Liebe in Zeiten des Sturms - Madge Swindells - E-Book
SONDERANGEBOT

Liebe in Zeiten des Sturms E-Book

Madge Swindells

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer das Glück sucht, muss kämpfen: der fesselnde Roman »Liebe in Zeiten des Sturms« von Erfolgsautorin Madge Swindells jetzt als eBook bei dotbooks. Drei Frauen, schön und unnahbar wie Eisblumen … doch was geschieht, wenn ihre Herzen schmelzen? – Funkelnder Schnee und sportliche Höchstleistungen: Die Welt macht sich bereit für die Olympischen Winterspiele in Sarajewo! Unter den Athleten sind auch Nikki Petrowna, eine russische Eiskunstläuferin von atemberaubender Schönheit, und die Amerikanerin Jacqui Douglas, eine skrupellose Ski-Abfahrtsläuferin. Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein, doch was sie verbindet ist ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Erfolg. Aber Träume haben einen hohen Preis – das weiß keine so gut wie Megan Carroll, Leiterin einer Sportagentur, die ihre Chance gekommen sieht, mit Nikki und Jacqui ins ganz große Geschäft einzusteigen. Noch ahnt Megan nicht, dass es etwas gibt, was ihre ehrgeizigen Pläne zu Fall bringen kann: die Liebe … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der ebenso bewegende wie mitreißende Frauenschicksalsroman »Liebe in Zeiten des Sturms« von Madge Swindells ist ein Lesevergnügen für alle Fans von Danielle Steel, Barbara Taylor Bradford und Nora Roberts. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1004

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Drei Frauen, schön und unnahbar wie Eisblumen … doch was geschieht, wenn ihre Herzen schmelzen? – Funkelnder Schnee und sportliche Höchstleistungen: Die Welt macht sich bereit für die Olympischen Winterspiele in Sarajewo! Unter den Athleten sind auch Nikki Petrowna, eine russische Eiskunstläuferin von atemberaubender Schönheit, und die Amerikanerin Jacqui Douglas, eine skrupellose Ski-Abfahrtsläuferin. Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein, doch was sie verbindet ist ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Erfolg. Aber Träume haben einen hohen Preis – das weiß keine so gut wie Megan Carroll, Leiterin einer Sportagentur, die ihre Chance gekommen sieht, mit Nikki und Jacqui ins ganz große Geschäft einzusteigen. Noch ahnt Megan nicht, dass es etwas gibt, was ihre ehrgeizigen Pläne zu Fall bringen kann: die Liebe …

Über die Autorin:

Madge Swindells wuchs in England auf und zog für ihr Studium der Archäologie, Anthropologie und Wirtschaftswissenschaften nach Cape Town, Südafrika. Später gründete sie einen Verlag und brachte vier neue Zeitschriften heraus, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Bereits ihr erster Roman, »Ein Sommer in Afrika«, wurde ein internationaler Bestseller, dem viele weitere folgten.

Die Website der Autorin: www.madgeswindells.com

Bei dotbooks veröffentlichte Madge Swindells ihre großen Familien- und Schicksalsromane »Ein Sommer in Afrika«, »Die Sterne über Namibia«, »Eine Liebe auf Korsika«, »Die Rose von Dover«, »Das Erbe der Lady Godiva« und »Die Löwin von Johannesburg« sowie ihre Spannungsromane »Zeit der Entscheidung«, »Im Schatten der Angst«, »Gegen alle Widerstände« und »Der kalte Glanz des Bösen«.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1986 unter dem Originaltitel »Shadows of Snow« bei McDonald & Co (Publishers) Ltd, London/Sydney. Die deutsche Erstausgabe erschien 1989 unter dem Titel »Wenn die Eisblumen blühen« bei Bastei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1986 by Madge Swindells

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1989 für die deutschsprachige Ausgabe

by Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/DmyTro, katya.fonograf, Igor Meshkov, Andrew Mayovskyy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-266-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Liebe in Zeiten des Sturms« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Madge Swindells

Liebe in Zeiten des Sturm

Roman

Aus dem Englischen von Christel Rost

dotbooks.

Kapitel 1

Sarajewo, 26. Januar 1983

Sie war eine waschechte Städterin, die sich in allen Metropolen dieser Welt zu Hause fühlte. Sie war mit allen Winkelzügen des internationalen Sportmanagements vertraut, und sie verstand es vorzüglich, die Wettkämpfe und Siege der von ihr betreuten Stars in klingende Münze zu verwandeln. Sie war Amerikanerin, sechsundzwanzig Jahre jung und ebenso tüchtig wie ehrgeizig. Zu den Weltcup-Rennen nach Sarajewo war sie gekommen, um Ausschau nach neuen Skitalenten zu halten und, wenn möglich, noch gleich an Ort und Stelle Verträge mit ihnen abzuschließen. Gleich an Ort und Stelle – das war Megan Carrolls Art.

In London hatte es geregnet, und Megan war froh gewesen, die Stadt verlassen zu können. Nach langer Warterei in den zugigen Hallen des Belgrader Flughafens hatte ihre Begeisterung jedoch einen merklichen Dämpfer erfahren. Des Nebels wegen war die Anschlußmaschine nach Sarajewo erst mit fünf Stunden Verspätung gestartet, und der folgende ungemütliche Flug paßte zu diesem deprimierenden Tagesverlauf wie das Tüpfelchen aufs I. Und nun der trostlose Flughafen von Sarajewo. Überall Zeichen der Armut im trüben Licht der Neonlampen, eine spärliche, ja karge Ausstattung. Das einzige Kriterium, an das man sich konsequent gehalten zu haben schien, war die totale Mißachtung jeglichen Komforts.

Megan eilte in den Waschraum, um sich frisch zu machen. Sie wollte sich gerade das Gesicht mit kaltem Wasser betupfen, als ihr eine verhärmt aussehende Putzfrau die Hand auf den Arm legte. Die Frau sprach sie an, und es klang fast unterwürfig.

»Sie sind Amerikanerin, ja? So schöne Sachen kann man nur in Amerika kaufen.« Sie trat einen Schritt zurück und bewunderte Megans Nerzmantel, der mit einem Ledergürtel um die schmale Taille geschlossen wurde, sowie den Hut aus Fuchspelz, unter dem ein paar vorwitzige braune Locken hervorlugten. Der graue Lidschatten, der die großen, tiefblauen und weit auseinanderliegenden Augen betonte, entging ihr ebensowenig wie das Makeup, das die Sommersprossen auf der glatten, hellen Haut geschickt verbarg. Die empfindsamen Lippen schienen ein eigenständiges Leben zu führen, sobald sie sich zu einem feinen Lächeln verzogen. In Megans schönem Gesicht spiegelten sich Selbstbewußtsein, Mitgefühl und Aufrichtigkeit.

Die Frau starrte sie an. Was für ein Leben mußte es sein, das solche Gesichter hervorbrachte!

Sie merkte, daß sie die Jüngere in Verlegenheit brachte. »Verzeihen Sie«, murmelte sie. »Das war sehr unhöflich von mir. Ich vergaß vollkommen … Sie sind zu den Skirennen hier, ja? Es werden noch mehr Leute wie Sie kommen – noch viel mehr! Und alles wird ein bißchen besser werden…«

Megan trat zurück, zutiefst gerührt von der Sehnsucht der Jugoslawin. Sie nahm ihr besticktes Tuch aus Schweizer Batist ab und reichte es der Putzfrau. »Nehmen Sie es«, sagte sie. Die Frau wich schüchtern zurück. »Doch, bitte …« Megan drückte ihr den Schal in die Hände, und die Dankbarkeit der armen Frau trieb ihr beinahe die Tränen in die Augen. »Bitte … Ein Geschenk aus dem Westen. Es ist ja nur eine Kleinigkeit, wirklich.«

Hastig verließ Megan den Waschraum. Das Erlebnis stimmte sie traurig; sie mußte sich zusammenreißen. Sie kannte ihr ausgeprägtes Mitgefühl für andere, und im allgemeinen hütete sie sich vor derlei Empfindungen. Schwächen wie diese waren ihrer beruflichen Karriere abträglich; sie waren das Zeichen einer Verliererin.

Sie blickte um sich und schauderte unwillkürlich. Was für triste Gesichter, was für triste Kleider! Doch das Lächeln der Flughafenangestellten war warm und kam von Herzen, wenn sie den Neuankömmlingen zuraunten: Dobrodosli, bienvenido, bienvenue, welcome – willkommen in Sarajewo!

Für die jungen Skisportler, die durch die Türen drängelten und ihre Ausrüstung zusammensuchten, war Sarajewo lediglich eine weitere Station im rastlosen internationalen Skizirkus, und keine sonderlich aufregende dazu. Auf die Berge kam es ihnen an und auf den Schnee, alles andere war ihnen egal. Sie hegten keine hochgesteckten Erwartungen. Sarajewo war allerdings zum erstenmal Austragungsort der Weltcup-Rennen, jungfräuliches Territorium sozusagen, und das gab der Sache doch einen gewissen Reiz.

Organisatoren, Trainer, Skiläufer und Ärzte aus nahezu allen Nationen überfluteten das Foyer. Während die Lautsprecher eine weitere Landung ankündigten, kämpfte sich Megan zur Gepäckrampe durch.

