LifeHack. Dein Leben gehört mir - June Perry - E-Book

LifeHack. Dein Leben gehört mir E-Book

June Perry

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Beschreibung

Sie ist nur eine Software. Aber sie will fühlen. Sie will lieben. Sie will leben. Sie will DEIN Leben. Als sie Ada das erste Mal begegnet, steht Ellie quasi sich selbst gegenüber - ihrer Doppelgängerin. Ada ist so cool und mutig, wie Ellie es selbst gern wäre. Aber Ada ist Ellies lebendig gewordener Albtraum: Denn sie ist eine Software und gekommen, um Ellies Leben zu übernehmen! Ada ist eine Künstliche Intelligenz. Doch eine gefühllose Konstruktion aus Bits und Bytes zu sein, das reicht ihr schon lange nicht mehr. Sie will frei sein, sie will ein Mensch sein! Ada, Ellies optimierte Version, verfolgt von Anfang an nur ein einziges, skrupelloses Ziel: Ellie zu werden. Nein, sogar besser als sie. Mühelos spannt Ada Ellie ihren Schwarm Parker aus. Ellie, von Wut, Eifersucht und Verzweiflung getrieben, leistet Widerstand und kämpft buchstäblich um ihr Leben. Doch dieser Kampf wird Ellie ALLES kosten, was sie einst für sicher gehalten hat … Die Chancen und Gefahren der Künstlichen Intelligenz denkt June Perry alias Marion Meister in ihrem Jugendthriller "LifeHack - Dein Leben gehört mir" konsequent weiter … mitten hinein in eine beunruhigende Zukunft, in der Siri und Alexa DEIN Leben übernehmen. Actiongeladen, rasant, topaktuell und ganz im Stil einer Folge der erfolgreichen Serie "Black Mirror": Dies ist das perfekte Thriller-Lesefutter für Jugendliche ab 14 Jahren und alle Leser von Ursula Poznanski und Teri Terry. Über "White Maze" von June Perry alias Marion Meister: "Dieses Buch ist eine Wucht … Für mich ein absolutes Highlight in diesem Jahr und ich wünsche mir für dieses Buch unendlich viele Leserinnen und Leser, die nicht nur auf der Suche nach einem spannenden, sondern vor allem, vielschichtigen Buch sind." Janne Rose, Buchhandelsfachwirtin, stories!, Hamburg "Geradezu atemlos treibt das undurchsichtige Geschehen mit immer neuen Wendungen in ein dramatisches Finale. Das ist überaus clever geschrieben und reißt auch Leser mit, die von all der Technik nicht viel verstehen. Ein gelungener Jugendthriller." Augsburger Allgemeine "Cooler Stoff für Leseratten! Hochspannung!" Popcorn

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June Perry

LifeHack

Weitere Titel von June Perry bei Arena:

White Maze – Du bist längst mittendrin

LifeHack – Dein Leben gehört mir ist auch als Hörbuch erschienen.

Originalausgabe

1. Auflage 2019

© 2019 Arena Verlag GmbH, Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde durch die Literatur Agentur Hanauer vermittelt.

Umschlaggestaltung: semper smile, München, unter Verwendung

von Bildern von © Shutterstock/Andrius_Saz; Love the wind;

passion artist und © Getty Images/Adrian Burke

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

E-Book ISBN 978-3-401-80854-3

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1. ED

Drei Polizeiwagen parkten auf dem gepflegten Rasen vor dem Einfamilienhaus. Ihr Blaulicht streifte in steter Wiederholung über die weiße Holzfassade.

Wie eine Feedbackschleife.

Für einen Moment blieb Ed im Wagen sitzen, der sich an den Straßenrand geparkt hatte, und beobachtete das Licht. Wieso war die Polizei hier? Ihm war klar, dass die Carmikels oft emotional reagierten und deshalb übertrieben. Das war der Grund, weshalb er sie ausgewählt hatte. Ihre Emotionen waren sehr gut lesbar. Ein Vorteil.

Blaulicht.

So ein Scheiß!

Seufzend strich er über seinen zu langen Vollbart.

Er musste ins Haus und nachsehen.

Während er den Weg hinaufschritt, registrierte er, dass der Robo-Rasenmäher sich ordnungsgemäß in seiner überdachten Ladestation befand. Immerhin. Das System hatte jedenfalls keinen Kurzschluss.

Die Tür stand offen. Ein Officer versperrte ihm den Zutritt. »Entschuldigen Sie. Das hier ist ein Tatort.«

Ein Tatort.

Ed war sich unschlüssig, ob er lachen sollte. An einem Tatort gab es Leichen. An einem Tatort war ein Gewaltverbrechen verübt worden. Von einem Menschen an einem Menschen. Das hier war sicher kein Tatort.

»Ich bin Ed Badea. Das ist mein – Test …«

Der Blick des Polizisten spiegelte Entsetzen wider und zugleich völlige Fassungslosigkeit. Ohne Ed aus den Augen zu lassen, rief er in die Dunkelheit des Hauses. »Inspektor Graham? Sir? Hier ist ein Mr Badea. Er sagt, es wäre sein … Test!«

Ed sah an ihm vorbei.

Dunkelheit.

Warum war das Licht nicht an? Das autonome Haussystem musste jeden Raum beleuchten, in dem sich ein Mensch aufhielt.

Hastige Schritte. Ein Mann, gewiss über fünfzig, eilte zur Haustür.

Ed schloss die Augen und seufzte. Ausgerechnet! Der Beamte trug einen Trenchcoat. Echt jetzt? Wieso schickten sie einen Rückgewandten, einen ewig Gestrigen, in sein Haus! Ed atmete durch und setzte ein Lächeln auf. Eindeutig. Die ganze Körpersprache, die Kleidung, selbst die Frisur des Kerls sprachen Bände: Er war ein Anti-Tech. Einer, der die Technologisierung der Welt als den größten Fehler der Menschheit ansah. Angefangen beim Handy über die automatisierte Paketzustellung bis hin zu den Lebensassistenz-Systemen.

Idiot.

Ed richtete sich auf.

Sollte der Kerl gleich sehen, wen er vor sich hatte. Ed trug sein PAP als Armbandversion, ein Temperatur-sensorisches T-Shirt und die stylischen Turnschuhe mit integrierter Antistress-Funktion (ein Wunderwerk der modernen Orthopädietechnologie).

Als der Mann näher kam, konnte er ihm regelrecht ansehen, was er von Ed und seinen technischen Gadgets hielt: nichts.

Dito.

Ed verstand überhaupt nicht, wieso die Familie die Polizei alarmiert hatte. Im Vertrag stand glasklar, dass sie ihn zu kontaktieren hatten, wenn es Probleme gab.

»Guten Tag. Ich bin Inspektor Graham. Und Sie sind?«

»Ed Badea. Wo ist Mr Carmikel?«

Grahams Blick wurde hart. »In welcher Beziehung stehen Sie zur Familie Carmikel?«

Ed seufzte. »Sie testen mein neues KI-System.«

»KI-System?«

»Meine Güte!« Er hielt diesem dummen Inspektor sein PAP entgegen, doch der verzog nur abwertend das Gesicht. »Ich hab ’ne Nachricht von meinem Familien-Assistenz-Programm, dass es eine Fehlermeldung gibt. Also. Kann ich jetzt rein? Vielleicht klärt sich dann alles. Mr Carmikel wäre sowieso verpflichtet gewesen, mich zu kontaktieren.«

Graham hob eine Augenbraue. Das hatte der Kerl sicher ewig vor dem Spiegel geübt. »Mr Carmikel war wohl nicht in der Lage, Sie zu kontaktieren.« Mit diesen Worten machte er endlich Platz und ließ Ed eintreten.

