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Aus dem Schustersohn Thomas Ortmann ist drüben in Amerika ein Millionär geworden. Nach neunzehn Jahren kehrt er als gemachter Mann zurück in sein Heimatdorf. Dort hat er das Schloss gekauft und will Ruhe und Frieden finden.
Doch alte Erinnerungen werden wach, als er plötzlich Prinzessin Isabella gegenübersteht. Seine einstige Freundin aus Kindertagen musste das Schloss ihrer Familie verkaufen, da ihr Vater Spielschulden hatte und sich daraufhin erschoss. Nun lebt sie mit ihrer Mutter in dem kleinen Jagdhaus auf dem Schlossgelände. Thomas will Isabella gern in ihrer Not helfen, doch sie ist zu stolz. Misstrauen und Missverständnisse lassen die einstigen Spielgefährten nicht mehr zueinander finden. Während nun der grobschlächtige Baron Budewig um Isabella wirbt, zieht sich Thomas gekränkt zurück. Er findet Zuspruch bei einer Frau, die ebenso wie er aus einfachen Verhältnissen kommt und sich hochgearbeitet hat. Und ehe sich Thomas versieht, ist er verlobt. Ein Fehler, wie sich schon bald darauf herausstellen soll ...
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Seitenzahl: 145
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Das Aufgebot war schon bestellt
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Impressum
Das Aufgebot war schon bestellt
Erster Teil des Jubiläumsromans
Von Eva Burghardt
Aus dem Schustersohn Thomas Ortmann ist drüben in Amerika ein Millionär geworden. Nach neunzehn Jahren kehrt er als gemachter Mann zurück in sein Heimatdorf. Dort hat er das Schloss gekauft und will endlich Ruhe und Frieden finden.
Doch alte Erinnerungen werden wach, als er plötzlich Prinzessin Isabella gegenübersteht. Seine einstige Freundin aus Kindertagen musste das Schloss ihrer Familie verkaufen, da ihr Vater Spielschulden hatte und sich daraufhin erschoss. Nun lebt sie mit ihrer Mutter in dem kleinen Jagdhaus auf dem Schlossgelände. Thomas will Isabella gern in ihrer Not helfen, doch sie ist zu stolz. Misstrauen und Missverständnisse lassen die einstigen Spielgefährten nicht mehr zueinander finden. Während nun der grobschlächtige Baron Budewig um Isabella wirbt, zieht sich Thomas gekränkt zurück. Er findet Zuspruch bei einer Frau, die ebenso wie er aus einfachen Verhältnissen kommt und sich hochgearbeitet hat. Und ehe sich Thomas versieht, ist er verlobt. Ein Fehler, wie sich schon bald darauf herausstellen soll ...
»Was hat dich eigentlich ins harte Amerika verschlagen, du Denkmal deutscher Treue?«
»Eine unwahrscheinlich sentimentale Geschichte, Ted!« Thomas Ortmann sah den Freund prüfend an, dann lächelte er. »Du bist der Erste, dem ich sie erzähle!«
»Meinetwegen! Aber mach's kurz! Schließlich weiß ich, dass dich dein Onkel aus Deutschland mitbrachte!«
»Mein Onkel!« Thomas lächelte wieder. »Max Fenten war nicht mein Onkel!« Thomas zündete sich eine Zigarette an. »Er kam als Besatzungssoldat nach Deutschland, in unser Dorf. Ich war damals fünfzehn Jahre alt, der Jüngste von sechs Geschwistern. Mein Vater, ein armer Dorfschuster, wusste nicht viel mit mir anzufangen, dafür fand mich Mr. Fenten sehr anstellig. Er, der Kinderlose, beschäftigte mich dauernd in seiner Nähe und nahm mich schließlich mit nach Amerika. Ich besuchte auf seine Kosten mehrere Schulen und wurde, als er vor Jahren starb, sein Erbe und Nachfolger!«
»Donnerwetter! Um die Story beneidet dich jeder Reporter! Verkaufe sie an die Zeitung, Rubrik ,Neues aus der Gesellschaft'! Sämtliche Damenherzen werden dem armen Schusterjungen zufliegen!«
»Sofern du nicht zufällig in der Nähe stehst!«