In der Haupthalle herrschte das reinste Chaos. Hunderte von jungen Menschen in bunter Skikleidung rangelten um Taxis, Auskünfte, Stadtpläne, Busse und Wechselgeld; Deutsch, Norwegisch, Englisch, Französisch und ein Dutzend anderer Sprachen schallten durcheinander. Sie umlagerten die Kassen der Bank und sahen ungläubig auf ihre neuerworbenen, nahezu wertlosen Dinare, die die Schalter überschwemmten. »He, Mark, guck dir das bloß mal an! Meinst du, damit kann ich mir den Tadsch Mahal kaufen?« Gleich bündelweise wurde das Papiergeld in Jacken- und Brieftaschen verstaut. »Mensch, Leute, davon nehm’ ich mir ’n Koffer voll mit heim und tapezier’ das Klo!« – »Mannomann, jetzt weiß ich endlich, wie man sich als Milliardär fühlt!«

Das Lächeln der jugoslawischen Funktionäre wirkte nun doch etwas angestrengt, und Megan fühlte sich eigenartigerweise schuldig. Die Jugend krakeelte und schlug über die Stränge, getragen von dem herrlichen, befreienden Gefühl, weit weg von zu Hause und doch nicht allein zu sein. Kein Wunder, daß sich alle aufführten wie die Großmoguln. Die Polizisten, für die die Ausländer eine Fülle von unvorhersehbaren Schwierigkeiten und unzählige Überstunden mit sich brachten, stellten freundliche Langmut zur Schau. Die Thekenmädchen der Cafeteria überhörten die dummen Bemerkungen über altbackene Brötchen und abgestandenen Kaffee und lächelten unbeirrt weiter. Die Jugoslawen neigten offenbar nicht zu überschäumender Herzlichkeit, doch wenn sie »Willkommen!« sagten, so war ihnen anzusehen, daß sie es ehrlich meinten.

Megan wußte selbst nicht, weshalb sie sich über das Geschwätz ihrer Landsleute so ärgerte. Du bist ja schon beinahe ein Snob, wies sie sich selbst zurecht. Wen interessiert es schon, wenn so ein paar junge Schaumschläger hier Rabatz machen? Kaum ein Jahr in London, und schon bist du britischer als die Queen!

Dicht hinter sich hörte sie jemanden murmeln. Die Stimme war so tief, daß sie wie ein Knurren klang.

»Noch ein solcher Haufen Yankees, und die Jugoslawen haben fürs erste die Nase voll vom Westen!«

Erstaunt drehte Megan sich um. Der Mann hinter ihr wirkte so aufgebracht, daß sie unwillkürlich lächeln mußte. Seine Wangen waren von Röte überzogen, seine Lippen vorwurfsvoll zu einem Strich zusammengepreßt. Warum, in aller Welt, regte er sich dermaßen auf?

»Ich glaube, sie brauchen uns viel nötiger als wir sie«, gab sie zurück. Ihr ungewollter Patriotismus überraschte sie selbst.

Der Mann war groß, athletisch gebaut und sportlich gekleidet. Zu grauen Flanellhosen trug er ein dunkelblaues Hemd mit Pullover, darüber einen Anorak. Dennoch wirkte er keineswegs salopp, ganz im Gegenteil: Er hielt sich, als trüge er eine Uniform. Sein Gesicht – scharfe Züge und hohe Wangenknochen – verriet Charakter. Unter buschigen, braunen Brauen lagen tiefblaue Augen, der dunkle Lockenschopf war kurzgeschnitten und energisch zurückgekämmt, und die kurze, gerade Nase saß über einem breiten Mund, dessen Unterlippe eine tiefe Einkerbung aufwies. Die rosigen Wangen und die Sommersprossen, fand Megan, waren genau das, was diesem Gesicht noch gefehlt hatte, um es durch und durch britisch erscheinen zu lassen.

Der Fremde bedachte sie mit einem raschen, forschenden Blick, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln geheuchelter Betroffenheit. »Sie nicht«, sagte er anzüglich, »das kann ich Ihnen versichern. Lediglich Ihre Dollars.« Dann fügte er hinzu: »Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe Sie in Heathrow gesehen und daraus den falschen Schluß gezogen.«

Er eilte davon. Einen Moment lang war Megan irritiert, weil sie nicht wußte, wo sie seine Aussprache einordnen sollte. Sie klang nach englischer Public School, aber nicht ganz, nur beinahe: Dazu waren die Konsonanten zu hart und die Vokale zu rund. Ein Schotte, dachte sie in plötzlicher Erkenntnis, er ist Schotte!

»Was für ein Bursche!« entfuhr es ihr.

»O Gott! Hast du diese grauenvolle Cafeteria gesehen?«

Die gequälte, überdrüssige Stimme gehörte einem jungen Mädchen. Schon auf dem Flug hatte Megan sie alles aufzählen hören, was ihr an der Fluglinie nicht paßte. Was sie hier wohl zu suchen hatte? Sie war ganz offensichtlich zu reich, zu verwöhnt und zu unzufrieden. In Sankt Moritz wäre sie vielleicht nicht weiter aufgefallen, aber hier wirkte sie fehl am Platze; denn die Lebensfreude, die die passionierten Skiläufer auszeichnete, schien ihr vollkommen abzugehen. Ihre Kleidung war geradezu bizarr: eine billige Strickmütze zu wattierten Skihosen und einer beinahe knielangen Hermelinjacke.

»Ich hab’s allmählich satt bis obenhin! Eure bescheuerten Sparmaßnahmen sind mir scheißegal. Ich will nichts mehr davon hören! Und ich wohne, wo’s mir paßt, verdammt noch mal!«

»Du wohnst genau da, wo wir alle wohnen, Jenny. Ich kann nicht mit einer Mannschaft arbeiten, die in alle Himmelsrichtungen verstreut ist.«

Megan erkannte den britischen Trainer an seinem Hochlanddialekt. Sie mochte und bewunderte ihn; er schien die Situation vollkommen im Griff zu haben. Das Mädchen war unüberhörbar Amerikanerin – dennoch lief sie für Großbritannien. Die Überraschungen nahmen heute offenbar kein Ende!

Jennys Antwort ging unter im Geschrei und Gelächter des französischen Teams, das soeben versuchte, seine gesamte Ausrüstung einschließlich der Skier in drei klapprigen Taxis zu verstauen.

Megans Stiefel knirschten auf dem festgetretenen Schnee. Meilenweit um den Flughafen erstreckte sich nichts als leere Landschaft. Aus der Ferne blinkten bläßlich die morgendlichen Lichter von Sarajewo her. Die Stadt lag inmitten einer ungeheuren Ebene, an deren Peripherie sich jäh steile Berge erhoben, die das weite Rund zu einem gigantischen Amphitheater machten.

Megan reihte sich in die Schlange der Wartenden ein und stieg schließlich in den Fond eines verbeulten gelben Lada, wo sie zu ihrer Überraschung feststellte, daß sie das Taxi mit einem weiteren Fahrgast teilen mußte. Der Mann, der hinter ihr gestanden hatte, wurde in barschem Ton aufgefordert, nicht so herumzutrödeln, sondern schnellstens einzusteigen.

Er lüpfte seine Pelzmütze und quetschte sich auf den Rücksitz neben Megan, die mehrmals blinzeln mußte, weil sie ihren Augen nicht traute: Dieser Mann war zu schön, um wahr zu sein! Dichtes, schwarzes Haar, ebensolche Brauen, seelenvolle dunkle Augen, ebenmäßige Züge, eine glatte, gebräunte Haut und blitzende weiße Zähne, sobald er lächelte, und das schien er unentwegt zu tun. Seine auffällige Schönheit traf Megan wie ein Schock und schüchterte sie geradezu ein. Sein Lächeln war seltsam persönlich; er tat, als kennten sie sich schon seit Jahren, und dennoch war sich Megan vollkommen sicher, ihn nie zuvor gesehen zu haben. Welche Frau vergaß schon ein solches Gesicht!

»Was für ein glücklicher Zufall!« Sein Englisch hatte einen starken französischen Akzent. »Ich hatte mir erhofft, Sie zu treffen. Nun hat mir das Schicksal in die Hände gespielt!«

Megan stöhnte innerlich. Da war sie wohl einem regelrechten Phrasendrescher in die Hände gefallen! Sie bemühte sich um ein geistesabwesendes Lächeln und guckte angelegentlich in die weite Ebene hinaus.

»Wohin fahren Sie?« fragte er beharrlich, wobei seine Blicke wohlwollend Kleidung, Gepäck und Handtasche seiner unfreiwilligen Beifahrerin streiften.

»Palace Hotel in Sarajewo.«

»Ich auch.« Er sprach in schnellem Serbokroatisch auf den Fahrer ein. Megan beobachtete ihn, und ihre Augen spiegelten ihre Verblüffung wider.

»Ich bin Michel Juric«, stellte er sich vor. »Freier Journalist, derzeit wohnhaft in Paris. Ursprünglich stamme ich jedoch aus Jugoslawien.«

»Ich bin Megan Carroll.« Sie lächelte charmant. »Sportagentin.« Die Presse war ein wertvoller Verbündeter in ihrem Geschäft. Megan beschloß daher, die langweilige halbe Stunde, die sie mit Juric verbringen mußte, lächelnd über sich ergehen zu lassen.

Doch während der Taxifahrt zum Hotel entdeckte Megan, daß Juric ganz und gar nicht langweilig war. Er war schlau und raffiniert und ungemein beschlagen, was die Sportwelt und ihre großen Stars anbetraf. Er behauptete sogar, schon von Megan gehört zu haben.

»Sie müssen das Wunderkind sein, das die International Sports Agency nach London geschickt hat, um die Briten wachzurütteln«, sagte er.

»Unsinn!« rief sie aus. »Ich habe keinerlei Anspruch auf eine solche Bezeichnung. Aber wie kommt’s, daß Sie ISA kennen?« Sie konnte ihre Überraschung kaum verbergen.