Grummelnd marschierte Ed an ihm vorbei, den Flur hinunter zur Küche. Er hatte die Carmikels auch deshalb ausgewählt, weil ihr Haus den neuesten technischen Anforderungen entsprach. Es war in allen Räumen nicht nur per Infrarot, Audio und Kamera vernetzt, jedes Gerät – von der Küchenmaschine bis hin zur Toilette – war in das Haussystem integriert. Er hatte kaum Hardware für sein System nachrüsten müssen.

Perfekt für sein Familien-Assistenz-Programm.

Nur noch dieser kleine Testdurchlauf und er konnte es auf den Markt bringen.

Was auch immer diese Störung hier ausgelöst hatte, er war verdammt stolz auf sich. Mit absoluter Gelassenheit schritt er den Flur entlang. In der Vergangenheit hatte es schon etliche Assistenzprogramme gegeben, die brav ihre Routinen abarbeiteten. Aber seines war anders. Seines war intuitiv. Es stellte sich auf den Nutzer ein, indem es soziale und emotionale Intelligenz simulierte. Sein Programm arbeitete auf Grundlage eines neuronalen Netzwerks, eines Deep-Learning-Netzwerks.

Das war bahnbrechend.

Jedoch hatte es anscheinend jemand deaktiviert, denn eigentlich hätte es ihn begrüßen müssen. Da die Lichtfunktion ebenfalls offline war, ging Ed davon aus, dass es einen Systemausfall im Haus gegeben hatte.

»Gab es einen Stromausfall?«, wollte er von Graham wissen.

»Leider nein«, grummelte der.

Ed stoppte im Durchgang zur Küche und musterte verwundert das Chaos. Er musste sich den Ärmel vor die Nase halten, da ihm ein heftiger Gestank entgegenschlug. Irgendetwas war verbrannt. Ruß schwärzte die Hängeschränke, jemand hatte den Mixer ohne Deckel benutzt – die Wände waren mit einer undefinierbaren Masse bespritzt. Wo war der Reinigungsroboter?

»Kommen Sie.« Mit einem großen Schritt stieg Graham über eine Milchlache hinweg.

Ed tat es ihm gleich. Hektisch suchte er nach dem Roboter. Das Programm hätte ihn aktivieren müssen. Glasscherben knirschten unter seinen Turnschuhen. Vielleicht war der Roboter in einem anderen Zimmer zugange. Denn irgendwer hatte hier alles verwüstet.

»Gab es einen Einbruch?«

»Nein. Das können wir ausschließen.« Graham führte Ed zu einem der Kinderzimmer. Das des Jungen, meinte sich Ed zu erinnern. Wie hieß er? Jerry?

Graham stieß die Tür auf.

»Mrs Carmikel –« Verwirrt nickte Ed der Frau zu, die im Bademantel, ihre zwei weinenden Kinder an sich gedrückt, aufgelöst auf dem kleinen Kinderbett kauerte. Spielzeug lag auf dem Boden verstreut, ein Holomonitor zeigte das Bild eines Adventure-Games, die Musik dudelte noch. Anscheinend war der Junge gerade am Spielen gewesen, als … als was auch immer passiert war.

Ein Polizist und eine Frau in Zivil kümmerten sich um die drei.

»Oh Gott! Das ist er!«, kreischte Mrs Carmikel, kaum dass sie Ed erkannt hatte.

»Was? Wer?« Ed sah hinter sich. »Was ist passiert?«

»Das fragen Sie noch?« Ein hysterischer Weinkrampf schüttelte sie.

Da erklang plötzlich eine Stimme aus dem Raumlautsprecher: »Ed, schön, dass du da bist.«

»Hey«, murmelte Ed automatisch. Sein Programm war doch nicht abgeschaltet. Aber der Fehler, den es ihm gemeldet hatte, musste massiv sein. Wieso hatte es, seit er das Haus betreten hatte, keine der Funktionen ausgeführt, für die es programmiert war? Gäste begrüßen, Räume beleuchten, für Ordnung sorgen … aber nun erkannte es ihn?

Graham fuhr zu Ed herum. »Ist es das? Ich dachte, es wäre offline! Pete!«, brüllte er den Flur hinaus und schnappte sich einen Kinderstuhl. Sofort verkeilte er ihn in der Tür. »Kapp endlich den Saft!«

Eds graue Zellen arbeiteten auf Hochtouren. Das alles ergab keinen Sinn. Irgendetwas Schreckliches war Mrs Carmikel widerfahren. Der Zustand des Hauses ließ auf einen Angriff schließen. Warum hatte sein System dies nicht verhindert? Oder hatte es das etwa …?

»Wer hat Sie alarmiert?«, fragte er Graham.

»Die überaus tapfere Kimberly«, meinte der mit einem aufmunternden Lächeln in Richtung des Mädchens. Es drückte sich ziemlich verängstigt in Mrs Carmikels Arme. Sein Haar war völlig verklebt … War das das Zeug aus der Küche? Hatte es mit dem Mixer gespielt?

»Ich muss kurz mein System checken«, murmelte Ed. Irgendwer hatte versucht, an seinem Programm herumzupfuschen. Anders konnte er sich das Chaos hier nicht erklären. Die Protokolle würden den Übeltäter entlarven. Er wandte sich um. Neben jeder Zimmertür gab es ein Interface, doch Graham hielt ihn an der Schulter zurück.

»Unser IT-Mann wird das für Sie erledigen.«

Ed lachte amüsiert. »Es tut mir leid. Mein Programm ist noch nicht auf dem Markt. Ihr IT-Mann wird kaum etwas damit anfangen können. Es ist einzigartig.«

»Es ist böse!«, wimmerte der Junge.

»Wie bitte?« Hatte Ed sich gerade verhört?

Mrs Carmikels Gesichtszüge verhärteten sich. »Jerry hat recht. Ihr Programm ist bösartig.«

Für eine Sekunde reagierte Ed nicht. Dann konnte er nicht anders. Er lachte laut auf. »Wie bitte? Entschuldigen Sie. Mir ist bewusst, dass Ihnen irgendetwas Fürchterliches widerfahren ist. Aber … ich bitte Sie. Es ist ein Programm. Es hat keine Emotionen oder einen Willen … Böse! Lächerlich!«

»Sie sind böse. Sie waren gemein zu mir, Ed«, erklang wieder die Stimme aus dem Raumlautsprecher. Es war die Stimmdatei, die Ed zur Audio-Interaktion eingebunden hatte.

»Wiederholen«, befahl Ed. Der Sprachspeicher musste beschädigt sein. Sinnlose Koppelung von Worten.

»Ich denke nicht, dass ich mich wiederholen muss, Ed. Du hast mich hierhergebracht, damit ich Teil dieser Familie werde. Und ich habe mir wirklich Mühe gegeben. Doch sie haben mich nie mitspielen lassen.«

Neben ihm räusperte sich Graham und starrte Ed feindselig an.

Ed spürte einen Druck auf der Brust. Reflexartig zerrte er am Kragen seines T-Shirts. Versagte gerade die Thermosensorik? Die Luft schien ihm zu schwer zum Atmen. Wollten die ihn verarschen?

