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Als Konstanzia Baroness von Herrendorn erfährt, dass Albin Graf von Ritter-Hartenfels ihrer Schwester den Hof macht und in Kürze um Juttas Hand anhalten will, gerät sie in Angst und Schrecken. Sie hat nämlich ein Gespräch zwischen dem Grafen und seiner Geliebten belauscht und weiß, dass Albins Wahl rein zufällig auf Jutta gefallen und hier keine Liebe im Spiel ist. Der Graf will lediglich den testamentarischen Forderungen seines Onkels nach einer baldigen Eheschließung nachkommen, weil ihm sonst das dicke Erbe entgeht.
Konstanzia, ein selbstbewusstes, durchsetzungsstarkes Mädchen, will ihre scheue, sensible Zwillingsschwester, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, vor diesem Los bewahren. Aus diesem Grunde schlüpft sie in die Rolle ihrer Schwester und schwört damit ein Drama herauf ...
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Seitenzahl: 133
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Der Graf mit der zärtlichen Stimme
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Impressum
Der Graf mit der zärtlichen Stimme
Die Frauen liebten und hassten ihn
Ein Meisterwerk der Unterhaltung
Als Konstanzia Baroness von Herrendorn erfährt, dass Albin Graf von Ritter-Hartenfels ihrer Schwester den Hof macht und in Kürze um Juttas Hand anhalten will, gerät sie in Angst und Schrecken. Sie hat nämlich ein Gespräch zwischen dem Grafen und seiner Geliebten belauscht und weiß, dass Albins Wahl rein zufällig auf Jutta gefallen und hier keine Liebe im Spiel ist. Der Graf will lediglich den testamentarischen Forderungen seines Onkels nach einer baldigen Eheschließung nachkommen, weil ihm ansonsten das dicke Erbe entgeht.
Konstanzia, ein selbstbewusstes, durchsetzungsstarkes Mädchen, will ihre scheue, sensible Zwillingsschwester, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, vor diesem Los bewahren. Aus diesem Grunde schlüpft sie in die Rolle ihrer Schwester und schwört damit ein Drama herauf ...
»Fahren Sie, um Himmels willen, nicht vor das Portal!«, ruft das junge Mädchen, tief erschreckt über seine eigene Unachtsamkeit. Da hätte es sich beinahe eine wirkliche Sensation erlaubt. »Ach, du liebe Zeit, was wäre das für ein Skandal.«
Der verwunderte Blick des Fahrers bringt Konstanzia zu Bewusstsein, dass sie in selbstverräterischer Weise vor sich hin spricht. Während der Fahrer seinen Wagen ausrollen lässt, huscht der Blick wieder über das Buschwerk und die dahinterliegenden Rasenflächen hinweg zum Herrenhaus. Vor dessen Auffahrt wimmelt es von eleganten Wagen in glänzendem Lack und blitzendem Chrom.
Das Taxi hält. Der Fahrer blickt abwartend auf das junge Mädchen, das sich aber nicht rührt. Die Taxameteruhr tickt und zählt ununterbrochen weiter.
Konstanzia blickt durch das Fenster zu dem hellen, großen Herrenhaus hin. Sie hat nicht damit gerechnet, dass gerade heute im Hause ihres Onkels ein großer Gesellschaftsabend gegeben wird. Sie hoffte, sie könnte sich bis dicht an das Haus fahren lassen, um dann heimlich, still und leise durch eine Hintertür ins Haus hinein und weiter hinauf in das Dachgeschoss zu schleichen.
Aber nun ist plötzlich alles ganz anders. Sie hätte sich keine unpassendere Stunde für ihre Rückkehr in das Haus des Onkels aussuchen können.
»Ich würde noch einmal ins Gefängnis gehen, um ein so schreiendes Unrecht ...« Jäh wird sich das Mädchen wieder bewusst, vor sich hinzusprechen, wie Menschen es tun, die lange Zeit in einer einsamen Zelle saßen und niemanden anders als Gesellschafter hatten als die trostlose Pritsche, den Schemel und sich selbst.
Der Taxifahrer wird unruhig. Eine entlassene Strafgefangene als Fahrgast zu haben, das erscheint ihm offenbar doch etwas unheimlich.
Das junge Mädchen greift in ihr Handtäschchen, entnimmt ihrer Börse einen Zehnmarkschein und winkt ab, als der Fahrer ihr den Restbetrag herausgeben will. Dienstbeflissen steigt er aus, wuchtet den alten, schäbigen Koffer seines jungen Fahrgastes von den hinteren Sitzen und setzt ihn vor Konstanzia ab.
