Lies of Love - Whitney G. - E-Book

Lies of Love E-Book

Whitney G.

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Beschreibung

Die drei Teile des New-York-Times-Bestsellers in einem E-Book!


Wenn Andrew Hamilton eines hasst, dann sind es Lügner. Seit er vor sechs Jahren auf schreckliche und herzzerreißende Art hintergangen wurde, traut der erfolgreiche Anwalt niemandem mehr. Er hat keine Familie, keine Freunde. Und bei Frauen verfolgt er die eiserne Regel: ein Abendessen, eine gemeinsame Nacht, keine Wiederholung. Die einzige Person, die ihm etwas bedeutet, ist Alyssa, eine Anwältin, die er vor einigen Monaten in einem Jura-Online-Forum kennengelernt hat und der er Ratschläge für ihre Fälle gibt. Zwischen den beiden hat sich so etwas wie Freundschaft entwickelt - auch wenn sie sich noch nie gesehen haben. Doch dann taucht Alyssa in seiner Firma auf - mit anderem Namen und als Praktikantin! Und von einem Moment auf den anderen ändert sich alles ...


(Die Geschichte von Andrew und Alyssa wurde unter dem Titel "No Doubts" bereits in drei Teilen veröffentlicht. Dies ist die Gesamtausgabe.)





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Seitenzahl: 459

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Inhalt

TitelZu diesem BundleWidmungLies of Love – Teil 1PrologVertrag (Substantiv, mask.):Meineid (Substantiv, mask.):Beweislast (Substantiv, fem.):Verurteilung (Substantiv, fem.):Kreuzverhör (Substantiv, n.):Pause (Substantiv, fem.):Lies of Love – Teil 2PrologEntlastende Beweise:Ausflüchte:Haftung (Substantiv, fem.):Widerruf (Substantiv, mask.):Konsens (Substantiv, mask.):Leugnung:Schlussplädoyer:Lies of Love – Teil 3PrologZeugenaussage:Seelisches Leid:Vergehen:Festgefahrene Verhandlung:Voraussehbares Risiko:Nicht stattgeben:Gegenbeweis:Rechtsmittel:Aussetzung:Belästigen:Wahrunterstellung:Auslassung:Unterdrückung von Beweismitteln:Schwören:Berechtigte Zweifel:Dulden:Vertagen:EpilogDanksagungLeseprobeDie AutorinDie Romane von Whitney G. bei LYX.digitalImpressum

WHITNEY G.

Lies of Love

Ins Deutsche übertragen von Antje Althans

Zu diesem Bundle

WennAndrew Hamilton eines hasst, dann sind es Lügner. Seit er vor sechs Jahren auf schreckliche und herzzerreißende Art hintergangen wurde, traut der erfolgreiche Anwalt niemandem mehr. Er hat keine Familie, keine Freunde. Und bei Frauen verfolgt er die eiserne Regel: ein Abendessen, eine gemeinsame Nacht, keine Wiederholung. Die einzige Person, die ihm etwas bedeutet, ist Alyssa, eine Anwältin, die er vor einigen Monaten in einem Jura-Online-Forum kennengelernt hat und der er Ratschläge für ihre Fälle gibt. Zwischen den beiden hat sich so etwas wie Freundschaft entwickelt – auch wenn sie sich noch nie gesehen haben. Doch dann taucht Alyssa in seiner Firma auf – mit anderem Namen und als Praktikantin! Und von einem Moment auf den anderen ändert sich alles …

Für meine beste Freundin bis in alle Ewigkeit/ultimative Beta-Leserin/fantastische Assistentin/Schulter zum Ausweinen, wenn ich am Rad drehe - »Du bist meine Person«, wie sie es bei Grey’s Anatomy nennen, Tamisha Draper. (Ohne dich wären meine Bücher grottenschlecht …)

Für Tiffany Neal. Danke, dass du mein Gegengewicht bist. Du wirst immer mein perfekter Ausgleich sein …

Für Natasha Gentile … Wie sind wir noch mal Freundinnen geworden? LOL

Und für die F. L. Y. Crew: Ich liebe euch mehr, als ihr je ahnen könnt …

Lies of Love

Teil 1

Prolog

Andrew

New York ist nichts weiter als eine beschissene Einöde, eine Müllhalde, auf der Versager gezwungen sind, all ihre geplatzten Träume abzuladen und sie weit hinter sich zu lassen. Die blinkenden Lichter, die noch vor Jahren hell strahlten, haben ihren Glanz verloren, und dieses Gefühl des Neuanfangs, das einst in der Luft lag - dieses Gefühl der Hoffnung –, ist längst verflogen.

Alle Menschen, die ich einst für Freunde hielt, sind jetzt Feinde, und der Begriff »Vertrauen« ist aus meinem Wortschatz gestrichen. Dank der Presse sind mein Name und mein Ruf besudelt, und nachdem ich heute Morgen die Schlagzeile der New York Times gelesen habe, steht mein Entschluss fest - die heutige Nacht wird die letzte sein, die ich je in dieser Stadt verbringe.

Der Angstschweiß und die Albträume, die mich regelmäßig aus dem Schlaf schrecken lassen, sind mir jetzt zu viel, und sosehr ich mich auch bemühe, so zu tun, als sei mir nicht das Herz aus der Brust gerissen worden, bezweifele ich, dass der quälende Schmerz je vergehen wird.

Um mich stilecht zu verabschieden, habe ich mir die besten Gerichte aus all meinen Lieblingsrestaurants kommen lassen, mir am Broadway den Tod eines Handlungsreisenden angesehen und auf der Brooklyn Bridge eine kubanische Zigarre gepafft. Außerdem habe ich die Penthouse-Suite im Waldorf Astoria gemietet, wo ich mich jetzt auf dem Bett zurücklehne und die Finger durch das Haar einer Frau gleiten lasse, die vor mir auf dem Boden hockt. Ich stöhne, als ihr Mund sich zwischen meinen Beinen zu schaffen macht.

Sie blickt zu mir auf, während sie ihre Zunge aufreizend um die Spitze kreisen lässt und raunt: »Gefällt dir das?«

Ich antworte nicht, sondern drücke ihren Kopf nach unten und atme tief durch, als sie die Lippen auf meine Hoden drückt und meinen Schwanz mit beiden Händen umfasst.

In den letzten zwei Stunden habe ich es ihr an der Wand besorgt, sie über einen Sessel gebeugt genommen und später ihre Beine auf die Matratze gedrückt, während ich sie mit Mund und Zunge verschlungen habe.

Es hat mich durchaus erfüllt – mir Spaß gemacht -, doch ich weiß, dass das Gefühl nicht lange anhalten wird; es bleibt nie. In weniger als einer Woche werde ich mir jemand Neues suchen müssen.

Während sie mich immer tiefer in den Mund nimmt, ziehe ich an ihren Haaren, spanne meinen Körper an, als sie den Kopf auf- und abbewegt. Die Lust beginnt, sich in mir auszubreiten, und meine Beinmuskeln versteifen sich, sodass ich gezwungen bin, sie loszulassen und ihr nahezulegen, sich zurückzuziehen.

Sie reagiert nicht darauf.

Stattdessen packt sie meine Knie und bewegt ihren Mund noch schneller, wobei ich fast bis in ihren Hals vordringe. Ich gebe ihr eine letzte Chance, sich zurückzuziehen, aber da ihre Lippen mich nicht freigeben, lässt sie mir keine andere Wahl, als in ihrem Mund zu kommen.

Und dann schluckt sie.

Jeden einzelnen Tropfen!

Beeindruckend …

Als sie endlich von mir ablässt, leckt sie sich die Lippen und richtet sich auf dem Fußboden auf.

»Das war das erste Mal, dass ich geschluckt habe«, sagt sie. »Das hab ich nur für dich getan.«

»Das hättest du nicht tun sollen.« Ich stehe auf und ziehe den Reißverschluss meiner Hose zu. »Das hättest du dir für einen anderen aufsparen sollen.«

»Okay. Tja, ähm … Willst du was zu essen bestellen? Wir könnten uns was Interessantes im Fernsehen anschauen, dabei essen und danach weitermachen.«

Irritiert ziehe ich die Augenbrauen hoch.

Das ist immer das Nervigste, wenn die Frau, die sich vorher auf »ein Abendessen, eine Nacht, keine Wiederholungen« eingelassen hat, urplötzlich eine imaginäre Beziehung aufbauen will. Aus irgendeinem Grund hat sie das Gefühl, dass es eine Art Abschlussgespräch geben muss, eine beruhigende Rückversicherung, dass ich bestätigen werde, dass das, was gerade passiert ist, »mehr als nur Sex« war – und wir Freunde werden.

Aber es war nur Sex, und ich brauche keine Freunde. Jetzt nicht und auch nicht in Zukunft.

