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Eine mutige Frau zwischen zwei Welten Liselotte von der Pfalz, 1652 als Elisabeth Charlotte von der Pfalz in Heidelberg geboren, war eine der faszinierendsten Frauen ihrer Epoche. Durch ihre Heirat mit Philipp I., Herzog von Orléans, wurde sie die Schwägerin von Ludwig XIV. und lebte am prachtvollen Hof von Versailles – einer Welt voller Macht, Intrigen und prunkvoller Feste. Ihre unzähligen Briefe sind ein einzigartiges Zeugnis dieser bewegten Zeit. Die quirlige, ehrliche und uneitle Lieselotte, die sich nie für Politik und Ränkespielchen interessierte, irritierte den Hofstaat des Sonnenkönigs zutiefst. Sie verstanden diese merkwürdige Deutsche nicht, die sich anpasste, aber nie eine der ihren wurde. Ludwig aber erkannte ihre Ehrlichkeit und Loyalität und blieb bis zu seinem Tod eng mit ihr befreundet. Das verhinderte aber nicht, dass Lieselotte einige Tiefschläge hinnehmen musste, der schlimmste war sicher die völlige Zerstörung ihrer geliebten Pfalz durch Ludwigs Generäle, die sie trotz aller Nähe zum König nicht verhindern konnte. Gertrude Aretz erzählt in dieser Biografie die Geschichte dieser sehr außergewöhnlichen Frau, die sich trotz allem ihre Würde und ihre Menschlichkeit bewahrt hat. Gertrude Aretz bei nexx classics – WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
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Seitenzahl: 315
Gertrude Aretz
Lieselotte von der Pfalz
Eine deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkönigs
Gertrude Aretz
Lieselotte von der Pfalz
Eine deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkönigs
ISBN/EAN: 978-3-95870-715-3
1. Auflage
Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes
wurden behutsam angepasst.
Cover: Ölgemälde "Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte" (1675) von Pierre Mignard (1612 - 1695)
Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2024
www.nexx-verlag.de
Liebe Leserin, lieber Leser,
Gertrude Aretz war eine bemerkenswerte deutsche Autorin und Historikerin, die sich hauptsächlich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft beschäftigte. In ihren vielgelesenen Biografien beleuchtet sie die Lebensumstände, Herausforderungen und Errungenschaften von berühmten und einflussreichen Frauen ihrer jeweiligen Zeit. Alle Werke zeichnen sich durch gründliche Recherche und eine klare, verständliche Schreibweise aus.
Der Einfluss von Aretz' Biografien auf das heutige Bild der Frau in der Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen. Indem sie die Geschichten und Leistungen von besonderen Frauen in der Geschichte ins Rampenlicht rückte, trug sie dazu bei, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Frauen – wenn auch oft im Verborgenen – schon immer eine bedeutende Rolle spielten. Dieses Bewusstsein ist auch heute wichtig für die Diskussionen über Gleichberechtigung und die Sichtbarkeit von Frauen in allen Lebensbereichen.
Frau Aretz’ Arbeiten fanden und finden aber nicht nur im akademischen Bereich Anklang, ihre verständlich geschriebenen Biografien, mit vielen, nahezu greifbaren Anekdoten sind auch außerordentlich unterhaltend, spiegeln sie doch den Menschen und das Leben selbst wider. Sie tragen somit dazu bei, Geschlechter-Stereotypen zu hinterfragen und die Aufmerksamkeit auf die damals oft übersehene weibliche Perspektive zu lenken.
Heute, wo das Thema Gleichberechtigung mehr denn je im Fokus steht, bieten Aretz’ Werke wertvolle Einblicke und Inspiration. Ihre Biografien und historischen Studien haben wesentlich dazu beigetragen, das historische Bild von Frauen zu erweitern und ihre Leistungen gebührend zu würdigen.
Joachim FeserVerleger
Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans (1713)
Ausschnitt aus dem Gemälde von Hyacinthe Francois Rigaud
Liselotte von der Pfalz ist den Deutschen keine unbekannte Persönlichkeit. Ihre zahllosen originellen Briefe sind in vielen Auflagen über die ganze Welt geflattert. Sie schrieb sie in dem glänzenden Versailles, das wie eine große herrliche Schale aus Gold und Kristall die Blüte der Menschheit umschloss. Und mitten drin stand Liselotte, die Herzogin von Orleans, in ihrer schlichten Einfachheit und derben Urwüchsigkeit, mit der warmen echten Liebe zu ihrem deutschen Vaterland, ihrer treuen Anhänglichkeit an alle deutschen Sitten und Gebräuche.
Ungern war sie in ein fremdes Land, an einen fremden Hof gegangen, obgleich eben dieses Land und dieser Hof in der ganzen Welt mehr als bewundert wurden und man sie um die große Ehre, ein Mitglied der Familie des Sonnenkönigs zu werden, beneidete. Frankreich hatte es in der Kultur des Geschmacks, der Sitten und Kenntnisse am weitesten von allen europäischen Ländern gebracht. Sein König war unter den damaligen Herrschern der schönste, eleganteste und mächtigste. Er wurde von seinem Volk vergöttert. Seine Aussprüche waren für die politische Welt Orakel. Voltaire sagte in seinem »Siècle de Louis XIV.«: »L'Europe a dû sa politesse à la cour de Louis XIV.«[franz.: »Europa verdankte seine Höflichkeit dem Hof Ludwigs XIV.«]. Die Verschwendung, der Luxus, die Prunksucht des Versailler Hofes hatten in der ganzen Welt nicht ihresgleichen.
Dennoch lockte es die deutsche Prinzessin nicht nach Frankreich. Aus Liebe und Gehorsam zu ihrem Vater verheiratete sich Liselotte mit einem Prinzen, der gerade das Gegenstück von ihr war, der sie nicht liebte, dessen Aussichten und Stellung aber äußerst glänzend waren, denn er hatte den angesehensten und reichsten Monarchen der damaligen Zeit zum Bruder.
