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Sie wird von ihrem Namen verfolgt und will ihr ganzes Leben ändern. Er hat sich seinen Namen aufgebaut und denkt nicht daran, sich zu ändern. Die junge Ärztin Rose möchte ihre Vergangenheit hinter sich lassen. In der Stadt, die niemals schläft hofft sie, all die Schmerzen zu vergessen, die ihr ehemaliger Verlobter Andrew ihr zugefügt hat. Seelische – und körperliche. Doch auch New York hält seine Überraschungen für sie bereit. Allen voran den attraktiven Millionär Benjamin Dunn, der zufälligerweise nur wenige Stockwerke über ihr wohnt. Natürlich hatte Rose niemals vor, sich gleich in den nächsten erfolgreichen Mann zu verlieben. Doch Benjamin scheint endlich derjenige zu sein, dem sie bedingungslos vertrauen kann. Bis sich alles zu wiederholen scheint. Benjamin spielt sein eigenes Spiel. Und auch Andrew ist noch lange nicht bereit, Rose einem anderen zu überlassen …
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Teil I. Es war einmal …
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Teil II. … das Ende eines Albtraumes
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Epilog
Nachwort
Looking for more – Verlangen nach mehr E-Book-Ausgabe 07/2017 Copyright ©2017 by Eisermann Verlag, Bremen Umschlaggestaltung: Sabrina Dahlenburg Satz: André Piotrowski Lektorat: Marie Weißdorn http://www.Eisermann-Verlag.de ISBN: 978-3-96173-007-0
Die Hitze in New York City war unbeschreiblich. Klar, ich musste mich auch mitten im Sommer entscheiden, quer durch die Staaten zu ziehen. Die Anzeige des Taxis, das ich vom Flughafen aus nahm, zeigte zweiunddreißig Grad an. Gut, ich war solche Temperaturen eigentlich gewohnt, L.A. war das ganze Jahr warm, aber irgendwie war die Hitze hier ganz anders. Vielleicht lag es auch an den letzten Wochen und Monaten, dass ich leichter ins Schwitzen kam … Darüber wollte ich aber nicht mehr nachdenken. Ich war nur froh, dass ich ein Sommerkleid trug, während ich den ganzen Tag herumreiste. Erst der lange Flug und jetzt der Weg durch die Straßen Manhattans. Meine Nerven waren wirklich überstrapaziert und jetzt steckten wir auch noch in der Rush Hour. Großartig. Das letzte Mal war ich zwar vor knapp vier Jahren hier gewesen, aber erinnern konnte ich mich noch ganz genau. Hier hatte fast keiner ein eigenes Auto, jeder fuhr mit dem Taxi. Klar, mein Vater hätte mir seine Limousine schicken können, aber dazu hätte er wissen müssen, wann genau ich am Flughafen ankam. Das jedoch wollte ich verhindern und zum Glück hatte es auch gut geklappt. Das fehlte mir jetzt noch, dass mein Vater mir mal wieder sagte, dass er recht gehabt hatte. Nein, das brauchte ich auf keinen Fall.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt das Taxi endlich vor dem zweistöckigen Hochhaus am Rande der Upper East Side, in dem meine Wohnung lag. Die Fassade und die roten Backsteine sahen noch immer sehr gepflegt aus. Kein Wunder, in diesem vornehmen Viertel. Während ich zahlte und ausstieg, dachte ich an die Unsummen, die man zahlte, um hier wohnen zu können. Ich war zwar erwachsen, aber mein kontrollsüchtiger Vater wollte natürlich nicht, dass ich irgendwo außerhalb seiner Reichweite lebte, wo man mich nachts im Schlaf abstechen konnte. Zitat Ende. Ich wäre vielleicht auch in Soho oder Queens zufrieden gewesen. Hauptsache, ich konnte neu anfangen. Der Taxifahrer überreichte mir meinen Koffer. Mehr als einen brauchte ich nicht, ich wollte einfach nur noch dort weg.
Als ich auf das Haus zuging, öffnete mir der Portier sofort die Tür.
»Guten Abend, Miss. Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der ältere, freundlich lächelnde Herr und nahm mir den Koffer ab.
Abend? Wie spät war es denn schon? Ich bemühte mich ebenfalls um ein Lächeln.
»Hallo, ich bin Rose Callahan. Ich ziehe heute hier ein …«
Bevor ich weitere Infos geben konnte, schien er schon Bescheid zu wissen.
»Ach ja, Miss Callahan. Folgen Sie mir bitte, ich bringe Sie in Ihr Apartment.« »Danke, das ist nicht nötig. Ich weiß, wo …«
Doch er schüttelte den Kopf und ging mit mir Richtung Fahrstuhl.
»Nein, Ihr Vater möchte, dass ich Sie zu Ihrem Apartment begleite.«
Ich verdrehte die Augen. War ja klar.
Der Portier rief den Fahrstuhl und bedeutete mir dann freundlich, vorzugehen. Er folgte mir mit dem Koffer, drückte dann die Sieben und die Türen schloss sich sofort.
»Hatten Sie einen guten Flug, Miss Callahan?«
»Nennen Sie mich bitte Rose. Ich mag dieses Formelle nicht.«
Er sah mich überrascht an, schon fast sprachlos. Anscheinend hatte man ihm das »Persönlichere« noch nicht oft angeboten. Wie oft musste ich diese Situation schon mit den Leuten durchgehen? Ich war nicht mein Vater. Ich war nichts Besseres.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber …«
»Nichts aber«, fiel ich ihm ins Wort.
Ich musste mal wieder jemandem klarmachen, dass ich nur, weil ich mit meinem Vater verwandt war, nicht gleich genauso kontrollsüchtig und kühl sein musste.
»Ich bin Rose. Von mir aus können Sie mich vor meinem Vater wieder mit Miss Callahan anreden, wenn Sie sich damit besser fühlen. Aber solange er nicht da ist, und ich verspreche Ihnen, das wird er die meiste Zeit nicht sein, mag ich es, mit Rose angesprochen zu werden.«
Ich lächelte ihn wieder kurz an. Er sah jetzt nicht mehr so verwundert aus, was mich sofort beruhigte. Er hätte ja jetzt auch wieder stur und formell werden können. So etwas hatte ich schon oft erlebt.
»Gut, Rose. Ich bin Karl.«
Und schon sah man kurze Erleichterung aufflackern. Auf beiden Seiten.
Die Aufzugtür öffnete sich und ich sah staunend hinaus in den hellen Flur. Es hatte sich wirklich einiges verändert in nur vier Jahren. Die Marmorfliesen waren verschwunden, stattdessen erhellte nun ein schöner Teppich in Beige den Flur. Sofort wurde auch meine Stimmung besser. Derjenige, der den Flur gestaltet hatte, war sein Geld anscheinend wert gewesen.
Ich folgte Karl zu einer der drei Türen, die von diesem Flur abgingen. Er holte einen Schlüssel heraus, schloss auf und übergab mir das kleine Metallstück.
»Für Sie.«
Dann öffnete er die Tür, trug den Koffer herein und ich folgte ihm.
Das große Wohnzimmer war dank der bodentiefen Fenster noch immer lichtdurchflutet, obwohl die Sonne bereits unterging. Viel hatte sich nicht verändert. Die Wände waren neu gestrichen worden, der helle Orangeton passte zu den Möbeln. Ich war schon so oft hier gewesen, dass mich sofort ein gewisses Gefühl von »zu Hause« überkam.
»Gefällt es Ihnen?«, riss Karl mich aus den Gedanken und blickte mich erwartungsvoll an.
»Ich hatte ganz vergessen, wie schön es hier ist.«
Meine Antwort schien ihn zu überraschen, das sah ich in seinem Blick.
»Sie haben hier bereits gewohnt?«
»Ja, das ist aber schon viele Jahre her. Es hat sich einiges verändert. Dennoch … Es gefällt mir. Danke, Karl.«
Er schien erleichtert.
»Kein Problem, Miss … ähm, Rose. Den Hausschlüssel habe ich Ihnen ja bereits gegeben. Der Empfang ist rund um die Uhr besetzt. Wenn irgendetwas sein sollte, können Sie mich oder meine Kollegen immer unter der Nummer eins erreichen.«
Ich verstand und nickte ihm zu. Als Karl schon die Tür hinter sich schließen wollte, fiel mir auf, dass er ja noch kein Trinkgeld von mir bekommen hatte.