»Nein danke.« Ich gehe zum Spiegel am anderen Ende des Raumes. »Ich hab noch einen Termin.«

»Um drei Uhr morgens? Ich meine, wenn du das Essen einfach überspringen und lieber gleich wieder loslegen willst, kann ich auch …«

Ich blende ihre nervige Stimme aus und knöpfe mein Hemd zu. Ich habe noch nie die Nacht mit einer Frau verbracht, die ich im Internet kennengelernt habe, und mit ihr werde ich damit bestimmt nicht anfangen.

Nachdem ich die Krawatte zurechtgerückt habe, senke ich den Blick und entdecke auf dem Toilettentisch ein ramponiertes rosafarbenes Portemonnaie. Ich greife danach, klappe es auf und fahre mit den Fingern über den Namen, der auf ihrem Führerschein steht: Sarah Tate.

Ich kenne die Frau zwar erst seit einer Woche, doch bisher hat sie sich immer mit »Samantha« ansprechen lassen. Außerdem hat sie mir – mehrfach – erzählt, dass sie im Grace Hospital als Krankenschwester angestellt sei. Nach dem Walmart-Mitarbeiterausweis zu urteilen, der hinter ihrem Führerschein steckt, muss ich davon ausgehen, dass auch das nicht der Wahrheit entspricht.

Als ich ihr über die Schulter einen Blick zuwerfe, liegt sie wie hingegossen auf dem mit Seide bezogenen Bett. Ihre zarte Haut ist glatt und makellos, die schön geschwungenen Lippen sind leicht geschwollen.

Mit ihren grünen Augen fängt sie meinen Blick auf. Dann setzt sie sich langsam auf, spreizt die Beine ein wenig mehr und flüstert: »Du weißt, dass du noch bleiben willst. Bleib …«

Mein Schwanz wird prompt hart – und ich bin für eine neue Runde bereit, doch nachdem ich ihren richtigen Namen gesehen habe, hat sich das für mich erledigt. Ich kann es nicht ertragen, mich mit einer Frau abzugeben, die lügt, auch wenn sie Körbchengröße Doppel-D und einen himmlischen Mund hat.

Ich werfe ihr das Portemonnaie in den Schoß. »Du hast gesagt, dein Name wäre Samantha.«

»Ja. Und?«

»Du heißt aber Sarah.«

»Na und?« Sie zuckt die Achseln und winkt mich zu sich. »Männern, die ich im Internet kennenlerne, gebe ich nie meinen richtigen Namen.«

»Du lässt es dir nur in Fünfsternehotels von ihnen besorgen?«

»Warum interessiert dich auf einmal mein richtiger Name?«

»Tut er gar nicht.« Ich sehe auf meine Uhr. »Willst du hier übernachten, oder soll ich dir Geld für die Taxifahrt nach Hause geben?«

»Was?«

»Habe ich mich unverständlich ausgedrückt?«

»Wow … Einfach nur … wow …« Sie schüttelt den Kopf. »Wie lange kannst du das deiner Meinung nach noch durchhalten?«

»Was denn durchhalten?«

»Frauen eine Woche lang scharfzumachen, mit ihnen zu schlafen und dann zur nächsten weiterzuziehen. Wie lange noch?«

»Bis mein Schwanz streikt«, erwidere ich und werfe einen bedeutungsvollen Blick nach unten. Ich ziehe meine Jacke an. »Brauchst du nun Taxigeld, oder bleibst du? Bis um zwölf musst du ausgecheckt haben.«

»Weißt du, dass es Männer wie dich – Beziehungsphobiker – irgendwann besonders schlimm erwischt?«

»Hast du das bei Walmart gelernt?«

»Nur, weil dir früher mal jemand wehgetan hat, heißt das nicht, dass jede andere Frau das auch tun wird.« Sie zieht einen Schmollmund. »Wahrscheinlich bist du deshalb so. Wenn du mal versuchen würdest, richtig zu daten, wärst du bestimmt viel glücklicher. Du könntest die Frau zum Essen einladen und ihr richtig zuhören, sie bis an die Haustür begleiten, ohne gleich zu erwarten, dass sie dich reinbittet, und vielleicht die ganze ›Lass es uns in der Hotelsuite tun‹-Nummer am Schluss auslassen.«

Wo sind meine Schlüssel? Ich muss hier weg. Sofort.

»Ich sehe es schon vor mir …« Sie ist nicht mehr zu halten. »Eines Tages wirst du mehr wollen als nur Sex, und der Mensch, von dem du es willst, wird einer sein, von dem du es am wenigsten erwartest. Jemand, der dich zwingen wird, klein beizugeben.«

Seufzend ziehe ich meine Schlüssel unter ihrem zerknitterten Kleid hervor. »Brauchst du Taxigeld?«

»Ich hab mein eigenes Auto, Sackgesicht.« Sie verdreht die Augen. »Bist du echt so unfähig, ein normales Gespräch zu führen? Würde es dich umbringen, dich nach dem Sex noch ein paar Minuten mit mir zu unterhalten?«

»Wir haben nichts mehr zu bereden.« Ich lege meinen Zimmerschlüssel auf den Nachttisch und gehe zur Tür. »Es war sehr nett, dich kennenzulernen, Samantha, Sarah. Wie auch immer du heißt. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.«

»Fick dich!«

»Nein danke. Dreimal war mehr als genug.«

»Das wird dich noch mal einholen, Arschloch!«, kreischt sie, als ich in den Flur trete. »Karma ist ein echtes Miststück!«

»Ich weiß«, gebe ich zurück. »Der hab ich es vor zwei Wochen besorgt.«

Vertrag (Substantiv, mask.):

Eine rechtsgültige Vereinbarung zwischen zwei Menschen, die eine Verpflichtung schafft, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen.

Sechs Jahre später …

Durham, North Carolina

Andrew

Die Frau, die mir gegenübersaß, war eine verdammte Lügnerin.

Sie trug einen hässlichen mausgrauen Pullover zu einem rot karierten Faltenrock, und ihre Haare vermittelten den Eindruck, als hätte sie sie mit Wachsmalstiften gefärbt. Sie sah ganz anders aus als auf dem Foto im Internet – überhaupt nicht wie die lächelnde Blondine mit Körbchengröße C, Schmetterlings-Tattoos und vollen rosaroten Lippen.

Bevor ich mich auf dieses Date eingelassen hatte, hatte ich ausdrücklich um drei unterschiedliche Fotos als Beweis ihrer wahren Identität gebeten: Auf einem sollte sie eine Zeitung mit dem aktuellen Datum in der Hand halten, eines, auf dem sie sich auf die Lippen biss, und eins, auf dem sie ein Schild mit ihrem Namen hochhielt. Als ich sie um diese Bilder bat, hatte sie gelacht und gesagt, dass ich »der paranoideste Typ überhaupt« wäre, doch sie hatte sie mir geschickt. Jedenfalls hatte ich das geglaubt. Abgesehen davon, dass ich ihr meinen richtigen Namen verschwiegen hatte (den gebe ich schon seit Jahren nicht mehr heraus), war ich vollkommen aufrichtig zu ihr gewesen und erwartete im Gegenzug das Gleiche.

»Tja, jetzt wo wir allein sind …« Sie lächelte plötzlich und präsentierte mir einen Mund voller Metallspangen und Gummibänder. »Es ist schön, dich endlich persönlich kennenzulernen, Thoreau. Wie geht es dir?«

Für so ein Geplänkel hatte ich keine Zeit. »Wer ist die Frau auf deinem Profilbild?«, fragte ich.

»Was?«

»Wer ist die Frau auf deinem Profilbild?«

»Oh … Tja, ich jedenfalls nicht.«

»Was du nicht sagst.« Ich verdrehte die Augen. »Hast du ein Model engagiert? Archivbilder gekauft und mit Photoshop bearbeitet?«

»Nicht direkt.« Sie senkte die Stimme. »Ich dachte nur, du würdest dich eher mit mir treffen wollen, wenn ich dieses Foto benutze statt meins.«

Ich musterte sie erneut und bemerkte erst jetzt das merkwürdige Einhorn-Tattoo auf ihren Fingerknöcheln sowie das »Liebe ist blind«-Zitat, das auf ihr Handgelenk tätowiert war.

»Was dachtest du denn, würde passieren, wenn es dazu käme?« Dieser Mist überstieg mein Vorstellungsvermögen. »Hast du dir überlegt, was passieren würde, wenn wir uns gegenüberstehen? Wenn mir klar würde, dass du nicht diejenige bist, für die du dich ausgegeben hast?«

»Ich hab eigentlich nicht damit gerechnet, dass du tatsächlich dein eigenes Foto reingestellt hast«, antwortete sie. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass du wirklich so aussiehst, nicht wahr? Es ist das erste Mal, dass mir ein Typ auf Date-Match die Wahrheit gesagt hat. Ich glaube, das ist ein Zeichen.«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Und das Model? Wie hast du es dazu gebracht, all diese Fotos zu machen?«

»Das war kein Model, sondern meine Mitbewohnerin.« Ein gehetzter Ausdruck trat in ihren Blick, als ich aufstand. »Warte! Alles, was ich dir am Telefon gesagt habe, stimmt. Ich interessiere mich wirklich für Politik, beschäftige mich für mein Leben gern mit rechtlichen Fragen und verfolge Prozesse, die von großem öffentlichem Interesse sind.«

»An welcher Uni hast du Jura studiert?«

»Studiert?« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Nein, ich hab nicht studiert. Aber ich hab alle Folgen von Law and Order gesehen und jedes Buch von John Grisham gelesen.«

Seufzend zog ich ein paar Geldscheine aus meiner Geldbörse und legte sie auf den Tisch. Ich hatte schon genug Zeit mit ihr verplempert.

