Liebesträume unter Palmen - Stefanie Müller - E-Book

Liebesträume unter Palmen E-Book

Stefanie Müller

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Beschreibung

Worauf hat sie sich da bloß eingelassen? Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hat sich Carrie beim einflussreichen Unternehmer Matteo Falchetti als Sekretärin eingeschlichen, um Beweise dafür zu finden, dass ihr Bruder Jake unschuldig im Gefängnis sitzt. Doch schon bald droht ihre Tarnung aufzufliegen – nicht zuletzt, weil sie Matteos Anziehungskraft nur schwer widerstehen kann …
Abgeschlossener Roman.
Ebook-Neuausgabe.

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Stefanie Müller

Liebesträume unter Palmen

 

 

 

  1. KAPITEL

 

Es war das Paradies auf Erden, doch wenn Carries Verdacht tatsächlich zutraf, dann stand der Mann, der hier lebte, dem Teufel weitaus näher als Gott.

Casa Fiori, das Anwesen der Familie Falchetti, lag auf einer Felsterrasse über dem Tal. Orangenbäume wuchsen an den sanft abfallenden Hängen, der intensive Duft der weißen Blüten erfüllte die Luft. Der Himmel, an dem sich nur einige harmlose Schäfchenwolken tummelten, war von einem schon fast unwirklich anmutenden Blau. Im strahlenden Sonnenschein glitzerte das türkisfarbene Wasser des Mittelmeers wie ein Ozean aus Diamanten.

Carrie Malewski atmete tief durch und wandte sich vom Fenster des Arbeitszimmers ihres Chefs ab. Sie war nicht hier, um zu träumen. Matteo Falchetti gehörte nicht zu den besonders geduldigen Menschen. Er stellte an seine Mitarbeiter dieselben Ansprüche wie an sich selbst. Wahrscheinlich durfte er, bei dem Gehalt, das er zahlte, auch überdurchschnittlichen Einsatz erwarten.

Doch Carrie hatte sich nicht des Geldes wegen um diesen Job beworben.

Auf dem Schreibtisch lag die Aktenmappe, die zu holen Matteo ihr aufgetragen hatte. Carrie nahm sie und ging zur Tür. Dann verharrte sie mitten im Schritt. Wollte sie sich diese einmalige Chance wirklich entgehen lassen?

Noch zögerte sie. Es stimmte schon, seit ihrem Arbeitsantritt vor vier Tagen bot sich ihr nun zum ersten Mal die Gelegenheit, sich allein im Büro ihres Chefs umzusehen. Trotzdem verursachte allein der Gedanke ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend. Es widerstrebte allem, was sie als richtig und anständig empfand, in fremdem Eigentum herumzuwühlen.

Aber was blieb ihr für eine Wahl?

Denk an deinen Bruder, sagte sie zu sich selbst. Nervös fuhr sie sich mit der Hand durch ihr schulterlanges schwarzbraunes Haar und rückte den kurzen cremefarbenen Rock ihres Businesskostüms zurecht; dann ging sie zum Schreibtisch zurück, legte die Aktenmappe ab und machte sich an die Arbeit.

Die Einrichtung des Arbeitszimmers war edel und teuer. Das wuchtige Pult bestand aus Rosenholz, dessen hübsche Maserung in verschiedenen rötlichen Tönen schimmerte. Dahinter stand ein Aktenschrank aus demselben Material. An der Wand hing das gerahmte Ölgemälde eines asketisch aussehenden, streng dreinblickenden Mannes. Seine stechenden dunklen Augen vermittelten Carrie den Eindruck, beobachtet zu werden.

Mit einem leichten Schaudern wandte sie sich dem Schreibtisch zu. Mach dich nicht verrückt, sagte sie zu sich selbst. Es ist nur ein Bild und kann dir ganz gewiss nicht gefährlich werden. Also hör auf, dich wie ein verängstigtes kleines Mädchen zu verhalten!

Doch so sehr sie sich auch bemühte, es zu ignorieren – das unangenehme Gefühl, angestarrt zu werden, blieb.

Hastig zog sie die erste Schublade auf, fand darin jedoch nichts Interessantes vor, ebenso wenig in der zweiten. In der untersten stieß sie zwar auf einige geschäftliche Unterlagen, allerdings befand sich abermals nichts darunter, das ihr irgendwie weiterhelfen konnte.

