Lesereise Kamerun - Fabian von Poser - E-Book

Lesereise Kamerun E-Book

Fabian von Poser

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Beschreibung

Als "Afrika im Kleinen" wird Kamerun gerne bezeichnet. Aus gutem Grund, denn kein Land auf dem Schwarzen Kontinent bietet so unterschiedliche Klimazonen. Vom undurchdringlichen Regenwald des Kongobeckens bis zu den wüstenartigen Landschaften am Rande der Sahara vereint das Land beinahe alle Vegetationszonen. In dreizehn mitreißenden Reportagen erzählen Fabian von Poser und Agnès Kah von Flachlandgorillas, Waldelefanten und Bongo-Antilopen, von der betörenden Musik der Pygmäen und von der explosiven Gasmischung im Nyos-See. Sie bewegen sich auf den Spuren der deutschen Kolonialherrschaft, fahren in alten französischen Waggons in den muslimischen Norden, besuchen König Abumby II., Herrscher über eines der kleinsten Königreiche der Erde, und sinnieren mit WM-Legende Roger Milla über König Fußball.

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Fabian von Poser · Agnès Kah

Lesereise Kamerun

Fabian von Poser · Agnès Kah

Lesereise Kamerun

Im Angesicht des Gorillas

Picus Verlag Wien

Copyright © 2017 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung: © mauritius images/jbdodane/Alamy

ISBN 978-3-7117-1074-1

eISBN 978-3-7117-5341-0

Informationen über das aktuelle Programmdes Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Fabian von Poser, geboren 1969 in Hamburg, studierte Geschichte und spanische Sprachwissenschaft. Er arbeitet als freier Autor und Fotograf für zahlreiche nationale und internationale Tageszeitungen und Magazine. Im Picus Verlag erschien zuletzt seine Reportage Namibia.

www.fabianvonposer.com

Agnès Kah wurde 1978 in Tiko in Kamerun geboren und studierte in Dortmund Touristik und Hotelmanagement. 2006 gründete sie den auf Kamerun spezialisierten Reiseveranstalter Löwentouristik. 2010 ernannte sie das kamerunische Tourismusministerium zur offiziellen Vertretung ihres Landes.

Inhalt

Stets zu Ihren Diensten, Majestät!

Im Westen Kameruns regiert Fon Abumby II. über eines der kleinsten Königreiche der Welt. Eine Audienz beim Herrscher höchstpersönlich

Alle gegen Goliath

Im Regenwald Kameruns lebt der größte Frosch der Welt. Doch die Stunden des Goliathfrosches sind gezählt, denn er wird gejagt, sein Lebensraum zerstört und mit Pestiziden vergiftet

Die Melodie des Urwalds

Im zentralafrikanischen Regenwald im Süden Kameruns leben Pygmäen vom Stamm der Bakoula – eine Nacht mit ihren Gesängen berührt die Seele

Explosive Mischung

Auf dem Grund des Nyos-Sees schlummern Hunderttausende Tonnen Kohlendioxid. Versuche, das gefährliche Gas kontrolliert abzuleiten, sind keine Garantie, dass nicht erneut ein Unglück passiert

Im Angesicht des Gorillas

Der Lobéké-Nationalpark im Südosten Kameruns ist eine im Regenwald verborgene Welt. Mit einer Artenvielfalt, die weltweit ihresgleichen sucht

In der Zeitmaschine

Ein Besuch beim Volk der Koma in den Alantika-Bergen katapultiert einen in eine längst vergessene Zeit

Deutsche Vergangenheit

Die Kolonialzeit in Kamerun dauerte kaum länger als dreißig Jahre. Doch noch immer ist das deutsche Erbe im Land allgegenwärtig

Der Schatten der Sklaverei

Auch wenn der Menschenhandel in Kamerun nie die Bedeutung erlangte, die er in Westafrika hatte, sind die Spuren der Sklaverei im Land immer noch zu sehen

Großwildleinwand

Der Bouba-Ndjida-Nationalpark im Nordosten Kameruns gilt als einer der artenreichsten des Kontinents. Doch seine Tierwelt ist in Gefahr

König ohne Krone

Der Fußballer Roger Milla wurde durch seine Tore bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 berühmt. Im Leben nach seiner Karriere hatte er nicht immer so viel Glück

Zug durch den Regenwald

In alten französischen Waggons von Jaunde durch den immergrünen Regenwald nach Ngaoundéré im muslimischen Norden

Sechstausend Höhenmeter in sechsunddreißig Stunden

Wer den Mount Cameroon, den höchsten Berg Westafrikas, in nur eineinhalb Tagen besteigt, der muss entweder sehr sportlich oder verrückt sein

Die ganze Wahrheit

Warum der Krabben-Feticheur einer Gemeinde im Norden Kameruns tatsächlich in die Zukunft blicken kann

Stets zu Ihren Diensten, Majestät!

