WhiteMaze - June Perry - E-Book

WhiteMaze E-Book

June Perry

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Beschreibung

Die Welt, wie wir sie kennen, ist in Gefahr … Im Game White Maze verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Spiel … Vivian führt als Tochter der global führenden Spieleentwicklerin für AR-Games ein luxuriöses und sorgenfreies Leben. Doch dann wird ihre Mutter kurz vor dem weltweiten Release ihres bahnbrechenden Spiels White Maze ermordet. Wer steckt hinter der Tat? Und warum zerstörte Vivians Mutter kurz vor ihrem Tod die Prototypen der neuen AR-Linsen, die man zum Spielen braucht? Wieso hinterließ sie einen sicheren Laptop mit geheimen Nachrichten für ihre Tochter? Als Vivian herausfindet, wer ihre Mutter ermordete und was der Killer vorhat, bleibt ihr nur ein Weg: Sie muss tief in die virtuelle Welt von White Maze eindringen und ein tödliches Spiel gegen den Mörder wagen. Nur so kann sie unsere Welt retten … White Maze wurde mit dem Hansjörg-Martin Preis 2019 und dem Jugendliteratur Preis des Landes Rheinland-Pfalz, der Goldenen Leslie 2019 ausgezeichnet.

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WHITE MAZE

 

 

 

Von June Perry

 

 

 

 

 

 

– Digitale Originalausgabe –

 

Überarbeitete Ausgabe

– 2024 –

Im Original unter dem Titel „White Maze – Du bist längst mittendrin“

2018 im Arena Verlag erschienen.

 

1. Auflage

Copyright © 2017 – 2024 by Marion Meister

 

v1.20240823

 

 

Umschlaggestaltung von Marion Meister

 

Impressum

StoryTown – Derek Meister & Marion Meister GbR

C/O COCENTER

Koppoldstr.1

86551 Aichach

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wir freuen uns immer über Feedback

[email protected]

 

Marion Meister – www.marionmeister.info Derek Meister – www.derekmeister.com

 

// Über das Buch

 

Die Welt, wie wir sie kennen, ist in Gefahr …

Im Game White Maze verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Spiel …

 

Kurz vor dem Release des bahnbrechenden, neuen AR-Games White Maze wird Vivians Mutter ermordet.

Gemeinsam mit Tom, einem Hacker aus ihrer Schule, knackt Vivian den Laptop ihrer Mom. Schnell wird ihr klar: Ihre Mutter ist nicht das einzige Opfer. Jemand namens Prepender hat die neuen Smart-Linsen für das AR Game White Maze manipuliert.

Als Viv und Tom begreifen, welche Gefahr von Prepender ausgeht, bleibt Viv nur ein Weg, um die Welt vor ihm zu retten: Sie muss sich ins White Maze Einloggen und ein tödliches Spiel gegen den Mörder ihrer Mutter wagen …

 

 

White Maze wurde mit dem Hansjörg-Martin Preis 2019 und dem Jugendliteratur Preis des Landes Rheinland-Pfalz 2019, der Goldenen Leslie, ausgezeichnet.

 

 

 

 

// Die Autorin

 

Alles ist möglich, war bereits in Jugendjahren June Perrys Wahlspruch. Die ersten AR-Spiele hat sich June auf den Reisen durch uralte Ruinen in Schottland und Frankreich selbst erdacht und sich oft in ihren Spielen verloren. Später entdeckte sie Pen&Paper-Rollenspiele sowie Adventure-Games für sich.

June Perry liebt es, in andere Charaktere zu schlüpfen, und so ist es nicht verwunderlich, dass sie unter dem Namen Marion Meister, ein ganz reales Leben mit Mann und Kindern führt.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt. Die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Inhaltsverzeichnis

 

// Prolog

1 // Vivian

2 // Vivian

3 // Milo

4 // Vivian

5 // Sofia

6 // Vivian

7 // Prepender

8 // Vivian

9 // Milo

10 // Vivian

11 // Milo

12 // Vivian

13 // Vivian

14 // Vivian

15 // Tom

16 // Vivian

17 // Vivian

18 // Vivian

19 // Vivian

20 // Vivian

21 // Vivian

22 // Boot

23 // Vivian

24 // Prepender

25 // Vivian

26 // Vivian

27 // Vivian

28 // Prepender

29 // Vivian

30 // Boot

31 // Vivian

32 // Vivian

33 // Boot

34 // Tom

35 // Vivian

36 // Vivian

37 // Vivian

38 // Vivian

39 // Prepender

40 // Vivian

41 // Vivian

42 // Prepender

43 // Vivian

44 // Boot

45 // Vivian

46 // Tom

47 // Vivian

48 // Vivian

49 // Vivian

50 // Tom

51 // Vivian

52 // Vivian

53 // Tom

54 // Vivian

55 // Vivian

56 // Vivian

57 // Vivian

58 // Vivian

// Danksagung

 

 

 

 

 

 

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Theodor W. Adorno in Minima Moralia

 

// Prolog

Wer bin ich?

Vermutlich stellt sich jeder irgendwann in seinem Leben diese Frage. Besonders, wenn man sechzehn Jahre alt ist, ist das die Kernfrage, um die sich alles dreht. Die Freunde, mit denen du abhängst, die Klamotten, die du trägst, die Dinge, die du cool findest, – all das definiert dich.

Also ist auf den ersten Blick die Frage ganz leicht zu beantworten:

Ich bin Vivian.

Ich bin sechzehn.

Ich hab zwei beste Freundinnen.

Ich bin in der Schule durchschnittlich.

Aber ist das alles?

Was macht mich wirklich aus?

Wer bin ich?

Ich hatte sehr viel Zeit, über diese Frage nachzudenken. Ob ich die Antwort gefunden habe?

Lasst uns von vorne anfangen.

Der Sommer war da, makellos blauer Himmel, glühende Sonne. Der Pool auf unserer Terrasse, mit Blick auf die pulsierende Stadt, war wie immer erfrischend. (Vermutlich streichen sie deshalb Pools in diesem eisigen Hellblau. Damit er kühl aussieht, obwohl das Wasser eigentlich warm ist.) Nach der Schule tauchte ich jeden Tag in das glitzernde Blau, bevor ich mich für Downtown schick machte.

Was fühlst du, wenn du ins Wasser gleitest?

Die Kühle der Farbe oder die echte Wassertemperatur?

Ich hab da nie drüber nachgedacht.

Was ist real? Was ich sehe? Was ich fühle? Was ich denke?

Doch ich wollte die Geschichte vorne beginnen.

Also: Mein Name ist Vivian Tallert, und ich schätze, ich hab jede Menge Glück gehabt mit dem Wie und Wo meines Lebens.

Zum Beispiel mit meinem Aussehen. Groß genug, um gesehen zu werden, und einen guten Stoffwechsel, der mit Bikinis keine Probleme hat. Hellbraune Haare, die etwas langweilig aussehen, aber dafür machen meine großen braunen Augen umso mehr her. Für alles andere habe ich ein ziemlich geräumiges Badezimmer mit jeder Menge Kram.

Überhaupt brauchte ich mir, um nichts Sorgen zu machen.

Mein Leben war ein Traum: Wir wohnten in einem coolen Haus in der Villengegend von Pacific Palisades. Mom hatte mir einen Kreditkartenzugang gegeben und fragte nie, wo ich war oder wo ich hinwollte. Wäre die Schule nicht gewesen, hätte ich wohl den ganzen Tag am Strand oder in den Clubs abgehangen. So traf ich meine BFFs Sara und Kelly eben zuerst in der Schule und dann am Strand. Und wenn wir mal nicht zusammen waren, texteten wir uns ununterbrochen. Unsere Welt drehte sich um Klamotten und Jungs – natürlich. (Da gab’s einen an der Schule, Ruven, der war cool und ich war ein bisschen verknallt. Aber er hat Mist gebaut und ich hab ’ne Woche lang geheult und Schokoeis gefuttert.)

Schule war okay. Mathe und Sport habe ich gehasst, aber wer tut das nicht? Ansonsten blieb ich unauffällig und hatte deswegen keinen Ärger mit den Lehrern.

Vielleicht hätte ich einen auf Homecoming-Queen machen können – ihr wisst schon, die Wahl zum beliebtesten Mädchen der Schule –, aber ich wollte keinen Fanclub. Mir reichten meine Mädels, und ich hielt mich aus allen Verbindungen und Wettbewerben raus.

Nur die Nerds wussten vielleicht, wer ich war. (Jetzt denkt bloß nicht, ich sei selbst einer gewesen. Nein. Ich war immer ON – aber kein Nerd!) Sie kannten meinen Namen, weil sie meine Mom vergötterten: Sofia Tallert, die unangefochtene Königin der AR-Spiele.

Meine Mom hat die genialsten Games entwickelt, die weltweit auf der Straße gespielt werden. Acht der Top-Ten-Spiele sind ihr Werk. Und von ihr habe ich immer die neusten Linsen bekommen, und zwar noch bevor sie im Handel waren. Aber das hängte ich nicht an die große Glocke. Ich wollte keine Follower in der Schule oder falsche Freunde, die nur auf die Games und Linsen scharf waren und mir deswegen Honig ums Maul schmierten.

In der Schule waren nur AR-Brillen bis zur Version 3.8 zugelassen, doch die waren schon lange out. Brillen! Wer benutzt heute noch eine Brille? Seit fast drei Jahren waren Datenlinsen angesagt. Natürlich gab es dadurch regelmäßig Ärger, weil die Lehrer komplett die Kontrolle verloren, wer die Antwort aus dem Netz abschrieb oder aber tatsächlich gelernt hatte.

