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Ein Leben ohne innere Stimmigkeit ist freudlos, denn es bedeutet Fremdbestimmung und bloßes Funktionieren. Gleichwohl bedarf es einer regelmäßigen Innenschau, um die eigene Individualität zu finden und zu leben. Dazu gehört es auch, ab und zu aus der Reihe zu tanzen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen und bisher unbekannte Wege einzuschlagen. Das Buch von Klaus Rentel beschreibt, wie uns die Echtheit abhandenkommen kann und wie wir sie zurückerobern können. Dazu liefert es eine Fülle von Anregungen und Hinweisen - auch wie die Nebenwirkungen entsprechender Verhaltensänderungen zu meistern sind. Der Autor zeigt auf, wie wir die Hoheit über unser Leben zurückerlangen und erfüllter und freudvoller leben können. Das Buch bezieht sich größtenteils auf Weisheiten, Prinzipien und Erfahrungen aus Mythologie, Psychologie, Erzählkunst und reifer Lebenspraxis. Es zeigt den Sinn und die wachstumsfördernden Effekte auf, die der nie endende Weg der Echtheit mit sich bringt. Dieser Weg führt zum Kern, zum Wesentlichen, zum Eigentlichen - also zu dem, was uns authentisch macht.
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Seitenzahl: 312
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Aperitif
Echtheit und ihre Verhinderung
Wann ist etwas authentisch?
Keiner lebt alleine
Authentizität braucht Bewusstsein
Der Lohn der Stimmigkeit
Wozu aus der Reihe tanzen?
In Reibung mit Regeln
Innen gegen außen
Keine Angst vor Konsequenzen
Authentizität – ein Hindernislauf
Körperlich wachsen und innerlich schrumpfen
Wenn Glauben kleinhält
Kein Leben ohne Angst
Das eingebildete Selbstbild
Wenn Echtheit zu kurz kommt
Schein oder Sein
Die vergessene Weisheit des Körpers
Zum Wesentlichen finden
Wer bin ich?
Beseeltes Leben
Kein Licht ohne Schatten
Wie Werte wirken
Die Rückeroberung der Echtheit
Die Entscheidung fürs Wesentliche
Der eigenen Spur folgen
Die Reise des Helden zu sich selbst
Potenzial und innere Führung
Authentisch aus der Reihe tanzen
Solotanz
Bleiben Sie bei sich
Im Reich der Mitte
Gewohnheiten ausmisten
Antreiber vertreiben
Keine Macht den Ängsten
Zweifel anzweifeln
Der Tod als Coach
Den Verstand verlieren
Ein Hoch auf das Chaos
Dem Glück folgen
Still sein
Üben macht der Meister
Gesellschaftstanz
Hat jeder und braucht jeder: Aggressivität
Ein Schwert für Klarheit und Wahrheit
Seien Sie eine Zumutung
Regeln brechen – bevor sie Sie brechen
Von wegen Sollen: Weg mit dem Drachen
Im eigenen Rhythmus
Die Wildheit und die
Macht
Perfekt unperfekt
Wenn Fehler angemessen sind
Vorsicht Falle: Falling in Love
Wanted: Komplizen
Echtheit gewinnt
Leben von innen nach außen
Sag’s authentisch
Echtheit vermitteln
Digestif
Nach- und Weiterlese
End User License Agreement
Cover
Inhaltsverzeichnis
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Klaus Rentel
WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA
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Umschlaggestaltung: Torge Stoffers, Leipzig
Umschlagabbildung: chatchaisurakram – stock.adobe.com
Satz: Lumina Datamatics
Print ISBN: 978-3-527-51014-6
ePub ISBN: 978-3-527-82843-2
Ob bewusst oder nicht: Wir alle halten uns an viele Regeln und Gewohnheiten. Manche davon nützen uns, andere nicht, manche schaden uns sogar. Viele befolgen wir schon seit langer Zeit; Familie, Religion, Gesellschaft setzen Standards fürs Leben. Kindern gibt das zunächst einmal Sicherheit und Orientierung.
Die Eltern spielen hier natürlich die Hauptrolle – in der Absicht, den Nachwuchs auf ein erfolgreiches und glückliches Dasein vorzubereiten. Wenn, wie so oft, deren Definition von Erfolg und Glück wenig mit der Natur des Kindes zu tun hat, kann das ziemlich schmerzhaft werden: Als Folge der notgedrungenen Anpassung kommt ihm seine eigene Mitte abhanden.
Als Erwachsener darf sich der Mensch also auf die Suche nach seinem Kern und damit seinem Glück machen. Beides findet er nirgendwo anders als in sich selbst.
Allerdings nicht in Form eines Geschenkes oder einer Bestellung beim Universum. Suchen ist eine Aktion und Finden deren Ergebnis. Bei all den Ablenkungen der Konsumgesellschaft ist das Dranbleiben an dieser Suche nicht immer leicht. Und längst nicht jeder verspürt diesen Antrieb, solange sonst alles in Hülle und Fülle vorhanden ist.
Trautes Heim, Lebenspartner, Hobby, Wohlstand – gemessen am Konsensbild vom glücklichen Leben fehlt den meisten Mitteleuropäern tatsächlich wenig. Trotzdem spüren viele eine innere Leere. Es fehlt Wesentliches, so als ob niemand zuhause wäre. Der Mangel an Echtheit und Erfüllung kann uns in handfeste Krisen führen.
Aus innerem Antrieb fahnden deshalb viele Menschen nach ihrer wahren Identität, und die hat wenig mit ihrer Identity Card zu tun. Authentizität ist die Reise zu sich selbst, zum eigenen Kern. Kein Zustand, sondern ein Prozess, der sich permanent vertieft und kein Zurück kennt.