Im Westen Kameruns regiert Fon Abumby II. über eines der kleinsten Königreiche der Welt. Eine Audienz beim Herrscher höchstpersönlich

Seine Exzellenz Fon Abumby II., Herrscher von Bafut, betritt den Palast in einem schneeweißen Umhang und mit schlichten Ledersandalen. Sein Gesicht schmückt ein königliches Lächeln. Doch der Souverän kommt nicht über eine herrschaftliche Treppe. Er trägt keine Krone, kein Zepter und auch keine anderen Insignien, die auf staatliche oder religiöse Würde hinweisen würden. Gemütlich schlappt er aus einer der strohgedeckten Hütten durch den staubigen Vorhof zu seinen Besuchern herüber. Auf dem Haupt trägt Abumby eine gestrickte Haube. Die Augen sind weit geöffnet, die Lippen zu einem Sonnenscheinlächeln geformt. Nur die Hand darf er seinen Besuchern zur Begrüßung nicht reichen, denn das gebührt sich nicht für einen Fon.

Es ist heiß, sehr heiß, vielleicht fünfunddreißig Grad, als uns Seine Majestät empfängt. Und es ist dem König eine Ehre. Heute ist Nationalfeiertag in Kamerun, der Fon hat eigentlich Verpflichtungen. Doch Abumby II. strahlt: »Ich bin froh, euch persönlich begrüßen zu dürfen. Ihr seid hier, um Bilder unseres Landes in eure Heimat zu tragen. Macht das und macht viele Fotos, damit die Leute sehen, wie schön es hier ist.« Ein bisschen drollig sieht die königliche Kopfbedeckung aus, die der Fon auf dem Haupt trägt. Seine Großmutter könnte sie ihm gestrickt haben. Doch Abumby II. ist stolz auf sein Amt. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1968 wurde Abumby als elfter Fon inthronisiert. Damals war er gerade fünfzehn Jahre alt. Heute ist er vierundsechzig und ein erfahrener Regent.

Abumbys kleines Königreich liegt zwanzig Kilometer vor den Toren der Provinzhauptstadt Bamenda im Westen Kameruns und blickt auf mehr als fünfhundert Jahre Geschichte zurück. »Die Dynastie von Bafut besteht seit 1502«, sagt der König selbstbewusst. Doch Bafut ist nicht das einzige Königreich seiner Art: In der fruchtbaren Hügellandschaft an der Grenze zu Nigeria haben sich in den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche Fontümer als politische, soziale und kulturelle Einheiten herausgebildet. Bis heute sind sie Zentren religiöser Riten und traditioneller Zeremonien. Mehr als hundertfünfzig sogenannte »Chefferien« gibt es ganz in Kamerun noch. Mit hundertzwanzigtausend Einwohnern und einundsechzig Gemeinden ist Bafut eine der größten und wichtigsten.

Regiert werden sie von Fons wie Abumby. Übersetzt bedeutet das Wort so viel wie »Häuptling« oder »König«. Zwar unterliegen die Fons seit der Unabhängigkeit Kameruns im Jahr 1961 der Gerichtsbarkeit des Staates. Sie üben jedoch immer noch eigenständige Verwaltungsausgaben sowie einen Teil der Gesetzgebung und Rechtsprechung aus. Zudem ist der auf Lebzeiten ernannte Fon auch oberster Zeremonienmeister an seinem Hof und bietet den Ahnen Opfer an, um das Wohl seines Volkes zu gewährleisten. Und, ganz weltlich: Ein Fon lebt polygam und hat nicht selten mehrere Dutzend Frauen.