Keine Ahnung, wie oft ich im Unterricht mit den AR-Linsen online war, ohne dass ein Lehrer es gemerkt hat. Sehr oft vermutlich. Allerdings war ich immer vorsichtig, hielt mich mit den Schummeleien im guten Mittelfeld. Wirklich. Zu viele Einsen hätten mich nur auffliegen lassen. Besonders in Mathe.

Mit einem winzigen Fingerzeig blendete sich die Antwort in mein Sichtfeld ein. Zu jedem Typen hatte ich sofort sein Social-Media-Profil parat und konnte seinen Status checken. Sara, Kelly und ich, wir liebten unsere Linsen. Alle coolen Kids hatten sie. Und wenn wir blaumachten, trafen wir uns unten bei Gomez im A-Frame. Dann loggten wir uns mit den Linsen in Wisdom of the Dwarf ein (ja, auch so ein Renner von Mom) und jagten durch die City.

Kaum hatten wir WOD betreten, wurde die reale Welt, in der wir uns bewegten, von den Bildern des Spiels überlagert. Es war einfach so cool, durch den Stadtpark zu cruisen und dabei Goldschätze zu finden oder hinter den Piers für die Frachtcontainer einen Gnom zu versteinern. Die Linsen waren so gut, dass man jedes Mal vergaß, eine Illusion zu sehen, die die Realität überlagerte. Man vergaß, dass man sich in der Augmented Reality bewegte, der erweiterten Realität.

Und wenn ich mal genug von allem hatte, setzte ich mich ins Paralellum ab, meinem Lieblings-VR-Café mit unglaublich vielen Szenarien. Dort chillte ich dann in der virtuellen Realität am Strand von Hawaii, trank auf der Zugspitze Kakao oder frühstückte unter dem Eiffelturm. In der VR und AR ist alles möglich.

Mein Leben war wirklich easy. Wie eines von Moms Spielen.

Es war ohne Konsequenz.

Bis zu dem Tag, als Mom meine Welt mit 900 Watt in Rauch aufgehen ließ.

Jemand hatte ENTER gedrückt.

1 // Vivian

Es ist Freitagvormittag und strahlender Sonnenschein. Wir haben Mr Mirkens und seinen Ethikunterricht sausen lassen und uns stattdessen ins A-Frame abgesetzt. Es wäre eine Sünde gewesen, es nicht zu tun. Denn das schicke Eiscafé liegt direkt an der Strandpromenade und wir können die Surfer bei ihren Party Waves anhimmeln und dabei einen Milchshake schlürfen. Absolut genial.

»Schau mal.« Kelly streckt ihr Bein vor, damit wir ihre neuen Riemchensandalen bewundern können. Sie sind kirschrot und sehen wirklich sexy aus.

»Cool«, geben Sara und ich zurück. Gleichzeitig lasse ich die Shopping-App in meinen Datenlinsen laufen und weiß eine Sekunde später, dass es die Sandalen bei Sousies im Sonderangebot gibt. Kelly ist eine absolute Schnäppchenjägerin. Wo immer ein Designer im Outlet auftaucht, ist sie zur Stelle. Manchmal glaube ich, sie hat fünf Apps parallel laufen, um nichts zu verpassen.

»Ja, find ich auch.« Kelly bewundert selig ihren Fuß. »Ein echtes Schnäppchen. Ich dachte, ich zieh sie heute Abend zu dem roten Trägerkleid an.« Rot ist ihre Farbe. Mit ihren Goldlocken verdreht sie so den Jungs reihenweise den Kopf.

»Zu Leons Party?« Sara löffelt ihren Erdbeershake aus. »Ich glaub, der hat ’nen Pool.« An der Bewegung ihrer Hand erkenne ich, dass sie kurz auf Maps nachsieht, ob das Haus wirklich einen hat.

Wir tragen alle drei die aktuellste Version der Vision-Lens, momentan die besten AR-Linsen auf dem Markt. Wie immer hat meine Mom sie uns spendiert. Allerdings hatte sie dabei ein ziemlich ernstes Gesicht gemacht. »Das ist das letzte Mal, dass ich dir und deinen Freundinnen Linsen mitbringe«, hatte sie gesagt. Ich hatte schon Luft geholt, um sie anzumotzen, wie unfair ich das von ihr fand. (Sie weiß, sie hat mich so verwöhnt, dass ich bei einem Nein sofort auf hundertachtzig gehe.) Aber schließlich hatte Mom gegrinst und geflüstert, dass es die letzten Vision-Lens sind, weil sie nächsten Monat die Lucent-Linsen zum Testen bekäme.

Lucent-Linsen! Die Dinger werden unglaublich!

Ich habe schon Werbung dafür gesehen. Die Lucent-Linsen von Mainhead (das ist die Firma, für die Mom all die genialen Spiele entwickelt) werden noch schneller sein und die Darstellung der AR absolut realistisch. Realität und erweiterte Realität sind damit kaum noch zu unterscheiden. Mom hat mir das bestätigt: Die Lucent-Linsen bieten zum ersten Mal realistische Wahrnehmung aller Sinne. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. Das ist doch der Wahnsinn, oder? Wie lange ich diesen Linsen entgegengefiebert habe und auch dem Spiel, das Mom dafür entwickelt hat. Beides wird gleichzeitig auf den Markt kommen und sicher einschlagen wie eine Bombe.

Und heute Morgen war es so weit: Die Lucent-Linsen lagen auf dem Küchentresen. Drei Päckchen mit rosa Schleifchen. (Manchmal hat Mom was Niedliches an sich.) Kelly und Sara bemerken mein verträumtes Schmunzeln zum Glück nicht, weil sie gerade einen Surfer fest im Blick haben, der mit seinem Board aus dem Wasser steigt. (Sagte ich schon, dass wir dieses Eiscafé lieben?)

Obwohl ich in letzter Zeit oft sauer auf Mom bin, hätte ich sie küssen können. Aber sie war bereits auf dem Weg in ihr Büro bei Mainhead. Sie tüftelt noch am Game für die Linsen und ist deshalb kaum noch zu Hause. Und wenn, dann schließt sie sich in ihr Homeoffice ein. Kein Zutritt für mich. Nicht mal Anklopfen ist gestattet.

An solchen Tagen gibt’s für mich einsames Mikrowellenessen oder ich hau ab zu Sara und Kelly. Die beiden sind meine eigentliche Familie.

Mein Vater ist schon lange weg. Irgendwo in der Welt wird er wohl sein. Er meldet sich nicht bei uns. Ich habe ihn nie besonders interessiert und inzwischen ist er mir auch egal. Keine Ahnung, was zwischen ihm und Mom vorgefallen ist. Vielleicht war ich das Problem? Aber was soll’s! Ich bin über den Punkt hinweg, an dem ich ihn mir zurückgewünscht habe, Mom und ich kommen sehr gut ohne ihn klar.

Jedenfalls habe ich Sara und Kelly noch nichts von den drei Päckchen erzählt, die in meiner Tasche stecken. Der Release der Lucent-Linsen ist für nächste Woche angekündigt. Die Aufregung unter den Usern ist groß, alle gieren danach, obwohl die Teile ganz schön teuer sind. Vermutlich gibt es wieder Zeltlager vor den Läden.

Ich grinse weiter in mich hinein, weil ich mir vorstelle, wie ich sie Sara und Kelly überreiche. Die zwei werden Augen machen! Heute Abend vor der Party gebe ich sie ihnen. Die werden ausrasten!

»Jepp. Pool. Sag ich doch.« Sara wischt die Maps-Info aus ihrem Blickfeld. »Also Bikini unters Kleid.« Mit zufriedenem Lächeln schiebt sie den leeren Becher von sich und ich ertappe mich dabei, wie ich mich frage, wohin Sara eigentlich all den Süßkram steckt, den sie täglich so wegfuttert. In die Kleidergröße S passt das Zeug definitiv nicht.

Mein Kleid für heute Abend hängt am Spiegel, frisch aus der Reinigung. Es ist türkis, geht knapp übers Knie, ist über und über mit Pailletten bestickt und hat einen Glockenrock. Ich liebe es. Der Stoff ist so weich und die Farbe sieht zu meiner gebräunten Haut einfach umwerfend aus.

Und umwerfend ist die Losung des Abends! Schließlich geht das Gerücht um, dass Lenny auftauchen wird. Er hat eine Rockband und ihr Videokanal ist in meinem Abo. Ich bin fast immer die Erste, die einem neuen Video der Punkwaves, wie sie ihre Band nennen, einen Like verpasst. Zugegeben, der Bandname ist echt daneben, denn weder ist es Punk noch sind die Jungs Surfer, aber Lenny ist wirklich süß. Seine blonden Haare sehen jeden Tag aus, als wäre er gerade aus dem Bett gekrochen, und er hat so ein niedliches Lächeln mit ’nem Grübchen. Leider teilt die Hälfte der Mädels an der Schule meine Meinung in Sachen Lenny. Und da ich nicht zu dieser aufdringlichen Cheerleadersorte gehöre, hat Lenny mich noch nicht so richtig auf dem Schirm. Aber wozu gibt’s Partys? Deshalb liegt auch schon seit gestern Abend alles bereit: Kleid, Schuhe und Accessoires. Wenn ich damit nicht auffalle! Obwohl Lenny brav mein Follow mit einem Gegen-Follow quittierte, hat er keine Ahnung, wer ich bin. In der Schule hat er mich jedenfalls noch nie gegrüßt.