Als ein Opfer der Politik ihres Vaters verließ die pfälzische Kurprinzessin die Heimat für immer. Aber ihren echten deutschen Sinn bewahrte sie sich trotz der durchaus französischen Umgebung bis an ihr Ende. Sie ist sich beizeiten darüber klargeworden, dass sie in dieser für sie vollkommen fremden und andersgearteten Welt des französischen Hofes niemals wahre Freunde finden würde. Und gerade deshalb hängt sie mit umso größerer Liebe an den allen Bekannten und Freunden ihrer Kindheit. Besser als dieses kluge deutsche Fürstenkind hat nie jemand die Franzosen beurteilt. Und es klingt fast wie ein Orakel für die gegenwärtigen Ereignisse, wenn Liselotte vor mehr als 200 Jahren in einem ihrer Briefe nach Hause schreibt: »Wenn den Franzosen einmal einen Hass gegen jemand im Kopf steckt, gilt weder Sinn noch Verstand bei ihnen.«
Mag man Liselotte betrachten wie man will, überall finden wir in ihr die gutmütige biedere deutsche Frau, treu und wahrheitsliebend, einfach und natürlich, ohne allen Stolz und kriechenden Hofsinn. Sie kennt keine Schiefheit und Zweideutigkeit in ihrem Denken. Zwar ist sie nicht immer gegen jedermann gerecht in ihren Äußerungen, immer aber ist sie streng gegen sich selbst, gegen ihre Fehler und Nachteile. Stets hat sie den Mund auf dem rechten Fleck. Alles, ohne Unterschied, wird mit Freimütigkeit und herzerquickender Offenheit hervorgebracht, und in dieser natürlichen Sprache liegt ihr ganzes Wesen. Wie viele Frauen und besonders Fürstinnen gibt es wohl, die so ehrlich und offenherzig von sich selbst sprechen dürfen, ohne von dem hohen Ansehen einzubüßen, das sich mit ihrer Stellung verknüpft? Liselotte hielt es auch als Herzogin von Orleans nicht für nötig, irgendeine Eigenschaft ihres Charakters verbergen zu müssen. Sie schildert sich stets so, wie sie war und wie sie dachte. Und doch gefällt sie sogar dann noch, wenn ihre derbe Offenheit geschwätzig wird. Denn ihre Geschwätzigkeit ist naiv. Nie wirft sie durch eine witzelnde, zweideutige oder manchmal recht kräftig erzählte Anekdote ein falsches Licht auf ihren moralischen Charakter.
Diese deutscheste aller Fürstinnen, die Saint-Simon in guter Absicht eine »bonne ménagère«[franz.: »gute Hausfrau«] nannte, hat uns in ihren Briefen vielleicht das treueste aller Sittengemälde des Hofes Ludwigs XIV. hinterlassen. Sie war trotz ihrer Bescheidenheit und ihres unschönen Äußeren eine Persönlichkeit am Hofe Ludwigs und sah sich mit hellen Augen und scharfem Verstand die Welt an, in der sie lebte. Hatte sie auch keinerlei Einfluss auf die politischen Ereignisse jener Zeit, so stand sie doch in ihrer Originalität einzigartig an einem Hofe da, wo man durchaus nicht an derartig urwüchsige Gestalten gewöhnt war.
Liselottes Leben ist von Anfang bis zum Ende in seiner natürlichen Schlichtheit und Unverdorbenheit reizvoll und von Interesse. Die Welt, die sie von ihrer Geburt an umgab, die verschiedenen Fürstenhöfe, an denen sie lebte, beim Pfälzer Hof des Vaters mit seinen verwickelten Familienverhältnissen angefangen bis zum Hof des Sonnenkönigs, ist bewegt genug, um ein sonst ruhig und harmlos dahinfließendes Menschenleben in den Vordergrund zu stellen. Um Liselotte bewegen sich Gestalten und Persönlichkeiten, die uns unvergesslich bleiben. Da ist der herrische etwas sonderbare Vater, die unglückliche hysterische Mutter, die kluge Tante Sophie, die beiden unzertrennlichen galanten Herzöge von Hannover, da ist der prachtliebende König, Monsieur, sein weibischer Bruder, die schöne Montespan und die sanfte und intrigante Maintenon, da ist der Regent, der kluge aber lasterhafte Sohn Liselottes, alles Persönlichkeiten, die in der Welt die größten, wenn auch nicht immer die schönsten und ehrenvollsten Rollen gespielt haben. Sie alle tragen zur Vervollständigung des Lebensbildes bei, das die Pfälzer Liselotte zum Mittelpunkt hat. Vieles ist über dieses merkwürdige Menschenkind geschrieben worden, in Dichtung wie in Prosa; auch der Film hat sich bereits ihrer originellen Persönlichkeit bemächtigt. Ältere Schriftsteller und Historiker haben sie im Großen und Ganzen als Märtyrerin, als das Schlachtopfer einer grausamen Politik geschildert, deren Leben ein einziger Dornenweg im fremden Land war. Aber gerade Liselotte hat neben großen Kümmernissen auch eine Fülle sonniger Tage in Frankreich genossen, und ihr Leben war nicht ganz so arm an Freude und Glück. Die größte Tragik ihres Lebens war das traurige Schicksal der armen Pfalz, für das man sie lange Zeit gewissermaßen verantwortlich gemacht hat, weil sie es nicht zu lindern vermochte, trotz der aufrichtigen Freundschaft, die König Ludwig XIV. für seine Schwägerin hegte. Wie sie darum gelitten und gekämpft hat, beweisen am besten ihre Briefe. Nichts griff tiefer in ihr deutsches Herz, als dieses rücksichtslose Vorgehen ihres großen Freundes gegen den Vater und die geliebte Heimat. Aber sie war machtlos. An einem Hof, wo Frauen die Hauptrollen spielten, hatte diese deutscheste aller Fürstinnen keinen Einfluss.
Im Herbst 1921,Gertrude Aretz
Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz
Zeitgenössischer Stich
In der Pfalz herrschte seit dem westfälischen Frieden Kurfürst Karl Ludwig aus dem Hause Simmern. Er war eines der zahlreichen Kinder Friedrichs V., des sogenannten Winterkönigs, und der schönen Elisabeth Stuart. Eine kurze Zeitspanne hatte auf den Häuptern seiner Eltern die Krone von Böhmen geglänzt; arm und verlassen musste die Familie im Exil ihr Leben fristen.