Das Leben der Menschen in Bafut ist bis heute einfach und von der Landwirtschaft geprägt. Auf den Feldern um Abumbys Palast bauen sie Kaffee, Tee, Kakao, Bananen, Mais, Maniok und Getreide an. Aber auch auf Bildung legt der Herrscher großen Wert. Neben Bafut, einer von mehr als zweihundertachtzig Sprachen in Kamerun, werde in den Schulen auch Englisch gelehrt, berichtet der Fon. Bei der Führung durch seine Gemächer erzählt der Herrscher auch von sich selbst. Abumby war in den USA, in Europa und sogar einige Wochen in Deutschland. Der Souverän spricht fließend Englisch und ein wenig Spanisch. »Und ich würde gerne Deutsch lernen«, sagt er. »Aber das ist schwierig, vor allem die Grammatik.«

Die Deutschen waren die ersten Europäer in Bafut, doch die Beziehungen waren nicht immer gut. Bereits das erste Treffen mit dem deutschen Entdecker und Geschäftsmann Eugen Zintgraff im Jahr 1889 stand unter keinem guten Stern, denn Zintgraff verstieß – versehentlich oder nicht – gegen die Hofetikette, indem er den Fon mit dem falschen Titel ansprach und aus der königlichen Tasse trank. Bis ins Jahr 1900 widersetzte sich Bafut erfolgreich den deutschen Kolonialherren. Eine Serie von Aufständen zwischen 1901 und 1907 beendeten die Deutschen, indem sie 1907 den Palast und den zentralen Achum-Schrein niederbrannten. Den damaligen Fon hielten sie für ein Jahr in einem Gefängnis in Duala fest.

Doch die Bafut unterwarfen sich auch jetzt nicht. Ganz im Gegenteil: Ihre Waffen gaben sie erst ab, als die Kolonisatoren ihren damaligen Fon Abumby I., den Großvater des heutigen Königs Abumby II., freiließen und sich verpflichteten, den abgebrannten Herrschaftssitz wieder aufzubauen. Zwischen 1907 und 1910 wurde der Palast von den Kolonialherren wieder errichtet. Heute ist er eine Mischung aus traditioneller und kolonialer Architektur, die in Afrika ihresgleichen sucht. Im Jahr 2003 wurde der mehr als hundert Jahre alte Bau mit Mitteln der deutschen Botschaft in Jaunde restauriert. Ein kleines Museum zeigt seitdem zahlreiche Ausstellungsstücke aus der frühen Zeit der Chefferie, darunter deutsche Säbel und Büchsen sowie Speere und Giftpfeile der Krieger aus Bafut.

»Vorsicht, nicht anfassen«, scherzt Abumby, als wir das Museum in seinem Gefolge betreten und der Fon einen der Pfeile aus einem Köcher zieht. »Das Gift könnte noch wirken.« Ausgestellt sind auch zwei nackte Holzfiguren, die seltsam europäisch aussehen. Sie zeigen den deutschen Entdecker Eugen Zintgraff und seine Frau. Doch es war nicht Zintgraff, der den Namen Bafut nach Europa trug. In unseren Breiten bekannt wurde das Königreich erst sehr viel später, nämlich durch den britischen Naturforscher Gerald Durrell. 1954 beschrieb er in seinem Buch »The Bafut Beagles« die Erlebnisse, die er mit einer Gruppe Einheimischer hatte, als er im Westen Kameruns Tiere für Zoos in England suchte.

Und auch eine andere Europäerin beschrieb die Fontümer im Westen Kameruns: die Französin Claude Njiké-Bergeret. 1943 wurde sie als Tochter eines Missionarsehepaars in Duala geboren. Sie wuchs in Kamerun auf, studierte in Frankreich – und heiratete 1978 als erste Weiße einen Fon. Als sechsundzwanzigste Frau ehelichte sie den Bangangté-König François Njiké Pokam. Drei Jahre lang war sie mit ihm verheiratet, brachte zwei Kinder zur Welt, bis die Ehe unglücklich auseinanderging. 2001 erschien ihr Buch über das Leben mit dem Fon: »Schwarze Weisheit – Erfahrungen einer Europäerin in ihrem afrikanischen Dorf«.