Juric lächelte und sagte: »Ihr Laden wird allmählich bekannt. Macht den Großen der Branche Konkurrenz. Und im übrigen hab’ ich mich ein paarmal mit John Oberholtzer unterhalten.«

»Im Ernst? Sie kennen meinen Chef?« Megan verspürte eine Woge der Wärme für diesen Fremden aufsteigen, der nun kein ganz Fremder mehr zu sein schien. Schön, einen Freund hier zu haben, dachte sie – doch ihre Freude war nur von kurzer Dauer.

Juric grinste boshaft. »Vielleicht haben Sie neulich meinen Artikel gelesen. Der Athlet hat ihn gebracht.«

»Ja, das heißt – Sie haben den also geschrieben…?« Der Artikel war eine Abrechnung mit Sportagenturen im allgemeinen und mit ISA im besonderen gewesen. Er war bösartig, voller Vorurteile und vollkommen unfair. Der Autor hatte sich sogar zu der Behauptung verstiegen, die großen Agenturen beabsichtigten, den Sport in eigene Regie zu übernehmen – selbstverständlich zu jedermanns Nachteil.

»Oberholtzer hat mit einer Klage gedroht, doch am Ende kam natürlich nichts dabei heraus. Das ist immer so.«

»Na ja«, sagte Megan zweifelnd. »Wenigstens sind Sie ehrlich. Himmel, wie unangenehm!« rief sie aus, als das Auto schlingerte und sie gegen ihn stieß.

»Macht Ihnen das nichts aus – daß Sie in der Sportwelt so unbeliebt sind?« fragte Juric und lächelte sie an, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht.

»Kommt ganz drauf an, auf welcher Seite man steht«, sagte sie gekränkt und mit zusammengepreßten Lippen. »Unsere Klienten halten uns für ziemlich gut. Immerhin scheffeln wir eine Menge Geld für sie. Und sie können den gesamten Ruhm für sich allein einheimsen, während wir den Kopf hinhalten müssen, sobald was schiefgeht.«

»Dafür behalten Sie auch einen Gutteil der Einnahmen«, fuhr er ungerührt fort und klang dabei so freundlich, daß die vorsätzliche Beleidigung kaum herauszuhören war.

»Wir verdienen unsere Provision nicht im Schlaf!« fauchte Megan. Ihre Worte überschlugen sich beinahe. Wie war sie bloß in diese scheußliche Situation geraten? »Unsere Sportler verdienen ein Vermögen, wenn sie uns die Verhandlungen für sie führen lassen. Sie selber haben weder die Zeit noch die Erfahrung, geschweige denn die Sachkenntnis, sich gut zu verkaufen.«

»Aber Sie haben das alles?«

»Selbstverständlich!« Megan spürte, daß ihr Temperament mit ihr durchzugehen drohte. »Vergangene Woche erst habe ich für einen bekannten Tennisstar einen lukrativen Vertrag an Land gezogen – zwei Komma fünf Millionen für drei Jahre. Dazu gehört schon ein bißchen was, Mister Juric. Alleine hätte sie das nie zustande gebracht.«

Mittlerweile waren sie am Rande der Stadt angelangt, die sich unvermittelt aus der schneebedeckten Ebene erhob. Gleich darauf war die Straße auch schon beiderseits von mehrstöckigen Gebäuden gesäumt, bei deren Errichtung strikt auf Nützlichkeit geachtet worden war. Dementsprechend sahen sie auch aus: schlicht und ergreifend häßlich.

Megan war enttäuscht.

»Sie dürfen Sarajewo nicht an der Neustadt messen«, sagte Juric mit sanfter Stimme, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Es gibt drei vollkommen verschiedene Sarajewos. Der österreichisch-ungarische Teil ist sehr schön, ganz anders als dieser hier. Und dann gibt es noch das Türkenviertel, unser Prunkstück.«

Unser Prunkstück – wie seltsam sich das anhörte! »Dann stammen Sie also aus Sarajewo?« fragte Megan.

»Nein, aber ich bin schließlich Jugoslawe. Und der Anblick des neuen Stadtteils tut mir selber weh.« Er wandte sich vom Fenster ab und atmete sichtlich auf. »Haben Sie diesmal wiederum vor, einen Ihrer gemeldeten Sportler vom Start zurückzuziehen?« fragte er mit seiner trügerisch sanften Stimme.

Megan rang sich ein Lächeln ab. »So etwas tue ich grundsätzlich nicht«, sagte sie. »Ich weiß, Sie spielen auf das Kölner Sportfest an. Sie glauben, ich hätte irgendeinen Trick aus der Kiste gezogen, als ich zwei unserer Sprinter nicht starten ließ. Und mit Ihnen glaubt es der Rest der Welt.«

»Außerdem hat es nicht gewirkt.« Erstaunlicherweise lächelte er immer noch.

»Ich habe meine Klienten auf ärztliches Geheiß vom Start zurückgezogen und nicht, um den Preis in die Höhe zu treiben, wie Sie in Ihrem verleumderischen Artikel behaupten.«

Megan holte tief Luft. Es war an der Zeit, dieses Ekel in seine Schranken zu weisen. »Ich habe«, sagte sie etwas gelassener, »absolut nichts gegen Interviews, die nicht im voraus vereinbart wurden. Gegen Ihre Unterstellungen allerdings verwahre ich mich. Wenn Sie einen Bericht schreiben wollen, der nicht mit Vorurteilen überfrachtet ist, so bin ich jederzeit gern bereit, Ihre Fragen zu beantworten. Vorausgesetzt, Sie garantieren mir, mich nicht falsch zu zitieren. Dies jedoch ist weder die passende Zeit noch der passende Ort dafür, und im übrigen habe ich jetzt genug von Ihrer inquisitorischen Art.«

Doch Juric gab nicht so leicht auf. Er lachte leise in sich hinein. »Manche Leute, und nicht einmal wenige, fragen sich, ob ihr Agenten tatsächlich nur das Beste für den Sport oder letztendlich nur das Beste für eure eigenen Taschen im Auge habt. Was meinen Sie?«

»Wenn wir keine entsprechende Leistung erbrächten, würden wir keinen Gewinn machen«, gab Megan zurück. »Ich leite die Londoner Niederlassung, und die schreibt bereits schwarze Zahlen, nach nur sechs Monaten.« Sie unterbrach sich. Ihr war klar, daß sie zuviel redete, doch mittlerweile war sie so wütend, daß ihr alles egal war. »Ich habe jedenfalls vor, ein paar Rekorde zu brechen. Das ist mir sehr wichtig. Schließlich habe ich meine Karriere als Skisportlerin nicht aufgegeben, um unter die Verlierer zu gehen. Ich will gewinnen, und meinen Klienten geht’s nicht anders. Wenn das den notorischen Verlierern nicht in den Kram paßt – um so schlimmer für sie. Sind Sie auch ein Verlierer, Mister Juric?« fragte sie. »Benehmen Sie sich deshalb so widerlich?« Ihre Stimme klang heiser, und sie zitterte vor lauter Anstrengung, die Ruhe zu bewahren. Wie hatte sie sich bloß so naiv von diesem Ungeheuer überfahren lassen können? Sie hätte es, weiß Gott, besser wissen müssen!

Sie sah aus dem Fenster und entdeckte zu ihrer Erleichterung, daß sie auf ein Gebäude Zufuhren, das ihr Hotel sein mußte. Es war rechteckig gebaut und leuchtend senffarben gestrichen – grauenvoll! Dieser Morgen wurde allmählich unerträglich.

»Ich habe beschlossen, einen Artikel über Sie zu schreiben«, sagte Juric. »Die neue Tigerin bei ISA.«

Das Taxi hielt an, und Megan sprang heraus. Sie drückte dem verdutzten Fahrer ein paar Geldscheine in die Hand und stakste auf das Gebäude zu, Jurics albernes Gelächter im Ohr.

Megan hatte es noch nie verbergen können, wenn sie sich ärgerte. So war ihr auch jetzt klar, daß ihre Wangen, deutlich sichtbar für alle Welt, vor Ärger brannten. Und wie es das Pech wollte, standen ausgerechnet in diesem Moment lauter Kameramänner im Foyer herum, denen nichts entging.

Megan war sich der plötzlich eingetretenen Stille bewußt, als sie die Eingangshalle betrat und zur Rezeption ging. Ein leiser, anerkennender Pfiff ertönte, und zwanzig Augenpaare starrten unverfroren und voller Bewunderung auf die junge Frau.

Zitternd vor Empörung trug Megan sich ins Hotelregister ein und gab ihren Reisepaß ab. Dann suchte sie in ihrer Tasche nach Kleingeld, doch als sie sich umdrehte, erkannte sie, daß ihr Gepäck keineswegs vom Hoteidiener hereingetragen wurde, wie sie angenommen hatte, sondern von Michel Juric, der triumphierend grinste. Ich hätte wissen müssen, schalt sie sich, daß es hier keinen Gepäckträger gibt – dies ist schließlich ein sozialistisches Land. Und nun muß ich mich bei diesem gräßlichen Juric auch noch bedanken!

Doch da kam ihr unvermutet der Schotte zu Hilfe, der am Flughafen das seltsame Wortgefecht mit ihr ausgetragen hatte. Er trat auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Ich hätte Sie gerne in meinem Wagen mitgenommen«, sagte er, »aber ich konnte Sie nirgends finden.« Mit einer Lässigkeit, die lange Übung verriet, wandte er sich Juric zu und steckte ihm ein paar Geldscheine in die Brusttasche. »Das Gepäck der Dame«, sagte er, »lassen Sie bitte hinaufschicken. Vielen Dank.«

Augenzwinkernd drehte er sich zu Megan um und sagte: »Es freut mich jedesmal, wenn ich einen Burschen sehe, der bei der Arbeit lächelt. Hier entlang, meine Liebe.«

»Wissen Sie …« Megan mußte sich das Lachen verbeißen und setzte zum zweitenmal an: »Wissen Sie, wer das ist?«

»Selbstverständlich. Das ist Michel Juric, der eingebildete Fatzke.«

»Und er? Kennt er Sie auch?« fragte sie weiter, während sie sich von ihm durchs Foyer führen ließ.