Karl Ludwig und seine um dreizehn Jahre jüngere Schwester Sophie waren die einzigen Nachkommen dieses ephemeren [Anm.: flüchtig, rasch vorübergehend und ohne bleibende Bedeutung] Königspaares, die wieder zu Würden und Ansehen gelangten. Wenig frohe Jugendjahre verlebten die Geschwister, Missgeschick, Armut und Herzeleid trübten ihre Kindheit. Wohl kam Karl Ludwig noch in guten Zeiten (am 22. Dezember 1617), als die verhängnisvolle Jagd seines Vaters nach der böhmischen Krone noch nicht begonnen hatte, im schönen Heidelberger Schloss zur Welt, bald jedoch musste er das unstete Leben seiner Eltern teilen und die Demütigungen miterleben, die über sie hereinbrachen. Mit einem einzigen wuchtigen Schlag wurde in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag, im Jahre 1620, das Königtum Friedrichs zertrümmert, und arm und flüchtig irrte er mit seiner Familie von einem deutschen Fürstenhof zum anderen. Nur ungern gewährte ihm sein Schwager, der Kurfürst Georg Wilhelm, Obdach in Brandenburg. Einzig und allein die »Christenpflicht« bestimmte ihn dazu, der Königin Elisabeth, die sich in gesegneten Umständen befand, keine abschlägige Antwort zu erteilen. Er wies ihnen das düstere Schloss Küstrin an und war froh, dass sie, als das unglücklichste ihrer Kinder, Prinz Moritz, geboren war, nach Holland übersiedelten, um am verwandten oranischen Hof das Gnadenbrot zu essen. Zehn Jahre später kam in Den Haag Sophie, die spätere Kurfürstin von Hannover, die Stammmutter der preußischen Könige zur Welt.
Teils in Den Haag, in einer bescheidenen Wohnung, teils in einem Landhaus in Rhenen verbrachte die Familie König Friedrichs in sehr dürftigen Lebensverhältnissen ihr Dasein. Gesegnet war sie nur durch eine zahlreiche Nachkommenschaft. Zehn Kinder, sechs Söhne und vier Töchter, fast alle schön an Körper und Geist, entsprossten ihr. Da der älteste Sohn, Friedrich, bereits im Jahr 1629 ums Leben kam – er ertrank vor des Vaters Augen –, wurde der zweite, Karl Ludwig, der Erbe eines freilich vorläufig noch aussichtslosen Thrones. Zwanzig lange Jahre vergingen noch, ehe er die Erbschaft seiner Väter antreten konnte, und das angestammte Geschlecht in der Pfalz von neuem das Zepter führte.
Nach seinem Regierungsantritt, im Jahre 1649, bemühte sich der junge Kurfürst nach Kräften, die Wunden zu heilen, die der Dreißigjährige Krieg dem schönen Land geschlagen hatte. Es kam in sehr verkleinertem Zustand in seine Hände. Die Hauptstadt Heidelberg lag halb in Trümmern; ein großer Teil der Dörfer und Flecken war vollkommen vom Erdboden verschwunden, die Bevölkerung durch Krieg und Seuchen aufgerieben. Überall wüteten Not, Hunger und Elend. Es bedurfte einer starken, energischen Hand, das Land wieder zu Wohlstand zu bringen, und Karl Ludwig, den im Sturm des Lebens Aufgewachsenen, erwartete auch hier ein hartes Dasein. Aber als ganzer Mann genügte er den Pflichten, zu denen er berufen war. Seinem Land fehlte es vor allem an Arbeitskräften, denn die langen, schrecklichen Kriegsjahre hatten die Blüte der Männer hinweggerafft und waren nicht spurlos an der überlebenden Generation vorübergegangen. Karl Ludwig wusste indes ein unfehlbares Mittel, von neuem zu einer zahlreichen, arbeitsfähigen Bevölkerung zu gelangen. Trotz der erhaltenen, streng calvinistischen Erziehung, war er Freidenker im wahren Sinne des Wortes. Er öffnete allen Konfessionen Tür und Tor zu einer Zeit, wo die meisten Landesfürsten, ungeachtet der freieren Gesetze nach dem Dreißigjährigen Krieg, strenge Religionsunterschiede machten. Nicht so der kluge Kurfürst von der Pfalz. Er ließ Lutheraner, Reformierte, Katholiken und die verschiedensten Schismatiker ungestört nebeneinander in seinem Land wohnen. Und so bekam die Pfalz von allen Seiten her Zuzug und bevölkerte sich mit Menschen, deren Fleiß und Arbeit ihr den ehemaligen Wohlstand wiedergaben.
In sich selbst fühlte Karl Ludwig diesem Land gegenüber eine tiefe, unermessliche Schuld, die er zu sühnen hoffte. Durch die Fehler seiner Eltern war die Pfalz ins Unglück geraten. Seine stolze Mutter, die Tochter König Jakobs I. von England, hatte einen verderblichen Hang zum Luxus und zur Verschwendung besessen, der die Verhältnisse am kurpfälzischen Hof weit überschritt. Des Vaters verhängnisvolles Streben nach einem höheren und glänzenderen Thron hatte die Familie zu obdachlosen Flüchtlingen gemacht und war schuld an der Verwüstung des Landes durch die Spanier und Franzosen gewesen.
Karl Ludwig war anderen Schlages. Die engen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, waren eine gute Schule für sein späteres Schicksal. Selbst das üppige Leben am Londoner Hof seines Onkels, das er als 18- bis 20-jähriger Jüngling genoss, vermochte nicht die Spuren seiner dürftigen Kindheit zu verwischen. Schon sehr früh erkannte er, dass er nur durch rastlose Tätigkeit, durch Fleiß und äußerste Sparsamkeit den Thron der Väter wieder zu Ehren bringen könne. Und als Mann führte er aus, was er als Jüngling erträumt hatte. In diesem Streben freilich wollte er oft rücksichtslos zu seinem Ziel gelangen, und seine vollkommen berechtigte Sparsamkeit, besonders der Mutter gegenüber, ist ihm oft als Geiz ausgelegt worden. Er wusste indes genau, was er tat, als er der verschwenderischen Frau die Rückkehr nach Heidelberg nicht gestattete. Der alte Glanz der Pfalz lag in Schutt und Asche, nur der äußersten Sparsamkeit des Landesfürsten konnte es gelingen, sie wieder zu dem üppigsten und fruchtbarsten Land aller deutschen Gaue zu machen. Karl Ludwig erreichte sein Ziel leider zu seinem Schaden, denn aufs Neue wurde die Pfalz ein begehrlicher Gegenstand in den Augen anderer Fürsten, besonders des nach Ländern gierigen Ludwigs XIV. Wie es sich später zeigte, wurde auch der Kurfürst von der Pfalz ein Opfer des französischen Königs, mehr jedoch infolge des schlechten Zustandes der deutschen Verfassung als durch eigene Schwäche. Karl Ludwig musste es geschehen lassen, dass sein schönes Land der Willkür der Franzosen preisgegeben wurde, ohne dass das Reich ihm Schutz und Hilfe gewährte. Über der Pfalz schwebte ein Unglücksstern, wie über der jungen Ehe des Landesfürsten.