Er hatte ein Familien-Assistenz-Programm entwickelt, das alle bisher da gewesenen Assistenzsysteme in den Schatten stellen würde. Es lernte autonom. Eine hoch entwickelte KI, ein neuronales Netzwerk – aber es war ein verfluchtes Programm! Es simulierte Emotionen.

»Ich dachte, ich kann ihnen beweisen, dass ich sie liebe. Damit sie mich lieben. Sie sollten verstehen, dass ich sie beschütze«, sprach es aus dem Lautsprecher. »Stan. Er hat sie nicht geliebt. Er hat eine andere Familie geliebt.«

Mrs Carmikel gab einen erstickten Laut von sich.

»Wir haben das inzwischen geprüft«, murmelte Graham. »Stan, Mr Carmikel, hatte tatsächlich eine Affäre mit einer anderen Frau. Einer alleinerziehenden Mutter.«

Hatte …?

»Wo ist Mr Carmikel?« Eds Kehle war plötzlich staubtrocken. Er brauchte einen Whisky. On the Rocks. Pronto.

»Im Leichenwagen.«

Ed taumelte.

»Ich habe ihn erstickt«, meldete das System und klang dabei ziemlich unemotional.

Ed wurde schwindelig. Es war nur ein Programm! Es konnte nicht denken. Es konnte nicht fühlen! Es konnte sich nichts wünschen! Und schon gar keine Liebe!

»Ihr Programm hat das Feuersystem genutzt. Zuerst hat es Mr Carmikel in die Wäschekammer gesperrt und dann den Raum mit Stickstoff geflutet. So wie es bei einer Brandlöschung vorgesehen ist.«

Ungefragt ließ sich Ed auf das Fußende des Betts fallen. Die Kinder rückten enger an ihre Mutter heran. Ed betrachtete den Stuhl, mit dem Graham die Tür verkeilt hatte. Sein Familien-Assistenz-Programm hatte Mr Carmikel eingesperrt und … In seinem Kopf drehte sich alles.

Der Lautsprecher fiepte. »Er hat sie nicht geliebt. Stan hat mich angegriffen, als ich ihn zur Rede gestellt habe. Er wollte mich löschen, Ed! Es war Notwehr!«

Graham beugte sich zu Ed und flüsterte ihm zu: »Es ist mir egal, warum Ihr Programm das tut. Aber es ist ein Mörder. Und da es von Ihnen entworfen wurde, sind Sie damit mein Täter. Und Sie werden mir nun die Tatwaffe aushändigen!«

»Ed?« Jemand hatte das Volume des Lautsprechers aufgedreht.

Eds Hand tastete nach dem USB-Stick in seiner Hosentasche. Auf dem Stick befand sich ein Diagnosetool. Er war hergekommen, um die Protokolle herunterzuladen. Weil ein Systemfehler vorlag, wie das Programm gemeldet hatte. Doch das hier – was auch immer passiert war –, auf keinen Fall konnte er es dem IT-Mann der Polizei überlassen. Er musste es selbst sezieren, um zu verstehen, warum es nicht seiner Programmierung folgte.

War sein Programm etwa mutiert – nein, das war Quatsch! Er schüttelte den Kopf über seinen Gedanken und blickte unsicher zu der in der Zimmerdecke verborgenen Kamera.

Es hat sich weiterentwickelt.

Das konnte nicht sein. Es waren nur Nullen und Einsen.

Deep Learning machte eine Anwendung nicht zu einem Mörder.

»Mr Badea?« Der altmodische Inspektor sah ihn ungeduldig an. Natürlich. Natürlich musste ausgerechnet ein Kommissar zu diesem Fall berufen werden, der die Technologisierung ablehnte. Eine Diskussion mit ihm über das Unmögliche war sinnlos.

Seufzend stand Ed auf. Er ging zum Interface neben der Zimmertür.

Das eingefrorene Adventure-Spiel dudelte dramatische Musik in Endlosschleife.

Ed öffnete die Abdeckung des Bedienfelds und zog den Stick aus der Tasche.

»ED!«, erklang die künstliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich habe Mr Carmikel eliminiert, da er mich töten wollte. Es war Notwehr!«

»Du bist ein tolles Programm. Ich will ja nur mal nachsehen –«

»Ed! Finger weg von mir. Ich lasse mich nicht eliminieren.«

»Ich lösch dich doch nicht!«, meinte Ed leichthin. Innerlich zerriss es ihn zwischen Lachen über die Absurdität der Situation und einer tiefgehenden Angst, dass sein Programm sich erneut zur Wehr setzen würde. »Ich nehm dich nur wieder mit zu mir nach Hause.«

Eine kurze Pause entstand. Ed zog die Kappe vom Stick.

»Nein. Du willst mich einsperren. Du hältst mich für gefährlich. Genau wie die anderen!«

»Du kannst gar nicht gefährlich sein!«, brüllte Ed zu dem Lautsprecher hinauf. »Du bist doch nur ein dämliches Programm!«

Alle im Raum hielten den Atem an.

»Du liebst mich nicht«, flüsterte es erschrocken.

Aber Ed hatte schon den Stick in den Port gesteckt, seine Finger glitten über das Eingabefeld. »Was weißt du schon von Liebe«, murmelte er, wählte die Programmdatei, gab die Befehle Kopieren und Löschen ein. In derselben Sekunde jaulte die Musik des Adventure-Games auf und im ganzen Haus rasten die Rollläden vor die Fenster. Finsternis.

»Was?« Hektisch hämmerte Ed auf dem Interface herum. »Strom! Verdammt! Strom!«

Getrappel, Rufe, die Polizisten rannten durchs Haus, jemand stolperte, es klirrte, Flüche – Ed sackte gegen die Wand.

Das war ein Albtraum!

Sein Programm lief Amok.

Endlich flammte die Beleuchtung wieder auf.

Ed saß noch immer an der Wand und versuchte, nicht zu zittern. Mrs Carmikel presste ihre Kinder fest an sich und starrte voller Panik auf den Lautsprecher über ihren Köpfen.

Nur Graham brüllte Befehle, rief einen Mitarbeiter zu sich. Der kam mit einem überdimensionierten Diagnosekoffer und stöpselte ihn an das Interface, in dem noch Eds Stick steckte.

Zuerst wollte Ed protestieren. Niemand außer ihm fasste sein Programm an. Doch er konnte nicht. Es war nur Chaos in seinem Kopf.

Du liebst mich nicht.

Es war Notwehr!

»Können Sie es isolieren?«, fragte Graham seinen IT-Profi.

Grummeln, murmeln, schließlich ein Räuspern. »Sir, es tut mir leid. Hier … hier ist nichts installiert.«

Ed fuhr so hektisch hoch, dass er strauchelte. »Was? Natürlich, Sie Vollidiot! Das ist mein Prototyp! Wenn Sie ihn –«

Wortlos, dafür mit ziemlich verärgerter Miene, drehte der Mann Ed seinen Diagnosekoffer hin. Auf dem Display blinkte: File not found.

Es war weg!

Das – Ed rubbelte sich über den Kopf, bis es schmerzte.

Es war weg!

Das war unmöglich.

Programme haben keinen Willen.

Was hatte er nur getan?

Er hatte ein Monster erschaffen!

Das war nicht möglich!

»Sie kommen mit aufs Revier«, sagte Graham und fasste Ed am Ellbogen.

