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Ein Gentleman wagt - und gewinnt ANNE ASHLEY Im mondänen Kurort Bath, Treffpunkt der feinsten Gesellschaft, begegnet Abbie dem Mann wieder, dem sie einst versprochen war - und den sie in einer zweideutigen Situation erwischte: Barton Cavanagh. Empört weist Abbie ihn ab, als er sie erneut umwirbt. Wie kann er es wagen! Doch dann setzt er sogar sein Leben für sie aufs Spiel. Hat sie ihm damals etwa Unrecht getan? Verbotene Küsse im Mondschein NICOLA CORNICK Ihr tadelloser Ruf ist Lady Annis einziges Kapital, doch als Lord Adam Ashwick im eleganten Seebad Harrogate auftaucht, gerät ihre Tugend in Gefahr. Immer wieder bringt der charmante Lord sie in kompromittierende Situationen, indem er ihr zeigt, wie sehr er sie begehrt. Aber auch Anni sehnt sich nach Liebe und wird schließlich schwach. In Adams Armen liegend, überrascht man sie …
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Seitenzahl: 503
Sommerfrische
Anne Ashley
Ein Gentleman wagt und gewinnt
Aus dem Englischen von Vera Möbius
Nicola Cornick
Verbotene Küsse im Mondschein
Aus dem Englischen von Roy Gottwald
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Betrayed And Betrothed
Copyright © 2005 by Anne Ashley
The Chaperon Bride
Copyright © 2003 by Nicola Cornick
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Maja Gause
Titelabbildung: Harlequin Books S.A.
ISBN eBook 978-3-95576-362-6
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Anne Ashley
Ein Gentleman wagt und gewinnt
Aus dem Englischen von Vera Möbius
1812
Major Barton Cavanagh stand bei seinem Pferd und überprüfte ein letztes Mal den Sitz seiner Satteltaschen, als seine Aufmerksamkeit von einem Trupp Soldaten abgelenkt wurde, der sich soeben anschickte, das Camp zu verlassen. Cavanagh blickte ihnen mit unbewegter Miene hinterher. Er war ein Mann, der selten zu lächeln pflegte, und es fiel seinen Mitmenschen oft schwer, seine Stimmung einzuschätzen. Trotzdem wunderte Captain Fergusson sich, als er auf den Freund zutrat und nicht einmal den Anflug einer Gefühlsregung in dem markanten Gesicht entdeckte.
“Großer Gott, Barton!”, rief er. “Fast könnte man annehmen, du würdest zu einem Scharmützel aufbrechen, statt nach London zurückzukehren und deinen überfälligen Urlaub zu genießen.”
Nun zeigten Bartons dunkle Augen wenigstens sekundenlang eine gewisse Belustigung. “Vorsicht, Giles!”, mahnte er und wandte sich zu dem jüngeren Offizier, dessen Kavallerieuniform in diesem Teil des Lagers ziemlich auffällig wirkte. “Wie du sehr wohl weißt, missfällt es deinen Kameraden, wenn du dich mit minderwertigen Infanteristen abgibst.”
“Wann immer ich dich sehen will, muss ich mich notgedrungen in die Niederungen des Pöbels wagen.” Gutmütig akzeptierte Giles die Hänselei des Majors, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war. “Indes werde ich nie begreifen, warum ein so hervorragender Reiter wie du die Laufbahn eines Fußsoldaten gewählt hat.” Auf diesen Kommentar erhielt er keine Antwort, und er war klug genug, das Thema nicht weiterzuverfolgen. “Hast du Neuigkeiten über deinen Vater gehört?”
Barton schüttelte den Kopf. “Wenn ich die Intelligenz meiner Stiefmutter auch eher durchschnittlich finde, eins muss ich Eugenie zugestehen – sie neigt nicht zu Übertreibungen. Deshalb gehe ich davon aus, dass ihre Mitteilung über den besorgniserregenden Gesundheitszustand meines Vaters ernst zu nehmen ist. Doch selbst wenn es nicht so wäre, würde ich diesen Urlaub daheim verbringen. Höchste Zeit, dass ich mit meiner Familie Frieden schließe …” Bevor er weitersprach, beobachtete er wieder die Soldaten, die nun auf einen Höhenzug in ein paar Meilen Entfernung zumarschierten. “Diese letzten Jahre in Spanien haben meine Anschauungen entscheidend geändert. Was ich früher wichtig fand, spielt inzwischen kaum mehr eine Rolle für mich. Ich glaube, auf diese oder jene Weise beeinflussen Kriegserlebnisse die meisten Männer. In manchen bringen sie die besten Wesenszüge zum Vorschein, in anderen die schlimmsten.”