»Moment, Karl! Ihr Trinkgeld«, rief ich ihm hinterher, holte schnell ein paar Scheine aus meiner Tasche und überreichte ihm diese. Er lächelte leicht und schloss die Tür hinter sich.
Da stand ich nun, mitten in meinem Apartment. Nach mehr als sechs Stunden Flug war es das erste Mal, dass ich allein und es endlich ruhig um mich war.
Ich ließ mich erst mal auf das tolle, weiße Sofa zurückfallen. Die Kissen waren schön flauschig und jetzt bemerkte ich auch, wie weh mir meine Füße taten. Was machte ich mir eigentlich vor, mir tat einfach alles weh. Und so schnulzig es auch klang, das Herz am meisten. Dieser Schmerz hatte mich jetzt so weit gebracht, dass ich das Angebot meines Vaters annahm und von der Westküste zur Ostküste geflohen war. So konnte weder die Presse noch irgendjemand sonst sehen, wie die arme Rose litt. Schon einen Tag nachdem die Verlobung aufgelöst wurde, war das die Schlagzeile des Monats. Ich hatte keine ruhige Minute mehr. Nicht nur vor der Presse, nein, auch Andrew quatschte mir von morgens bis abends auf dem AB. Andrew … Ich dachte an seine klaren blauen Augen, sein blondes kurzes Haar, seinen durchtrainierten Körper. Er hatte immer schon eine gewisse Wirkung auf mich.
Ich packte mir eines der kuscheligen Sofakissen und drückte es fest an meinen Bauch. Die ganze Reise über hatte ich nur über ihn nachgedacht. Jetzt, hier in New York, nach meiner Flucht, kam es mir so vor, als hätte ich verloren. Obwohl er derjenige war, der … ich konnte nicht mal weiter darüber nachdenken, was er getan hatte und verdrängte den Gedanken. Ich war nicht nach New York gekommen, um über diesen Mist nachzudenken. Ich wollte neu anfangen. Auch wenn ich Mom und meine Freunde zurückgelassen hatte. Es musste einfach sein …
Mein klingelndes Handy hielt mich von weiteren Grübeleien ab. Ich nahm es aus der Tasche und sah, dass es Dad war.
»Dad.«
»Du bist also schon da«, begann er in seinem typischen kühlen Ton.
»Ja, ich wollte dir keine Umstände machen. Ich habe auch sofort ein Taxi bekommen.«
»Karl hat mich bereits angerufen. Ich stecke noch im Büro fest, aber Jeffrey hätte dich abholen können.«
Er nannte ihn also auch Karl. Faszinierend.
»Ist nicht schlimm. Ich bin sowieso müde, ich geh noch duschen und dann auch ins Bett.«
»In Ordnung. Morgen werde ich es vielleicht schaffen, mittags vorbei zu schauen.«
»Ich kann auch zu dir kommen.«
»Jeffrey wird dich abholen.«
Ich verdrehte die Augen. Er war so kontrollsüchtig. Typisch für schwerreiche Unternehmer.
»Ich nehme mir einfach ein Taxi.«
»Kommt nicht in Frage. Ich will nicht, dass irgendein Paparazzo jetzt schon mitbekommt, wo du wohnst.« Er klang eindeutig besorgt. »Jeffrey holt dich morgen um zwölf Uhr ab, dann können wir zusammen zu Mittag essen. Ich habe deinen Kühlschrank schon füllen lassen, einkaufen brauchst du also erst mal nicht.«
Na klasse. Er schien mich wirklich so lange wie möglich in diesem Apartment halten zu wollen.
»Okay, Dad. Dann bis morgen.«
»Ja, schlaf gut.«
Ich legte auf und seufzte kurz. Dad war schon immer der distanzierte und knallharte Geschäftsmann gewesen. Klar, ich wusste, dass das wohl mit seinem Beschützerinstinkt zusammenhing. Ich war nun mal sein einziges Kind, welches bei seiner Ex-Frau gelebt hatte, die mehr Ehemänner hatte als Liz Taylor (bisher waren es zwar nur fünf, aber für ihr Alter war das schon rekordverdächtig). Wir hatten zwar immer Kontakt, aber auch er hatte einfach nicht verhindern können, was in den letzten Wochen passiert war. Deswegen hielt ich es für eine gute Idee, hierher zu kommen. Nicht nur, um neu anzufangen, sondern auch, um von meinem Dad in gewisser Weise beschützt zu werden. Mom gefiel das natürlich ganz und gar nicht. Miteinander gesprochen hatten die beiden zum letzten Mal vor über neun Jahren zu ihrem Scheidungstermin. Danach war meine Mutter samt mir nach L.A. gezogen, während mein Vater hierblieb. Ich sah ihn aber weiterhin regelmäßig und so hatten wir immer eine sehr enge Beziehung zueinander. Auch wenn Dad einen auf stahlharten Geschäftsmann machte, tief im Innern war auch er einfach nur ein besorgter Vater, der sein Kind schützen wollte. Da spielte es auch keine Rolle, dass ich mit meinen 25 Jahren inzwischen auf mich selbst aufpassen konnte oder lange nicht mehr hier bei ihm gewesen war. Seit meinem Collegeabschluss wollte ich lieber bei Andrew sein. Was sich inzwischen total lächerlich anhörte, wenn man bedachte, was das alles gebracht hatte. Nichts.
Denn jetzt war ich hier. Allein in meinem Apartment, das ich eigentlich nur bezog, wenn ich Dad besuchte. Plötzlich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Dad hatte mir zwar gleich angeboten, wieder hierher zu ziehen, aber im Grunde hatte ich erst zugestimmt, als es nicht mehr anders ging. Wie selbstsüchtig war das denn?
Dad musste doch sonst was von mir denken. Morgen musste ich unbedingt mit ihm darüber reden.
Langsam erhob ich mich und ging mit meinem Koffer ins Schlafzimmer Das Bett war ein Traum von einer Wohlfühlzone und auch hier reichten die Fenster bis zum Boden. Ich ließ den Koffer auf dem Bett zurück, sah mich in dem großen Spiegel an, der neben dem Bett stand und schüttelte den Kopf. Meine dunkelblonden Haare hatten sich fast vollständig aus dem Zopf gelöst und standen wild in alle Richtungen. Ich sah total übermüdet aus. Während des sechsstündigen Fluges war einfach nicht an Schlaf zu denken gewesen. Seufzend machte ich mich daran, meinen Koffer auszupacken und nahm dann noch eine kühle Dusche.
Als ich ins Bett fiel, war es bereits dunkel geworden. Müde sah ich durch das Fenster hinaus auf die vielen unter mir liegenden Lichter. Die Stadt, die niemals schlief, war also jetzt mein neues Zuhause geworden.
Die Sonne schien schon in mein Schlafzimmer, als ich langsam wach wurde. Die Vorhänge taten ihr Bestes, aber im Hochsommer reichte das lange nicht aus. Ich hatte wunderbar geschlafen, tief und fest. Eine Seltenheit in letzter Zeit.
Ein Blick auf mein Handy ließ mich erschrocken hochfahren. Ich hatte tatsächlich bis halb elf geschlafen. Wann mir das das letzte Mal passiert war, wusste ich schon nicht mehr.
Langsam stieg ich aus dem Bett, rieb mir die Augen und griff nach meinem Morgenmantel. Ich ging durchs Wohnzimmer in die Küche, öffnete den Kühlschrank und staunte nicht schlecht. Dad hatte wirklich für alles gesorgt: Eier, Milch, Orangensaft, Aufschnitt, Obst. Ich hätte mit diesen Mengen eine vierköpfige Familie bewirtschaften können … wobei ihm das mit Sicherheit nicht gefallen würde. Ich griff nach dem Orangensaft und den Eiern, Kaffee fand ich in einem der Küchenschränke und die Maschine konnte ich leicht bedienen. Diese Küche war zwar etwas kleiner als meine alte in L.A., dafür aber viel besser ausgestattet.