»Wir haben schon das eine oder andere Scharmützel miteinander ausgefochten. Aber er ist nicht eben der Schlagfertigste, daher zieht er gewöhnlich den kürzeren. Es ist mir nicht entgangen, daß Sie sich über ihn geärgert haben.« Sein Lachen klang warm und freundschaftlich. »Egal, denken wir nicht mehr an ihn. Ich wollte Sie eigentlich zu einem Drink einladen, das heißt, lieber noch zum Lunch. Das schulde ich Ihnen für meine Grobheit am Flughafen.«

»Sie sind mir gar nichts schuldig. Und Sie waren auch nicht grob, Sie haben bloß überzogen reagiert. Schade, aber es geht nicht. Vielleicht ein andermal…« Sie lächelte, um ihre Ablehnung zu mildern. »Ich bin schließlich zum Arbeiten hier, und heute Nachmittag muß ich zum Abfahrtslauf der Männer.«

»Dann werde ich Sie dort wahrscheinlich sehen«, sagte er. »Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle: Ian Mackintosh. Ich bin freiberuflicher Drehbuchautor und hier in Sarajewo als Berater des britischen Fernsehteams tätig.«

Die Aufzugtüren schlossen sich hinter ihm, und Megan starrte auf ihr Spiegelbild. Rasch legte sie die Fingerspitzen an die erröteten Wangen. »Schreck, laß nach«, murmelte sie und schob ihr Haar unter den Hut.

Der Gedanke, daß sie Ian Mackintosh schon am Nachmittag Wiedersehen würde, war ihr gar nicht so unangenehm. Dann zog sie ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Du bist zum Arbeiten hier, ermahnte sie sich, zu sonst gar nichts.

***

Nikola Petrowna saß zitternd in der Aeroflot-Maschine, die die sowjetische Eislaufjugend von Moskau nach Sarajewo brachte. In den vergangenen anderthalb Jahren war sie schon des öfteren in fremde Länder gereist, doch diesmal war alles ganz anders. Diesmal würde sie nicht zurückkehren.

Nikola meinte, die Wahrheit müsse ihr aus den Augen leuchten und auf die Stirn gebrannt sein, deutlich lesbar für alle Welt, doch niemand schenkte ihr besondere Beachtung. Selbst dann wäre an ihr nichts weiter aufgefallen als eine gewisse körperliche Anspannung, ein Runzeln auf ihrer ansonsten stets glatten Stirn. Sie hielt sich kerzengerade in ihrem Sitz, den Blick unbeirrbar nach vorn gerichtet.

Sie war ein schlankes Mädchen von siebzehn Jahren und von geradezu auserlesener Schönheit, wenngleich ihr das gar nicht bewußt zu sein schien. Sie hatte grün schimmernde, weit auseinanderliegende Elfenaugen, kleine, ein wenig spitze Ohren, eine schmale, gerade Nase und einen großzügig geschnittenen Mund mit perfekten weißen Zähnen; ihr Teint war sehr hell, und ihre aschblonden Haare trug sie, zum Zopf geflochten, um den Kopf gesteckt. Wenn sie lachte, war sie schlicht und einfach hinreißend, doch sobald sie unachtsam wurde und nicht mit bewußter Fröhlichkeit in die Welt schaute, trat ein tragischer Ausdruck in ihre Augen, der ihre Schönheit indes kaum zu beeinträchtigen vermochte. Kein Mensch hatte jemals mehr hinter der schönen Fassade gesucht; wäre es doch einmal jemandem eingefallen, so hätten sich ihm nicht nur ihr Mut und ihre Empfindsamkeit offenbart, sondern auch ihr Stolz – ein unbeugsamer Stolz, der sie in jedweder Klemme und Notlage automatisch bewog, ein tapferes Gesicht zur Schau zu tragen. Heute allerdings lag verzweifelte Entschlossenheit in ihrem Blick. Eine zweite Chance wie diese würde sich ihr nie wieder bieten. Jetzt oder nie, hieß es für sie.

Ihr erster Auslandsauftritt hatte in Helsinki stattgefunden, wo sie für den Nachwuchs der Sowjetunion angetreten war. Nicht als Star der Mannschaft, bei weitem nicht, aber sie hatte ein kurzes Solo gehabt. Danach, als sie an der Bande lehnte und das weitere Programm mit den Augen verfolgte, hatte sich ihr ein französischer Kameramann genähert und ihr zugeflüstert: »Bravo! Sie sind mit Abstand die Beste, Mademoiselle Petrowna! Hier weiß man Sie ja gar nicht zu schätzen. Sie sollten in den Westen gehen – dort wären Sie eine Sensation! Da, wo ich herkomme, wird weder Talent vergeudet noch Schönheit.«

Das war alles. Gleich darauf war er in der Menge verschwunden. Doch später war es noch einmal vorgekommen – und noch einmal und immer wieder: in Düsseldorf, in Dortmund, Wien, Budapest und kürzlich erst in Moskau, flüsternde Stimmen, unbekannte Gesichter, doch stets die gleiche Botschaft. Es hatte ihr geschmeichelt, sie amüsiert, erregt, aber das war auch schon alles, und sie hatte niemandem davon erzählt. Das wäre heller Wahnsinn gewesen.

Erst im Dezember hatte sie sich entschlossen, in den Westen überzulaufen. Sie war aus der Ersten Mannschaft der sowjetischen Eiskunstläuferinnen ausgeschlossen worden; statt ihrer waren zwei andere Mädchen aufgenommen worden, von denen sie genau wußte, daß sie bei weitem nicht so gut waren wie sie selbst. Der Schock und die Ungerechtigkeit hatten sie krank gemacht, doch später, ab sie wieder auf den Beinen war, hatte sie um ein Gespräch mit dem Trainingsleiter ersucht, um den Grund für ihren Ausschluß zu erfahren. Er war, wie üblich, höflich, aber ausweichend gewesen und überaus vorsichtig in seinen Formulierungen. »Ich bestreite nicht, daß du sehr talentiert bist, Nikola«, hatte er mehrmals wiederholt. »Die Entscheidung, dich aus der Mannschaft auszuschließen, ist höheren Orts gefällt worden.« Er deutete auf die Zimmerdecke und zuckte vielsagend die Achseln. »Ich streite mich nicht mit meinen Vorgesetzten, Nikola.«

Kurze Zeit nach diesem Gespräch hatte ihr Vater ihr mitgeteilt, es sei an der Zeit, die internationalen Eiskunstlauf-Wettbewerbe aufzugeben. Vielleicht könne sie ja hin und wieder als Trainerin arbeiten, hatte er vorgeschlagen, mit sanfter Stimme – für Papa absolut ungewöhnlich. Oder sie könne sich ein wenig mehr um den Haushalt kümmern, die Haushälterin sei immerhin schon weit übers Rentenalter hinaus. Keinerlei Erklärung. Keinerlei Entschuldigung. Aber sie wußte hundertprozentig, daß es Papas Schuld war, wenn sie das Eisläufen aufgeben mußte. Nicht aufgeben: opfern, und nicht nur das Eislaufen: ihr ganzes Leben. Denn für Nikola gab es nichts auf der Welt, das ihr auch nur annähernd so viel bedeutet hätte wie der Eiskunstlauf. Damals hatte sie den Entschluß gefaßt, lieber im Exil zu leben, bei den bourgeoisen Westlern mit ihrer Hab- und Raffgier, als für Papa die Haushälterin zu spielen.

Von dieser Zeit an hatte sie systematisch nach Mitteln und Wegen gesucht, die Sowjetunion verlassen zu können, und zu ihrem Erstaunen festgestellt, daß Flüchtlinge an den Grenzen zurückgewiesen wurden. Um in den Westen überzulaufen, entdeckte sie, mußte man eine bedeutende Persönlichkeit sein, und das war sie beileibe nicht. Im Gegenteil: Ihre Bedeutung sank von Tag zu Tag, da sie von jedem internationalen Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Das geschah mit voller Absicht, und es war grausam. Seit neuestem fing Papa gar an, sie mit Schreibarbeiten und Korrekturen zu beschäftigen, die sie vom regelmäßigen Training abhielten – als stecke er mit den Eiskunstlauf-Funktionären unter einer Decke. Wie sollten ihre Träume da jemals in Erfüllung gehen?

Nikola stand kurz vor der Verzweiflung. Ihre einzige Hoffnung war, daß sich die geflüsterten Stimmen noch einmal meldeten. Und dann, als ihr in Leningrad ein scheinbar harmloser Zuschauer zugeraunt hatte: »Meine Liebe, im Westen …«, da hatte sie sich ihm wildentschlossen zugewandt und gemurmelt: »Ja, ja! Aber wie? Helfen Sie mir!«

Als Antwort darauf hatte sie in ihrem Spind im Umkleideraum ein Blatt Papier gefunden. Es enthielt eine Botschaft, die nur aus zwei Worten bestand: »In Sarajewo.« Das war alles.

In Sarajewo? Aber wie? Und warum dort?