Mit jeder Sekunde, die verstrich, schien Carries Herz heftiger zu klopfen. Obwohl es im Zimmer dank seiner schattigen Lage angenehm kühl war, stand ihr der Schweiß auf der Stirn.

Wie lange hielt sie sich jetzt schon hier oben auf? Fünf Minuten? Zehn? Vermisste Matteo sie bereits? Oder lenkte ihn das Gespräch mit seinem Geschäftsfreund, einem glatzköpfigen älteren Italiener, so ab, dass ihr noch etwas Zeit blieb?

Angespannt lauschte sie auf Schritte im Korridor, doch nichts war zu hören. Schließlich nahm sie die Dokumente aus dem Ablagekorb auf dem Schreibtisch und blätterte sie hastig durch.

Nichts dabei. Aber war das ein Wunder? Ein Mann wie Matteo Falchetti würde Unterlagen mit sensiblen Daten wohl kaum einfach offen herumliegen lassen. Immerhin suchte Carrie nach Papieren, die ihn mit kriminellen Machenschaften in Verbindung brachten.

Denk nach! Wo würdest du etwas Derartiges verstecken?

Doch so angestrengt sie auch überlegte, ihr fiel nichts ein. Ihr Kopf war wie leergefegt, sie konnte sich einfach auf nichts konzentrieren.

Es schien unerträglich heiß im Zimmer zu werden. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, ihre Hände zitterten leicht.

Nein, solche Aktionen waren nichts für sie. Sie brauchte keinen Nervenkitzel, um ihr Dasein aufregender zu gestalten. Mit ihren achtundzwanzig Jahren hatte sie bereits genug erlebt, um einen ruhigen und beschaulichen Lebensstil zu bevorzugen.

Aber irgendjemand musste etwas tun, und wie es aussah, war sie die einzige Person, die ihrem Bruder jetzt noch helfen konnte.

Als Nächstes wandte sie sich dem Aktenschrank zu. Sie beugte sich tief hinab, um die unterste Schublade zu öffnen.

In diesem Moment erklang ein Geräusch an der Tür.

Carrie erstarrte.

 

 

Wie gebannt stand Matteo im Türrahmen und beobachtete seine neue Assistentin. Die beugte sich gerade so tief hinunter, dass er deutlich den Spitzenabschluss ihrer halterlosen Strümpfe unter dem knappen Rock hervorblitzen sehen konnte.

Was für eine Frau!

Für Matteo stellte sie den Inbegriff der Sünde dar. Sie war nicht besonders groß, reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. Mit den hochhackigen Schuhen, die sie immer trug, schummelte sie allerdings noch einmal gut und gerne zehn Zentimeter hinzu.

Ihre Figur konnte man als mädchenhaft schlank bezeichnen, wies jedoch weibliche Rundungen an den richtigen Stellen auf. Nylons ließen ihre langen, wohlgeformten Beine geheimnisvoll schimmern.

Sie war die personifizierte Verführung. Ihr schwarz glänzendes Haar, das ihr in sanften Wellen auf die Schulter fiel. Das herzförmige Gesicht, die großen blauen Augen und der sinnlich geformte Mund, der förmlich zum Küssen einlud …

Reiß dich zusammen!, rief Matteo sich zur Ordnung. Es war lange her, dass er wegen einer Frau derart die Kontrolle über sich selbst verloren hatte, und er dachte nur äußerst ungern an das letzte Mal zurück.

Seiner Ex-Verlobten war es gelungen, ihn wie einen kompletten Narren erscheinen zu lassen. Diese Erfahrung wollte er wirklich nicht noch einmal machen. Das Fiasko mit Sofia reichte ihm für den Rest seines Lebens.

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, fragte er, um den Zauber zu brechen, den seine neue Assistentin auf ihn ausübte. Er sprach immer Englisch mit ihr, obwohl er wusste, dass sie die italienische Sprache beherrschte.

Langsam richtete sie sich auf und drehte sich zu ihm um. Ihre blauen Augen wichen seinem Blick aus. Sie wirkte nervös. „Ich … nun, es …“

Matteo seufzte. „Was ist denn los? Ich habe Sie vor fast zwanzig Minuten gebeten, die Unterlagen für Signore Renaldi zu holen. Er ist ein viel beschäftigter Mann und hat noch andere Termine – und ich, nur am Rande bemerkt, ebenfalls. Wenn es also ein Problem gibt, dann lassen Sie es mich bitte wissen.“

„Es tut mir leid, aber ich habe die Papiere nicht finden können“, erwiderte sie hektisch. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

Es klang verdammt sexy.