Heute Abend werde ich das ändern.

Da bemerke ich, wie Sara und Kelly mich angrinsen.

»Was denn?«, frage ich ertappt.

»Schon gut. Dazu brauchen wir keine Vision-Lens. « Lachend tut Kelly so, als würde sie irgendeine Gedankenmagie zaubern, und wedelt mit den Händen vor meinem Gesicht herum wie diese Zaubertrickser auf den Videokanälen. »Wir können deine Gedanken lesen.«

Lachend schlage ich ihre Hand weg. »Ey, lass das!«

»Zu spät!« Sie schließt die Augen und ruft in einem albernen Singsang: »Lenny! Oh Lenny! Viv kann nur noch an dich denken!«

Sara kichert und ich merke, dass ich rot werde. »Ach, kommt schon, ich hab auch nicht gelacht, als du auf diesen – wie hieß der gleich? – abgefahren bist.« Vorwurfsvoll sehe ich Kelly an.

Sie zieht eine Schnute. »Okay. Da war ich aber krank. Deshalb zählt das nicht. Ich hatte Fieber.«

»Liebesfieber!«, giggelt Sara.

»Egal, Mädels.« Kelly steht auf. »Heute Abend wird super! Bis wir uns in Schale schmeißen müssen, bin ich extrem dafür, dass wir noch eine Runde WOD spielen!«

»Ja«, springt Sara ein. »Vielleicht hat jemand den Goldtopf gefunden, aus dem 33. Quest?«

WOD – Wisdom of the Dwarf – kann man überall spielen, an ganz normalen, öffentlichen Orten wie dem Pier oder dem Musikpavillon. In der ganzen Stadt findet man Aufgaben und versteckte Hinweise und Schätze und immer wieder trifft man andere Spieler, kann sich verbünden oder sie austricksen, um selbst den Schatz zu bekommen. Letzte Woche haben wir die magische Schriftrolle des 32. Quests gefunden.

Ich schiele auf die Uhr, die in mein Sichtfeld eingeblendet ist.

»Okay. Aber nur ’ne Stunde. Dann muss ich los.«

»Ohhh, aaaaah! Leeeeenny!«, trällert Kelly und knufft mich neckend in die Seite.

Ich grinse. Yes. Heute Abend würde Lenny endlich mitkriegen, wer Vivian Tallert ist.

2 // Vivian

Noch immer hat niemand das 33. Quest gelöst. Wir natürlich auch nicht, dafür war dann doch nicht genug Zeit. Deshalb haben wir nur ein wenig am WOD-Portal im Park abgehangen und uns schließlich einer Gruppe Jungs angeschlossen, die die 27. Aufgabe lösen wollten. Ich dachte, wir könnten super bei ihnen punkten, weil wir dieses Quest schon vor Wochen gelöst haben. Aber falsch gedacht! Moms Game-Engine ist so gut programmiert, dass sie uns einfach Hinweise für andere Orte und Rätsel gegeben hat und wir reichlich dämlich dastanden. (Danke Mom.)

Also haben wir uns abgesetzt und sind nach Hause, um uns für den Abend fertig zu machen. Es ist unsere erste Party bei Leon – seine Partys sind legendär. Er ist einen Jahrgang über uns und seine Eltern grundsätzlich nicht zu Hause, wenn er einlädt. Letztes Jahr haben sie uns »Küken«, wie sie uns abschätzig genannt haben, nicht reingelassen.

Doch dank 75B sieht das inzwischen etwas anders aus.

Als ich zu Hause ankomme, steht Moms Wagen vor der Tür. Ungewöhnlich. Normalerweise arbeitet sie bis spät in den Abend. Gerade jetzt, vor dem Release, ist sie total gestresst und kommt sogar meist erst nachts heim. Irgendwie scheint es je des Mal, bevor ein neues Spiel online geht, Probleme zu geben. Ich mach dann immer lieber einen Bogen um sie. Sie wechselt in diesen Phasen kaum ein Wort mit mir, brummelt nur wirren Sourcecode vor sich hin und ist eigentlich bloß körperlich anwesend.

Ich lasse mein Rad auf den Rasen fallen und lege im Vorbeigehen die Hand auf die Motorhaube. Sie ist nur sonnenwarm, Mom demnach schon eine Weile da. Vermutlich hat sie sich wieder in ihrem heiligen Büro eingeschlossen und programmiert.

»Hey, Mom!«, hallt meine Begrüßung durch den Eingangsbereich. Unsere Villa ist eigentlich zu groß für uns zwei. Mom hat sie gekauft, als sie bei Mainhead befördert wurde. Sie hat gesagt, sie habe sich in den Ausblick auf die Stadt verliebt. Und der ist echt nicht schlecht, denn das Haus liegt in den Santa Monica Mountains. Ich mag es, wenn wir abends auf der Terrasse sitzen und die Lichtströme der Autos unter uns betrachten, die Adern der Stadt, während der rote Sonnenball weiter hinten im Pazifik versinkt.

Ich werfe meine Tasche aufs Sofa, das auf einem flauschigen weißen Teppich vor einem riesigen Flatscreen steht. Mom liebt Weiß. Unsere ganze Einrichtung ist weiß. Sie hat es mir mal erklärt: Weiß steht für sie einerseits für den Anfang, das weiße Blatt Papier. Alles kann darauf geschehen. Und gleichzeitig ist Weiß wie das Licht: Alle Farben stecken darin, man müsse nur mit dem richtigen Werkzeug drangehen und es filtern. Und dann wird man die andere Welt sehen.

Die andere Welt.

Schon bevor sie zu Mainhead ging, war das ihr Thema.

Mom hat immer davon geträumt, eine andere Welt erlebbar zu machen. Die reale Welt zu verzaubern. Jetzt ist sie die Königin der AR. Sie hat tatsächlich eine parallele, magische Welt erschaffen. (Ja, ich bin ziemlich stolz auf meine Mom.)

»Mom! Ich bin da.«

Ich gehe durch das Wohnzimmer, an der offenen Küche vorbei und schiebe die hohe Glastür auf, die zur Terrasse und dem Pool hinausführt. Die Gardinen werden von einer leichten Brise gebauscht und der Lärm der Stadt dringt nur als sanftes Summen herauf.

Auf der Terrasse ist sie nicht, der Pool liegt glatt wie ein makelloses Stück Himmel zwischen den Liegestühlen.

»Mom?«

Da höre ich sie auf der Treppe. Sie hat es wohl eilig, denn sie rennt. »Wo hast du sie hin?«

»Was? Alles okay?« Ich wende mich ihr zu.

»Wo sind sie?«, fährt sie mich an.

Erst jetzt bemerke ich, wie schrecklich sie aussieht. Ihre Haare, die sie immer lose hochgesteckt trägt, hängen strähnig herab und ihre Mascara ist verlaufen. Hat sie etwa geweint?

»Mom … Was ist passiert?« Plötzlich klopft mir das Herz bis zum Hals, ich weiß nicht mal, warum.

Sie packt mich an den Schultern und schüttelt mich. »Wo sind sie? Hast du sie drin?«

»Was denn, Mom? Wovon redest du?«

»Die Linsen! Hast du sie drin?« Sie ist voller Panik.

Ein Gefühl der Angst kriecht in mir hoch.

»Was? Ja. Ich meine, nein! Die Lucent-Linsen?« Ich kann mich nicht erinnern, Mom jemals so aufgelöst gesehen zu haben. Mom hat immer für alles einen Plan und eine Lösung parat. Sie verliert nie die Kontrolle.

Setz dich hin und denk in Ruhe darüber nach, das ist ihr Credo. Damit nervt sie mich immer, wenn ich wegen irgendeiner Sache in Stress gerate. Du musst einen kühlen Kopf behalten. Nur so wirst du eine Lösung finden. Kopflosigkeit und überstürztes Handeln bringen nur noch mehr Probleme.

Gerade habe ich nicht den Eindruck, dass sie sich an ihre eigenen Ratschläge erinnert.

»Sie sind in meiner Tasche. Ich wollte sie Sara und Kelly heut Abend mitbringen …«

Mom lässt mich los, hechtet zum Sofa, reißt meine Tasche auf und schüttet alles aus. Zwischen Lipgloss, dem inzwischen kaum mehr benutzten Smartphone, Kaugummis und anderem Krempel liegen drei silbrig schillernde Päckchen. Die rosa Schleifen sind etwas zerdrückt. Moms Hände zittern, als sie sie aufreißt und die Lucent-Linsen auf ihre Handfläche gleiten. Sie ballt eine Faust und zerdrückt sie fast.

»Mom!« Was zum Henker hat sie vor? Ich fühle mich schrecklich hilflos. Muss ich einen Arzt rufen? Ist Mom verrückt geworden?

Sie rennt zur Küche.

Als sie die Mikrowelle aufreißt, die Linsen hineinschmeißt und auf volle Power stellt, setzt bei mir für einen Moment das Herz aus.

»Was? … Nein! Mom! Nicht! Mom! Nicht die Linsen!« Ich will verhindern, dass sie meine neue Welt zerstört, auf die ich mich so gefreut habe, doch sie stellt sich mir in den Weg. Ich habe keine Chance. Sprachlos starre ich in die Mikrowelle, in der Funken sprühen. Rauch entsteht und mit einem Knall zerreißt es die hauchdünnen Linsen.