»Auf Wiedersehen, Charlotte.« Damit ging ich und ignorierte ihre weiteren Entschuldigungen.

Sobald der Typ vom Parkdienst meinen Wagen vorgefahren hatte, setzte ich mich hinters Steuer und brauste davon.

Das nimmt ja langsam lächerliche Formen an …

Es war schon das sechste Mal in diesem Monat, dass mir das passierte, und ich verstand einfach nicht, warum jemand ohne Not log, obwohl ihm womöglich ein persönliches Treffen bevorstand. Das ergab einfach keinen Sinn.

Verärgert besorgte ich mir in dem Laden auf der anderen Straßenseite eine Flasche Scotch und nahm mir vor, diese neuste Lügnerin auf dem Dating-Portal zu sperren. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass mir in Durham langsam die Frauen ausgingen, mit denen ich schlafen konnte. Außerdem schwante mir, dass ich wieder in eine andere Stadt ziehen und ganz von vorn anfangen müsste; die nächtlichen Schweißausbrüche von vor Jahren waren zurückgekehrt, und ich wusste, dass sich auch die Albträume bald wieder einstellen würden.

Kaum war ich zu Hause in meiner Wohnung angekommen, schenkte ich mir drei Schnapsgläser voll Scotch ein und trank sie auf ex. Dann goss ich mir drei weitere ein.

Ich scrollte durch mein Telefon und checkte meine E-Mails von heute – Klienten-Empfehlungen, weitere Chat-Anfragen von Date-Match und eine Nachricht von der verführerischen Blondine, mit der ich am kommenden Samstag verabredet war.

Die Betreffzeile lautete:

Auf Ehrlichkeit kommt es an, nicht wahr?

Ich leerte noch ein Schnapsglas, bevor ich die Mail öffnete, und hoffte, dass es eine Einladung wäre, mich schon heute Abend mit ihr zu treffen.

Fehlanzeige. Es war eine gottverdammte Abhandlung.

Hallo, Thoreau. Ich weiß, dass wir eigentlich am Samstag verabredet sind, und glaub mir, ich hab mich wahnsinnig darauf gefreut, aber ich muss wissen, ob du dich wirklich für mich interessierst und nicht nur für mein Aussehen. Ich hab hier eine Menge gruseliger Typen kennengelernt, denen mein Bild gefällt, und wenn wir uns dann treffen, sind sie nur scharf auf Sex. Ich kann dir versichern, dass ich die bin, die ich zu sein vorgebe, aber ich bin auf der Suche nach etwas, was ein bisschen erfüllender ist als unverbindlicher Sex. Wir müssen ja keine richtige Beziehung eingehen oder eine intensive Affäre anfangen, aber wir könnten zumindest erst mal eine Freundschaft aufbauen, findest du nicht? Ich freue mich darauf, dich zu sehen, also gib mir Bescheid, ob du noch an einem Treffen mit mir interessiert bist.

Liz

Ich klickte schleunigst auf mein Profil und öffnete die »Ich suche«-Rubrik, um mich zu vergewissern, dass dort immer noch dasselbe stand: Unverbindlichen Sex. Nicht mehr und nicht weniger.

Diese Ansage stand nicht nur zur Zierde da, und dass sie fettgedruckt war, hatte seinen Grund.

Ich kehrte zur Nachricht der Frau zurück und antwortete.

Ich bin nicht mehr an einem Treffen mit dir interessiert. Viel Glück beim Fahnden nach dem, was du suchst.

Thoreau

Sie antwortete sofort.

Ist das dein Ernst?

Brauchst du keine neuen Freunde? Können wir nicht einfach »nur Freunde« sein?

Liz

Vergiss es, nein.

Thoreau

Ich meldete mich ab und sperrte ihre Adresse.

Ein weiterer Scotch rann durch meine Kehle, während ich durch die verbliebenen E-Mails scrollte – und unverzüglich die öffnete, die von dem einzigen Menschen kam, den ich in dieser Stadt als Freund betrachtete. Alyssa.

Betreff: Schmachtender Schwanz

Ich maile dir jetzt gleich, weil ich gerade daran gedacht habe, wie viel Schmerz du zurzeit durchmachst … Wir haben ziemlich lange nicht mehr darüber gesprochen, dass du Sex hattest, und das bereitet mir Sorge. Große Sorge. Ich habe GEWEINT, weil du so selten zum Schuss kommst … Es tut mir sehr leid, dass dir so viele Frauen Fake-Fotos geschickt haben und du jetzt schwer unter Kavaliersschmerzen leidest. Anbei ein paar Links zu einer Spitzenlotion, in die du meiner Meinung nach in den nächsten Wochen investieren solltest.

Ich schließe deinen Schwanz in meine Gebete ein.

Alyssa

Lächelnd tippte ich meine Antwort.

Betreff: Re: Schmachtender Schwanz

Danke, dass du dich um meinen Schwanz sorgst. Aber da DU nie mit mir über Sex gesprochen hast, finde ich, dass eine völlig eingestaubte Muschi ein viel ernsteres Leiden ist. Ja, es stimmt, dass mir haufenweise Frauen Fotos geschickt haben, aber es ist auch ziemlich traurig, dass ich von dir noch nie eins bekommen habe, oder? Ich bin mehr als gewillt, dir meins zu schicken und dir letztlich dabei zu helfen, dein trauriges und wirklich bedauernswertes Leiden zu kurieren.

Danke, dass du meinen Schwanz in deine Gebete einschließt.

In deinem Mund wäre er mir lieber.

Thoreau

Und auf einen Schlag war mein Abend schon zehn Mal schöner. Obwohl ich Alyssa nie persönlich kennengelernt hatte und unser Austausch sich aufs Telefon, auf E-Mails und auf SMS beschränkte, fühlte ich mich mit ihr verbunden.

Wir hatten uns über ein anonymes soziales Netzwerk für Anwälte kennengelernt – LawyerChat. Dort wurden keine Neuigkeiten eingespeist und es gab auch keine Profilbilder, sondern nur Foren. In einem kleinen Profil-Kästchen konnte man Informationen posten (nur den Vornamen, das Alter, wie lange man schon praktizierte, ob man sich bereits profiliert hatte oder nicht). Anhand des Logos war zu erkennen, ob es sich beim Nutzer um einen Mann oder eine Frau handelte.

Jeder User war »garantiert« ein Anwalt, der per E-Mail persönlich eingeladen worden war. Den Website-Entwicklern zufolge war »jeder praktizierende Anwalt im Staat North Carolina mit dem Zulassungsverzeichnis der Anwaltskammer abgeglichen worden, um ein einmaliges und einzigartiges Netzwerk zu gewährleisten, über das Anwälte sich gegenseitig unterstützen konnten.«

Ehrlich gesagt hielt ich dieses Netzwerk für Mist, und hätte ich nicht mit ein paar von den Frauen geschlafen, die ich dort kennengelernt hatte, hätte ich meinen Account schon nach dem ersten Monat gelöscht.

Doch als ich eine neue »Rat gesucht«-Nachricht von einer »Alyssa« sah, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, meine früheren Erfolgserlebnisse vielleicht zu wiederholen. Ich las mir zunächst ihr Profil durch (siebenundzwanzig, Jura-Abschluss vor einem Jahr, leidenschaftliche Leserin) und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.

Ursprünglich hatte ich die Absicht gehabt, ihre juristischen Fragen zu beantworten, das Gespräch unmerklich auf Persönlicheres zu lenken und sie dann zu bitten, Mitglied bei Date-Match zu werden, damit ich ihr Aussehen checken konnte. Doch sie war nicht wie die anderen Frauen.

Sie schickte mir ständig Nachrichten und sprach nur über berufliche Themen. Da sie so eine junge und unerfahrene Anwältin war, fragte sie bei den einfachsten Themen um Rat: Aufsetzen eines juristischen Schriftstücks, Klageeinreichung, Beweisvorlage. Nachdem wir fünf Mal gechattet hatten und ich die ausufernden Beratungen langsam leid war, fragte ich sie nach ihrer Telefonnummer.

Sie lehnte ab.

Warum nicht?, hatte ich getippt.

Weil es gegen die Regeln verstößt.

Mir ist noch nie ein Anwalt begegnet, der nicht zumindest eine gebrochen hat.

Dann sind Sie kein sehr guter Anwalt. Ich suche mir einen anderen Chat-Partner. Danke.

Sie werden den Fall morgen verlieren, tippte ich rasch, bevor sie unsere Sitzung beenden konnte. Sie haben von Tuten und Blasen keine Ahnung.