Matteo atmete tief durch. „Vorhin lagen sie noch auf dem Schreibtisch.“ Er trat ins Zimmer. Die Akte, die er benötigte, befand sich noch an genau der Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte. Er nahm sie auf. „Hier ist die Mappe doch!“

„Ach, diese Unterlagen meinten Sie! Ich fürchte, ich habe da etwas missverstanden.“ Nervös fuhr sie sich durchs Haar. Diese harmlose Geste reichte aus, um Matteos Mund trocken werden zu lassen.

Er schüttelte den Kopf. So ging das nicht weiter. Carrie war seine Angestellte, und er ihr Boss. Sie hatten ein rein berufliches Verhältnis zueinander, und so sollte es auch bleiben. Eine Affäre oder gar eine Beziehung mit ihr lag absolut nicht in seinem Interesse. Mit dem Thema Frauen hatte er nach der Sache mit seiner ehemaligen Verlobten endgültig abgeschlossen. Er brauchte nur daran zu denken, wie Sofia ihn vor aller Welt lächerlich gemacht hatte, und ihm stieg die Zornesröte ins Gesicht.

„Allora, was stehen Sie da noch rum?“, fuhr er Carrie barsch an. Er konnte nur hoffen, dass man ihm nicht zu deutlich ansah, was wirklich in ihm vorging. „Signore Renaldi hat bereits lange genug gewartet, denken Sie nicht? Jetzt kommen Sie endlich!“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ den Raum.

 

 

Carrie holte tief Luft und glättete ihr Haar, dann folgte sie ihrem Boss. Ihre Knie waren noch immer etwas zittrig, was nicht zuletzt an seiner unglaublich männlichen Ausstrahlung lag. Wenn er einen Raum betrat, schien die Luft förmlich zu vibrieren.

Gutes Aussehen allein erklärte dieses Phänomen nicht, auch wenn Matteo mit Sicherheit einer der attraktivsten Männer war, die sie je getroffen hatte. Seine Haut besaß eine tiefe Bräune, und seine markanten Gesichtszüge erinnerten Carrie an die Büsten alter griechischer Götter. Das dichte schwarze Haar wies einen modischen Schnitt auf, und er besaß den Körper eines Athleten. Am meisten aber fesselten sie seine dunklen, fast schwarzen Augen, in deren Tiefen man versinken konnte.

Seine überwältigende Präsenz lag jedoch in etwas anderem begründet, und zwar in Stolz und Selbstbewusstsein. Er war ein harter Mann, mit dem man keine Spielchen spielen sollte. Er gehörte zu den Menschen, die alles, was sie sich vornahmen, auch in die Tat umsetzten, ganz gleich, welche Opfer sie dafür erbringen mussten.

Ihn umgab eine gewisse Aura der Skrupellosigkeit, allerdings mochte Carrie sich das auch nur einbilden. Immerhin gab es bislang nicht den geringsten Beweis dafür, dass an ihrem Verdacht irgendetwas dran war. Nur ihre eigene, auf ziemlich wackeligen Beinen stehende Theorie. Doch mehr hatte sie nicht. Es war ihre einzige Chance, den Namen ihres Bruders reinzuwaschen. Sie durfte einfach nicht falsch liegen! Jakes gesamte Zukunft hing davon ab, was sie hier, auf Sizilien, herausfand. Wenn sie scheiterte, würde er aller Wahrscheinlichkeit die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen müssen. Und das wollte sie um jeden Preis verhindern.

Hinter Matteo trat sie hinaus auf die Terrasse. Der weiße Granit, aus dem der Boden und das Geländer bestanden, erstrahlte so hell im Sonnenlicht, dass Carrie für einen Moment geblendet war. Sie beschattete ihre Augen mit den Händen und erblickte den italienischen Geschäftspartner ihres Chefs, der unter einem großen blauen Schirm saß. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas Weißwein, bereits zur Hälfte geleert.