Fassungslos und mit offenem Mund steh ich da und kann nicht glauben, was meine Mutter gerade getan hat.

»Mom, was … Was sollte denn das?«, stammele ich tonlos.

»Pack deine Sachen! Ich hol dich in zwei Stunden ab«, ruft sie, und ehe ich antworten kann, ist sie schon durch die Haustür.

3 // Milo

Milo las die E-Mail auf seinem Monitor zum dritten Mal. Sofia Tallert hatte sie eben von ihrem Smartphone abgeschickt. Ausgerechnet eine E-Mail, ziemlich altmodisch.

› Sie sind in uns ‹

Was wollte sie ihm denn damit sagen?

Er hatte schon versucht, Sofia zu erreichen, doch sie war nicht online. Im Büro ging ebenfalls niemand mehr ran.

› Sie sind in uns ‹

Er wippte in seinem ergonomischen Bürostuhl vor und zurück und fixierte die einzige Zeile der Mail.

War das irgendein Hinweis für das neue Spiel? Eine neue Ebene, einer ihrer überraschenden Kniffe, um die Spielwelt noch packender zu gestalten? Als wäre das Erlebnis durch die Lucent-Linsen nicht sowieso schon berauschend. Die umfassende Sinneswahrnehmung war einfach genial.

Grübelnd las er die Nachricht ein drittes Mal.

› Sie sind in uns ‹

Eigentlich war es nicht Sofias Art, Spielchen mit ihm zu spielen. Sofia war klar und gerade heraus, Umwege und Überraschungen konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.

Milo erinnerte sich, wie sie sich auf einem dieser kindischen Mainhead-Betriebsausflüge begegnet waren. Weder er noch Sofia hatten sich für das von der Firma gesponserte Entspannungsprogramm interessiert und so waren sie ins Gespräch gekommen. Obwohl er zu der Zeit noch fast ganz unten hockte und nicht zur Crew der Programmierer gehörte, hatte das die Chefin der Game-Entwicklung nicht gestört. Im Gegenteil, Sofia hatte es spannend gefunden, dass er mit dem Leveldesign zu tun hatte.

Deshalb war Milos Büro auch weiterhin im Westflügel, während Sofia mit ihrer Abteilung im Ostflügel des Turms residierte. Aber er konnte sich wahrlich nicht beschweren, denn sie hatte ihm schon eine Woche nach ihrem Kennenlernen eines der größeren Büros zuweisen lassen, eines mit Panoramafenster und berauschendem Blick auf die Stadt.

Mit Sofia stand er ständig in Kontakt. Sie tauschten sich über Codes aus, feilten gemeinsam an Problemen und dachten sich Quests aus. Sie war seine Lehrerin und er fand, er machte sich als Schüler ganz gut.

Inzwischen war er ihre Muse, so hatte sie ihn genannt.

Die Nachmittagssonne schien mittlerweile im richtigen Winkel herein, um auf die Prismen zu treffen, die in die Glaswände seines Büros eingearbeitet waren. Milo beobachtete die Regenbogen, die um ihn herum aufleuchteten. Mit jeder Sekunde entstanden mehr tanzende Farbflecken. Sofia stand auf Regenbogen. Nicht aus einem romantischen, kitschigen Motiv heraus, sondern aus technisch-physikalischen Gründen. Sie waren das zweite Ich des Lichts, wie sie es nannte.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Sollte die Mail eine Warnung sein?

› Sie sind in uns ‹

War sein Rechner gehackt? Gott verdammt! Es überlief ihn heiß. Kurz vor dem Release von WOD vor zwei Jahren hatte sich eine Konkurrenzfirma Zugriff auf den Server der Grafikabteilung verschafft – beinahe war es ihnen gelungen, das Spiel zu sabotieren.

Milo wollte gar nicht an die Konsequenzen denken, wenn irgendwer so knapp vor dem Release von White Maze ausgerechnet in seinen Computer …

Sofort machte er sich dran, drei Virenscanner durch die Eingeweide des Rechners zu jagen. Wenn irgendjemand die Codes stahl …

Sofia würde ihn umbringen.

Die Klimaanlage im Glaskubus arbeitete perfekt, dennoch rannen ihm Schweißperlen den Rücken hinunter. Zwischen seinen Schulterblättern färbte sich der rosa Hemdenstoff dunkelrot, während Milos Finger über die Tastatur flogen.

4 // Vivian

Die Lucent-Linsen sind nicht zu retten. Die 900 Watt haben ganze Arbeit geleistet. Bravo, Mom! Nur noch verschmortes Plastik, dessen Gestank durch den Raum zieht. Ich öffne die Terrassentür und setze mich für eine Weile an den Pool, starre auf Los Angeles hinab. Das Leben da unten pulsiert wie immer durch die Straßen. Hinter dem Labyrinth der Stadt glitzert das Meer. Die Wellen streben unbeeindruckt im ewig gleichen Rhythmus dem Strand zu. Mein Blick gleitet zum Wolkenkratzer von Mainhead. Er ist einer der höchsten Türme in Downtown.

Ist Mom dorthin zurück?

Was meint sie mit Pack deine Sachen? War ihr Auftritt gerade eine Strafe für irgendetwas, das ich in ihren Augen verbockt habe? Schmeißt sie mich etwa raus? Aber seit wann interessiert es sie überhaupt, was ich tue oder eben nicht tue? Ich habe keine Ahnung, warum Mom die Linsen geröstet hat. Mir will nichts einfallen, was ihre übertriebene Reaktion rechtfertigen würde.

Als würde das Wetter mit mir fühlen, ballen sich Wolken überm Meer. Fröstelnd ziehe ich die Knie an und lege mir ein Handtuch von den Sonnenliegen um die Schulter.

Da poppt ein Selfie von Kelly in meinem Gesichtsfeld auf. Sie ist schon fertig gestylt. Die Party! Verdammt, die habe ich wegen Moms Megakrise ganz vergessen!

Ich stürze die Treppe hinauf, um mich in Schale zu schmeißen, doch der Anblick meines Zimmers lässt mich zurückprallen. Mom hat es durchwühlt! Meine Wäsche ist aus den Schubladen gezerrt, meine Kleider sind aus dem Schrank gerissen worden. Ich weiß gar nicht, wohin ich treten soll, selbst meinen Schmuck hat sie aus den Schatullen gekippt. Alles liegt kreuz und quer verstreut.

Fassungslos hebe ich meine Lieblingsohrringe auf. Die Bügel sind verbogen, bei einem ist der Stein aus der Fassung gebrochen.

Ich könnte heulen vor Wut, doch ich bin zu geschockt. Als ich das Bad betrete, knirschen Scherben unter meinen Sohlen – und es stinkt nach allen Parfüms gleichzeitig. Die Flakons und Tiegel sind von der Ablage gefegt und auf den Fliesen zerborsten. Was ist bloß in sie gefahren! Hätte sie mich nicht einfach bitten können, ihr die Linsen wiederzugeben?

Das Paillettenkleid, das ich für die Party an den Spiegel gehängt habe, finde ich zerknittert unter einem Berg Klamotten. Tränen steigen in mir hoch. Das kann nicht wahr sein! Wütend öffne ich mit ein paar Fingerbewegungen die Messenger-App und klopfe bei Mom an. Ich will sofort eine Erklärung. Eine Entschuldigung! Vier Mal versuche ich es, aber sie reagiert nicht. Also lasse ich das Tracking laufen. Auf dem Stadtplan in meinem Sichtfeld ploppen die Markierungen für meine Freunde auf.

Sara ist schon auf dem Weg zu Kelly. Egal. Ich tippe das Icon für Mom an. Ein drehendes Rad zeigt an, dass in der Cloud nach ihr gesucht wird. Dann kommt die Meldung: nicht lokalisierbar.

Mom ist offline?

Mom ist niemals offline!

Jetzt bin ich richtig wütend. Erst macht sie mir so eine Szene und dann verkriecht sie sich? Ich renne die Treppe hinunter zum Sofa, wo sie meine Tasche ausgeschüttet hat, und aktiviere mein Smartphone. Dann eben mit diesem verstaubten Ding. Ich versuche, sie auf ihrem Handy anzurufen. Sie ist nostalgisch genug, es immer noch zu benutzen. Doch sie hat es abgeschaltet.

Wütend pfeffere ich meins aufs Sofa und kämpfe gegen den Heulkrampf, der sich in mir ausbreiten will. Ich will eine verdammte Erklärung für Moms Zerstörungswut!

Kelly textet mich an. Vor meinen Augen blinkt ein Briefumschlag-Icon auf. Widerwillig tippe ich mit einer Geste darauf und lese den kurzen Text, der vor mir schwebt. Wo bleibst du? Wir sind ready.

Mit einem Wutschrei sprinte ich zurück in mein Zimmer. Ich lasse mich von Mom doch nicht so runtermachen. Sie hat kein Recht, mir mein Leben zu ruinieren!

Leider hat sie ganze Arbeit geleistet. Keins meiner Lieblingsstücke ist noch zu gebrauchen. Das Paillettenkleid ist völlig zerknittert, außerdem ist ein Träger abgerissen.

Erst nachdem ich tief durchgeatmet und eine weitere Heulattacke unterdrückt habe, sage ich laut zu meinen Linsen:

»Nachricht an Kelly: Mom hat mir den Abend ruiniert. Geht ohne mich. Komme vielleicht nach.«

Mit einem Wisch schicke ich die Nachricht ab und lasse mich auf mein verwüstetes Bett fallen. Das Screentime-Icon blitzt vor mir auf und ich aktiviere mit einem Seufzen den Videochannel.