Während ich mir Rühreier machte, grummelte mein Magen immer wieder. Oh ja, jetzt hatte ich wirklich Hunger. Die letzte Mahlzeit, ja wann war die denn gerade noch mal? Das musste im Flugzeug gewesen sein. Genau. Obwohl Dad darauf bestand, dass ich First-Class flog, bat ich um Economy. Die Stewardess ging meinem Wunsch Gott sei Dank nach. Ich fühlte mich einfach nicht wohl, wenn man mich von vorne bis hinten bediente, ganz egal, wie mein Nachname war oder was mein Umfeld davon hielt.
Die Rühreier waren fertig und ich legte sie auf einen Teller. Meine Mutter würde sich zum Beispiel niemals einfache Rühreier braten. Sie könnte es sicherlich, bevor sie meinen Dad traf, hatte sie kaum die Möglichkeit gehabt, einen Koch zu engagieren. Jetzt sah das Ganze schon anders aus. Sie zeigte gern, was sie hatte und besaß – das sah man an ihrem Haus, ihren Autos, ihren Kleidern, an allem. So war halt meine Mutter.
Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und vor allem weg von meinem Frühstück. Wer könnte das denn sein? Dad war es sicherlich nicht und Jeffrey hätte mir Bescheid gegeben, wenn er eher kommen würde.
Als ich die Tür öffnete, stand eine junge, rothaarige Frau vor mir. Sie hatte eine Jeans an, dazu trug sie eine tolle rosa Bluse, die ihre Weiblichkeit noch unterstrich.
»Hallo«, begrüßte sie mich lächelnd und plötzlich schämte ich mich etwas in meinem Morgenmantel. Man sah deutlich, wer von uns beiden hübscher war – und mehr Zeit gehabt hatte, sich zurechtzumachen.
»Ich bin Sarah. Sarah Michaels, ich wohne gleich neben dir.«
Jetzt klingelte es bei mir. Sie war meine Nachbarin und wollte sich vorstellen!
»Hallo, ich bin Rose Callahan.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Immerhin steht die Wohnung schon Ewigkeiten frei, obwohl dein Vater sie wohl mal gekauft hat.«
Bevor ich sie hereinbitten konnte, war sie auch schon in meiner Wohnung. Überrascht schloss ich die Tür hinter ihr.
»Wow. Du hast echt einen tollen Geschmack«, bemerkte Sarah und sah sich um.
»Mein Vater hat es so eingerichtet«, gab ich schnell von mir.
Die Wohnung war zwar schön, hatte aber abgesehen von meinen Klamotten im Schrank noch keine persönliche Note von mir.
»Du frühstückst gerade?«, fragte sie und beugte sich vor, um in die Küche zu sehen.
»Ja, möchtest du vielleicht auch Rührei? Es ist genug da.«
Meine Nachbarin sah mich mit glänzenden Augen an und nickte begeistert.
»Gerne.«
Sarah war wirklich eine tolle Frau. Sie war nur ein halbes Jahr jünger als ich und hatte dennoch schon die halbe Welt bereist. Ihre Eltern lebten in Florida und waren erfolgreiche Schönheitschirurgen. Sie selbst war Modeberaterin für die High Society, es war also kein Wunder, dass sie sich die Wohnung hier leisten konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie teuer die Wohnung für mich nun war. Als ich sie zum achtzehnten Geburtstag von meinem Dad geschenkt bekommen hatte, war ich einfach nur froh, dass er trotz der Entfernung zwischen uns wollte, dass ich in seiner Nähe wohnen konnte. Bei ihm einzuziehen war niemals eine Option für mich – seinen ganzen Affären wollte ich ungern begegnen. Das konnte ich ihm so natürlich nicht sagen.
»Und wieso bist du nach New York gekommen?«, fragte Sarah und streute Salz auf ihre Eier.
»Ich hab mich von meinem Verlobten getrennt.«
Es war komisch, das jetzt so auszusprechen. Vor allem, weil hier in New York keiner wusste, wieso ich hier war. Bisher.
»Das ist Geschichte«, sagte ich schnell, als auch Sarahs mitleidiger Blick mich traf. Davon hatte ich genug. »Klar tut so etwas weh, aber New York ist die Stadt, die alles möglich machen soll. Wieso denn auch nicht, über eine Beziehung hinwegzukommen?« Ich legte mein Alles-ist-gut-Lächeln auf und hoffte, dass sie nicht mehr über Andrew sprechen würde, doch weit gefehlt.
»Ihr wolltet heiraten? Das ist hart.«
Ich stocherte in meinen Rühreiern herum. Dieses Thema verdarb mir den Appetit.
»Es hat einfach nicht geklappt. In L.A. war deswegen die Hölle los und ich musste da weg. Einen Neuanfang starten.«
»Verstehe ich. Hier in New York kann ich meiner Karriere ganz normal nachgehen, ohne dass mich jeder mit meinen Eltern in Verbindung bringt. Das nervt total.«
Es tat gut, dass sie mich verstand. Wir beide versuchten, alleine klarzukommen.
»Wie lange lebst du denn schon hier?«
Sarah schien nachzudenken.
»Ich glaube, ich bin letzten Februar hierhergezogen. Ja, es müsste im Februar gewesen sein. Es lag noch Schnee, meine ich. Musste aber Gott sei Dank im März erst meine neue Stelle beginnen. Was machst du eigentlich beruflich?«
Das war das erste Mal, dass ich in den letzten Tagen wieder darüber sprach.
»Ich bin Assistenzärztin. Fange nächste Woche hier im New Yorker West Memorial an.«
»Du bist Ärztin? In deinem Alter?«
»Ist keine große Sache«, antwortete ich und zuckte beiläufig mit den Schultern. Ich hatte eine Klasse übersprungen, mehr aber auch nicht. Früher auf der Highschool war das eine große Sache. Aber was sollte ich sagen? Der Schulstoff war oftmals zu einfach für mich. Mein Dad wollte zwar, dass ich in seinem Unternehmen unterkam, aber ich fand die Medizin schon immer total interessant. Dann fing ich an, meinen eigenen Weg zu gehen. Ohne den Namen meines Vaters irgendwo zu benutzen. Und so war es jetzt auch, bei der Stelle hier im Krankenhaus. Es war nicht einfach, so schnell etwas zu finden und ich war wirklich froh darüber, so schnell eine Zusage bekommen zu haben.
»Ich find es echt klasse, dass du jetzt hierhergezogen bist«, stellte Sarah lächeln fest und nippte an ihrem Kaffee. »Ich bin zwar schon ein paar Monate hier, aber mehr als ein paar Bekannte habe ich bisher nicht kennengelernt. Vielleicht hast du Lust, morgen mit mir um die Häuser zu ziehen? Es gibt hier echt gute Clubs.«
Ich nickte sofort. »Klar, bei so etwas bin ich immer zu haben.«
»Toll, ein echter Mädelsabend!« Sie schaute auf die Uhr und bekam große Augen. »Oh Mann, es ist schon fast zwölf. Ich muss los.«
Auch ich erschrak, um zwölf Uhr wollte mich Jeffrey abholen. Wir hatten uns total verquatscht.
Nachdem wir uns hastig verabschiedet hatten, lief ich schnell ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Ich hatte keine Ahnung, wie warm es heute werden würde, aber da wir nun mal Mitte Juli hatten, nahm ich das dunkelblaue Kleid aus dem Schrank, das ich mir gestern noch in L.A. gekauft hatte. All meine Klamotten waren neu. Nichts sollte mehr an L.A. erinnern.
Ich betrachtete mich mit dem Kleid im Spiegel. Ich sah gut aus. Das Kleid betonte nicht zu viel und nicht zu wenig, so konnte ich mich mit meinem Dad treffen. Als mein Blick wieder auf die Uhr fiel, fluchte ich leise. Ich war viel zu spät. Ich packte meine Tasche mit meinem Handy, zog meine weißen Schuhe mit kleinem Absatz an und verließ die Wohnung. Hastig drückte ich den Fahrstuhlknopf und wartete. Gerade wollte ich schon die Treppen nehmen, da öffneten sich die Türen. Ich stieg in den leeren Fahrstuhl ein und drückte hastig mehrmals den Knopf zum Erdgeschoss. Jeffrey wartete sicherlich schon und ich hasste Unpünktlichkeit, sowohl bei mir als auch bei anderen. Ungeduldig schaute ich nach oben auf die Etagenanzahl. Anscheinend hatte jemand aus den oberen Etagen den Knopf gedrückt, denn wir fuhren hoch. Na toll!