»Stellen Sie meinen Koffer einfach hinter den Busch dort«, bittet das junge Mädchen und deutet mit dem Finger darauf, ohne den Blick von der festlichen Gesellschaft zu nehmen, die sich dort drüben in einem Gartenfest ergeht. »Vielen Dank«, setzt es hinzu.
Der Fahrer hebt seine Hand an die Mütze, klettert wieder hinter das Steuer und braust davon.
In Konstanzia steigt nun der ihr in hohem Maße angeborene Familienstolz auf. Wie kommt sie eigentlich dazu, so viel Rücksicht nehmen zu wollen auf ihre sogenannten »Lieben«, die doch ganz gewiss nicht die leiseste Rücksicht auf sie selber nehmen würden, wenn es darauf ankäme?
Vielleicht wäre sogar gerade jetzt der richtige Augenblick, der ganzen sogenannten »feinen Gesellschaft« gegenüberzutreten, um zu bezeugen, dass sie, Konstanzia, sich ganz und gar nicht deklassiert fühlt.
Doch plötzlich sinkt ihr Mut wieder. Bis zu einem gewissen Grad muss sie Rücksicht auf ihre Verwandten nehmen.
Vor allem aber darf sie ihrer Schwester keine Schande bereiten! Jutta könnte in die größte Verlegenheit gebracht werden. Und die liebe Schwester ist wie ein Stück ihrer selbst.
Unterdessen sind offenbar alle Gäste eingetroffen, denn nun kommt kein Wagen mehr angerollt. Immerhin geht es ja schon auf zweiundzwanzig Uhr zu. Und doch wird es noch viele Stunden dauern, bis sie unbemerkt in das Herrenhaus hineingelangen kann.
Was soll sie tun?
Konstanzia erinnert sich an das Gartenhäuschen, das sich zwar in ziemlich verwahrlostem Zustand befindet, aber immerhin einen Unterschlupf darstellt und gerade wegen seines unwohnlichen Zustandes sicherlich gemieden werden dürfte.
Sie biegt in den Pfad ein, der zu dem Gartenhäuschen führt. Kurz darauf sieht sie es im weißen Schimmer der romantischen Silberscheibe am Nachthimmel vor sich stehen.
Plötzlich hört Konstanzia Schritte, Schlenderschritte ruhig dahinwandelnder Menschen. Ja, es ist kein Irrtum, hinter ihr, auf einer Windung des Weges, noch verborgen durch einen Bestand Blautannen, kommen zwei Menschen heran.
Schnell läuft sie auf die Tür des Gartenhäuschens zu, drückte die Klinke hinunter, tritt ein und zieht die Tür hinter sich zu. Gott sei Dank war sie nicht verschlossen.
Das Mondlicht fällt schwach durch das Fensterglas. Die wenigen Möbel sind mit Schonbezügen abgedeckt. Über den Parkettboden ist Sackleinwand gebreitet.
Ohne sich zu bedenken, läuft Konstanzia in ein kleines zweites Gemach, das völlig leer ist. Dort stellt sie sich hinter die weit offene Tür, die sie vor Sicht schützt, wenn nicht gerade jemand misstrauisch hinter den Türflügel schauen sollte ...
♥♥♥
Kurz darauf betreten tatsächlich ein Mann und eine Frau das Gartenhäuschen. Konstanzia kann die beiden hochgewachsenen Gestalten durch den Spalt zwischen Türangelseite und Wand deutlich sehen.
Bei seinem Eintritt schaut der Mann kurz zu Konstanzias Versteck hin und wendet den Blick dann sofort wieder ab.
Sie kennt ihn sehr gut, den ebenso hochmütigen wie kaltherzigen Grafen Albin von Ritter-Hartenfels, der sich als Leiter riesiger Industrieunternehmen der Einfachheit halber mit seinem akademischen Titel »Dr. Ritter« anreden lässt, aber dennoch ungemein stolz auf seinen Adel ist, wie Konstanzia sehr genau weiß.
Die Begleiterin des Grafen ist eine ausgesprochene Schönheit. Das gut geschnittene Gesicht unter dem tizianroten Haar, die fein geformte Nase und die fast übernatürlich großen Augen üben auf Männer einen unwiderstehlichen Reiz aus, wie Konstanzia von der Valetti weiß, die in der Filmmetropole des Landes ein hell strahlender Stern ist.