Auch im 21. Jahrhundert scheinen die Fons in einer archaischen Welt zu leben. Doch für Abumby sind Tradition und Moderne kein Widerspruch. Im Gegenteil: Im Westen Kameruns ergänzt sich beides. Heute arbeitet der Herrscher eng mit den Lokalpolitikern zusammen. Sein Einfluss ist groß. Gleichzeitig leben alte Traditionen weiter. Seit 1516 wird in Bafut jedes Jahr Ende Dezember das Abin-Fest gefeiert, ein Opferfest für die Ahnen. Bereits eine Woche vor dem Festival bringen die Einwohner von Bafut ihren Göttern und den Vorfahren rituelle Opfer. Am Festtag selbst wird gesungen, Musik gemacht, und vermummte Tänzer tanzen auf drei Meter hohen Stelzen.

Andere Traditionen sind in westlichen Augen ziemlich ungewöhnlich: Vierzig Frauen und zweiundsechzig Kinder habe er, erzählt der Fon, als wir in Richtung des zentralen Heiligtums schreiten. Einige der Frauen habe er von seinem verstorbenen Vater übernommen. Heute begleitet uns auch seine Frau Marie. Sie ist fünfundzwanzig Jahre alt und hat bereits vier Kinder vom Herrscher.

Lange nimmt sich der Fon Zeit für unsere Fragen. Er erklärt, dass sein Palast mehr als fünfzig Gebäude umfasse, die alle um das zentrale Heiligtum angelegt seien. Er erläutert, dass dies das spirituelle Herz des Palastes sei und wichtige Fetische und Zauberfiguren beherberge. Und dass das Heiligtum nur vom Fon, den Königinnen und dem königlichen Gericht betreten werden dürfe.

Als es Mittag wird, brennt die Sonne auf die strohgedeckten Dächer der Hütten nieder. Die Männer und Frauen zeigen den Besuchern die Juju-Maskentänze und Gesänge, die auch beim Opferfest Ende Dezember aufgeführt werden. Einige der Königinnen tanzen zu den Melodien der dreihundert Jahre alten »sprechenden Trommel«. Sechs Musiker sind nötig, um das Riesenxylofon Nighaa Ni Bifh zu bedienen. Irgendwann während der Vorstellung verschwindet der Fon im Gedränge und taucht erst nach einer royalen Viertelstunde wieder auf – nun ganz in seine blaue Feiertagsrobe gehüllt. Bereitwillig lässt er sich mit zwei seiner Lieblingsfrauen fotografieren. Auch Marie ist dabei. Stolz posieren sie vor dem Heiligtum. Dann entschuldigt sich der König: Er müsse jetzt zum Feiertagsdefilee, denn er habe dort wichtige Aufgaben zu verrichten. Noch einmal grinst er und verabschiedet sich ganz herrschaftlich ohne Handschlag. Dann entschwindet der Fon genauso leise wie er gekommen ist durch einen Seiteneingang seines Palastes zur Parade. In Bafut, dem Königreich im Westen Kameruns, ist Abumby II. ein gefragter Mann.

Fabian von Poser

Alle gegen Goliath

Im Regenwald Kameruns lebt der größte Frosch der Welt. Doch die Stunden des Goliathfrosches sind gezählt, denn er wird gejagt, sein Lebensraum zerstört und mit Pestiziden vergiftet

An einem Bach im Südwesten der Republik Kamerun kauert ein Mann auf einem Stein. Es ist kurz vor Mitternacht, der Regen hat nachgelassen. Das Wasser liegt flach da wie ein Tischtuch. Es ist still. Nur das Rauschen des Wasserfalls ist in der Ferne zu hören. André Kudhi blickt in die Finsternis. In seiner Rechten hält er ein Netz, auf dem Kopf leuchtet eine schwache Stirnlampe. Seit Minuten sitzt Kudhi beinahe regungslos da. Immer wieder prüft er mit der Hand, ob die Bleigewichte sich nicht verheddert haben. Eine halbe Ewigkeit vergeht. Dann schleudert Kudhi wie aus dem Nichts das Netz ins Dunkel. Drei, vier, fünf Meter fliegt es. Die Maschen öffnen sich wie eine Ziehharmonika. Ein schwarzer Schatten huscht durch das Wasser, die Bleigewichte sinken auf den Grund. Ein perfekter Wurf. Doch Augenblicke später zieht Kudhi ein leeres Netz an Land.