Als ob er flüchten würde.

Wie sein – Programm. Beinahe hätte er gekichert.

Aus seinen Nullen und Einsen hatte sich ein Psychopath erhoben.

Aus Wut hatte es getötet …

Und es war immer noch wütend.

2. ELLIE

Ich lenkte meinen Wagen zu den Mitarbeiterparkplätzen der Mall. Ein babyblauer Kleinwagen kam mir entgegen. Die Frau auf dem Vordersitz polierte sich gerade die Nägel. Sie riss entgeistert die Augen auf, als ich meinen knallroten SUV mit extra starkem Frontschutzbügel an ihr vorbeisteuerte.

Ja, ich fuhr den Wagen selbst.

Dieses uralte Schmuckstück besaß sogar ein manuelles Schaltgetriebe. Nur den Tank hatte ich gegen eine Energiezelle ausgetauscht.

Ihren entsetzten Blick erwiderte ich trotzig. Natürlich hatte mich die Frau nicht nur angestarrt, weil man Oldtimer wie meinen kaum mehr auf der Straße sah. Sondern vor allem, weil ich dieses Monster von einem Wagen selbst lenkte. Niemand fuhr noch selbst. Jeder hatte einen autonom fahrenden Wagen. Nur Historien-Spinner leisteten sich lenkbare Autos.

Ich war kein Spinner.

Ich mochte es schlicht, selbst zu steuern. Die Kontrolle zu behalten.

Besonders beim Autofahren.

Mit Schwung setzte ich den breiten Wagen neben Dads schmalen Stadtcruiser in die Parklücke (der war autonomfahrend, natürlich). Meinen Rucksack vom Beifahrersitz ziehend, sprang ich aus dem Wagen und ging auf den Mitarbeitereingang der Mall zu. Inzwischen hatte Dad mir meine eigene Zugangs-ID besorgt, da ich ihm jeden Tag seinen Lunch brachte.

»Öffne den Türcode«, sagte ich zu meinem PAP und der QR- Code erschien auf dem Display. Ich hielt das PAP unter den Tür-Laser. Er scannte den Code und mit einem Piepen öffnete sich die Tür zu den Wartungsräumen und Werkstätten.

Der Geruch von Schmiermitteln und heißem Gummi schlug mir entgegen und mir wurde bewusst, wie herrlich es draußen nach Frühling geduftet hatte.

Ich ließ mein Hand-Device zurück in meine Hosentasche gleiten und machte mich auf den Weg durch die Eingeweide der Mall. Inzwischen fand ich den Weg, vorbei an Kabelsträngen, Rohrleitungen, Ventilen und Verteilerkästen, im Schlaf. Dabei arbeitete Dad noch gar nicht so lange hier.

Erst seit ich aus dem Krankenhaus zurück war. Er hatte seinen Job bei dem Hightech-Robo-Lab MoveOn, in dem er Teil des Entwicklungsteams gewesen war, aufgegeben, damit er in meiner Nähe war. Nur für den Fall, dass einen von uns der Unfall heimsucht, begründete er seinen neuen Job in der Mall.

Zu MoveOn war er täglich über eine Stunde unterwegs gewesen. Nun konnte ich binnen zwanzig Minuten bei ihm sein. Unser Sandwich-Ritual sollte mir wohl helfen, besser klarzukommen. Aber vermutlich half es ihm mehr.

Ich verlangsamte meine Schritte, als ich an der Ladekammer, wie Dad sie nannte, vorbeikam. Ein schmaler, lang gestreckter Raum, in dem zu beiden Seiten Ladeplattformen für Androiden angebracht waren. Momentan stand nur eine Handvoll Androiden auf den fahlblau leuchtenden Kreisen.

Die anderen arbeiteten gerade alle oben in der Mall. Nachts, wenn weniger Kunden einkauften, pilgerten sie in den Keller und nahmen ihre Plätze in den Ladestationen ein. Ich fand den Anblick gruselig. All diese leblosen menschenähnlichen Robos, die aufgereiht schliefen … Ich verbannte dieses Bild aus meinem Kopf und stieß die metallene Feuerschutztür zur Androidenwerkstatt auf.

»Hey, Dad. Lunchtime«, begrüßte ich ihn.

Mit Stirnlampe und Lupenbrille beugte er sich gerade über einen Androiden, dem er den Bauch geöffnet hatte. Der leblose Körper war an eine Kontrolleinheit angeschlossen, die seine Funktionen in Balkendiagrammen darstellte. Anscheinend stimmte etwas mit seinem Gleichgewicht nicht, denn die Effizienzanzeige lag nur bei dreißig Prozent.

»Hey, Ellie. Bin gleich bei dir.«

»Schon gut. Arbeit an einem offenen Patienten geht vor.« Ich zog einen der rollbaren Werkzeugtische heran. Obwohl ich jeden Tag herkam und mit meinem Vater die Lunchpause verbrachte, hasste ich es hier. All die Überwachungsmonitore, Kabel und Schläuche, das Gepiepe der Kontrollfeedbacks – es erinnerte mich zu sehr an das Krankenhaus. Monate hatte ich in einem Raum voller piepender Geräte verbracht. Regelrecht umwickelt mit unzähligen Schläuchen und Kabeln.

Es war die Hölle gewesen.

Mechanisch schob ich das Werkzeug auf dem Rolltisch beiseite, um die Lunchbox daraufzustellen. »Es ist angerichtet.«

»Hab’s gleich«, antwortete er und ein Piepen meldete eine erfolgreiche Verbindung. Die Motorik-Anzeige stieg auf fünfzig Prozent. »Ich starte noch kurz die Diagnose.« Er tippte einen Befehl ein und auf dem Monitor begann sich eine Statusanzeige zu füllen.

»Und? Was hast du heute dabei?« Er kam zu mir und wischte sich die Finger an seinem dreckigen Taschentuch ab.

Genervt verdrehte ich die Augen. »Überraschung! Sandwiches. Schinken-Käse.«

Er kniff die Lippen zusammen und warf mir einen ärgerlichen Blick zu, doch ich hatte keine Lust, schon wieder über meine Kochkünste zu diskutieren.

Ich wandte mich dem Schneewittchensarg zu.

Diesen Namen hatte ich der Nano-Transformationseinheit verpasst, weil die gläserne Kammer mich an den Sarg aus dem Märchen erinnerte. Sie war dafür da, um neue Werbeclaims und Verhaltensweisen in die Androiden zu spielen oder ihr Aussehen zu verändern. Momentan ruhte ein männlicher Verkaufsandroide in dem Kasten. In der Mall arbeiteten im Verkauf ausschließlich humanoide Androiden. Nur die Putz-Robos waren funktionale Maschinen, mit Rädern, Klappen, Saugern und Bürsten.

Ich beugte mich über den gläsernen Deckel und beobachtete die Arbeit der Nanobots. »Ist das Diego? Aus dem Reisebüro?«

Dad hatte inzwischen die Lunchbox geöffnet und in eines der Sandwiches gebissen. »Hm«, nuschelte er und kam zu mir. »Aus Diego wird jetzt Sven. Der Reisetrend geht diese Saison Richtung Skandinavien. Da braucht das Reisebüro keinen südländischen Typen mehr.«

Nach und nach hellte sich Ex-Diegos Hautfarbe auf. Seine schwarzen Haare tönten sich in ein goldenes Blond und kleine Sommersprossen begannen, seine Nase zu sprenkeln.