Zustimmend nickte Giles und folgte dem Blick seines Freundes. “Wellesley meint es offenbar ernst. Wie ich sehe, hat er den Profoss mit der Kolonne losgeschickt.”
“Nach den Verlusten in den letzten Monaten kann er nicht untätig bleiben. Die Leute desertieren scharenweise. Angeblich verstecken sich etwa hundert in dem unwegsamen Gelände dort droben. Wenn sie genug zu essen finden, können sie noch eine Weile durchhalten. Aber sobald der Winter beginnt, werden sie in Schwierigkeiten geraten.”
“Ich habe gehört, Wellesley wäre bereit, Nachsicht zu üben, wenn sich jemand freiwillig stellt. Indes würde er nicht zögern, alle anderen zu hängen.”
Mit schmalen Augen fixierte Barton die Bergkette. “Ehrlich gesagt, da draußen treibt sich jemand herum, den ich gern am Galgen sehen würde. Wellesley bezeichnet die gemeinen Soldaten als Abschaum. Und damit hat er völlig recht, was Septimus Searle betrifft. Einen niederträchtigeren Schurken wirst du kaum finden. Unglücklicherweise gehört er meiner Kompanie an. Ich bedauere es, dass ich nicht hier bin, wenn er seine gerechte Strafe erhält. Und das wird geschehen, denn es ist ausgeschlossen, dass er sich ergibt und sich erneut meinem Kommando unterstellt. Ich würde ihm das Leben zur Hölle machen. Das weiß er.”
Verblüfft hob Captain Fergusson die Brauen, denn sein Freund genoss den Ruf, seine Untergebenen besonnen und gerecht zu behandeln. Deshalb respektierten ihn seine Männer. “Diese Rachsucht passt nicht zu dir.”
Ohne die geringste Reue zu zeigen, stieg Barton auf sein Pferd. “Zwischen Vergewaltigung und Mord gibt es so gut wie kein Verbrechen, das Searle nicht begangen hätte. Mein Mitleid gilt den Opfern. Aber in den nächsten Wochen will ich die Erfahrungen vergessen, die ich auf der Halbinsel gesammelt habe, und angenehmeren Interessen nachgehen, während ich mich mit meiner Familie versöhne.”
1816
Nur das stetige Ticken der Uhr auf dem Kaminsims war im Salon von Foxhunter Grange zu hören. Miss Abigail Graham starrte entschlossen aus dem Fenster und vermied es sorgsam, zu dem Teil des Gartens hinter den Büschen hinüberzuschauen, den sie nicht mehr betrat. Endlich hatte sie ihre Entscheidung getroffen – so konnte und wollte sie nicht weiterleben.
“Nun, mein Kind? Hast du nichts zu sagen?”, brach der ältere Herr, der auf einem Sessel in der Nähe des Kamins saß, das Schweigen. Seine Stimme klang merklich schärfer als zuvor bei der Mitteilung, er habe Arrangements für Abigails nächste Zukunft getroffen. “Verdiene ich kein einziges Dankeswort, nachdem ich dafür gesorgt habe, dass du während meiner Abwesenheit angemessen betreut wirst?”
“Ich soll dir danken?” Abbie wandte ihren Blick von der Blütenpracht draußen ab und drehte sich um.
