Liebe ist die schönste Naturkatastrophe der Welt - Kasie West - E-Book

Liebe ist die schönste Naturkatastrophe der Welt E-Book

Kasie West

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Beschreibung

Das ist echt mieses Timing! Kurz vorm Abschlussball, genauer: als der Ball bereits in vollem Gange ist, gibt Gias Freund ihr den Laufpass. Für Gia steht fest: Ein Ersatz-Date muss her, sofort! Sie spricht den nächstbesten, immerhin ganz süßen Jungen an. Als der Unbekannte aber auf dem Ball so gut ihr perfektes Date gibt, ärgert sich Gia bald, ihn nicht mal nach seinem richtigen Namen gefragt zu haben …

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Kasie West

Liebe ist die schönste Naturkatastrophe der Welt

Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Markus

Weitere Bücher von Kasie West im Arena Verlag: Vergiss mein nicht!Bleib mir treu! Blaubeertage Die Nacht der gestohlenen Küsse

1. Auflage 2016 Copyright © 2015 by Kasie West Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel The Fill-In Boyfriend by HarperTeen, einem Imprint von HarperCollins Publishers, New York. Für die deutschsprachige Ausgabe: © 2016 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Markus Umschlaggestaltung: Suse Kopp ISBN 978-3-401-80541-2

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1

Irgendwo in einem Winkel meines Verstands, vermutlich dem Teil, der für die Vernunft verantwortlich war, wusste ich es: Ich musste ihn loslassen und gehen, um wenigstens einen Teil meiner Würde zu bewahren. Stattdessen legte ich meine Arme noch fester um ihn und presste meine Wange an seine Brust. Mit Vernunft hatte das rein gar nichts zu tun, das hier war pure Verzweiflung. Und obwohl ich wusste, wie abstoßend Verzweiflung sein konnte, konnte ich nicht anders.

Er seufzte und atmete dabei tief aus, sodass ich meine Arme noch enger um ihn schlingen konnte. Töteten Boaschlangen ihre Opfer nicht genau so? Nicht einmal der Gedanke brachte mich dazu, ihn loszulassen.

»Gia, es tut mir leid.«

»Dann tu es nicht. Und wenn du’s doch unbedingt tun musst, kann es nicht noch zwei Stunden warten?«

»Und genau weil du das gerade gesagt hast, kann es nicht warten. Das Einzige, was dir etwas bedeutet, ist, dass deine Freundinnen mich zu Gesicht bekommen.«

»Das stimmt nicht.« Okay, irgendwie stimmte es doch. Aber das lag nur an Jules. Sie war vor einem Jahr zu unserer Clique gestoßen und hatte seitdem alles drangesetzt, meine besten Freundinnen langsam, aber sicher gegen mich aufzuhetzen. Seit Neuestem unterstellte sie mir, ich würde damit lügen, dass ich seit zwei Monaten einen festen Freund hätte. Insofern: Ja, es stimmte, ich wollte meinen Freundinnen beweisen, dass ich nicht gelogen hatte. Sie sollten sehen, dass Jules diejenige war, die versuchte, unsere Clique auseinanderzubringen. Es war Jules, die mindestens zu einem Viertel aus reiner Boshaftigkeit bestand. Nicht ich.

Das war aber nicht der einzige Grund, warum ich wollte, dass Bradley mich heute Abend begleitete. Ich hatte ihn wirklich gemocht, zumindest bevor er beschlossen hatte, auf dem Schulparkplatz am Abend des Abschlussballs mit mir Schluss zu machen. Auch jetzt, nachdem er die Arschlochkarte gezogen hatte, müsste er doch einfach nur da reingehen, beweisen, dass er existierte, vielleicht Jules kurz einen Schlag in die Magengrube verpassen, und dann könnte er wieder gehen. War das zu viel verlangt? Und hallo, das hier war mein Abschlussball. Wollte er mich wirklich zwingen, diesen Abend, an dem ich möglicherweise zur Ballkönigin gekrönt werden würde, ganz allein zu verbringen?

»Nein, das ist nicht das Einzige, das mir etwas bedeutet …« Meine Stimme brach, obwohl ich mir Mühe gab, keine Schwäche zu zeigen. Na gut, mal abgesehen von dem An-ihm-Kleben-wie-ein-nasses-T-Shirt.