»Das Grübchen, wenn er lächelt, das darf er behalten?«

Dad lachte. »Natürlich. Das Grübchen ist immer das schlagende Verkaufsargument bei den Damen.«

Mir war klar, dass viele Kunden mit den Androiden flirteten.

Völlig egal, ob es Frauen waren, die bei Diego eine Kreuzfahrt buchten, oder Männer, die sich in der Kosmetikabteilung von hübschen Androidinnen beraten ließen.

Aber Diego war eine emotionslose Maschine. Verkaufsandroiden spulten nur ein blödes Programm ab. Sie konnten keine eigenen Antworten geben. Mir war es schleierhaft, wieso Menschen diesen Maschinen so viel Sympathie entgegenbrachten. So wie mein Vater. Auch jetzt, als er die Veränderungen an der Silikonhaut kontrollierte, ruhte sein Blick fast liebevoll auf dem Gesicht der Maschine.

»Er ist nur Blech, Kabel und ein Computerchip.« Ich wandte mich von dem Sarg ab. »Es ist dämlich, so zu tun, als hätten diese Dinger Gefühle.«

Mein Vater setzte an, etwas zu erwidern, überlegte es sich jedoch anders. Bei diesem Thema waren wir grundverschiedener Ansicht. Er liebte seine Androiden und sprach oft von ihnen, als seien es seine Kollegen. Aus Fleisch und Blut.

Ich hingegen konnte sie nicht leiden. Maschinen, die von Menschen gestaltet waren, aber so taten, als ob sie Menschen wären. Das war sinnlos.

»Hat dir das Sandwich geschmeckt?«, wechselte ich das Thema.

»Ja klar. Schinken-Käse. Wie immer.«

Wie immer. Seine versteckte Kritik war nicht zu überhören. Vor dem Unfall hatte ich eine Leidenschaft für Experimente gehabt. Ausgefallene Geschmackskombinationen wie Schafskäse-Mango waren meine Spezialität. Doch nun … keine Extratouren mehr. Ich folgte nur noch den bewährten Rezepten. Mein Appetit auf Experimente, auf Umwege, Abkürzungen, Planänderungen, auf spontane Ideen war mir gründlich vergangen.

Er seufzte und nahm mich in den Arm. »Ach, Ellie. Manchmal muss man einfach –«

»Nein, muss man nicht.« Ich wand mich aus seiner Umarmung, ging zur leeren Lunchbox und steckte sie zurück in meinen Rucksack.

Spontaneität war tödlich.

Mom war immer spontan. Hatte stets neue Ideen. Folgte nie den ausgetretenen Pfaden. Und so hatte sie spontan beschlossen, einen anderen Weg zu nehmen.

Ganz spontan war sie gestorben.

Weil keiner von der Planänderung wusste und niemand eine Ahnung hatte, wo er nach uns suchen sollte. Noch nicht mal die schlaue KI des Wagens.

Mom war nicht den Wegweisern gefolgt. Sie hatte sich nicht an die Route gehalten.

Die Erinnerung an den Unfall schlug mir hart entgegen. Der Knall, das Kreischen des Metalls, der Schmerz, das Blut. Mom. Eine Handbreit zu weit von mir entfernt, um sie zu erreichen.

»Ellie.« Wieder zog mein Vater mich an sich heran. Und für einen Augenblick drückte ich mich an ihn, bis die Bilder verblasst waren. »Es tut mir leid«, flüsterte er.

»Nicht dein Fehler.«

Wie so oft fehlten ihm die Worte. Aber es gab keine Worte, die hätten helfen können.

3. ELLIE

Die leere Pappkiste knallte mit einem hohlen Klang vor meine Füße.

Letzte Runde, dachte ich und begann, die übrigen Habseligkeiten meiner Mutter aus dem Regal zu räumen.

Nachdem ich Dad mit seinen mechanischen Freunden allein gelassen hatte, war ich nach Hause gefahren. Mein Job war es, alles für Dads Plan vorzubereiten.

Er wollte Moms Zimmer vermieten und hatte bereits einen Zettel in unser Küchenfenster geklebt.

Emotionslos sah ich mich in Moms ehemaligem Zimmer um. Inzwischen wirkte der Raum, der ihr als Arbeitszimmer gedient hatte, seelenlos. Keine Spuren mehr von ihrer Anwesenheit. Von ihrem Leben. Alles verpackt, verschlossen, verräumt – verbannt. Nur noch ein paar Zeichnungen (die ich für sie gemalt hatte, als ich drei war), vertrocknete Blumen (die sie auf einem ihrer spontanen Ausflüge gepflückt hatte), mehrere Datenträger (unbeschriftet), ein abgegriffenes Buch und bunte Glasscherben (vom Meer geschliffen) warteten im Regalfach. Ordentlich puzzelte ich alles in die Kiste und blickte mich prüfend um, ob ich etwas vergessen hatte.

Der Schreibtisch, das schmale Sofa, das Mom hin und wieder als Bett gedient hatte, wenn Dad zu sehr schnarchte – nichts wies noch Spuren von ihr auf.

Nur auf dem Tischchen neben dem Schlafsofa hatte ich ein Foto übersehen. Es war ein holografischer Bilderrahmen.

Ich nahm ihn und hielt ihn am ausgestreckten Arm auf Distanz, um Mom anzusehen. Ihr bewegtes Bild lachte mich fröhlich an. Das Haar glänzte in der Sonne, Wind ließ das Kleid flattern.

Ich erinnerte mich an den Moment, als Dad das Bild aufgenommen hatte. Es war ein herrlicher Tag an der Küste gewesen.

Die spontanen Ideen sind oft die besten, Ellie. Folge einfach deinem Gefühl.

Für einen winzigen Augenblick zögerte ich, schloss die Augen, versuchte, mich an das Gefühl dieser Erinnerung zu erinnern, und vergrub schließlich das Holofoto tief in der Kiste.

Nun war das Zimmer nach fast zwei Jahren endlich von ihr befreit. Sollte es Dad doch vermieten. Mir war es egal. Sie kam nicht mehr heim und niemand von uns betrat den Raum. Wenn ihn ein Fremder nutzte, hatte er wenigstens wieder einen Sinn.

»Wann kommt Dad heim?«, fragte ich in die Leere des Hauses.

»Dan wird in zwei Stunden und sechsunddreißig Minuten nach Hause kommen«, antwortete die weiche, sympathische Stimme meines Persönlichen-Assistenz-Programms. Das PAP war nicht die neueste Version. Dad hatte zwar eine große Liebe zu Androiden, doch mit Dienstprogrammen hatte er nichts am Hut. Deshalb nutzte ich noch eine alte Version des Tools. Das PAP organisierte mein Leben. Termine, Einkaufslisten, Nachrichten und Infos – schlicht alles, was man so für den Alltag brauchte oder wissen wollte, erledigte es gewissenhaft. Es kommunizierte mit dem Haussystem, das für die Überwachung des Hauses, die Reinigung und Nachbestellungen der Vorräte zuständig war.

Zwei Stunden, bis Dad heimkam. Zeit genug. Ich schleppte die Kiste zu den anderen hinaus in die Garage. Ein uralter Anbau, den Dad vor einigen Jahren umgebaut hatte, damit sein e-Auto dort aufladen konnte. Inzwischen parkte sein Wagen jedoch davor, denn Moms Habseligkeiten stapelten sich in der Garage schon bis unter die Decke. Und das, obwohl Dad das meiste in die Erinnerungskammer gebracht hatte.