Die Ähnlichkeit zwischen ihr und dem weißhaarigen Gentleman konnte niemandem entgehen. Ein gütiges Schicksal hatte Miss Graham die Hakennase erspart, die schon seit mehreren Generationen fast alle männlichen und ein paar bedauernswerte weibliche Familienmitglieder charakterisierte, doch sie hatte die blauvioletten Augen und das seidige schwarze Haar der Grahams geerbt und war von der Natur mit einer eleganten Haltung und einer schlanken Figur bedacht worden. Nicht einmal das unscheinbare graue Kleid, eher für eine Gouvernante geeignet, konnte ihre wohlgeformte Gestalt verbergen. Ebenso wenig vermochte ihre schlichte Frisur einen Betrachter von ihren fein gezeichneten, perfekt symmetrischen Zügen und dem makellosen Teint abzulenken.
“Würde ich glauben, dass du mich nach Bath schickst, damit ich die Gesellschaft meiner Patentante genieße, die ich fast sechzehn Jahre nicht gesehen habe – ja, dann wäre ich dir dankbar.” Nur die pochende Ader an Abigails Schläfe verriet den Zorn, der sich so lange in ihr angestaut hatte. Zum ersten Mal war sie nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. “Aber ich kenne dich zu gut. Du willst aus einem anderen Grund verhindern, dass ich in deiner Abwesenheit hierbleibe. Damit ich keine engere Freundschaft mit unserem neuen Arzt schließe!”
Sekundenlang verriet Colonel Augustus Grahams Mienenspiel ein gewisses Missbehagen, als er seine empörte Enkelin musterte. “Du redest Unsinn, Kind”, protestierte er dann und griff mit unmerklich zitternder Hand nach dem Brandyglas auf dem Tisch neben sich. “Ich fürchte, du leidest an einer kleinen Unpässlichkeit. Vielleicht sollten wir deine Reise um ein paar Tage verschieben, bis du dich besser fühlst.”
“Oh nein, Großvater. Morgen früh werde ich wie geplant aufbrechen. Wenn die Zofe, die meine Patentante mir freundlicherweise schickt, heute eintrifft, müsste sie sich über Nacht ausreichend erholen können.”
Abigails entschiedener Tonfall überraschte den Colonel. Bisher war sie ihm stets mit untadeligem Respekt begegnet. Er stand auf und lehnte sich gegen den Kamin, dann schaute er sie wieder an. “Offenbar bist du pikiert, weil ich dich eben erst über meine Vereinbarung mit Lady Penrose informiert habe.”
“Gewiss, ich wäre gern nach meinen Wünschen gefragt worden”, bestätigte Abbie. Irgendwie schaffte sie es, ihre bewundernswerte Selbstkontrolle zu wahren. “Aber obwohl kaum davon auszugehen ist, dass du es beabsichtigst – du tust mir einen Gefallen. Während ich bei meiner Patentante wohne, möchte ich entscheiden, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, bis ich an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag über das Geld verfügen kann, das mir meine Mutter vermacht hat.”
“Um Himmels willen, was redest du da, Kind?”, rief der Colonel und gab sich keine Mühe, seinen wachsenden Unmut zu verhehlen. “Selbstverständlich wirst du nach Foxhunter Grange zurückkehren. Das Erbe deiner Mutter ist ein Almosen verglichen mit dem Vermögen, das du von mir erhalten wirst. Nach meinem Tod kannst du ein komfortables Leben führen – vorausgesetzt, du gibst mir keinen Grund, mein Testament zu ändern.”
Diese überflüssige, taktlose Drohung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Noch länger vermochte Abigail ihre Wut nicht zu zügeln. “Verdammt, dann ändere es eben!”
Nur wenige Männer, geschweige denn eine Frau, würden es wagen, so mit einem älteren Mitglied ihrer Familie zu sprechen. Das wusste sie. Doch davon ließ sie sich nicht beirren. Der unheilvolle Glanz in den Augen ihres Großvaters und seine verkniffenen Lippen schüchterten sie nicht ein. Nun würde er endlich erfahren, wie sehr sie unter seiner kalten Gleichgültigkeit litt – nachdem er ihr in ihrer Kindheit so viel Liebe und Güte bewiesen hatte.
