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Endlich lacht das Glück der entzückenden Amy Bainbridge, als sie in der Lotterie ein Vermögen gewinnt. In ihrer neuen atemberaubenden Abendrobe bezaubert sie die Gentlemen. Unter den begehrtesten Junggesellen Londons kann sie nun wählen! Doch ihr Herz entscheidet sich ausgerechnet für Jonathan, Earl of Tallant, von dem es heißt, er sei dem Glücksspiel verfallen und bleibe keiner Dame lange treu ...
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Seitenzahl: 245
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Nicola Cornick
Verführung im Walzertakt – Lotterie der Liebe
Roman
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuchin der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der englischen Originalausgabe:
The Earl’s Prize
Copyright © 2002 by Nicola Cornick
Übersetzt von: Roy Gottwald
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Titelabbildung: Harlequin Books S.A.
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN eBook 978-3-95576-015-1
www.mira-taschenbuch.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
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“Es müssen nicht vier Kerzen brennen, Amy”, sagte Lady Bainbridge in sanft tadelndem Ton und setzte sich ihrer Tochter gegenüber an den Tisch. “Zwei reichen zum Arbeiten.”
Amy beugte sich zu dem Leuchter vor und blies zwei der Flammen aus. Durch das diffuse Licht hatte sie bereits Kopfschmerzen bekommen. Seit die Familie nach dem Tod des Vaters vor zwei Jahren verarmt war, achtete die Mutter selbst auf die kleinste Ausgabe und versuchte zu sparen, wo immer es ging. Aus Sorge, sich die Augen zu verderben, faltete Amy den alten Schal, den sie, um ihn hübscher zu machen, mit einem Fransenbesatz versah, säuberlich zusammen und legte ihn mitsamt Garn und Häkelnadel in die Schublade des Nähtisches. Es war lange her, seit sie ihre Garderobe zum letzten Mal durch elegante Accessoires bereichert oder gar ein Kleid erstanden hatte. Daher bemühte sie sich, ihren vorhandenen Bestand mit Spitzen und Stickereien zu schmücken, um das Gefühl zu haben, etwas Neues zu besitzen, auch wenn die von ihr erzielten Ergebnisse nicht immer ihren Vorstellungen entsprachen. Sie war sich bewusst, dass sie in ihren aufgebesserten Sachen auf gesellschaftlichem Parkett unangenehm auffallen würde, doch zum Glück gab es nur wenige Anlässe, bei denen sie genötigt war, eine gute Figur zu machen.
Der Abend war nicht abwechslungsreicher verlaufen als mehr oder weniger jeder andere vor ihm. Nach dem kargen Abendbrot, das sie mit der Mutter eingenommen hatte, war man in die Stube gegangen und hatte sich beschäftigt. Das Geld, um ausgehen zu können, war nicht vorhanden, und da die Mutter aus Gründen der Kostenersparnis keinen gesellschaftlichen Umgang mehr pflegte, hatte sich auch kein Besucher eingefunden.
Amy gähnte und äußerte: “Ich gehe zu Bett, Mama.”
“Wie du willst, mein Kind”, erwiderte Lady Bainbridge stirnrunzelnd. “Aber lass bitte das Nachtlicht im Flur stehen. Ich bleibe noch auf, um sicher zu sein, dass Richard, wenn er zu Bett geht, nicht wieder vergisst, die Haustür abzusperren”, fügte sie seufzend hinzu. “Sonst könnte jeder Hergelaufene bei uns eindringen und etwas stehlen.”
Amy hätte sich nicht gewundert, wenn der stets reichlich dem Alkohol zusprechende Bruder nicht daran gedacht hätte, abzuschließen. Die Gefahr jedoch, dass ein Dieb sich an den Habseligkeiten der Familie vergreifen könnte, war weitaus geringer, da der Geiz der Mutter selbst in der Unterwelt schon sprichwörtlich sein musste. Schließlich waren alle Wertgegenstände vom Vater versetzt oder verkauft worden und die finanziellen Verhältnisse in den vergangenen zehn Jahren oft so beengt gewesen, dass man sogar Mühe gehabt hatte, die geringe Miete für das kleine Haus in der Curzon Street aufzubringen, das Mr. Cornack, ein langjähriger Freund der Familie, ihnen überlassen hatte. Das Personal war reduziert worden und bestand nur noch aus zwei Dienstmädchen, der Wirtschafterin, die gleichzeitig die Aufgaben der Köchin wahrnahm, und dem Kammerdiener des Bruders. Auch auf die beiden Kutschen hatte man verzichten müssen, da man nicht mehr in der Lage gewesen war, die Haltungskosten für die Pferde zu tragen. Die Tiere waren am Ende so abgemagert gewesen, dass man befürchten musste, sie könnten eines Tages entkräftet im Geschirr zusammenbrechen. Über diese Vorstellung war die Mutter so entsetzt gewesen, dass sie aus Angst, sich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, eingewilligt hatte, sich von den bedauernswerten Kreaturen und den Fahrzeugen zu trennen.
