Lost Dreams - Alexander Koslowski - E-Book
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Alexander Koslowski

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Beschreibung

Ein mystisches Märchen über eine Welt der Träume von Alexander Koslowski »Wir können uns die Welt, in die wir geboren werden, nicht aussuchen, und so erscheint uns jede von ihnen wie das Spielfeld eines Spiels, dessen Regeln uns niemand verraten hat.«Jack findet sich in einer seltsamen, menschenleeren Welt wieder. Jedes Mal, wenn er einschläft, wacht er an einem anderen Ort wieder auf. Er hat keine Erinnerungen an die Zeit davor, sein einziges Ziel ist es, Prinzessin Koma zu finden. Wird er sie retten können? Und wer ist der Mann mit dem Helm? Doch je länger Jacks Suche dauert, desto düsterer und bedrohlicher werden die Welten um ihn herum, und das Ziel seiner Reise rückt in unerreichbare Ferne ...

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© Piper Verlag GmbH, München 2020Redaktion: Franz LeipoldAbbildungen: Alexander KoslowskiCovergestaltung: Guter Punkt, MünchenCovermotiv: Markus Weber, Guter Punkt München nach einer Idee von Alexander Koslowski und unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalt

Cover & Impressum

Bildteil

Prolog: Wie ein Applaus

I: Im Reich der Träume

II: Real und einsam

III: Jack Dreams

IV: Gesetz der Anziehung

V: Prinzessin Koma

VI: Allein in der Dunkelheit

VII: Der Weg führt nach innen

Epilog: Yin und Yang

HYPE

Binde deinen Karren an einen Stern. – Leonardo Da Vinci

Verlorene Koma in Maislabyrinth

Die anderen tragen Masken, ich trage einen Helm. – Hype

Wer unsere Träume stiehlt, gibt uns den Tod. – Konfuzius

Die Geburt eines Kindes

Jacks ungeplante Reise oder Die Suche nach Wärme

Der Traum vom Fallen ist einer der häufigsten aller Albträume und erzählt uns von Angst.

Einsamkeit ist die Schule der Weisheit. – Deutsches Sprichwort

Alle Märchen sind nur Träume von jener heimatlichen Welt, die überall und nirgends ist – Novalis

Was guckst Du?

Das Leben ist die Liebe Und des Lebens Leben Geist – Goethe

Trennung ist vernichtender als Tod. – Peter E. Schumacher

Nach einem bösen Traum sieht man, welchen Stoff zu einer Hölle ein bloßes Gehirn in sich aufbewahrt. – Jean Paul

Wirklich reich ist der, der mehr Träume in seiner Seele hat, als die Wirklichkeit zerstören kann. – Hans Kruppa

Dieses Foto aus 2020 lässt Träume fliegen.

Wenn nur jemand wissen könnte, wer oder was dieser Hype ist ...

Prolog: Wie ein Applaus

Ein plötzlicher kalter Wind strich über die Maispflanzen, die sich wie ein endloses grünes Meer bis zum Horizont erstreckten, und in der Ferne türmten sich tiefschwarze Wolken auf, die rasch näher kamen. Die Stauden zitterten in dem Windhauch, neigten sich, als er stärker wurde, und beinahe sah es so aus, als fürchteten sie sich vor dem Himmel, der sich immer stärker verfinsterte.

Federleichte Schritte berührten den Boden. Barfuß lief Koma durch die wie mit einer Schnur gezogenen Reihen der Maisstauden; ihr langes weißes Kleid streifte über den lehmigen Boden, als die ersten Regentropfen fielen. Sie blieb stehen und hob den Kopf, blickte nach oben in die immer bedrohlicher werdende Dunkelheit, spürte die Nässe in ihrem Gesicht, die sich anfühlte wie die ungeliebten Küsse eines zudringlichen Verehrers.

»Es kann nur ein Traum sein«, sagte sie und schloss die Augen. Koma spürte, wie der Regen ihre Augenlider benetzte, und zwang sich, ruhig zu atmen, während ihr Herzschlag raste.