»Keine falsche Bescheidenheit, Schuster-Thomas! Wie wirst du erst den Leuten im heimischen Kötzchenbroda imponieren!«
»Unsinn! Ich möchte vergessen, zur Ruhe kommen! Das muss nicht unbedingt in meinem Heimatdorf sein, aber irgendwo dort in der Gegend. Und deshalb beauftrage ich eure Bank, für mich einen passenden Besitz zu erwerben!«
»Wurde erledigt, first class und mit größter Diskretion, wie alles, was das Haus Gardener & Sohn in die Hand nimmt. Bitte um Weiterempfehlung dieser Firma an alle Freunde, Bekannte und Nachbarn ...«
»Nun halt schon den Schnabel! Oder nein, sag endlich, ob du etwas Passendes gefunden hast!«
»Junge, Junge! Als dir deine Braut gestand, dass sie nur dein Geld, aber nicht dich wollte ...«
»... warf ich sie mit ihrem Liebhaber hinaus, weil dieser auch noch zufällig mein Sekretär war! Sonst noch was in dieser Richtung?«
»... ahnte sie nicht, welchen Verlust Amerika dadurch erlitt!«
»Ich sagte schon mehrfach, dass ich nur für ein Jahr ...«
»Ich bitte doch sehr, mich nicht für dumm zu verkaufen!« Ted Gardener sprang ungestüm hoch und verriet mit dieser eiligen Bewegung, wie sehr ihn Thomas' Absicht, Amerika zu verlassen, in Erregung versetzte. »Und an mich denkst du wohl überhaupt nicht?«
»Komm doch mit, falls es dir Freude macht! Ein Jahr Europa gehört schon fast zur Bildung eines Amerikaners aus gutem Hause!«
»Keine schlechte Idee!« Ted pfiff durch die Zähne. »London, Paris, ich beginne, der Angelegenheit ihre guten Seiten abzugewinnen.«
»Zügle deine Fantasie! Ich will in meine Heimat und nicht nach Paris.«
»Was sind in Europa schon Entfernungen!«
»Also, was ist mit meinem Auftrag, du liederlicher Vertreter einer ehrenwerten Firma? Wo in Süddeutschland finde ich einen Platz zum Ausruhen und Vergessen?«
»Na, wo denn wohl? Direkt in deinem Heimatdorf!«
»Das gibt es doch gar nicht!«
»Ein unbekannter Satz für unsere Firma! Das Bankhaus Gardener offeriert dir als rentable Kapitalanlage Schloss Kirchbach!«
Thomas war blass geworden. Man sah es, trotz der sommerlichen Bräune. Seine Backenmuskeln bewegten sich und vertieften die kantigen Umrisse seines Gesichtes, das von der geraden, ziemlich starken Nase und dem festen Kinn geprägt wurde. Aus den grauen Augen verlor sich der kühle, geschäftsmäßige Ausdruck. Schloss Kirchbach! Für den armen Schustersohn ein von fern angestauntes Renaissance-Wunder, mit unzähligen spiegelnden Fenstern, einem Turm und vielen imponierenden Portalen.
»Ein einziges Mal bin ich als Junge in den Park geklettert!«
Ted quittierte diese Jugenderinnerung mit breitem Grinsen.
»Und wer oder was war schuld daran?«
»Die kleine blondhaarige Komtess Isabella! Sie stand auf der anderen Seite des hohen Gitters und fragte mit feiner Kinderstimme, ob ich nicht mit ihr spielen wolle. Ein schmutziger, zerlumpter Dorfjunge war für sie wohl das gleiche Erlebnis, wie für den die Grafentochter.«
»Und wie endete die Romanze?«
»Der Graf kam angelaufen und drohte mir mit seinem Hund!«
»Jetzt ist er tot, und seine Angehörigen müssen seine Schulden bezahlen!«
»Ich kann das nicht verstehen!«
»Monte Carlo liegt eben doch nicht so weit von Kirchbach weg, wie du denkst! Wach auf!« Gutmütig versetzte Ted ihm einen Stoß. »Noch bist du kein Schlossherr! Eine Krone kannst du dir erst ins Nachthemd sticken lassen, wenn du den von der ehrenwerten Firma Gardener & Sohn präsentierten Kaufvertrag zuzüglich Vermittlungsprovision handschriftlich billigst!«
»Pack den Papierkram schon aus, du Wucherer!«
***
»Heirate Baron Budewig, und wir sind alle Sorgen los!«
Die Gräfin von Kirchbach unterbrach ihre ruhelose Wanderung durch das Musikzimmer und beobachtete die Wirkung ihrer Worte auf ihre Tochter.