»Hey, Mädels.« Vor mir schwebt ein Videobild von Kellys Zimmer. Sie sitzt vor ihrem Schminkspiegel und sieht sich und dadurch mich an. Für meinen Geschmack trägt sie zu viel Mascara, aber die zarte Goldkette ist ein perfektes Accessoire zu dem roten Spaghettiträgerkleid. Ich merke, wie sich etwas in meinen Bauch zusammenkrampft, und versuche ein Lächeln. Es misslingt kläglich.

»Was soll das? Du kannst uns nicht hängenlassen!«, höre ich Sara. Kelly macht dazu ein böses Gesicht.

»Schaut euch doch diesen Mist hier an!« Ich sehe mich im Zimmer um, damit sie durch meine Linsen mitkriegen, welches Massaker Mom angerichtet hat.

»Ach du meine Güte! Welche Bombe hat denn bei dir eingeschlagen?«

»Eine Bombe namens Mom.« Der Kloß in meinem Magen verdichtet sich.

»Oh Shit! Viv! Was hast du angestellt?«

»Und warum hast du uns davon nichts erzählt! Muss ’ne coole Nummer gewesen sein«, mischt sich Sara grinsend ein. Wahrscheinlich hat Kelly die Bilder auf Saras Linsen geteilt.

»Ich hab keine Ahnung, was ich angestellt hab. Mom war irgendwie voll neben der Spur. Hat geschrien, ich soll meine Sachen packen, und ist abgehauen. Und jetzt ist sie auch noch offline!« Ich stelle mich ebenfalls vor meinen Spiegel, damit die beiden mich sehen können.

»Offline!« Sara ist fassungslos. Ich höre es deutlich an ihrer Stimme.

Sie taucht hinter Kelly im Spiegel auf. Ihren blauen Augen, die mich unter dem geraden schwarzen Pony verblüfft mustern, hat sie ein dramatisches Smokey-Eyes-Make-up verpasst.

»Offline?«, wiederholt Kelly. »Warum ist sie offline?«

Der Druck in meinem Magen nimmt mir fast den Atem. »Mädels, gebt mir doch einen Livestream von der Party. Ich warte hier auf Mom. Ich will da sein, wenn sie heimkommt.«

Ich kann an Kellys Flunsch sehen, dass sie es doof findet, wenn ich nicht mitkomme.

»Und Lenny?«, fragt Sara.

»Ach, Lenny … Der wird mich nicht vermissen.«

Ich wende mich vom Spiegel ab, damit die beiden nicht mein Zittern bemerken.

Kelly entkommt beinahe ein Grinsen, doch dann schiebt sie mitleidig die Unterlippe vor und schickt mir schließlich ein Küsschen.

»Ich euch auch«, sage ich und beende die Video-App.

Verloren setze ich mich auf die Bettkante und lasse dem Heulkrampf freien Lauf.

5 // Sofia

Einer Eingebung folgend drückte Sofia Tallert alle Etagenknöpfe. Der Fahrstuhl würde in jedem Stockwerk des Mainbead-Towers halten.

Hoffentlich verwirrte es ihren Verfolger. Oder war es genau das, was er erwartete? Sie hatte keine Ahnung, wo er ihr auflauerte, aber sie wusste, er war da. Sie musste schneller sein als er.

Fluchend schob sie sich gerade noch rechtzeitig aus der Kabine, bevor die Fahrstuhltüren sich schlossen. Gut, das wird ihn überraschen, dachte sie und eilte zum Treppenhaus. 18. Stockwerk! Bist du jetzt ganz von Sinnen!, schimpfte sie mit sich selbst. In ihren Pumps und dem Bleistiftrock kam sie nur langsam die Stufen hinauf. Immer wieder sah sie sich um, lauschte. Folgte ihr wirklich jemand? Noch hatte ihn kein Geräusch, kein Schatten verraten.

Außer ihrem keuchenden Atem war nichts zu hören.

Es war zu spät für die Mitarbeiter und zu früh für die Putzkolonne. Sie war allein mit ihrem Verfolger. Er und sie – und das Schicksal der Welt.

Auf Etage fünf verließen sie die Kräfte und sie nahm doch den Fahrstuhl. Wenige Meter von ihrem Büro entfernt, im 18. Stockwerk, stieg sie aus. Die Arbeitsplätze lagen im Dunkel, blaues LED-Licht beleuchtete den Flur. Sie wunderte sich, dass heute keiner Überstunden machte. Schließlich gab es kurz vor einem Release immer noch etliche Probleme. Diesmal mehr als jemals zuvor. Doch das Problem hatte sich tief in der Basis des Spiels festgesetzt. Viel zu lange, von allen unbemerkt, hatte er sich wie ein Virus eingenistet. Hatte ihre Arbeit verändert, sabotiert.

Hoffentlich hatte Milo ihre Nachricht erhalten. Und hoffentlich hatte er sie verstanden.

Sofia schloss die Augen, drückte sich an die kalte Betonwand des Büroflurs.

Ihr wurde bewusst, dass sie Angst hatte. Ein für sie ungewohntes Gefühl, denn es war irrational. Derartige Emotionen ließ sie nie zu, sie verwirrten das logische Denken. Die Tatsache, dass die Angst nun einfach da war und sie sie nicht wegargumentieren konnte, ängstigte Sofia noch mehr. Für sie gab es nichts auf der Welt, das nicht analysiert und wofür nicht eine Lösung gefunden werden konnte. Alles war mit Logik und den Gesetzen der Physik oder Mathematik zu erklären. Deshalb hatte Sofia ihre Parameter für irrationale Gefühle wie Angst auf null gesetzt. Schließlich hatte sie immer alles unter Kontrolle.

Schon bevor ein Problem entstand, hatte sie es erkannt und eine Lösung in Arbeit.

Dieses Problem hatte sie bereits vor Monaten bemerkt, ihm jedoch keinen großen Stellenwert eingeräumt. Ein furchtbarer Fehler, wie sie inzwischen wusste. Und während sie noch seinen Spuren gefolgt war, um die Quelle zu finden, hatte er sein Spiel begonnen.

Jetzt war sie sich unsicher, was sie mehr ängstigte, der Gedanke, keine fertige Lösung parat zu haben, oder das Wissen, dass sie sterben würde.

Mit geschlossenen Augen tastete sie sich den Flur entlang, an dessen Ende ihr Büro lag.

Das Tückische an ihrem Gegner war, dass sie ihn nicht sehen konnte. Wann immer sie gedacht hatte, sie hätte ihn festgesetzt, war er verschwunden. Und sie hatte lange nicht herausgefunden, wie ihm das gelang.

Sie zählte die Türen, schob sich blind weiter, die Augen weiterhin geschlossen.

Warum war sie die Einzige, die ihn gesehen hatte? Weil sie seinen Hack entdeckt hatte?

Ihre Gedanken rasten. Der Code des neuen Spiels flimmerte in ihrem Kopf. Sie kannte jede einzelne Variable, jede Subroutine. Es war, als würde sie in dem Code leben.

Das war immer schon so gewesen, das machte ihren Erfolg aus. Sie konnte die Funktionen regelrecht vor sich sehen, in allen Farben des Regenbogens. Die Welt lag in makellosem Weiß vor ihr, sie musste dieses Weiß nur auffächern und da war er: der Code.

Der Code, der alles durchströmte. Bereits als Kind hatte sie ihn gesehen und war für verrückt gehalten worden. Seitdem redete sie nicht mehr darüber. Es war ihr Geheimnis und sie nutzte es, um diese unglaublichen Spiele zu entwickeln. Das entscheidende Kriterium ist Schönheit; für hässliche Mathematik ist auf dieser Welt kein beständiger Platz, hatte der Mathematiker G. H. Hardy einmal gesagt. Genauso sah es auch Sofia. Wenn eine Codezeile nicht perfekt war, dann war ihre Farbe stumpf und fleckig; mit einem Blick konnte sie dadurch Fehler in den Programmen erkennen.

Doch diesmal hatten die schadhaften Codes keine Flecken aufgewiesen. Im Gegenteil, sie hatten weiterhin geleuchtet, ihr Farbton hatte sich nur ein klein wenig verändert. Aber diese hauchdünne Dissonanz im Farbspektrum hatte Sofia auf seine Spur gebracht.

Jetzt stand sie hier mit geschlossen Augen im Dunkel und hatte blanke Angst.

Öffne nicht die Augen, befahl sie sich. Fast musste sie lachen.

Du bist wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und denkt, Mama sieht sie deshalb nicht mehr.

Sie musste an Vivian denken. Panik überkam sie, dass sie nicht genug für ihre Sicherheit getan hatte. Doch ein Anruf hätte ihre Tochter nur in Gefahr gebracht. Es war besser, wenn sie nichts wusste. Vivian war schlau, sie würde es selbst herausfinden – im Fall der Fälle. Aber noch hatte Sofia die Chance, ihn zu stoppen.

Im Moment war der Notfallcode zwar inaktiv. Doch ein Klick, und die Abschaltung würde starten.

Mit den Fingern ertastete sie das Namensschild neben der Bürotür. Sofia Tallert. Head of Development.

Für einen Augenblick verharrte sie und atmete durch. Sie hatte es fast geschafft. Sie musste nur Enter drücken und ihr Notfallprogramm würde dann alles regeln.