Karl Ludwig war mit Charlotte, einer Tochter des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, vermählt. Er heiratete sie ein Jahr nach seiner Thronbesteigung, am 12. Februar 1650. Die Prinzessin war kränklich, deshalb fast immer gereizt und übelgelaunt. Nichtsdestoweniger war sie ungemein vergnügungssüchtig und eine ausgezeichnete Amazone. Sie liebte es, mit reichem Gefolge weite Spazierritte zu unternehmen und in der Umgebung zu jagen, Feste und Bälle zu veranstalten, an ihrem Hof einen gewissen Glanz zu entfalten, um vor allem ihre eigene Schönheit zur Geltung zu bringen. Daneben war sie streitsüchtig und heftig, besonders gegen Untergebene sehr stolz und hoffärtig. Sie behandelte ihre Dienerschaft schlecht. Sie hatte keinerlei Hemmungen, auch ihre Hofdamen mit der Reitpeitsche zu schlagen. Kurz, sie hatte keinen angenehmen Charakter. Die eigene Mutter, die edle Landgräfin Amalie von Hessen-Kassel, warnte den Kurfürsten bei der Verlobung vor dem widerspenstigen, halsstarrigen und verdrießlichen Wesen der Tochter. Damals antwortete Karl Ludwig jedoch in voller Zuversicht auf seinen eheherrlichen Einfluss, er wolle sich umso freundlicher gegen seine Gattin zeigen und ihre Liebe zu erobern trachten. Es gelang ihm nicht, trotz aller Geduld, die ihm bei seinem leicht erregbaren Charakter möglich war aufzuwenden. Charlotte trug überdies die Liebe zu einem anderen, nämlich zu Herzog Friedrich von Württemberg, im Herzen und war die Ehe mit Karl Ludwig nur mit Widerwillen eingegangen. Dennoch war sie in ihrer eigenwilligen Lieblosigkeit schrecklich eifersüchtig und wollte Karl Ludwig ganz beherrschen. Nun aber besaß auch der Kurfürst selbst ein leidenschaftliches, jähzorniges und herrschsüchtiges Gemüt, und so gab es, trotz aller Beherrschung von seiner Seite, von Anfang an Streitigkeiten zwischen den Eheleuten. Mitten in den trautesten Zärtlichkeiten, die immerhin nicht ausblieben, brachen solch stürmische Auftritte los, ohne dass man wusste, was eigentlich die Ursache dazu gewesen war. Anfangs versöhnte man sich, nachdem der Sturm sich gelegt hatte, unter Tränen. Später gingen Tage und Wochen darüber hin, ehe weder von der einen noch von der anderen Seite Anstalten zur Annäherung gemacht wurden.
Charlotte war vor allem grenzenlos eitel auf ihre Schönheit. Durch allzu oft wiederkehrende Schwangerschaften fürchtete sie ihre gertenhaft schlanke Gestalt, auf die sie ungeheuer stolz war, einzubüßen. Unverblümt ließ sie das den Gatten merken. Nach ihrem dritten Kind, einem gebrechlichen Knaben, der in Augsburg während der Königswahl im Jahre 1653 geboren wurde, bald aber starb, zeigte sie sich den Zärtlichkeiten Karl Ludwigs gegenüber vollkommen verstimmt und übelgelaunt. Sie sagte es ihm frei heraus, dass sie es müde sei, fortwährend »im Kindbett zu sein und ihren Leib verderben zu sehen«. Außerdem schlug sie ihn mit den eigenen Waffen, denn sie fügte ironisch hinzu, »das Land und dessen Einkommen seien nicht so beschaffen, dass man vieler Kinder bedürftig wäre«. Alle Bemühungen Karl Ludwigs um seine störrische Gemahlin waren vergebens. Schließlich beschuldigte er sie in einem Brief, dass sie »wider Gebühr und ohne alle gegebene Ursache Uns desertieret und sich Unserer ganz und gar entschlagen hat«.
Es gab jedoch nicht nur diese, ganz vertrauten Differenzen zwischen dem ungleichen Paar. Ihre Streitigkeiten waren auch wirtschaftlicher Natur. Wie erwähnt, war Karl Ludwig sparsam bis zur Kleinlichkeit. Vor allem strebte er danach, seinem verarmten Land jede Mehrausgabe für die Unterhaltung des Hofes zu ersparen. Die Dienerschaft war aufs Nötigste beschränkt. War er gezwungen, irgendeinen offiziellen Besuch bei einem hohen Fürsten oder gar beim Kaiser zu machen, ließ er es freilich an einem, seiner Würde zukommenden äußeren Auftreten nicht fehlen, umgab sich mit einem glänzenden Hofstaat, machte ansehnliche Geschenke; sobald er jedoch wieder daheim war, wurden alle unnützen Esser verabschiedet, und Karl Ludwig war von neuem der sparsame Bürger, der persönlich die gewisse Menge Zucker und Nahrungsmittel für seinen Hausbedarf abwog, seine Landwirtschaft selbst überwachte, sein Vieh und sein Wild verkaufte, um nicht von der Apanage seiner Untertanen abzuhängen. Eine Zeitlang verzichtete er sogar ganz darauf. Ferner war er ein Feind aller Koketterie. Er liebte es nicht, dass die Frauen viel Geld für Kleidung oder Vergnügungen ausgaben. Reiten und Jagen waren ihm beim weiblichen Geschlecht verhasst; seine Tochter Liselotte lernte es erst in Frankreich.
Durch diese Eigenschaften allein stieß er auf heftigen Widerstand bei seiner luxusbedürftigen und vergnügungssüchtigen Gattin. Sie liebte es, viel Geld auszugeben, sie liebte ein großes Haus zu führen, sich mit einem prächtigen Hofstaat zu umgeben, in der Welt zu glänzen und eine Rolle zu spielen. Karl Ludwig war nicht reich genug, ihr solches zu gewähren; das verhängnisvolle Beispiel seiner eigenen Mutter stand ihm warnend vor der Seele. Aber Charlotte sah nur Böswilligkeit und Geiz in der Sparsamkeit ihres Gatten, und die Zankereien und Streitigkeiten nahmen kein Ende.