Der Wind, der die Blätter der Maispflanzen zum Beben brachte, streichelte ihr Gesicht und schien mit körperloser Stimme ihren Namen zu wispern.

»Koma«, flüsterte der Wind, »komm zu mir!« Ihre Augen öffneten sich, und sie begann wieder zu rennen. Wo war der Ausweg aus diesem Labyrinth aus Maisstauden? Jede von ihnen war so hoch wie ein Mann, ragte weit in den Himmel und schien sie zu verhöhnen, wie sie orientierungslos zwischen ihnen herumirrte. Aus dem Wind wurde ein Sturm, der sie vor sich her zu jagen schien, und Koma spürte, wie die Kräfte ihres Körpers schwanden.

»Lass mich in Ruhe!«, schrie sie gegen das Tosen des Windes an. Ihre Stimme hallte über das Maisfeld, verklang ungehört.

Plötzlich erstarb der Wind, und sie umgab vollkommene Stille.

Koma verlangsamte ihre Schritte. Was war das dort vorne? Ein Lichtschein? Ohne darüber nachzudenken, hielt sie direkt auf das Licht zu.

Die Reihen der Maisstauden öffneten sich und Koma betrat eine kreisrunde Fläche, die frei von Pflanzen oder Steinen war. Sie war so perfekt gezogen, dass sie nicht zufällig entstanden sein konnte. Der Boden sah hier dunkler aus, als hätte man den Mais mit Brandrodung zurückgedrängt. Erst nachdem sie den Zirkel halb durchschritten hatte, bemerkte sie den mannshohen schwarzen Spiegel in seiner Mitte, der in den Boden eingerammt war. Vor dem Spiegel blieb Koma stehen.

»Ich sehe dich«, sagte eine Stimme, die seltsam verzerrt klang. Koma schrak zurück, als sie erkannte, dass sich in dem Spiegelbild noch eine Gestalt befand. Sie drehte sich um, aber da war niemand; doch als sie wieder in den Spiegel blickte, sah sie, wie ein Mann in einer dunkelblauen Winterjacke und einem schwarzen Helm mit verspiegeltem Visier auf sie zukam.

»Wie ist das möglich?«, flüsterte Koma und streckte ihre Fingerspitzen aus, um das Spiegelbild zu berühren. Sie ertastete nur kaltes Glas.

»Sie kommt, um dich zu holen«, sagte die Gestalt mit dem Helm.

»Wer?«, fragte Koma verwirrt.

»Deine Angst«, antwortete die Stimme, und in diesem Moment sah Koma an der Stelle, an der sich die Augen befinden sollten, zwei winzige blaue Lichter aufflackern.

Auf einmal veränderte sich die Szene um sie herum. Es war, als ob die Welt ihre Farbe verlor; alles nahm ein trübes und tristes Grau an. Im gleichen Moment zerbarst der Spiegel in viele tausend Scherben. Erneut schrak Koma zurück. Alles schien gleichzeitig zu geschehen. Sie konnte spüren, wie etwas hinter ihr heranraste, eine unbekannte, dunkle Gefahr, doch bevor sie sich umdrehen konnte, wurde sie gepackt und mit gewaltiger Kraft nach hinten gezogen. Die unsichtbare Macht hielt ihren Körper in eisernem Griff und zerrte sie durch die Maisstauden hindurch, die unter ihrem Gewicht nachgaben, sich bogen und abbrachen. Vor sich konnte Koma die Spur der Verwüstung sehen, die ihr Körper in dem Maisfeld hinterließ. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Kehle brannte, weil sie lauthals schrie. Sie schrie vor Verzweiflung und Todesangst. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie glaubte, es müsse in ihrer Brust zerspringen. Koma strampelte mit den Beinen; sie versuchte mit aller Entschlossenheit, sich gegen den harten Griff der unsichtbaren Faust zu wehren, doch sie hatte keine Chance. Zu ihrem Entsetzen fühlte sie, wie sie in die Höhe gehoben wurde, bald hoch über dem Maisfeld baumelte und schließlich in den Himmel geschleudert wurde – in ein großes, gewaltiges Nichts.

