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In "Ligeia" entführt Edgar Allan Poe den Leser in die düstere Welt der Faszination und des Übernatürlichen. Die Geschichte verknüpft Elemente der Gothic-Literatur mit psychologischen Tiefe, indem sie die obsessive Liebe eines Erzählers zu seiner verstorbenen Frau Ligeia thematisiert. Poes charakteristische Sprache ist geprägt von melodischen Klängen und einem dichten, emotionalen Vokabular, das die melancholische Stimmung der Erzählung verstärkt. Vor dem Hintergrund des 19. Jahrhunderts mit seinen Fragen zur Metaphysik und der menschlichen Seele ergründet Poe universelle Themen wie die Unsterblichkeit der Seele und die Grenzen des menschlichen Verstehens. Edgar Allan Poe, ein Meister des Horrorgenres und Vorreiter der Kurzgeschichte, hat mit "Ligeia" sein außerordentliches Talent für die Erkundung komplexer psychologischer Zustände unter Beweis gestellt. Geboren 1809 in Boston, lebte Poe ein Leben voller Tragödien, was sich in den düsteren Motiven seiner Werke widerspiegelt. Seine Erfahrungen mit Verlust und Trauer haben seine literarische Stimme geprägt und machen "Ligeia" zu einem besonders intensiven Zeugnis seines Schaffens. Für Leser, die sich für das Mysteriöse und Unheimliche interessieren, ist "Ligeia" ein unverzichtbarer Bestandteil der Literaturgeschichte. Poes raffinierte Erzählweise und seine Fähigkeit, die menschliche Psyche zu durchdringen, bieten eine fesselnde Lektüre, die nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Dieses zeitlose Meisterwerk ist eine Einladung, die Grenzen zwischen Liebe und Tod, Realität und Phantasie in einem unvergesslichen literarischen Erlebnis zu erkunden.
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Ligeia
Und es liegt darin der Wille, der nicht stirbt. Wer kennt die Geheimnisse des Willens und seine Gewalt? Denn Gott ist nichts als ein großer Wille, der mit der ihm eigenen Kraft alle Dinge durchdringt. Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.Josef Glanvill
Bei meiner Seele, ich kann mich nicht erinnern, wie, wann und wo ich die erste Bekanntschaft machte – der Lady Ligeia. Lange Jahre sind seitdem verflossen, und mein Gedächtnis ist schwach geworden durch vieles Leiden. Vielleicht auch kann ich mich dieser Einzelheiten nur darum nicht mehr erinnern, weil der Charakter meiner Geliebten, ihr umfassendes Wissen, ihre eigenartige und doch milde Schönheit und die überwältigende Beredsamkeit ihrer sanft tönenden Stimme – weil dies alles zusammen nur ganz allmählich und verstohlen den Weg in mein Herz nahm, zu allmählich, als daß ich daran gedacht hätte, mir jene äußeren Umstände einzuprägen.
Ich habe jedoch das Empfinden, als sei ich ihr zum ersten Mal und dann wiederholt in einer altertümlichen Stadt am Rhein begegnet. Und eines weiß ich bestimmt: sie erzählte mir von ihrer Familie, die sehr alten Ursprungs war. – Ligeia! Ligeia! – Trotzdem ich in Studien vergraben bin, deren Art mehr noch als alles andre dazu angetan ist, mich ganz von Welt und Menschen abzusondern, genügt dies eine süße Wort »Ligeia«, vor meinen Augen ihr Bild erstehen zu lassen – das Bild von ihr, die nicht mehr ist. Und jetzt, während ich schreibe, überfällt mich urplötzlich das Bewußtsein, daß ich von ihr, meiner Freundin und Verlobten, der Gefährtin meiner Studien und dem Weib meines Herzens, den Namen ihrer Familie nie erfahren habe. War es ein schalkhafter Streich, den Ligeia mir gespielt hatte? War es ein Beweis meiner bedingungslosen Hingabe, daß ich nie eine Frage danach tat? Oder war es meinerseits eine Laune, ein romantisches Opfer, das ich auf den Altar meiner leidenschaftlichen Ergebenheit niedergelegt hatte? Der bloßen Tatsache sogar kann ich mich nur unklar erinnern – was Wunder, daß ich die Gründe dafür vollständig vergessen habe! Und wirklich, wenn jemals der romantische Geist des bleichen und nebelbeschwingten Aschtophet des götzengläubigen Ägyptens, wie die Sage meldet, über unglückliche Ehen geherrscht hat, so ist es gewiß, daß er meine Ehe stiftete und beherrschte.
Immerhin hat mich wenigstens in einem Punkt meine Erinnerung nicht verlassen: die Persönlichkeit Ligeias steht mir heute noch klar vor Augen. Sie war von hoher, schlanker Gestalt, in ihren letzten Tagen sogar sehr hager. Vergebliches Bemühen wäre es, wenn ich eine Beschreibung der Erhabenheit, der würdevollen Gelassenheit ihres Wesens oder der unvergleichlichen Leichtigkeit und Elastizität ihres Schreitens versuchen wollte. Sie kam und ging wie ein Schatten. War sie in mein Arbeitszimmer gekommen, so bemerkte ich ihre Anwesenheit nicht eher, als bis ich den lieben Wohlklang ihrer sanften süßen Stimme vernahm oder ihre marmorweiße Hand auf meiner Schulter fühlte. Kein Weib auf Erden trug solche Schönheit im Antlitz wie sie! Strahlend schön war sie, wie die Erscheinung eines Traumes, wie eine göttliche, beseligende Vision. Doch waren ihre Züge keineswegs von jener Regelmäßigkeit, wie die klassischen Bildwerke des Heidentums sie aufweisen und die man mit Unrecht so übertrieben bewundert.