»Doch, das ist es. Und der Beweis dafür war dein erster Satz heute Abend: ›Meine Freundinnen werden vor Neid sterben.‹ Im Ernst, Gia? Das fällt dir als Erstes ein, nachdem wir uns zwei Wochen lang nicht gesehen haben?«

Ich überlegte. Hatte ich das wirklich gesagt oder hatte er das erfunden, um sich besser zu fühlen? Er sah tatsächlich umwerfend gut aus. Und ja, natürlich wollte ich ihn meinen Freundinnen zeigen. Konnte er mir das verübeln?

»Und den ganzen Weg hierher hast du unseren Auftritt geplant. Du hast mir Anweisungen gegeben, wie ich dich anzusehen habe.«

»Ich hab halt einen leichten Hang zur Kontrollsucht. Das weißt du doch.«

»Leichten Hang?«

Etwas weiter entfernt von dort, wo ich meinen Freund, äh, meinen Exfreund, beinahe zu Tode drückte, bog ein Auto in eine freie Parklücke. Hinten stieg ein Pärchen aus. Ich kannte sie nicht.

»Gia.« Bradley löste sich aus meiner Umklammerung und trat einen Schritt zurück. »Ich muss los. Ich hab eine weite Fahrt vor mir.«

Wenigstens sah er so aus, als täte es ihm ehrlich leid.

Ich verschränkte meine Arme und fand endlich ein bisschen meiner Würde wieder, wenn auch viel zu spät. »Na schön. Fahr doch.«

»Du solltest trotzdem reingehen. Du siehst atemberaubend aus.«

»Kannst du mich bitte einfach nur zum Teufel schicken und dann verschwinden? Nach alldem will ich dich nicht auch noch süß finden müssen.« Er war süß und der Gedanke, dass meine Verzweiflung, ihn zu verlieren, mit mehr als nur mit meinen Freundinnen zu tun hatte, drohte mich zu überwältigen. Ich schob das Gefühl weit von mir. Er sollte nicht wissen, dass er mich wirklich verletzt hatte.

Er verzog seinen Mund zu einem verschmitzten Lächeln und hob dann seine Stimme: »Mit dir rede ich kein Wort mehr. Du bist eine egoistische, oberflächliche Zicke, geschieht dir ganz recht, alleine da reinzugehen!«

Warum klang das so überzeugend? Ich ging auf das Spiel ein und feuerte zurück: »Ich hasse dich, du Mistkerl!«

Er warf mir eine Kusshand zu und ich lächelte. Ich schaute ihm nach, bis er ins Auto gestiegen und losgefahren war. Erst dann glitt mir das Lächeln aus dem Gesicht und mein Magen zog sich zusammen. Vermutlich ging er davon aus, mich würde schon irgendjemand nach Hause bringen. Gott sei Dank waren alle meine Freundinnen drinnen … und warteten darauf, dass ich mit dem Typen aufkreuzte, mit dem ich seit zwei Monaten angegeben hatte. Ich knurrte unwillig, versuchte den Schmerz in Wut zu verwandeln und lehnte mich an die Heckklappe eines roten Pickups. Und genau in dem Moment kreuzte ich den Blick eines Jungen, der im Auto gegenüber von mir auf dem Fahrersitz saß. Ich richtete mich schnell auf, straffte meine Schultern – nicht einmal ein Fremder durfte mich so schwach sehen – und er senkte den Blick.

Wieso hockte der Typ überhaupt da in seinem Auto? Er hielt ein Buch in der Hand und begann zu lesen. Er las? Wer saß während einer Prom auf dem Parkplatz und las? Dann kapierte ich es. Das Pärchen, das hinten aus dem Wagen gestiegen war, er hatte sie gefahren. Seine kleine Schwester vielleicht oder sein kleiner Bruder.

Ich musterte ihn. Viel konnte ich von ihm nicht erkennen, aber er sah gar nicht so schlecht aus. Braunes Haar, olivfarbener Hautton. Möglicherweise war er sogar groß – sein Kopf reichte über die Kopfstütze –, aber das war schwer zu sagen. Ansonsten war er überhaupt nicht mein Typ: verwuschelte Haare, eher dünn, Brille – aber er würde reichen müssen.