Schließlich siegte Karl Ludwigs herrische Natur, vor der sich alles beugen musste, auch über die mondänen Neigungen Charlottes. Wie alles bei ihr ins Extreme ging, so war es auch jetzt. Mürrisch und trübselig verzichtete sie nun auf jedes Vergnügen. Stundenlang konnte sie am Fenster stehen und in die Waldlandschaft hinausstarren. Die Menschen in ihrer Umgebung existierten scheinbar nicht für sie; an niemanden richtete sie das Wort. Ihre meist jungen Hofdamen durften sich in ihrer Gegenwart nie einem Vergnügen überlassen, nicht einmal eine leise Unterhaltung miteinander führen. Schweigend saßen sie während ihres Dienstes ganze Nachmittage am Stickrahmen im Zimmer der Kurfürstin. Sie gestattete ihnen nicht das verborgenste Lächeln, nicht die kleinste Abwechslung, denn sie war auf alle Freuden eifersüchtig, die sich andere verschafften. In ihrer maßlosen Verbitterung ging sie so weit, die harmloseste Aufmerksamkeit der Hoffräulein ihrem Gatten gegenüber sofort in den Schmutz zu ziehen und die Mädchen der niedrigsten Instinkte zu bezichtigen. Als Karl Ludwig sie im Jahre 1653 in Begleitung seiner damals noch unverheirateten Schwester Sophie zur Königswahl nach Augsburg mitnahm, wo der Kaiser und die Kaiserin und alle Fürsten Deutschlands zugegen waren, genierte Charlotte sich nicht im Geringsten, ihm öffentlich die heftigsten Eifersuchtsszenen zu machen. In solchen Augenblicken des Zorns, die eben nicht gar selten bei seiner lieben Gattin waren, flüchtete der Kurfürst meist zu seiner vernünftigen Schwester, um ihr sein Herz auszuschütten. Am Abend aber musste man wieder gemeinsam speisen, und es harrten seiner neue Aufregungen. Eines Tages wollte es der Zufall, dass eine der diensttuenden Damen Sophies, namens Carry, dem Kurfürsten öfters zu trinken anbot als irgendeine andere. Sofort hatte Charlotte ihren Gatten und das Fräulein im Verdacht einer Liebelei. Ja, sie ging noch weiter und beschuldigte den Kurfürsten, sich dieses Verhältnisses nur als Deckmantel zu einer anderen, verbrecherischen Liebe zu der eigenen Schwester zu bedienen. Daraus entstanden die fürchterlichsten Streitigkeiten und Widerwärtigkeiten. Kurz, Karl Ludwig hatte ein unerträgliches Leben an der Seite dieser vollkommen hysterischen Frau, die sich in ihrem Zorn soweit vergaß, mehreren Personen ihrer Bekanntschaft ganz unverfroren mitzuteilen, der Kurfürst unterhalte ein sträfliches Verhältnis zu seiner jungen Schwester Sophie.
Dass ein Mann, von der Art des Kurfürsten, bei einer Frau, wie Charlotte, sein Glück nicht finden konnte, ist begreiflich. Dennoch hielt er sieben Jahre aus, und es gingen aus dieser höchst unglücklichen Verbindung drei Kinder hervor. Nur zwei davon blieben am Leben: ein Sohn Karl, der im Jahre 1651 geboren wurde, und eine kleine Prinzessin, Elisabeth Charlotte, von ihren Angehörigen kurz Liselotte genannt. Sie erblickte im Mai 1652 das Licht der Welt.
Auf Liselottes zarte Kinderjahre fiel der Schatten des unseligen Ehezerwürfnisses ihrer Eltern. Bald machte der Vater kein Hehl mehr daraus, dass er mit der Mutter nicht glücklich war, und suchte in einer anderen Neigung Trost. Unter den Hofdamen der Kurfürstin Charlotte befand sich seit dem Jahr 1655 ein Fräulein Luise von Degenfeld, die Tochter des schwäbischen Offiziers Freiherrn Christoph Martin von Degenfeld. Sie war ein junges, blondes Mädchen, das von Anfang an Eindruck auf Karl Ludwig machte. Sowohl ihr hochentwickelter Verstand als auch ganz besonders ihr anmutiges sanftes Wesen, das so ganz im Gegensatz zu dem der herrischen Kurfürstin stand, hatten es ihm angetan. Anfangs bestand seine stumme Huldigung nur darin, dass er an der Unterhaltung des jungen Hoffräuleins großen Gefallen fand und Luise öfters mit seiner Gesellschaft im Salon der Kurfürstin auszeichnete. Es konnte jedoch dem Fräulein nicht lange verborgen bleiben, dass Karl Ludwig mehr für sie empfand, als nur bloßes Wohlgefallen an ihrer Unterhaltung. Seine Blicke sprachen nur zu bald eine allzu deutliche Sprache. Sie selbst fühlte in ihrem Herzen eine Neigung entstehen, die sie vergebens zu bekämpfen versuchte. Umso peinvoller war es für sie, dass gerade sie dasjenige Fräulein war, das, der damaligen Hofsitte entsprechend, auch nachts das Zimmer der Kurfürstin teilte. Auf diese Weise war Fräulein von Degenfeld oft unfreiwillige Zeugin des ganzen ehelichen Lebens, das sich vor ihren Augen in Freud und Leid abspielte. Nicht selten musste sie die Vermittlerrolle übernehmen, um nur einigermaßen den Frieden wiederherzustellen.
So ging es lange Zeit im fortwährenden Widerstreit der Gefühle zwischen beiden Eheleuten, bis schließlich Karl Ludwig auch vor der Kurfürstin kein Hehl mehr daraus machte, dass er leidenschaftlich in ihr Hoffräulein verliebt war. Die Anfänge dieser großen und echten Leidenschaft, die den bereits reifen Mann zwanzig Jahre lang ein Glück genießen ließ, wie er es nie in seiner stürmischen und leidvollen Jugend gekannt hatte, fielen in das Jahr 1657. Damals war Luise von Degenfeld 19 Jahre alt, und ihre jugendschöne Gestalt wirkte mit unwiderstehlicher Gewalt auf ihn. Seine Augen sahen nur sie, seine Worte gehörten nur ihr. Wenn er das Zimmer der Kurfürstin betrat, galt sein Besuch mehr dem Hoffräulein als der Gattin. Charlotte merkte wohl, dass Karl Ludwig nicht ihretwegen kam. Ihre Eifersucht entflammte sich, und von da an suchte sie jedes Begegnen, jedes Gespräch ihres Gemahls mit Luise von Degenfeld zu verhindern. Damit erreichte sie jedoch weiter nichts, als dass des Kurfürsten Leidenschaft für das junge Mädchen nur noch größer und heftiger wurde. Und er fand Mittel, der Geliebten seine glühende Liebe zu gestehen [Anm.: der bekannte lateinisch geschriebene, angebliche Briefwechsel des Kurfürsten mit Fräulein von Degenfeld ist längst auf den wahren Urheber Aeneas Sylvius zurückgeführt; in Wirklichkeit sind nur wenige authentische Briefe von beiden vorhanden].