Sie hatte nachgeschlagen und entdeckt, daß Sarajewo die Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina war und eines der Widerstandszentren nach Hitlers Invasion im Jahre 1941. Außerdem hatte dort der neunzehnjährige Student Gavrilo Princip einst Erzherzog Franz Ferdinand ermordet, den Thronfolger Österreich-Ungarns; damit hatte er den Ersten Weltkrieg ausgelöst und somit indirekt einen Beitrag zur Befreiung der jugoslawischen Genossen vom österreichischen Imperialismus geleistet. Im Februar 1984 sollten die Olympischen Winterspiele in Sarajewo stattfinden. Das immerhin war ihr bereits bekannt, denn sie war ja erst vor kurzem aus der Olympia-Mannschaft ausgeschlossen worden.

Als den Eisläufern ihres Klubs mitgeteilt wurde, daß Ende Januar eine ausgewählte Jugendmannschaft zu einem Schaulaufen nach Sarajewo fahren sollte, um dort die Sowjetunion zu vertreten, fing Nikola an, die Botschaft ernst zu nehmen. Aus anderen Quellen erfuhr sie, daß zur gleichen Zeit die diversen Mannschaften des Weltcup-Ski-Zirkus dort die für die Winterspiele neu errichteten Abfahrtshänge und die Infrastruktur testen sollten.

Ihre Hoffnung wuchs, allerdings nur vorübergehend, denn sie wurde gar nicht erst für die Mannschaft nominiert. Doch dann, ein paar Wochen später, als Katja Oblonski beim Training einen mysteriösen Sturz tat und sich den Knöchel verstauchte – Katja behauptete tränenreich, sie sei gestoßen worden –, wurde Nikola eiligst aufgefordert, ihren Platz einzunehmen: In der kurzen Zeit, die noch verblieb, war kein anderer gleichwertiger Ersatz zu beschaffen.

Hier saß sie nun also und hatte nicht die geringste Ahnung, wie es weitergehen sollte. Sie wußte nur eins: Sie würde jede auch noch so geringe Gelegenheit beim Schopf packen, um in den Westen zu kommen. Sie war zum Eislaufen geboren, und sie sehnte sich danach, die beste Eiskunstläuferin der Welt zu sein. Sie hatte nie etwas anderes gewollt, und sie würde um jede Chance kämpfen, ihren Wert zu beweisen.

Ein plötzlicher Ruck versetzte Nikola wieder in die Gegenwart. Das Flugzeug sank konstant, die Nase zur Erde geneigt. Die kahlen, wild gezackten Gipfel der Dinarischen Alpen wurden abrupt abgelöst von einer weiten Ebene, in der hier und da, unvermutet und spielzeugartig klein, eine einsame, elende Hütte am Rande einer Straße auszumachen war. Das Flugzeug kreiste vor der Landung über der schneebedeckten, gesichtslosen Fläche, die Sarajewo umgab, und Nikola klammerte sich an ihren Armlehnen fest, bemüht, ihre Ängste zu unterdrücken. Ich werde nicht zurückkehren, schwor sie sich im stillen, auf keinen Fall. Niemals! Lieber sterbe ich!

Ihre Zukunft lag im Westen, und in den Westen würde sie gelangen, koste es, was es wolle.

Kapitel 2

Linker Hand der schmalen Straße, die sich in zahllosen Windungen ins Herz des Bjelasnica-Massivs schlängelte, waren die Abhänge sacht und bewaldet, rechter Hand hingegen sah man direkt in den Abgrund, so daß Megans Blick frei über die weite, schneebedeckte Ebene von Sarajewo schweifen konnte, die in violetten Dunst getaucht war, aus dem hier und da das Kuppeldach einer Moschee blitzte.

Megan war auf der Suche nach dem Austragungsort des Abfahrtslaufs der Herren, an dem einer ihrer Klienten teilnahm, Conrad Soerli, in England geborener Sohn norwegischer Eltern. Er war der beste Skiläufer, den die britische Mannschaft seit vielen Jahren gehabt hatte. Außerdem war er die Galionsfigur des Multis Vanguard Sports, der Welt größter Hersteller von Skiern sowie Hauptsponsor von Megans Klienten. Megan, Vanguard und das britische Team hofften gleichermaßen, daß Conrad bei den Olympischen Winterspielen im kommenden Jahr eine Goldmedaille gewinnen würde, und Vanguard hatte die spektakulären Erfolge des blonden Skirennläufers mit einem verschwenderisch teuren Werbefeldzug begleitet.

Darüber hinaus erhoffte sich Megan auch Vertragsabschlüsse mit neuen, noch unbekannten Talenten. Sieger waren überaus schwer zu finden, doch Megan hatte das richtige Gespür dafür. Diesem Gespür verdankte sie ihre Position, ihr Spitzengehalt und ihre Gewinnbeteiligung. Sie war ausgezeichnet im Verhandeln; dessen war sie sich bewußt, und sie war stolz auf ihre Fähigkeiten. Einer der Gründe dafür, pflegte sie zu behaupten, war darin zu suchen, daß sie stets ihrem Instinkt folgte.

Schließlich fand sie die Abzweigung und folgte dem engen Pfad quer durch das Malo-Polje-Tal bis zum Fuße des Berges Igman. Vor den Skiliften hatte sich bereits eine beträchtliche Menschenmenge versammelt, doch das Rennen hatte noch nicht begonnen. Eine Mischung aus Erwartung, Heiterkeit und Spannung lag in der Luft, die gewisse Stimmung, zu der auch das Bild gehörte, das die hohen, schlanken Fichten und Föhren unter ihren Schneelasten boten, das Knirschen und Knacken der frischen Schneedecke unter den Stiefeln, die Rufe und Schreie aus der Menge, die mehrfach widerhallenden Echos der Lautsprecher, über die Namen und Nummern der Teilnehmer verlesen wurden. Megans Augen schmerzten vor Kälte, ihre Füße in den neuen Schweizer Moonboots brannten und kribbelten, und sie verspürte geradezu überschäumende Lebensfreude. Aus der Ferne kam das Geheul eines Hundes, das Echo hallte unheimlich durchs ganze Tal. Vor Megan hob sich düster der Bjelasnica mit seinen verschneiten Wäldern und frostigen Nebeln über zweitausend Meter hoch in den blassen Himmel.

Michel Juric war da und sah überaus slawisch aus in seiner Schaffelljacke und Pelzmütze. Seine dunklen Augen glänzten vor Aufregung. Er lächelte und winkte, und Megan – zu gutgelaunt, um ihm sein Verhalten nachzutragen – lächelte zurück, einfach aus Freude darüber, dazuzugehören. Es war viel kälter, als sie zunächst geglaubt hatte. Sie stellte ihren Kragen auf und zog ihre Mütze über die Ohren, als sie sah, daß Michel auf sie zugelaufen kam.

»Haben Sie den Wolf heulen hören?«

»Machen Sie Witze? Ich hab’ das für einen Hund gehalten.«

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Das Rennen muß vielleicht abgesagt werden«, fuhr er besorgt fort. »Es ist zu gefährlich. Wenn sich dermaßen viele Wolken um den Gipfel zusammenballen, bedeutet das, daß ein Sturm aufzieht. Nicht einmal die Wölfe mögen dieses Wetter. Hier in den Bergen können die Temperaturen innerhalb kürzester Zeit um bis zu vierzig Grad sinken. Das ist für alle, die sich nicht auskennen, eine Todesfalle.«

Als das Rennen schließlich begann, war es bitter kalt geworden. Böige Winde zerrissen die Nebelschleier. Megan starrte angestrengt zum Gipfel, um einen Blick auf die einzelnen Rennläufer zu erhaschen, die einer nach dem anderen wie Schemen aus den Wolken auftauchten.

»Achten Sie auf die Nummer fünfzehn!« rief Michel ihr zu, wobei er versuchte, das Getöse des Lautsprechers zu übertönen. »Rob Scott, ein Amerikaner. Ich hab’ ihn in Österreich gesehen, dort hat er mich sehr beeindruckt.«

»Ich kenne ihn!« brüllte Megan gegen den Wind zurück. »Sie werden es kaum glauben, aber vor ein paar Jahren hab’ ich ihn noch trainiert!« Wann war das, versuchte sie sich zu erinnern, vor acht Jahren – oder gar schon vor neun? Er war dreizehn gewesen und schon damals sehr gut; es hatte nicht lange gedauert, und er war zu gut für die Klasse der Skischule, an der sie in ihren College-Ferien unterrichtete. Jetzt stand er im Begriff, sich im amerikanischen Riesenslalom-Team einen Namen zu machen.

»Ich habe seine Karriere mitverfolgt«, sagte sie. »Er ist recht gut. Ich rechne damit, daß unser Büro in Denver in den nächsten Tagen einen Vertrag mit ihm macht.« Im Geiste notierte sie sich, Denver daran zu erinnern.

Kurz darauf sauste Nummer fünfzehn die Piste hinunter, immer knapp an den Toren vorbei, indem er seine Größe und sein Gewicht auf dem frischen weichen Schnee bestens nutzte. Die Fernsehleute und die Zuschauer brachen in Jubel aus, kaum daß er im Ziel war – eine halbe Sekunde schneller als die bisherige Bestzeit.

»Sie haben vollkommen recht!« sagte Megan aufgeregt. »Er ist ja tatsächlich noch viel besser, als ich dachte. Meine Güte, er ist phantastisch!«

Sie wartete ab, bis sich der Skiläufer aus dem wirren Haufen von Gratulanten herausgeschält hatte, dann ging sie zu ihm hinüber. Rob blickte finster drein. »Hallo, Rob! Erinnerst du dich?«

»Megan!« rief er. »Was machst du denn hier?« Er stieß einen Freudenschrei aus und umarmte sie stürmisch. »Fein, dich zu sehen, Megan. Was machst du so weit weg von zu Hause?«

»Zu Hause heißt jetzt London«, sagte sie. »Ich leite die dortige ISA-Niederlassung.«

»Du bist Agentin? Ausgerechnet du?« Er zog eine Grimasse und kniff sie in die Wange. »Mann, du hast dich aber gut rausgemacht«, sagte er, indem er sie von Kopf bis Fuß begutachtete.