Nichts! Komtess Isabella spielte, versunken, konzentriert, den blonden Pagenkopf leicht zur Seite geneigt, ganz hingegeben an die Musik.
»Du vergisst wohl, dass wir so gut wie obdachlos sind!«
Sie stieß mit der Schuhspitze einen Abstelltisch um, und es bereitete ihr sichtlich Befriedigung, als ein Stapel Notenblätter zu Boden flatterte.
Das Präludium brach ab.
»Warum erregst du dich, Mama? Unsere persönlichen Sachen stehen bereits im Jagdhaus. Wir werden nicht gerade komfortabel dort wohnen, aber ein einfaches Dach über dem Kopf ist besser als keines.«
Die Gräfin lachte hart. »Deine fatalistische Lebenseinstellung strapaziert meine Nerven. Wir könnten standesgemäß wohnen, wenn du nur wolltest!«
»Nicht um den Preis, einen Harald von Budewig dafür heiraten zu müssen!«
»Was hast du gegen den Baron?«
»Eine persönliche Abneigung!«
»Zu viel Gefühlsluxus, will mir scheinen, besonders für jemand, der bereits siebenundzwanzig Jahre alt ist und daher auf dem besten Wege, eine alte Jungfer zu werden!«
Isabella zog abwehrend die Schultern hoch. Ihre Mutter beschwor eine Feindseligkeit herauf, die Verständigung kaum noch zuließ. Warum nur? Weil ihr die eigene Bequemlichkeit über alles ging!
»Wie konntest du es in dieser Abgeschiedenheit nur so lange aushalten?« Nervös trommelte die Gräfin auf dem polierten Holz des Flügels herum.
»Mir gefiel es so!« Die ungläubige Miene ihrer Mutter veranlasste Isabella zu einem Lächeln. »Ich hatte meine Musik, Freunde auf den Nachbargütern und in der Stadt!«
Sie schwieg, ihre Schultern sanken nach vorne. Sie war glücklich und zufrieden gewesen, bis ihr Vater vor Monaten in Monte Carlo alles verspielte, völlig überraschend nach Kirchbach kam und sich dort erschoss.
»Das ist kaum zu glauben!« Die Gräfin nahm Platz und schlug die Beine auf eine Art übereinander, die Isabella missfiel.
»Reden wir doch mal vernünftig miteinander, Kind! Dein Leben hier war einfach unmöglich! Budewig wird dir etwas Besseres bieten! Ich kenne mich mit Männern aus. Er ist so ein Typ, den man um den Finger wickeln kann und dazu noch rasend in dich verliebt. So eine Chance bietet sich nicht oft!«
»Möglich!« Isabella zog verächtlich die Mundwinkel herab. »Trotzdem bin ich leichtsinnig genug, sie zu verpassen!«
»Das wirst du nicht!« Die mühsam bewahrte Haltung der Gräfin geriet ins Wanken. Sie schlug mit der flachen Hand unbeherrscht auf die gepolsterte Sessellehne, während ihre Stimme schrill und laut wurde: »Ich, deine Mutter, werde dich zu diesem Glück zwingen!«
»Zu wessen Glück, dem deinen oder dem meinen?«
Isabella stand auf und lehnte sich gegen den Flügel.
Sie war mittelgroß, überschlank, und jede ihrer Bewegungen verriet die Anmut einer harmonischen, ausgeglichenen Persönlichkeit. Ihr Gesicht schien heute noch stiller und blasser als sonst. Man hätte es auf das tote Schwarz des Trauerkleides zurückführen können, wäre nicht in den dunklen Samtaugen so deutlich die Enttäuschung zu lesen gewesen. Isabella hatte auf Anhieb den Egoismus und die Skrupellosigkeit einer Frau begriffen, die bedenkenlos jeden in ihrer Umgebung für das eigene Wohlergehen opfern würde.