“Mir wäre es lieber, Mama, du würdest nicht warten, bis Richard zu Bett geht”, äußerte Amy ruhig. “Du weißt, dass Marten sich um ihn kümmert. Im Übrigen werden die Herren bestimmt bis in die frühen Morgenstunden spielen, was bedeutet, dass du hier einschläfst. Wenn du dann aufwachst, hast du dir die Frisur ruiniert und außerdem Nackenschmerzen.”
Die Mutter war zwar noch immer eine ansehnliche Frau und bemüht, sich ihre Schönheit so lange wie möglich zu bewahren, doch es ließ sich nicht leugnen, dass sie, seit sie Witwe war, mehr und mehr verblasste. Ihr braunes Haar war stumpf geworden. Sie hatte sehr abgenommen und inzwischen auch einen verbitterten Zug um den Mund.
“Oh, das habe ich nicht berücksichtigt”, erwiderte sie irritiert. “Aber ohne den Roman, den ich lese, um müde zu werden, kann ich nicht schlafen gehen.”
“Und wo ist das Buch?”
Suchend schaute Lady Bainbridge sich um. “Ich glaube, ich habe es im Empfangszimmer liegen gelassen”, murmelte sie. “Wie dumm von mir! Jetzt muss ich wirklich warten, bis dein Bruder seine Gäste verabschiedet hat, damit ich es holen kann.”
Es war ungewöhnlich, dass Richard seine Bekannten daheim empfing, da er es im Allgemeinen vorzog, bei White’s oder Boodle’s zu spielen. Amy erinnerte sich nicht, wann er zum letzten Mal Besuch gehabt hatte.
“Lass es dir von Prudence bringen”, schlug Amy vor. Prudence Quiller war eine Furcht einflößende Person, die ebenso gut zur Zofe wie zur Wischmagd taugte und ständig alles missbilligte. Im Stillen schmunzelte Amy bei dem Gedanken, wie Prudence auf den Anblick der Herren reagieren würde.
Lady Bainbridge strahlte, setzte dann jedoch ein bekümmertes Gesicht auf. “Oh ja! Das ist ein guter Einfall! Oh nein! Das geht nicht! Nachdem Prudence von einem von Richards Bekannten ins Gesäß gekniffen wurde, hat sie geschworen, nie den Fuß in einen Raum zu setzen, wo er und seine Gäste sich aufhalten. Sie hat dem Frechling eine Moralpredigt gehalten und ihn sowie alle anderen Anwesenden Wüstlinge und Tunichtgute genannt!”
“Der Mann hatte Mut!”, meinte Amy, fand die Vorstellung, dass einer von Richards Freunden der spitzgesichtigen Miss Quiller Avancen gemacht haben sollte, jedoch reichlich abwegig. Zweifellos hatte derjenige schon zu viel getrunken. “Nun, dann schick Marten”, fuhr sie fort. “Ich bezweifle sehr, dass man ihn in den Allerwertesten kneifen wird.”
“Natürlich nicht, aber er ist heute Abend bei seiner Schwester und noch nicht zurück.”
“Das Problem sollte doch zu lösen sein, Mama!”, erwiderte Amy ungehalten. “Lies doch einfach etwas anderes.”
Lady Bainbridge machte ein missmutiges Gesicht. “Oh nein, Amy! Du weißt, es gibt Lektüre, die kann man nur tagsüber lesen, und andere abends. Man kann sie nicht einfach austauschen.”
Amy stand auf, legte sich den Schal um und äußerte: “Also gut, dann gehe ich das Buch holen. Ich bin gleich wieder da.”
“Oh, Amy, mein Schatz!”, rief ihre Mutter entsetzt aus. “Du kannst nicht in den Empfangssalon gehen! Die Herren sitzen doch beim Kartenspiel!”
“Das ist mir geläufig, Mama.” Amys Miene verhärtete sich. “Ich vermute, Richard und seine Gäste werden so beschäftigt sein, dass sie mich gar nicht bemerken. Folglich wird keiner von ihnen mir gegenüber zudringlich werden.”
“Du hast recht, bisher hat noch nie ein Gentleman Interesse an dir bekundet!”, murmelte Lady Bainbridge. “Doch das gehört jetzt nicht hierher. Du kannst einfach nicht in ein Zimmer gehen, das voller Männer ist.”
