatschen mir ohnehin ein bisschen zu viel.«

Waaas? Och Mann, nö! Das kann doch wohl nicht wahr sein. Steht das nicht sowieso im Grundgesetz, dass jeder Mensch das Recht auf freie Sitzplatzwahl hat? Das muss doch dann auch für mich gelten. Und ich will weiter neben meiner besten Freundin sitzen!

Frau Willich legt kurz die Stirn in Falten, dann verkündet sie die neue Sitzordnung: »Also, Isa, setz dich bitte auf den freien Platz neben Ben. Dann kann sich Lilli links neben Carla setzen. Wunderbar. Das ging ja schnell.«

Wunderbar? Da bin ich aber ganz anderer Meinung. Isa und ich sehen uns an und verdrehen gleichzeitig die Augen, dann nimmt Isa ihre Tasche und trottet zu Ben, dem Streber. Das ist ja ein super Start ins neue Schuljahr …

»Hi, Carla!«, sagt Lilli zu mir, grinst mich fröhlich an und lässt sich auf Isas Stuhl plumpsen.

Ich nicke nur mürrisch und sage nichts. Wegen dieser rothaarigen Irren kann ich jetzt nicht mehr neben Isa sitzen! Auch die guckt böse zu Lilli rüber. Aber die merkt überhaupt nichts, sondern grinst einfach nur blöd weiter. »Ist ja toll, dass wir jetzt wirklich in einer Klasse sind!«, sagt sie dann noch.

Ja, supertoll! Vielen Dank.

Vielleicht können Isa und ich mit Frau Willich reden und sie bequatschen, dass sie die Sitzordnung wieder ändert. Allerdings muss das noch bis morgen warten, denn heute habe ich nach der Schule etwas viel Wichtigeres vor: meine erste Redaktionskonferenz der Feder!

Einen halben Tag später. Ort des Geschehens: Redaktionsraum der »Feder«. Adrenalinspiegel: am oberen Limit.

Der Gemeinschaftsraum des Henri-Nannen-Gymnasiums ist gleichzeitig das Redaktionsbüro der Feder. An den Wänden hängen die Titelblätter der vergangenen Ausgaben. Die Zeitung gibt es bereits einige Jahre und sie hat sogar schon ein paar Preise gewonnen. Allerdings nicht mehr in den letzten Jahren, aber das soll sich ab sofort ändern. Die alten Sofas und Sessel, die im Raum herumstehen, sind bis auf den letzten Platz besetzt. An einem Tisch am Kopfende des Zimmers sitzt der Chefredakteur Hendrik Aschenbach und wartet darauf, die erste Redaktionskonferenz zu eröffnen. Hendrik geht schon in die Zwölfte und sieht mit seinen schwarzen Haaren und den blauen Augen echt ziemlich toll aus. Was mir als Vollprofi natürlich völlig egal ist, solange er seine blauen Augen dazu benutzt, mein Talent zu erkennen. Ich selbst sitze direkt links neben der Tür und warte gespannt darauf, dass es endlich losgeht. Mann, ich bin ganz zittrig! Zur Unterstützung habe ich deshalb sogar Isa mitgebracht, obwohl der die Schülerzeitung eigentlich wurscht ist

»Willkommen im neuen Schuljahr!«, begrüßt Hendrik die Anwesenden. »Schön, dass ihr alle gekommen seid! Ich fange dann gleich mal mit dem wichtigsten Punkt an: In acht Wochen läuft die Frist für den jährlichen Wettbewerb Zeitung macht Schule ab, und ich habe mir fest vorgenommen, dass wir den Preis dieses Jahr mal wieder gewinnen! Nach sechs Wochen Ferien habt ihr bestimmt einen Sack toller neuer Themenideen für die nächste Ausgabe mitgebracht. Dann lasst mal hören!«

Alle schauen betreten zu Boden. Grabesstille senkt sich über den Raum. Hendrik Aschenbach lässt seinen Blick von einem zum anderen wandern, nickt hier und da jemandem aufmunternd zu, aber genauso gut könnte er versuchen, die Bewohner eines Aquariums zum Reden zu bringen. Schließlich sieht er mich an, ganz direkt, und ich glaube sogar, dass er mir ebenfalls ermutigend zunickt. Wirklich irre, diese blauen Augen!