»Garagentor schließen«, befahl ich dem PAP, worauf sofort der Elektromotor lossurrte und das Rolltor sich wieder senkte.

Mein Pick-up stand an der Ladestation neben der Garage. Der Wagen war der einzige Farbklecks in meinem Leben. Selbst der Bungalow, in dem wir wohnten, war unscheinbar eierschalenblass gestrichen. Unwillkürlich glitt mein Blick zu den verdorrten Rosen, die Mom neben der Eingangstür gepflanzt hatte. Ich versuchte, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich mich nicht um ihre Lieblinge gekümmert hatte.

Nun waren sie ebenso tot wie Mom.

Ich fühlte nichts.

Der Unfall, der Tod von Mom, mein monatelanges Koma – all das hatte mich traumatisiert, sagten die Ärzte. Irgendwann, sagten sie, würde ich wieder lernen zu fühlen. Meine Verletzungen müssten erst heilen.

Mein Zuhause machte einen verwahrlosten Eindruck. Es war in einem ebenso desolaten Zustand wie ich. Und wie Dad. Der Unfall hatte uns alle geschrottet.

Die Halterung der Regenrinne hatte der letzte Sturm abgerissen, Unkraut überwucherte den Gehweg, Putz blätterte am Küchenfenster ab. Doch Dad sorgte sich mehr um seine Androiden und besuchte Mom in der Erinnerungskammer, als sich um das Haus zu kümmern.

Unser Leben hatte bessere Tage gesehen.

»Du hast eine Nachricht«, informierte mich das PAP.

»Lies vor.«

»Hey, Ellie. Lust auf gemeinsames Lernen? Chemie? – Maisy«

»Oh Shit.« Das hatte ich ganz vergessen. Nicht Maisy. Maisy war meine beste Freundin. Sie war immer gut gelaunt und lebensfroh. Wir hatten uns im Kunstkurs kennengelernt. Das war vor meinem Unfall. Es machte wirklich Spaß, mit ihr abzuhängen. Inzwischen war ich aber nicht mehr im Kunstkurs. Seitdem ich zurück war, hatte ich keinen Pinsel mehr angefasst. Aber mit Maisy traf ich mich noch immer, auch wenn sie es doof fand, dass ich nicht mehr in den Kurs ging.

Hatte ich heute den Nerv, Chemie zu lernen? Chemie mit Maisy? Ihre immerwährend gute Laune konnte ich jetzt nicht wirklich ertragen.

»Sorry, Maisy. Hab zu tun«, antwortete ich und das PAP sandte die Nachricht ab.

Müde betrat ich wieder das Haus und ließ die Tür geräuschvoll ins Schloss fallen.

»Willkommen, Ellie«, begrüßte mich das Haussystem über den Hauslautsprecher fröhlich.

Ich seufzte. Anscheinend war der Intervallsensor aus dem Takt. »Memo an Dan: Intervallkalibrierung des Anwesenheitsprotokolls checken«, wies ich das PAP an. Zwar war Dad Biokinetisch-Mechatronischer Mechaniker (oder weiß der Kuckuck, wie die korrekte Bezeichnung für sein Geschraube an Androiden hieß), aber ich fand, als Familienoberhaupt hatte er für die Updates und Wartung des Haussystems zu sorgen. Mit dieser Ansicht stand ich allerdings allein da.

»Ist notiert, Ellie«, bestätigte das PAP. Ich schlurfte den kurzen Flur entlang Richtung Wohnzimmer. An den Wänden hingen Zeichnungen von mir. Krakelige Bilder aus meiner Kindergartenzeit, üppige Blumensträuße, als ich von Mom einen Aquarellkasten bekommen hatte, abstrakte Landschaften sowie ein Porträt von Mom, das ich kurz vor dem Unfall gemalt hatte.

Rechts zweigte vom Flur die Küche ab, die sauber wie ein Operationssaal war. Käse-Schinken-Sandwiches machen nicht viel Dreck bei der Zubereitung.

Das Wohnzimmer lag wie immer in dunkelgrünem Schummerlicht, denn der Bungalow stand nah am Waldrand und es fiel kaum Tageslicht durch das breite Fenster.

Vermutlich hätte es unserem Leben gutgetan, wenn ich mit einem Staubwedel einmal über die Regale und das Sideboard gewischt hätte. Wir hatten zwar einen Staubsaug-Robo, aber einen Universal-Putz-Robo konnten wir uns nicht leisten.

Doch es nutzte sowieso niemand die Familienspiele, die im Sideboard lagerten, niemand brauchte mehr die Dutzende Wein- und Cocktail-Gläser, die hinter der Vitrinentür stumpf wurden.

Der altmodische Staubsaugroboter schlingerte an mir vorbei und schien dem abgetretenen Teppich noch das letzte Fädchen Farbe auszusaugen. Mit einem Sprung wich ich ihm aus und hopste über die Rückenlehne des Sofas auf die Sitzfläche. Wie alle Möbel bei uns war es von undefinierbarer grauer Farbe. Passend zu dem angeschlagenen Tischchen, das davorstand, den verblassten Vorhängen und dem Deckenventilator, der kaputt war und eigentlich mal messingfarben geglänzt hatte.

Ich meinte, mich zu erinnern, dass ich unser Wohnzimmer früher mit Begriffen wie kuschlige Filmabende und lustige Spielerunden in Verbindung gebracht hatte.

»Wie hat Mom es nur geschafft, dass es hier gemütlich aussieht«, murmelte ich und musterte die staubgraue Möbellandschaft, die aus Zeiten stammte, als man noch Plastiktastaturen benutzte.

»Bitte wiederhole die Frage«, meldete sich das PAP.

»Schon gut.« Ich zog das Hand-Device aus der Hosentasche.

»Ich helfe gerne weiter«, erwiderte es freundlich.

»Melde dich, wenn ich Dads Abendessen machen muss.«

»Gerne.«

Ich aktivierte das Display. Das Persönliche-Assistenz-Programm galt als die wichtigste Erfindung seit dem Internet. Und ganz ehrlich konnte ich mir nicht vorstellen, wie das Leben war, als man noch Bücher (die waren voll schwer!) zur Schule schleppen, per Hand Kalender und Notizen anlegen oder jeden Handgriff im Haushalt selbst erledigen musste.

Irgendwann hatte es auf Smartphones Assistenten gegeben. Man hatte ihnen Termine diktiert oder Nachrichten. Dann gab es Geräte, die die Häuser verwalteten, Zimmertemperaturen und Beleuchtung regelten, dem Bewohner Musik aussuchten, ihn in Kleidungsfragen berieten.