Langsam öffnete sie die Tür und schob sich ins Büro. Noch immer hielt sie die Augen geschlossen. Versteckte sich.

»Mrs Tallert! Welch Überraschung. Zu so später Stunde noch bei der Arbeit?«

Reflexartig riss Sofia die Augen auf. Er war hier! Saß in ihrem Sessel und lächelte sie abfällig an. Vor ihm auf ihrem Schreibtisch lag eine Pistole mit Schalldämpfer. Direkt neben ihrem Firmenlaptop.

Dem Laptop, auf dem sie den einzigen externen Zugang zu ihrem Notfallprogramm hatte.

>> ENTER<<

 

Begann nun sein Spiel oder endete es?

6 // Vivian

Kelly und Sara melden sich unablässig per Chat. Sie sind auf der Party und schicken Bilder vom Pool, wollen, dass ich endlich rumkomme. Vergiss, was deine Mom gesagt hat, schreibt Kelly. Was soll die schon machen?

Das ist dein Leben, versucht Sara, mich zu überreden. Komm zu uns und hol es dir. Sie verziert ihr Posting mit unzähligen bunten Emoticons. Sie blinken und flimmern vor meinen Augen.

Doch hinter den eingeblendeten Textschnipseln ist meine Realität grau-braun.

Es ist nicht mehr mein Zimmer.

Aber es ist mein Leben.

Und ich fühle mich, als wäre es mir eben gerade aus dem Leib gerissen worden.

Vor mir steht ein wässriger Kakao in einem braunen Plastikbecher. Automatenkakao. Angewidert schiebe ich ihn weg. Mein Blick wandert zum Fenster neben mir. Das Rollo ist schief und ich kann hinaussehen. Ich bin im achten Stockwerk, schätze ich, jedenfalls hoch genug, um den Mainhead-Tower im Zentrum der Stadt zu sehen. War er schon immer so schwarz und drohend?

Wie ich in dieses Zimmer gekommen bin, erinnere ich mich nur schemenhaft.

Das Klingeln an der Haustür.

Der Glaube, Mom sei zurückgekommen.

Die Hoffnung, sie würde mir alles erklären.

Eine Frau in Uniform.

Ein Polizeiwagen in der Auffahrt.

Meine Hoffnung – zerschlagen.

Der Gestank von künstlichem Tannenduft und Polstereiniger, als ich in den Wagen einsteige.

Stille während der Fahrt.

Mein Leben – es ist weg.

Gelöscht.

Hinter mir im Großraumbüro herrscht reges Treiben. Tastaturgeklapper dringt zu mir, piepende Computer (in staatlichen Einrichtungen regiert wohl noch immer die technologische Steinzeit), Menschen, die mit ihren Brillen und Linsen sprechen.

Ich wende mich um. Durch eine große Scheibe kann ich alles beobachten. Ein Kommen und Gehen, als ob die Welt sich einfach weiterdreht.

Für eine Sekunde will ich laut loslachen, als mir bewusst wird, dass dieses Polizeirevier tatsächlich so aussieht wie in den Filmen. Sogar die Nutte mit der roten Perücke wird soeben hereinbugsiert.

Ich will lachen, aber ich kann nicht, denn ich habe keine Ahnung, wo mein Körper gerade ist.

Ich fühle nichts.

Alles ist taub.

Wieder blinkt eine Nachricht in meinem Sichtfeld auf. Mit einer Handbewegung schalte ich den Messenger aus und gehe offline.

Genau wie Mom.

Jemand bittet mich, meine Linsen rauszunehmen. Erst jetzt bemerke ich, dass mir ein Mann gegenübersitzt.

Wie lange sitzt er da schon?

Er begegnet meinem verwirrten Blick mit einem Lächeln. Er ist alt. Vielleicht Ende dreißig.

Folgsam nehme ich die Linsen raus.

Es ist mir egal, ich will momentan nichts von der Welt wissen. Er schiebt mir eine blaue Aufbewahrungsbox hin. Nachdem ich die Linsen in die Flüssigkeit gelegt habe, schließe ich sie mit einem Klicken.

»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches an Ihrer Mutter aufgefallen?«, fragt er. Seine Stimme klingt beruhigend.

Mom hat die Lucent-Linsen getoastet.

Doch ich starre weiterhin auf die Linsenbox und schüttle stumm den Kopf. Kaum merklich. Oder heftig? Eigentlich kann ich gar nicht genau sagen, ob mein Körper reagiert. Von weit her höre ich mich sagen: »Sie war hektisch.«

Mom ist nie hektisch.

Man muss einen klaren Kopf haben, wenn man ein Problem lösen will.

Der Mann mir gegenüber nickt. Noch immer lächelt er. Ob mich das beruhigen soll? Er braucht mich nicht zu beruhigen, denn ich spüre nichts. Ich bin wie tot.

Tot.

Wie kann sie tot sein? Sie war doch eben noch bei mir. Sie hatte Pläne. Wie kann sie da tot sein?

Der Beamte sieht mich forschend an. Habe ich das gerade etwa laut gesagt?

»Wir werden ihn finden.« Er sagt es leise, aber nachdenklich. Ich verstehe, dass er mir damit Mut machen will, wohl meint, ich solle nicht verzweifeln. Sie finden ihn.

»Wen?« Von weit her komme ich zurück, beginne meinen Körper wieder zu spüren. Seine Begrenzung. Die Enge hier drin.

Mir ist kalt.

Ein anderer Mann schiebt den, der eben mit mir gesprochen hat, vom Stuhl. Offensichtlich haben die beiden eine Meinungsverschiedenheit.

Was hat er gerade gesagt?

Wir werden ihn finden.

Wen? Meinen Vater?

Kann ich drauf verzichten.

Der neue Mann setzt sich mir gegenüber. »Miss Tallert?«

Ich nicke.

»Die vorläufigen Ergebnisse sind da. Es besteht kein Zweifel. Es tut mir sehr leid. Ihre Mutter hatte einen Herzinfarkt.«

 

Es nieselt, als ich vor das Polizeigebäude auf die Straße trete. Das Leben der Stadt zeigt sich unbeeindruckt vom Regen – obwohl es hier offiziell nie regnet.

Wie immer gleicht der Verkehr einer Blechschlange. Die wenigen Leute, die zu Fuß unterwegs sind, hetzen zu ihren Verabredungen. Ich verharre, bleibe mitten im Strom stehen, lege den Kopf in den Nacken und sehe in den Himmel. Spüre die Tropfen weich auf meiner Haut. Ein lebendiges Gefühl.

Ein Mann tritt neben mich, doch ich schaue weiter in den bleigrauen Himmelsspalt, den die Häuser wie ein stählernes Ufer rahmen.

»Miss Tallert? Ist bei Ihnen jemand zu Hause?«

Ich erkenne seine Stimme. Es ist der Kommissar, der zuerst mit mir gesprochen hat. Also wende ich mich ihm zu.

»Sie sollten nicht allein sein, Miss Tallert. Wenn Sie möchten, benachrichtige ich gerne einen Verwandten oder einen Freund.«

Ohne Schirm, ohne Kapuze steht er neben mir im Regen. Das Wasser hat seine Haare schon durchtränkt, sie kleben ihm am Kopf. Regen rinnt ihm über die Stirn, tropft von seiner Nase.

Es scheint ihm wichtig zu sein, mit mir zu reden. Jedenfalls ist er mir nachgegangen, ohne sich die Zeit zu nehmen, einen Schirm oder Mantel zu holen.

»Da sind ein paar Freunde«, sage ich.

Er mustert mich einen Moment. »Na gut.« Unter seinem Hemd zieht er eine Plastiktüte hervor. »Zeigen Sie sie niemandem, ich verliere sonst meinen Job. Aber – « Er blickt sich zum Eingang des Polizeireviers um. »Sie sollten sich Ihr eigenes Bild über die Wahrheit machen.«

»Die Wahrheit?« Ich verstehe nicht, was er meint.

Er drückt mir die Tüte in die Hand, sie ist überraschend schwer. »Die Akte Ihrer Mutter ist offiziell geschlossen, denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte für … Fremdeinwirkung. Die Überwachungsvideos auf den Fluren zeigen nur Ihre Mutter. Sie verhält sich allerdings sehr sonderbar.«

Sein eindringlicher Blick will mir irgendetwas sagen – aber ich verstehe ihn einfach nicht.

»Sehen Sie sich die Bilder an! Wir konnten keine Fingerabdrücke oder fremde Fasern im Büro Ihrer Mutter finden.« Erneut schaut er gehetzt hinter sich. »Ich kann Ihnen nicht helfen – aber sehen Sie genau hin! Das war kein normaler Herzinfarkt.« Gebückt rennt er zurück in das Polizeirevier.

Die Plastiktüte in meiner Hand ist glitschig von all dem Regen.

7 // Prepender

Es war für ihn ein Leichtes gewesen, am Portier vorbeizukommen. Eine Schande, wie viel Kohle der Kerl da unten verdiente, dachte Prepender. Wenn die Bewohner dieser Luxusappartements wüssten, wie der Kerl seinen Dienst verschlief – dann gute Nacht.

Der Aufzug stoppte im 27. Stockwerk.

Prepender grinste in sich hinein und eilte zur Tür auf der linken Flurseite. Appartement 276, wunderbar. Er hielt die gefälschte ID-Karte vor den Sensor und das Schloss schnappte auf.