“Du bist nicht mehr der Mann, der mich vor fünfzehn Jahren hierherbrachte, Großvater. Damals warst du freundlich und rücksichtsvoll …” Täuschte sie sich, oder zuckte ein Muskel an seinem Kinn, bevor er ihr den Rücken kehrte und zum Porträt seiner verstorbenen Frau aufblickte, das an einem Ehrenplatz über dem Kamin hing. “Indes änderte sich das abrupt, als ich mich weigerte, deinen kostbaren Patensohn zu heiraten, nicht wahr?”
“Zweifellos war die Art und Weise deiner Ablehnung unverzeihlich”, erwiderte er mit rauer Stimme und wandte sich wieder zu ihr um.
“Gewiss, ich habe mich unhöflich benommen”, gab sie zu. “Aber ich war gerade erst siebzehn. Und du hattest mir vorher keine Gelegenheit gegeben, mit dir darüber zu sprechen – allein, unter vier Augen …”
Abigail bekam keine Antwort, und wie sie seiner ablehnenden Miene entnahm, würde er ihren Standpunkt wohl niemals akzeptieren.
“Was in der Vergangenheit geschehen ist, kann ich nicht ändern, Großvater”, fuhr sie fort. “Und offen gestanden – ich würde es auch gar nicht versuchen, selbst wenn es möglich wäre. Niemals könnte ich mich mit einem Mann vermählen, den ich weder liebe noch achte.”
Wieder einmal traf sie jener kalte, harte Blick, an den sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt hatte. “Wieso sagst du das? Als kleines Mädchen mochtest du ihn.”
“Ja, vielleicht – ein wenig”, seufzte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. “Doch Kinder werden erwachsen, Großvater. Wir hätten nicht zueinander gepasst.”
Ungeduldig winkte er ab. “Und wie kannst du einen Gentleman nicht achten, der seinem Vaterland im Krieg gegen Frankreich so hervorragende Dienste erwiesen hat? Seine Tapferkeit wurde sogar vom Prinzregenten gewürdigt. Also wirklich, deine Ansichten übersteigen mein Begriffsvermögen.”
“Hier geht es nicht um Bartons Heldentaten auf dem Schlachtfeld”, betonte Abigail, “sondern um seine Prinzipien.”
“Prinzipien!”, stieß der Colonel hervor. “Sei versichert, mein Mädchen, Bartons Grundsätze sind über jeden Verdacht erhaben. Wäre er an jenem Tag nicht dazwischengetreten, hätte ich dir eine wohlverdiente Tracht Prügel verabreicht.”
Falls er erwartete, dieses Geständnis würde Abigail für seinen Patensohn einnehmen, den er stets bewundert hatte, belehrte sie ihn eines Besseren. “Damit tat er mir keinen Gefallen. Viel lieber hätte ich Schläge ertragen als dein liebloses Verhalten.” Als der alte Mann den Mund öffnete und protestieren wollte, ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. “Nach meiner Großjährigkeit überlegte ich, ob ich dieses Haus verlassen sollte, in dem ich wie ein besserer Dienstbote behandelt werde. Sicher wäre ich fähig gewesen, mich selbst zu ernähren. Wenn du glaubst, davor hätte ich mich gefürchtet, irrst du dich ganz gewaltig. Nein, ich blieb hier, weil ich hoffte, eines Tages würdest du mir verzeihen und unsere frühere innige Verbundenheit könnte wieder aufleben. Doch dieser Illusion gebe ich mich nicht länger hin.”
Seiner verächtlich gerunzelten Stirn merkte sie an, dass er ihre Ankündigung, sie würde von jetzt an für sich sorgen, nicht ernst nahm. Dann herrschte er sie an: “Mach dich nicht lächerlich, Kind! Wie willst du denn deinen Lebensunterhalt verdienen?”
Sie ließ sich von seinem geringschätzigen Ton nicht entmutigen. Herausfordernd hielt sie seinem frostigen Blick stand. “Nun, ich würde die Stellung einer Wirtschafterin antreten. Immerhin führe ich dir seit fast sechs Jahren den Haushalt. Oder ich arbeite als Gouvernante. Ich hatte Zeit im Übermaß, meine Kenntnisse zu schulen, während ich von dir ignoriert wurde.”
Voller Genugtuung beobachtete Abigail, wie die Arroganz in seinen Augen einer gewissen Unsicherheit wich.