“Einer davon ist mein Bruder, Mama”, sagte Amy trocken. “Sollte irgendetwas Unschickliches sich ereignen, werde ich ihn umgehend zu Hilfe bitten.”
Sie zog den Schal fester um die Schultern, verließ das Zimmer und begab sich nach unten ins Entree. Auf einem Konsoltisch am Fuß der Treppe stand ein Leuchter mit brennender Kerze. Als Amy sich im Wandspiegel darüber erblickte, fand sie, dass sie wie eine der Mumien aussah, die sie im vergangenen Jahr in der Ägypten-Ausstellung bestaunt hatte. Der Schal war breit, da sie sich gern in viel Stoff hüllte, um sich vor der Kälte, die gewöhnlich im Haus herrschte, zu schützen. Die Menge des Heizmaterials hing nämlich von der Menge des Geldes ab, das der Bruder verspielte.
Stimmen und Lachen drangen in den Gang, während sie sich dem Empfangssalon näherte. Es war, wie die Mutter bemerkt hatte, unpassend für eine unverheiratete Frau, einen Raum zu betreten, in dem sich ausschließlich Gentlemen aufhielten. Amy war jedoch der Ansicht, dass ihr Anblick kaum die Leidenschaft eines der betrunkenen Spieler wecken würde. Die meisten waren so konzentriert bei der Sache, dass sie Amy gar nicht bemerken würden, und für diejenigen, die sie vielleicht doch zur Kenntnis nahmen, war sie nur Richards langweilige Schwester, denn sie entsprach nicht dem gängigen Schönheitsideal.
Sie war eben unscheinbar und zurückhaltend. In der einzigen Saison, die sie in London verbracht hatte, war sie so still gewesen, dass einige unfreundliche Leute sie eine Langweilerin genannt hatten. Eine weitere Saison hatte es nicht für sie gegeben und somit auch keine Verehrer.
Sie machte die Tür auf und lugte ins Zimmer. Das Bild, das sich ihr bot, war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Luft war rauchgeschwängert und stickig. Durch das flackernde Kaminfeuer und die zahlreichen brennenden Kerzen war der Raum warm und hell. Sparsamkeit wurde hier nicht praktiziert. Ihr Bruder, der eine leere Cognacflasche und ein Holzkistchen mit Spielmarken neben sich stehen hatte, saß lässig und mit gerötetem Gesicht im Sessel und hielt den Würfelbecher in der Hand.
Amy kannte zwei der Gäste. Lord Humphrey Dainty, dem der Schweiß auf der Stirn stand, hatte seinen Mantel verkehrt herum an und war so betrunken, dass er Gefahr lief, aus dem Sessel zu rutschen. Mr. Albert Hallam trug einen breitkrempigen Strohhut, der mit weitaus mehr Bändern und Blümchen verziert war als jede Kopfbedeckung, die Amy besaß. Sie schüttelte leicht den Kopf. Die Mutter war schon abergläubisch, aber die lächerlichen Rituale von Kartenspielern waren noch absurder. Mr. Hallam schien nicht aufzufallen, dass seine Vorsichtsmaßnahmen ihm nie zum gewünschten Erfolg verhalfen.
Amy ließ den Blick zu den beiden anderen, ihr unbekannten Herren schweifen. Einer war hoch gewachsen und blond, machte einen sympathischen Eindruck und schien etwas nüchterner zu sein als die übrigen Herren. Der durch die offene Tür dringende Windzug brachte die Kerzenflamme ins Flackern, und genau in diesem Moment schaute der andere Fremde auf. Sein Blick verweilte auf Amys Gesicht. Amy erschrak leicht, nicht nur, weil seine Augen einen ungewöhnlichen braunen Farbton hatten, sondern weil er sie betrachtete. Sie war daran gewöhnt, dass die Leute sich nicht für sie interessierten. Der Fremde jedoch musterte sie nachdenklich und zog leicht die Brauen hoch. Sie raffte den Schal fester um sich und hoffte, möglichst unscheinbar zu wirken.
Es fiel ihr schwer, den entspannt im Sessel sitzenden Mann nicht anzustarren. Er war älter als ihr vierundzwanzigjähriger Bruder, vielleicht um die dreißig, hatte den Gehrock ausgezogen und ein Bein über das andere geschlagen. Er besaß ein perfekt geschnittenes Gesicht und war zweifellos der attraktivste Mann, der ihr je vor die Augen gekommen war. Im Gegensatz zu den anderen Spielern lagen neben ihm ein großer Haufen Goldmünzen und mehrere Spielmarken auf dem Tisch.