»Schämst du dich nicht, deiner Mutter eine solche Antwort zu geben? Auf ihre Güte und Hilfsbereitschaft so zu reagieren? Gut, dass dein Vater nicht mehr erlebt, wie du mich behandelst!«
Sie zog ein Tuch hervor und wischte ungeweinte Tränen damit fort. Es schien ihr ein kluger Schachzug, sich hinter dem angestammten Recht der sorgenden Mutter zu verschanzen. Sie besaß enorm viel Training und Geschicklichkeit in der Verteidigung der eigenen Position.
Aber Isabella nahm sich die Freiheit heraus, die Regeln ihres Spiels zu missachten. Sie hatte es längst durchschaut.
»Ich glaube nicht, dass wir uns auf dieser Basis verständigen können! Verzichte darauf, mich wie ein unmündiges Kind zu behandeln. Es bringt dich um keinen Schritt weiter. Statt mich einzuschüchtern, gefährdest du nur unser Beisammensein!«
»Ich bin gegen Drohungen empfindlich, mein Kind!«
Die Gräfin zitterte vor Zorn. Ihr war plötzlich eingefallen, dass Isabella Besitzerin des Jagdhauses war. Sie hatte es sich einmal zum Geburtstag gewünscht und diese Laune – anders war der merkwürdige Wunsch nicht zu bezeichnen gewesen – erfüllt bekommen.
»Wenn ich wollte, könnte ich heute noch zu Freunden abreisen, deren Haus mir immer offen steht!«
Sie fixierte ihre Tochter scharf, entdeckte aber kein Anzeichen von Erschrecken in den dunklen, wissenden Augen. Merkwürdigerweise war sie darüber enttäuscht, wie alle eitlen Naturen, die nicht begreifen wollen, dass man ohne sie auskommen kann.
»Umso besser für dich!«, entgegnete Isabella kühl.
Im Grunde tat ihr diese verblühte, nach dem Leben gierende Frau leid, aber sie dachte nicht daran, sich für das übersteigerte Luxus- und Geltungsbedürfnis ihrer Mutter zu verkaufen und schon gar nicht an den feisten, großmäuligen Budewig!
Nun gut, dachte die Gräfin zornig und erbittert, wenn es gar nicht anders geht, werde ich an Monsieur Pierre schreiben. Er ist zwar ein ordinärer, alter Schieber, aber enorm reich, und sein Landhaus in Nizza ist der passende Rahmen für mich. Bevor ich mich jedoch seiner strapaziösen, wenn auch gutgemeinten Gastfreundschaft aussetze, werde ich hier jede Möglichkeit prüfen.
»Du bist von bemerkenswerter Ungezogenheit, Isabella!« Sie erhob sich würdevoll. »Ich will es dir nachsehen, weil dich der Verlust Kirchbachs doch hart getroffen hat. Konntest du übrigens in Erfahrung bringen, wer der neue Besitzer des Schlosses ist?«
»Gewiss! Ein Deutsch-Amerikaner! Der Sohn des verstorbenen Dorfschusters. Er muss drüben reich geworden sein!«
»Und solche Leute strecken die Hände nach unserem Besitz aus! Empörend!«
»Weil wir ihn nicht zu halten vermochten!«
Isabella zuckte die Schultern und erntete dafür von ihrer Mutter einen giftigen Blick. Aber die Gräfin wollte es anscheinend auf keinen weiteren Streit ankommen lassen.
»Wie heißt denn dieser Schusterssohn?«
»Thomas Ortmann!«
»Kennst du ihn etwa?«
Isabella zauderte, kaum eine Viertelsekunde, aber lange genug für die scharfen Ohren der Gräfin, die, wenn ihre Interessen auf dem Spiel standen, das Gras wachsen hörten.
