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Jeder kennt die Welt der Piraten als abenteuerliches Universum aus Holzbein, Säbelkampf und Totenkopfflagge. Doch nur wenige wissen, dass viele Seeräuber ihre Beute teilten, demokratische Versammlungen abhielten und Frauen und entlaufene Sklaven aufnahmen. Die fortschrittlichen Gemeinschaften der Freibeuter spiegeln sich auch in Daniel Defoes 1728 erschienenem Bericht über die Piratenrepublik Libertalia wider, die hier zum ersten Mal auf Deutsch erscheint. Defoe schildert die Geschichte des abenteuerlustigen Edelmanns Mission und des desillusionierten Priesters Caraccioli, die auf Madagaskar eine auf Toleranz, gerechter Verteilung von Besitz und radikaler Demokratie beruhende Piratenbruderschaft gründen, um Sklaven aus der Gefangenschaft zu befreien. Während die Republik in Defoes Geschichte schließlich niedergeschlagen wird, lebt Libertalia als herrschaftsfreie Utopie bis heute weiter. Ergänzt um historische Piratensatzungen und Reiseberichte erläutert ein ausführlicher Kommentar die politischen Ideen der Piraten.
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Seitenzahl: 315
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Libertalia
Daniel Defoe
D I EU T O P I S C H EP I R A T E N R E P U B L I K
aus der Allgemeinen Geschichte der Piratenzusammen mit den Piratensatzungender Kapitäne Roberts, Lowther und Phillips
in deutscher Erstausgabe
sowie Die Beschreibung der Regierung,Gewohnheiten und Lebensart der Seeräuberauf Madagaskar von JACOB DE BUCQOUY
Übersetzt vonDavid Meienreis und Arne Braun
Herausgegeben und eingeleitetvon Helge Meves
Texte über Libertalia
Daniel Defoe. Eine Allgemeine Geschichte der Piraten
Jacob de Bucquoy. Sechzehnjährige Reise nach Indien
Kommentar und Anmerkungen zu Libertalia
Nachwort: Wege nach Libertalia
Eine Insel im tosenden Meer
Träume vom Nirgendwo und Spuren einer besseren Welt
Freiheit und Gleichheit Erzählen
Zu den Quellen Libertalias, zu Übersetzung und Rezeptionsgeschichte
Eine anonyme Legende
Libertalias gleißendes Licht. Zur Rezeptionsgeschichte
Wegweiser zu neueren Debatten
Erläuterungen zu den Texten und Nachweise zum Kommentar
Auswahlbibliografie zu Libertalia
M I Tden beachtlichen Taten und Abenteuerndes Kapitäns Misson und des Kapitäns Tew
nach der Ausgabe A General History of the Pyratesvon Manuel Schonhorn, Dover Publications Inc.,Mineapolis / New York, 1972, 2nd edition, 1999
DANIEL DEFOE
übersetzt von David Meienreis
Wir können das Leben dieses Edelmanns mit einiger Ausführlichkeit beschreiben, denn durch großen Zufall haben wir das Glück, in unseren Händen ein französisches Manuskript zu halten, in dem er selbst seine Handlungen in reichem Detail schildert. Er wurde in der Provence als Sohn einer altehrwürdigen Familie geboren; sein Vater, dessen wahren Namen er nicht preisgibt, verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Da er aber viele Kinder hatte, konnte unser Streuner nur auf die Reichtümer hoffen, die er sich selbst mit seinem Schwerte zu erobern vermochte. Seine Eltern sorgten dafür, dass er eine seinem Stande gemäße Ausbildung erhielt. Nachdem er sich in den Fächern des Geistes und der Logik bewährt hatte und weidlich in der Mathematik bewandert war, schickten sie ihn im Alter von 15 Jahren auf die Universität zu Angers, wo er ein Jahr lang dem Studium nachging. Im Anschluss an seine Heimkehr sah sein Vater ihn schon bei den Musketieren mittun, aber ihn zog es in die Ferne. Tief beeindruckt von den Erzählungen, die er in Reiseberichten gelesen hatte, wählte er ein Leben zur See, das ihm reiche Abwechslung und Gelegenheit bieten sollte, seine Neugierde auf ferne Länder zu stillen. Als diese Entscheidung gefallen war, schickte sein Vater ihn mit einem Empfehlungsschreiben und allem, was er brauchte, als Volontär an Bord der Victoire, die unter dem Kommando seines Verwandten Monsieur Fourbin stand. Der Empfang