Keuchend schrak Koma aus dem Schlaf auf und sah erschrocken an sich herunter. Sie trug ein langes weißes Nachtkleid mit zarter Spitze an den Trägern und am Saum und lag in einem großen altmodischen Bett mit Vorhängen. Während sie nach Luft rang, versuchte sie, ihre Gedanken zu sortieren. Was war gerade geschehen? Was hatte sie da in dem Maislabyrinth gepackt, und wie war sie hierhergekommen? Kalter Schweiß bedeckte ihre Haut wie ein Film und in ihren Ohren dröhnte es. Sie war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Unsicher schaute sie sich um. Zwischen den Vorhängen des Himmelbettes konnte sie ein schlecht beleuchtetes Zimmer erkennen, in dem altertümliche Möbel herumstanden. Die Wände waren nicht tapeziert. Ihr Blick fiel auf rauen Stein, der ihr den Eindruck vermittelte, in einem sehr alten Gebäude zu sein. Vorsichtig schob Koma einen Vorhang beiseite und schaute hinaus. Sie war allein in einer Kammer, die sie unwillkürlich an ein Zimmer in einem Burgturm erinnerte. Der Raum wurde nur von zwei Fackeln erleuchtet; an den Wänden hingen kostbar aussehende Teppiche, die in verblassten Farben Szenen einer Jagd zeigten. Als sie ihre Füße aus dem Bett streckte, berührte sie das weiche Fell eines Bären, das vor dem Bett lag. Koma bewegte sich langsam; beinahe rechnete sie damit, im nächsten Augenblick erneut gepackt und herumgeschleudert zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Erst jetzt hörte sie leise Klaviermusik, die aus dem Nachbarraum zu kommen schien, der mit ihrem Zimmer durch eine reich verzierte Flügeltür verbunden war. Langsam ging Koma darauf zu. Der kalte Steinboden unter ihren nackten Sohlen fühlte sich hart an. Die Musik wurde lauter. Zwischen den Ritzen der Tür sah sie einen Lichtschein. Behutsam legte sie eine Hand auf die Klinke, drückte sie herunter und öffnete die rechte Tür, die mit einem leisen Knarren aufschwang. Vor ihr erstreckte sich ein großer Saal mit hohen, gotisch geschwungenen Decken. Ein schwerer Läufer lag auf dem Boden und führte auf eine kleine Erhöhung. Dort stand der Unbekannte mit dem Helm, den sie im Spiegel auf dem Maisfeld gesehen hatte. Der Raum war von unzähligen Kerzen hell erleuchtet. Unsicher, was sie tun sollte, schritt Koma weiter, direkt auf den Fremden zu. Der Unbekannte stand regungslos da und schien sie anzusehen. Wieder nahm sie den blauen Lichtschein wahr, der in Höhe seiner Augen flackerte.

»Wo bin ich?«, fragte sie mit bebender Stimme, als sie direkt vor ihm stand. Sie fühlte sich seltsam nackt und schutzlos in dem Nachthemd. »Und wer bist du?«, fragte Koma zweites Mal.

»Nichts weiter als ein Hype«, sagte die verzerrte Stimme. »Willkommen im Reich der Träume.«

»Warum bin ich hier?«, wollte Koma wissen.

»Die Frage, die du dir stellen solltest, lautet nicht, wo du bist, sondern wer du bist«, gab Hype zurück. »Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.«

Koma runzelte die Stirn. Das Zitat kam ihr bekannt vor, so, als habe sie es schon häufig gehört, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wo das gewesen war. Überhaupt waren alle ihre Erinnerungen seltsam verschwommen, wie hinter einer Nebelwand. Sie wusste, dass sie existierten, doch es gab nicht ein Bild, das sie heraufbeschwören konnte – ein befremdliches Gefühl, das sie sofort wieder verdrängte.

