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Norwegens Hauptstadt ist eine kleine, verschlafene Stadt im Norden Europas, die auf den ersten Blick hinsichtlich Schönheit, Größe und Vielfalt nicht mit ihren skandinavischen Geschwistern konkurrieren kann. Anne Helene Bubenzer und Gabriele Haefs haben einen zweiten Blick gewagt und dabei viel Bemerkenswertes und Kurioses entdeckt. Sie berichten vom ungewöhnlichen Schicksal der Badewanne Henrik Ibsens, von unbekannten Schätzen in den Kellern der Nationalgalerie und von den Problemen, die entstehen, wenn man mitten in der Stadt einen Eisberg bauen will. Sie begleiten junge Mütter und freche Skandaljournalisten durch ihre Stadt und schauen hinter die Fassaden von Königsschloss und Gleichberechtigungsgesellschaft. Oslo ist wie eine heimliche Geliebte: Sie enthüllt die unglaublichen Geschichten, die geheimen Leidenschaften und die atemberaubenden Ausblicke nur dem, der sie wirklich kennenlernen will …
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Seitenzahl: 120
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Copyright © 2011 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Birdseyepix.com/Christopher Hagelund Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5048-8 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt
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Oslo? Ist das nicht irgendwo in Skandinavien? Ganz recht, es ist die Hauptstadt Norwegens – und das nicht erst seit Neuestem. Über tausend Jahre ist sie schon Sitz fremder und eigener Könige und Besatzer, Stadt vieler Namen und einer wechselvollen Geschichte. Immer wieder wurde sie niedergestreckt von Großbränden und Pest, geplagt von Fremdherrschaft und Krieg, und doch ist dort am Ende des Oslofjords stets etwas Neues gewachsen. Man hat sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn immer mal wieder eitle Mächtige etwas anderes aus der Stadt machen wollten: 1624 wurde sie nach Plan und Befehl des neuen Königs Christian IV. nach knapp sechshundert Jahren unter dem Namen Oslo in Christiania umgetauft, später, 1877, dann in Kristiania. Erst 1925 bekam Oslo schließlich seinen ursprünglichen Namen zurück.
Man weiß kaum etwas über diese Stadt. Ein Mal pro Jahr macht sie zur Verleihung des Friedensnobelpreises von sich reden, gelegentlich zu Winterspielen oder Leichtathletikmeisterschaften. Aber wie groß, wie viele Einwohner, was für eine Regierung? Herrscht ewiger Winter und welcher Präsident? Politisch fällt Oslo in Europa nur auf, wenn wieder einmal gegen einen Beitritt zur EU gestimmt wird, und in die hiesigen Schlagzeilen schafft es bestenfalls die königliche Familie oder das Bierpreisniveau.
Es mag also vielleicht wirklich wie eine verschlafene Metropole im Norden Europas anmuten, dieses Oslo, das auf den ersten Blick in Schönheit, Größe und Vielfalt nicht mit seinen skandinavischen Geschwistern konkurrieren kann. Und doch: Wagt man einen zweiten Blick, gibt es eine Menge Bemerkenswertes zu entdecken, was Oslo, ganz in norwegischer Manier, zunächst einmal bescheiden für sich behält. Die Stadt ist wie eine eigenwillige Geliebte: Sie enthüllt ihre heimlichen Leidenschaften und schönsten Ausblicke nur dem, der sie wirklich kennenlernen will …
Glaubt man dem Schriftsteller Bjørnstjerne Bjørnson, war Oslo, das seinerzeit noch Christiania hieß, einst ein zähnefletschendes Ungeheuer, das sich an geplagten Künstlern zu gern die Krallen wetzte. Dass die Stadt noch heute, inzwischen jedoch fast zärtlich, »Tigerstadt« genannt wird, geht auf ein Gedicht Bjørnsons zurück, in dem er beschreibt, wie in einer Arena – unter blutrünstigem Beifall des Volkes – ein Pferd gegen einen Tiger kämpfen muss und sich wacker verteidigt. In der letzten Strophe schreibt er:
Wer schließlich siegte, weiß ich nicht. denn dieses Pferdchen, das bin ich, und der Kampf geht heut noch fort. Doch die Stadt, wo er sich zugetragen, wo Applaus und Jubel tagen, ist dir gewiss ein wohl bekannter Ort.