Das Sackleinen auf dem Parkett dämpft die Schritte der beiden. Konstanzia hofft, dass sie nicht in das Nebenzimmer kommen. Doch Albin von Ritter-Hartenfels geht durch die offene Tür und schaut hinein. Er entdeckt sie aber nicht hinter dem weit aufgeschlagenen Türflügel und kehrt zu seiner Begleiterin zurück.
Dann zieht Graf Albin die Schonbezüge von zwei breiten Sesseln und fordert Gina Valetti mit einer Geste auf, Platz zu nehmen.
Die aufreizend schöne Frau lässt sich in das Polster gleiten und wirft einen kokett fragenden Blick auf den Mann, der sich nun ebenfalls niederlässt.
»Willst du mir nicht erklären, was diese geheimnisvolle Entführung in dieses muffige Gartenhäuschen soll, Liebster? Ich würde sagen, direkt romantisch, wenn du nicht ein so schrecklich nüchterner Mann wärest. So ist es mir ein Rätsel, das zu lüften ich dich herzlich bitten möchte, Albin.«
»Es ist weniger ein Rätsel als eine Tragödie, liebste Gina. Fasse dich: Ich muss heiraten! Und zwar nicht dich, Liebste. Das ist es, was ich dir mit wenigen Worten zu sagen habe!«
»Wir kennen uns zwar erst seit einigen Tagen, Albin, aber immerhin war zu erwarten, dass wir uns nicht so bald trennen würden«, erwidert Gina Valetti mühsam beherrscht. »Und warum musst du nun heiraten?«
»Ich muss eine Testamentsklausel erfüllen, wonach mein Onkel mir auferlegte, für einen Stammhalter zu sorgen. Etwas, was er selber unterließ und zeitlebens bereute. Bis zum vollendeten dreißigsten Lebensjahr muss ich verheiratet sein, andernfalls das Erbe mit allen Rechten an einen Verwandten, einen großen Schwächling, fällt.«
»Das bedeutet also, dass unsere so vielversprechende Verbindung schon zu Ende ist, bevor sie überhaupt begonnen hat. Ich komme mir vor wie eine Braut, der eine andere auf den Stufen zum Standesamt den Rang abgelaufen hat.«
»Von dergleichen festen Bindungen war zwischen uns nie die Rede. Ganz im Gegenteil: Es wurde grundsätzlich festgelegt, dass jedem von uns beiden unbedingte Freiheit belassen bleiben soll.«
»Dagegen habe ich auch jetzt nichts zu sagen. Mein romantischer Vergleich sollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass wir uns lieben, aber diese Liebe nun keine Erfüllung ...«
»Ich habe dich für klüger gehalten, meine Liebe. Was hat meine bevorstehende erzwungene Heirat mit der Liebe zwischen uns beiden zu tun?«, unterbricht Graf Albin sie erstaunt.
»Entschuldige, Albin, aber da komme ich wohl nicht ganz mit! Liebe setzt doch voraus, dass die Liebenden wirklich nur für sich beide auf der Welt zu sein vermeinen und ...«
Graf von Ritter-Hartenfels lacht kurz auf.
Das Gesicht Gina Valettis rötet sich zornig.
»Es freut mich, dass dich meine Auslegung so köstlich amüsiert!«, sagt sie sarkastisch.
»Oh, ich finde sie gar nicht amüsant, ich finde sie romantisch. Und das ist immerhin ein neuer Wesenszug bei dir. Du gestattest doch, dass mich das freut! Es sollte dich froh machen.«
»Nun gut, ich nehme deinen Spott hin. Auch du kannst nicht aus deiner Haut. Ich habe schließlich nichts anderes verdient. Ich frage mich nur, warum ich mich überhaupt mit dir eingelassen habe.«
»Noch ist es nicht so weit, wie du vorhin selber festgestellt hast. Noch können wir beide ja zurücktreten. Aber ich würde mich doch ernstlich fragen, warum. Es könnte eine wirklich bezaubernde Romanze werden bei deinem ausgesprochen hoch entwickelten Sinn für Romantik.«
Konstanzia erschauert in ihrem Versteck hinter der Tür vor der Kälte dieser beiden Menschen, insbesondere der des Grafen. Sie fragt sich, was dieser Mann wohl für ein kalter, gefühlsarmer Mensch sein muss, wenn er das als Liebe bezeichnet, was er Gina Valetti gegenüber empfindet.