Ich stehe auf, schlagartig sind alle Blicke auf mich gerichtet. »Hi, ich heiße Carla Ehrenthal und gehe in die 6b. Hier habe ich«, ich mache ein paar Schritte auf Hendrik zu und strecke ihm ein Blatt Papier mit meinen Notizen entgegen, »ein paar Ideen für die neueste Ausgabe aufgeschrieben.«

»Dann lies doch mal vor«, sagt er.

»Okay.« Ich nehme das Blatt und fange an, meine Themen vorzulesen. Noch bevor ich bei meinem dritten Punkt bin, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Hendrik von einem Ohr zum anderen grinst. Habe ich irgendwas Blödes gesagt? Unsicher mache ich eine Pause.

»Tja, weißt du, Carla – es ist toll, dass du dir schon so viele Sachen überlegt hast. Allerdings müsstest du deine Ideen einem anderen überlassen, neue Mitglieder setzen wir noch nicht als Redakteure ein. Die müssen sich erst mal im Back Office bewähren.«

Back Office? Was meint er denn damit? Ich gucke kurz zu Isa, auch die zuckt mit den Schultern. Etwas ratlos lächle ich Hendrik an, der deutet meinen Gesichtsausdruck ganz richtig und erklärt mit noch breiterem Grinsen: »Back Office ist der ganze Bürokram. Also kopieren, ab und zu mal was abtippen und dem Chef, nämlich mir, eine Cola besorgen.«

Kopieren und Cola besorgen? Ich glaube, es hackt! Neben mir schnauft Isa empört.

»Aber was hat das denn mit Journalismus zu tun? Ich will Reporter werden, nicht Sekretärin!«

Jetzt lacht nicht nur Hendrik, sondern auch die anderen prusten los. Ich merke, wie mir sehr, sehr warm wird. Wahrscheinlich läuft mein Gesicht gerade pinkfarben an. Als sich alle ausreichend scheckig gelacht haben, pflaumt mich ein Mädchen an, das mindestens schon vierzehn oder fünfzehn ist. Jedenfalls ist sie ziemlich stark geschminkt.

»Also ehrlich – wenn du Anfängerhäschen bei uns mitmachen willst, musst du schon die Jobs erledigen, die wir dir geben. Das hier ist schließlich kein Kindergarten. Sei froh, dass ihr Babys aus der Unterstufe überhaupt schon an den Redaktionssitzungen teilnehmen dürft. Halt also mal besser die Klappe und spitz die Ohren, damit du was lernst.«

Zack, das sitzt. Mist, ich glaube, ich fang gleich an zu heulen. Also echt, das wäre ja die oberpeinliche Krönung!

»Hey, Sophie – jetzt ist mal gut!«, mischt sich einer der Jungs ein, die am Kopfende neben Hendrik sitzen. Ich kenne ihn vom Sehen. Blonde, verwuschelte Haare, Sommersprossen, frecher Blick. Ich glaube, er geht in die achte Klasse, aber wie er heißt, weiß ich nicht. »Du tust ja gerade so, als hättest du das Zeitungmachen erfunden. Ich sach mal so: Hast du aber nicht.«

Wieder Gelächter. Diesmal aber über die Geschminkte. Ich werfe dem Typen einen dankbaren Blick zu.

Die Geschminkte zieht ein Gesicht, als habe sie auf etwas sehr Saures gebissen und giftet ihn volle Kante an: »Lasse, der Retter der Enterbten, der Beschützer der Witwen und Waisen. Und neuerdings auch der Babyhäschen. Also, du kannst –«

Was er sie kann, erfahren wir aber nicht mehr, denn jetzt wird sie von Hendrik unterbrochen.

»Hey, hey, hey, ich würde gerne mit der Planung für unsere nächste Feder weitermachen. Sophie, du kannst das später mit Lasse sicher noch in Ruhe ausdiskutieren.«

Sophie schießt noch ein paar tödliche Blicke in die Runde, hält aber dabei wenigstens den Rand. Ich glaube, ich taufe sie die fiese Sophie!

3. Kapitel

Nach der Redaktionskonferenz. Stimmung: Millimeter vom Tiefpunkt entfernt.