Fräulein von Degenfeld jedoch wollte ihm wohl als Gattin, nicht aber als Mätresse angehören. Auch sie liebte ihn, obwohl er mehr als zwanzig Jahre älter war als sie. Er war noch immer ein schöner stattlicher Mann, sehr lebhaften Geistes, für alles Hohe und Schöne begeistert und äußerst ritterlich den Frauen gegenüber, die er auszeichnete. Um den Preis des Besitzes seiner reizenden Geliebten war er zu allem bereit. Sofort war die Scheidung von der Kurfürstin für ihn beschlossene Sache. Impulsiv, wie er war, teilte er ihr sofort seinen Entschluss mit. Charlotte war außer sich über die Schmach und erwiderte zornig, dass sie nie und nimmer ihre Zustimmung geben werde.
Von diesem Augenblick an wurde das Leben im Heidelberger Schloss unerträglich. Täglich gab es die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ehegatten. Vergebens versuchten die Verwandten des kurfürstlichen Paares eine Versöhnung herbeizuführen. Karl Ludwig war unerbittlich. Von Tag zu Tag liebte er Luise von Degenfeld mehr. Je unüberwindlicher die Hindernisse schienen, sie zu erlangen, desto heftiger entflammte sich seine Leidenschaft. Schließlich gewann er den Pfarrer Heiland, der ihn und die Geliebte am 15. Januar 1658 heimlich traute. In einem Schreiben bekannte der Kurfürst öffentlich, dass er sich auch ohne die Einwilligung seiner Frau als von ihr geschieden betrachte. Charlotte aber erfuhr die heimliche Vermählung ihres Gatten erst am 21. März durch einen Zufall.
An diesem Tag begab sie sich, entweder wirklich zufällig oder vielleicht auch aus Neugierde in das Zimmer ihres Hoffräuleins. Dort bemerkte sie auf einem Tisch ein verschlossenes Kästchen. Sie erbrach es und fand darin drei Diamantringe, zwei Haarspangen mit Diamanten, den Verlobungsrezess ihres Gemahls mit Luise und seine Ehescheidungsurkunde. Plötzlich trat der Kurfürst mit Fräulein von Degenfeld ins Zimmer. Sofort entriss er der Kurfürstin das Kästchen, aber es war bereits zu spät; sie hatte alles gesehen. Die aufs höchste erzürnte und in ihrer qualvollen Leidenschaft zitternde Frau stürzte auf ihre Rivalin zu und hätte sie am liebsten umgebracht. Nur der Geistesgegenwart des Kurfürsten gelang es, die beiden Frauen auseinanderzubringen.
Wie eine Wahnsinnige gebärdete sich Charlotte. Sie nahm die Schmucksachen des Fräuleins und warf sie mit verächtlicher Miene überall im Zimmer umher. Dann wandte sie sich an die inzwischen auf den Lärm herbeigeeilten jungen Prinzessinnen Sophie und Elisabeth, die Schwestern Karl Ludwigs, und rief: »Seht, das ist der Lohn der Dirne; das ist nicht für mich.« Die beiden Mädchen, besonders die zu Spott neigende Sophie, fanden diesen ganzen Auftritt so lächerlich und die maßlose Wut der Kurfürstin so wenig würdevoll, dass sie mit einem lauten Lachen herausplatzten, in das merkwürdigerweise auch Charlotte selbst mit einstimmte. So veränderlich war ihre Laune. Aber der Kurfürst nahm es ernst. Er sah in dem Verhalten der Kurfürstin eine schmachvolle Beleidigung der Geliebten. Und da er ein Mann schnellen Entschlusses war, gab er seiner empörten Gattin eine schallende Ohrfeige und führte Luise aus dem Zimmer.
Sein Hass und Zorn gegen die Kurfürstin kannten jetzt keine Grenzen mehr. Aber obwohl das Leben für Charlotte unter seinem Dach nicht nur qualvoll, sondern auch würdelos war, vermochte sie doch nichts dazu zu bewegen, das Schloss zu verlassen. So lebten beide Frauen anfangs gemeinsam in Heidelberg. Später verlegte Karl Ludwig seinen jungen Hausstand nach Frankenthal, wo er den Winter verbrachte. Vierzehn schöne Kinder gingen aus diesem Bund mit Luise von Degenfeld hervor, die er zur Raugräfin erhob [Anm.: die Raugrafen waren ein Adelsgeschlecht deren Besitzungen 1457 an die Kurpfalz fielen]. Er war sehr glücklich und verbarg sein Glück vor niemandem. Luise kannte nur ein Ziel: den Kurfürsten, für den sie die größte Dankbarkeit und Verehrung empfand, den Schritt nicht bereuen zu lassen, den er getan hatte. Alles, was seinen Ehrgeiz befriedigen konnte, versuchte sie für ihn zu erreichen. Das veranlasste sie freilich zuweilen zu Dingen, die für andere verhängnisvoll wurden, denn sie entwickelte dadurch einen Hang zur politischen Intrige, wobei ihr Einfluss auf Karl Ludwig immer gewaltiger wurde. Aber im Allgemeinen blieb sie in den Grenzen ihres Ranges. Niemals vergaß sie, welch hohe und bevorzugte Stellung Karl Ludwig ihr eingeräumt hatte und vergalt ihm seine Liebe und Fürsorge mit herzlicher Hingebung. Seinen beiden Kindern aus der Ehe mit der Kurfürstin ist sie jederzeit mit Liebe begegnet, und die spätere Herzogin von Orleans weiß nur Gutes von ihrer Stiefmutter zu sagen, besonders aber lobte sie die Liebenswürdigkeit und Sanftmut der Raugräfin.