Ich seufzte genervt auf. Vor allem, als ich sah, dass wir tatsächlich bis zur zwölften Etage hochfuhren. Der Tag fing ja klasse an, so ein Pech konnte auch … Die Türen öffneten sich und ich blickte in tiefgrüne Augen.
Vor mir stand ein Bild von einem Mann. Seine Augenbrauen zogen sich verwundert in die Höhe, als sein Blick meinen traf. Instinktiv schlug mein Puls in die Höhe, als wüsste mein Körper, dass da gerade etwas passierte. Er hatte kurze dunkle Haare und die stechenden Augen passten zu seinem markanten Gesicht. Er trug einen Anzug, sicherlich von irgendeinem Designer, vielleicht Gucci. Soweit hatte auch ich davon eine Ahnung. Der Anzug stand ihm wirklich sehr gut. So selbstsicher wie er dort stand, war ihm sehr bewusst, was er für eine Wirkung auf Frauen hatte. Vielleicht war er Model?
Als unsere Blicke sich wieder trafen, stockte mir für einen kurzen Moment auch noch der Atem. Dann stieg er ein, warf einen Blick auf die Anzeige und nickte kaum merklich. Still warteten wir darauf, dass die Türen sich schlossen. Wie peinlich, ich hatte ihn nicht mal gegrüßt. Aber ich war gerade wirklich etwas geschockt, weil er so wahnsinnig attraktiv war. Und dann trug er auch noch so ein wahnsinnig tolles Aftershave. Shit.
Ich versuchte, ihn nicht noch mal anzustarren und beobachtete konzentriert die Wand. Vielleicht war ich auch etwas beschämt darüber, dass ein Mann mich so aus der Fassung bringen konnte … sah er mich gerade an? Ich konnte es nicht genau sagen, aber irgendwie hatte ich so ein Gefühl. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Mein Griff um meine Tasche wurde stärker, sie litt bestimmt schon unsägliche Schmerzen. Wieso, in Gottes Namen, machte ich mir denn solche Gedanken? Er war ein Mann wie jeder andere. Gut, vielleicht sieht er ja echt überdurchschnittlich gut aus und riecht wahnsinnig gut …
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie der Mann einen Schritt nach vorne machte.
»Bitte, die Dame …«
Seine Stimme klang ruhig und gelassen. Er hatte Manieren, das konnte man nicht abstreiten. Wieder trafen sich unsere Blicke, diesmal konnte ich so etwas wie ein kurzes Lächeln in seinem Gesicht erkennen. Vielleicht wollte ich das auch nur. »Wollen Sie jetzt raus oder doch bleiben?« Das Schmunzeln auf seinen Lippen steckte mich an, dennoch wurde mir bewusst, dass das hier ein fremder Mann war. Ein erfolgreicher, ein … Mann, wie ich ihn bereits kannte. Mein Lächeln gefror und das schien ihn zu irritieren. Natürlich. Sowas kannte er vermutlich nicht.
»Danke«, brachte ich heraus und versuchte, so grazil wie nur möglich aus dem Fahrstuhl zu gehen.
Wieder hatte ich das Gefühl, dass sein Blick mich verfolgen würde, umdrehen wollte ich mich dann aber doch nicht. Außerdem erkannte ich draußen schon die Limousine meines Dads. Jeffrey stand angelehnt davor und schaute immer wieder ungeduldig auf seine Uhr.
Karl nickte mir höflich zu als ich die Lobby durchquerte, er schien auf jemanden zu warten. Ich war es anscheinend nicht. Als ich auf die Straße trat, stellte Jeffrey sich sofort gerade hin und setzte sein Lächeln auf, das ich immer so mochte. Er war älter geworden, ich hatte ihn ja auch schon Jahre nicht mehr gesehen. Solange ich denken konnte, war er Dads Mann für alles gewesen. Er war nicht nur sein Fahrer, sondern auch Bodyguard und Verwalter seiner Termine.
»Hallo Jeffrey. Es tut mir leid, dass ich zu spät bin, ich habe einfach die Zeit vergessen.«
Er winkte ab. »Kein Problem, Ms. Callahan. Sie hatten gestern eine lange Reise.«
Genau das bewunderte ich so an ihm. Er hatte immer Geduld und Verständnis, da sollte ich mir mal eine Scheibe von abschneiden.
Jeffrey öffnete mir die Tür. Als ich mich hinsetzte, sah ich im Augenwinkel, wie dieser Klassetyp aus dem Fahrstuhl Karl höflich zu nickte. Dann lief er zu der Limousine, die direkt hinter meiner stand. Plötzlich sah er auf und direkt zu mir in die Limousine hinein. Gott sei Dank waren die Scheiben getönt, aber sein Blick war so durchdringend, dass ich hätte schwören können, dass er mich sah. Ich schüttelte den Kopf. Schwachsinn.
Als er dann endlich selbst in die Limousine stieg, fühlte ich mich sofort etwas erleichtert.
Dreißig Minuten später kam ich in einem kleinen italienischen Restaurant an. Es war zwar kleiner als die meisten Geschäfte am Times Square, aber trotzdem sehr gut besucht. Dad wartete schon auf mich, als ich ankam. Er wirkte leicht genervt, obwohl Jeffrey meine Verspätung gut aufgeholt hatte. Vielleicht lag es auch an der Arbeit. Viel zu tun hatte er ja immer.
»Wie war der Flug?«, fragte er mich, während er dem Kellner die Menükarten zurückgab.
»Lang, aber okay.«
Mir fiel auf, dass er ein paar graue Haare mehr bekommen hatte, dennoch sah er für sein Alter immer noch sehr gut aus. Sein attraktives Äußeres und sein Geld brachten ihm die ganzen Affären ein. So war das halt in New York.
»Und, wie gefällt dir die Wohnung?«
»Sie ist toll. Genau so, wie ich sie noch in Erinnerungen hatte. Die neue Farbe gefällt mir.«
»Sie wurde letzte Woche erst gestrichen. Ich dachte ja zunächst, du würdest zu mir ziehen.« Er klang vorwurfsvoll.
»Dad, ich hatte dir doch erklärt, dass ich wenigstens etwas unabhängig sein möchte.«
»Bist du doch auch. Die Wohnung gehört dir.«
»Ja, nachdem du sie für mich gekauft hast«, erwiderte ich lächelnd.
Er zuckte nur mit den Schultern.
»Das war ein Geburtstagsgeschenk, das weißt du.«
»Ich werde eine ganze Weile hierbleiben, Dad. Nächste Woche geht’s an die Arbeit, da brauche ich einfach etwas Eigenes.«
Ich musste ihn dringend noch einmal daran erinnern, dass ich diesmal nicht befristet blieb.
»Eine Arbeit in einem staatlichen Krankenhaus.«
Oh ja, und wieder etwas, das ihm nicht gefiel.
»Du hättest auch in einer der privaten Kliniken arbeiten können, ich habe gute Kontakte zu vielen Ärzten dort. Und du würdest deutlich mehr verdienen.«
Ich musste erst mal einen Schluck Wasser trinken.
»Dad, eine Bedingung war, dass ich hier etwas weniger mit deinem Unternehmen und dem Namen Callahan zu tun habe. Ich will mein eigenes Ding machen, selbst zu Hause putzen und kochen und mir meine Stellen selbst erarbeiten. Wir sehen uns doch trotzdem regelmäßig. Andere Kinder machen doch auch das, was sie wollen.«
»Andere Kinder haben auch nicht diese Möglichkeiten«, konterte er.
Typisch Dad. Er hatte vor zehn Jahren Millionen, wenn nicht sogar Milliarden gemacht, indem er ein Immobilienunternehmen eröffnete und richtig gute Deals an Land zog. Mittlerweile hatte er Geld ohne Ende. Ich hatte es immer genossen, dass wir keine finanziellen Probleme hatten. Vor allem, weil Mom nach der Scheidung eine millionenschwere Abfindung bekam. Aber ich wollte auch schon immer meine eigene Karriere starten, ohne dass meine Eltern die Finger im Spiel hatten. Ich konnte Medizin studieren und wurde Ärztin. Und das erfüllte mich ungemein.