Ein treuer Begleiter wird dabei die Frage, was jeweils für uns stimmt. Wenn wir in uns die Antwort gefunden haben, will sie gelebt werden. Das Umsetzen der Erkenntnis bedeutet oft, dass wir aus der Reihe tanzen, jedenfalls in den Augen anderer. Doch wie sonst könnten wir sonst unsere Autonomie und Würde wahren?
Auch wenn wir dabei höflich und respektvoll bleiben: Aus der Reihe tanzen, Regeln brechen, Grenzen setzen, gegen die gängige Moral handeln ‒ das fordert heraus. Zugleich kann es sehr lustvoll und erfüllend sein, sich zu befreien, einengende Grenzen zu sprengen, sein wahres Wesen in die Welt zu bringen.
Dieses Buch ist eine Einladung, den Weg auf stimmige, freudvolle und lebendige Weise zu gehen. Weil dieser Weg niemals endet, brauchen Sie sich dabei nicht zu beeilen. Das gilt auch fürs Lesen: Lassen Sie sich Zeit, legen Sie das Buch öfters beiseite und spüren Sie den Aspekten und den Fragen nach, die es bei Ihnen aufwirft. Aber bleiben Sie dran, der Lohn ist reich.
Und wenn Sie glauben, der Autor dieses Buches hätte die Echtheit mit Löffeln gefressen oder unterm Weihnachtsbaum gefunden, dann liegen Sie falsch. Wie Sie bin ich auf dem Weg und erfahre, erkenne, suche, finde, übersehe, scheitere und reüssiere. Aber heute mit mehr Mut, Freude und Erfüllung. Ich freue mich, wenn Ihnen dieses Werk ein guter Ratgeber ist, wie Sie aus sich selbst heraus immer mehr Ihr eigener Ratgeber werden.
Viel Erfolg beim Finden und Leben Ihrer ganz persönlichen Wahrheit. Und wenn nötig, auch beim Tanzen aus der Reihe!
Ihr
Klaus Rentel
PS: Liebe Leserinnen,
flüssig formulierte Texte erleichtern das Verstehen. Aus diesem Grund verzichte ich auf die oft sperrige geschlechterspezifische Ansprache.
»Wir stecken in uns wie Figuren in einem Steinblock. Man muss sich aus sich herausarbeiten.«
(Robert Musil)
Dank der frei zugänglichen elektronischen Medien lassen sich mit Falschaussagen breite Schichten beeinflussen, Wahlen gewinnen, Kriege anzetteln, Sündenböcke bestimmen. Jeder kann sich ein beliebiges Image geben oder die abstrusesten Theorien verbreiten und dafür Anhänger finden. Hauptsache authentisch.
Was viele nämlich unter dem A-Wort verstehen: sich profilieren, anders sein als diejenigen, mit denen man nichts zu tun haben möchte, besonders wenn die in der Mehrheit zu sein scheinen. Das ist nicht authentisch, sondern albern. Besonders, wenn das Verhalten dem Willen entspringt, sich um jeden Preis herauszuheben und etwas Besseres zu sein.
Jeder kennt Phasen der Abgrenzung um der Abgrenzung willen, die sich idealerweise auf die Jugendzeit beschränken. Bei Teenagern geht es dabei um Abnabelung und Unterscheidung von den Eltern; die Suche nach dem Eigenen gewinnt damit rasant an Fahrt.
Auf dem besten Weg zur Reife ist, wer fortwährend dieses Eigene sucht und sich möglichst daran ausrichtet. Der Antrieb dafür ist ein drängendes Gefühl, dass es etwas Wesentliches zu entdecken gilt. Etwas, für das es keinen Ersatz gibt. Etwas, das man nicht kaufen kann, aber braucht.
»Authentisch« stammt aus dem Griechischen, wo es für echt, aufrichtig oder original steht. Ansonsten gilt es als mehr oder weniger synonym zu Begriffen wie wahrhaftig, wesentlich, stimmig, kongruent. Authentizität meint oft auch Identität oder Individualität, Weg des Herzens, das Eigentliche.
Oder den Einklang mit sich selbst. Authentisch lebt also, wer nach seinen individuellen Werten und Bedürfnissen handelt, ohne sich von außen ablenken zu lassen. Und wer nicht versucht, jemand zu sein, der er nicht ist.
So weit, so einfach. Wäre da nicht noch das Gemeinwesen, in dem wir leben. Jede Gemeinschaft fordert ein gewisses Maß an Anpassung, weil ohne Anpassung und Regeln das Zusammenleben nicht funktioniert. Hinzu kommen die einzigartigen Lebensbedingungen des Einzelnen, die sich daraus ergeben, zu welcher Zeit, an welchem Ort, in welcher Familie und Kultur, in welchem Körper jemand lebt.
Nicht einmal ein Eremit, der sich 20 Jahre in seine Höhle zurückzieht, lebt völlig frei von Regeln. Seine Vergangenheit hat ihn geprägt. Und bestimmt hat ihm sein Meister Vorgaben mit auf den Weg zu den Höhen der Versenkung gegeben. An diese Regeln hält sich der Schüler, damit er sich irgendwann selbst Meister nennen kann.
Wie wir unsere Innenwelt wahrnehmen, hängt also auch von der Außenwelt ab. Wer kann schon immer sagen, ob eine bestimmte Überzeugung die eigene oder nicht doch auf den Einfluss anderer zurückzuführen ist? Das muss sich nicht gegenseitig ausschließen, tut es aber oft.