Das Licht ließ er aus, stattdessen aktivierte er den Nachtsichtmodus seiner Linsen.

Sein Interface zeigte ihm den Grundriss der Wohnung. Zwei Schlafzimmer, offene Küche zum Wohnbereich, Glasfront vom Boden bis zur Decke. Irgendein Life-Stylist hatte dieses Penthouse eingerichtet. Persönlichkeit war hier nicht zu finden. Aber Geld steckte in jedem Detail und das war wohl alles, worauf es ankam. Ihm war diese Dekadenz zuwider.

Die Welt war ein ekelhafter Ort geworden, voll von Gier und Neid. Es widerte ihn an.

Er schlenderte zum Bad oder, besser gesagt, zum Spa-Bereich. Neben einem Whirlpool wuchsen üppige Palmen in Töpfen aus poliertem Schiefer. Es roch nach tropischen Früchten, deren Namen er nicht kannte. Wenn Leute Geld hatten, fiel ihnen eine Menge Quatsch ein, für den sie die Kohle rauswerfen konnten. Nur ihren Gestank nach Selbstsucht konnten sie damit nie übertünchen.

Er brauchte eine Weile, um das Schränkchen mit den Kosmetika zu entdecken. Zwischen Flakons mit überteuertem Rasierwasser und Parfüm wurde er fündig.

Die Kontaktlinsen lagen in einer extra dafür angefertigten blauen Kugel. Er betrachtete sie amüsiert. Hatte es da nicht mal ein Game gegeben, in dem solche Kristallkugeln Schlüssel zu anderen Levels waren? Dieser Typ hatte sich tatsächlich für seine Linsen eine nachbauen lassen. Typisch Nerd.

Er kippte die Linsen samt Wasserlösung in das schwarze Marmorbecken und zog ein Röhrchen aus seiner Jackentasche. Im Nachsichtmodus wirkte es, als fluoreszierten die Linsen. Mit den Zähnen zog er den Verschluss ab und schüttete den Inhalt in die Kugel. Wie winzige Fische schwappten die Linsen darin herum. Zufrieden schraubte er die Kugel wieder zu und stellte sie an ihren Platz zurück. Die beiden alten Kontaktlinsen las er aus dem Becken auf und stopfte sie in das Röhrchen. Er ließ es in die Jacke gleiten und verließ das Bad.

Gelangweilt sah er sich im Appartement um. Er hatte es nicht eilig. Er hatte alle Zeit der Welt. Deshalb schlenderte er zum übergroßen, zweiflügligen Kühlschrank. Er war fast leer. Nur ein paar in Plastik verpackte, schrecklich gesunde und deshalb verboten teure Superfoods lagen darin. In der Tür standen fünf Bier. Er nahm sich eines heraus und ging zum Panoramafenster hinüber.

Fasziniert trat er an das Fenster. Draußen wölbte sich ein sternenklarer Himmel über die funkelnde Stadt. Sein Atem beschlug das Glas, als er sich mit der Stirn dagegen lehnte und hinab auf die City sah. Autolichter flossen zwischen den dunklen Blöcken der Gebäude hindurch. Eine ahnungslose Welt lag zu seinen Füßen. So friedlich und doch so zerfressen von Bosheit. Gier trieb die Lichter dort unten an.

Er zwinkerte und aktivierte dadurch sein Spielerkonto. Wie so oft loggte er sich in Wisdom of the Dwarf ein und sofort legte sich ein Netz aus leuchtenden Markierungen über die Lichtbahnen der Stadt.

Prepender zoomte an einen blinkenden Punkt heran, den er mit einem Zielkreuz versehen hatte. Er bewegte sich auf ihn zu.

»Zeit zu spielen«, flüsterte er.

8 // Vivian

Zu Hause angekommen, lasse ich alle nassen Kleidungsstücke von mir fallen. Das Kleid, den Bolero, die Schuhe. Nur in Unterwäsche setze ich mich aufs Sofa, wickle mich in eine der Decken und betrachte die Plastiktüte, die mir der Polizist gegeben hat. Als ich sie auf den Tisch lege, breitet sich eine winzige Pfütze unter ihr aus. Die ganze Taxifahrt über habe ich die Tüte angestarrt. Zuerst war Stille in meinen Gedanken.

Nach der Leere kam die Gedankenflut. Was wollte dieser Kommissar? Meine Mutter ist tot! Wie hatte das passieren können?

Mom ist tot.

Sie wurde in ihrem Büro gefunden. Nach unserem Streit, der aber gar kein Streit war.

Mom, warum hast du mir keine Chance gegeben, mit dir zu sprechen?

Erinnerungen und Gefühle prallen brodelnd in mir aufeinander, branden in mir hoch, verfestigen sich, bohren und reißen an mir. Die letzten Jahre lebten Mom und ich auf verschiedenen Planeten. Bilder aus meiner Kindheit würgen mich, als Mom und ich so viel Zeit und Liebe teilten. Ich war der Meinung gewesen, dass es irgendwann wieder so sein würde. Dass wir wieder zueinanderfinden würden, wenn … wenn die Arbeit ihr wieder mehr Zeit ließ … wenn ich meinen Abschluss hatte … irgendwann eben …

Wieso können wir nicht jetzt reden?

Meine Hände zittern, als ich die Tüte aufwickele und einen braunen Papierumschlag herausziehe. Den Inhalt schütte ich auf Moms weißen Couchtisch.

Es sind Fotoausdrucke. Bilder von Moms Büro. Und Bilder von … von ihr. Darauf war ich nicht gefasst.

Ich renne zur Toilette und übergebe mich.

Es dauert eine geraume Zeit, bevor ich mich zurück an den Tisch wage, bevor ich mich traue, die Fotos noch einmal in die Hand zu nehmen – sie anzusehen.

Der Kommissar hat mir die Aufnahmen des Polizeifotografen zugesteckt.

Mit der Decke wische ich die Pfütze vom Tisch und breite die Fotos aus. Ich kann kaum atmen, meine Kehle ist wie zugeschnürt.

Moms Büro ist verwüstet. All ihre Unterlagen und Notizen sind vom Schreibtisch gefegt. Ihr Laptop wurde in die Glastrennwand zum Flur geschleudert und das Sicherheitsglas ist in Milliarden Diamanten gesplittert. Mom liegt auf der Seite, sie sieht zum Fenster. Auf ihrer cremefarbenen Bluse leuchtet ein Regenbogen.

Überall in ihrem Büro hat sie Prismen. Ihr nerviger Weiß-ist-die-Farbe-aller-Farben-Tick.

Das weiße Licht ist mehr, als das bloße Auge zu erkennen vermag. In ihm stecken alle Farben. Man muss nur wissen, wie man sie sichtbar macht.

Mir fällt ein, was der Kommissar im Revier noch zu mir gesagt hat: Wir finden ihn.

Wen?

Mir wird klar, er hat nicht meinen Vater gemeint. Er hat etwas entdeckt, das ihn glauben lässt, dass jemand für Moms Tod verantwortlich ist.

Aber seine Kollegen haben den Fall geschlossen.

Herzinfarkt.

Es gäbe keinen Zweifel, hat der andere Mann gesagt.

Aber der Kerl im Regen hat Zweifel. Warum?

Ich zwinge mich, die Aufnahmen abermals anzusehen.

Moms Augen sind geöffnet. Ich kenne diesen Blick. Sie ist wütend. Fassungslos. Es hat sie überrascht.

Ich kann mich nicht erinnern, dass Mom jemals bei einem Arzt gewesen ist.

Aus meiner Tasche krame ich die Linsenbox der Polizei und setze die Vision-Lens ein. Ich suche nach Herzinfarkt und bekomme die Informationen eingeblendet. Schlechte Ernährung, Bewegungsarmut, Stress. Es passt. Natürlich, die überarbeitete Chefin, die sogar nachts noch im Büro ist. Kurz vor dem Release des vielleicht wichtigsten Codes, den sie bisher geschrieben hat, bekommt sie die Rechnung für ihr stressiges Leben serviert.

Ich blende den Lexikoneintrag aus.

Niemand auf den Überwachungsvideos, keine Spuren im Büro. Warum hat der Polizist Zweifel?

Sie sollten sich Ihr eigenes Bild über die Wahrheit machen.

Dieser Kommissar hätte Mom gefallen.

Ich beginne, die Fotos zu sortieren, bilde mit der Anordnung ihr Büro nach. Versuche herauszufinden, was zuerst und was zuletzt passiert sein kann.

Für eine halbe Ewigkeit starre ich auf das Bildermosaik, so lange, bis meine Gedanken verstummen und alle Emotionen versiegt sind.

Und plötzlich sehe ich es.

Das Licht im Büro ist ausgeschaltet.

Moms Laptop ebenso.

Sie hat nicht gearbeitet. Sie war gerade erst hereingekommen … (Nachdem sie meine Lucent-Linsen in der Mikrowelle pulverisiert hat.) Etwas ist passiert, das Mom völlig aus der Spur gebracht hat.

Beinahe alle Sachen sind von ihrem Schreibtisch gefegt. Weil sich ihr Körper verkrampft hat, sie nach Halt suchte? Nein. Sie sind geworfen worden, denn sie liegen viel zu weit entfernt von ihrem Arbeitsplatz. Deshalb auch die gesplitterte Scheibe, denn sie hat den Laptop hineingeschleudert.

Hatte sie einen Tobsuchtsanfall? Noch einen?

Schleudert man bei Herzschmerzen sein Laptop durch den Raum? Wohl kaum.