Er lächelte Amy an und strich sich das Haar aus der Stirn. Missbilligend furchte Amy die Stirn. Es lag ihr fern, einen der Spieler dazu zu ermutigen, ihr Aufmerksamkeit zu schenken.
Richard stellte eine weitere Flasche Cognac auf den Tisch. “Schenkt euch nach! Ihr beide hinkt hinterher!” Die Flasche wackelte und wäre beinahe umgefallen. Richard schaute auf, bemerkte Amy und grinste. Sein rötliches Haar schimmerte im Kerzenlicht, und mit seinen blauen Augen lachte er sie an.
“Was willst du hier, Amy? Möchtest du wissen, wie viel ich schon verloren habe? Tallant ist schuld an meinen Verlusten. Er hat eine Glückssträhne.”
Amy riss den Blick von dem Fremden mit dem kastanienbraunen Haar los, lächelte höflich und ging langsam weiter ins Zimmer. Die Mutter hatte ihr gesagt, das Buch läge auf der Fenstersitzbank. Die dicken roten Portièren waren jedoch zugezogen, sodass Amy nicht erkennen konnte, welches Fenster die Mutter gemeint hatte. Richards Gäste wurden jetzt auf sie aufmerksam, und das war ihr unangenehm. Lord Humphrey Dainty legte den Kopf auf den Arm und murmelte: “Ihr Diener, Miss Bainbridge. Ihr Diener, Madam.” Mr. Hallam sprang auf und wäre, als er sich verbeugte, fast vornüber gestürzt. Amy streckte die Hand aus und drückte ihn sanft in den Sessel zurück. Sie kannte ihn seit der Kindheit. In den vergangenen sieben Jahren hatte er ihr in regelmäßigen Abständen einen Heiratsantrag gemacht. Daher hielt sie es für überflüssig, die Form zu wahren.
“Guten Abend, Miss Bainbridge. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?”
Der blonde Herr, der rechts neben Richard saß, war aufgestanden und verneigte sich. Sein Blick war belustigt, und irgendwie fand Amy ihn sympathisch. Das war ihr nicht recht, denn die Bekannten ihres Bruders waren alle Taugenichtse und Tunichtgute, die nichts Positives für sich ins Feld zu führen hatten. Dennoch erwiderte sie sehr schüchtern das Lächeln des Gentleman.
“Vielen Dank, Sir. Meine Mutter hat hier ein Buch vergessen und meint, nicht einschlafen zu können, wenn sie es nicht hat.”
“Auf der Fensterbank hinter dir liegt eins, Sebastian”, sagte der Mann mit den kastanienbraunen Haaren. “Es ist mir aufgefallen, als ich ins Zimmer kam.”
Er machte keine Anstalten, bei der Suche zu helfen, sondern lehnte sich im Sessel zurück und beobachtete die anderen Anwesenden mit leicht spöttischem Blick. Amy empfand eine seltsame Mischung aus Neugier und Abneigung und kam sich trotz des dicken, anständigen Kleides und des sie umhüllenden Schals sehr verwundbar vor. Sie war erleichtert, als der hoch gewachsene Herr das Buch ihrer Mutter hinter dem roten Vorhang hervorzog und es ihr mit einer weiteren leichten Verneigung überreichte.
“Ich glaube, Sie haben das hier gesucht, Miss Bainbridge. Meine Empfehlungen an Ihre Mutter. Ich hoffe, die Lektüre hilft ihr einzuschlafen.” Er lächelte Amy an. “Sebastian, Duke of Fleet, zu Ihren Diensten.”
Der Duke of Fleet! Es gelang Amy, ein regloses Gesicht zu wahren. Wie Äußerlichkeiten doch täuschen konnten! Worauf hat sich Richard bloß eingelassen, dachte sie. Seine Gnaden und dessen Freunde galten als eingefleischte Spieler, die den Ruf hatten, Anfänger gnadenlos auszunehmen. Richard konnte man zwar nicht als einen solchen bezeichnen, denn als Sohn seines Vaters, eines berüchtigten Spielers, war er schon mit achtzehn Jahren in dessen Fußstapfen getreten und folglich kein Amateur mehr. Dennoch wusste Amy, dass er sich bislang nicht mit Leuten wie dem Duke of Fleet und dem Earl of Tallant abgegeben hatte. Beide verkehrten mit zwielichtigen Gestalten wie Golden Ball und Scrope Davies, Männern, die Tausende von Guineen an einem Abend verspielten. Solche Verluste konnte Richard sich nie erlauben.