Niemand ist komplett eins mit seinem Potenzial und daher niemals hundertprozentig authentisch. Denn es ist nicht möglich und auch nicht nötig, all die echten und vermeintlichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, selbst wenn wir das gerne täten. Perfektionismus ist also fehl am Platz. Warum nicht einfach genussvoll Stück für Stück stimmiger werden?
Dann stimmen wir mit unserer Wahrheit und unserem Verhalten, unseren Gefühlen und unserer Fantasie bestmöglich überein, entwickeln ein positives Selbstgefühl und sehen uns genügend in die Gemeinschaft integriert, wie es der Psychologe Lutz Müller sagt. Damit wäre das Bedürfnis nach Individualität und Selbstentwicklung erfüllt, und weder soziale Verbundenheit noch Sicherheit kämen zu kurz.
Wären wir dagegen mit einem Schlag von Einfluss und Anpassung völlig frei, fielen wir ins totale Chaos, weil wir weder äußeren noch inneren Halt hätten. Das Ich-Bewusstsein braucht die Reibung und Spiegelung am Du.
Menschsein bedeutet deshalb, in einer Gemeinschaft Erfahrungen zu machen und Erkenntnisse zu gewinnen. Im Lauf unseres Lebens gehen wir eine Menge Bindungen unterschiedlichster Qualität ein; manche erleben wir als sinnvoll, geborgen oder glücklich, andere engen uns ein oder bedrohen uns. Die spannende Frage ist jeweils, inwiefern wir gleichwohl »unser Ding« machen können.
Ziemlich authentisch lebt also, wer nach seinen Überzeugungen, Werten und Bedürfnissen handelt, wer seinem individuellen Weg folgt – und zwar allen Ablenkungen und Abhängigkeiten zum Trotz und so gut es eben geht. Authentisch ist dabei keine moralische Kategorie, sondern wertfrei. Was wer tut, kann so oder so bewertet werden. Jeder wertet nach seinen Werten, und Werte können höchst unterschiedlich sein.
Stimmigkeit gibt es nicht zum Nulltarif. Um nach eigenen Werten, Überzeugungen und Bedürfnissen zu leben und dem persönlichen Weg zu folgen, muss man um diese Dinge wissen. Das verlangt eine regelmäßige Innenschau, also Bewusstwerdung. Und es ruft nach Verantwortung für das eigene Erkennen, für das eigene Handeln und für die Konsequenzen daraus. Wer sich nicht bewusst ist, weiß nicht, was er tut.
Tiere haben keine andere Wahl als so zu sein, wie sie sind. Sie tun einfach, was ihrer Art und der Situation angemessen ist. Sie fragen nicht, ob sie sich damit Ärger einhandeln. Was uns vom Tier unterscheidet: Wir treffen unablässig Entscheidungen, nicht weil es uns so viel Freude macht, sondern weil wir als fühlende und denkende Wesen in einer Welt der Gegensätze nicht anders können.
Wir sehen Alternativen und wählen diejenige, die uns am besten geeignet erscheint, ein Bedürfnis zu erfüllen oder ein Ziel zu erreichen. Auch wenn wir uns nicht entscheiden, entscheiden wir uns, nämlich fürs Abwarten. Manchmal nimmt uns das Leben dann die Entscheidung ab.
Wo wir einer Routine folgen, entscheiden wir, uns automatisierten Abläufen hinzugeben. Die können das Leben immens erleichtern, und nur selten brauchen wir uns hier die Frage nach der Stimmigkeit zu stellen. Wohl aber, wenn wir etwas tun, das auf uns oder andere eine direkt spürbare Wirkung hat. Oder wenn wir uns damit einer Bewertung aussetzen. Also etwa wenn Sie in Citylage bei offenem Fenster Opernarien improvisieren oder wenn Sie Ihrem Nachbarn die Meinung geigen. Wenn Sie etwas Kontroverses in den Social Media posten, an einer Kundgebung teilnehmen et cetera.
Und besonders dann, wenn es Sie von innen heraus zu etwas drängt, das Sie nicht zu tun wagen, weil es sich angeblich nicht gehört: Hier mischt sich die Außenwelt kräftig ein, etwa in Gestalt von übernommenen Denk- und Verhaltensgewohnheiten, Gruppenzwang, finanziellem Druck, Manipulation und Sanktion. In diesem Fall können fällige Entscheidungen eine zähe Angelegenheit werden – und schließlich zuungunsten Ihrer inneren Wahrheit ausfallen, wenn der Mut fehlt und Ihnen tausend »vernünftige« Gründe dagegen einfallen.
Oder gehören Sie doch zu jener unbekannten Spezies, die allzeit frei von solchen Störungen ist? Die jede ihrer Entscheidungen auf einer unerschütterlichen Basis aus Bauchgefühl und geistiger Klarsicht trifft, die selbstsicher wie ein Titan für jede ihrer Handlungen einsteht, sich allzeit völlig ungeschminkt zeigt und Wirkung entfaltet, dass es nur so kracht?
Solange Sie nicht dauerhaft in solchen höchst seltenen Erleuchtungszuständen weilen, wird es mit der Reinform der Authentizität auch deshalb nichts, weil die Angst in vielfacher Verkleidung Ihr ständiger Begleiter ist und bleibt, ganz gleich, ob Sie das nun Angst nennen oder Bedenken oder Sicherheitsbedürfnis. Angst kann Leben retten, aber auch heftig auf den Keks gehen, weil sie ein enormes Sabotagepotenzial hat.