»Nein, ich kenne ihn nicht!«
Die Gräfin warf ihr einen misstrauischen Blick zu. In den schwarzen Augen ihrer Tochter stand plötzlich ein so merkwürdig verträumtes Licht, und das blasse Gesicht wurde von einem Hauch Röte belebt!
Kaltblütig spekulierend, witterte sie sofort eine neue Möglichkeit. Wenn dieser Schusterssohn ihrer Tochter gefiel? So etwas wäre zwar für eine andere Adelige undenkbar, aber bei Isabellas verdrehter Einstellung durchaus möglich.
In diesem Falle konnte alles wieder wie früher werden! Je länger sie überhaupt darüber nachdachte, desto eher neigte sie dazu, diese Lösung zu akzeptieren. Ab jetzt wollte sie in jeder Minute auf der Hut sein, um Isabella, diesem dummen Ding, einen Stoß zu geben, damit sie über ihr Glück stolperte.
»Wann trifft dieser Ortmann denn hier ein?« Sie machte sich bereits die Mühe, seinen Namen zu behalten.
»Eigentlich müsste er schon da sein! Wir ziehen uns nach der Begrüßung sofort zurück. Ich hoffe, auch deine Koffer sind schon im Jagdhaus!«
»Natürlich!« Die Gräfin machte ein mürrisches Gesicht. »Nur frage ich mich, ob wir nicht etwas voreilig handelten! Vielleicht will Mr. Ortmann gar nicht, dass wir sein Schloss verlassen! Ein Schusterssohn könnte doch einige Unterweisung bei der ungewohnten Umgebung benötigen!«
»Er wird sie nicht brauchen, sonst würde er kaum ein Schloss kaufen können! Halte dich an Realitäten, Mama! Der Kaufvertrag mit dem Bankhaus Gardener war eine ordentliche Abmachung, die es uns ermöglichte, alle Schulden zu bezahlen!«
»Schon gut, schon gut! Dafür sind wir jetzt ehrliche, aber leider auch arme Leute! Hoffentlich besitzt Mr. Ortmann weniger strenge Ehrbegriffe als du!«
Isabella ersparte sich darauf die Antwort. Mr. Ortmann wurde für ihre Mutter schon ein fester Begriff, um den sich ihre Spekulationen rankten.
Bei ihr selbst rief der Name des neuen Schlossherrn eine Erinnerung wach. Sofort fiel ihr jene Szene aus ihren Kindertagen ein. Er war der zerlumpte Dorfjunge gewesen, der zu ihr in den Park kletterte, weil sie ihn gerufen hatte, getrieben von dem Verlangen nach einem Spielgefährten. Neugierig staunend hatten sie einander gegenübergestanden.
»Wie heißt du?«, hatte sie gefragt.
»Der Schuster-Thomas bin ich! Kennst du mich denn nicht?«, hatte er ihr laut geantwortet.
Ob er geahnt hatte, der zerlumpte Dorfjunge, welch ein Erlebnis sein Erscheinen für die einsame, kleine Komtess damals bedeutete? Ein sehr kurzes leider, denn ausgerechnet an diesem Tage hatte sich ihr Vater für wenige Stunden im Schloss aufgehalten. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, um eine kaum begonnene kindliche Freundschaft jäh zu unterbrechen. Nachdem man den Schusterssohn fortgejagt hatte, durfte Isabella niemals mehr in den Teil des Parks, der von der Straße her einzusehen war. So war sie weiter einsam geblieben, nur sich und ihrer Fantasie überlassen. Und in den Geschichten, die sie mit offenen Augen träumte, nahm der zerlumpte Dorfjunge noch lange die Rolle des Befreiers ein.
Inzwischen waren neunzehn Jahre vergangen!
Isabella lächelte melancholisch. Neunzehn lange Jahre, in denen man so nach und nach Abschied von den nie erfüllten Träumen der Jugend nahm und immer illusionsloser wurde.
***
»Neunzehn Jahre!«, sagte zur gleichen Zeit Thomas Ortmann. »Halt an, Ted! Ich möchte die Heimat nach so langer Zeit von hier oben zuerst betrachten! Hier habe ich als Junge oft unsere beiden Schafe gehütet, der Reichtum einer armen Schusterfamilie.«
Er legte Ted nachdrücklich die Hand auf den Arm, als der nicht sofort anhielt.