Wider Willen richtete Amy den Blick auf den Gentleman mit den kastanienbraunen Haaren, der sie immer noch beobachtete. Sie drückte den Roman an die Brust und war lächerlicherweise verlegen. Wenn der Mann, der sich ihr gerade vorgestellt hatte, der Duke of Fleet war, dann musste der andere der Earl of Tallant sein.
Der Herr erhob sich und machte eine leichte Verbeugung. “Jonathan, Earl of Tallant, zu Ihren Diensten, Miss Bainbridge”, sagte er, als habe er ihre Gedanken erraten. Seine Stimme hatte ein angenehmes Timbre, das Amy einen wohligen Schauer verursachte. Sie hatte einiges über den Erben des Marquess of Landor gehört. Wer nicht? Die Spielleidenschaft war angeblich nicht einmal sein größtes Laster. Er war darüber hinaus ein reichlich dem Alkohol zusprechender Weiberheld, der noch andere Untugenden hatte, über die man nur hinter vorgehaltener Hand flüsterte. Als junger Mann war er von seinem Vater, weil er horrende Spielschulden gemacht und seine Familie beinahe ruiniert hatte, aus dem Haus gejagt worden. Im Ausland hatte er einen weiteren Skandal verursacht, weil er mit der Gattin seines Gastgebers durchgebrannt war. In den folgenden fünf Jahren war er immer wieder in schockierende Vorkommnisse verwickelt gewesen. Der Duke of Fleet galt als exzellente Partie, der durch die Liebe einer anständigen Frau auf den rechten Weg zurückgeführt werden konnte, doch auf den Earl of Tallant traf das nicht zu. Mütter pflegten ihre heiratsfähigen Töchter mit einem leisen Entsetzensschrei aus seinem Weg zu scheuchen, statt sie ihm vor die Nase zu schubsen.
Amy bemerkte, dass er sie erneut von Kopf bis Fuß musterte, mit einem so dreisten Blick, dass sie Herzklopfen bekam. Sie war überhaupt nicht daran gewöhnt, auf diese unverschämte Weise begutachtet zu werden. Normalerweise sahen Männer nur attraktive Frauen so an. Unbehaglich zupfte sie an ihrem Kleid, damit ihre Fußgelenke bedeckt waren. Es war ein bisschen zu kurz, da sie es schon seit vier Jahren besaß und noch ein Stück gewachsen war. Ein Lächeln erschien um die Mundwinkel des Earl, als er ihre Verlegenheit bemerkte.
Ungeduldig schüttelte Richard den Würfelbecher. “Sie sagen an, Mylord. Wer geht mit?”
“Ich bin pleite”, murmelte Lord Humphrey. “Tallant hat mir alles abgenommen.”
“Ich passe”, äußerte Albert Hallam düster. “Ich habe keinen Penny mehr.”
“Entschuldigen Sie mich”, murmelte Amy hastig und lächelte den Duke of Fleet an, der herbeigekommen war und ihr die Tür geöffnet hatte. Ganz bewusst vermied sie es, dem Earl of Tallant noch einen Blick zuzuwerfen, und eilte in das kühle Entree.
Die Mutter stand wie ein Gespenst am Fuß der Treppe. “Oh, Amy, mein Schatz! Du warst so lange fort! Ich habe mich gefragt, was mit dir los ist. Ist alles in Ordnung?”
“Oh ja, Mama”, antwortete Amy fröhlich und verdrängte die Gedanken an Lord Tallant. “Mir ist überhaupt nichts passiert.”
“Mr. Hallam hat dir keinen Heiratsantrag gemacht?”
“Nein, Mama. Er war zu beschäftigt.”
“Wie schade.” Lady Bainbridge seufzte. “Dann hätte ich ein Maul weniger zu stopfen gehabt.” Sie ergriff Amy am Arm. “Wie viele Kerzen brennen?”
“Oh, nur zwei oder drei”, log Amy unbekümmert. “Kein Grund zur Sorge, Mama.”
“Und das Kaminfeuer?”
“Ja. Im Kamin brennt ein kleines Feuer.”
“Warum muss Richard im Mai heizen?”, jammerte die Mutter. “Das ist so teuer!”
“Nun, abends ist es ziemlich kühl, Mama.” Amy fröstelte. “Bitte, reg dich nicht auf. Ich bin sicher, Richard streicht große Gewinne ein.”
Lady Bainbridges Miene erhellte sich. “Oh, glaubst du das, mein Schatz? Ja, dein Bruder ist wirklich wie sein Vater. George war ein hervorragender Spieler, der mir von seinen Gewinnen dauernd Schmuck gekauft und Geschenke gemacht hat. Nun, wenn das der Fall ist, können wir alle beruhigt sein. Hast du das Buch gefunden?”