Sie blinzelte. Auf einmal sah sie, wie sich in ihrem Augenwinkel etwas bewegte, ein Schatten, wie eine optische Täuschung. Sie drehte sich hastig um, und im nächsten Moment tauchten aus dem Dunkel der Saalecken Masken auf, deren Körper verhüllt waren. Einige waren freundlich, andere bunt bemalt und eher komisch; wieder andere sahen furchteinflößend und fratzenhaft aus. Der Anblick war so beunruhigend, dass Koma rasch ihre Aufmerksamkeit wieder auf Hype richtete.

»Warum trägst du einen Helm?«, brach es aus ihr heraus. Zu gerne hätte sie das Gesicht des Unbekannten gesehen, erfahren, wer er war und warum sie ihm hier begegnete, an einem Ort, an dem sie noch nie zuvor gewesen war.

»Die anderen tragen Masken, ich trage einen Helm. Das ist der Unterschied«, sagte er, was ihre Verwirrung nur verstärkte.

»Weiß mein Vater, dass ich hier bin?«, fragte sie, als sich plötzlich ein Bild aus ihrer Vergangenheit mit aller Klarheit in ihr Bewusstsein schob. Es war das Gesicht ihres Vaters, voller Sorge um sie. Wie lange war sie schon fort?

»Folge mir!«, forderte Hype sie auf, wandte sich um und ging von ihr weg.

Koma blieb zutiefst verunsichert stehen. Wie sollte sie wissen, ob sie Hype vertrauen konnte? Hier schien nichts so zu sein, wie es auf den ersten Anblick aussah, und es gab so vieles, das sie nicht verstand, nicht begreifen konnte. Die Verwirrung in ihrem Inneren wurde immer größer.

»Was ist mit meinem Bruder, kennst du ihn?«, wollte sie wissen, als sich ein weiteres Gesicht in ihren Gedanken zeigte; auch dieses sorgenvoll, aber gleichzeitig ein wenig wütend.

»Ich möchte nach Hause«, brach es aus ihr heraus. »Bitte, lass mich gehen.«

Hype erstarrte und drehte sich zu ihr um.

»Schweig!«, donnerte seine Stimme und Koma fuhr erschrocken zusammen. Etwas an Hype flößte ihr Angst ein, ehrfürchtige Angst, ohne dass sie erklären konnte, was es war.

»Nehmen wir an, dass alles hier nichts weiter ist als ein Theaterstück. Und in diesen großartigen Stück spielst du die Opfer-Rolle. Klingt erst mal langweilig, aber deine Rolle ist so wichtig wie keine andere. Ich sage dir, wie es weitergeht … Du wirst gleich in die Augen des Bösen sehen. Du wirst einschlafen und an einem Ort weit weg von hier wieder aufwachen, irgendwo in der Welt von Lost Dreams. Dort, jenseits des Horizonts, wirst du warten, bis dein Held dich findet. Du wirst ihn erkennen, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Jack Dreams wird sein Name lauten.«

Koma erstarrte.

»Die Augen des Bösen?«, wisperte sie von Furcht erfüllt. »Was hat das zu bedeuten? Bitte, erklär mir …«

»Angst ist nur eine Illusion«, unterbrach Hype sie ungehalten. »Sie hält uns davon ab, unserer Bestimmung zu folgen. Dabei ergreift sie uns immer dann, wenn wir glauben, sie vergessen zu haben. Du kannst ihr nicht entkommen, du kannst nur die Dunkelheit um dich und in dir vergrößern. Irgendwann vielleicht wirst du es verstehen. Und nun komm!«