Der ältere Mann lächelte, als Matteo und Carrie sich zu ihm setzten. Carrie kannte diese Art von Lächeln nur zu gut, und sie hatte gelernt, sich davor in Acht zu nehmen. Es war lediglich aufgesetzt und erreichte die dunkelbraunen Augen nicht, deren Blicke Bände sprachen. Sie wäre bereit gewesen, ein Vermögen darauf zu verwetten, dass Signore Renaldi in diesem Moment liebend gern auf Matteos Gesellschaft verzichtet hätte.

Carrie unterdrückte ein Schaudern. Warum nur rief sie in Männern immer wieder diese Reaktion hervor? Sicher, sie kleidete sich nicht gerade züchtig, doch das war noch lange kein Grund, sie auf jene Weise anzuschauen.

Endlich zog Matteo die Aufmerksamkeit seines Geschäftspartners auf sich, indem er ihm den Inhalt der Dokumentenmappe überreichte. Während die Männer miteinander verhandelten, ließ Carrie den Blick über das Meer schweifen, das blau und silbern im Sonnenschein schimmerte. Die Straße von Messina, die Meerenge zwischen dem italienischen Festland und Sizilien, die das Tyrrhenische und das Ionischen Meer verband, war an dieser Stelle etwa drei Kilometer breit. Man konnte die Küste von Kalabrien mit bloßem Auge erkennen.

Ein herrliches Panorama, das sich einem von hier oben darbot. Ein Ausblick, der sich mit Geld kaum bezahlen ließ. Doch nichts war zu teuer für die Falchettis, die jahrhundertelang über das Tal geherrscht hatten und es im Grunde noch immer taten. Mit den Arbeitsplätzen, die sie in ihren verschiedenen Unternehmenszweigen schufen, war auch heute noch die Existenz ganzer Familien untrennbar mit dem Erfolg oder Misserfolg der Falchettis verknüpft.

Ebenso wie die Zukunft von Carries Bruder nun in den Händen dieser Familie lag.

„… finden Sie nicht auch, Signorina Malewski?“

Erschrocken zuckte sie zusammen, als ihr Name fiel. Sie hatte die Unterhaltung der beiden Männer längst nicht mehr verfolgt und wusste daher tatsächlich nicht, was Matteos Geschäftspartner von ihr wollte. „Wie bitte?“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich war mit meinen Gedanken nicht ganz bei der Sache.“

Matteo bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Ich bezahle Sie nicht fürs Träumen“, fuhr er sie an. „Entweder Sie konzentrieren sich, oder Sie suchen sich eine Stelle, die Ihren Fähigkeiten eher entspricht.“

„Jetzt seien Sie doch nicht so furchtbar streng, Ragazzo!“, fiel Renaldi ihm ins Wort. „Ein solch schöner Tag lädt nun einmal zum Träumen ein.“ Und mit einem Seitenblick zu Carrie fügte er hinzu: „Ich muss gestehen, dass ich in Gegenwart einer so bezaubernden jungen Dame wie Ihrer Assistentin auch meine Schwierigkeiten habe, einen kühlen Kopf zu behalten.“

Angespannt wartete Carrie auf Matteos Reaktion. Sie kannte ihn noch nicht gut genug, um ihn wirklich einschätzen zu können. Es ließ sich nicht ausschließen, dass er dieses Zeichen ihrer Unaufmerksamkeit zum Anlass nahm, ihr zu kündigen.

Aber das durfte auf keinen Fall geschehen! Wenn er ihr nur noch eine einzige Chance gab, würde sie ihm beweisen, dass sie genau die Mitarbeiterin war, nach der er gesucht hatte.

Ihr Bruder vertraute ihr. Sie durfte ihn auf keinen Fall enttäuschen!

Erleichtert atmete sie auf, als Matteo plötzlich lächelte. „Sie haben recht. Dieser Tag ist wirklich zu schön, um sich über unwichtige Nebensächlichkeiten aufzuregen. Also, wo waren wir stehen geblieben?“

Jetzt achtete sie darauf, jedes Wort der Unterhaltung zwischen den Männern genauestens zu verfolgen. Sie war einmal bei einer Unaufmerksamkeit ertappt worden, doch das würde ihr ganz gewiss kein zweites Mal passieren.