Ärgert es Sie wirklich so sehr, dass ich Ihnen meine Telefonnummer nicht gebe? Wie alt sind Sie eigentlich … zwölf?

Zweiunddreißig, und Ihre Telefonnummer kümmert mich einen Scheißdreck. Ich habe nur danach gefragt, damit ich Sie anrufen kann, um Ihnen zu sagen, dass das Schriftstück, das Sie mir geschickt haben, von Tippfehlern nur so strotzt, und das Schlussplädoyer liest sich, als hätte es ein Jurastudent im ersten Studienjahr verfasst. Da sind zu viele Fehler drin, als dass ich mich für Sie hinsetzen und alle eintippen würde.

So schlecht ist mein Schriftsatz nun auch wieder nicht.

Aber auch nicht gut.

Ich wollte mich schon von unserem Chat abmelden, als auf dem Bildschirm ihre Telefonnummer mit einem kurzen Absatz darunter erschien.

Wenn du anrufen willst, um mir zu helfen, okay. Wenn du meine Nummer missbrauchst, um mich dazu zu überreden, mich später bei einem Dating-Portal anzumelden, dann vergiss es. Ich bin diesem Netzwerk nur beigetreten, um berufliche Unterstützung zu bekommen.

Ich starrte lange auf ihre Nachricht und überlegte hin und her, ob ich ihr helfen sollte, auch wenn dabei nichts für mich heraussprang. Doch irgendetwas verleitete mich dazu, sie trotzdem anzurufen. Ich ging jeden einzelnen Fehler mit ihr durch, bestand darauf, dass sie ein paar Schachtelsätze entwirrte, und formatierte sogar ihr Schriftstück neu.

Gerade, als ich mich von ihr verabschieden und auflegen wollte, passierte etwas sehr Seltsames. Sie fragte: »Wie war dein Tag?«

»Das steht nicht in deinem Schriftstück«, konterte ich. »Du wolltest nur über Anwaltskram sprechen, weißt du noch?«

»Und ich darf es mir nicht anders überlegen?«

»Nein. Leg auf.« Ich wartete auf den Piepton, hörte aber nur ein Lachen. Hätte es nicht so rau und sexy geklungen, hätte ich selbst aufgelegt, aber ich konnte es nicht.

»Tut mir leid«, sagte sie immer noch lachend. »Ich wollte dich nicht kränken.«

»Das hast du nicht. Leg auf.«

»Aber ich will nicht.« Endlich hörte sie zu lachen auf. »Ich entschuldige mich für meine feindselige Wortwahl im Chat … Du bist der einzige Typ hier in diesem Forum, der alle meine Fragen beantwortet. Bist du momentan beschäftigt? Kannst du reden?«

»Worüber?«

»Über dich, über dein Leben … Ich habe dir jeden Tag langweilige juristische Fragen gestellt, und du warst sehr geduldig, deshalb ist es nur fair, dass wir ausnahmsweise mal über etwas weniger Langweiliges reden, wenn wir Freunde werden wollen, oder?«

Freunde?

Ich zögerte mit der Antwort – vor allem, weil es nicht so schien, als würden die »weniger langweiligen« Themen Sex beinhalten, und weil ihr das Wort »Freunde« so mühelos über die Lippen kam. Aber da ich mich sowieso schon mitten in einer weiteren sexlosen Nacht befand, fing ich ein normales Gespräch mit ihr an. Bis um fünf Uhr morgens unterhielten wir uns über die banalsten Dinge – unseren Alltag, unsere Lieblingsbücher und ihren Traum, eine späte professionelle Ballerina zu werden.

Ein paar Tage später redeten wir wieder, und nach einem Monat telefonierte ich alle zwei Tage mit ihr.

Ich führte mir noch einen Scotch zu Gemüte, drückte auf die Ruftaste meines Telefons und wartete darauf, ihre sanfte Stimme zu hören.

Keine Antwort. Während ich überlegte, ob ich ihr eine SMS schicken sollte, fiel mir ein, dass es Mittwochabend neun Uhr war und wir heute gar nicht miteinander sprechen könnten.

Training … Mittwochabends ist immer Ballett-Training.

»Mr Hamilton?« Am nächsten Morgen betrat meine Sekretärin mein Büro.

»Ja, Jessica?«

»Mr Greenwood und Mr Bach möchten gern wissen, ob Sie heute an der nächsten Praktikanten-Vorstellungsrunde teilnehmen wollen.«

»Nein.«

»Okay …« Sie senkte den Blick und kritzelte etwas auf ihren Schreibblock. »Haben Sie sich wenigstens die Lebensläufe angesehen? Die Kandidaten müssen heute auf fünfzehn eingegrenzt werden.«

Seufzend zog ich den Stapel mit den Lebensläufen hervor, den sie mir letzte Woche gegeben hatte. Ich hatte alle durchgeschaut und mit Notizen versehen, vor allem mit »Nein«, »Noch mal nein« und »Keine Lust, das zu lesen«. Alle übrig gebliebenen Bewerber kamen von der Duke University, und meines Wissens waren wir die einzige Firma in der Stadt, die sowohl Bachelor-Studenten im Jura-Vorstudium als auch richtige Jurastudenten für bezahlte Praktika annahm.

»Mich hat keiner der Bewerber beeindruckt.« Ich schob die Unterlagen über meinen Schreibtisch. »Waren das alle Bewerbungen?«

»Nein, Sir.« Sie trat zu mir und legte mir einen noch höheren Stapel hin. »Das sind alle Bewerbungen. Brauchen Sie mich heute Morgen noch für etwas anderes?«

»Abgesehen davon, dass Sie mir meinen Kaffee bringen?« Ich deutete auf den leeren Becher am Rand meines Schreibtischs. Ich hasste es, dass ich sie immer daran erinnern musste, ihn mir zu bringen; ohne einen frischen Kaffee lief bei mir morgens gar nichts.

»Tut mir sehr leid. Ich hole ihn sofort.«

Ich schaltete meinen Computer ein, scrollte durch meine E-Mails und ordnete sie nach Wichtigkeit. Alyssas neuste E-Mail landete natürlich ganz oben.

Betreff: Sei nicht so arrogant

Danke für das kindische Bild, das du mir geschickt hast mit dem weißen Staub, den du heute Morgen vor deiner Wohnungstür vorgefunden hast. Ich weiß das echt zu schätzen, kann dir jedoch versichern, dass das Innere meiner Vagina momentan nicht so aussieht.

Nicht dass es dich etwas angehen würde, aber ich muss nicht jeden zweiten Tag flachgelegt werden, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Sie werden mit einer VIELZAHL von Hilfsmitteln GUT gestillt.

Alyssa

Betreff: Re: Sei nicht so arrogant

Ich habe dir zwei Bilder geschickt. Eins von dem weißen Staub und eins von einem ausgetrockneten See, in dem verendete Tiere liegen. War das zweite Bild zutreffender?

Das einzige »Hilfsmittel«, das du brauchst, ist meine Zunge. Sie steht zur Verfügung, wann immer du sie benötigst, und verfügt über eine »VIELZAHL« von Funktionen.

Thoreau

»Bitte sehr, Mr Hamilton.« Jessica stellte unvermittelt meinen Kaffee auf den Schreibtisch. »Darf ich Sie etwas fragen?«

»Nein, dürfen Sie nicht.«

»Das dachte ich mir«, gab sie zurück, senkte die Stimme und sah mir in die Augen. »Ich weiß, es ist ein bisschen unprofessionell, aber ich brauche eine Begleitung für die Gala nächsten Monat.«

»Dann suchen Sie sich eine Begleitung für die Gala nächsten Monat.«

»Das war meine Art, Sie zu fragen, ob Sie mich begleiten …«

Ich blinzelte irritiert. Ich musste einen Weg finden, mein »Verdammt noch mal, nein!« äußerst vorsichtig zu formulieren.

Jessica kam frisch vom College und war viel zu jung für mich. Sie arbeitete hier, weil ihr Großvater diese Firma gegründet hatte, und suchte nach viel mehr, als ihr zu geben ich jemals willens wäre. Ich hatte sie in den Mittagspausen mehrfach darüber sprechen hören, dass sie spätestens mit fünfundzwanzig verheiratet sein wollte. Anscheinend wollte sie auch Hausfrau und Mutter von sechs Kindern werden und in einem Haus am Stadtrand wohnen.

Mit anderen Worten: Sie war völlig durchgeknallt.

»Also, was meinen Sie?« Sie lächelte mich an.

Ich bemühte mich sehr, nicht die Augen zu verdrehen. »Jessica …«

»Ja?« Ihr Blick war voller Hoffnung.