Es gibt so viele Hindernisse, dass der Weg zum eigenen Wesenskern kein Ende nimmt. Also heißt die Aufgabe, mit den Ungeheuern zu leben und ihnen Paroli zu bieten, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Im zweiten und dritten Teil dieses Buches finden Sie eine Menge Möglichkeiten, wie Sie das auf Ihre Weise angehen und wo Sie den Hebel ansetzen können.
Tanzkurs
Woran merken Sie es, wenn Sie nach Ihren inneren Maßstäben leben?
Woran merken es andere?
Was oder wer hindert Sie manchmal daran, stimmiger zu handeln?
Hauptsache also, Sie geben der Entfaltung Ihres Wesens genügend Raum – im Rahmen der Einschränkungen, die nun mal aufgrund Ihrer Prägungen, Ihrer aktuellen Lebenssituation und der Kultur gegeben sind. Dieser Rahmen lässt sich wohl sehr weit dehnen, aber nicht gänzlich abschaffen.
Es macht aber einen gewaltigen Unterschied, wie lebendig sich Ihr Leben anfühlt. Dieses Lebendigsein steht in direktem Zusammenhang damit, wie nahe Sie an Ihrem Wesenskern leben, also wie stimmig Ihr Handeln und das Erleben Ihrer Wirklichkeit ist. Lebendigkeit erfahren Sie primär dann, wenn Sie Ihre innere Wahrheit in die Welt bringen. Das fühlt sich unendlich vitaler an als der eingezogene Schwanz.
Dann lässt es sich jedoch nicht vermeiden, dass Sie die eine oder andere Regel brechen, die für Sie nicht stimmt. Denn viele Regeln sind von anderen gemacht, aus Gründen, die nicht Ihre sein müssen. Doch letztlich ist es Ihre Wahl, wie konsequent Sie nach Ihrem inneren Kompass leben oder wo Sie Ihre Autonomie an Organisationen, Konventionen, Regeln und damit an Außenstehende abgeben. Seien Sie sich indes im Klaren, dass die Außenwelt nur selten Ihr persönliches Wohl und Wachstum im Sinn hat.
Gewiss lässt es sich nicht immer vermeiden, manche Regel noch eine Zeitlang zu befolgen, obwohl Sie bereits erkannt haben, dass sie Ihren Werten und Bedürfnissen zuwiderläuft. Wenn Sie Ihrer Echtheit auf der Spur sind, setzen Sie sich jedoch so lange damit auseinander, bis Sie einen Weg gefunden haben, der für Sie stimmt. Dabei lernen Sie sich besser kennen und schätzen – Ihre Stärken, Schwächen und Widersprüche ebenso wie die Gründe für Ihr Handeln. Sie schauen Ihrer Realität ins Auge und bekommen eine immer klarere Idee davon, wer Sie wirklich sind.
Kurz gefasst: Authentisch – was ist das überhaupt?
Ziemlich authentisch lebt, wer seinen Werten und Bedürfnissen entsprechend handelt, ohne sich davon ablenken zu lassen.
Echtheit gibt es nicht geschenkt, denn um nach inneren Maßstäben zu leben, muss man diese kennen. Das verlangt eine regelmäßige Innenschau.
Jedoch stehen machtvolle Störenfriede im Weg zu sich selbst, zum Beispiel die vielfältigen Ängste.
Niemand ist darum eins mit seinem Potenzial und ebenso wenig frei von Einschränkungen. Kein Mensch ist immer hundertprozentig stimmig.
Der Weg zum eigenen Wesenskern nimmt kein Ende, lohnt sich aber ohne Ende.
In allzu einträchtiger Gemeinschaft mit Gleichgesinnten kann man sich kaum weiterentwickeln.
Haben Sie schon einmal einen Hund gebissen? Eben. In der Regel findet das, wenn überhaupt, andersrum statt. Wenn Sie nicht gerade, sagen wir, ein Postbote mit einschlägigen Erfahrungen sind, können Sie sich sicherlich mit dieser Norm abfinden. Was aber ist mit Regeln, die Ihnen gehörig gegen den Strich gehen, weil sie Ihre Freiheit über Gebühr einschränken? Was also, wenn das »Tanzen« in Reih und Glied für Sie nicht stimmt?
Regeln sind Richtlinien, Vorschriften, Konventionen oder eingespielte Verfahren und Prozesse, an die »man sich gewöhnlich hält«. Sie regeln das Gemeinschaftliche, und insofern sind sie oft sinnvoll. Im Idealfall bremsen sie diejenigen aus, die sich auf Kosten der Gesamtheit bereichern oder ihr anderweitig schaden wollen. Regeln schützen jene Menschen, die sich gegen Übergriffe sonst nicht wehren können. Auch sorgen Regeln dafür, dass die tägliche Routine mit möglichst wenig Reibung auskommt; jeder weiß, dass eine rote Ampel Stopp bedeutet oder dass Geschäfte ihre Waren nicht verschenken.
Durch Gesetze werden Regeln zur Norm für alle. Andere Regeln werden durch Religion oder Brauchtum verordnet. Generell fällt es umso leichter, eine Regel zu brechen, je weniger schmerzhaft die Konsequenzen sind. Übergehen viele Menschen eine Regel, so verblasst die rote Linie schließlich.
Regeln sind ein Spiel des menschlichen Geistes und damit Kulturgut. Längst nicht alle werden ausgesprochen oder aufgeschrieben. Weil jede Familie ihre eigene Kultur hat, gibt es auch familiäre Regeln, etwa wer wo am Tisch sitzt, wer welche Aufgaben oder wer wo das Sagen hat. Die Normen von weltlicher Gesellschaft und Religion regieren genauso in die Familie hinein wie die Regeln der Herkunftsfamilien von Vater und Mutter.