»Manchmal musst du auch einsehen, Rose, dass du keine einfache Bürgerin bist. Nicht umsonst bist du vor den Paparazzi in L.A. geflohen.«
Ich seufzte.
»Ich bin nicht nur deswegen gegangen.«
»Ich möchte jetzt nicht über Andrew reden«, gab er von sich und seine Miene verfinsterte sich.
Meine eigene sah bestimmt nicht anders aus, als er seinen Namen erwähnte. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, meine Hand über den Tisch zu strecken und seine zu drücken. Sicher litt auch er unter der Presse. Für die war meine Verlobung mit einem großen Öl-Erben damals schon ein gefundenes Fressen gewesen. Jetzt sah das nicht anders aus.
»Ich verstehe, dass du mich beschützen willst, Dad. Nur manchmal geht das nicht. Ich bin mit den Paparazzi und mit dem ganzen Drumherum groß geworden. Aus mir ist trotzdem was geworden, oder nicht?«
Er nickte und schien von meinen Worten besänftigt. Das war das erste Mal gewesen, dass ich in ihm heute nur den fürsorglichen Vater gesehen hatte.
»Du hast recht. Nur … lass mich dir helfen, wenn es zu viel wird. Noch weiß niemand, dass du hier bist. Das ist aber auch nur eine Frage der Zeit.«
Ich wollte gerade antworten, da riss sein Handy uns aus dem tollen Vater-Tochter-Moment heraus.
»Entschuldige«, seufzte er, nahm ab und setzte sofort wieder seine Unternehmer-Miene auf. »Ja? Ja, kaufen. Was sonst.«
Und damit legte er schon wieder auf.
»So, ich wollte dich noch einladen. Heute Abend findet im Guggenheim Museum eine Gala zu Gunsten benachteiligter Kinder statt.«
Ich sah ihn überrascht an.
»Ich soll dabei sein?«
Es wäre das erste Mal nach der Scheidung, dass wir als Vater und Tochter zusammen auf eine öffentliche Veranstaltung gehen würden. Jetzt wurde mir auch klar, wieso mein Vater dachte, dass bald auch die Paparazzi wissen würden, wo ich war.
»Du lebst jetzt hier bei mir. Du bist meine Tochter und ich möchte, dass du auch die Kreise kennenlernst, in denen ich Geschäfte mache.«
Das war wieder klar.
»Ich weiß nicht, Dad. In L.A. hielt ich da auch nichts von.«
»Und dennoch hast du dich gut einmal im Monat für deine Mutter in Schale geworfen und mitgespielt.«
Wow, er war ja gut informiert.
Mein Seufzen deutete er sofort als Zustimmung.
»Jeffrey holt dich um acht ab. Abendgarderobe. Und nimm die.«
Er schob mir eine Platinkreditkarte über den Tisch.
»Dad …«
»Nimm sie schon. Du kannst sie immer und überall benutzen.«
Seine Stimme war jetzt weicher, wie immer, wenn er mir ein Geschenk machen wollte.
»Das ist sehr nett von dir, aber ich habe mein eigenes Geld.«
Ich schob sie wieder zurück.
Es war schon später Nachmittag, als ich wieder nach Hause kam. Ich musste shoppen, denn für eine Gala hatte ich in L.A. noch nichts gekauft. Und obwohl ich erleichtert war, etwas Passendes für heute Abend gefunden zu haben, war ich froh, dass ich nicht über die finanziellen Mittel verfügte, die mein Dad sein Eigen nennen durfte. Wer wusste schon, was eine Suchende alles ausgeben würde, wenn sie es nötig hatte.
Als ich die Lobby betrat, erhob Karl sich und lächelte mir entgegen. »Hallo, Rose. Soll ich Ihnen helfen?«
Ich schüttelte den Kopf und sah zu, wie Karl für mich den Fahrstuhl rief.
»Haben Sie nicht bald Feierabend?«, fragte ich ihn und stellte die vier Taschen kurz ab.
»Das dauert noch eine Weile. Konnten Sie wenigstens genug von Manhattan sehen während Ihrer Shoppingtour?« Er deutete auf meine Taschen.
»Nicht wirklich. Ich war eher darauf fixiert, ein passendes Abendkleid zu finden.«
»Und? Hatten Sie Erfolg?«
»Joa, kann man so sagen.«
Der Fahrstuhl kam an und ich trat langsam ein.
»Ich wünsche dann noch einen schönen Abend«, verabschiedete sich Karl. Ich nickte ihm zu.
»Und Ihnen bald einen schönen Feierabend, Karl.«
»Danke sehr.«
Ich drückte die Sieben und konzentrierte mich schon auf die Anzeigetafel, als ich bemerkte, dass sich die Türen auf einmal wieder öffneten. Überrascht schaute ich auf und mein Herz setzte kurz aus, als ich sah, wer sich da noch schnell in den Fahrstuhl gesellte. Er hatte immer noch diesen tollen Anzug an, der ihm so viel Klasse verlieh.
»Danke, Karl!«, rief er ihm zu. Die Türen schlossen sich.
Während ich noch daran dachte, dass seine Stimme fantastisch klang, sah er mich sofort an. Oh Gott. Hoffentlich erkannte er nicht, dass ich schlagartig rot wurde. Schnell trat ich etwas zur Seite, damit er sich neben mich stellen konnte.
»Hallo.«
Erschrocken sah ich auf, und ja, er sprach tatsächlich mich an! Ja, wen auch sonst, du Idiotin.
Ich nickte. Sein Blick war wirklich durchdringend, er schien auf eine Antwort zu warten.
»Hi.«
Mehr bekam ich nicht raus. Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte. Direkt in sein Gesicht? Aber er sah mich so intensiv an. Hatte er jetzt mehr erwartet als ein »Hi«? Bevor ich aber mehr sagen konnte, öffnete sich schon die Tür zu meinem Stockwerk.
»Ich hoffe, Sie haben etwas Schönes gefunden.« Sein Lächeln war ansteckend, wenn ich nicht sofort wieder in Schockstarre verfiel. Dann fiel mir wieder ein, dass das hier ein fremder Mann war und ich setzte meine Maske wieder auf. Also ignorierte ich ihn weiterhin.
»Dann wünsche ich mal einen schönen Abend«, verabschiedete er sich lächelnd und ließ seine Hände lässig in den Hosentaschen verschwinden. Ich brachte wieder nur ein Nicken zustande. Kopfschüttelnd ging ich den Flur hinunter und schloss die Wohnung auf. Was war denn mit mir los? Ich hatte diesen Kerl jetzt zweimal getroffen und bekam kein Wort heraus? Reiß dich mal zusammen! Du bist ein echtes L.A.-Girl. Solche Typen laufen dort ständig herum. Aber dass so ein Typ hier im Haus leben musste … das musste natürlich ausgerechnet mir passieren.
Ich schmiss die ganzen Tüten auf die Couch.
»Ach, der Kerl flirtet gerne. Wer weiß, was für Weiber der ständig abschleppt«, redete ich mit mir selbst und machte mir ein Sandwich. Dann zeigte mir ein Blick zur Uhr, dass ich nur noch eine Stunde hatte, bis Jeffrey mich abholen würde. Sonst war ich immer gut im Zeitmanagement, aber hier bekam ich es nicht so hin. Also noch sechzig Minuten, um Haare und Make-up zu machen. Ach, und duschen muss ich auch noch. Aber so etwas kannte ich ja.
Nach vierzig Minuten war das Ergebnis echt toll anzusehen. Ich hatte mich für das nicht zu kurze Schwarze entschieden und die Haare hochgesteckt. Dazu trug ich schwarze Ohrringe und dezentes Make-up. Die Augen schön betont, aber nicht zu viel. Keiner hätte jetzt sagen können, ich sähe nicht gut aus. So selbstbewusst hätte ich im Fahrstuhl stehen sollen, dachte ich mir. Aber jetzt war es auch zu spät. Wenn ich diesen geheimnisvollen Nachbarn das nächste Mal sah, würde ich einfach mal versuchen, mich nicht wie ein 16-jähriges Highschool-Mädchen zu verhalten. Ich würde etwas ausstrahlen, das der Frau vor mir im Spiegel ähnelte. Ich nickte stolz und griff mir meine Handtasche. Du wirst dich heute Abend amüsieren. Du hast zwar keine Ahnung, was dich erwartet, aber es wird Zeit, dass du mal rauskommst. Dein Leben wird jetzt hier in New York endlich neu beginnen. Punkt. Ich liebte mein Unterbewusstsein.