Ich ging zu ihm hinüber. Er las ein Geografiebuch oder irgendetwas über die Welt in achtzig Tagen. Ich klopfte an die Scheibe. Zögernd sah er auf. Noch länger dauerte es, bis er sein Fenster heruntergekurbelt hatte.

»Hi«, sagte ich.

»Hey.«

»Gehst du hier zur Schule?« Wenn das nämlich der Fall war und ich ihn nur noch nie gesehen hatte, würde mein Plan nicht funktionieren. Weil andere ihn kennen würden.

»Was?«

»Gehst du hier auf die Schule?«

»Nein. Wir sind gerade hergezogen, ich mach das Schuljahr an meiner alten Schule zu Ende.«

Noch besser. Sie waren neu in der Gegend. »Bist du hier, um deinen Bruder abzusetzen?«

»Schwester.«

»Perfekt.«

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe.

»Du bist mein Date heute Abend.«

»Äh …« Sein Mund klappte auf, aber das war alles, was herauskam.

»Wohnst du in der Nähe? Du kannst dadrinnen nämlich nicht in Jeans und T-Shirt aufkreuzen. Schon gar nicht in einem T-Shirt mit einer Telefonzelle drauf.«

Er blickte kurz an sich runter, dann wieder mich an. »Eine Telefonzelle? Echt jetzt?«

»Besitzt du wenigstens irgendeine dunkle Hose und ein Hemd? Vielleicht eine Krawatte? Eine blaugrüne Krawatte würde perfekt zu meinem Outfit passen, aber ich versuche mir keine unnötigen Hoffnungen zu machen.«

Ich legte den Kopf schief. Er war leider wirklich nicht mein Typ. Meine Freundinnen würden das durchschauen. »Und besitzt du zufällig Kontaktlinsen und irgendein Haarpflegeprodukt?«

»Ich kurbel dann jetzt das Fenster mal wieder hoch.«

»Nein. Bitte nicht.« Ich legte meine Hand in den Fensterrahmen. War ich jemals schon so verzweifelt gewesen? »Mein Freund hat eben mit mir Schluss gemacht. Das hast du vielleicht sogar mitgekriegt. Und ich möchte wirklich nicht allein auf meinen Highschool-Abschlussball gehen. Außerdem glauben meine Freundinnen nicht mal, dass mein Freund existiert. Lange Geschichte, aber du musst für ihn einspringen. Zwei Stunden. Das ist alles, worum ich dich bitte. Außerdem sitzt du hier ja sowieso nur herum und wartest auf deine Schwester.«

Mist. Seine Schwester. Würde sie seinen Namen quer durch die Turnhalle brüllen und alles ruinieren? Wir würden ihr einfach aus dem Weg gehen müssen. Oder sie in unser Geheimnis einweihen. Das würde ich noch entscheiden. »Das macht viel mehr Spaß, als auf dem Parkplatz herumzusitzen.«

Er sah mich immer noch an, als sei ich verrückt geworden. Und so fühlte ich mich auch.

»Du willst, dass ich einen auf Captain America mache?« Er machte eine Handbewegung Richtung Straße.

Kurz war ich verwirrt, aber dann begriff ich, dass er Bradley meinte, der ziemlich muskulös gebaut war. »Sie haben ihn noch nicht kennengelernt und wissen gar nicht, wie er aussieht. Außerdem bist du …« Ich zeigte auf ihn, ohne meinen Satz zu beenden. Ich versuchte einen anderen Superhelden zu finden, mit dem ich ihn vergleichen könnte, aber mit Superhelden kannte ich mich nicht aus. Gab es welche, die eher dünn waren? Spiderman? Das klang nicht gerade nach einem Kompliment.

Er saß immer noch da, starrte mich an und wartete darauf, dass ich den Satz beendete.

»Ich kann dich bezahlen.«

Er zog seine Augenbrauen hoch. »Ich glaube, dass es dafür Profis gibt. Vielleicht kannst du es ja mal mit 1-800-ESCORTSERVICE versuchen?«

Ich verdrehte die Augen, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. »Die Nummer kennst du anscheinend auswendig, hm?«

Er lachte kurz auf.