»Hören Sie zu, Süße. Abgesehen davon, dass es äußerst unangemessen wäre, wenn wir zwei je außerhalb dieses Büros eine wie auch immer geartete Beziehung anfingen, bin ich einfach nicht der Mann, nach dem Sie suchen. Kein bisschen. Glauben Sie mir.«

»Nicht einmal für eine Nacht?«

»Die Worte ›eine Nacht‹ beinhalten meiner Meinung nach gewisse Erwartungen, die Sie unmöglich erfüllen können. Deshalb nein. Gehen Sie wieder an die Arbeit.«

»Ist ›eine Nacht‹ eine Umschreibung für Sex?«

»Was suchen Sie noch in meinem Büro?«

»Ich würde es niemandem sagen, wenn wir Sex hätten«, flüsterte sie. »Ich stelle es mir vor, seit ich Sie zum ersten Mal gesehen habe. Und da Sie nie Anrufe von einer Freundin bekommen, gehe ich davon aus, dass Sie noch zu haben sind.«

»Nein.«

»Einmal bin ich ins WC reingeplatzt, als Sie drin waren … Ich schätze Sie mindestens auf dreiundzwanzig Zentimeter.«

Was zur Hölle …?

Ich war kurz davor, das Gespräch mit meinem Telefon aufzuzeichnen und an ihren Großvater zu mailen.

»Ich bin echt gut in Blowjobs«, sagte sie. »Ich mach das seit der Highschool. Alle Jungs, denen ich einen geblasen habe, sagten, dass mein Mund fantastisch ist.« Sie biss sich auf die Unterlippe.

»Ist auf meinem Fußboden Sekundenkleber? Stehen Sie deshalb noch hier rum?«

»Wenn Sie mich zur Gala begleiten würden und wir danach zusammen Spaß hätten, wären Sie der erste Mann, mit dem ich es richtig mache«, platzte sie errötend heraus. »Da unten bin ich noch Jungfrau.«

»Dann bin ich eindeutig nicht der Richtige für Sie.« Ich verdrehte die Augen. »Jetzt gehen Sie, bevor ich Mr Greenwood anrufe und ihm erzähle, dass seine kostbare Enkelin mir anbietet, mir zum morgendlichen Kaffee einen zu blasen.«

Geschockt und mit hochroten Wangen eilte sie zur Tür. Dann warf sie einen Blick zurück und zwinkerte mir zu – zwinkerte mir verdammt noch mal zu, bevor sie den Raum verließ.

Ich tippte sofort in meinen Planer ein: Neue Sekretärin suchen, eine ältere, verheiratete …!

Bevor ich meinen Posteingang fertig ordnen konnte, klingelte mein Handy. Alyssa.

»Ich hab zu tun«, sagte ich, als ich abnahm.

»Warum bist du dann rangegangen?«

»Weil der Klang meiner Stimme dich feucht macht.«

»Lustig.« Sie lachte. »Wie ist dein Morgen bisher verlaufen?«

»Normal. Meine Sekretärin hat mich soeben zum dritten Mal in diesem Monat angemacht.«

»Hat sie dir schon wieder Pralinen mit einem Briefchen geschickt, auf dem ›Du und ich gehören zusammen‹ stand?«

»Nein, sie hat angeboten, mir einen zu blasen.«

»Was?« Sie schnappte nach Luft. »Du machst Witze!«

»Leider nicht. Danach eröffnete sie mir, dass sie willens wäre, mir ihre Jungfräulichkeit zu schenken. Natürlich werde ich bald per Anzeige eine Nachfolgerin suchen. Will sich irgendwer aus deinem Büro verbessern? Ich verdoppele das Gehalt.«

»Woher willst du wissen, dass meine Firma nicht besser ist als deine?«

»Weil du mich ständig anrufst und um Rat für irgendwelche Fälle bittest – absurde Fälle noch dazu. Wenn deine Firma besser wäre, müsstest du nicht fragen.«

»Egal.« Sie stöhnte. »Bist du schon vom Onlinedating-Wagen abgesprungen?«

»Vom Wagen? Abgesprungen?« Ihre kleinen Südstaaten-Metaphern verstand ich nie. »Was zum Teufel bedeutet das?«

»Oh Gott …« Sie seufzte. »Es bedeutet, dass du mich nicht auf den neusten Stand gebracht hast, was dein Date gestern Abend angeht, weshalb ich vermute, dass es ein Reinfall war, was wiederum heißt, dass du über einen Monat mit keiner Frau mehr geschlafen hast. Das muss für dich ein Rekord sein.«

»Stimmt.«

»Willst du einen Rat?«

»Nur, wenn du zu mir ins Büro kommst und ihn mir persönlich erteilst.« Ich lächelte.

»Nein danke. Aber wo wir schon von Ratschlägen sprechen … ich brauche am Freitagabend deine Hilfe.«

»Wobei?«

»Ich hab einen ziemlich großen Fall an Land gezogen. Ich bin noch nicht alle Dokumente durchgegangen, aber ich weiß jetzt schon, dass ich der Sache nicht gewachsen bin.«

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. »Wenn es ein so großer Fall ist, könntest du mit den Dokumenten heute Abend zu mir kommen. Ich würde dir gern beim Durchsehen helfen. Das Analysieren von Fällen war schon immer meine Spezialität.«

»Ha! Netter Versuch, aber lieber nicht.« Sie sprach weiter über ihren Fall, aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Es kam mir immer noch seltsam vor, dass sie mich nicht persönlich treffen wollte, dass sie die bloße Vorstellung abblockte, sobald ich davon anfing.

»Außerdem …«, holte sie noch weiter aus, »muss ich wahrscheinlich die Änderungen recherchieren. Ich bin mir nicht sicher, ob …«

»Nenn mir den wahren Grund, warum ich dich nicht persönlich kennenlernen darf«, fiel ich ihr ins Wort.

»Was?«

»Wir kennen uns jetzt seit sechs Monaten. Warum willst du dich nicht mit mir treffen?«

Stille.

»Muss ich die Frage wiederholen?« Ich erhob mich, ging zur Tür und schloss ab. »Hast du mich nicht verstanden?«

»Es verstößt gegen die LawyerChat-Regeln …«

»Scheiß auf LawyerChat.« Ich verdrehte die Augen. »Allein schon, dass wir unsere Telefonnummern ausgetauscht haben, verstößt gegen die Regeln, und dass wir uns wie Teenager aufführen und uns nachts übers Telefon zum Kommen bringen … aber darüber hast du dich noch nie beschwert.«

»Du hast mich noch nie zum Kommen gebracht …«

»Lüg mich nicht an.«

»Hast du nicht.«

»Dann hast du also letzte Woche, als ich sagte, dass du dich auf meinen Mund setzen sollst, damit ich so lange an dir knabbern kann, bis du auf meinen Lippen kommst, nur so getan, als würdest du schwer atmen?«

Sie schnappte nach Luft. »Nein, aber …«

»Das dachte ich mir. Warum können wir uns nicht persönlich treffen?«

»Weil es unsere Freundschaft kaputtmachen würde, und das weißt du auch.«

»Nein.«

»Du hast mir erzählt, dass du nie zwei Mal mit derselben Frau schläfst. Dass du mit ihr fertig wärst, wenn du sie einmal gehabt hast.«

»Aber ich hab auch noch nie mit einer meiner Freundinnen geschlafen.«

»Das liegt daran, dass ich deine einzige bin.«

»Ich weiß, aber …« Ich verstummte, denn das konnte ich nicht widerlegen.

Es war still in der Leitung, während ich nach weiteren Argumenten suchte.

Sie sprach zuerst. »Ich möchte unsere Freundschaft wirklich nicht durch einen bedeutungslosen Fick aufs Spiel setzen.«

»Ich garantiere dir, dass es mehr als nur ein bedeutungsloser Fick sein wird.«

Ihr helles unbeschwertes Lachen schwebte durch die Leitung, und ich seufzte – und versuchte mir vorzustellen, wie sie aussah. Ich wusste nicht so recht, warum, aber in den letzten Wochen hatte ich mich immer häufiger danach gesehnt, ihr Lachen auch sehen zu können.

»Weißt du eigentlich«, fuhr sie fort, »dass du für einen profilierten Anwalt ein ganz schön schmutziges Mundwerk hast?«

»Du wärst überrascht, wie viel schmutziger es noch werden kann.«

»Schmutziger als das, was ich bisher erlebt habe?«

»Viel schmutziger.« Seit Beginn dieser Freundschaft hatte ich das Terrain sondiert und immer noch gehofft, dass wir uns eines Tages persönlich treffen würden, doch jetzt, wo dem nicht so war, bestand kein Grund mehr, mich zurückzuhalten. »Dann werde ich heute Abend eben mit dir reden.«

»Nicht, wenn du bis dahin ein anderes Date auftreibst. Ich weiß, dass du danach suchen wirst.«

»Natürlich werde ich suchen«, schnaubte ich. »Ist Alyssa dein richtiger Name?«

»Ja, aber ich bin mir sicher, dass du nicht Thoreau heißt. Willst du mir nicht endlich deinen richtigen Namen sagen?«

»Ich sage ihn dir, wenn du endlich zur Vernunft kommst und dich mit mir triffst.«

»Du willst es einfach nicht auf sich beruhen lassen, hm?« Wieder lachte sie. »Und wenn der wahre Grund, dass ich dich nicht treffen will, nun wäre, dass ich hässlich bin?«

»Ich habe das Gefühl, dass das eindeutig nicht der Fall ist.«

»Aber wenn ich es wäre?«

»Dann würde ich eben bei ausgeschaltetem Licht mit dir schlafen.«

»Mir ist es lieber, wenn das Licht an ist.«

»Dann zwinge ich dich, dir eine Papiertüte über den Kopf zu ziehen.«

»Was?!« Sie kicherte los. »Du bist ja irre! Hilfe, vor meiner Tür steht ein Klient! Ich muss Schluss machen. Kann ich dich später anrufen?«

»Jederzeit.« Ich legte lächelnd auf. Dann wurde es mir schlagartig klar.