Kudhi ist auf der Jagd nach einem Tier, das die Einheimischen bébé nennen. Seinen Namen verdankt es nicht etwa dem kindlichen Aussehen, sondern seiner schieren Größe. Es ist so groß wie ein menschliches Baby und mit bis zu vier Kilogramm auch so schwer. Entdeckt wurde die größte Froschart der Welt im Jahr 1906. Das Verbreitungsgebiet des Tieres, das Wissenschaftler Conraua goliath oder Goliathfrosch nennen, erstreckt sich auf einige wenige Flussläufe im Südwesten Kameruns bis zum Benito-Fluss in Äquatorial-Guinea. Ein Gebiet gerade mal so groß wie Belgien. Doch die Art verabschiedet sich. Still und heimlich. Denn wo die Tiere leben, werden sie gejagt, als Delikatesse verspeist und ihr Lebensraum vom Menschen zerstört.

Auf den mit feuchten Blättern übersäten Abhängen finden Kudhis Sohlen kaum Halt. Der Jäger klammert sich an Farne und Pflanzen, um nicht abzurutschen. Hin und wieder schlägt er mit der Machete einen Ast ab, um schneller voranzukommen. »Die beste Zeit für die Jagd ist, wenn der Mond nicht scheint«, sagt er. »Dann fühlen sich die Frösche sicher.« Der Wald ist übersät mit spitzen Dornen, scharfkantigen Steinen und giftigen Tieren. Doch Kudhi bewegt sich im Dunkel wie auf einer hell beleuchteten Autobahn. Immer wieder leuchtet er mit der Taschenlampe ins Wasser. Manchmal erscheinen ein paar funkelnde Augen im Lichtkegel. »Zu weit weg«, sagt Kudhi dann. Denn meistens ist es so: Sobald sich der Jäger nähert, sucht das Tier das Weite, um unter einem Stein Unterschlupf zu finden oder sich im weichen Sand des Flussbetts zu vergraben.

Es bedarf ausgeprägter Langmut, um eines Goliathfrosches habhaft zu werden, denn Conraua goliath ist ein scheues Tier. Der Frosch bevorzugt sandige Flussbetten mit schnell fließendem, sauerstoffreichem Wasser. Und mit vielen Felsen, die ihm Schutz bieten. In Kudhis Dorf Mangamba, einer Ansiedlung aus zwei Dutzend strohgedeckten Hütten ohne Strom und fließend Wasser, sprechen die Einheimischen von »arrêter les grenouilles«, Frösche verhaften. Doch das Verhaften wird immer schwieriger. Das spürt auch Kudhi. Immer weiter muss der Siebenundvierzigjährige den Tingé-Fluss aufwärts marschieren, immer tiefer in den Wald vordringen. »Noch vor wenigen Jahren fingen wir die Tiere direkt beim Dorf. Heute laufe ich in manchen Nächten zwölf Kilometer, um überhaupt noch einen Frosch zu finden.« Nicht selten ist Kudhi die ganze Nacht unterwegs und kehrt erst im Morgengrauen zurück.

Es ist unmöglich festzustellen, wie viele Goliathfrösche es noch gibt. Wie sollte man sie auch zählen? Doch die Tendenz ist eindeutig: Ihre Zahl sinkt rapide. Das sagen die Jäger, das sagt auch die Wissenschaft. Laut der Weltnaturschutzorganisation IUCN ist die Zahl der fortpflanzungsfähigen Individuen in den vergangenen drei Generationen um fünfzig Prozent zurückgegangen. Deswegen hat sie den Status der Tiere auf ihrer roten Liste bedrohter Arten von »gefährdet« auf »stark gefährdet« hinaufgesetzt. »Die Frösche leben in einem sehr kleinen Verbreitungsgebiet, das nicht einmal flächendeckend besiedelt ist«, sagt Claude Miaud. Miaud ist Evolutionsbiologe und Genetiker am Centre d’Ecologie Fonctionnelle et Evolutive (CEFE) in Montpellier. Ein halbes Leben lang hat sich der Fünfundfünfzigjährige mit Fröschen beschäftigt und ihr Leben auf allen Kontinenten studiert. Neuerdings beschäftigt er sich auch mit dem größten Frosch der Welt. »Ist eine Population so klein wie diese, ist das Risiko groß, dass die Art ausstirbt.«