»Schön. Wenn es dir unangenehm ist, Geld anzunehmen, schulde ich dir was.«

»Und das wäre?«

»Keine Ahnung … Wenn du irgendwann mal ein falsches Date brauchst, springe ich gerne ein.«

»Für gewöhnlich habe ich falsche Dates nicht wirklich nötig.«

»Schön. Es freut mich, dass du immer ein echtes Date findest, ich aber nicht. Na gut, normalerweise schon, aber ganz offensichtlich nicht auf einem leeren Parkplatz.« Musste ich etwa noch in falsche Tränen ausbrechen, um mir einen falschen Freund zu angeln?

»Na gut.«

»Na gut?« Ich war überrascht, obwohl ich wirklich gehofft hatte, dass er mitmachte.

»Ja. Ich wohne sechs Häuserblöcke entfernt. Ich fahr eben nach Hause und zieh mir etwas Angemesseneres für einen Ball an.« Er schloss das Fenster, leise vor sich hin murmelnd, dass er kaum glauben konnte, was er hier tat. Dann fuhr er los.

Fünf Minuten lang stand ich auf dem Parkplatz und fragte mich, ob das einfach nur seine Taktik war, um aus der ganzen Sache rauszukommen. Wahrscheinlich schickte er seiner Schwester jetzt eine Nachricht, dass sie anrufen sollte, wenn sie abgeholt werden wollte. Und überhaupt – warum war er eigentlich auf dem Parkplatz geblieben, wenn er in der Nähe wohnte? Wäre er nicht besser nach Hause gefahren, um dort zu warten?

Ich holte mein Handy heraus und checkte Instagram und Twitter, um sicherzustellen, dass Bradley nichts von unserem Beziehungsende verbreitet hatte. Nichts. Ich hatte das erwartet, Bradley war nicht oft online. Noch ein Grund, warum Jules dachte, ich hätte ihn erfunden. Ich twitterte, dass der Abschlussball der absolute Hit werden würde, und steckte das Handy wieder zurück in meine Clutch, die perfekt zu meinem Kleid passte.

Weitere zehn Minuten verstrichen und ich war mir inzwischen sicher, dass er nicht mehr kommen würde. Ich ging all die Ausreden durch, die ich meinen Freundinnen auftischen würde, wenn ich drinnen war. Er ist krank geworden. Er musste für seine Abschlussklausuren am Montag lernen … er geht nämlich aufs College.

Ich seufzte. Das war doch alles erbärmlich.

Die Wahrheit. Ich musste die Wahrheit sagen. Er hat mit mir auf dem Parkplatz Schluss gemacht. Bei diesem Gedanken brannten Tränen in meinen Augen. Bradley hatte mit mir auf einem Parkplatz Schluss gemacht! Ich hatte es verbockt und ihn verloren und jetzt verlor ich möglicherweise mehr als nur ihn. War es das letzte Beweisstück, das meine Freundinnen brauchten, um Jules’ Behauptungen Glauben zu schenken? Ich hatte den Blick schon vor Augen, den Jules mir zuwerfen würde, wenn ich die Wahrheit sagte. Den War-ja-klar-dass-es-ihn-nicht-gibt-Blick. Den Blick, den sie mir jedes Mal zuwarf, wenn ich Bradley erwähnte. Es war dieser Blick, der mich immer wieder dazu gebracht hatte, immer mehr von Bradley zu erzählen. Zu blöd, dass ich bereits so viel erzählt hatte, dass sogar meine anderen Freundinnen angefangen hatten, an seiner Existenz zu zweifeln.

Wir hatten uns in einem Café an der University of California in Los Angeles bei einem Filmfestival getroffen, bei dem mein älterer Bruder mitmachte. Als er mich alleine im Café sitzen sah, hatte Bradley mich für eine Studentin gehalten. Ich hatte dem nicht widersprochen, weil ich tatsächlich ab nächstem Semester an der UCLA studieren würde. Ich hatte an dem Wochenende gerade meine vorläufige Zusage bekommen und fühlte mich, als gehörte ich so gut wie dazu. Bradley und ich hatten Telefonnummern ausgetauscht und eine Weile Nachrichten hin- und hergeschrieben. Und aus der bloßen Anziehung wurde mehr. Er riss blöde Witze und erzählte coole Geschichten von diversen Orten auf der Welt, an denen er schon gewesen war. Er war interessant. Ein paar Wochen später gestand ich ihm, wie alt ich wirklich war. Zu diesem Zeitpunkt mochten wir uns bereits. Das Hauptproblem war, dass ich drei Stunden von der UCLA entfernt wohnte. Deswegen hatte er mich in den zwei Monaten, in denen wir zusammen waren, bloß ein paarmal besucht und keine meiner Freundinnen kennengelernt. Und jetzt war es aus.

