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Die große Afrika-Trilogie des Dänen Jakob Ejersbo
TANSANIA IN DEN ACHTZIGER JAHREN: Christian ist der Sohn dänischer Eltern, die in Afrika als Entwicklungshelfer arbeiten und deren Ehe unter großen Spannungen leidet. Er fühlt sich zunehmend allein gelassen und freundet sich in seiner Not schließlich mit Marcus an, einem schwarzen Jungen aus einer noch problematischeren Familie. Die Dinge spitzen sich zu, als die Streitigkeiten seiner Eltern immer schwerwiegender werden und seine Schwester bei einem Autounfall ums Leben kommt. Er sucht Trost und Halt in seiner Freundschaft zu Marcus, aber auch hier läuft nicht alles so wie gedacht: Der weiße Junge wünscht sich nichts sehnlicher, als schwarz zu sein – und der schwarze Junge nichts mehr, als ein Weißer zu sein …
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Seitenzahl: 1322
Jakob Ejersbo
Liberty
Roman
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Die dänische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel»Liberty« bei Gyldendal, Kopenhagen
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2009 by Jakob Ejersbo und Gyldendal
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-06091-6
www.btb-verlag.de
Für Garvey Dread & die Fremden
I’ll let you be in my dream if I can be in yours.
BOB DYLAN: »Talkin’ World War III Blues«
Tropische Hitze schlägt mir entgegen, als ich aus dem Flugzeug steige – in der Ferne erkenne ich die weiße Schneekrone des Kilimandscharo in der Dämmerung. Vor dem flachen Flughafengebäude lungert eine Gruppe Schwarzer an ein paar schäbigen Gepäckwagen herum und raucht Zigaretten.
»Willkommen in Afrika«, sagt Vater und legt mir eine Hand auf die Schulter, als ich die Treppe hinuntergehe. Die Triebwerke des Flugzeugs sind abgeschaltet. Das einzige Geräusch kommt von den Zikaden. Der Flughafen hat lediglich eine Landebahn, außer unserer Maschine gibt es keine weiteren Flugzeuge.
Ich schaue auf die schwarzen Männer. Eine dicke schwarze Frau redet wütend in Swahili auf sie ein. Sie grinsen und ziehen langsam die rasselnden Gepäckwagen zum Bug der Maschine. Dann werden ihre Gesichter ausdruckslos.
Heute früh war der zweite Weihnachtstag und ich ein dänischer Junge, der mit seiner Mutter am Rand von Køge wohnte. Nun soll ich in Tansania leben und auf die Internationale Schule gehen. Die Familie soll bald wieder vereint sein. Vaters Zeit als Abgesandter der Reederei Mærsk in Fernost ist vorbei. Im Oktober wurde meine kleine Schwester geboren, Mutter kommt mit ihr in ein paar Monaten nach. Alles hat sich grundlegend geändert.
»Es dauert eine Weile, bis das Gepäck kommt«, sagt Vater. Wir gehen an schulterhohen Pflanzen mit gezackten, ledrigen Blättern vorbei. In dem Betongebäude ist es dunkel.
»Wieso gibt es hier kein Licht?«
»Wahrscheinlich ist der Strom ausgefallen«, antwortet Vater. »Sie werden vermutlich gleich den Generator anwerfen.« Ich halte mich neben ihm, während andere Weiße, vereinzelte Schwarze und einige Inder in die dunkle Ankunftshalle kommen. Wir sind in Amsterdam umgestiegen und in Rom und Oman zwischengelandet. Irgendwo im Flughafengebäude rumpelt ein Motor, und kurz darauf beginnen ein paar Glühbirnen an der Decke schwach zu glimmen.
»Niels, Niels«, ruft eine Frauenstimme auf Schwedisch. Vater dreht sich um.
»Hej«, ruft er und winkt. »Das ist Katriina«, sagt er zu mir und geht auf die Trennwand aus Glas zu. Er hat mir erzählt, dass ihn eine schwedische Familie zum Flughafen gebracht hat und wir von ihnen in Vaters Wagen abgeholt werden. Ich schaue mir die reglos dastehenden Polizisten mit ihren Maschinenpistolen an, die an einem Gurt schräg vor ihrer Brust hängen. Ich folge Vater.
»Ah, das ist also Christian«, sagt die Frau und nickt lächelnd. »Hej, ich heiße Katriina.« Sie trägt ein dünnes Sommerkleid und Sandalen.
»Hej«, erwidere ich und versuche zu lächeln. Vater erzählt ihr irgendetwas über die Reise; es ist eigenartig, dass er hier mit einer fremden Frau redet und Mutter in Dänemark ist.
»Und wie war es, deine kleine Tochter zu sehen?«, erkundigt sich Katriina.
»Sehr schön. Und meine Frau freut sich, hierherzukommen.« Ich höre ein Geräusch und drehe mich um. Das Gepäckband steht still, die Koffer fliegen durch ein Loch in der Mauer. Ein dünner Schwarzer in einer schmutzigen hellblauen Uniform klettert durch das Loch und wirft die Koffer anschließend auf den Boden.
Wir suchen unser Gepäck und gehen zur Passkontrolle. Der Beamte starrt lange auf die Fotografie und lange auf mich. Ich versuche, ihn anzulächeln. Plötzlich greift er nach einem Stempel, knallt ihn auf ein Stempelkissen und in den Pass – drei verschiedene Stempel; schließlich nimmt er einen Kugelschreiber und schreibt noch einiges auf die Seite. Er gibt mir den Pass zurück.