Amy hielt es der Mutter hin. “Ja, hier, Mama. Wie du gesagt hast, es lag auf der Fensterbank.”
Lady Bainbridge blickte auf das Bändchen und zuckte zurück. “Oh, aber das ist das Buch, das Lady Ashworth letzte Woche hier vergessen hat. Oh nein! Das kann ich jetzt nicht lesen! Nein, das geht nicht.”
Amy atmete tief durch und verwünschte die Tatsache, dass sie, weil sie abgelenkt gewesen war, nicht auf den Verfasser des Romans geachtet hatte. “Schon gut, Mama. Ich mache dir heiße Milch mit Honig. Das wärmt dich von innen und ist sehr beruhigend. Und solltest du davon nicht einschlafen, kannst du immer noch Laudanum nehmen. Aber nichts wird mich dazu bewegen, heute Abend noch einmal in den Empfangssalon zu gehen!”
Es war schon nach fünf Uhr morgens, als Sir Richards Gäste gingen. Im Haus war es still. Paul Marten sperrte die Eingangstür zu und half seinem betrunkenen Herrn die Treppe hinauf. Der Baronet machte Anstalten, ein zweifelhaftes Lied anzustimmen, denn er hatte zweihundert Guineen gewonnen, doch es gelang dem Kammerdiener, ihn von diesem Vorhaben abzubringen.
Die Morgendämmerung war lau. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Die Nachtwache verkündete, es sei halb sechs. Lord Humphrey Dainty und Mr. Albert Hallam torkelten die Straße hinunter und stützten sich dabei gegenseitig.
“Jünglinge, die nach Hause und ins Bett gehen”, bemerkte Jonathan mit verächtlichem Lächeln, während er ihnen hinterher schaute. Sie sahen wie eine doppelleibige Spinne mit zuckenden Gliedern aus. “Wie ist es mit dir, Sebastian? Hältst du noch durch?”
Der Duke of Fleet straffte die Schultern. “Was schwebt dir vor, mein Bester? Bernadettes Kloster?”
“Ja.” Jonathan strich den Gehrock glatt. “Ich habe die schöne Harriet seit einem Monat nicht mehr gesehen und meine, dass es an der Zeit ist, unsere Bekanntschaft aufzufrischen.”
Sebastian schloss sich dem Freund an. “Das wäre eine Abwechslung.”
Jonathan warf ihm einen Blick zu. Die Gleichgültigkeit des Freundes belustigte ihn. Aber sie beide hatten zynische Ansichten über das Leben, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. “Nicht mehr als das, Sebastian?”
“Nun ja, ein angenehmer Zeitvertreib.” Sebastian zuckte mit den Schultern. “Außerdem wären meine Taschen dann nicht mehr so schwer. Ich habe nie jemanden kennengelernt, der so schlecht spielt wie Sir Richard. Heute Abend habe ich zum ersten Mal erlebt, dass er gewonnen hat. Ich frage mich, wie er seinen Lebensstil finanziert.”
“Ich glaube, mit dem Geld, das er sich bei ‘Howard & Gibbs’ leiht”, äußerte Jonathan trocken. “Er äfft seinen Vater nach, von dem er zwar nicht die Ausstrahlung, aber das ganze Pech geerbt hat. Der lächerliche Betrag, den er heute Abend einstreichen konnte, ist höher als alles, was er bisher im ganzen Jahr gewonnen hat.”
Sebastian lachte. “Sein Vater hatte nicht mehr Glück. Sir George hat so über seine Verhältnisse gelebt, dass er sich ständig nach Warwickshire in sein Haus zurückziehen musste, bis seine Gläubiger Ruhe gaben. Aber schließlich musste er auch das verkaufen.”
“Ich erinnere mich”, sagte Jonathan bedächtig. “War das nicht vor zwei oder drei Jahren, zu der Zeit, als seine Tochter in die Gesellschaft eingeführt wurde? Er hat sein ganzes Geld verloren und sich dann erschossen. Die Familie musste alles bis auf den kleinen Erbbesitz in Oxfordshire und das Haus in der Curzon Street verkaufen. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir ein, dass es gar nicht Bainbridge gehört. Ich habe seine Schwester erst heute Abend wiedergesehen.”