Der Einfluss der Gesellschaft oder einer privaten Tradition kann höchst unterschiedlich sein, man vergleiche etwa die Moral einer Mafiafamilie mit der einer rechtschaffenen Arbeiterfamilie. Und die Regeln einer Familie im Slum von Mumbai haben gewiss nicht viel gemein mit den Gepflogenheiten bei Emirs oder Inuits zu Hause.
In Mitteleuropa gilt noch immer der Knigge etwas, eine Art Regelwerk zum Umgang der Menschen miteinander. Das 1788 erschienene Buch war übrigens keine Vorschrift, wie man Messer und Gabel richtig hält, einen guten Tag wünscht oder den Ober ruft, sondern eine Empfehlung von Gepflogenheiten, die den Umgang miteinander erleichtern sollten.
Für Adolph Freiherr von Knigge waren Moral und Weltklugheit die Basis seines Werks – und er selbst deshalb ein Gefährder herrschender Regeln: Die italienische Übersetzung wurde Anfang des 19. Jahrhunderts bei der vatikanischen Indexkongregation angezeigt, da man den Autor für einen gefährlichen Aufklärer hielt. Hatten Sie Knigge als Querulanten auf dem Schirm? Als jemanden, der aus der Reihe tanzte?
Damit einer überhaupt aus der Reihe tanzen kann, braucht es zwei Seiten: eine Mehrzahl, die brav in einer Reihe tanzt, und jemanden, der seine eigenen Kreise zieht. Also einen aktiven Regelbrecher sowie normkonforme Leute, die den Regelbruch bezeugen.
Beide Rollen kann auch eine Person einnehmen: Angenommen, Sie halten Fluchen für eine Sünde und haben sich also zur Regel gemacht, es niemals zu tun. Eines Nachts stoßen Sie sich Ihren kleinen Zeh am Bettpfosten und pfeffern in Ihrem Schmerz spontan den Namen des Herrn zusammen mit wüsten Kraftausdrücken an die Schlafzimmerwand. Niemand muss es hören, es reicht, wenn Sie sich Ihrer vermeintlichen Missetat bewusst sind, und schon haben Sie ein schlechtes Gewissen. Vor dem Herrn, dem Schicksal, dem Pfarrer oder wer Sie sonst noch bestrafen könnte, und sei es nur mit einem verächtlichen Blick.
Mit Regeln verwandt sind die meist automatisierten Gewohnheiten. Viele davon sind gar nicht unsere eigenen Gewohnheiten. Wir haben sie übernommen, weil sie praktisch sind oder weil wir keine andere Wahl hatten. Von manchen Regeln und Routinen haben wir uns regelrecht versklaven lassen. Und wenn wir sie nicht gebrochen haben, versklaven sie uns noch heute. Das Ende etwaiger Versklavungen können Sie mit der Lektüre des dritten Kapitels dieses Buchs einläuten.
Die äußere Welt ruft das Funktionieren nach bestimmten Kriterien auf. Sie besteht auf verallgemeinerte Gebote und Verbote und erhebt den Anspruch, der Mensch habe ihr gefälligst zu dienen. Dafür belohnt sie ihn und gewährt ihm Zugehörigkeit und Schutz. Demgegenüber steht unsere innere Welt aus persönlichen Bedürfnissen, Werten, Emotionen und unserem Antrieb nach persönlichem Wachstum und Individuation.
Je mehr wir aus unserem Wesenskern heraus leben, also unsere Eigenart nach außen bringen, desto wahrscheinlicher wird die Kollision: Wir stehen immer wieder vor der Entscheidung, eine Regel zu befolgen oder zu brechen. Gewissermaßen haben wir damit die Wahl zwischen Stress mit uns selbst und Stress mit unserem Umfeld.
Entscheiden Sie sich für Ihre Wahrheit, gibt es vermutlich Stress mit den Mitmenschen, wenn es darauf hinausläuft, dass Sie dabei aus der Reihe tanzen. Etwa wenn Sie underdressed zu einer Feier gehen, wenn Sie eine verheiratete Frau anflirten, wenn Sie einem Drängler auf der Autobahn den Finger zeigen, wenn Sie selbst auf der Autobahn drängeln. Sie tanzen aus der Reihe, wenn Sie für die Impfpflicht sind, und genauso, wenn Sie das Gegenteil sagen – je nach Publikum.
Ob Sie gerade aus der Reihe tanzen, ermessen also nicht zuletzt diejenigen, die in der Reihe bleiben. Moral ist eben äußerst wandelbar; ein und dasselbe Verhalten kann je nach Gruppenkonsens völlig unterschiedlich bewertet werden.
Im Allgemeinen haben wir ein gutes Gespür dafür entwickelt, wo wir uns wie verhalten sollten, um Konflikte zu vermeiden. Das ist auch zweifelsohne bequemer und manchmal durchaus angebracht. Beispielsweise bringt es ja nichts, eine Schar Rechtsradikale von den Vorzügen der multikulturellen Gesellschaft überzeugen zu wollen.
Um vor sich selbst geradezustehen, geht auf Dauer insgesamt kein Weg am gelegentlichen Regelbruch vorbei. Wenn es Ihre innere Überzeugung klar und deutlich so verlangt, dann können Sie nicht anders, als gegen eine Moral zu handeln. Mitunter kann es sogar nötig sein, Gesetze zu missachten: Wenn Sie jemanden eiligst ins Krankenhaus bringen, fahren Sie in Gottes Namen auch über rote Ampeln. Und wer kein Geld hat, seine Familie zu ernähren, darf mit Verständnis rechnen, wenn er für die Abendmahlzeit stiehlt – wenn auch nicht vonseiten der Polizei.