»Jetzt komm schon, so ein großes Drama ist das nun alles auch wieder nicht.« Isa will mich trösten, als wir über den Schulhof rüber zur Bushaltestelle gehen, erwischt mich aber voll auf dem falschen Fuß.

»Kein Drama? Kein Drama!! Du hast gut reden, aber für mich ist es eine Tra-gö-di-e!«, rufe ich aufgebracht und kicke eine leere Coladose quer über den Hof, als wäre die schuld an dem Schlamassel.

Isa lacht. »Carla Ehrenthal, die größte Dramaqueen von allen! Also wenn du mich fragst, würde ich die blöde Schülerzeitung sausen lassen und stattdessen mit mir zur Theater-AG gehen. Das ist sowieso viel spannender.«

»Ich frag dich aber nicht!«, fahre ich meine beste Freundin an.

Isa hebt abwehrend die Hände, »Oh, sorry, war nur ein Vorschlag!«

»Bitte lächeln!« Direkt hinter uns erklingt eine Stimme.

Isa und ich fahren überrascht herum. Klickediklick! Vor uns steht Lilli mit ihrem Fotoapparat und lichtet uns ab. »Sehr schön!«, sagt sie und grinst uns zufrieden an.

»Was soll denn das?«, blöke ich sie an. Sofort weicht ihr Lächeln einem verunsicherten Gesichtsausdruck.

»Tschuldige, ich wollte nur … Also, ich bin noch dabei, Eindrücke vom ersten Schultag zu sammeln.«

»Dann sammel gefälligst woanders«, gebe ich zurück. »Merkst du nicht, dass du uns nervst?«

»Äh, das tut mir leid«, stottert Lilli und wird rot. »Ich, ich …«

»Carla meint das nicht so«, geht Isa dazwischen. »Sie ist nur sauer, weil wir gerade von der ersten Redaktionskonferenz der Feder kommen, und die ist nicht so toll gelaufen. Ehrlich gesagt, der totale Flop!«

»Vielen Dank!«, ranze ich Isa an. »Musst du mir jetzt auch noch in den Rücken fallen?«

Isa reißt erschrocken die Augen auf und will etwas sagen, aber ich lasse sie gar nicht zu Wort kommen. »Dann ist es ja nur gut, dass Frau Willich uns wegen Lilli auseinandergesetzt hat! Eigentlich wollte ich mit ihr reden, damit sie das rückgängig macht, aber das lass ich wohl lieber. Ich hab sogar noch eine viel bessere Idee: Morgen tauschen du und ich die Plätze, dann sitze ich neben Ben, und ihr zwei beiden besten Freundinnen könnt von da an ganz unter euch bleiben!«

Isa und Lilli starren mich an, keine von beiden sagt auch nur einen Pieps. Und ich?

Hundertachtziggradschwenk und rauschender Abgang!

Die können mich mal, alle beide! Und die Schule, die fiese Sophie und diese ganze beknackte Redaktion gleich mit.

Wieder zu Hause. Stimmung: unterirdisch.

»Und?«

Warum war irgendwie klar, dass mir zu Hause als Erstes Emma über den Weg laufen würde? Mit einem breiten Grinsen öffnet sie die Haustür, bevor ich überhaupt meinen Schlüssel raussuchen kann. Oberlässig lehnt sie im Türrahmen und kaut Kaugummi. »Wie ist es denn gelaufen?« Sie lässt mir nicht mal Zeit, zu antworten, da sagt sie schon: »Soll ich dir bei Gelegenheit den neuen Cola-Automaten im Erdgeschoss zeigen? Damit du weißt, wo du die Getränke für deinen neuen Chef holen kannst?«

»Halt du bloß die Klappe!« Ich drängele mich einfach an ihr vorbei ins Haus und stürme die Treppe nach oben in mein Zimmer, wo ich mich genervt auf mein Bett plumpsen lasse. Irgendwer hat Emma also schon von der Konferenz erzählt, wahrscheinlich diese überschminkte Tussi Sophie, die beiden sind schließlich in derselben Stufe. Haben bestimmt schön über dumme kleine Schwestern abgelästert. Das hat mir jetzt echt noch gefehlt!