“Komischer kleiner Spatz, dieses Mädchen”, meinte Sebastian. “Schade, dass sie sich in ihrer ersten Saison keinen Ehemann angeln konnte. Es überrascht mich jedoch nicht, dass sie keinen gefunden hat. Sie ist viel zu still und unscheinbar. Ich gebe zu, dass ich nichts an vertrocknenden Jungfrauen finde, auch wenn ich nicht daran zweifle, dass die Mutter Oberin sie als bemerkenswerte Neuheit anpreisen würde.”
Eine Kutsche rollte vorbei. “Miss Bainbridge war immer sehr schüchtern”, erwiderte Jonathan, und es überraschte ihn, dass er einen Anflug von Mitgefühl empfand. Normalerweise verschwendete er nie einen Gedanken an farblose junge Damen, und Miss Bainbridge war zweifellos eine von ihnen. Das hatte er vorhin festgestellt und sie sich aus dem Sinn geschlagen. “Man hat sie als Langweilerin bezeichnet.”
“Ja, ich erinnere mich”, sagte Sebastian lachend. “Sie hat nie etwas geäußert, sodass manche Leute sie für einfältig hielten. Sie hatte eine hübsche blonde Freundin, die Amanda oder so hieß. Ich wüsste gern, was aus der geworden ist.”
“Du meinst Lady Amanda Spry, die früher Makepeace hieß. Sie ist jetzt Sir Frank Sprys Frau. Ich glaube, er hat in Irland ein Gut.”
Sebastian starrte den Freund an. “Donnerwetter, Jonathan. Du klingst wie Debrett! Ich hatte keine Ahnung, das du ein enzyklopädisches Gedächtnis hast!”
“Was glaubst du, weswegen ich so oft gewinne?”, fragte Jonathan lakonisch. “Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nur daran, weil Juliana und Lady Amanda befreundet sind. Wie ich hörte, ist Lady Spry vor Kurzem Witwe geworden und jetzt wieder in der Stadt. Vielleicht solltest du einmal bei ihr vorbeischauen. Sie ist ein hübsches kleines Ding.”
“Wie ergeht es deiner schönen Schwester?”, fragte Sebastian grinsend. Falls es überhaupt jemanden gab, der Jonathan beim Spiel übertreffen konnte, dann war das Lady Juliana Myfleet.
“Oh, nicht anders als sonst”, antwortete Jonathan. “Hohe Einsätze, schlechte Gesellschaft. Sie hat sich mit Clive Massingham eingelassen.”
Scharf sog Sebastian die Luft ein. “Diese Vorstellung erzeugt mir einen unangenehmen Geschmack im Mund. Mr. Massingham ist kein guter Umgang.”
Unbehaglich zuckte Jonathan mit den Schultern. “Ich stimme dir zu, kann jedoch leider nichts gegen diese Beziehung unternehmen. Juliana geht ihre eigenen Wege, und ich bilde mir nicht ein, großen Einfluss auf sie zu haben, wenngleich sie mir zumindest zuhört. Aber ich kann auch nicht den Moralisten spielen”, fügte er in leicht verbittertem Ton hinzu. “Das wäre absurd. Gestern habe ich meinen Vater getroffen und dachte, er würde mit Juliana und mir brechen. Es ist völlig offen, gegen wen er mehr eingenommen ist, meine Schwester oder mich.”
Sebastian schmunzelte. “Er hat dir damit gedroht, dich zu enterben, nicht wahr?”
Erneut zuckte Jonathan mit den Schultern. “Ich nehme an, das ist nur natürlich, da ich seinen in mich gesetzten Erwartungen so gar nicht entspreche. Er will, dass ich heirate und einen Erben zeuge. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Gedanken verlockend finde. Frauen aus guter Familie sind alle gleich – Musterexemplare der Geistlosigkeit. Nun ja, ich könnte vielleicht eine Spielerin heiraten.”
“Warum nicht eine Hure”, warf Sebastian trocken ein. “Die schöne Harriet würde jedem vornehmen Mann halt zur Zierde gereichen.”
Man war beim Covent Garden angekommen. Zwei leichte Mädchen, die aus einer Seitengasse gekommen waren, beäugten die Herren neugierig und mit lüsternem Glanz in den Augen.
“Schlimm, wirklich sehr schlimm”, sagte Sebastian und schüttelte trübselig den Kopf.
Im Gegensatz zu dem Erscheinungsbild der beiden Nachtschattengewächse war der Eingangsbereich des von Mutter Bernadette geleiteten Etablissements der Inbegriff geschmackvollen Prunks und vermittelte den Eindruck eines perfekten Bordells. Die Oberin persönlich erschien und begrüßte die Gentlemen freudig. Sie war eine attraktive Frau unbestimmbaren Alters, die sich gut gehalten hatte und den Ruf genoss, Qualität und ständig neue Anreize zu bieten.