an Bord durch den Kapitän verlief mit dem denkbar größten Respekt. Das Schiff lag in Marseille und sollte auf Missons Ankunft hin in See stoßen. Nichts hätte den Wünschen unseres Volontärs besser entsprechen können als diese Kreuzfahrt, auf der er die bekanntesten Häfen des Mittelmeers kennenlernte und Einsicht in die praktischen Aspekte der Navigation erlangen konnte. Er gewann dieses Leben lieb und war entschlossen, ein vollwertiger Seemann zu werden, weshalb er immer unter den Ersten auf der Rahe anzutreffen war, wenn die Segel gehisst oder eingeholt werden mussten, und er lernte begierig die verschiedenen Methoden, ein Schiff zu manövrieren. Er sprach von nichts anderem und besuchte den Bootsmann und den Schiffszimmermann oft in ihren Kajüten, um sich erklären zu lassen, aus welchen Teilen der Schiffsrumpf bestehe und wie man ein Schiff auftakele, und dafür entlohnte er sie großzügig. Und obwohl er einen Großteil seiner Zeit mit diesen beiden Offizieren verbrachte, benahm er sich mit solcher Zurückhaltung, dass sie nie versuchten, mit ihm vertraulich zu werden, sondern ihm stets den Respekt zollten, der seiner Familie gebührte. Als das Schiff in Neapel vor Anker lag, erhielt er von seinem Kapitän Erlaubnis, nach Rom zu fahren, das er unbedingt besuchen wollte. Auf diesen Zeitpunkt können wir den Beginn seines Unglücks festlegen. Denn dort wurde er des ausschweifenden Lebens des Klerus (das sich so deutlich von der Strenge der französischen Ecclesiasten unterscheidet) ansichtig, des Luxus des päpstlichen Hofes und des Umstands, dass sich in der Metropole der christlichen Kirche lediglich die Hülle der Religion finden ließ. Er schloss für sich, dass die Religion nichts als eine Fessel für den Geist der Schwachen sei, der sich die Klugen nur dem Schein nach unterwerfen.
Diese Ansichten, die von der Religion wie von ihm selbst ein unvorteilhaftes Bild zeichnen, wurden noch stark gefestigt, als er mit einem durchtriebenen Priester Bekanntschaft machte, der bei seiner Ankunft durch reinen Zufall als sein Beichtvater zu ihm stieß und später seine rechte Hand und sein Gefährte werden sollte, denn er blieb bis zu seinem Tod an seiner Seite. Eines Tages, als die Gelegenheit sich bot, legte er Misson dar, dass das religiöse Leben ein sehr gutes sei, wenn ein Mann über einen gewitzten Unternehmergeist und Freunde verfügte. Denn ein solcher könne in der Kirche binnen kurzer Zeit zu einem hohen Rang aufsteigen, wie ihn alle, die sich freiwillig die Priesterrobe überstreiften, einzig und allein anstrebten. Der Kirchenstaat werde ferner nach denselben Prinzipien geführt wie die weltlichen Freistädte und Königtümer; und belohnt werde einzig, was Vorteil bringe, nicht etwa, was fromm oder tugendhaft sei. Ein gelehrter oder frommer Mann könne sich im nicht mehr Hoffnungen machen als in jedweder anderen Monarchie, ja eigentlich weniger. Und wenn er als solcher bekannt sei, würde er als Visionär gebrandmarkt, der zu Ämtern nicht geeignet sei, als einer, dessen moralische Vorbehalte sich als hinderlich erweisen könnten, denn der Ausspruch sei wahr, dass Religion und Politik nicht unter demselben Dach hausen können. Was unsere Würdenträger angeht, glaube nicht, dass ihre purpurnen Gewänder sie zu weniger gerissenen Staatsmännern machen als die jeder anderen Nation; sie kennen und verfolgen die mit ebenso viel List und so wenig Gewissen wie jeder beliebige Weltliche und sind ebenso kunstfertig, wo es Kunst braucht, und ebenso unverschämt und dreist in der Unterdrückung der Menschen und der Bereicherung ihrer Familien, sobald ihre Macht es ihnen erlaubt. Was ihre Moral ist, liest du am besten an den Gewohnheiten ihres Lebens ab, und was sie von der Religion halten aus dem Ausspruch eines gewissen Kardinals, – was viele von ihnen verkünden könnten, wenn sie nicht zu schlau wären, es herauszuposaunen. .
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