Ich straffte meine Schultern und blickte auf die Eingangstür der Sporthalle. Ich brauchte keinen Freund, weder einen echten noch einen falschen. Meine Freundinnen mochten mich, egal mit wem ich zusammen war oder nicht. Noch während ich das dachte, wünschte ich mir, dass es auch stimmte. Ich konnte unmöglich sowohl meinen Freund als auch meine Freundinnen an einem einzigen Abend verlieren. Mein Leben wäre leer ohne sie.

Gerade als ich den ersten Schritt auf die Tür zu machte, streifte mich Scheinwerferlicht und warf meinen Schatten auf den Asphalt.

Der Junge stieg aus dem Auto. »Wolltest du etwa ohne mich da rein, nachdem du so lange gebettelt hast?«

2

Ich lächelte. Ich konnte nicht anders. Er hatte tatsächlich einen Anzug an – schwarz, mit hellgrauer Krawatte. Seine Brille war verschwunden und er war groß.

Genau, was ich brauchte. Jeder würde uns sehen. Am Ende des Abends konnte er mit mir Schluss machen. Keine überheblichen Blicke von Jules, keine mitleidigen Seufzer von Laney und keine Nun-rück-einfach-mitder-Wahrheit-raus-Kopfbewegungen von Claire. Und es war auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Mein So-als-ob-Freund sorgte einfach nur dafür, meinen Abend in normale Bahnen zurückzulenken. Keine große Sache. Ganz besonders, wenn die Ein-Viertel-böse-Jules so in die Schranken verwiesen werden würde.

»Hi«, sagte ich und ging auf das Auto zu. Erwarvor der offenen Fahrertür stehen geblieben, als sei er noch unschlüssig. »Du siehst toll aus.« Mein Blick fiel auf seine Haare, die ich jetzt aus der Nähe sah. Sie waren das reinste Chaos. Ein Chaos, das er scheinbar versucht hatte zu bändigen.

»Setz dich mal für eine Sekunde.« Ich zeigte auf den Fahrersitz. Er zog eine Augenbraue hoch, gehorchte aber. Ich fischte einen kleinen Kamm aus meiner Handtasche, um ihn zu frisieren. Nachdem ich ihm die Haare aus der Stirn gekämmt und in Form gebracht hatte, nickte ich zufrieden. »Im Anzug siehst du richtig gut aus.«

Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Bringen wir es hinter uns.«

Er stand auf und reichte mir seinen Arm. Ich griff jedoch nach seiner Hand und zog ihn in Richtung Turnhalle.

»Moment. Warte mal«, sagte er, blieb abrupt stehen und riss mich damit nach hinten, was auf meinen High Heels kein Spaß war. »Ich brauche noch ein bisschen Hintergrund-Info. Du willst deinen Freundinnen doch glaubhaft machen, dass wir beide uns tatsächlich kennen, oder?«

»Oh, stimmt. Lass mal sehen.«

»Ein Name wäre ein guter Anfang.«

Ich lachte. Ich hatte ihm noch nicht mal meinen Namen gesagt. »Ich heiße Gia Montgomery. Siebzehn. Bin hier an der wunderbaren Freemont High in der Abschlussklasse und muss als Mitglied der Schülervertretung normalerweise nicht um Verabredungen betteln. Jedenfalls musste ich das bis heute nicht.«

»Notiert.«

»Und für die nächsten zwei Stunden bist du Bradley Harris. Drittes Jahr an der UCLA, übrigens der Grund, warum meine Eltern nicht mit der Beziehung einverstanden sind. Sie finden dich zu alt für mich.«

»Das bin ich auch«, sagte er.