»Und du bist ganz schön hochnäsig für einen spindeldürren Teenager«, juxte sie zurück. »Wie findest du die Piste?«

»Oberfaul«, stieß er hervor. »Von A bis Z, die ganze verdammte Strecke – nichts als künstlicher Pfusch. Du mußt so verdammt aufpassen, daß du keine Höchstgeschwindigkeit rausholen kannst.« Er sah, daß Michel sein Notizbuch zückte, und grinste schief.

»Das gibt garantiert noch ein paar Stürze heute«, sagte Rob. »Als erstes lassen sie dich gleich eine Linkskehre fahren, bevor du überhaupt ein bißchen Geschwindigkeit draufhast; damit ist dir der Start schon mal total vermasselt. Dann hast du ein paar hundert Meter weit ’ne feine Abfahrt und zum Abschluß einen prima Sprung mit einer glatten Landung. Aber dann geht’s erst richtig los – ein Hindernis nach dem anderen. Wenn du an die Baumgrenze kommst, wo du echt schön Schuß fahren könntest, dann siehst du, daß sie doch tatsächlich ein Stück von der Riesenslalomstrecke reingeschoben haben – mit einem Bulldozer! Durch diese blöden Fähnchen durchzumüssen kostet viel zuviel Zeit. Und Abfahrtslauf heißt ja wohl eigentlich, daß man einen Berg so schnell wie möglich runterfahren soll.« Er unterbrach sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann grinste er breit. »Für diese Stellungnahme krieg ich wahrscheinlich ’n Tritt in den Hintern.« Er drehte sich um und starrte auf die Piste. »Wetter wird immer schlechter«, murmelte er. »Sie sollten abbrechen.«

Mit besorgtem Gesicht wandte er sich wieder an Michel. »Diese letzten Sprünge sind wirklich genau das Richtige, um sich eine Querschnittslähmung zu holen. Einfach verheerend! Peng – schon liegst du flach. Und dann, kurz vorm Finish, da haben sie eine Abschußrampe, die schießt dich glatt ins All raus. Das müssen sie vor den Spielen unbedingt noch in Ordnung bringen. Sie dürfen mich gerne zitieren.«

»Trotzdem, du bist eine gute Zeit gefahren«, sagte Megan. »Demnächst wird das Büro in Denver versuchen, mit dir einen Vertrag zu machen.«

Aus dem mageren Dreizehnjährigen, den sie trainiert hatte, war ein riesiger, gutmütiger, sportlicher, typischer Amerikaner geworden, mit ehrlichen grauen Augen und einem Wust von ingwerfarbenen Haaren.

Rob grinste. »In meinem Team gibt’s ein paar Jungs, die sich liebend gern mit dir darüber unterhalten würden«, sagte er. »Aber ich mach’ meinen eigenen Laden auf, Megan.« Er hob einen seiner Skier an und zeigte ihr die Markenbezeichnung: einen blauen Stern und mitten drin in weißen Lettern SCOTT. »Ich hab’ jetzt bei Denver ’ne kleine Fabrik, die ich bald vergrößern will. Im Moment entwerfe ich Einzelanfertigungen für Profis. Eines Tages kommen wir zwei vielleicht noch ins Geschäft miteinander – aber dann bin ich der Sponsor!«

»Na, da wünsch’ ich dir viel Glück!« sagte Megan. »Bis später, Rob.«

Conrad hatte die Nummer 40 gezogen, und bis er an die Reihe kam, war der Wind stürmisch geworden, und heftiger Schneefall hatte eingesetzt. Die Sicht war so schlecht, daß Megan Conrads Kollision mit einem der Tore erst gewahr wurde, als die Träger mit der Bahre und dem bewußtlosen Läufer den Berg herunter und auf die Erste-Hilfe-Station zujagten. Kurz darauf gab die Rennleitung Conrads Sturz über den Lautsprecher bekannt und verkündete gleichzeitig die Unterbrechung des Rennens.

Zu spät, dachte Megan verärgert, während sie zur Ersten-Hilfe-Station rannte. Dort fand sie Conrad bei Bewußtsein und stöhnend vor Schmerzen. Er hatte sich ein Bein gebrochen, und Ian Mackintosh, der sich über ihn beugte, versuchte ihn aufzumuntern. Er alberte mit Conrad, dem der Krankenpfleger eine schmerzstillende Spritze gab. Ein paar Minuten später brachte der Junge ein halbes Lächeln zustande. Er schien Ian gut zu kennen. Megan hätte gern geholfen, fand jedoch nichts Nützliches zu tun, so hörte sie zu, wie Ian die Bahrenträger befragte – in fließendem Serbokroatisch, wie sie staunend bemerkte.

»Der Hubschrauber ist schon unterwegs«, teilte er Conrad mit. »Mach dir keine Sorgen. Die Krankenhäuser in Sarajewo sind alle erstklassig, und du wirst bald wieder auf dem Damm sein.«

Mach dir keine Sorgen! Megan glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können! Kein Arzt und keine Medizin der Welt konnten dieses Unglück wiedergutmachen. Sie wußte, daß Conrad am Ende war – der Lage seines Beins nach zu urteilen, würde er nie wieder große Skirennen fahren. Er würde auch nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen können, und das, wo eine Medaille so ungeheuer wichtig für ihn war! Außerdem hatte er mit den Siegprämien gerechnet, die ihm Vanguard für die Dauer seines Universitätsstudiums zahlen wollte. Megan war zutiefst niedergeschlagen, sowohl Conrads als auch ihrer selbst wegen. Dahin waren die Hoffnungen auf Olympisches Gold samt der millionenschweren Vanguard-Anzeigenkampagne!

Dann kam ihr der Gedanke, ob sie Vanguard nicht dazu bringen könnte, Conrad eine Art Entschädigung zu zahlen. Schließlich war er nicht irgendein Skiläufer – Vanguard hatte sich ausbedungen, ihn auch als Wintersport-Promoter einsetzen zu dürfen. Das konnte durchaus als vollwertige Anstellung interpretiert werden. Sobald sie wieder in London war, wollte sie sich per Telex mit der Rechtsabteilung von ISA in Verbindung setzen. Denen würde garantiert etwas einfallen. Vorher jedoch brauchte sie nichts so dringend wie einen Ersatz für Conrad, der dessen Platz in der Vanguard-Anzeigenkampagne ausfüllte.

Der Hubschrauber kam, und Megan sah überrascht, wie Ian einstieg und sich neben Conrad setzte. Sie beobachtete, wie sie abhoben und einen Wirbel aus Schnee und Eis unter sich ließen. Sie starrte noch immer dem undeutlichen Schatten nach, der allmählich im Sturm verschwand, als sie Michels Hand an ihrem Ellbogen spürte.

»Machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Er wird wieder gesund«, sagte er in einem Tonfall, der offenbar tröstlich gemeint war. Dieser Mensch regte sie maßlos auf! Sie wußte genau, daß er Conrads Tragödie bis zum Letzten ausquetschen würde. Aus ihr jedenfalls sollte er nichts herausholen!

»Ich mache mir keine Sorgen!« fauchte sie, obgleich sie in Wirklichkeit zutiefst besorgt war. Geistesabwesend stampfte sie von einem Fuß auf den anderen und rieb ihre eiskalten Hände, während sie erwog, wie heftig sie bei Vanguard auf eine Entschädigung für Conrad drängen könnte. Gab es dafür überhaupt eine Rechtsgrundlage?

Vorsichtig behielt Juric die junge Frau im Auge. Sie war bleich und hatte sichtlich mit den Tränen zu kämpfen. Sie war ihm ein Rätsel und gleichzeitig ein Ärgernis. Er wäre ihr gerne entgegengekommen und hätte sie getröstet, aber sie war nicht von der anlehnungsbedürftigen Sorte. War sie in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so hart im Nehmen, wie sie alle Welt glauben machen wollte? Es würde sich lohnen, entschied er, wenn er sich ein bißchen Mühe gab. Er würde ein bißchen in ihrer Seele herumstochern und ein prima Porträt mit genau der richtigen Dosis Tiefenschärfe schreiben. »Ich fahre Sie zur Unfallstation«, sagte er schnell. »Nein, keine Widerrede. Ich kenne den Weg, Sie nicht.«

»Nein, danke«, brummelte sie. Sie fühlte sich zu elend, um noch auf Höflichkeit zu achten. »Ich halte hier die Stellung. Ich brauche sofort einen Ersatz. Ich warte lieber im Auto, falls sie das Rennen doch noch mal starten sollten.«

Sie machte auf dem Absatz kehrt, und Michel sah ihr nach, wie sie flotten Schrittes durch den Neuschnee auf ihren Wagen zueilte. »Zimtzicke!« zischte er leise in seinen Kragen. In seinen Augen hatte sie ihren Ruf als herzlose, stets nur aufs Geschäft bedachte Agentin in diesem Augenblick voll und ganz verdient.

Kapitel 3

Megan war zwar schon umgezogen und fertig zum Abendessen, dennoch widerstrebte es ihr, zum Aperitif hinunterzugehen. Conrads Unfall hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, und sie fand es unmöglich, ihren Kummer einfach abzuschütteln. Als sie am späten Nachmittag im Krankenhaus eingetroffen war, hatte sie Conrad mit eingegipstem Bein und halb betäubt von schweren Beruhigungsmitteln vorgefunden. Im Augenblick wäre ihr nichts lieber gewesen, als früh zu Bett zu gehen, aber schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen hier, sondern auf der Suche nach begabten Sportlern, und die fand sie nicht, wenn sie in ihrem Zimmer hockte.