»Jedenfalls muss ich schnellstens eine standesgemäße Ehe eingehen. Der letzte Termin rückt immer näher. Und dieser Schwächling von Vetter lauert nur darauf, dass ich diesen Termin verpasse!«
»Dann wirst du allerdings heiraten müssen. Und keineswegs mich«, sagt Gina Valetti leise.
»Ich bin selber wenig erfreut. Außerdem habe ich mich um die Mauerblümchen in meinen Kreisen so wenig gekümmert, dass mir die Wahl verflixt schwerfällt. Eine dieser dummen Puten ist mir widerwärtiger als die andere! Hinter ihren Pfirsichgesichtern verbergen sie Dummheit, Klatschsucht, geheuchelte Tugend und ...«
»Hör auf, hör auf.« Gina Valetti lacht mit ihrer glockenreinen Stimme, mit der sie immer wieder ihre vielen Verehrer und Verehrerinnen verzaubert. »Wer dich hört, könnte wirklich glauben, deine adeligen Maiden seien allesamt dumm, arrogant, falsch und bis in die letzte Faser ihres Seins hoffnungslos degeneriert.«
»Ach, es ist ja noch schlimmer, aber ich muss trotzdem ein solches Prachtexemplar heiraten! Dennoch möchte ich unser Verhältnis nicht aufgeben.«
Wieder erschauert das schöne lauschende Mädchen hinter der Tür vor dieser fast brutalen Offenheit.
»Du hast also noch nicht gewählt?«, hört sie Gina Valetti fragen. Wie sehr doch die Stimme der Frau bebt vor verhaltener Leidenschaft und einer nagenden Eifersucht, die der noch unbekannten Frau gilt.
»Natürlich nicht, sonst würde ich dir ihren Namen längst genannt haben. Vielleicht kannst du mir bei der Brautschau behilflich sein. Es wäre vielleicht ganz amüsant für dich, mal so ganz was anderes, nicht wahr?«
»Suche dir die Garantie für deinen Stammhalter mal selber, mein Lieber. Da du sie alle über einen Kamm scherst, deine blaublütigen Puten, wird das ja kein Problem sein!«, erwidert Gina Valetti. »Verbinde die Sache doch mit einem Blindekuhspiel. Das wäre doch originell.«
»Du bist wirklich bewundernswert. Ich werde deinen Vorschlag aufgreifen. Auf dem Fest tummelt sich ein ganzer Schwarm junger heiratsfähiger Gänschen, da wird es auch unweigerlich zu diesem kindischen Spiel kommen, bei dem sich unsere Großeltern schon heiter verlustierten. Und ich werde dann dafür sorgen, dass ich auch eine Binde vor die Augen bekomme. Leichter kann mir die Wahl meiner ... hm ... besseren Hälfte nicht gemacht werden, Teuerste!«
»Es ist dir also wirklich völlig gleichgültig, wen du als Mutter deines Sohnes vor den Standesbeamten führst?«, fragt die Künstlerin.
»Wer spricht denn von der Mutter meines Sohnes? Das war die Schnapsidee meines verstorbenen Onkels, als er das skurrile Testament verfasste. Ich soll heiraten, um den Stammhalter zu garantieren. Aber eine Heirat ist noch lange keine Garantie, dass sich dann auch wirklich ein Erbe einstellt. Ich denke nicht daran, mehr zu tun, als die Klausel des Testamentes zu erfüllen, liebste Gina. Hast du verstanden, meine Liebe?«
»Das ist nicht schwer zu verstehen und wird sicherlich eine Enttäuschung für deine Zukünftige sein. Du bist schließlich ein Mann, an dem keine Frau vorbeisehen kann. Ich ...«
»Die Schwärmereien solcher Tugend-Tausendschönchen gingen mir immer schon auf die Nerven, aber ich habe gelernt, sie nicht mehr zu bemerken. Bist du jetzt zufrieden?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass du dich von mir stark angezogen fühlst, aber ich weiß auch, dass du mich nicht wirklich liebst. Vielleicht kannst du überhaupt nicht lieben. Aber ich, Albin, ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr, dass ich dich keiner anderen Frau gönne. Und ich werde immer alles tun, um dich zu halten! Dessen kannst du ganz gewiss sein, Albin.«
»Auf eine buchstäblich blindlings gewählte Frau brauchst du wahrlich nicht eifersüchtig zu sein, Liebes.«
Die Künstlerin atmet tief auf und legt ihre Hand auf Albins Schulter.