Ich war mir nicht sicher, ob er damit Bradley meinte oder sich selbst. Hatte er nicht vorhin gesagt, dass er auf die Highschool ging? »Wie alt bist du denn?«

»Wenn ich im dritten Jahr im College bin, müsste ich mindestens, na was? Einundzwanzig sein?«

Er meinte Bradley. Ich verdrehte meine Augen. »Ja. Aber das sind nur vier Jahre Altersunterschied.«

»Was kein Weltuntergang wäre, wenn du nicht noch auf die Highschool gehen würdest. Und nicht minderjährig wärst.«

»Ich gehe nur noch fünf Wochen auf die Highschool und du klingst wie meine Eltern.«

Er zuckte mit den Schultern. »Sie klingen wie gute Eltern.«

»Was soll’s, jetzt ist es sowieso egal. Wenn der Abend vorbei ist, darfst du mit mir Schluss machen. Vorzugsweise vor meinen Freundinnen. Versuch bitte keine große Szene zu machen. Schnell und leise. Dann kannst du, genau wie der echte Bradley, für immer verschwinden und die Sache ist erledigt.« Bei diesen Worten bildete sich ein Kloß in meinem Hals und vor meinem inneren Auge spielte sich noch einmal ab, wie Bradley mich stehen lassen hatte, als gäbe es nichts Einfacheres auf der Welt. Ich schob den Gedanken beiseite und lächelte ihn an.

»Das schaffe ich.«

»Gut. Was ist mit deiner Schwester? Wird sie uns dadrinnen Schwierigkeiten machen? Durch die Sporthalle rennen und deinen Namen brüllen?«

»Nein. Meine Schwester rechnet nicht damit, mich dadrinnen in diesem Aufzug zu treffen. Und sie hat sowieso nur Augen für ihr Date. Aber wenn ich sie kommen sehe, fange ich sie ab und weihe sie ein. Sie ist cool. Sie macht bestimmt mit.«

»Warum schickst du ihr keine Nachricht? Nur für alle Fälle.«

»Das würde ich ja, aber beim Umziehen hab ich auf die Schnelle mein Handy vergessen.« Er klopfte auf seine Hosentaschen, um mir zu zeigen, dass es stimmte.

»Sie wird nicht ausflippen?«

»Wird sie nicht.«

»Okay, dann können wir, denke ich.«

Er grinste mich an, als hätte ich einen wesentlichen Punkt übersehen.

»Was?«

»Ach nichts. Lass uns reingehen.« Sein Gang war selbstbewusst, es schien ihm noch nicht einmal etwas auszumachen, meine Hand zu halten.

Gleich neben der Eingangstür gab ich dem Lehrer die Eintrittskarten, die ich für Bradley und mich gekauft hatte, und wir gingen weiter in den Ballsaal. Die Musik war laut – eine Live-Band spielte – und nicht besonders gut. Beim Casting, das wir organisiert hatten, war diese Band als Sieger hervorgegangen. Wir hatten uns für das kleinste Übel entscheiden müssen. Letztes Jahr hatten wir eine bekannte Band aus unserer Stadt gehabt, aber mit den »erschwinglicheren« Eintrittspreisen von diesem Jahr gab das Budget laut Mr Lund nicht mehr her.

Ich entdeckte meine Freundinnen und ihre Dates auf der anderen Seite des Saals, sie standen um einen Bartisch herum. Ich schloss für einen Moment die Augen und versuchte all mein schauspielerisches Können zutage zu fördern, was nicht gerade viel war, aber reichen musste. Mein So-als-ob-Freund neben mir schien kein bisschen nervös zu sein. Natürlich nicht – er hatte nichts zu verlieren.

»Meine Schwester tanzt gerade. Im Moment brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen, glaube ich«, sagte er.

Ich folgte seinem Blick zu einem Mädchen ganz in Blau – der Rock des Kleides bestand aus verschiedenen Tüllschichten. Sie war hübsch – langes braunes Haar, nettes Gesicht. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, vermutlich war sie jünger als ich. Obwohl, hatte er nicht gesagt, dass sie gerade erst hergezogen waren? Vielleicht war das ja wirklich vor Kurzem gewesen. Allerdings konnte ich auch ihren Freund nicht einordnen, also kehrte ich doch wieder zu meiner Theorie zurück, dass sie jünger war.

»Okay. Könntest du versuchen, mich anzuschauen, als wärst du wahnsinnig verliebt in mich?«

»Captain America und du – seid ihr wahnsinnig verliebt ineinander gewesen?«

Ich öffnete den Mund – mein erster Gedanke war »Na klar« zu antworten, aber ich sagte es nicht, denn es stimmte nicht. Bradley und ich waren … Na ja, wir waren halt glücklich gewesen. Wenigstens war ich bis heute Abend noch davon ausgegangen. Ich setzte mein allerbestes Flirt-Lächeln auf und war heilfroh, dass ich meine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, die mich auf dem Parkplatz noch zu überwältigen gedroht hatten. »Hast du keine Erfahrungswerte, wie so etwas aussehen soll?«

Er konzentrierte sich kurz und richtete dann einen Blick auf mich, in dem sich glühendes Verlangen spiegelte. Mann, war der gut.