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Für wen oder was würden Sie welche Regeln brechen?
Wie fühlt sich der Gedanke an?
Wer waren die Helden Ihrer Jugend und warum?
Womöglich befolgen Sie viele Regeln und Gewohnheiten aufgrund von Annahmen, die Sie nie überprüft haben. Zum Beispiel sprechen Sie einen sympathischen Menschen nicht an, weil Sie denken, er fühlt sich vielleicht belästigt. Sie bitten jemanden nicht um Hilfe, weil Sie befürchten, Sie fallen der Person zur Last oder wirken bedürftig. Sie unterbrechen einen Langschwätzer nicht, weil Sie meinen, das sei unhöflich. Aus dem gleichen Grund verweigern Sie dem Kellner die Rückmeldung, dass die Suppe versalzen war. Sie teilen Ihre sexuellen Fantasien nicht mit Ihrem Partner, weil Sie ihn nicht unter Druck setzen wollen.
Sie können jedoch nie wissen, wie Ihr Gegenüber reagiert. Und vermutlich haben auch Sie schon einmal erfahren, dass eine Regelüberschreitung manchmal Zustimmung, ja Erleichterung hervorbringen kann. Etwa, wenn eine Regel die Freiheit vieler einschränkt, aber keinen Nutzen erkennen lässt.
Auch wenn uns das selten bewusst ist, halten wir trotzdem an vielen solcher Konventionen fest, selbst wenn sie uns oder dem Kollektiv schaden. Wenn wir uns überhaupt damit befassen, greifen wir zur Rechtfertigung unserer Unterwerfung auf alte Denkgewohnheiten zurück; wir finden bewährte Argumente, warum wir die Dinge weiterhin so und nicht endlich mal anders machen.
Abgesehen von der Bequemlichkeit, behalten wir aus zwei Hauptgründen das regelmäßige Verhalten bei, selbst wenn wir spüren, dass es anders stimmiger wäre: Wir wollen Angst und Schmerz vermeiden, und wir brauchen Anerkennung.
Beides fußt oft auf einem Bündel von Erfahrungen in der Kindheit, die unserem Bedürfnis nach Wachstum und Entwicklung zuwiderliefen. Man hat uns die Economy of Love aufs Auge gedrückt: Verhältst du dich so, wie wir es für richtig halten, wirst du belohnt – mit Süßigkeiten, einem Lächeln, Lob, zarter Berührung. Wenn nicht, setzt es eine der vielen, teils subtilen Formen von Liebesentzug wie ignorieren, beleidigt sein, die kalte Schulter zeigen, schlagen, beschämen, anschreien, verbieten …
Das sitzt. Ist der Mensch einmal gut dressiert, ist er es oft noch im hohen Alter, sofern er sich nicht irgendwann seines Rechts auf Souveränität bewusst wird und nach seiner Façon zu leben lernt. So gesehen ist der Regelbruch ein Zeichen von Befreiung. Bricht jemand Regeln jedoch nur um des Regelbrechens willen, ist er irgendwo in der Pubertät hängen geblieben; es fehlt die bewusste Motivation der inneren Überzeugung.
Jugendliche müssen Regeln brechen, um sich von den Eltern abzusetzen. Sie denken selten über die Konsequenzen nach. Das unterscheidet sie von den Erwachsenen. Die unterliegen jedoch oft der irrationalen Annahme, dass sie für einen Regelbruch oder einen anderweitigen Tanz aus der Reihe noch immer wie damals als Kind bestraft werden können. Plötzlich fühlen sie sich wieder klein und ohnmächtig, für sich selbst einzustehen.
Es braucht die Bewusstheit der eigenen Größe, Lebenserfahrung und Selbstverantwortung, um auch in kritischen Situationen mit der Souveränität eines Erwachsenen zu leben. Das heißt einstehen für die eigene Wahrheit und entsprechend handeln. Die Alternative ist keine: Sie machen sich sonst unnötig klein und verstecken sich vor der Welt. Dafür sind Sie nicht hier.
Kurz gefasst: Wozu aus der Reihe tanzen?
Wo Zusammenleben organisiert wird, muss es Regeln geben. Manche sind sinnvoll, andere behindern Sie in Ihrer freien Entwicklung, ohne dass es einen Nutzen gäbe.
Sie stehen immer wieder vor der Entscheidung, eine Regel zu befolgen oder zu brechen. Sie haben quasi die Wahl zwischen Stress mit sich selbst und Stress mit Ihrem Umfeld.
Je länger Sie den Weg der Authentizität beschreiten, desto alternativloser ist Ihre Wahl: Wenn es Ihre tiefe Überzeugung verlangt, müssen Sie auch mal aus der Reihe tanzen, jedenfalls in den Augen der anderen.
Dennoch ist die Versuchung oft groß, an Konventionen festzuhalten und sich dahinter zu verstecken.
Sie sind jedoch hier, um Ihr Wesen und Ihre Wahrheit in die Welt zu bringen.
»Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.«
(Marcus Aurelius)
Erwachsenwerden heißt, sich in Richtung seines Wesenskerns zu entwickeln und damit an Autonomie und Individualität zu gewinnen. Wie Sie vermutlich selbst schon erfahren haben, geht das nicht ohne Reibung. Finanzieller Druck, Denk- und Verhaltensgewohnheiten, vermeintliche persönliche Schwächen, mutmaßliche Sachzwänge und besonders Ängste scheinen häufig Hindernisse zu sein.