“Außerdem”, fügte sie hinzu und schaute zu dem Porträt über dem Kamin hinauf, “könnte ich das künstlerische Talent nutzen, das ich von Großmutter geerbt habe. Was im Übrigen niemandem außer dir entgangen ist … Und ich schließe eine Heirat nicht völlig aus. Aber falls ich jemals eine Ehe erwäge, werde ich mich nicht für unseren Hausarzt entscheiden, obwohl ich seine Freundschaft schätze. Und keinesfalls für deinen großartigen Patensohn, der mich abstößt.”
Wütend schlug Augustus Graham mit der Faust auf den Kaminsims. Mehrere Ziergegenstände fielen herunter. “Was, zum Teufel, hat er dir getan? Warum hasst du ihn so sehr?”
“Danach erkundigst du dich etwas zu spät, Großvater, und ich möchte ihn nicht anschwärzen. Wenn du herausfinden willst, was mich an Barton Cavanagh stört, frag ihn selbst. Vielleicht erzählt er dir, was vor sechs Jahren im Sommerhaus geschah. Kurz bevor er um meine Hand anhielt …” Da sie jenen Zwischenfall, den sie lieber vergessen würde, nicht weiter erörtern mochte, wandte sie sich zum Gehen. “Heute Abend werde ich nicht mit dir dinieren. Ich muss das Personal beaufsichtigen, das meine Sachen packt. Deshalb verabschiede ich mich schon jetzt von dir, und ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt bei deinem Freund in Schottland.”
Abigail schloss die Tür hinter sich, ohne einen Blick zurückzuwerfen, und so entging ihr der nachdenkliche Ausdruck in den Augen ihres Großvaters. Nachdem sie den Raum verlassen hatte, trat Colonel Augustus Graham ans Fenster und betrachtete das kleine Holzhaus am Ende der ausgedehnten Rasenfläche, das Bäume und Büsche fast verdeckten. Diesen Pavillon hatte seine Enkelin früher sehr gern aufgesucht, ebenso wie er selbst vor vielen Jahren mit seiner Frau und seinem Sohn. Ja, es stimmte – Abbie schien ihn zu meiden. Warum war ihm das niemals aufgefallen?
Aber dann schüttelte er den Kopf und verdrängte den beunruhigenden Gedanken. Drei Tage später traf die gemietete Postkutsche am frühen Nachmittag in Bath ein. Abigail und die Zofe ihrer Patentante hatten sich auf der Reise Zeit genommen, öfter Station gemacht und das milde Wetter genossen.
Für Abbie war die Fahrt ein besonderes Erlebnis gewesen. Jahrelang hatte sie den Landsitz ihres Großvaters im berühmten Jagdgebiet von Leicestershire nicht verlassen. Nun machte sie zahlreiche interessante Entdeckungen, während die Chaise südwärts rollte, und sie fand die Gesellschaft der Zofe sehr unterhaltsam.
Miss Evelina Felcham unterschied sich von allen Dienstboten, die Abigail kannte. Auf Foxhunter Grange fürchtete das Personal das unberechenbare Temperament des Colonels und begegnete ihm mit unterwürfigem Respekt.
So bedingungslos war Miss Felcham ihrer Herrin nicht ergeben. Und sie zögerte auch niemals, ihre Meinung zu äußern – gleichgültig, ob sie danach gefragt wurde oder nicht.
“Hoffentlich ist meine Patentante nicht beunruhigt, weil wir erst jetzt eintreffen. Aber ich wollte möglichst viel von der Gegend sehen, durch die wir gefahren sind.” Fasziniert spähte Abigail durch das Kutschenfenster auf die belebten Straßen von Bath.
“Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, Miss”, erwiderte die Zofe. “Lady Penrose sorgt sich um gar nichts. Zumindest merkt man nichts davon. Seit dem Tod ihres Gatten ist ihr alles egal. Vielleicht würde sie sich anders verhalten, wäre sie mit Kindern gesegnet worden. Doch das sollte wohl nicht sein. Sicher wird ihr der Besuch ihrer Patentochter guttun.”