Emmas Schadenfreude hat aber sicher noch einen anderen Grund: Letztes Jahr hat sie nämlich versucht, Hendrik zu überreden, dass er sie eine Klatschkolumne schreiben lässt. In jeder Feder wollte sie über Gerüchte an unserer Schule berichten. Tja, damit ist sie bei Hendrik gnadenlos abgeblitzt. Ist ja auch ’ne megadämliche Idee – hab ich ihr gleich gesagt. Kein Wunder also, dass es Emma ein Fest ist, wie ich heute aufgelaufen bin.

Oh Mann, kann bitte mal jemand diesen Tag aus dem Kalender streichen.

Und es ist gerade erst Mittag!

Missmutig setze ich mich auf und fange an, meine Schultasche auszuräumen. Als Erstes fallen mir dabei natürlich die zerknitterten Zettel mit meinen Themenvorschlägen in die Hände. Ich knülle sie zusammen und befördere sie mit einem Fußkick in den Papierkorb neben meinem Schreibtisch. Natürlich landen sie daneben, und ich muss auf dem krümeligen Boden rumkriechen, bis ich sie habe.

In meiner Schultasche klingelt es, und schon am Ton erkenne ich, wer es ist: Isa versucht mich auf dem Handy zu erreichen. Ich gehe nicht ran, von der will ich heute nichts mehr hören. Dann lasse ich mich rückwärts auf meine Tagesdecke fallen und starre an die Decke.

Während ich noch finster darüber nachgrübele, wie es jetzt weitergehen soll, klopft es an die Tür.

»Draußen bleiben!«, rufe ich. »Lasst mich bloß in Ruhe!« Die Tür geht trotzdem auf, meine Mutter steckt ihre Nase in mein Zimmer.

Was ist eigentlich mit Privatsphäre? Hat man als fast Zwölfjährige keine Menschenrechte? Warum sieht Amnesty da einfach weg?

»Hallo, Schatz«, sagt meine Mutter. »Du wolltest doch Anton zum Klavierunterricht bringen.«

»Was wollte ich?« Schon während ich das sage, fällt es mir wieder ein.

Mist, Mist, Mist, Mama hat recht, das habe ich ihr letzte Woche versprochen!

Mein kleiner Bruder hat einmal die Woche Unterricht in Winterhude, und weil es bis dahin vier U-Bahn-Stationen sind, muss ihn immer jemand bringen. Damit dem kleinen Mozart ja nix passiert. Tja, und heute bin wohl ich dran. Argh, es ist ja wirklich ZUMVERRÜCKTWERDEN!!!

»Muss das denn sein?«, starte ich trotzdem einen lahmen Versuch, mich da irgendwie rauszuwinden.

»Carla«, kommt es prompt streng von Mama zurück. »Wenn du so was zusagst, muss ich mich schon darauf verlassen können. Ich muss gleich wieder zur Arbeit und hab keine Zeit, das weißt du doch.«

»Ist ja schon gut.« Stöhnend stehe ich vom Bett auf. Bringe ich die kleine Rotznase halt nach Winterhude, es nützt ja nichts. Außerdem, denke ich dann, kann ich bei der Gelegenheit gleich mal Tante Julia besuchen. Vielleicht hat sie ja eine gute Idee, wie ich die Katastrophe von der Redaktionskonferenz wieder ausbügeln kann.

Krisensitzung bei Tante Julia. Balsam für meine geschundene Reporterseele!

»Die wollten dich zum Kopieren und zum Einkaufen abkommandieren? Das ist doch wohl das Letzte!« Meine Tante ist die Beste! Gerade jetzt sieht sie mich so empört an, als wäre sie selbst es gewesen, die in der Konferenz so fertiggemacht worden ist. »Diese Anfänger haben ja keine Ahnung, was in dir steckt!«, ruft sie.

»Hm, ja, war schon echt doof, dass sie mich so runtergemacht haben«, gebe ich ihr recht und fische mir aus der großen Schüssel mit Süßigkeiten, die auf dem Couchtisch steht, noch einen Mini-Marsriegel. »Hatte ich mir auch alles etwas anders vorgestellt«, sage ich und stopfe mir die Schokolade in den Mund.