Mit einem Mal spürte sie eine fremde Hand an ihrem Bein. Carrie erstarrte. Ein Versehen, beruhigte sie sich selbst, atmete tief durch und drehte sich ein Stück zur Seite. Das Gewicht auf ihrem Knie verschwand kurz, kehrte aber nur Sekunden später wieder zurück. Unauffällig blickte sie zu Renaldi herüber.

Der grinste anzüglich.

Ihr erster Impuls war es, aufzuspringen und diesem unverschämten Kerl eine Ohrfeige zu verpassen. Doch sie zwang sich zur Ruhe. Es war weiß Gott nicht das erste Mal, dass sie in einer solchen Situation steckte. Aus Erfahrung wusste sie, dass eine unbedachte Reaktion oft mehr schadete als half.

Wie aus weiter Ferne hörte sie Matteo über Statistiken und Umsatzentwicklungen referieren. Er schien von alldem nichts mitbekommen zu haben, und so sollte es auch bleiben. Carrie fiel es schwer, ihn einzuschätzen. Möglich, dass er zu der Sorte von Männern gehörte, die stets der Frau die Schuld zuschoben. Sie durfte kein Risiko eingehen.

Ihr Blick fiel auf Renaldis Glas, das inzwischen leer vor ihm auf dem Tisch stand, daneben die ebenfalls leere Weinkaraffe, und auf einmal kam ihr die rettende Idee.

„Sie haben ja gar keinen Wein mehr, Signore“, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Einen Moment, ich hole Ihnen sofort noch welchen.“ Sie sprang abrupt auf und unterdrückte ein erleichtertes Aufatmen, als Renaldis Hand von ihrem Bein rutschte. Dann wandte sie sich an Matteo: „Sie kommen doch sicher auch einen Moment ohne mich zurecht, Signore Falchetti?“

Fragend musterte ihr Chef sie. Er schien zu spüren, dass sie nur einen Vorwand vorbrachte, um sich zurückziehen zu können. Er zuckte mit den Achseln. „Non mi importa – meinetwegen. Gehen sie nur.“

Carrie spürte Matteos forschenden Blick in ihrem Rücken, als sie hastig die Terrasse verließ und in die kühle Dunkelheit des Salons trat. Vermutlich fragte er sich, was ihr seltsamer Auftritt zu bedeuten hatte. Besser, sie ließ sich jetzt schon einmal eine glaubhafte Erklärung einfallen, falls er sie später danach fragte. Die Wahrheit zu sagen erschien ihr wenig ratsam. Sie hatte die Erfahrung machen müssen, dass Männer meistens zusammenhielten, wenn es um das Thema Frauen ging. Genau wie damals bei ihrem Pflegevater – und später bei Sam …

Als sie den hinteren Teil des Salons erreichte und damit außer Sichtweite gelangte, stütze sie sich auf die Rückenlehne eines antiken, mit kunstvollen Schnitzereien versehen Stuhls, schloss die Augen und holte ein paar Mal tief Luft. Dann ging sie weiter zur Küche, um den Wein für Renaldi zu holen. Normalerweise hätte sie einem widerlichen Kerl wie ihm den Drink einfach ins Gesicht geschüttet, denn er verdiente es nicht besser. Sein Verhalten ihr gegenüber konnte man nur als unverschämt und respektlos bezeichnen. Carrie verabscheute Männer, die Frauen auf diese Weise behandelten, und normalerweise hätte sie sich ein solches Benehmen auch nicht bieten lassen.

Doch sie musste an Jake denken. Nur um seinetwillen schluckte sie Zorn und verletzten Stolz hinunter. Für die Genugtuung, Renaldi eine Lektion zu erteilen, durfte sie die Zukunft ihres Bruders nicht aufs Spiel setzen.

Ihr Handy klingelte, als sie sich gerade im Korridor befand. Sie holte es aus der Innentasche ihrer Kostümjacke. Bei dem Anrufer handelte es sich um Thomas Livingston, dem Anwalt ihres Bruders. Verstohlen blickte sie sich um, denn bei dieser Sache konnte sie keinen Mithörer gebrauchen. Kurz überlegte sie, ihn später, nach dem offiziellen Ende ihres Arbeitstages, zurückzurufen, entschied sich dann aber dagegen und nahm das Gespräch an.