Die Stirn gerunzelt, wandte sich Abbie zu Miss Felcham. “Womöglich ist sie gekränkt, wenn ich sie nicht erkenne … Auch Sie waren mir fremd.”
“Kein Wunder, Miss. Als Ihre Eltern Sie damals zu uns brachten, waren Sie erst sieben oder acht Jahre alt. Dennoch hätte ich überall und jederzeit gewusst, dass Sie es sind. Mit Ihren blauen Augen und den dunklen Haaren gleichen Sie Ihrem Vater. Und Ihrer Mutter ebenfalls.”
“Tatsächlich?”, fragte Abigail erfreut. Im Lauf der Jahre hatte sie immer wieder das einzige Porträt ihrer Mutter studiert, das sie besaß, ein kleines Aquarell in einem Silberrahmen. Mitunter hatte sie geglaubt, eine gewisse Ähnlichkeit zu entdecken, war jedoch zu der Ansicht gelangt, dass sie eher nach den Grahams geraten sei. “Leider erinnere ich mich nur ganz vage an meine Eltern, Miss Felcham”, gestand sie und seufzte leise. “Kurz nach unserem Besuch in Lord und Lady Penroses Haus in Surrey reisten sie nach Italien.”
“Ja, Miss Abigail, das weiß ich”, erwiderte die Zofe wehmütig. “Welch eine Tragödie – beide sind dem Typhus erlegen. Prüfend schaute sie Abbie an. “Aber Sie müssen sich glücklich schätzen, weil Ihr Großvater so gut für Sie gesorgt hat. Wie mir meine Herrin erzählt hat, waren Ihre Briefe stets so optimistisch, voller Lebensfreude.”
“Gewiss …” Schnell schaute Abigail wieder aus dem Fenster, doch die nachdenkliche Miene der Zofe war ihr nicht entgangen.
Zu ihrer Erleichterung musste sie den forschenden Blick aus Miss Felchams dunklen Augen nicht mehr allzu lange ertragen. Wenige Minuten später hielt die Kutsche vor einem stattlichen Haus am Upper Camden Place. Eine ältere Haushälterin empfing sie und führte sie zu einem eleganten Salon im ersten Stock.
Eine Bonbonniere in der Hand, wandte sich die Hausherrin um, als die Tür aufging. Erfreut setzte sie das Gefäß ab und eilte ihrem Gast trotz ihrer rundlichen Figur erstaunlich schnell entgegen.
“Lass dich anschauen!”, rief Lady Penrose, nachdem sie Abigail zärtlich umarmt hatte. Aufmerksam musterte sie das lächelnde Gesicht unter dem schlichten altmodischen Hut. “Ja, du bist es! Überall hätte ich dich erkannt.”
Abigail, die eine so liebevolle Zuwendung jahrelang entbehrt hatte, war gerührt über den freundlichen Empfang und gleichzeitig ein wenig verlegen. Im Grunde stand eine völlig fremde Frau vor ihr.
“Vielen Dank für die Einladung, Tante Henrietta.” Sie ließ sich zu einem Sessel führen und nahm Platz, nachdem Lady Penrose wieder in die Sofapolster gesunken war. “Morgen werde ich anfangen, die Stadt zu erforschen. Darauf freue ich mich schon sehr.”
“Ich hoffe, du wirst die Zerstreuungen genießen, die Bath zu bieten hat.” Kritisch inspizierte Lady Penrose die unscheinbare Kleidung ihres Patenkinds. “Was das betrifft, können wir natürlich nicht mit der Hauptstadt konkurrieren. Aber du wirst dich auch hier gut unterhalten.”
Wie Abigail vermutete, schätzte ihre Patentante den gemächlichen Lebensstil in der einst so fashionablen Kurstadt. Lady Penrose strahlte träge Zufriedenheit aus. Offenbar hatte Miss Felcham recht, wenn sie behauptete, ihre Herrin sei in letzter Zeit immer gleichgültiger geworden. Andererseits gewann Abbie den Eindruck, dass Ihre Ladyschaft zwar körperliche Aktivitäten scheute, indes einen hellwachen Geist besaß.