»Na schön!« Gardener stieß einen ergebenen Seufzer aus. »Seit wir in Deutschland sind, fällt dir an jeder verborgenen Straßenecke eine andere Erinnerung ein. Gut, dass ich für dich fahre, du wärst – bei deiner intensiven Art, Wiedersehen zu feiern – längst im Krankenhaus gelandet. Aber wenn dieses Kuhkaff im Tal wirklich dein Heimatdorf ist, hätten wir ja das Schlimmste überstanden.«
Er sprang aus dem Wagen und vertrat sich seine langen Beine, während Thomas stumm auf das kleine Dorf schaute.
»Noch alles da?«, knurrte Ted spöttisch. »Kirche, Schule und Gasthof! Oder ist zu den sechs Häusern noch ein siebtes hinzugebaut worden? In neunzehn Jahren kann auch das passieren!«
»Halt den Schnabel, du leichtsinniger Vogel! Es ist wirklich etwas dazu gebaut worden und ausgerechnet an der Stelle, an der früher das Schusterhaus stand.«
»Take it easy!« Ted grinste herausfordernd. »Wenn ich mich recht entsinne, hast du dir als Ersatz ein Schloss gekauft!«
»Ach, zwecklos, über so etwas mit dir zu reden, du Amerikaner!« Thomas wandte sich verärgert ab, doch Ted klopfte ihm sofort beruhigend auf die Schulter.
»Wein dich aus, verlorener Sohn, und wenn du fertig bist, zeige ich dir die neue Heimat! Dort schlachten sie schon das Kalb zu deinem Empfang!«
Sein ausgestreckter Arm wies in die Richtung von Schloss Kirchbach, das in einem weitläufigen Park mit uraltem Baumbestand lag.
Thomas folgte mit Blicken der Richtung von Teds Arm, aber er hatte durchaus nicht das Gefühl, als ob das alles ihm gehöre.
Merkwürdig, seit er hier oben stand und auf die vertrauten Stätten seiner Jugend schaute, fiel alles Fremde, Neue von ihm ab. Er verwandelte sich wieder in den Schuster-Thomas, der auf den Klang der Mittagsglocke wartete, die den immer Hungrigen zum Suppentopf rief.
Er seufzte. Es gab kein Schusterhaus und keine Eltern mehr. Die Geschwister waren nach allen Richtungen ausgeflogen. Mehrere lebten wohlhabend in Amerika. Sie besaßen alle eigene Familien, zum Teil schon erwachsene Kinder, und wenn sie sich der Heimat erinnerten, geschah es im Zusammenhang mit Not und Armut. Vielleicht würden sie lachen, wenn sie hörten, dass er Schloss Kirchbach gekauft hatte.
Jedenfalls zog es außer ihm keinen mehr hierhin. Und auch ihn quälte jetzt, in diesem Augenblick, die Frage: Warum kam ich zurück? Warum drängte es mich dazu, durch das Tor der Erinnerungen in die Vergangenheit zu gehen?
In seine Traurigkeit versunken, vergaß Thomas alles, sogar den ungeduldig seufzenden Ted Gardener.
»Man könnte kalte Füße bekommen, wenn nicht zufällig Sommer wäre!«, knurrte der über seinen sentimentalen Freund wenig erbaute Amerikaner.
Als er merkte, dass seine Worte ungehört verhallten, zuckte er die Schultern und beschloss, die Umgebung auf eigene Faust in Augenschein zu nehmen.
Er entdeckte neben der Autostraße einen Wiesenpfad, der steil abwärts zu einem Plateau führte. Beide Hände in den Taschen vergraben, folgte Ted dem Weg, ohne Hoffnung, etwas Aufregendes zu finden. Nach einigen Metern blieb er stehen. Seitlich unter ihm in einer Mulde diskutierten heftig Leute. Über ihre nicht gerade schlanken Figuren spannten sich Jacken mit Hirschhornknöpfen. Er vernahm das Wort Gemeinderat und begriff, dass hier von den Wichtigsten des Ortes eine Entscheidung angestrebt wurde.