Mist … Sie findet immer einen Weg aus dieser Verhörstrategie …

Meineid (Substantiv, mask.):

Vorsätzliche, eidliche Falschaussage.

Alyssa (na ja, in Wirklichkeit heiße ich »Aubrey« …)

»Die Wahrheit kommt immer ans Licht. Warum macht sich das niemand klar?«, schrieb Thoreau mir am Morgen per SMS.

»Hältst du eine Lüge nicht manchmal für vertretbar?«, simste ich zurück.

»Nein. Nie.«

Ich zögerte.

»Dann hast du mich nie belogen?«

»Warum sollte ich?«

»Weil wir uns kaum kennen.«

»Nur, weil du mich auf Distanz hältst.«

Bevor ich antworten konnte, kam noch eine SMS.

»Wüsstest du gern meinen richtigen Namen und wo ich arbeite?«

»Mir ist unser anonymes Arrangement lieber.«

»Das war mir klar, und ich hab dich nie belogen. Aus irgendeinem seltsamen Grund vertraue ich dir.«

»Ein seltsamer Grund?«

»Sehr seltsam. Wir telefonieren später.«

Seufzend steckte ich das Handy in meine Handtasche, während mich die vertrauten Schuldgefühle überkamen. Ich hatte nie vorgehabt, mich weiter mit ihm zu unterhalten und mich außerhalb von LawyerChat mit ihm anzufreunden, aber ich steckte schon zu tief drin und wollte ihn nicht verlieren.

Als ich vor Monaten die Einladung zu dem exklusiven Netzwerk auf dem Schreibtisch meiner Mutter hatte liegen sehen, hatte ich mir geschworen, es nur für Fragen zu meinem Jura-Vorstudium zu nutzen. Ich loggte mich mit ihrem Zugangscode ein, legte ein Fake-Profil an und achtete darauf, alle Fragen so zu stellen, dass niemandem auffiel, dass ich sie für meine Hausaufgaben brauchte.

Leider war das Jura-Vorstudium an der Duke University anders als an allen anderen Unis im Land. Der Unterricht war praxisorientierter und wurde im Rahmen von Mentorprogrammen durch praktizierende Anwälte erteilt, und für die letzten vier Semester musste sich jeder Studierende einen Praktikumsplatz suchen. Darüber hinaus wurde von uns erwartet, dass wir uns Fallakten durchlasen und sie prüften, als ob wir gestandene Anwälte wären.

Wenn ich geahnt hätte, dass meine vielen fachlichen Fragen an Thoreau zu einer richtigen Freundschaft führen würden, hätte ich unsere Gespräche vielleicht früher beendet. Aber er war mein einziger Freund, genauso wie ich seine einzige Freundin.

Während er bei jedem Gespräch offen und ehrlich zu mir war, konnte ich nur davon träumen – vor allem, da er immer »Ich hasse Lügner« sagte, wenn er von einer der Frauen getäuscht wurde, mit denen er ausging.

Verdammt …

Ich strich den Tüllstoff meines Tutus glatt und atmete mehrfach tief durch. Über meine Freundschaft mit Thoreau konnte ich mir später Gedanken machen, jetzt musste ich mich konzentrieren.

Heute war das Vortanzen für eine Inszenierung von Schwanensee, und ich war mit den Nerven am Ende. Ich hatte kaum geschlafen, das Frühstück ausfallen lassen und war fünf Stunden zu früh im Theater erschienen.

»Bühne bitte räumen!«, rief der Theaterleiter von unten. »Das offizielle Vortanzen beginnt in einer halben Stunde! Bitte alle zur Seitenbühne.«

Bevor ich hinter die Bühne ging, schaute ich ins Publikum. Die meisten Gesichter waren mir vertraut – Kommilitonen, Ausbilder und ein paar Choreografen von der Balletttruppe, bei der ich letzten Sommer gearbeitet hatte. Doch die Gesichter, die ich so sehnlichst zu sehen wünschte, waren nicht dabei.

Das waren sie nie.

Gekränkt suchte ich mir ein stilles Eckchen in der Garderobe und rief meine Mutter an.

»Hallo?« Sie ging nach dem ersten Klingeln ran.

»Warum bist du nicht hier?«

»Wo soll ich denn sein, Aubrey? Wovon sprichst du denn jetzt schon wieder?« Sie seufzte entnervt.

»Mein offenes Casting für Schwanensee. Du hast versprochen, dass du mit Dad kommst.«

»Es ist Aubrey, Schatz!«, rief sie meinem Vater im Hintergrund zu. »Deine Aufführung ist heute?«

»An einer Aufführung habe ich das letzte Mal mit dreizehn teilgenommen.« Ich biss die Zähne zusammen. »Das hier ist ein Vortanzen, eine Gelegenheit, wie man sie nur einmal im Leben bekommt, und ihr solltet dabei sein.«

»Wahrscheinlich hat meine Sekretärin heute Morgen vergessen, es mir zu sagen«, erklärte sie. »Hast du schon einen Praktikumsplatz für dein Hauptfach gefunden?«

»Ich studiere zwei Hauptfächer.«

»Fürs Jura-Vorstudium, Aubrey.«

»Nein.« Ich seufzte.

»Und warum nicht? Glaubst du, es fällt einfach so vom Himmel und landet in deinem Schoß? Liegt es daran?«

»Ich hatte gestern ein Vorstellungsgespräch bei Blaine & Associates«, erklärte ich, während mir das Herz mit jeder Sekunde schwerer wurde. »Und nächste Woche habe ich noch eins bei Greenwood, Bach & Hamilton. Außerdem bin ich im Begriff, für die Rolle meines Lebens vorzutanzen, wenn du also nur fünf Sekunden lang so tun könntest, als würde dich das nicht einen Scheißdreck interessieren.«

»Verzeihung, junge Dame?«

»Ihr seid nicht hier.« Mir standen die Tränen in den Augen. »Ihr seid nicht hier … Wisst ihr eigentlich, wie groß diese Produktion wird?«

»Wirst du dafür bezahlt? Bringt es die New York Ballet Company auf die Bühne?«

»Darum geht es nicht. Ich hab dir immer wieder gesagt, wie wichtig dieses Vortanzen für mich ist. Ich hab dich gestern Abend angerufen und dich daran erinnert, und es wäre sehr schön, wenn meine Eltern zur Abwechslung mal aufkreuzen und an mich glauben würden.«

»Aubrey …« Sie seufzte. »Ich glaube doch an dich. Das habe ich immer getan, aber momentan stecke ich mitten in einer wichtigen Verhandlung, und das weißt du auch, weil es in allen Zeitungen steht. Du weißt auch, dass der Job einer Ballerina keine sichere Berufswahl ist, und so gern ich auch meinen gut zahlenden Klienten sitzen lassen würde, um dir dabei zuzusehen, wie du auf Zehenspitzen über eine Bühne trippelst …«

»Das nennt sich Spitzentanz.«

»Ist doch das Gleiche«, wiegelte sie ab. »Trotzdem, es ist nur ein Vortanzen. Ich bin mir sicher, dein Vater und ich werden nicht die einzigen Eltern sein, die es heute nicht geschafft haben. Wenn du erst mal das College abgeschlossen hast und auf die juristische Fakultät gehst, wirst du das Ballett als das ansehen, was es wirklich ist – ein Hobby, und du wirst uns dankbar dafür sein, dass wir dich dazu gedrängt haben, zwei Hauptfächer zu studieren.«

»Ballett ist schon immer mein Traum gewesen, Mutter.«

»Das ist nur eine Phase, und soweit ich das sehe, bist du längst aus dem besten Alter raus, um eine professionelle Tänzerin zu werden. Weißt du noch, wie du mit sechzehn auf einmal alles hingeworfen hast? Das wirst du wieder tun, und es wird wahrscheinlich auch besser so sein. Eigentlich …«

Ich legte auf.

Ich wollte mir keine weiteren, alle meine Träume zerstörenden Tiraden von ihr anhören, und es ärgerte mich, dass sie das Ballett-Tanzen als eine »Phase« bezeichnete, obwohl ich schon seit meinem sechsten Lebensjahr tanzte und sie und mein Vater zahllose Dollar in Privatstunden, Kostüme und Wettbewerbe gesteckt hatten.