»Nein, bitte!«, flehte Koma und weigerte sich noch immer, weiterzugehen. Plötzlich vernahm sie ein schreckliches Krachen. Es kam von oben. Unwillkürlich legte sie ihren Kopf in den Nacken. Die Decke des Saals schien durchlässig zu werden wie bei einem Bild, bei dem man die Deckkraft reduzierte. Das steinerne Dach dieses wundersamen Ortes löste sich auf, und mit einem Mal tauchten aus der Dunkelheit dahinter zwei glühende Augen auf. Die Umrisse eines Gesichts wurden erkennbar. Es war kein menschliches Gesicht, vielmehr einer Fratze, das Antlitz eines Monsters, hässlich und unendlich böse. Koma schrie auf und wollte weglaufen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. Wie angewurzelt blieb sie stehen und starrte die Kreatur an, die sich ihr rasch näherte. Die glühenden Augen des Wesens schienen sich an ihrer Seele festzusaugen; etwas geschah mit ihr, wurde ihr genommen, aus ihr herausgerissen. Sie spürte einen Schmerz, den sie noch nie zuvor empfunden hatte, und ihre anfänglichen Schreie gingen in wimmernde Schmerzenslaute über. Als sie glaubte, es nicht mehr länger ertragen zu können, umfing sie gnädige Dunkelheit. Der Saal, Hype, die Musik, die Fratze – alles verschwand, und für einige endlose Augenblicke schwebte sie schwerelos in einem absolut dunklen Raum. Dann ergriff die Dunkelheit die Macht über ihre Seele, und mit geschlossenen Augen versank sie in der Finsternis.

Augen, die sich selbst nicht sehen, werden nie alt.

I: Im Reich der Träume

Wir können uns die Welt, in die wir geboren werden, nicht aussuchen, und so erscheint uns jede von ihnen wie das Spielfeld eines Spiels, dessen Regeln uns niemand verraten hat.

Hoch reckten sich die Äste der uralten Baumriesen in den Himmel und bildeten unterhalb der Wolken ein dichtes Blätterdach. Auf einer kleinen Lichtung, umstrahlt vom weichen Licht der Sonne, das zwischen den Blättern hindurchfiel, lag ein winziges Bündel, das sich hin und wieder bewegte. Leises Weinen war zu hören, als das kleine Menschenkind erwachte und nach seiner Mutter rief.

Aus den Schatten zwischen den Bäumen tauchten mehrere behaarte Gestalten auf, die Nasen krumm, die Haare wirr und die Augen so glühend rot wie kleine Kohlenstücke.

»Was ist es?«, fragte der Erste.

»Und warum weint es?«, wollte der Nächste wissen.

»So etwas haben wir hier im Wald noch nie gesehen«, stellte der Dritte fest.

»Wie kommt es hierher, und wie werden wir es wieder los?«, wunderte sich ein Vierter. Neugierig kamen die Kreaturen näher und beugten sich über das kleine Bündel.

Mit großen Augen sah der Junge die Gestalten an, dann verzog sich sein winziger Mund, und er begann erneut zu weinen: ein lauter, klagender Laut, der weit über die Lichtung hallte. Erschrocken wichen die Waldgeister zurück.

»Was für ein fürchterlicher Krach!«, rief einer und hielt sich die hässlichen Ohren zu. Dabei verzog er das Gesicht. Als es der kleine Junge sah, stieß er ein helles, fröhliches Lachen aus.

»Ein eigenartiges Geschöpf«, sagte einer der Waldgeister. »So weich wie ein Stein, dabei wird es nicht hart, wenn man damit in Berührung kommt. Was hat das zu bedeuten? Seit Anbeginn der Zeit leben hier in diesem Wald nur wir, die Tiere und die Bäume – und nun das? Was hat es damit auf sich?«