»Das ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen.«

Sein Blick wurde weniger intensiv und zum ersten Mal fiel mir auf, dass seine Augen blau waren. Nicht gut. Bradley hatte braune Augen.

»Wirklich so schlimm?«

»Nein. Dein Blick ist super.« Was bedeutete, dass er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man verliebt war. Ich war diejenige, die keine Erfahrungswerte hatte. »Deine Augenfarbe stört mich.«

»Das hat mir noch nie jemand gesagt. Danke fürs Kompliment.«

»Tut mir leid. Mit Sicherheit sagen dir die Mädchen, dass sie verträumt aussehen oder so.« Denn das stimmte. »Es ist bloß so …«

»… dass Bradleys Augen smaragdgrün sind? Nein, zart schmelzend schokoladenbraun?«

Ich lachte, denn er hatte seine Hand auf die Brust gelegt und seine Stimme hatte einen melodramatischen Ton angenommen. »Ja, genau. Zart schmelzend.«

Er suchte meinen Blick. »Wie deine.«

»Na ja, seine Augen erinnern eher an Schokolade, meine an Tinte, aber …« Ich schüttelte den Kopf und versuchte wieder zum Thema zurückzukommen. »Achte nur darauf, dass du niemanden direkt ansiehst.«

»Zum Glück kommt das ja auch überhaupt nicht seltsam rüber. Glaubst du, dass sich deine Freundinnen an die Augenfarbe eines Typen erinnern, den sie noch nie getroffen haben? Habt ihr euch wirklich so oft über seine Augenfarbe unterhalten?«

»Nein. Na ja, sie haben halt ein paar Fotos gesehen.«

»Sie haben Fotos gesehen?« Seine Augen wurden groß. »Und wie genau hast du dir vorgestellt, damit durchzukommen?«

»Na ja, es waren keine Nahaufnahmen. Und auf einem war sein Gesicht nur halb zu sehen.« Sehr zu meinem Leidwesen hatte Bradley es nicht gemocht, sich fotografieren zu lassen. »Es ist schon eine Weile her, seit sie die Fotos gesehen haben. Ich denke, ihr beide seid euch ähnlich genug, dass es funktioniert. Aber gib dir ein bisschen Mühe, sie nicht direkt anzusehen, ohne dabei seltsam rüberzukommen.«

Er nahm meine Hand in seine, küsste sie, sah mich mit diesem flammenden Blick an und sagte: »Tja, ich habe sowieso nur Augen für dich.«

Er war echt gut. Ich lachte. »Dort drüben sind meine Freundinnen. Los.«

»Wie kommen deine Freundinnen darauf, dass es mich nicht gibt, wenn sie Fotos gesehen haben?«, fragte er, als wir uns einen Weg durch die tanzenden Paare bahnten.

»Weil du zur UCLA gehst und ich normalerweise dich besucht habe. Wenn du mal herkamst, wolltest du lieber die Zeit mit mir verbringen als mit meinen Freundinnen.«

»Verstehe. Ich bin ein Snob.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Wenn du mich besucht hast, haben wir uns mit meinen Freunden getroffen?«

»Nein. Wir haben uns ja so selten gesehen. Wir wollten nichts mit anderen unternehmen, wenn wir zusammen waren.«

»Okay, du warst also mein Geheimnis.«

»Nein, ich wollte es so. Und außerdem bist du eben drei Stunden gefahren, um zu meiner Prom zu kommen, und hast also ganz offensichtlich vorgehabt, alle meine Freundinnen kennenzulernen.« Es fühlte sich immer merkwürdiger an, dass wir uns unterhielten, als sei er wirklich Bradley. Ich schüttelte den Kopf. »Er hat vorgehabt, meine Freundinnen kennenzulernen.«

»Und trotzdem hat er mit dir auf dem Parkplatz Schluss gemacht, bevor es dazu kam.«