Gerade als ich nach draußen kam, fuhr Jeffrey auch schon vor. Der Mann hatte wohl nie frei.
»Guten Abend, Ms. Callahan. Sie sehen wunderschön aus«, begrüßte er mich und nickte mir zu.
»Danke, Jeffrey.«
Er öffnete mir die Tür und ich stieg ein. Dad saß schon im Wagen. Sein Anzug mit Fliege stand ihm toll.
»Guten Abend, Rose. Du siehst gut aus.«
Er umarmte mich kurz und ich setzte mich ihm gegenüber.
»Du auch, Dad.«
»Wie war dein Tag?«, fragte er mich, war aber schon wieder damit beschäftigt, in seinem Handy zu lesen.
»Gut, ich war ein paar Sachen shoppen. Und du? Hast du etwa wieder bis gerade eben gearbeitet?«
»Ich war bis sechs im Büro. Wieso fragst du?«, sprach er mit mir, ohne mich dabei anzuschauen. Sein Handy schien interessanter.
»Vielleicht, weil du schon wieder nur dein Handy in der Hand hast?«
»Entschuldige.« Er steckte es wieder ein. »Ich bin momentan an einem großen Deal dran. Tut mir leid, passiert nicht noch mal.«
»Kein Problem, Dad.« Ich kannte das nicht anders.
Jeffrey fuhr los und ich beobachtete die vielen Lichter draußen.
»Wie gefällt dir New York bisher?«
»Dad, ich bin nicht das erste Mal hier.«
»Ja, aber jetzt bleibst du nicht nur ein paar Tage.«
Wieder typisch Dad. Hatte er etwa immer noch Angst, ich würde gehen?
»Erschrick nicht, wenn wir gleich ankommen. Die Presse hier kann noch unangenehmer sein als in L.A..«
Er sah auch immer wieder aus dem Fenster. Diesmal war sein Blick streng, das Thema schien ihm wichtig zu sein.
»Wenn sie dich auf Andrew ansprechen, einfach nicht reagieren.«
Plötzlich zog sich mein Magen zusammen. Er hatte Andrew schon wieder erwähnt und dabei nicht gerade freundlich geklungen. Es musste ihn unheimlich sauer machen, dass seine Tochter so verletzt wurde. Vor allem, dass ich ihn dann noch bat, Andrew in Ruhe zu lassen, weil Dad seine Macht spielen und ihn untergehen lassen wollte. Aber nein, Rose war einfach nett zu Idioten.
»Worum geht es jetzt genau bei der Gala?«
Das sollte ich zumindest wissen.
»Um benachteiligte Kinder in den Vereinigten Staaten. Wir sammeln Gelder, damit Kinder aus armen Vierteln zur Schule gehen können, ein warmes Mittagessen bekommen und so weiter.« Er zupfte an seiner Fliege herum. Ja, Dad war vielleicht reich und auch ein knallharter Geschäftsmann. Aber er setzte sich schon seit Jahren für Kinder ein und hatte dafür meinen Respekt. Meine Mutter machte das zwar auch ab und an, aber eher, um im Gespräch zu bleiben. Dad machte es in seiner Freizeit und spendete anonym Millionen. Er war da sozusagen mein Held. Auch, wenn ich wusste, dass er dafür auch gute Publicity bekam.
Die Limousine wurde langsamer und wir schauten hinaus. Das Museum wurde erhellt von Lichtern und Kameras, denn der ganze rote Teppich stand mit Presseleuten voll. Na super. Dad hatte also recht. Sie würden wissen, dass ich jetzt da war.
»Okay.« Dad sah mich an und nahm meine Hand. »Ich geh vor. Und denk dran: Rede von nichts, was du nicht erzählen willst.«
Ich lächelte.
»Ein bisschen weiß ich schon mit der Presse umzugehen.«
Jeffrey öffnete die Tür und mein Dad trat hinaus. Sofort fingen die Rufe an.
»Mr. Callahan, hierher!«
Er half mir raus aus dem Auto und ich setzte sofort mein Lächeln auf. Etwas anderes würde nur wieder falsch interpretiert werden, auch wenn ich es nicht gerade toll fand, wenn so viele Kameras auf mich gerichtet waren. Es blitzte unaufhaltsam weiter.
Dad führte mich langsam zum roten Teppich. Es war schon komisch, dass ich jetzt mit Dad hier war. Das letzte Mal, dass wir zusammen auf einer Veranstaltung waren, war mit Mom zusammen. Und das schon vor Ewigkeiten. Mein Dad wirkte kühl, aber doch wieder freundlich, indem er immer wieder mal kurz lächelte. Er wusste genau, wie er seinen Namen vermarkten konnte, auch wenn er so etwas eigentlich nicht mochte. Früher war er immer der gemütliche Dad gewesen. Geschäfte führen war okay, aber solche Veranstaltungen mussten nicht sein, es sei denn, Kindern wurde geholfen. Während wir den Kameraleuten Objekt standen, bemerkte ich, dass eine Dame am Rand Dad immer lauter rief. Sie schien Moderatorin zu sein.
»Mr. Callahan … Mr. Callahan! Ein kurzes Interview mit Ihrer Tochter, New Yorker News One!«
»Ein kurzes Interview, dann haben sie, was sie wollen«, flüsterte mir Dad ins Ohr und ging mit mir zum Rand des Teppichs.
Die Fotos wurden zwar weniger, die Lichter spürte ich dennoch auf mir. Hoffentlich stand mir das Kleid jetzt auch, Unsicherheit bahnte sich bei mir an.
»Hallo, Mr. Callahan. Ms. Callahan.«
Sie war attraktiv und wusste, wer ich war. Na, dann mal los.
»Mein Name ist Johanna McAllister von New Yorker News One.«
Mein Dad nickte ihr freundlich zu.
»Wie kommt es, dass Sie heute mit Ihrer Tochter kommen? Das ist eine Premiere.«
»Nun …« Dad sah mich kurz liebevoll an. »Meine Tochter ist vor kurzem hierhergezogen und wir verbringen ein bisschen Zeit zusammen. Unsereins geht nun mal selten ins Kino.«
Ich musste auch kurz grinsen. Er verstand es wirklich gut, mit der Presse umzugehen.
»Das freut mich für Sie. Hat der Umzug etwas mit der Trennung zu tun, die durch die Presse ging? Ich meine mich zu erinnern, dass Ihr Ex- Verlobter …«
Aber Dad ließ sie nicht aussprechen.
»Meine Tochter ist eine junge Ärztin, die Erfahrungen sammeln möchte. Was gibt es da besseres, als hier in New York zu arbeiten?«
Die Journalistin nickte. Sie verstand also, dass darauf nicht geantwortet werden würde.
»Wir haben gehört, dass Sie und Ihre Firma momentan sehr daran interessiert sind, mit der Dunn Corporation zu fusionieren.«
Ich sah meinen Dad an. War das der große Deal, von dem er gesprochen hatte?
»Ich denke, meine Tochter möchte langsam rein. Einen schönen Abend noch.«
Und schon liefen wir wieder in die Richtung des roten Teppichs. Okay, er wollte wohl auch nicht über seine Geschäfte sprechen.
»Ich hasse die Presse. Sie mögen tratschen, aber recht haben sie«, seufzte mein Dad vor sich her und wir gingen hinein in das Museum.
Es war wirklich wunderbar anzusehen. Die hohen und hellen Marmorwände und Decken, alles edel geschmückt. Die Leute hier hatten alle Geld, man sah es ihnen an. Dad wollte mich vermutlich auch der High Society vorstellen. Die in L.A. kannte ich ja zur Genüge. Als wir die Halle betraten, kamen auch schon zwei ältere Herrschaften auf uns zu.
»John«, begrüßte einer der beiden meinen Dad.
Das war das erste Mal, dass sich jemand traute, seinen Vornamen zu nennen. Sie schüttelten sich die Hände.
»Darf ich vorstellen, das ist meine Tochter Rose. Rose, das sind Jonathan und Rick.« Beide nickten mir höflich zu.
»Freut mich«, kam von mir.