“Es ist mir ein Vergnügen, meine Herren, Sie wiederzusehen.” Sie geleitete die Besucher die mit einem vergoldeten Geländer versehene Marmortreppe hinauf. “Haben Sie etwas Bestimmtes im Sinn, das ich Ihnen heute offerieren kann?”
“Etwas, was ich noch nicht kenne, wenn ich bitten darf, Madam”, antwortete der Duke of Fleet und unterdrückte ein Gähnen. “Ich mag launisch sein, aber ich langweile mich so verdammt schnell.”
“Natürlich, Eure Gnaden.” Die Mutter Oberin lächelte leicht und wandte sich Jonathan zu. “Harriet hat Sie wirklich sehr vermisst, Mylord.”
Boshaft dachte er daran, dass Miss Harriet Templetons Gunst käuflich und er zur Zeit derjenige war, der das Privileg hatte, sie zu genießen. Das war ihm recht. Er hatte seine frühere Mätresse sehr gemocht und war überraschend bekümmert gewesen, als sie ihm mitgeteilt hatte, sie habe den Heiratsantrag eines anderen Mannes angenommen.
Er hatte sie gern gehabt und wäre vielleicht sogar so weit gegangen zu gestehen, dass ihm viel an ihr lag. Er war auf eine unkomplizierte und anspruchslose Weise mit ihr befreundet gewesen. Obwohl er seit seinen Jünglingstagen nicht mehr verliebt gewesen war, hatte er Mariannes Gesellschaft geschätzt und sie nach der Trennung sehr vermisst. Bei Harriet bestand zum Glück nicht die Gefahr, in eine solche Situation zu geraten. Ihre Zuneigung reichte nicht über seine prall gefüllte Geldbörse hinaus, und er war zufrieden darüber, dass die Beziehung ganz und gar frei von persönlichen Gefühlen war.
Jonathan schlenderte den ihm vertrauten Flur entlang und betrat das an dessen Ende gelegene Zimmer. Miss Templeton saß vor dem Spiegel und bürstete sich das Haar. Als sie seiner ansichtig wurde, erhellte ein strahlendes Lächeln ihr hübsches, schmales Gesicht. Sie ließ die Haarbürste fallen, rannte zu Jonathan und schloss ihn, sich weich an ihn drückend, in die Arme.
“Mein Liebling”, säuselte sie. “Ich habe mich nach dir verzehrt.”
Mit ihren Fingern nestelte sie bereits an den Knöpfen seines Gehrocks und öffnete sie. Jonathan zog ihn aus, neigte sich zu ihr und küsste sie.
“Auch ich habe dich vermisst, meine Süße. Sollen wir das Wiedersehen feiern?”
Er hob sie auf die Arme und brachte sie zum Bett. Sie kicherte entzückt, als er sie darauf ablegte, und sah ihn aufreizend an, während er sich die Stiefel auszog. Ihr spitzenbesetzter Peignoir hatte sich gelöst, und der Anblick ihres üppigen Körpers darunter ließ nicht viel Raum für Fantasie. Jonathan merkte, dass sein Blut in Wallung geriet, bewahrte jedoch einen kühlen Kopf. Eine Hure heiraten … Einen Moment lang malte er sich aus, wie Harriet als die neue Marchioness of Landor durch die Räume in Ashby Court gehen würde, doch der Gedanke, überhaupt eine Ehe zu schließen, lag ihm fern. Wann immer er daran dachte, verband sich damit das Bild von zwei Menschen, die sich in ihrem weitläufigen Leben gegenseitig Beleidigungen ins Gesicht schleuderten. Die Vorstellung war ihm zuwider.
Harriet zog ihn zu sich, und er streckte sich neben ihr aus. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er in Gedanken zwischen sich und Harriets hübschem, geschminktem Gesicht das von Amy Bainbridge und erlitt einen leichten Schock. Die kleine Miss Bainbridge, die so unansehnlich und abweisend war. Er hatte, als er sie beobachtete, die Abneigung deutlich in ihren Augen gesehen, ihre Antipathie gespürt, obwohl sie kein einziges Wort an ihn gerichtet hatte.
Gleichviel, er konnte sich nicht erklären, warum er an sie gedacht hatte. Aber die Vision ihres unschuldigen Antlitzes stand in krassem Gegensatz zu seiner augenblicklichen Umgebung. Er hatte schon vor vielen Jahren darauf verzichtet, sich für unerfahrene Frauen zu interessieren, und würde das auch jetzt nicht tun. Er überließ sich Harriets routinierten Zärtlichkeiten und versuchte, an nichts mehr zu denken.