Livingston kam ohne Einleitung zum Thema. „Sie haben mich gebeten, Sie sofort zu informieren, sollte es Neuigkeiten geben.“

Carrie schluckte. Der Anruf des Anwalts mochte ein gutes Zeichen sein, ebenso aber auch ein schlechtes. Livingstons Stimme ließ sich jedenfalls nichts entnehmen. Sie atmete tief durch. „Ich hoffe, Sie haben positive Nachrichten.“

Sein Seufzen machte Carrie wenig Hoffnung. „Leider nein. Das Gericht hat einen Verhandlungstermin für den Fall Ihres Bruders festgelegt. Die erste Sitzung soll bereits Ende des Monats stattfinden.“

„Ende des Monats?“ Carrie musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. „Aber das sind ja nur noch etwas mehr als zwei Wochen! Wie soll ich bis dahin die Informationen beschaffen, die Sie brauchen? Das ist vollkommen unmöglich!“

Sie beendete das Gespräch und atmete tief durch. Trotz der drückenden Hitze des Tages fröstelte sie.

Was jetzt?, fragte Carrie sich. Ihr blieb kaum noch Zeit. Wenn sie ihrem Bruder helfen wollte, war nun höchste Eile geboten. Doch dabei durfte sie nicht unvorsichtig werden. Sollte Matteo herausfinden, warum sie wirklich hier war, würde er nicht zögern, sie augenblicklich zu entlassen.

Und dann war alles aus!

 

 

  2. KAPITEL

 

Fünf Stunden später – die Sonne sank bereits dem Horizont entgegen – nahm Carrie die letzten Lieferscheine, die bis vor kurzem Teil eines riesigen unsortierten Stapels gewesen waren, und heftete sie in den entsprechenden Aktenordner.

Seufzend lehnte sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Matteos letzte Assistentin, die sich nach einem Autounfall im Krankenhaus befand und noch mindestens ein halbes Jahr ausfallen würde, war offenbar, was Büroorganisation und Ablage betraf, kein großes Talent gewesen. Seit ihrem Arbeitsantritt bei Falchetti e Figlio vor vier Tagen kämpfte Carrie nun schon gegen das Durcheinander an, das ihre Vorgängerin hinterlassen hatte. Jetzt endlich schien das Gröbste aufgearbeitet zu sein.

Tief atmete sie durch und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Kurz nach halb sechs. Ihre reguläre Arbeitszeit war schon seit über einer Stunde vorüber. Und nach dem unerfreulichen Erlebnis mit Signore Renaldi am frühen Mittag hatte sie sich ihren Feierabend redlich verdient. Ganz davon abgesehen diente ihr Aufenthalt hier keineswegs dazu, um sich in der Firma hochzuarbeiten.

Nein, darum ging es ihr nun wirklich nicht. In spätestens zwei Wochen musste sie ihre eigentliche Aufgabe erledigt haben, und dann würde sie ihren Dienst bei Matteo wieder quittieren. Sie erfüllte die täglich anfallenden Arbeiten, koordinierte Termine und erledigte Schreibarbeiten. Zudem stand, wie sie erfahren hatte, demnächst ein großer Geschäftsabschluss bevor, und von ihr wurde erwartet, dass sie Matteo mit all ihren Fähigkeiten und Erfahrungen tatkräftig zur Seite stand.

Sicher war es nicht gerade die feine Art gewesen, sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier einzuschleichen, und Carries schlechtes Gewissen meldete sich in diesem Moment nicht zum ersten Mal. Doch ihr blieb keine andere Wahl, es ging einfach um zu viel. Zudem zweifelte sie nicht daran, dass Matteo schnell Ersatz finden würde.

Sie dachte über ihn nach. Fraglos handelte es sich bei ihm um einen Mann, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und der erwartete, dass diese Befehle auch befolgt wurden. Nicht selten wirkte er dadurch arrogant und herrschsüchtig.

Sein ungemein attraktives Äußeres machte es für Carrie nicht einfacher, mit ihm umzugehen. Ganz im Gegenteil sogar. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie in seiner Gegenwart ins Träumen geriet. Warum, konnte sie sich selbst nicht erklären. Und das lag nicht nur an seinen gravierenden charakterlichen Unzulänglichkeiten. Schließlich verdächtigte sie ihn, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein.

Das war auch der Grund dafür, dass sie sich überhaupt um die freie Stelle bei Falchetti e Figliobeworben hatte. Sie brauchte diesen Job nämlich keineswegs.