“Sicher werde ich meinen Aufenthalt in Bath genießen, Tante Henrietta. Doch du solltest dich nicht um mein Amüsement bemühen. Ich bin an ein ruhiges, beschauliches Leben gewöhnt.”
Erstaunt hob Lady Penrose die Brauen. “Also hat die Jagdleidenschaft nachgelassen? Das überrascht mich. Eigentlich dachte ich, Leicestershire würde scharenweise junge Gentlemen anlocken, die diesem Sport huldigen.”
“Oh, daran hat sich nichts geändert”, erklärte Abbie. “Großvater lädt oft begeisterte Jäger nach Foxhunter Grange ein.”
“Ach, wirklich? Dann müsstest du dich auf dem gesellschaftlichen Parkett heimisch fühlen.” Erneut musterte Lady Penrose die altmodische Aufmachung ihrer Patentochter. Dann wandte sie sich dem Tablett mit Erfrischungen zu, das sie geordert hatte, und schenkte den Tee ein. “Ich muss sagen, der Colonel hat mich mit der Ankündigung deines Besuches ebenso überrascht wie erfreut”, fuhr sie fort.
Der forschende Blick, mit dem Abigail diese Bemerkung quittierte, blieb Ihrer Ladyschaft nicht verborgen, doch sie lenkte das Gespräch auf die Unternehmungen, die sie für Abbies Aufenthalt geplant hatte. Als nach einer knappen Stunde das Dienstmädchen kam, um abzuräumen, wies sie es an, der jungen Dame ihr Zimmer zu zeigen und Miss Felcham unverzüglich in den Salon zu schicken.
Sobald Abigail den Raum verlassen hatte, erhob sich Ihre Ladyschaft, ging zu ihrem Schreibtisch und nahm einen Brief aus einem Schubfach. Während sie ihn überflog, erschien die Zofe.
“Nun, was meinen Sie, Felchie?”, wollte Lady Penrose ohne Umschweife wissen.
Falls die Bedienstete über die unverblümte Frage staunte, ließ sie sich nichts dergleichen anmerken. Leise schloss sie die Tür hinter sich. “Ein Rätsel, Mylady. Finden Sie nicht auch?”
“Allerdings. Warum eine so schöne, charmante und gut erzogene junge Frau mit dreiundzwanzig Jahren noch immer unverheiratet ist, begreife ich nicht.”
“Nun, vielleicht fühlt sie sich wohl bei ihrem Großvater.” Miss Felcham klang unsicher, sodass ihre Herrin sofort nachhakte.
“Aber diesen Eindruck haben Sie nicht gewonnen.”
“Nein, Mylady”, gab die Zofe zu. “Ich glaube, Miss Graham und ihr Großvater verstehen sich nicht allzu gut. Am Morgen unserer Abreise verließ der Colonel zeitig das Haus. Miss Abbie wollte seine Rückkehr nicht abwarten, um sich von ihm zu verabschieden.”
“Könnte es sein, dass sie nicht herkommen wollte?”
“Ganz im Gegenteil”, versicherte die Zofe.
“Das glaube ich auch. Sie war ganz begeistert von den Aktivitäten, die ich ihr vorschlug und die wir zusammen unternehmen werden. Und doch …” Nachdenklich hielt Lady Penrose den Brief hoch. “Der Colonel schreibt mir, falls es nötig sei, soll ich ein paar Kleider für seine Enkelin anfertigen lassen und ihm die Rechnungen schicken.” Seufzend verdrehte sie die Augen. “In der Tat, ihre schäbige Aufmachung würde eher zu einer Küchenmagd passen. Besitzt sie nichts anderes zum Anziehen? Lediglich dieses altmodische Zeug? Wenn ja, muss ihr Großvater nicht bloß zwei oder drei neue Gewänder, sondern eine komplette Garderobe bezahlen.”
Die Zofe nickte verständnisvoll. Obwohl sich ihre Herrin bereits in mittleren Jahren befand und ihre Figur bedauerlicherweise immer fülliger wurde, zeigte sie ein lebhaftes Interesse an allen Belangen der Mode. “Abgesehen von zwei tauglichen Abendroben enthält Miss Abigails Truhe nichts, was Ihren Ansprüchen genügen würde, Mylady. Aber wie ich betonen muss – ihre Wäsche ist von erster Güte.”