»Welcome to Tanzania«, sagt er in einem merkwürdigen Englisch und lächelt breit. An der Zollkontrolle steht ein unablässig schwitzender dicker Mann. Er gibt mir mit einem Zeichen zu verstehen, dass ich meine Tasche öffnen soll. Mit seinen fleischigen Händen wühlt er darin herum, nimmt meinen Fußball heraus, sagt eine Menge Unverständliches und lächelt, während er den Ball auf den Boden springen lässt und wieder auffängt.
»Er meint, das sei ein guter Ball«, sagt Vater.
»Ist er ja auch«, sage ich und lächele den Mann an. Nervös. Ich weiß nicht, was sein Lächeln zu bedeuten hat. Gibt es ein Problem? Er legt den Ball zurück, malt mit einem Stück Kreide ein Kreuz auf die Tasche und schiebt sie mir mit einem Nicken zu.
»Football, very good«, sagt er. Vater ist vorausgegangen. Die schwedische Frau umarmt ihn. Mir reicht sie glücklicherweise die Hand. Sie hat große Brüste.
»Wie alt bist du?«, fragt sie mich auf Schwedisch.
»Dreizehn«, antworte ich.
»Meine Tochter ist acht. Außerdem wohnt mein Neffe bei uns, er ist fünfzehn. Solja und Mika.« Sie nimmt mir die Tasche ab. »Wir werden jetzt zu uns nach Hause fahren und etwas essen, wir veranstalten ein kleines Willkommensfest für euch. Wir haben ein neues Haus.«
»Ohne Ratten?«, erkundigt sich Vater.
»Ja«, sagt Katriina. »Und wir haben ein Kindermädchen, das Marcus heißt.«
»Einen Mann?«, fragt Vater.
»Einen Jungen«, erwidert Katriina. »Er ist Waise und war bei ein paar Deutschen, die zurückgegangen sind. Solja und Mika haben ihn gefunden. Er hat beim Pastor in Moshi gewohnt, der ihn zur Feldarbeit missbrauchte.«
Wir gehen zum Auto, einem weißen Peugeot 504 mit dem Lenkrad auf der falschen Seite. Absolute samtweiche Dunkelheit. Wir passieren einen Wachtposten mit Schlagbaum, verlassen das Flughafengelände und fahren durch die Nacht. Die Straße ist gerade, die Landschaft eben. Keine Straßenbeleuchtung, keine Gebäude. Die Lichtkegel der Frontscheinwerfer fegen über graugrünes Gebüsch am Straßenrand.
Vor drei Monaten begann Vater als Chef der Buchhaltung einer Zuckerplantage, die TPC heißt – Tanzania Planting Corporation. Sie gehörte der Reederei Mærsk, wurde aber von der tansanischen Regierung verstaatlicht. Doch für die nächsten Jahre hat Mærsk noch einen Vertrag und soll den Eingeborenen beibringen, die Plantage zu betreiben. Sie liegt ein Stück südlich der Stadt Moshi, in der auch die Schule ist. Vater dreht sich auf dem Vordersitz um.
»Bist du okay, Christian?«
»Wann fahren wir zu unserem Haus?«, möchte ich wissen.
»Später«, sagt Vater. »Es ist erst sieben.« Er hat mir erzählt, dass die Dunkelheit am Äquator früh und sehr plötzlich kommt. Mein Kopf fühlt sich leicht an. Ich könnte töten für eine Zigarette.
»Okay«, sage ich und schaue aus dem Fenster, der Himmel ist mit klaren Sternen übersät, die sich bis zum Horizont erstrecken.
Wir erreichen eine T-Kreuzung, an der Holzschuppen und kleine gemauerte Häuser ein schwaches Licht in die Dunkelheit werfen. Es sind Läden auf bloßem Erdboden. Dunkle Gestalten bewegen sich zwischen ihnen. Wir biegen rechts ab in Richtung Moshi.
»Dies ist eine der besten Straßen des Landes«, erklärt mir mein Vater. »Fast keine Schlaglöcher.« Die Dunkelheit hüllt uns völlig ein. Es gibt so gut wie keinen Verkehr, und Katriina fährt schnell. Die Straße beginnt, kurviger zu werden, und führt bergab in eine Schlucht – die vorderen Scheinwerfer erleuchten steile Felswände auf beiden Seiten.
»Was ist das denn!?«, stößt Katriina aus und tritt die Bremse durch, gleichzeitig reißt sie das Lenkrad herum, um einem großen belaubten Ast auszuweichen, der auf unserer Seite der Straße liegt. Die Bremsen blockieren, der Wagen rutscht auf den Ast und schiebt ihn vor sich her, bis wir zum Stehen kommen.
»Dort hält jemand«, sagt Vater. Ein Stück weiter vorn kann ich undeutlich einen dunklen Kasten erkennen, die Scheinwerfer liefern nur ein diffuses Licht durch das Laub des Asts.
»Straßenräuber?«, fragt Katriina.
»Glaub ich nicht«, erwidert Vater und öffnet die Tür. »Der Ast ist ein tansanisches Warndreieck.« Ich steige ebenfalls aus und helfe ihm, den Ast von der Frontpartie des Wagens zu ziehen, während Katriina zurücksetzt. Wie ich jetzt erkennen kann, handelt es sich bei dem Kasten um einen Lastwagen, der an eine der Felswände geprallt ist und quer auf der Fahrbahn steht – ein großer frischer Zweig steckt an der hinteren Stoßstange. Wir schleppen den Ast wieder an seinen Platz auf der Fahrbahn. Bei dem verunglückten Lastwagen sehe ich niemanden mehr.
»Was glaubst du, ist passiert?«
»Bremsversagen«, meint Vater. »Der Fahrer ist vermutlich gegen den Felsen gefahren, um den Laster zu stoppen.« Wir setzen uns ins Auto.
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