»Soll ich mal mit denen reden?«, schlägt Tante Julia vor.

»Wie, mit denen reden?«

»Ganz einfach: Zur nächsten Redaktionskonferenz komme ich mit und stoße den Herrschaften da mal richtig Bescheid.«

»Oh, neee, lieber nicht!« Fast verschlucke ich mich an meinem Mars-Riegel. »Dann halten die mich doch erst recht alle für ein Baby!«

Tante Julia ist echt ein Schatz, aber da kann ich ja gleich die Schule wechseln.

»Ja, stimmt«, gibt meine Tante mir recht und legt nachdenklich die Stirn in Falten. Was irgendwie lustig aussieht, denn eigentlich ist Tante Julia ein total fröhlicher Typ, der ständig lacht. Sie hat braune, dicke Haare – die soll ich angeblich von ihr geerbt haben – und dazu mindestens eine Million Sommersprossen im Gesicht, weshalb sie immer gut gelaunt aussieht. Und wenn sie so wie jetzt versucht, böse zu gucken, nimmt man ihr das keine Sekunde lang ab.

»Weißt du, in meiner Anfangszeit als Journalistin war es auch erst ganz schön hart …« Dabei tritt ein fast verträumter Ausdruck auf ihr Gesicht, als hätte sie diese harte Zeit auf einer Insel unter Palmen verbracht.

Manchmal sind Erwachsene echt komisch.

»Das war auch alles andere als leicht, mich hat damals nämlich auch zuerst niemand ernst genommen. Alle waren ganz schön arrogant zu mir, haben mich das Küken genannt.«

»DasKüken? Oh Mann, wie gemein ist das denn …«

Julia lacht. »Aber eine Kollegin, die war wirklich nett zu mir. Unsere Textchefin Gisela. Die hat mich nach meiner ersten Woche zur Seite genommen und mir ein Geheimnis verraten.«

»Ein Geheimnis?« Mit einem Schlag bin ich ganz Ohr und lasse sogar die Finger von dem Milky Way, mit dem ich mich gerade anfreunden wollte.

Tanta Julia nickt. »Ja«, sagt sie. »Und zwar hat sie mir die erste und wichtigste Journalistenregel verraten.«

»Nämlich?«

»Du musst die Chance ergreifen, wenn sie sich bietet. Das ist es, worauf es ankommt.«

»Aha.« Ich bin ein bisschen enttäuscht. Das ist das große Geheimnis? Da hätte ich etwas Spektakuläreres erwartet.

Aber Tante Julia nickt bedeutungsschwer. »Ja, so einfach ist es. Am Ende kommt es nur darauf an, dass du zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist. Und dass du zugreifst und deine Chance nutzt, wenn es so weit ist.«

»Wie soll das beim Kopieren und Cola-Holen passieren?«, gebe ich zu bedenken. »Glaube kaum, dass meine große Chance darin besteht, allen zu zeigen, dass ich den Getränkeautomaten bedienen kann.«

»Warte es einfach ab«, sagt meine Tante und grinst mich verschwörerisch an. »Hauptsache, du bist erst einmal Mitglied der Redaktion, damit hast du wenigstens schon einen Fuß in der Tür. Jetzt musst du nur noch abwarten, bis deine Chance kommt, und dann musst sie natürlich auch ergreifen.«

»Aha.« Nun esse ich das Milky Way doch noch.

Mitten in der Nacht. Stimmung: grüblerisch, ein bisschen kämpferisch. Und vor allem leider sehr, sehr wach!

An Schlaf ist nicht zu denken, um kurz nach eins liege ich immer noch wach und denke über diesen einerseits aufregenden und andererseits vollkommen beknackten ersten Schultag nach. Und darüber, was Tante Julia gesagt hat. Vielleicht hat sie recht, ich sollte mich nicht gleich so verunsichern lassen, ist ja schließlich noch kein Starreporter vom Himmel gefallen. Dann denke ich an Isa.

Ein paarmal hat sie noch versucht, mich anzurufen, und jetzt, wo ich so im Dunkeln in meinem Zimmer liege, fühle ich mich auf einmal ziemlich mies, weil ich sie so angezickt habe. Sie kann ja nichts dafür, dass es bei der Feder