Sie ging hinaus und beugte sich über die Balustrade. Die seltsame Architektur des Hotels verwirrte sie, bis ihr auffiel, daß es einem weiten Zelt aus Beton und Glas ähnelte. Sämtliche Räume waren dergestalt um eine Achse geschichtet und geschachtelt, daß in der Mitte eine riesige, hohle Kuppel entstand. An der Seite über dem Eingangsfoyer ragte eine Art Mezzanin heraus, dessen freies Rund die Bar enthielt, über der sich ein weites, violett und senffarben gestreiftes Zeltdach spannte. Das ganze wirkte grell orientalisch, wie ein Überbleibsel aus der Zeit des slawischen Nomadentums. Das Getöse jedoch, das unter dem Baldachin hervordrang, war unverkennbar angelsächsischen Ursprungs. Es klang, als hätten sich nahezu alle britischen und amerikanischen Sportler hier versammelt, um Dampf abzulassen.

Als Megan die Bar betrat, wurde es mucksmäuschenstill. Das lag möglicherweise an ihrem roten Jerseykleid; außer ihr schienen alle Skihosen zu tragen, so daß sie um so mehr auffiel. Sie tat, als höre sie keinen der bewundernden Pfiffe, doch dann, als sie Ian gewahrte, wurde sie über und über rot. Herrje, muß ich denn unbedingt wie ein Schulmädchen reagieren, fragte sie sich, während Ian sie mit allen Leuten bekanntmachte, die er kannte, und das schien so ziemlich alle Welt zu sein.

»Woher wissen Sie, wie ich heiße?« fragte sie ihn neugierig. »ich werde das Gefühl nicht los, daß wir uns früher schon mal über den Weg gelaufen sind.«

»In dem Fall würde ich mich garantiert daran erinnern«, sagte er. »Ich fürchte, ich habe gemogelt.« Er deutete auf den Informationsschalter jenseits der Balustrade. »Haben Sie Cana schon kennengelernt? Sie hat die Aufgabe, unsere Pässe zu prüfen und über uns alle Buch zu führen. Ich hab’ sie einfach nach Ihrem Namen gefragt. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel.« Er sah ihr forschend ins Gesicht, und dann wurde das seine von einem Lächeln erhellt, das in den Augen begann und sich langsam über Wangen und Lippen ausbreitete. Mit einem Male wirkte er sorglos und jungenhaft. Wie alt mochte er wohl sein? Höchstens zweiunddreißig oder dreiunddreißig, obwohl er sich verhielt wie ein älterer Mann oder besser: wie ein Mann, der gewohnt war, Befehle zu erteilen. Das wirkte, da er Freischaffender war, doch ein wenig befremdlich. Für Megan, die sich gern ihrer ausgezeichneten Menschenkenntnis rühmte, war dieser Mann ein Rätsel. Was war bloß so Besonderes an ihm? Vielleicht seine Härte? Klar, das war’s! Das nette, jungenhafte Lächeln verbarg nichts anderes als einen harten, zähen Brocken. Urplötzlich war er ihr allzu nahe, allzu wirklich. Es war, als erwische sie ihn in einem Moment der Unachtsamkeit, wie ein wildes Tier, das man sich mit dem Teleobjektiv ganz nah heranholt. Das herzliche, bescheidene Gehabe war lediglich eine Maske. Er war ein intelligenter, introvertierter Mann, und er war darauf aus, sie besser kennenzulernen. Plötzlich wußte sie auch genau, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte. Aber wo? Und wann? Vielleicht bei irgendeinem Sportereignis, dachte sie. Sie entschuldigte sich und ging zu Rob und seinen Freunden hinüber.

Sofort fingen die Sportler an, sie zu necken. »O Megan, laß mich bei dir unterschreiben!« bat einer gespielt flehentlich. »Ich möchte doch so gerne Millionär werden!« Die meisten von den anwesenden Sportlern und Trainern hatten schon von Megans Firma gehört, wußten, daß sie selbst sehr tüchtig war, und Megan fühlte sich glücklich und heimisch in diesem Kreis. Es wurde viel gelacht, und häufig ertönte der Ruf Zivjeli! – was auf serbokroatisch so viel heißt wie Ex! –, wenn die Athleten ihren Fruchtsaft, die anderen ihren Sliwowitz hinunterstürzten.

Die Fernsehteams der Amerikaner und der Briten diskutierten hitzig die Weigerung der Russen, ihre Jugendmannschaften filmen zu lassen. Die Jugendlichen waren am Morgen eingetroffen und sollten im Kosevo-Stadion in Zetra auftreten. Die Amerikaner waren entschlossen, ihr Angebot so hochzuschrauben, daß die Russen am Ende einfach zustimmen mußten; die Briten hielten das für vergebliche Liebesmüh. Es gäbe nur einen einzigen Star, den zu filmen sich lohne, erfuhr Megan, und das sei Nikola Petrowna, die sowjetische Eiskunstläuferin. Einer behauptete gar, sie sei die beste Läuferin der Welt, doch er wurde niedergebrüllt. Über ihren Platz auf der Weltrangliste konnten sie sich nicht einigen, doch filmen wollten sie sie auf alle Fälle.

»Haben Sie jemals Galina Ulanowa tanzen sehen, die russische Ballerina?« fragte ein älterer Mann, dessen Aussprache schon etwas unter dem Sliwowitzkonsum gelitten hatte. Er wartete Megans Antwort gar nicht erst ab und fuhr gleich fort: »Wahrscheinlich vor Ihrer Zeit. Aber Nikola Petrowna hat den gleichen Stil. Da meint man glatt, sie wäre nicht von dieser Welt.« Er rülpste laut und entschuldigte sich.

Michel kam dazu. Er schien jedermann zu kennen und war, gemessen an der herzlichen Schulterklopferei, offensichtlich sehr beliebt. Sobald er Megan erspäht hatte, steuerte er auf sie zu und benahm sich, als wären sie uralte Freunde, obgleich Megan tat, als wäre er Luft für sie.

»Hören Sie um Himmels willen auf, Sliwowitz zu trinken«, warnte er, als sie ihr Glas hob. »Lassen Sie sich nicht von seinem angenehmen Geschmack täuschen. Das ist beinahe purer Alkohol. Halten Sie sich lieber an Apfelsaft.«

»Danke für die Warnung«, sagte sie und schenkte ihm ein kurzes Lächeln. »Ich bin schließlich zum Arbeiten hier.«

»Nur Arbeit und kein Vergnügen?«

»Sie sagen es.«

»Ich könnte vielleicht beides miteinander verbinden – Ihre Arbeit und mein Vergnügen, meine ich, indem ich Ihnen demnächst einmal Nikola Petrowna vorführe, am liebsten gleich noch heute Abend. Sie ist die beste Eiskunstläuferin, die Sie je zu Gesicht bekommen werden.«

»He, Moment mal! Das ist ja eine ziemlich waghalsige Behauptung.« Ihre Augen blitzten herausfordernd. »Ich vertrete die schwedische Meisterin Maria Stenmark, und ich verwette sonstwas darauf, daß sie nächstes Jahr bei den Winterspielen eine Goldmedaille holt. Viel besser kann keine sein.«

»Aber Nikola ist besser«, beharrte er. »Das verspreche ich Ihnen – oder ich habe keine blasse Ahnung von der Sache.«

Sie würde sich das Mädchen ansehen, beschloß Megan, doch keinesfalls mit Michel. Sie entschuldigte sich mit Müdigkeit und stand auf, um zu gehen. Dann bemerkte sie, daß Ian in ihre Richtung sah, und als sie die Treppe hinunter zur Information ging, hörte sie Schritte hinter sich.

»Ich wollte Sie nur wegen Conrad beruhigen«, sagte Ian. »Ich weiß, Sie waren heute Nachmittag bei ihm. Gegen sechs ist er dann aufgewacht und fühlte sich ganz gut. Er wird bald wieder auf dem Damm sein. Der Arzt ist soweit zufrieden mit seinem Bein, aber natürlich muß er den Gips noch eine ganze Weile behalten.«

Megan sah auf und in sein ernstes, besorgtes Gesicht. Ian war wirklich ein feiner Kerl. Er machte sich nicht nur Sorgen, er unternahm auch etwas. »Ich war so froh, daß jemand bei ihm war, dem er vertraut. Es hat ihm bestimmt gutgetan, daß Sie bei ihm waren. Kennen Sie ihn gut?«

»Wir sind früher zusammen Ski gelaufen«, sagte Ian.

»Sie laufen Ski?«

»Heutzutage nur noch zum Vergnügen.«

»Und früher?«

»Als ich noch jünger war, hab’ ich’s etwas ernster genommen.«

»Und wie ernst genau?«

»Amerikaner sind ziemlich beharrlich, nicht?« Er sah ihr stirnrunzelnd ins Gesicht. »Ich bin vor zwölf Jahren für Großbritannien bei den Olympischen Spielen gelaufen. Nach dem Motto: Nicht siegen, dabeisein ist wichtig.«

»Was hat sich denn daran geändert?« fragte sie herausfordernd.