Carrie lebte in London und leitete dort eine kleine, aber gutgehende Agentur zur Vermittlung von Sekretärinnen und Bürokräften, die für die Dauer ihrer Abwesenheit von ihrer Stellvertreterin und guten Freundin Jennifer Brixton geführt wurde.

Wochenlang hatte sie nach einer Möglichkeit gesucht, in die Nähe des sizilianischen Großunternehmers Matteo Falchetti zu gelangen, als ihr der Zufall zur Hilfe gekommen war. Über ihre Beziehungen und Kontakte in der Branche erfuhr sie, dass Falchetti nach einer persönlichen Assistentin suchte. Aufgrund ihrer tadellosen Referenzen und mit der Unterstützung eines befreundeten Agenturchefs war sie schließlich an ihn vermittelt worden.

Sie tat dies alles hier nur für eine Person. Für Jake, ihren Bruder.

Beim Gedanken an ihn und seine verzweifelte Situation stiegen ihr Tränen der Wut und der Verzweiflung in die Augen. Seit fast zwei Monaten saß er nun schon in einem französischen Untersuchungsgefängnis und wartete darauf, dass ihm der Prozess gemacht wurde. Und das alles hatte er, wenn Carrie mit ihrem Verdacht richtig lag, niemand anderem als einer Person zu verdanken.

Matteo.

Morton Smith, der von ihr engagierte Privatdetektiv, war vor knapp einem Monat auf die Verbindung zwischen Falchetti e Figlio und der französischen Firma gestoßen, für die Jake seit etwas mehr als einem halben Jahr als Buchhalter arbeitete, und bei der er sich der Geldwäsche schuldig gemacht haben sollte. Von Smith stammte auch die Information, dass es Gerüchte gab, die besagten, dass die Falchettis mit der Mafia im Bunde standen.

Allein das Wort ließ Carrie erschaudern. Sie kannte die Mafia nur aus Filmen und verband damit skrupellose, von Profit und Machtgier besessene Gangster. Dass sie sich jetzt vielleicht im Haus eines solchen Menschen aufhielt, mit ihm sogar unter einem Dach lebte, jagte ihr Angst ein.

Aber sie konnte es sich nicht erlauben, in ihren Methoden wählerisch zu sein. Ihr Bruder, der immerhin die Verantwortung für eine Frau und zwei kleine Kinder trug, saß unschuldig im Gefängnis. Für die wahren Schuldigen war er nichts anderes als ein Sündenbock. Doch damit würden diese Verbrecher auf keinen Fall durchkommen! Carrie hatte versprochen, Jake zu helfen, und sie würde ihr Wort halten.

Und wo standen die Chancen besser, an nützliche Informationen zu gelangen, als direkt in der Höhle des Löwen?

Mit einem leisen Seufzen schaltete sie den Computer aus und nahm ihre Jacke, die über der Rückenlehne des Stuhls hing. Matteo hatte bereits vor über einer Stunde Feierabend gemacht und wie üblich seine Bürotür hinter sich abgeschlossen. Es bestand also kaum Hoffnung, dass sie heute noch etwas Brauchbares herausfinden konnte, und sie benötigte dringend ein wenig frische Luft. Denn obwohl sie daran gewöhnt war, oft mehr als zehn Stunden täglich im Büro zu verbringen, machte ihr die Klimaumstellung doch zu schaffen.

Nachdem sie sich am Tag ihrer Ankunft gleich mehrmals in dem riesigen Familienstammsitz der Falchettis verlaufen hatte, fand sie sich inzwischen ganz gut zurecht. Matteo leitete das Unternehmen von seinen Arbeitsräumen im Obergeschoss des Westflügels des Familienstammsitzes der Falchettis aus. Über den seitlichen Treppenaufgang gelangte sie zu einer Tür, die direkt hinaus in den Garten führte.

Carrie atmete tief durch.

Hier draußen war es einfach herrlich. Der intensive Duft des Jasmins, dessen weiße Blüten fast die gesamte die rückwärtige Fassade des Hauptgebäudes bedeckten, erfüllte die Luft. Die Blätter der Ölbäume raschelten im Wind, der sanft vom Meer her blies.

Für einen Moment stand sie einfach nur da und lauschte dem Zirpen der Grillen, als sie plötzlich Matteos Stimme vernahm.

---ENDE DER LESEPROBE---