Der kleine Junge mit dem dichten, dunklen Haarschopf lachte weiter fröhlich, als er die lustigen Gesichter der seltsamen Wesen sah; ein Laut, gemacht aus purer Lebensfreude, so ansteckend, dass die Waldgeister ihre krummen Körper dazu in Bewegung setzten. Sie wiegten sich hin und her, sprangen auf und ab und vollführten mit verdrehten Gliedmaßen bizarr anmutende Tänze zur Melodie des Kinderlachens. Doch das Tanzen machte sie übermütig, ließ ihre wilden Herzen überschäumen, und schließlich packte der Erste das Bündel, schleuderte es hoch in die Luft und fing es wieder auf. Der kleine Junge riss die Augen auf, betrachtete staunend den Himmel und das Blätterdach, die auf ihn zurasten, und bemerkte jenes Kitzeln im Bauch, als es wieder abwärts ging. Erneut wurde er gepackt und dem nächsten Waldgeist zugeworfen, der ihn mit sich herumwirbelte in einem wilden, ausgelassenen Tanz. Immer toller und übermütiger ging es zu auf der Lichtung, immer höher und weiter schleuderten die haarigen Gesellen das Bündel, bis es endlich einer der uralten Bäume zu fassen bekam und es mit sanfter Kraft in seine Krone emporhob, wo er es in ein weiches Nest aus Zweigen und Blättern legte und mit seinem Blätterwerk vor neugierigen Blicken verbarg. Die Musik und die Freude der Waldgeister hörte man immer weniger.

Der kleine Junge fiel in einen tiefen, friedlichen Schlaf, in dem er von der Welt träumte. Über ihm, über den Bäumen, türmten sich die Wolken zusammen. Regen fiel mit sanftem Prasseln auf das Blätterdach, tränkte die Erde mit seinem lebenspendenden Nass und sang dem Kind in der Baumkrone ein Schlaflied. Hin und wieder zuckten vereinzelte Blitze über den Himmel, gefolgt von lautem Donnerkrachen, das wie Applaus der Natur klang, doch der Junge in seinem Nest bemerkte davon nichts.

Als das Gewitter nachließ, spürte der Junge in seinem Traum, dass sich etwas veränderte. Er wurde nicht länger nur gehalten, sondern gepresst und vorwärtsgezwängt, so als brächten ihn unsichtbare Kräfte an einen anderen Ort. Im nächsten Augenblick fiel er aus großer Höhe auf den weichen, mit Moos überwucherten Waldboden. Verwundert sah der Junge an sich herunter und stellte fest, dass er kein Baby mehr war, noch nicht einmal mehr ein Kind, denn seine Beine und Arme waren nun lang und stark, seine Brust war breit und muskulös, und als er sein Kinn berührte, spürte er die feinen Stoppeln seines Bartes. Staunend schaute er auf seine großen wohlgeformten Hände, gemacht, um ganze Welten zu erschaffen. Dann hob er den Blick und betrachtete den Wald, und alles erschien ihm neu und anders und doch zugleich vertraut. Mit nacktem Hintern saß er auf dem vom Regen aufgeweichten Waldboden, Schlamm bedeckte seine bloße Haut, und alles kam ihm ganz und gar verwunderlich vor in seinem Bemühen, es in all seinen Details zu erkennen, zu durchdringen und zu verstehen.

Mit den Fingerspitzen tastete er über seine Brust, spürte weiches Brusthaar und eine lange, gezackte Narbe, so dunkel, als sei sie mit Tinte in seine Haut gezeichnet. Tausend Gedanken und noch mehr Fragen strömten durch sein Bewusstsein; sie alle wollten gedacht, sie alle wollten beantwortet werden, und sein Blick suchte nach den Antworten, so wie sein Verstand nach Erklärungen suchte.

»Jack«, erklang plötzlich eine Stimme und übertönte das Prasseln des Regens.

Kaltes Wasser rann ihm über das Gesicht, spülte Schleim und Schmutz seiner Geburt fort und wusch ihn rein.

Der Junge konnte niemanden entdecken, zu dem diese Stimme gehören mochte. Langsam erhob er sich, noch unsicher auf den langen Beinen, die gemacht waren, um weite Strecken zurückzulegen und ihn zu tragen. Zum ersten Mal bemerkte er seine Nase, über die er den Geruch des Waldes bewusst einatmete, während er die Augen geschlossen hielt.