Sie waren sicherlich in Dads Alter, aber sahen freundlich aus.
»Eine Augenweide, deine Tochter. Jetzt kommt wenigstens mal Schwung hier rein. Bisher ist die Party etwas eintönig«, gab Jonathan von sich.
»Das sind meine Geschäftspartner, Rose«, bemerkte Dad.
Die beiden waren sicherlich auch sehr erfolgreich, sonst wären sie nicht so locker miteinander. Missgunst war hier leider weit verbreitet.
»Übrigens, Dunn soll heute auch kommen«, informierte Rick ihn.
Dads Miene verdunkelte sich etwas.
»Das hatte ich mir schon gedacht.«
»Ich sehe mich mal etwas um, Dad.«
Er nickte mir zu und war schon wieder in das Gespräch vertieft.
Leise Musik erfüllte die große Halle. Vielleicht sollte ich mir etwas Champagner besorgen. Ich staunte nicht schlecht, als ich das Buffet erreichte. Dafür, dass es um mittellose Kinder ging, konnte man hier Kaviar auftischen. Makaber. Aber das war die High Society schon immer.
Ich nahm mir hastig ein Glas Champagner und trank es genauso schnell aus. Tat das gut. Kalter Champagner bei dem Wetter. Ich wollte ich mir schon ein neues Glas nehmen, als ich mit einer anderen Hand zusammenprallte. Erschrocken zuckte ich zurück und traute meinen Augen kaum, als ich in die des Fahrstuhl-Kerls schaute.
Wie sollte ich ihn sonst nennen?
Er lächelte mich sofort an und ich staunte noch immer. Nicht nur, weil er hier war, sondern auch, weil er so gut in seinem Smoking aussah … erst die Designeranzüge im Fahrstuhl, jetzt dieser tolle Smoking. Und seine Augen … so intensiv, so unglaublich schön.
»Was für ein Zufall, dass wir uns immer begegnen«, stellte Mr. Fahrstuhl fest. Seine Stimme klang so voll, so klar …
»Das kann man wohl sagen«, brachte ich heraus und merkte tatsächlich, dass ich gerade flirtete. Meine Stimme klang jedenfalls so.
Was machte dieser Kerl mit mir?
»Man könnte meinen, dass du mich verfolgst.«
Ich musste kurz auflachen.
»Dasselbe könnte ich von Ihnen denken.« Ich bot ihm absichtlich nicht das Du an.
»Glaub mir, würde ich dich verfolgen, würdest du es nicht bemerken.«
Und da war plötzlich ein ganz anderer Blick. Fest und bestimmend. Wir schauten uns einige Sekunden an. Ein Knistern lag in der Luft, das war ganz klar. Er reichte mir ein Champagnerglas.
»Bitte sehr.«
»Danke.«
Er nahm auch eines und musterte mich von oben bis unten.
»Du siehst übrigens wunderschön aus«, bemerkte er dann mit vollkommen ernster Miene. Er duzte mich schon wieder!
Und da tauchte wieder diese Frage in meinem Kopf auf: Wer war dieser tolle Kerl? Und warum zum Teufel sollte dieser Mann noch Single sein?
Plötzlich spürte ich, wie jemand sich neben mich stellte. Es war mein Dad. Er sah weder böse noch überrascht darüber aus, dass ich mit einem Mann sprach. Aber wieso sollte er auch? Ich war erwachsen. Dennoch war es mir kurz unangenehm.
»Was für eine Überraschung, Benjamin. Ich dachte schon, Sie würden bei solchen Veranstaltungen lieber zu Hause bleiben.«
Benjamin? Das war also sein Name. Und Dad kannte ihn, oh Mann.
»Irgendwas sagte mir, dass es sich lohnen würde herzukommen«, erwiderte der Angesprochene und sah mich wieder kurz an, aber nur beiläufig.
Er hatte also Respekt vor meinem Dad. Interessant. Er war selbstbewusst genug, um heftigst mit mir zu flirten, aber auch cool genug, um das vor meinem Dad nicht offen zu zeigen. Gut, er war ein Alphamännchen. Vielleicht war Benjamin selbst eines, aber er wollte meinem Dad Respekt entgegenbringen. Er hatte Manieren.
»Kennen Sie meine Tochter schon?«
Ich erschauderte leicht. Was sollte man dazu sagen?
»Nun, wir wollten uns gerade bekannt machen«, antwortete er ihm in ruhigem Ton.
»Rose, das ist Benjamin Dunn.«
Ich staunte nicht schlecht. Das war also der geheimnisvolle Mann, der mit meinem Dad Geschäfte machte. Er war also doch kein Model.
»Und das ist meine Tochter, Rose Callahan.«
Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Benjamin hielt sie kurz fest. Zu lang, wie ich fand.
»Es freut mich sehr.«
»Ich meine sogar zu wissen, dass Benjamin ein Apartment im gleichen Haus wie du besitzt«, fügte mein Dad noch hinzu.
»Wirklich?«, fragte Benjamin erstaunt.
Er war also auch noch ein guter Schauspieler? Wunderbar.
»Ja, das kann sein«, murmelte ich.
Plötzlich klingelte mein Handy in meiner Tasche. Das konnte doch nur Mom sein. Wahrscheinlich hatte sie schon gehört, dass ich mit Dad unterwegs war.
»Entschuldigt mich bitte.«
Ich entfernte mich einige Schritte von ihnen und sah dann noch einmal zu Benjamin rüber, der ebenfalls kurz zu mir blickte, bevor er wieder meinem Vater zuhörte. Als ich auf mein Handy sah, erschrak ich. Es war nicht meine Mom, sondern Andrew. Das konnte doch nicht wahr sein.
Ich dachte, da ich nichts mehr von ihm gehört hatte und er seit einer Woche nicht mehr anrief, dass er es endlich begriffen hatte. Aber anscheinend hatte ich mich zu früh gefreut. Es klingelte und klingelte … und ich entschloss mich, ranzugehen. Er musste kapieren, dass er mich nicht mehr anrufen sollte.
»Was soll das, Andrew?«
»Rose? Du bist rangegangen? Gott sei Dank.«
Er klang erleichtert. Seine Stimme versetzte mir ein Grummeln im Magen, und zwar kein positives.
»Ich habe dir schon vor meiner Abreise gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst.«
Und er tat es nicht. Er tat es nie …
»Bitte, Rose, es tut mir leid. Ich will, dass du zurückkommst. Zurück zu mir! Lass uns noch mal darüber reden, bitte.«
Ich schloss kurz die Augen. Das ist doch völlig krank. Er ist so krank.
»Lass mich einfach in Ruhe. Es ist vorbei.«
Und schon hatte ich aufgelegt. Kurz seufzte ich erleichtert auf und atmete tief durch. Leise Musik drang an mein Ohr und erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich ganz schön weit vom Saal wegbewegt hatte. Ich stand in einem halb abgedunkelten Flur, der anscheinend zur Küche führte, zumindest hörte ich das Klirren von Geschirr. Kopfschüttelnd packte ich mein Handy wieder in meine Handtasche zurück, als ich bemerkte, dass ich nicht allein war. Ein paar Schritte von mir entfernt stand jemand und sah mich an. Wobei … nein, es war nicht nur irgendjemand. Es war Benjamin. Lächelnd stand er vor mir, die Hände lässig in seinen Taschen. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts, nur sein Blick folgte mir.
»Geht es dir gut?«, fragte er mich.
»Sicher.«
Ich sah kurz auf meine Tasche. Eigentlich ging es mir nicht gut, keine Frage. Aber ihm das zeigen? Niemals.
»Ich glaube, wir sollten wieder zurück«, murmelte ich und wollte schon an ihm vorbei, als er mich plötzlich am Handgelenk festhielt.
Erschrocken sah ich ihn an und spürte plötzlich … ein leises Verlangen nach ihm. Was ist das denn bitte? Sein Blick war hart auf mich gerichtet, als wäre er … genauso scharf auf mich wie …
»Komm mit mir mit.«
Wir schauten uns einen Moment lang stumm an, bis ich versuchte, die Frage zu verstehen. Es gelang mir nicht.