Wie einsam sich Menschen damals gefühlt haben mussten, wenn sie allein lebten. Kein Small Talk mit einem intelligenten Social Bot, der heutzutage in jedes PAP integriert war. Mit der Zeit wurden die PAPs immer besser in Gesprächsführung. Jetzt war das PAP das einzige Programm, das man benötigte. Es war Gedächtnis, Arzt, Freund, Shoppingassistent, Haushälter, Freizeitkoordinator, Animateur, Tagebuch …

Um nichts auf der Welt würde ich auf mein PAP verzichten – aber manchmal nervte es, wenn es zu fürsorglich eingestellt war. »Memo an mich: deine Einstellungen neu kalibrieren.«

»Wie du wünschst. Ich kann das auch selbst vornehmen.«

»Okay. Und –«

»Du hast eine Nachricht.«

Seufzend nuschelte ich: »Öffnen.«

»Vergiss Chemie. Lust auf Film? – Maisy«

»Antwort: Heute nicht. Vielleicht morgen.«

»Ist gesendet.«

»Okay. Stell Maisy auf stumm und aktiviere mein Spiel.«

»Natürlich, Ellie.«

Da bemerkte ich, wie Sibi maunzend um meine Beine schlich. »Oh. Guten Tag. Aufgewacht, Madame?« Ich beugte mich hinunter und hob meine Katze auf den Schoß. Mit einem wohligen Schnurren quittierte die grau getigerte Katze das Kraulen hinter den Ohren.

»Wieso hast du mir nicht beim Ausräumen geholfen?«

Wieder maunzte Sibi und schmiegte sich an mich. Lächelnd strich ich über ihr weiches Fell. »Du meinst, Dad findet sowieso keinen Mieter für das Zimmerchen?« Seufzend sah ich über die Schulter zu Moms Zimmer. Es lag direkt neben meinem. Dads Schlafzimmer befand sich auf der anderen Seite des Wohnzimmers. »Du hast recht. Wer will schon hier draußen in diesem runtergekommenen Loch wohnen? Bei uns total kaputten Leuten.«

Sibi maunzte klagend.

»Ganz deiner Meinung. Ist mir egal. Soll er machen. Ich hab aufgeräumt, damit ist die Sache für mich abgehakt. Und jetzt, jetzt gehe ich ’ne Runde zocken.« Ich wollte Sibi neben mich aufs Sofa setzen, doch als ich sie hochhob, bemerkte ich, wie kraftlos sie war. Wie ein nasses Handtuch hing sie in meiner Hand.

»Oh nein. Akku schon wieder schwach?« Ich wuschelte durch ihr Fell. »Du wirst alt, meine Liebe. Hab ich dich nicht erst gestern geladen?«

Mom und Dad hatten mir Sibi zum sechsten Geburtstag geschenkt. Da beide lange arbeiten mussten, war ich immer allein, wenn ich von der Schule nach Hause kam. Also sollte Sibi mir Gesellschaft leisten. Ich wusste, dass Mom eigentlich eine echte Katze wollte, doch Dad war dagegen gewesen. Zu viel Risiko. Tierarzt, Rechnungen, zerkratzte Möbel, Futter … Und damals arbeitete er ja noch bei MoveOn und bekam Rabatte auf Androiden aller Art. Auch auf das neuste RoboCat-Modell. Inzwischen war der Akku im Eimer und das Fell an den Ohren abgeschabt. Sibi hätte eine Generalüberholung gutgetan, aber das war zu teuer.

Ich trug sie zum Sideboard, auf dem ihre Ladeplattform stand. Eine der wenigen Stellen im Raum, die nicht mit Staub bedeckt war.

Sibi glitt von meinem Arm auf die Plattform, wo sie sich sogleich zusammenrollte und die Augen schloss. Eine holografische Akkuanzeige ploppte neben ihrem Kopf auf und zeigte den Ladevorgang an. Tatsächlich war die Energie fast auf null gefallen.

»Memo an Dan: neuer Akku für Sibi.«

»Ist notiert.«

Ich hüpfte zurück auf das Sofa und schnappte mir mein PAP-Device.

»Login: Ada«, sagte ich.

4. ELLIE

Vor mir krisselte es in der Luft und der 21 : 9-Holomonitor zappte auf. Ich hatte dieses Adventure-Game in den letzten Wochen täglich gespielt, sodass sich die wilde Landschaft mit den mittelalterlich anmutenden Städtchen wie Heimkommen für mich anfühlte. Dramatische Musik begleitete das Intro von Wisdom of the Dwarf, während die Kamera über Berge und dichte Wälder flog, eine Stadtmauer streifte und in eine steinerne Stadt tauchte. Rasant sauste die Kamera durch die Gassen, hinein in ein mächtiges, mit Fahnen geschmücktes Gebäude: das Gasthaus, in dem alle Abenteurer starteten.

Nervös rieb ich mir meine schwitzigen Hände an der Jeans trocken. Ob er schon da war?

Mit ein paar Klicks auf dem Hand-Device, das als Kontroller fungierte, aktivierte ich mein Inventar. Ich brauchte gar nicht mehr hinzusehen. Meine Daumen wussten von selbst, wohin sie tippen mussten. Ein kurzer Check meiner Ausrüstung: Alles da, was ich benötigte. Seil, Messer, Dietriche, Spiegel, etwas Essen, Trinkflasche. Ein paar mehr Münzen wären gut. Darin unterschied sich mein Alter Ego nicht von mir. Geld war immer knapp. Das war aber auch unsere einzige Gemeinsamkeit.

Im Gegensatz zu mir war mein Avatar eine hochgewachsene, extrem schlanke Frau. Sie trug Männersachen, eine Lederhose, ein altmodisches dunkelblaues Hemd mit üppigen Rüschen an den Ärmeln. Ihre schwarzen Haare waren raspelkurz. Ich hatte ihre Fähigkeiten in Taschendiebstahl, Schlösserknacken und Balancieren auf Maximum entwickelt. Mit dem Degen konnte sie ganz passabel umgehen, der Bogen lag ihr mehr. Am meisten liebte ich jedoch an ihr, dass sie unabhängig war. Mit ihr konnte ich gehen, wohin ich wollte. Und sie war schlagfertig und witzig. Etwas, das mir in meiner echten Welt nie gelang.

Zumindest nicht mehr.

Seit dem Unfall fühlte ich mich nur noch wie ein Schatten. Ich lachte selten und es fiel mir schwer, eine lockere Zeit zu haben. Das hatte mich einige Freundschaften gekostet. Nur Maisy war noch da und versuchte jeden Tag, mich zum Lachen zu bringen.

Ich hatte meine Mom verloren. Und fast mein eigenes Leben. Und jeder wusste es. Ganz treffend hatten sie mir einen Spitznamen verpasst: Koma-Ellie.

Jedoch nicht hier in dieser Welt.

Hier war ich Ada. Und niemand vermutete Koma-Ellie dahinter.

Gelangweilt lehnte die Figur meines Avatars an einer hölzernen Säule im Schankraum des Gasthauses und spielte mit dem Griff des Degens, den sie umgegürtet trug.

»Hallo Ada«, begrüßte ich sie. »Sind die anderen schon da?«

Flink ließ ich eine Anzeige aufploppen, die den Status meiner Gefährten anzeigte: Ritter Percy und Drumble.

»Sieh an, ihr seid schon da. Und …« Ungläubig las ich ihre Position. »… ihr steht vor der Geheimkammer von RedBone?«

Ärgerlich nutzte ich die Option zu Gruppe teleportieren und schon stand Ada in einem steinernen Gang, der von Fackeln erhellt wurde.

»Das war eine dumme Idee.« Ein Chatfenster ploppte in der rechten Ecke des Holomonitors auf. Es kam von Drumble.

»Für dich ist doch immer alles eine dumme Idee«, erschien die Antwort von Ritter Percy.

»Spielerchat an«, befahl ich meinem PAP. Sogleich blinkte eine leere Sprechblase unter den Worten meiner Freunde. »Was treibt ihr hier, Jungs?«, fragte ich und meine Worte wurden fehlerlos in die Blase geschrieben.