»Nun wollen wir zum Fest zurück. Dein Blindekuhspiel nach der holden Gemahlin soll steigen.«
Konstanzia sieht das Paar nach draußen gehen. Sie sind so sehr mit ihren schändlichen Gedanken beschäftigt, dass sie die Tür hinter sich weit offen lassen. Erst als beide außer Hörweite sind, wagt sie sich hinter der Tür hervor und hat es jetzt sehr eilig.
Was sie soeben mit angehört hat, ist das höchste an Gemeinheit überhaupt. Nun muss Konstanzia wissen, wer wohl die Unglückliche sein wird, auf die die Wahl des hochmütigen Grafen fällt. Sie kennt einen Beobachtungsposten, von dem herab sie alles bestens im Garten übersehen kann.
♥♥♥
Unbemerkt gelangt Konstanzia mit klopfendem Herzen an den pompösen Pferdestall heran, ein Gebäude, das fast an eine kleine Villa erinnert. Als die Herrendorns einst sehr wohlhabend waren, standen in den mit edlen Hölzern ausgekleideten Boxen reinrassige Vollblüter. Aber seit Jahren stehen hier keine Tiere mehr.
Konstanzias Onkel genügt es vorerst, mit den letzten Resten seines Vermögens glanzvolle Feste zu geben.
In diesem Stallgebäude hat Konstanzia nun vom Heuboden aus einen prächtigen Ausblick auf den wundervollen Garten.
Auf den weiten Rasenflächen und zwischen den Bäumen und Sträuchern erscheinen die duftigen Sommerkleider der Damen wie wandelnde Blumen. Und die Herren schwirren um diese Blumen wie die Bienen. Es ist ein geradezu lustiger Anblick, der sich ihr bietet.
Eine Kapelle spielt zum Tanz auf, und einige Paare tanzen zu den Klängen.
Und dann hält Konstanzia den Atem an. Sie sieht ihre Zwillingsschwester Jutta, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht.
Den Eindruck schwereloser Anmut macht ein kostbares, weich fließendes weißes Abendkleid aus hauchdünnem, feinstem Chiffon, das mit kunstvoll angeordneten Spitzenbordüren verziert ist. Die wehende Stola unterstreicht den Eindruck schwebender Leichtigkeit. Der Schwester ebenfalls hochgewachsene Figur wird in all ihrer Zartheit und grazilen Feinheit durch dieses wunderschöne Modell außerordentlich hervorgehoben.
Dem Kreis der jungen Mädchen gesellen sich junge Männer zu, die sich an dem improvisierten Spiel beteiligen. Während die Kapelle unter dem Laubdach grüner Blätter verträumte Weisen spielt, sucht nun ein junger Mann mit verbundenen Augen das Opfer, das sein Nachfolger werden soll. Nicht ohne einen Kuss zu kassieren, wenn das Opfer ein junges Mädchen ist. Oder einen scherzhaften Fluch hören zu lassen, wenn das Opfer ein junger Mann sein sollte.
Hell klingt das Lachen der jungen Mädchen zu Konstanzia herauf, mit dem Dunkel der Stimmen der jungen Männer, die da protestieren oder aber triumphieren, wenn sie blind keinen Mann, sondern eben eines der reizvollen Mädchen fingen, die sich gar nicht besonders zieren, den Blinden ihre Belohnung zu gewähren und ihnen die rosig angehauchten Wangen hinreichen.
Keiner der Beteiligten dort unten ahnt natürlich, was die Veranlassung zu diesem lustigen Spiel ist. Bis auf Konstanzia, Gina Valetti und den hochmütigen Grafen, der aus seiner Heiratsabsicht ein so schändliches Spiel macht und im Begriff steht, blind sein Opfer zu suchen.
Dem jungen Mädchen hoch oben im Auslug droht das Herz vor Angst zu zerspringen. Die Angst vor dem Schicksal, das da unten sehr bald schon eine völlig Ahnungslose treffen wird, denn die »Blindheit« des suchenden Grafen, das weiß Konstanzia nur zu genau, ist in Wirklichkeit gar nicht gespielt. Und auch das Opfer wird nicht nur zufällig gefunden, sondern das Opfer der Pläne des Grafen werden.