Auch gibt es kein Wachstum ohne die Begegnung mit inneren oder äußeren Schweinehunden. Es geht über Stolpersteine, Probleme, Krankheiten und durch die Tiefen der Psyche – jeder in seinem persönlichen Mix. Ab und zu gilt es dabei, über den eigenen Schatten zu springen, um seiner inneren Ausrichtung folgen zu können.
Entlang dieses Wegs formt sich Ihre individuelle Person. Wenn Sie Probleme lösen, Krisen überstehen, schwierige Situationen meistern oder daran scheitern, lernen Sie Wesentliches über sich und das Leben. Dieses Lernen hat wenig damit zu tun, was in Lehrbüchern, Regelwerken oder Unterhaltungsmedien steht.
Ihr Leben ist, was Sie selbst erfahren und welche Erkenntnisse Sie daraus ziehen; Erlebnisse aus zweiter Hand sind bloßer Abklatsch. Niemand erlebt die Welt so wie Sie, denn niemand hat die gleiche Ausstattung in Körper, Geist, Seele, Psyche, Herkunft und Vorerfahrung. Keiner ist wie Sie, und deshalb haben Sie das Recht, anders zu sein und aus der Reihe zu tanzen.
Wenn Sie dieses Recht in Anspruch nehmen, hat das seinen Preis: Authentizität erfordert, bewusste Entscheidungen zu treffen, die nicht zuletzt auf Selbsterkenntnis und Intuition beruhen. Stimmige Entscheidungen haben nicht immer angenehme Folgen; es gilt, sich auch damit auseinanderzusetzen. Was Sie dabei erleben, denken, fühlen, erkennen, wird wiederum Grundlage für weitere Entscheidungen aus der Tiefe Ihrer Person heraus.
Das klingt leichter als es ist, weil uns während der Kindheit und Jugend der Kontakt zu unserem Wesenskern gehörig sabotiert wurde. Diesen Kontakt möchte der Erwachsene wiederfinden, denn ohne ihn gibt es weder Echtheit noch Lebendigkeit, sondern Abhängigkeiten ohne Ende. In diesem Kapitel lesen Sie, warum wir auch als Erwachsene viel zu oft unser Temperament und unsere Wahrheit zurückhalten und welche Auswirkungen das hat.
Erziehung setzt alte Gewohnheiten fort.
Wir kommen ziemlich authentisch zur Welt. Als Baby hätten wir ganz nach unseren Bedürfnissen gelebt, hätte man uns gelassen. Das ging natürlich nicht, also haben wir unsere Rechte als Neubürger dieser Welt eingefordert, wie es uns eben möglich war: mit Weinen und Schreien. Höflichkeit, Konfliktmanagement und Zurückhaltung waren uns damals noch fremd.
Weil unsere Eltern ein komplexes und oft kräftezehrendes Leben führten, konnten sie nicht immer einfühlsam sein. Sie trafen Entscheidungen, die uns nicht behagt, oft auch verletzt haben. Wir haben auf schmerzhafte Weise erfahren, dass das Leben kein Wunschkonzert ist, waren ausgeliefert und konnten nicht nein sagen, wenn uns jemand etwas gab, das für uns nicht stimmte.
Wohl oder übel haben wir uns unterworfen und gelernt, die Welt mit den Augen der Eltern zu sehen. Noch als Erwachsene glauben wir von einem Großteil unserer Einstellungen, dass sie zu unserem originären Weltbild gehören, dabei haben wir sie aus zweiter Hand. Sie gehören zu unserer Erbschaft, die wir nicht ablehnen konnten.
Die Welt zeigt jedem Neuankömmling die Grenzen, auch dadurch wird er gesellschaftsfähig. Nun kommt jedes Kind mit einem individuellen Temperament zur Welt. Das eine tritt früh als Bestimmer auf, das andere bleibt zurückhaltend, einige sind laut, andere leise, manche pflegeleicht, manche höchst anspruchsvoll.
Weil Kinder keine Bremse haben, bringen sie ihre Energie ungefiltert nach außen. Je dominanter sie das tun, desto dringlicher sehen die Eltern sich genötigt, Grenzen zu setzen, damit die Familie funktioniert und klar ist, wer ihre Geschicke dirigiert. Setzen Eltern zu wenige Grenzen, übernimmt das Kind das Regime, was tyrannische Züge annehmen kann. Das hat dann nichts mehr mit Authentizität zu tun, stellt aber die Ordnung in der Familie auf den Kopf.
Grenzen hingegen geben Struktur, und Struktur vermittelt allen Beteiligten Sicherheit, nicht zuletzt dem Kind. Es kann sich entweder daran orientieren oder sich an seinen Eltern reiben – in jedem Fall lernt es dadurch fürs Leben.
Grenzen lassen sich auf vielfältige Weise setzen, sei es auf die harte Tour oder in einfühlsamer Führung, die auf Vertrauen und Kooperation setzt. Die Art und Weise, wie Eltern, aber auch die Schule und Gesellschaft das angehen, prägt den jungen Menschen früh und nachhaltig.
Sieht sich das Kind psychischer oder körperlicher Gewalt ausgesetzt, wenn es sein Temperament nicht unterdrückt, hat es zwei Möglichkeiten: Es rebelliert trotz der schmerzhaften Konsequenzen weiter – oder es entscheidet sich, wie die meisten, für die weitgehende Kapitulation zum Selbstschutz. Ein solcher Rückzug bedeutet, sich von einem Großteil des persönlichen Potenzials zu verabschieden und sich in der Opferrolle einzurichten. Gezwungenermaßen arrangiert sich das Kind, um seine lebenswichtige Zugehörigkeit zur Familie nicht aufs Spiel zu setzen. Die Knospe bleibt verschlossen.