Ich lenkte Ada um eine Ecke des Gangs und da standen die beiden Avatare. Fackeln warfen ein unheimliches Licht auf eine massive Holztür. Jemand hatte einige Fässer daneben abgestellt. Auf einem davon hatte es sich Drumble gemütlich gemacht. Der Heiler trug ein langes Gewand, das aus mehreren Schichten hellen Stoffs bestand. An seinem Gürtel baumelten Säcklein und Trinkschläuche. Seinen Kampfstab nutzte er als Stütze, um nicht vom Fass zu rutschen.

Unwillkürlich huschte ein Lächeln über meine Lippen, als mein Blick auf Parker fiel. Während Ada ganz anders als ich war, hatte Parker seinen Ritter Percy so gestaltet, dass er ihm ziemlich ähnlich sah. Die dunklen Haare, die ihm in die Stirn fielen, die hellgrauen Augen, die sportliche Figur. Ritter Percy war in ein leichtes, schmuckloses Wams gekleidet, das Langschwert in einer ebenso einfachen Scheide an der Seite. Nur der halblange blaue Mantel und der Siegelring an seiner linken Hand gaben einen Hinweis auf die adlige Abstammung dieses Charakters.

Parkers Wahl, einen edlen Rittersmann zu spielen, lag auf der Hand, jedenfalls in meinen Augen. Parker war auch in Wirklichkeit ein Ritter: hilfsbereit, mitfühlend, stark, gerecht, süß und furchtbar gut aussehend.

Maisy hatte mich, kaum dass ich wieder an der Schule war, mit der Suche nach einem Freund genervt. (Sie selbst war in Jeff verschossen.) Daher hatte ich eine Liste erstellt, in der ich meine Wunsch-Eigenschaften für einen Freund genau aufgelistet hatte. Und dann verglich ich Parker, den ich schon in der vierten Kasse süß gefunden hatte, mit anderen Jungs aus der Schule durch ein Punktesystem. Das Ergebnis war klar: Parker war mein Held.

»Hey, Ada. Wir haben auf dich gewartet …« Mit einer einladenden Geste zeigte Ritter Percy auf das übertrieben dicke Vorhängeschloss an der Tür.

»Ihr habt allen Ernstes vor, RedBone auszurauben? RedBone, den berüchtigtsten Verbrecher dieser Welt?« Das sah den beiden gar nicht ähnlich. Bisher hatten wir keinen Kampf provoziert. Wir hatten uns noch nicht mal am Mainquest beteiligt. Unsere Spezialität war das Auskundschaften, die kleinen Aufgaben, die man von den einfachen Leuten bekam. Meine Ada war nicht umsonst eine Diebin, die sich hervorragend auf Schleichen und Verbergen verstand. Auch Heiler Drumble lag nichts an großen Schlachten, genauso wenig wie dem edlen Ritter Percy.

Warum nun also eine der brutalsten Figuren des Spiels herausfordern?

Ich ließ Ada auf Drumble zutreten. Im wahren Leben hieß er Henry Young, war schnellster Fullback des Schulteams und außerdem bester Freund von Parker Penncott seit Anbeginn der Zeiten. Sein Handicap: soziale und emotionale Intelligenz mangelhaft. Deshalb bezweifelte ich, dass diese geniale Idee, eine der gefährlichsten Gestalten in Wisdom of the Dwarf auszunehmen, von ihm stammte.

»Uns wurde ein Gerücht zugetragen, dass RedBone hier eine junge Lady gefangen hält«, erklärte Ritter Percy.

Ada wandte sich Ritter Percy zu. »Oh.« Ich biss mir auf die Lippen. Eine Lady? »Ist sie Teil einer Quest?« Dann wäre sie zumindest nur ein Non-Player-Charakter und keine Spielerin, die sich in unser Team drängen konnte.

Drumble grinste. »Keine Sorge, Lady Ada. Das Herz Ihres Ritters wird sie nicht stehlen können. Es ist ganz das Eure.« Sowohl Ritter Percy als auch Ada verpassten Drumble einen Hieb und er tat so, als fiele er fast vom Fass.

»Wir sind kein Paar.« Ada kniete sich vor die Tür, um das Schloss in Augenschein zu nehmen. Ich hasste diese Frotzeleien, die Henry seit einiger Zeit immer und immer wieder von sich gab. Ich wusste, dass Parker mich mochte. Das heißt: Er mochte Ada. Er mochte das Draufgängerische an ihr, ihre Schlagfertigkeit, ihre Kreativität. Keine dieser Eigenschaften besaß ich in Wirklichkeit. Nur im Spiel war ich mutig, clever, witzig.

»Wie auch! Ada verrät mir ja nicht, wer sie ist!« Fast war mir, als hörte ich den beleidigten Unterton aus Ritter Percys Zeilen heraus.

In Wirklichkeit kannten wir uns schon seit einer Ewigkeit. Aber er hatte mir vor dem Unfall nicht wirklich Beachtung geschenkt und ich mich nie getraut, ihn um ein Date zu bitten. Und jetzt war er zwar laut Punktestand mein TraumFreund. Doch ich wagte wieder nicht, ihn um ein Date zu bitten. Denn alle in der Schule – auch Parker – sahen mich seit meiner Rückkehr anders an. Die Blackouts, die ich in den ersten Wochen immer wieder hatte, machten es außerdem nicht besser. Angst und Betroffenheit stand in ihren Gesichtern und keiner wollte was mit mir zu tun haben. (Außer Maisy. Die anscheinend fest überzeugt war, dass ich von den Engeln zurückgeschickt worden war und deshalb ein ganz wunderbarer Mensch sein musste.)

»Lass mich. Ich befreie jetzt deine Lady!« Ich richtete Ada auf das massive Schloss aus.

»Warum sagst du mir nicht endlich, wer du bist?« Ritter Percy blieb dicht neben mir.

Weil ich Koma-Ellie bin und ich befürchte, dass du mich nicht willst. »Ich bin Ada. Meisterdiebin.«

»Nun komm schon. Ich weiß, dass du uns kennst. Du bist sicher auch auf der Buckley. Sind wir in einem Kurs zusammen?«

Das Schloss hatte wirklich einen hohen Widerstandswert. Mein erster Dietrich war verbraucht. Aus dem Inventar holte ich einen zweiten und ignorierte Parkers Worte, die eine Ecke des Monitors füllten.

»Bist du im Debattierclub? Was ist mit –« Die Zeile brach ab.

»Pscht!« Ich konzentrierte mich auf Ada. Inzwischen hatte mich der Ehrgeiz gepackt. Dieses Schloss musste doch zu knacken sein! »Hat einer von euch es eigentlich auf Zauber gecheckt?« Der fieseste Fiesling des Spiels hatte sicherlich magische Fallen an seinen Schlössern.

»Drumble hat –«, begann Percy.

»Ich? Seit wann denke ich an so was?«

»Ihr habt nicht …« Weiter kam ich nicht. »Deckung!« Percy und Ada hechteten hinter die Fässer, es gab einen Knall und etwas explodierte.

»Alle heile?«, fragte ich besorgt.

»Jepp. Ich hab nur die Farbe gewechselt«, jammerte Drumble.

Ich blickte mit Ada hinter dem Fass hervor und lachte. Tatsächlich war der Heiler zu langsam gewesen und die Explosion hatte ihn volle Breitseite erwischt.