Ich hatte nur deshalb mit sechzehn »hingeworfen«, weil ich mir den Fuß gebrochen hatte und bei keiner Ballettschule mehr vortanzen konnte. Und der einzige Grund, weshalb ich mich ansatzweise für Jura erwärmt hatte, war, dass ich neben meinen Reha-Anwendungen nicht viel anderes tun konnte als lesen.

Meine Leidenschaft hatte immer den Spitzenschuhen gegolten, und das würde sich niemals ändern.

»Aubrey Everhart?«, rief mir ein Mann durch die Garderobentür zu. »Sind Sie das?«

»Ja.«

»Sie sind als Nächste dran. In etwa fünf Minuten.«

»Ich komme.« Ich stopfte meine Tasche in einen Garderobenschrank, doch bevor ich ihn schließen konnte, klingelte mein Handy.

Da ich wusste, dass es meine Mutter war, um sich halbherzig bei mir zu entschuldigen, gab ich mir die größte Mühe, nicht zu schreien, und ging sofort ran. »Erspar mir deine Entschuldigungen. Sie bedeuten mir nichts mehr.«

»Ich rufe nur an, um dir viel Glück zu wünschen«, sagte eine tiefe Stimme.

»Noch zwei Minuten!« Ein Bühnenarbeiter sah mich wütend an und gab mir ein Zeichen, mich endlich auf die Bühne zu begeben.

»Thoreau?« Ich drehte dem Bühnenarbeiter den Rücken zu. »Wozu wünschst du mir Glück?«

»Du hast vor Wochen ein Vortanzen erwähnt. Das ist doch heute, oder nicht?«

»Ja, danke …«

»Im Moment klingst du nicht allzu begeistert von deinem Traum.«

»Wie sollte ich auch, wenn meine eigenen Eltern nicht daran glauben?«

»Du bist siebenundzwanzig«, schnaubte er. »Scheiß auf deine Eltern.«

Ich lachte schuldbewusst. »Ich wünschte, es wäre so einfach …«

»Das ist es. Du verdienst dein eigenes Geld, und obwohl du nicht viel Ahnung von Jura hast, scheinst du eine ganz ordentliche Anwältin zu sein. Deine Eltern können dir den Buckel runterrutschen.«

»Ich werde es mir merken«, sagte ich und versuchte vom Thema abzulenken. »Ich bin überrascht, dass du noch weißt, dass mein Vortanzen heute ist.«

»Wusste ich gar nicht.« Er legte auf, und ich war mir sicher, dass er dabei lächelte.

»Noch fünfzehn Sekunden, Miss Everhart!« Der Bühnenarbeiter packte mich am Arm und zerrte mich geradezu auf die Bühne.

Ich lächelte den Juroren zu, nahm – die Arme über dem Kopf – die fünfte Position ein und wartete auf die ersten Takte des Werks von Tschaikowsky.

Ich hörte Papier rascheln, das Husten eines Zuschauers, und dann ertönte die Musik.

Eigentlich sollte ich eine Arabesque vorführen, eine Pirouette und dann die Choreografie, die ich in den letzten anderthalb Monaten im Unterricht einstudiert hatte. Doch das wollte ich plötzlich nicht mehr, und da dies wohl meine letzte Gelegenheit sein würde, Eindruck zu schinden, beschloss ich, etwas anderes vorzuführen.

Ich schloss die Augen und tanzte Pirouette um Pirouette, Fouetté um Fouetté. Ich war nicht mal im Takt und spürte, dass der Klavierspieler verwirrt war und sich Mühe gab, mit mir mitzuhalten.

Ich vollführte alle Sprünge, die ich kannte, landete bei jedem perfekt, und als der Pianist aufgab und den letzten Ton anschlug, kehrte ich lächelnd in die fünfte Position zurück.

Es folgte kein Applaus, kein Jubel, nichts. Ich versuchte, die Mienen der Juroren zu deuten, um zu sehen, ob sie leidlich beeindruckt wirkten, doch ihr Ausdruck war stoisch.

»Das wäre dann alles, Miss Everhart«, sagte einer von ihnen. »Kann Miss Leighton Reynolds bitte auf die Bühne kommen?«

Ich murmelte ein Dankeschön, bevor ich die Bühne verließ und aus dem Theater stürzte. Bis zum Ende des Vortanzens dazubleiben schenkte ich mir.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich damit, über den Campus zu stromern und die Tränen zurückzuhalten. Als ich mir sicher war, dass ich keine vergießen würde, schickte ich eine E-Mail an Thoreau. Das war das Einzige, wodurch ich mich vielleicht besser fühlen würde.

Betreff: Überlegungen …

»Ein Abendessen, eine Nacht, keine Wiederholungen.« Suchst du billige oder teure Restaurants aus? Bezahlst du das Abendessen und das Hotelzimmer? Oder muss die Frau für die Hälfte der Kosten aufkommen?

Alyssa

Betreff: Re: Überlegungen …

Teures Abendessen. Fünfsternehotelsuite. Geht alles auf mich.

Soll ich ein paar Reservierungen für uns vornehmen, damit ich es dir beweisen kann?

Thoreau

Betreff: Re: Re: Überlegungen …

Natürlich nicht. Gleich »ein paar« Reservierungen? Ich dachte, nur eine.

Betreff: Re: Re: Re: Überlegungen …

Ich hab dir doch gesagt, in deinem Fall würde ich eine Ausnahme machen. Ich habe heute in eine Schachtel Papiertüten investiert.

Thoreau

Lachend sah ich auf die Uhr. Es war fünf. Ich war mir sicher, dass der Aushang mit den Ergebnissen schon vor Stunden angeschlagen worden war, hatte aber zu viel Angst, um nachzusehen. Alles, was ich wollte, war die Chance, in der Schwanentruppe mitzutanzen, oder gar die Zweitbesetzung für die Hauptrolle zu sein.

Warum habe ich die einstudierte Choreo verbockt? Was zum Teufel hab ich mir dabei gedacht?

Nachdem ich mich mit meinen Selbstbezichtigungen ganz kirre gemacht hatte, zwang ich mich, zurück zum Tanztheater zu marschieren, um mir den Aushang mit der Rollenbesetzung anzusehen. Als ich dort ankam, hatte sich eine riesige Menschentraube vor dem Aushang gebildet, und ich hörte die üblichen »Ich bin drin! Ich bin drin!« – und »Wie konnten sie mich nicht nehmen?«-Ausrufe.

Ich drängelte mich bis ganz nach vorn und suchte die Liste mit den Nebenrollen vergeblich nach meinem Namen ab.

Aber er stand auf der Hauptrollen-Liste, fett gedruckt und direkt neben der Hauptrolle von Odette/Odile, dem weißen und dem schwarzen Schwan.

Ich brach in Tränen aus und hüpfte fassungslos auf und ab. Ich wollte meine Mutter anrufen und ihr die gute Nachricht überbringen, doch bei dem Gedanken wurde mir schwer ums Herz.

Wahrscheinlich erzählte sie genau in diesem Moment meinem Vater, dass ich einfach aufgelegt hätte – und dass er mir unmissverständlich klarmachen müsste, wer finanziell für meine Ausbildung aufkam. »Wenn du mit Jura aufhörst, unterschreiben wir deine Schecks nicht mehr … Jura finanziert dein Studium, Ballett nicht.«

Ich zog meine schmerzenden Füße aus einem Eimer mit Eiswasser und tupfte sie mit einem Handtuch trocken. Wie ich eine Hauptrolle, den Unterricht und ein eventuelles Praktikum unter einen Hut bringen sollte, war mir ein Rätsel, aber ich hatte keine andere Wahl.

Seufzend warf ich einen Blick auf den Terminkalender auf meinem Schreibtisch, in dem für heute »Vorbereitung/Bewerbungsgespräch« eingetragen war.

Mein bevorstehendes Vorstellungsgespräch bei Greenwood, Bach & Hamilton – eine der namhaftesten Firmen im Staat – war mehr als nur ein Bewerbungsgespräch. Es war ein Bewerbungsverfahren, und jeder Studierende auf der Suche nach einem Praktikum wusste, dass es in Bezug auf seinen Lebenslauf Wunder wirken würde, in dieser Kanzlei zu landen.

Die Firma war so wählerisch, dass die Bewerber erst vier telefonische Auswahlgespräche durchlaufen und an drei Onlinetests teilnehmen mussten, ehe sie – nach Vorlage mehrerer Abhandlungen – zum Abschlussgespräch mit den Geschäftspartnern geladen wurden.

Die telefonischen Auswahlgespräche und die Prüfungen hatte ich mühelos bestanden, aber mit den Abhandlungen – auf Grundlage hundertseitiger Verfahrensakten – hatte ich nicht gerechnet. Anfangs glaubte ich sogar, dass sie mir das falsche Aufgabenpaket geschickt hätten, und rief an, um zu sagen: »Ich glaube, meine Unterlagen wurden mit denen für die Jurastudenten im Hauptstudium verwechselt.« Aber die Sekretärin lachte mich nur aus.