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Noch ehe Liselotte geboren wurde, kam Karl Ludwigs Lieblingsschwester Sophie, die damals 22 Jahre alt war, an den Hof nach Heidelberg, um ihren jungverheirateten Bruder zu besuchen. Ergötzlich schildert sie in ihren Memoiren die Ankunft bei dem »Herrn Kurfürsten und der Frau Kurfürstin von der Pfalz«. Von Den Haag bis nach Oppenheim fuhr sie immer zu Wasser, weil sie »noch nie anders als mit dem Schiff gereist war«. In Oppenheim aber erwartete sie eine alte verfallene Kutsche mit zwei dürren Kleppern bespannt, die vor Altersschwäche nicht mehr ziehen konnten. In dem Wagen fehlten die Sitze, so dass die junge Prinzessin und die sie begleitenden beiden Hofdamen gezwungen waren, sich auf den mitgebrachten Kissen so gut es ging zu gruppieren. Aber plötzlich wollten die Pferde nicht mehr weiter, und so musste Sophie ihre Reise auf der kotigen Landstraße zum Teil zu Fuß fortsetzen. Unterwegs machte man in einem Haus ohne Fenster halt – noch eine Erinnerung an die vergangenen Kriegsjahre – und hielt dort mit gutem Humor ein frugales Mahl.
Von ihrem Bruder und ihrer Schwägerin wurde die Prinzessin bereits in Mannheim in Empfang genommen. Mit ungezwungener Herzlichkeit zeigte Karl Ludwig seine Freude über das Wiedersehen mit der Lieblingsschwester. Ihr zu Ehren hatte er den schönsten Wagen der kurfürstlichen Remisen, nämlich die ehemalige Brautkutsche, anspannen lassen, die dann alle drei nach Heidelberg brachte. Sophie bemerkte, dass sie wohl ein wenig besser war als der Wagen, der sie in Oppenheim erwartet hatte, aber von Luxus oder Glanz keine Spur. Ihre Schwägerin Charlotte beklagte sich auch darüber und erwähnte gleich im ersten Augenblick mit Bitternis, ihre Schwester habe einen weit schöneren Hochzeitswagen gehabt als sie. Überhaupt war die Kurfürstin sehr schlechter Laune, ganz im Gegensatz zum Kurfürsten, der nur dem Augenblick des Wiedersehens mit seiner Schwester lebte.
Kaum waren sie in Heidelberg angelangt, brach Charlotte in Klagen über ihren Mann aus und sagte, man habe sie wider ihren Willen mit einem »alten Eifersüchtigen« verheiratet. Karl Ludwig war bei seiner Vermählung 33 Jahre alt! Dann zählte die wenig taktvolle Frau der jungen Schwester ihres Gemahls alle Verehrer auf, die sie hätten heiraten wollen, und fügte sarkastisch hinzu, jeder von ihnen wäre ihr lieber gewesen als der Kurfürst von der Pfalz. »In allem jedoch,« bemerkte Sophie dazu, »lag viel mehr Narrheit als Verbrechen, und sie hätte in Holland sein müssen, wo man eine törichte Frau, die sich über ihren Mann beklagt, auslacht.«
Sophie sah ihre Schwägerin zum ersten Mal, und das äußere Bild, das sie von ihr entwirft, ist nicht gerade ungünstig. »Ich bemerkte,« erzählt sie, »dass die Kurfürstin eine hochgewachsene Frau mit kurzem Oberkörper und sehr langen Beinen war. Sie hatte eine wundervolle Hautfarbe und den schönsten Hals der Welt. Ihre Gesichtszüge waren nicht regelmäßig. Auch fand ich, dass ihre Augenbrauen, die sie schwarz färbte, einen zu starken Gegensatz zu ihrem wunderschönen aschblonden Haar bildeten. Wenn sie sie in die Höhe zog, verlieh das ihrer sehr hohen Stirn und ihrem Gesicht einen außerordentlich harten Ausdruck. Dafür hatte sie sehr schöne glänzende Augen, einen großen ausdrucksvollen Mund, der sich leider oft zu Grimassen verzog, ferner sehr schöne Zähne; kurz, alles zusammengenommen, konnte man wohl sagen, dass die Kurfürstin eine schöne Frau war.« Und die junge Prinzessin bemerkte ferner, dass ihr Bruder, trotzdem auch er sich über den launenhaften, unverträglichen Charakter Charlottes beklagte, sie doch beinahe abgöttisch liebte. Das war ein fortwährendes Umarmen und Sichküssen, so dass es Sophie oft peinlich war, wenn der Kurfürst seine Frau sogar in der Öffentlichkeit, »vor aller Welt«, wie sie sich ausdrückte, herzte und küsste. Wie oft überraschte sie später ihren Bruder, wie er vor Charlotte auf den Knien lag, oder auch umgekehrt. Am Abend ihrer Ankunft in Heidelberg aber, als sich Sophie mit ihrer holländischen Umgebung allein in ihren Gemächern befand, vermochte sie doch nicht mit der Bemerkung zurückzuhalten: »Meine Frau Schwägerin ist nicht klug.«
Und damit hatte sie wohl recht. Sie sah nur zu bald, dass diese zwei Menschen, die beide, jeder auf seine Weise, Originale waren, überhaupt nicht zueinander passten. Aber Sophie hatte einen viel zu gesunden Menschenverstand, als dass sie sich in diesem Fall von Sentimentalitäten hätte hinreißen lassen. Schon damals fasste sie alles von der praktischen Seite auf, wie sie es auch später in ihrer eigenen Ehe mit Ernst August bewährte, der durchaus kein Musterehemann war. Aber
Kurfürstin Charlotte von der Pfalz
Gemälde von Jan Mytens
weder im Briefwechsel mit dem treuesten Freund Leibniz, noch später mit ihrer Nichte Liselotte deutet irgendetwas auf Unzufriedenheit mit ihrem Gemahl hin, den sie sehr geliebt hatte. Es finden sich in Sophies Briefen nicht einmal Anspielungen auf seine verschiedenen Beziehungen zu anderen Damen. Diese starke Frauennatur war viel zu stolz, um kleinmütig über Dinge zu klagen, die sie nicht zu ändern vermochte.