»Jack!«, forderte die Stimme. Jack blickte sich um. Erst jetzt konnte er in der Rinde des Baumes, von dem er gestürzt war, die feinen Linien eines uralten Gesichts erkennen.

»Finde!«, sagte der Baum, und das Gesicht verschwand, wurde wieder Teil der Rinde. Mit den Fingerspitzen berührte Jack die Rinde und spürte für einen kurzen Augenblick Gänsehaut auf seinem ganzen Körper. Der verlorene Junge blickte sich um. Um ihn herum gab es nur den endlosen Wald und die Bäume, die ihm das Gefühl gaben, von etwas beobachtet zu werden. Wohin sollte er gehen? Der Wind frischte auf, vereinzelt mischten sich Eiskristalle mit der Luft und strichen über seinen bloßen, ungeschützten Körper. Jack setzte einen Fuß vor den anderen, machte den ersten Schritt von vielen, ging auf sein ungewisses Schicksal zu. Der Boden unter seinen Füßen war weich, schlammig vom vielen Regen, und er fühlte, wie sich die Eiskristalle in die Haut seines Gesichtes gruben.

Der Wald um ihn herum veränderte sich, wurde wilder, tropischer, verwunschener. Pflanzen mit riesigen Blättern und farbenprächtigen Blüten säumten seinen Weg, unterbrochen von Lianen und Sträuchern. Betörende Dufte kitzelten seine Nase, obwohl es noch immer schneite. Manchmal tauchten äußerst seltsame Wesen auf, die sich schnell wieder in ihre Verstecke zurückzogen, wenn Jack in ihre Nähe kam. Dann verschwand auch der Urwald, er verwandelte sich in einen Wald aus Nadelbäumen und Birken. Laub raschelte unter seinen Füßen, deren Zehen blaugefroren waren. Plötzlich flogen dreizehn Krähen unter lautem Geschrei auf. Jack blickte ihnen nach, wie sie über den grauen Himmel davonflogen. Das Schneetreiben wurde dichter.

Schließlich kam Jack an einer Lichtung vorbei, die auffällige Zeichen von Verwüstung trug. Gräser und Sträucher waren umgeknickt, Äste lagen überall verstreut. Deutlich konnte Jack spüren, dass hier bis vor Kurzem noch jemand gewesen war. Seine Nase erfasste einen intensiven Geruch, der immer strenger wurde und ihn in eine Richtung führte. Dann erst erblickte er das Haus, das auf zwei riesigen braunen Hühnerbeinen stand. Neugierig kam er näher. Als er vor dem Haus stand, öffnete sich dessen einzige Tür, und eine Strickleiter fiel nach unten. Verwundert betrachtete Jack die Leiter, dann ergriff er sie mit beiden Händen und kletterte daran nach oben. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Raum, der über und über vollgestopft war mit den verschiedensten Gegenständen: Töpfe, Kisten, Bücher und Schachteln. Von der Decke hingen Bündel aus getrockneten Kräutern, und in einem Kessel über der Feuerstelle blubberte eine wohlriechende Suppe mit fetten Fleischstückchen und Gemüse. Als Jack das Essen sah, bemerkte er, dass er diesem Geruch gefolgt war. Wem mochte dieses seltsame Häuschen wohl gehören? Und wo befand sich sein Besitzer? Er schaute sich um und entdeckte auf einem Sessel einen blauen, weitschwingenden Kutschermantel, eine enge Hose, dazu ein weißes Hemd. Einem Instinkt folgend, streifte Jack die Kleidungsstücke über. Sie passten so gut, als wären sie einzig für ihn gemacht worden. Etwas in ihm sagte ihm, dass alles hier für ihn gemacht worden sei und dass er es benutzen durfte.

Auf einmal zerriss ein Laut die Stille. Verwundert hob Jack den Kopf und sah ein kleines blaues Licht, das in einem winzigen Käfig gefangen war und aufgeregt hin und her flackerte. Es schien ihm, als würde diese leuchtende blaue Kugel befreit werden wollen.

Ende der Leseprobe