Von ihr erfuhr ich, dass die Firma von all ihren Praktikanten, egal ob im Vor- oder im Hauptstudium, erwartete, dass sie nach bestem Können dieselben Unterlagen ausfüllten.

»Keine Sorge«, hatte sie gesagt. »Wir erwarten nichts Perfektes. Wir wollen nur sehen, wie Sie denken.«

Also schnappte ich mir die Akte, die mir am meisten Schwierigkeiten bereitete, und legte sie auf meinen Schoß. Dann ging ich auf die Website der Firma GBH und machte mich mit den drei Geschäftspartnern vertraut, die mich befragen würden.

Greenwood, der Firmengründer, war ein Mann mit grau melierten Haaren und einer Drahtgestell-Brille. Als Grund, dass er so anspruchsvoll und gründlich war, gab er Harvard an und prahlte damit, dass er in seinen dreißig Jahren Berufserfahrung als Jurist eine der höchsten Erfolgsraten im Land erzielt hätte.

Bach, seit über zehn Jahren Teilhaber der Firma, war ein Glatzkopf Anfang vierzig, obwohl er etwas älter aussah. Er hatte sich bis nach ganz oben gearbeitet, und da er »so hart arbeitete und ihn eine Leidenschaft sondergleichen auszeichnete«, hätte Greenwood keine andere Wahl gehabt, als ihn zum ersten Teilhaber zu machen. Er hatte eine der zweithöchsten Erfolgsraten im Land vorzuweisen.

Als Letzter kam Hamilton – Andrew Hamilton – und er war … Er war verdammtsexy. Ich versuchte, mich auf seine Biografie zu konzentrieren und sein Foto zu ignorieren, aber ich schaffte es nicht. Mit seinem durchdringenden Blick aus tiefblauen Augen sah er mich direkt an, und die kurzen dunkelbraunen Haare flehten geradezu darum, durch sie hindurchzustreichen.

Er hatte das Gesicht eines griechischen Gottes – gleichmäßig gebräunt, vollkommen symmetrisch, eine markante Kinnpartie – und ein leichtes Schmunzeln, das seine vollen Lippen umspielte.

Obwohl auf dem Bild nur ein Teil seines Oberkörpers zu sehen war, vermutete ich, dass er harte, wohldefinierte Muskeln aufzuweisen hatte, wenn man in Betracht zog, wie er seinen marineblauen Anzug ausfüllte.

Ich wurde allein von seinem Anblick feucht.

Konzentration, Aubrey … Konzentration.

Seltsamerweise war seine Biografie die kürzeste von allen. Sie sagte weder etwas über seine Ausbildung noch seinen Werdegang oder das Jahr, in dem er zum Teilhaber geworden war, aus. Sie erging sich in belanglosem Geschwafel darüber, wie »geehrt sich die Firma fühlte, einen solch geschätzten und bewährten Anwalt« in ihrem Team zu haben. Ach ja, und er aß gern Schokolade.

Wie informativ …

Ich kopierte alle drei Lebensläufe in ein Word-Dokument und rief Thoreau an.

»Guten Abend, Alyssa«, meldete er sich, und seine Stimme ließ mich wie immer dahinschmelzen. Ich war fest davon überzeugt, dass er mich zu allem überreden könnte – zu fast allem.

»Hallo, ähm …«

»Ja?«

Himmel, ich liebte seine Stimme …! Er hatte noch gar nicht viel gesagt, und ich war schon erregt.

»Hast du angerufen, damit ich dir beim Atmen zuhören kann?« Bestimmt lächelte er gerade.

»Ehrlich gesagt, ja.« Ich verdrehte die Augen. »Gefallen dir meine Geräusche?«

»Sie gefielen mir viel besser, wenn du unter mir liegen würdest.«

Ich errötete. »Ähm …«

»Der Fall, Alyssa.« Er lachte. »Erzähl mir von deinem neusten Fall.«

»Okay. Ähm …« Ich räusperte mich. »Kurz gesagt: Mein Klient ist mit einer Waffe in der Manteltasche in eine Bundesbank marschiert, ohne sie vorher zu sichern. Als ihn jemand anrempelt, greift er instinktiv danach, und es löst sich ein Schuss, der ihn am Bein trifft.«

»Seit wann praktizierst du Strafrecht? Ich dachte, deine Spezialität wäre Gesellschaftsrecht?«

Mist … »Das stimmt ja auch. Der Klient ist ein Freund von mir, und ich möchte ihm einen Gefallen tun.«

»Hmm. Tja, dein Freund muss mit zwei bis fünf Jahren in einem Bundesgefängnis rechnen, wenn er nicht vorbestraft ist. Wobei genau brauchst du bei dem Fall Hilfe?«

»Beim Plädoyer. Er hat schließlich niemandem außer sich selbst Schaden zugefügt.«

»War er berechtigt, die Waffe zu tragen?«

»Nein …« Ich überflog meine Notizen.

»Dann wird die Anklage die Geschworenen überzeugen, dass er die Waffe mit dem Vorsatz in die Bank mitgenommen hat, jemand anderem als sich selbst zu schaden. Akzeptiere jeden Deal, den sie dir anbieten.«

»Nun, ich …« Ich sah nach, was auf dem Aufgabenzettel stand. »Und wenn ich den Deal schon abgelehnt habe?«

Er seufzte. »Dann ruf bei der Staatsanwaltschaft an – und versuche, doch noch was auszuhandeln. Wenn sie Nein sagen, soll dein Freund die Aussage verweigern.«

»Die Aussage verweigern? Spinnst du?«

»Und du? Was für eine Anwältin für Gesellschaftsrecht lässt sich darauf ein, eine eindeutige Strafsache anzunehmen? Und eine ziemlich unerfahrene noch dazu …«

»Zu deiner Information, es ist eine Haus …« Ich hustete. »Vergiss es. Aber mir zu raten, ihn die Aussage verweigern zu lassen, ist so ziemlich dasselbe, wie mir zu raten, auf schuldig zu plädieren.«

»Wenn das der Fall wäre, hätte ich dir geraten, auf schuldig zu plädieren.« Er klang verärgert. »Die Aussage zu verweigern ist für deinen Klienten die beste Option, und jeder richtige Anwalt wüsste das. Bist du dir sicher, dass du das Jura-Examen bestanden hast?«

»Sonst hätte man mich wohl nicht dazu eingeladen, Mitglied bei LawyerChat zu werden, oder?« Diese Lüge tat mir im Herzen weh. »Ich versuche nur zu vermeiden, dass mein Klient zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird.«

»Dann solltest du lieber bei deinem Fachgebiet bleiben.« In seiner Stimme lag ein Lächeln. »Dein Klient wandert ins Gefängnis, und du kannst nichts dagegen tun. Das einzig Verhandelbare an dem Fall ist die Dauer seiner Gefängnisstrafe. Brauchst du sonst noch Hilfe? Muss ich dir einen Vortrag über den Unterschied zwischen ›schuldig‹ und ›nicht schuldig‹ halten?«

Ich verdrehte die Augen und legte die Akte weg. »Danke für deine wie immer herablassende Hilfe.«

»Gern geschehen«, sagte er. »Ich muss dich etwas Wichtiges fragen.«

»Meinen Fall betreffend?«

»Nein.« Er lachte leise. »Wie siehst du aus?«

»Was?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Was hast du gesagt?«

»Du hast schon richtig gehört. Da ich vielleicht nie die Gelegenheit bekommen werde, dich zu treffen, möchte ich es gern wissen. Wie siehst du aus?«

Ich stand auf, trat vor meinen Spiegel und musterte mich darin. »Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll …« Ich musste das Thema wechseln, und zwar schnell. Nach allem, was er mir in den vergangenen Monaten über seine Dates erzählt hatte, gab es eindeutig einen Typ, der ihm am besten gefiel, einen Frauentyp, der ihn wie kein anderer faszinierte: blond, leicht kurvig, volle Lippen …

Ich.

Ich hatte oft versucht, mir vorzustellen, wie er aussah. Vielleicht dunkelhaarig? Dunkelblond? Tiefgrüne Augen und ein zum Küssen gemachter Mund? Ein Sixpack, nein, ein Eightpack, das einen in Versuchung führte, an ihm zu knabbern?

Schließlich hat er mir erzählt, dass er jeden Tag trainieren würde …

Ich war mir hundert Prozent sicher, dass er attraktiv war – das musste er sein, wenn ihn so viele Frauen auf diesen Dating-Sites ertrugen, doch jedes Mal, wenn in meinem Kopf ein Bild von ihm entstand, überzeugte ich mich davon, dass es grundfalsch sein musste.

»Weißt du was?«, sagte ich und tauchte aus meinen Gedanken wieder auf. »Ich war nie gut darin, etwas zu beschreiben. Wie siehst du denn aus?«

»Ich sehe aus wie ein Mann, der dich will.«

Ein Kribbeln breitete sich in mir aus. »Das ist keine Beschreibung.«

»Welche Haarfarbe hast du?« Er klang nicht belustigt, und da wusste ich, dass er mir heute Abend nicht erlauben würde, das Gespräch zu lenken.