Für die damalige Zeit war Sophie nicht nur außerordentlich gebildet, sondern auch ein ganz besonders individueller Charakter. Außer dem Deutschen sprach sie fließend Holländisch, Englisch, Französisch, ferner ziemlich gut Spanisch, Italienisch und Lateinisch. Jedermann war erstaunt, bei einer so jungen Prinzessin so viele Kenntnisse zu finden, besonders da sie nichts weniger als ein Blaustrumpf war [Anm.: Blaustrumpf (von engl. bluestocking) bezeichnete im 18. und 19. Jahrhundert eine gebildete, intellektuelle Frau, die zugunsten der geistigen Betätigung die vermeintlich typisch weiblichen Eigenschaften vernachlässigte], sondern Freude an allen Vergnügungen der großen Welt hatte. Französisch war damals die Sprache der Höfe und vornehmen Gesellschaft, Englisch hatte Sophie von frühester Kindheit an durch die Mutter gelernt, ebenso Holländisch durch ihren Aufenthalt im Land, und Lateinisch musste jedermann verstehen, der einigermaßen Anspruch auf höhere Bildung machte. Karl Ludwigs Schwester besaß jedoch auch recht ansehnliche Kenntnisse in Philosophie und Geschichte, die selbst Gelehrten Bewunderung einflößten. Dazu kamen ein äußerst glückliches Temperament, lebhafter, oft derber Witz mit einer starken Neigung zum Spöttischen, ein fester und entschiedener Wille, der sie in allen Widerwärtigkeiten des Lebens aufrechterhielt. Sie war weit entfernt von dem damals sehr verbreiteten Aberglauben, von aller Frömmelei und Intoleranz; eine starke, frohe Natur, die trotz aller äußeren Derbheit viel Herzensgüte und Wärme in sich trug. In vielen Eigenschaften ging Sophies Charakter auf ihre Nichte Liselotte über, für die sie der Inbegriff alles Vollkommenen und Schönen wurde. Von dem rauschenden Hof in Frankreich flüchtete die Herzogin von Orléans in den Stunden ihrer Einsamkeit zu ihrer herzlieben Tante Sophie, um in langen Briefen alle ihre Bekümmernisse zu beichten und sich bei ihr Rat und neuen Mut zu holen.
Als diese Tante an den kurpfälzischen Hof kam, war Erbprinz Karl ein Jahr alt, und Liselottes Geburt wurde in wenigen Monaten erwartet. Während das Brüderchen aber sein Leben lang kränklich und schwächlich blieb, entwickelte sich die kleine Prinzessin zu einem körperlich und geistig gesunden Naturkind, voll Frische und Frohsinn, dessen wildes, lebenskräftiges Temperament kaum zu bändigen war.
Trotz allen häuslichen Zwistes zwischen Mama und Papa, trotz aller Strenge des Kurfürsten waren Liselottes Kinderjahre im Elternhaus doch äußerst glückliche. Sie genoss die größte Freiheit, durfte sprechen und spielen mit wem sie wollte, durfte mit ihren Gouvernanten in der Umgebung von Heidelberg umherstreifen, brauchte sich nicht mit vielem Lernen das Köpfchen zu beschweren, sondern konnte ganz Kind sein. Auf diese Weise befreundete sie sich mit Hoch und Niedrig und gelangte schließlich zu jener außerordentlichen Kenntnis der Dinge und Menschen ihrer Heimat, der wir in ihren zahlreichen Briefen begegnen. Jene köstliche Natürlichkeit und Einfachheit ihres Wesens, denen sie selbst in einer völlig anderen Umgebung voll Glanz, Reichtum, Verderbnis und Tünche treu blieb, hatten ihre Wurzel in den harmlos glücklichen Kinderjahren. Wie an ein Paradies auf Erden erinnerte sie sich bis ins hohe Alter ihrer ungestümen Jugendlust und Wildheit, die freilich ihren Erzieherinnen oft die größten Sorgen bereiteten. Einen rechten »rauschenblattenen Knecht« nennt sie sich, was so viel heißen will wie »flatterhaftes Bürschchen«. Als sie selbst Mutter eines äußerst lebhaften Töchterchens war, schreibt sie einmal: »Ich glaube, dass aller Liselotten ihr Naturell ist, so wild in der ersten Jugend zu sein; hoffe, dass mit der Zeit ein wenig Blei in dem Quecksilber kommen wird, wenn ihr mit der Zeit das Rasen so sehr vergeht, wie es mir vergangen ist, seitdem ich in Frankreich bin.« Sie wäre wohl auch lieber ein Knabe gewesen, der nach Herzenslust auf den Bäumen herumklettern konnte, ohne danach fragen zu müssen, ob das sich auch schickte. Denn für das »Sich-nicht-schicken« hatte Liselotte gar kein Verständnis. Sie tat und sagte, was ihr gerade einfiel, sprach den echten Pfälzer Dialekt wie der geringste Untertan ihres Vaters. Jede Ziererei war ihr fremd. Und am liebsten war es ihr, wenn man sie mit aller Zeremonie und Vornehmtuerei verschonte. Wie irgendein anderes Bürgerkind ging sie mit einem »gut Stück Brot in der Hand« schon morgens um fünf Uhr vor das obere Tor in Heidelberg »Kirschenessen« und empfand es als das höchste Glück, wenn man sie ungestört diesem harmlosen Vergnügen überließ.
So wuchs Liselotte auf in Sorglosigkeit und Natürlichkeit. Die Erzieherinnen hatten keinen leichten Stand bei diesem zu allen tollen Streichen aufgelegten Kind. Die erste Gouvernante Liselottes erbat vom Kurfürsten ihren Abschied mit der Erklärung, sie wolle nicht mehr bei der Prinzessin bleiben, weil sie ihr zu viele Schabernacks spiele. Fräulein von Quaadt war nämlich alt und langweilig, und so entledigte das fröhliche, mutwillige Kind sich ihrer eines Tages durch einen Gewaltstreich. Liselotte war ungehorsam gewesen und sollte die Rute bekommen. Als »die Jungfer Eltz von Quaadt« sie hinaustragen wollte, zappelte die kleine Prinzessin so sehr mit den Füßen und gab ihr »so viel Schläg' in ihre alte Bein'«, dass Jungfer Eltz mitsamt der wilden Liselotte zu Boden fiel. Das schadenfrohe kleine Mädchen aber suchte schleunigst das Weite und entging so der zugedachten Strafe. Fräulein von Quaadt erzog fortan nur noch den sanfteren, stillen Erbprinzen; Liselotte indes bekam von da an ihr geliebtes Fräulein von Offelen zur Hofmeisterin.