Das Büro sieht eher wie nach einem Kampf aus.

Wir finden ihn.

Wollte Mom einen Angreifer abwehren?

Der Kommissar hat es auch gesehen, deshalb hat er mir die Bilder zugesteckt. Auf den Videos ist jedoch niemand zu sehen, der ihr Büro betreten hätte. Mom ist allein gewesen.

Vermutet der Polizist eine Verschwörung? Dass die Videos manipuliert wurden? Sehen Sie genau hin.

Ich lasse mich aufs Sofa fallen.

Mom wusste es. Sie wusste, dass jemand hinter ihr her war – sie war nicht verwirrt, sie hat versucht, jemanden abzuschütteln. Sie wollte ins Büro. Hatte sie dort Beweise gesammelt?

Mein Kopf wird im Sturm von allen Gedanken und Emotionen zurückerobert. Mir wird schwindlig. Tränen tropfen auf das Kissen und die zerflossene Mascara hinterlässt Streifen darauf.

Meine Mom ist tot.

Meine Mom wurde ermordet.

Aber die Polizei geht von einem Herzinfarkt aus, deshalb werden sie nicht ermitteln.

Dabei ist es so offensichtlich. Mom war der Kopf hinter den Lucent-Linsen und sie hat an einem bahnbrechenden neuen AR-Game gebastelt.

Das Motiv ist eindeutig! Jemand hat ihr den Ruhm nicht gegönnt. Vielleicht wollte jemand ihren Code stehlen. Deshalb hat sie die Lucent-Linsen zerstört!

Und die Polizei schließt die Akte. Die Rechnung des Mörders geht auf.

Nein!

Ich springe auf. In wenigen Sätzen bin ich an der Tür zu ihrem Homeoffice. Ihr heiliger Bereich. Hier durfte ich nie hinein.

Dorthin zog sie sich zurück, wenn sie eine Idee hatte, einen Lösungsansatz oder, wie sie oft lachend sagte, wenn der Funke endlich übergesprungen war.

Wenn Mom wichtige Daten besitzt, Daten, die das Motiv für den Mord sein könnten – dann hat Mom auf ihrem Rechner ein Backup. Ganz sicher. Mom hat immer ein Backup!

Ich zögere, bevor ich die Klinke runterdrücke und hineingehe.

Der Raum ist weiß und leer. Natürlich. Nichts durfte ihre Inspiration stören. Nur Tisch und Stuhl, beides in Weiß, sowie ein dunkelgraues Notebook.

Ich schleiche zum Tisch. Es ist, als täte ich etwas Verbotenes, als würde Mom noch im Haus sein … Albern. Ich schüttle den Gedanken ab und sofort spüre ich wieder die schmerzende Leere in mir.

Sie wird nicht zurückkommen.

Meine Finger gleiten über die Tischplatte auf den Laptop zu. Fast meine ich, Moms Duft noch wahrnehmen zu können. Sie hat dieses Zimmer erst vor wenigen Stunden verlassen.

Ich habe Angst vor der Trauer, die sich in mir breitmachen will. Hastig wende ich mich dem Laptop zu. Es ist eckig und ziemlich dick. Ich klappe es auf und suche den Powerknopf. Schließlich entdecke ich an der Seite einen Kippschalter.

On.

Nach einer halben Ewigkeit erscheint ein Eingabefenster.

Passwortgeschützt. War klar. Also stöpsle ich den Laptop vom Strom, um ihn mit ins Wohnzimmer zu nehmen. Mithilfe eines Codeknackers kann ich das Ding sicher schnell öffnen. Meine Finger suchen am glatten Gehäuse den Slot für … ich erstarre mitten in der Bewegung. Das kann nicht sein! Fassungslos drehe ich den Rechner hin und her, untersuche jede Seite, taste das raue Plastik ab. Nichts! Moms Notebook ist eine Festung! Außer der Stromversorgung hat er keinen Zugang. Da sind weder Buchsen noch Eingänge. Kein USB, kein SD-Slot, nicht mal ein altmodisches CD-Laufwerk. Nichts.

Im Wohnzimmer stelle ich ihn auf die Fotoausdrucke und starre das Bollwerk an.

Ist da die Antwort drauf? Sind hier die Beweise drin, das Mom ermordet wurde?

Die Daten sind ihr extrem wichtig gewesen, denn sie hat sich einen unhackbaren Computer gebaut. Keiner kann einen Virus einschleusen, noch nicht mal Daten herunterkopieren, weil es keine Andockstellen gibt. Und ganz sicher wird es deshalb auch keine Hardware für einen kabellosen Internetzugang haben.

Je länger ich das graue Monster anstarre, umso sicherer bin ich, dass dieses Notebook das Geheimnis kennt, wer Mom ermordet hat. Vielleicht hat sie darin aber auch nur all ihre Ideen gespeichert und sie wollte verhindern, dass jemand von außen eindringt. Meine einzige Chance ist, das Passwort zu knacken.

Nichts leichter als das. Mom hat solch eine Festung doch sicher mit einem schlichten Vivian oder IlikeRainbows gesichert.

Natürlich nicht.

Mir wird klar, dass ich Hilfe brauche. Und ich weiß auch schon, wer mir helfen kann.

Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch zur dritten Schulstunde.

9 // Milo

Milo tastete nach der Kugel in seiner Tasche und hielt sich daran fest, um nicht von seinen Emotionen überwältigt zu werden. Die blaue Kugel, in der er seine Linsen aufbewahrte, wirkte wie ein Safepoint auf ihn. Es war eine Sonderanfertigung, eine Hommage an eines der Spiele, die ihn in seiner Jugend zum ersten Mal in herrliche Zauberwelten entführt hatten. Damals hatte er seine Leidenschaft fürs Game-Design entdeckt. Nun arbeitete er bei dem Game-Entwickler als Leveldesigner und hatte Sofia getroffen. Das war eindeutig das Beste, was ihm in seinem Leben passiert war. Sofia.

Für einen Augenblick musste er innehalten und durchatmen.

Mainheads Chefetage hatte nur ein internes Memo geschickt. Als wäre Sofia irgendein abgesagtes Meeting. Wieder überkam ihn eine Woge der Trauer, wieder schluckte er sie herunter. Natürlich hatte es schon vor dem Memo Gerüchte gegeben. Doch er hatte sie nicht glauben wollen. Nicht seine Sofia.

Er beschleunigte seine Schritte. Sein Ziel, das Blackhole, lag nur einen Block von seinem Penthouse entfernt. Auf dem Weg dorthin hatte er einen Abstecher nach Hause gemacht, um seine neuen Linsen zu holen, denn er wollte Sofias und seine Welt mit jeder Faser seines Körpers spüren.

Erst letzte Woche hatte ihm Sofia die finalen Linsen gebracht.

Bisher hatte er sie noch nicht ausprobiert. Die ersten Testlinsen waren jedoch sehr überzeugend gewesen. Mit Sicherheit würden die Lucent-Linsen eine Riesenwelle machen, da war er sich sicher. Die Dinger waren unglaublich.

Routiniert fischte er seine Linsen aus der Kugel und setzte sie sich ein, bevor er das Blackhole betrat. Er zwinkerte zwei Mal, um sie zu aktivieren. Ein leichtes Zwicken fiel ihm unangenehm auf. Ein Punkt, der mit der Entwicklungsabteilung für Usability noch zu klären war.

Die Fenster des Blackhole waren mit dunkelblauem Stoff verhangen, kalte LED-Lampen tauchten den Raum in ein fahles Licht. Die grau gestrichenen Wände machten es nicht gemütlicher. Dennoch war dieser Ort in den letzten Monaten Milos zweites Zuhause geworden.

An die Wände gedrückt, warteten ein paar Tische auf Gäste, nur an einem saß ein verliebtes Pärchen und flüsterte sich Geheimnisse zu.

Vormittags verirrten sich kaum Menschen in ihre Träume. Abends war es hingegen schwierig, hier noch einen Platz zu ergattern.

Hinter dem Tresen polierte der Barkeeper gelangweilt Gläser und nickte Milo kurz zu. Milo war Stammgast – zusammen mit Sofia.

Milos Griff um die blaue Kugel wurde fester, denn es fühlte sich an, als wäre Sofia bei ihm, es gab keine Erinnerung an diesen Ort ohne sie.

Hastig wandte er sich dem Terminal zu, das direkt neben dem Eingang aufgestellt war.

Das Blackhole war eine der ersten Bars gewesen, die die virtuelle Realität als Geschäftsmodell für sich erkannt hatten. Anstatt auf eine teure Dekoration zu setzen, konnte der triste Raum des Blackhole dank VR für jeden Gast der Ort sein, den er sich erträumte. Perfekt für Sofias und seine Arbeit.

Am Terminal wurden dem Gast einige vorgefertigte Erlebnisorte bereitgestellt. Es gab Klassiker, wie den Palmenstrand Karbik oder Frühstück unterm Eiffelturm. Doch das Blackhole hatte auch den Service, eigene Welten mitzubringen und sie hochzuladen. Deshalb hatte Sofia diese Bar ausgewählt. Die Hinterzimmer boten den perfekten Spielplatz für Sofias Ideen.

Milo schob seine Login-Karte, auf der Sofias Programm gespeichert war, in das Terminal. Er lud das Ambiente hoch, das er gemeinsam mit ihr kreiert hatte, um die Lucent-Linsen in der Entwicklungsphase zu testen.