Ich biss auf die Innenseite meiner Wange. Noch zehn Schritte, dann wären wir da. Ich hatte keine Zeit mehr, ihm zu erklären, dass ich Bradley nicht so behandelt hatte, wie er es verdient hatte. Dass mir nach zwei Wochen ohne ihn keine bessere Begrüßung eingefallen war, als dass meine Freundinnen vor Neid sterben würden. Weil er einfach wahnsinnig gut aussah. Aber ich hätte ihm lieber genau das sagen sollen, anstatt mir Gedanken darüber zu machen, was meine Freundinnen von ihm halten würden. Was aber nicht leicht war, wenn man zwei Monate lang einem Kreuzverhör ausgesetzt war, ob er nun existierte oder nicht; zwei Monate, in denen ich alles über ihn erzählt hatte. Alles nur wegen Jules. Ich hätte ihre unablässigen Unterstellungen nie so nah an mich ranlassen dürfen.

Claire war die Erste, die mich bemerkte, und ihre Augen leuchteten vor Erleichterung auf, als ihr Blick auf meine Begleitung fiel. Wir waren am engsten befreundet, sie war immer diejenige, die mir, wenn nötig, zur Seite stand. »Gia!«

Alle drehten sich um.

Jules’ Blick war unbezahlbar. Erst lächelte sie selbstzufrieden, dann klappte ihr kaum merklich die Kinnlade runter. Und ausnahmsweise trug Laney mal nicht ihre übliche Mitleidsmiene. Ich strahlte über das ganze Gesicht. »Hallo, alle zusammen. Das ist Bradley.«

Er hob seine Hand und winkte kurz. Keine Ahnung, ob es unbeabsichtigt war oder ob er einen Scherz machen wollte, aber als er »Schön, euch alle kennenzulernen« sagte, klang seine Stimme tief und rauchig.

Claire machte große Augen. »Nicht schlecht, Gia«, stand in ihrem Blick geschrieben.

Jules hatte sich schnell wieder im Griff und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Ich hielt die Luft an und wartete darauf, dass sie einen Kommentar abgab, von wegen er sähe ganz anders als auf den Fotos aus oder wäre so gar nicht mein Typ. Stattdessen wandte sie sich an ihn: »Ich bin erstaunt, dass du freiwillig zu einer Highschool-Prom kommst.«

Er sah mir tief in die Augen, ließ seinen Arm über meinen Rücken gleiten und legte ihn um meine Taille. »Gia war es wichtig.« Bei diesen Worten zog er mich an sich. Mein Rücken prickelte bei seiner Berührung. Instinktiv wollte ich mich von ihm losmachen, aber wäre er Bradley gewesen, hätte ich anders reagiert. Ich hätte mich an ihn geschmiegt. Ich hätte glücklich geseufzt. Ich zwang mich zu beidem.

Jules grinste. »Ist das euer Beziehungs-Motto? ›Was Gia wichtig ist?‹« Sie machte tatsächlich Anführungszeichen in der Luft.

Garrett, Jules’ Date, lachte, verstummte aber schnell, als ihm einer der anderen Jungen in den Rücken stieß.

»Nein«, erwiderte mein falscher Freund, bevor ich antworten konnte. »Aber das wäre keine schlechte Idee.«

Jetzt lachten alle, außer mir. Ich war damit beschäftigt, Jules hasserfüllte Blicke zuzuwerfen.

»Wir gehen dann mal tanzen«, sagte der Junge, der so tat, als wäre er Bradley. Und als er mich zur Tanzfläche führte, wurde mir schlagartig klar, dass ich seinen echten Namen nicht kannte. Hatte er deswegen so gegrinst, als wir in die Sporthalle gegangen waren? Und als der Junge-von-dem-ich-nicht-wusste-wie-er-hieß mich zum Tanzen an sich zog, legte ich meine Stirn an seine Brust und flüsterte: »Tut mir leid.«

3

Was tut dir leid?«, fragte So-als-ob-Bradley.

»Ich weiß nicht mal, wie du wirklich heißt.«

Ich konnte es an seiner Brust spüren, dass er leise in sich hineinlachte. Dann beugte er sich so weit hinunter, dass sein Atem mein Ohr kitzelte, und sagte: »Ich heiße Bradley.«

Verblüfft schaute ich zu ihm auf. »Echt jetzt?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich mache Method Acting. Ich muss mich in eine Person verwandeln, um sie zu spielen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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