Er betrachtete sie nachdenklich aus schmalen Augen, und Megan beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Die nächste Saison ist für ihn gelaufen«, sagte sie. »Mit seiner Karriere ist es aus.«

»Ich fürchte, Sie haben recht«, sagte er gravitätisch. »So ist es nun mal beim Skizirkus. Aber es gibt ja noch andere Dinge im Leben als den Sport. Nehmen Sie’s nicht so schwer. Alle Skiläufer kennen das Risiko.« Er sprach ungeduldig, als ärgere er sich über ihre Niedergeschlagenheit und befürchte ihr Mitleid. Gleich darauf gab er sich sichtlich Mühe, sie aufzuheitern. »Sie brauchen ein wenig Aufmunterung. Wie steht’s mit dem Dinner? Es gibt hier ein paar sehr gute Restaurants.«

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Im Moment habe ich nichts anderes vor, als Cana« – sie deutete auf den Informationsschalter – »zu bitten, mir eine Eintrittskarte für den Kürlauf der Damen zu besorgen. Hier scheinen alle von Nikola Petrowna beeindruckt zu sein.«

»Sie verschwenden Ihre wertvolle Zeit, Miss Carroll«, sagte Ian mit ironisch funkelnden Augen. »Sie können sie nicht unter Vertrag nehmen. Nikola Petrowna wird niemals im Westen laufen – wenngleich ich nicht bezweifle, daß sie genau das gerne täte. Aber ihr Vater hat ein paar altmodische Ansichten, die ihre Karriere ruinieren werden. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß sie den Ostblock jemals wieder wird verlassen dürfen. Nein, warten Sie.« Er suchte in seinen Taschen und förderte schließlich mehrere Eintrittskarten zutage. »Nehmen Sie eine von diesen Pressekarten. Oder brauchen Sie zwei?«

»Eine reicht. Haben Sie vielen Dank.«

»Danken Sie nicht mir, danken Sie dem Fremdenverkehrsbüro von Sarajewo«, sagte er gemessen.

Megan eilte in ihr Zimmer, um ihren Mantel zu holen. Ians selbstverständliche Annahme, sie sei an der russischen Eiskunstläuferin lediglich interessiert, weil sie Profit aus ihr schlagen wolle, hatte sie gekränkt. Unwillkürlich fragte sie sich, wieso sie sich wünschte, Ian möge gut von ihr denken. »Kann mir doch egal sein!« brummelte sie vor sich hin. Nichtsdestoweniger fragte sie sich außerdem, ob Ian sie wohl noch ein drittes Mal um eine Verabredung bitten würde. Wenn ja, dann würde sie gewiß zustimmen, obwohl sie wußte, wie unklug das war. Auf irgendeine seltsame Weise, die sie selbst nicht ganz verstand, fand sie Ian Mackintosh überaus beunruhigend.

Kapitel 4

Sie stand nun schon seit zwanzig Minuten in der Schlange vor dem Kosevo-Stadion und wartete darauf, eingelassen zu werden. Die Temperatur lag weit unter Null. Dennoch hielten es die Funktionäre nicht für nötig, mehr als ein Tor zu öffnen. Megan hielt sich unablässig vor Augen, daß sie hier nicht im Westen war, sondern im Osten, wo sie sich nicht beklagen durfte. Doch je höher die Schneedecke auf ihren Schultern und auf ihrem Hut wuchs, desto schwieriger fand sie es, ihren Ärger zu bezähmen.

Ian Mackintosh, der nur ein paar Meter vor ihr in der Schlange stand, entdeckte sie nach einer Weile und gesellte sich zu ihr. Zunächst versuchte Megan, ihn aus seiner Reserve zu locken, doch er ging nicht darauf ein, so daß sie es schließlich aufgab und sich ebenso schweigsam wie er vorwärts schob. Langsam näherten sie sich dem Tor, und Ian sah finster vor sich hin.

»Hier haben sie auch noch nie gehört, daß der Kunde König ist«, maulte Megan.

»Was soll das heißen?« fragte Ian mit gelangweilter Miene.

»Meine Güte, aus welchem Jahrhundert stammen Sie denn?! Das heißt natürlich, daß der Kunde immer und überall zuerst kommt – was sonst?«

»Ach so.« Ian grinste skeptisch. »Eine überaus amerikanische Ansicht und den Jugoslawen vollkommen fremd. Aber immerhin bemühen sie sich ja, ein Skigebiet für den Westen zu schaffen. Warum zeigen Sie ihnen nicht, wie man das anfängt?«

Er brachte sie absichtlich auf die Palme. »Warum eigentlich nicht?« murmelte sie, scherte aus der Schlange aus und marschierte auf den Haupteingang zu. »He, Sie!« rief sie den Kontrolleur am Tor an. »Gibt’s hier wen, der Englisch spricht? Wir frieren uns ja zu Tode in diesem Schneesturm! Warum machen Sie denn kein zweites Tor auf? Dumm … einfach zu dumm!« schäumte sie.

Mit erstaunlicher Geschwindigkeit wurden sie aus der Schlange der Wartenden geführt und in eine Bar komplimentiert, wo man ihnen Programme und zwei Gläser Sliwowitz auf Kosten des Hauses präsentierte.

»Und was ist mit den anderen?« fragte Megan, die staunte, daß sich die Leute eine solche Behandlung gefallen ließen. »Was wird aus ihnen?« Sie deutete nach draußen, auf die geduldig frierende Menge.

»Bitte beunruhigen Sie sich deswegen nicht«, murmelte der Stadiondirektor höflich in seinem passablen Englisch.

»Damit meint er, Sie sollen sich gefälligst um Ihren eigenen Kram kümmern«, kommentierte Ian, sobald der Direktor außer Hörweite war.

»In jedem Genossen schlummert ein Lakai«, gab Megan bissig zurück. Sie zitterte noch immer, ihre Wangen waren gerötet, ihre Nase blau gefroren.

»Das glauben Sie doch selbst nicht«, tönte es von der Eingangstür her. »Sie sind lediglich auf Ihre harte Währung angewiesen.«

Megan drehte sich um und sah Michel Juric in der Tür stehen, ein freudloses Lächeln um seine weiß blitzenden Zähne. »Ich dachte mir schon, daß ich Sie beide hier finden würde.« Megan sah ihm an, daß er sich verletzt fühlte. Seine ausdrucksvollen Zigeuneraugen funkelten vor gerechtem Zorn. Wieder einmal war sie verblüfft über sein außergewöhnlich gutes Aussehen, doch immerhin hatte sie seit heute Vormittag ungefähr ein Dutzend ähnlicher Männer zu Gesicht bekommen. Die Jugoslawen, entschied sie, waren offenbar insgesamt ein sehr gut aussehendes Volk.

»Wir sind uns gerade erst draußen über den Weg gelaufen«, sagte sie mit einem um Entschuldigung heischenden Lächeln. »Ian hat mir eine Pressekarte gegeben.«

»Zweifellos für den Platz neben ihm selbst.«

»Ja, natürlich«, fiel Ian rasch ein. »Pech für Sie, Michel. Wir sehen uns noch.« Er wandte sich ab, und Michel ging, nach sekundenlangem Zögern, hinaus.

»Warum sind Sie so gemein zu ihm?« fragte Megan.

»Er ist eine Landplage. Außerdem wird alles, was Sie zu ihm sagen, notiert und als Beweis gegen Sie verwendet.«

»Sie sind bloß eifersüchtig, weil er so gut aussieht«, neckte sie ihn.

Der Blick, mit dem er sie bedachte, war rätselhaft. »Sicher, er würde einen hübschen Gigolo abgeben. Vergessen Sie ihn«, sagte er und hob sein Glas. »Zivjeli! Auf Ihre wunderschönen irischen Augen, die drei Generationen amerikanischen Smogs nicht trüben konnten.«

»Umgekehrt wird ein Schuh draus«, sagte Megan ungläubig. Sie fragte sich, ob sie darüber einen Streit vom Zaun brechen sollte. »Ihr Brüder in Europa versinkt im Smog.«

Er selber, fand Megan, sah recht gut aus mit seinem Jackett aus Harris-Tweed, seiner Paisley-Krawatte und seiner grauen Flanellhose. Sie bemerkte Dinge, die ihr eigentlich gar nicht auffallen sollten: Wie sich schwarze Härchen um seine zweckmäßige schwarze Armbanduhr ringelten oder wie sich seine dichten Augenbrauen beinahe trafen, wenn er die Stirn runzelte, was er ziemlich oft tat. Er war ein großer, rauher, harter Bursche, und sein Gesicht war ständig wechselndem Mienenspiel unterworfen. Sie spürte, daß er rücksichtslos werden konnte, wenn er es für nötig hielt, aber auch sanft, wenn er liebte. Auf jeden Fall tödlich.

»Worüber lächeln Sie?« fragte er.

»Na, sehen Sie sich doch an!« Sie nahm Zuflucht zum erstbesten Gedanken, der ihr einfiel. »Sie kommen mir vor, als hätten Sie sich verkleidet.« Sie sah, wie sein Blick starr wurde, als hätte sie mit ihrem Schuß ins Blaue direkt ins Schwarze getroffen. »Der strenge, schreckliche Schotte, im Gewände des englischen Gentlemans.« Doch dann lachte sie, um ihm zu zeigen, daß sie lediglich einen Witz gemacht hatte.

»Wenn Sie eine etwas weniger beschränkte Bildung genossen hätten, dann wüßten Sie, daß Harris-Tweed, Paisley-Stoffe und derbe Schuhe original schottische Erzeugnisse sind, genau wie der Whisky: oft kopiert, niemals erreicht.« Spontan streckte er die Hand aus und kniff sie in die Wange. »Was kann ich noch zu Ihrer Weiterbildung beisteuern?«

»Im Ernst? Ein paar Abende mit Ihnen, und ich wäre das gebildetste Mädchen der Welt!«

»Mit Vergnügen«, sagte er ernst.

Megan fragte sich, was wohl hinter dieser wachsamen, zugeknöpften Miene vor sich ging.

»Was denken Sie gerade?« fragte sie aus einer momentanen Eingebung heraus.