Es verinnerlicht Verhaltensweisen, die Schmerz vermeiden und Lob einbringen: brav sein, sich beeilen, sein Handeln am Gefallen anderer ausrichten. Um nicht zu sehr darunter zu leiden, spaltet es sich von seinen Gefühlen ab und verlegt sich primär aufs Denken; es baut sich ein beschränktes wie beschränkendes Refugium aus Schlussfolgerungen und Glaubenssätzen über sich und die Welt.
Erfährt sich ein Kind auf diese Weise in seinen Bedürfnissen abgelehnt, wird es sich wahrscheinlich selbst ablehnen und glauben, dass diese Bedürfnisse, etwa nach Neugierde, Sinnlichkeit, Körperkontakt oder bedingungsloser Akzeptanz, etwas Schlechtes sind. Erlebt es die Welt als beängstigend und voller Verbote, wird es das im späteren Leben weiterhin so empfinden und viel zu oft versuchen, sich anzupassen.
Selbstschutz bedeutet in diesem Fall, die persönlichen Gefühle und Bedürfnisse zu verstecken, um stark zu erscheinen. Das strengt an und verspannt den Körper. In angstvoller Anspannung erkennen wir jedoch kaum, was uns wirklich erfüllt. Ergo hat die Versuchung leichtes Spiel, sich mit allerlei Aktivitäten und Konsum vom Wesentlichen abzulenken, zumal dieses Wesentliche, das eigene Wesen ja unter einem Berg von Schuld, Selbstablehnung, Wertlosigkeit und einschränkenden Gedanken über sich und die Welt verschüttet ist. Ein Teufelskreis.
Ihre verinnerlichten Denk- und Verhaltensgewohnheiten empfinden Erwachsene als normal, solange sie nichts anderes kennengelernt haben. Trotz Sättigung essen sie den Teller leer, wagen es nicht, Vorgesetzten zu widersprechen, lassen TV-Programme über sich ergehen, die ihre Intelligenz und Menschlichkeit beleidigen. Sie wagen nicht, aus der Reihe zu tanzen, selbst wenn es noch so stimmig wäre. Für manche bedeutet Selbstentwicklung, sich noch perfekter anzugleichen.
Betrachten Sie Ihre Person doch einmal als ein symbolisches Haus, das Sie bewohnen. In diesem Ihrem Haus gibt es viele Türen. Einige durchschreiten Sie wie selbstverständlich, andere mit einem mulmigen Gefühl, je nach Tagesform. Und es gibt Türen, die Sie nicht einmal anzusehen wagen. Dahinter stehen die oft verbotenen Seiten der eigenen Person, die Ihnen Angst machen – aber gelebt werden wollen und wunderbare Schätze enthalten können. Natürlich müssen Sie da nicht hinein, aber etwas in Ihnen will es ja. Denn sonst werden Sie nicht zu dem Menschen, der Sie sein könnten; Sie leben Ihr Leben nur halb und schneiden sich von wesentlichen Anteilen ab. Auf solchen Türen könnte stehen:
Ich bin ein gefühlvoller, sensibler Mensch.
Ich setze mich mit allen mir verfügbaren Mitteln zur Wehr.
Ich mute mich anderen zu, mit all meiner weiblichen oder männlichen Kraft.
Ich lebe frei meine Sexualität.
Ich vertraue ganz auf meine innere Stimme.
Ich liebe mich so, wie ich bin.
Ich lebe ein Leben in Fülle.
Ich sage meine Wahrheit, auch wenn sie niemand hören will.
…
Tanzkurs
Um welche Türen machen Sie noch einen großen Bogen?
Welche Türen hatten Sie schon einen Spalt geöffnet, sie aber sicherheitshalber wieder verschlossen?
Was würde passieren, wenn Sie diesen Raum betreten?
Der Bewegungslehrer Moshé Feldenkrais sagt, die Gesellschaft pflanzt uns Maßstäbe und Verhaltensmuster ein und sorgt auf diese Weise dafür, dass unsere Selbsterziehung in der von ihr geforderten Richtung geschieht. Die Moral, die sie uns eingibt, ist die Uniform des Gehorsams, in der unsere Individualität verwässert.
Nun steht hinter solch einer Erziehung auch die eigentlich positive Absicht der Eltern, ihr Kind möglichst gut auf die Bedingungen des Erwachsenenlebens vorzubereiten. Gleichwohl raubt ihm eine solche Bevormundung Spontaneität, Vitalität und Selbstwirksamkeit, wenn es sich nicht um seiner selbst willen gewürdigt sieht, sondern primär aufgrund von Gehorsam und Leistung.
Wessen Wille schon früh achtlos übergangen wird, lernt nicht, sich gegen fremde Stimmungen zu wehren. Etwa wenn Erwachsene einem Kind Essen in den Mund stopfen, hilft keine Verteidigung. Sie können unter Missachtung der kindlichen Souveränität in dessen »Haus« eindringen, wann immer sie wollen. Das Kind empfindet dabei Wut und Scham, es fühlt sich wertlos. Bildlich gesprochen, hat das »Haus« eines Kindes an der Innenseite keine Türklinke. Die befindet sich außen, und damit kann jeder hinein, ohne anzuklopfen, wie es der Schriftsteller Robert Bly so treffend ausdrückt.