(Godt mod, 1870)
Christiania machte es den Künstlern nicht leicht. Glaubt man dem Lamento, drohte die Stadt sie regelrecht zu verschlingen. Henrik Ibsen, Edvard Munch, Knut Hamsun, Christian Krohg – sie alle kehrten der Stadt den Rücken und suchten im Ausland Ruhe, Kraft und die vermeintliche schöpferische Freiheit. Knut Hamsun soll nach Jahren in den USA auf der Rückfahrt nach Skandinavien nicht einmal in Oslo von Bord des Schiffes gegangen, sondern gleich weiter nach Kopenhagen gereist sein – so schrecklich waren seine Erinnerungen an die Stadt …
Heute ist von der damaligen existenziellen Bedrohung höchstens in pekuniärer Hinsicht etwas zu spüren, denn billig gibt sich Oslo nicht her. Doch es ist eine Stadt, die dem, der noch etwas anderes sucht als berühmte Bauwerke und Museen, ausreichend Gelegenheit zum Finden bietet …
Und hat man erst einmal angefangen genauer hinzuschauen, finden sich die Kuriosa bald von allein ein. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass im Jahre 1900 täglich fünfundvierzig Tonnen Pferdemist von den Straßen zu schaufeln waren? Wer hätte gewusst, dass 1879 zum letzten Mal mit Schüssen von der Akershus-Festung Brandalarm gegeben wurde? Wer könnte ahnen, dass 1933 alle Wohnungen in der Stadt über elektrisches Licht verfügten und dass bereits 1970 der erste Geldautomat in Betrieb genommen wurde? Dass siebentausendachthundert Grundstücke auf der Liste zu schützender Denkmäler im Stadtgebiet stehen und dass der größte Kinosaal der Stadt über neunhundertachtundsiebzig Plätze verfügt? Wer hätte geglaubt, dass der Osloer jährlich durchschnittlich vierzehneinhalb Kilo Bananen isst? Nun? Niemand. Das überrascht noch den besten Oslokenner. Denn so ist die Tigerstadt in Wirklichkeit: Irgendwann kriegt sie jeden.
Es ist sechs Uhr morgens, die Luft ist eiskalt und an die bevorstehende Dämmerung glaubt man mehr, als dass man sie erahnt. Die Schiebetüren gleiten auf und man tritt hinaus in die Dunkelheit und den schneidenden Wind.
Die Bars haben schon seit Stunden zu, ebenso die Spielbank und die Show Lounge. Vermutlich ist es die ruhigste Stunde an Bord des Schiffes. Die meisten Passagiere haben den Weg in irgendeine Kabine gefunden, der Alleinunterhalter hat nach vier Mal »New York, New York«, drei Mal »Piano Man« und ein Mal »Living Next Door to Alice« sein Trinkgeld aus dem großen Glas gesammelt, das auf dem von Barhockern umstandenen Flügel steht, und noch ein paar Kronen davon im Casino verspielt. Die Barkeeper haben den Tresen poliert und noch eine Runde in der Disco getanzt, und nun schläft, wer schlafen kann. Ein Putzteam saugt die Böden im Restaurant und wischt verschüttetes Bier vom sonst so glänzenden Marmorboden, die Handläufe der großen Treppen müssen auch wieder poliert werden – bei fast dreitausend Passagieren gibt es immer etwas zu tun, wirkliche Ruhe kehrt hier nie ein. Zwei alte Männer treibt wohl die Bettflucht aus der Koje, sie spazieren langsam durch die Stille, und eine betrunkene Frau sitzt mit verquollenen Augen auf einem Stuhl vor der Pizzeria, mitten in der ansonsten verwaisten Einkaufspassage. Sie scheint nicht genau zu wissen, wo sie ist.
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