»Ich verstehe nicht, was Sie …«
Bevor ich den Satz aber zu Ende sprechen konnte, packte er mich an den Schultern, drängte mich mit dem Rücken an die Flurwand und sah mich eindringlich an. Er kam mir verdammt nahe. Und was sollte ich sagen – Es war ein unbeschreibliches Gefühl.
»Ich kann es kaum beschreiben, aber … das kann doch kein Zufall sein, dass da … von Anfang an etwas zwischen uns ist«, murmelte er leise aber bestimmend – irgendwie voller Begierde.
Und plötzlich schien er mich küssen zu wollen. Nichts lieber als das, aber da kamen mir wieder seine Worte in den Kopf. Der Kerl dachte wirklich, dass er mich einfach mal für ein Stelldichein mitnehmen konnte?
Irgendwie reagierte ich geistesabwesend und schubste ihn von mir weg.
»Nur in deinen Träumen.« Scheiß auf das Sie, Scheiß auf freundlich und zuvorkommend.
Er sah mich so entsetzt an, dass ich fast aufgelacht hätte. Dachte der Kerl wirklich, ich wäre bereit, alles mit ihm anzustellen?
»Ich werde mit Sicherheit nicht mit dir mitgehen. Da gibt es unzählige, tausende Dinge, die interessanter wären, verstanden?«
Er sah mich amüsiert an. Machte er sich lustig über mich? So sah es aus, und das machte mich noch wütender.
»Nur weil du wohlhabend bist, denkst du wohl, du kannst dir alles erlauben!«
Er schien kurz darüber nachzudenken und lächelte dann wissentlich. »Allerdings.«
»Um Gottes willen, das ist einfach nur überheblich.«
»Ich nenne das selbstbewusst. Hör mal, ich weiß, wie durcheinander ich dich bringe und du tust dasselbe mit mir. Warum diese Anziehung also nicht nutzen?«
Wow, jetzt bot er mir wirklich noch an, mit ihm zu schlafen? Ich sah ihn ein paar Sekunden einfach fassungslos an. Er war wirklich toll anzusehen, charismatisch, männlich, attraktiv … aber ehrlich: Der Kerl war doch einfach nur ein Idiot. Vielleicht half mir hier doch die L.A.-Mentalität.
Langsam machte ich ein paar Schritte auf ihn zu und diesmal könnte ich schwören, dass er kurz den Atem anhielt. Vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet. Jetzt bloß kess dastehen, Rose, dachte ich mir und sah ihm direkt in die Augen. Ich dachte erst, ich bekäme weiche Knie. Aber die Wut siegte.
»Ich bin mit Männern wie Ihnen groß geworden. Daddy hat Millionen gescheffelt und Sohnemann tut es ihm gleich. Nicht zu vergessen, dass Ihr Ego natürlich genauso übergroß ist wie Ihr Geldbeutel. Suchen Sie sich einfach eine Frau, die etwas weniger Niveau hat. Viel Glück wünsche ich Ihnen dabei sicher nicht. Einen schönen Abend noch.« Ich musste Distanz schaffen, also siezte ich ihn wieder.
Dann drehte ich mich um und verschwand wieder in den Saal. Ich könnte schwören, dass er mir bis zum Ende nachsah.
Ich beäugte mit einem Zwinkern die Uhr auf meinem Handy. Es war kurz vor neun, die Sonne war längst aufgegangen und erhellte das Zimmer.
Langsam setzte ich mich auf. Mein Kleid lag noch auf dem Bett, ich war spät nach Hause gekommen. Was war das nur wieder für ein Abend. Da begleitete man seinen Dad zu so einer Veranstaltung und dann so was …
Ich schüttelte den Kopf und mir stieg die Wut sofort hoch. Die war auch gestern da, als dieser Benjamin meinte, er könne mich einfach so flachlegen. Klar, wir lebten in New York, er schien vermögend zu sein und sah verdammt gut aus. Das wusste er auch. Aber dann meinen zu müssen, dass ich mit ihm ginge? Mühsam rang ich diese Gedanken nieder, ich wollte mir nicht wieder den Kopf über einen Mann zerbrechen. Es reichte schon, dass Andrew mich angerufen hatte. Dieser Mistkerl …
Bevor ich aber weiter darüber grübeln konnte, riss mich das Klopfen an der Tür aus den Gedanken. Wer konnte das um diese Zeit sein? Ich griff mir eine Jogginghose aus meinem Schrank, zog sie über und öffnete die Tür. Sarah sah mich zur Begrüßung grinsend an und hielt eine Brötchentüte hoch.
»Lust auf Frühstück?«
»Klar, komm rein«, erwiderte ich sofort erleichtert. Das war genau, was ich jetzt brauchte. Allein in meiner Wohnung hätte ich wirklich zu viele Gedanken an Typen verschwendet, die das ganz und gar nicht verdient hatten.
Sie steuerte zielstrebig die Küche an. »Wie hast du den ersten Tag so überstanden in der neuen Heimat?«, fragte sie und half mir, den Tisch zu decken. Ich merkte jetzt schon, dass sie mir guttat. Sie war so unbekümmert und wirklich nett, so ganz anders als ich.
»Ich habe meinen Dad zu so einer langweiligen Veranstaltung begleitet. Aber sie war wenigstens für den guten Zweck.«
»Ja, so was kenne ich. Ich weiß noch … An meinem ersten Abend war ich so happy, dass ich endlich mal für mich allein sein konnte, dass ich in den erstbesten Nachtclub gegangen bin. Erst eine Stunde später fiel mir auf, dass ich in einer Lesbenbar gelandet war.«
Mir entfuhr ein lautes Lachen, Sarah stimmte ein.
Als wir vom Frühstück gesättigt waren, machten wir es uns noch auf der Terrasse gemütlich. Zwischenzeitlich hatte ich mir wenigstens die Haare zusammengebunden und mir mein Gesicht gewaschen. Es war einfach toll, ein bisschen zu quatschen und zu erfahren, was Sarah so alles erlebt hatte. Und vor allem, was wir alles so heute noch zusammen tun könnten. Das Wetter war herrlich, die Sonne wärmte uns und wir unterhielten uns angeregt.
»Und na ja … mit den Männern lief es genau so bescheiden. Entweder sind sie alle zu viel Arschloch oder zu wenig.«
Ich nickte. »Oh ja. Ich verstehe das.«
Sie drehte ihren Kopf und sah mich fragend an.
»Und, denkst du noch an deinen Ex-Verlobten?«
Ich zuckte kurz zusammen, versuchte aber, die Fassung zu bewahren.
»Nein, das ist vorbei. Ich bin Single. Ich habe gehört, dass das gar nicht mal so schlecht ist, wenn man vorhat, in New York neu anzufangen.«
Sarah grinste frech.
»Oh ja, da hast du absolut recht!«
Ich war froh, dass sie nicht weiter nachfragte.
»Sag mal, nur damit ich mich drauf vorbereiten kann. Wohnen hier eigentlich Prominente im Haus? Mein Dad meinte, dass das Viertel hier ein Nest für Stars wäre.«
»Ach ja, wir sind so an der Grenze. Ein paar Blocks weiter runter kann man keinen Fuß mehr auf die Straße setzen, ohne von irgendwelchen Fotografen abgelichtet zu werden. Hier geht das einigermaßen.«
Kein Wunder, dass Dad wollte, dass ich hierherziehe.
»Unser prominentester Bewohner hier hat Deals mit den Paparazzi gemacht, deswegen ist hier schon seit einiger Zeit nichts mehr los.«
Ich wurde sofort hellhörig.
»Wen meinst du?«
Sie seufzte verträumt. »Der Traum von einem Mann. Bist du ihm noch nicht begegnet? Benjamin Dunn, der Inhaber der Dunn Corporation.«
Mein Herz schlug kurz schneller, als sie den Namen erwähnte. Mein Gott, der Mann hatte wirklich eine Wirkung auf mich. Anscheinend auch auf Sarah, denn sie schien immer noch vor sich hin zu träumen.
»Er ist vor ein paar Monaten hierhergezogen. In der Presse kommt immer mal wieder was über seine angeblichen Affären.«
Ich sah sie überrascht an. Aber so überrascht war ich natürlich nicht. Er bekam wohl immer das, was er wollte. Bis auf gestern. Sofort kam die Wut über diesen Kerl wieder hoch.
»Alles okay?«
Ich sah sie verwundert an.