“Immerhin etwas …” Lady Penrose strich sich mit Colonel Grahams Brief über das Doppelkinn. “Trotzdem werden wir morgen Vormittag die Geschäfte in der Milsom Street aufsuchen.”
Nicht nur das Wetter, das sich plötzlich verschlechterte, sondern auch Abbies erstaunlicher Mangel an Begeisterung bewogen ihre Patentante, den Einkaufsbummel zu verschieben. Natürlich war sie ein wenig enttäuscht, als die junge Dame betonte, sie interessiere sich nicht für die Mode und die Ausstattung, die sie mitgebracht habe, würde für den Aufenthalt in Bath genügen.
Doch als sie sich an diesem Abend in der Halle trafen, um zu einer Gesellschaft zu fahren, fand Lady Penrose nichts an der äußeren Erscheinung ihrer Patentochter auszusetzen. Offensichtlich war das schlichte nachtblaue Seidenkleid von einer erstklassigen Schneiderin angefertigt worden. Miss Felcham hatte die dunklen Locken des Mädchens kunstvoll frisiert, eine Perlenkette schmückte den schlanken Hals. Dazu trug Abbie passende Ohrringe.
Obwohl Ihre Ladyschaft Abigails zurückhaltend elegante Aufmachung mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm, gab sie ihren Plan, ihren Hausgast neu einzukleiden, keineswegs auf. Inständig wünschte sie, man würde ihre Patentochter zur fashionabelsten jungen Dame von Bath erklären.
“Dem Himmel sei Dank, es hat zu regnen aufgehört”, bemerkte Lady Penrose, während sie in die wartende Kutsche stiegen. “Wenn wir Glück haben, können wir morgen die Trinkhalle besuchen. Dort möchte ich dich meinen Freunden vorstellen. Allerdings nehme ich an, den meisten werden wir bereits heute Abend auf Agnes Fergussons kleiner Soiree begegnen.”
Abigail hob belustigt die Brauen. Anscheinend war Lady Penrose eine Gesellschaftslöwin, die alles kannte, was in Bath Rang und Namen hatte. “Meinetwegen brauchst du in dieser Hinsicht keine Mühen auf dich zu nehmen. Ich langweile mich nicht, und ich kann mich sehr gut allein beschäftigen.” Wieder einmal wurde sie mit jenem prüfenden Blick bedacht, der ihr seit der Ankunft in Bath schon öfter ein gewisses Unbehagen bereitet hatte. Noch während sie sich fragte, was im Kopf ihrer Patentante vorgehen mochte, erhielt sie die Antwort.
“Irgendwie habe ich das Gefühl, du führst ein sehr zurückgezogenes Leben. Hast du keinen Bekanntenkreis?”
“Darauf musste ich in den letzten Jahren verzichten”, gab Abbie zu, weil sie keinen Grund sah, die Wahrheit zu verheimlichen. “Meine gleichaltrigen Freundinnen haben geheiratet oder sind woandershin gezogen. Aber ich verstehe mich recht gut mit den Ehefrauen von Großvaters Nachbarn.”
“Sicher bist du viel jünger als sie.”
“Ja, Tante Henrietta. Wie ich gestehen muss, bevorzuge ich die Gesellschaft älterer Damen.”
“Vermutlich weil dir nichts anderes übrig bleibt …” Eine Zeit lang schwieg Lady Penrose, bevor sie sich erkundigte: “Gibt es heutzutage keine netten jungen Gentlemen mehr in Leicestershire?”
Abbie ahnte, worauf ihre Patentante hinauswollte, und unterdrückte ein Lächeln. Seltsamerweise fand sie die Frage nicht unangenehm. Es hätte sie eher verwundert, wäre das Thema ihres nach wie vor ledigen Standes nicht angeschnitten worden.
Nun wollte sie klarstellen, wie sie darüber dachte, um künftige Missverständnisse zu vermeiden. “Während der Jagdsaison kommen viele Junggesellen in unsere Gegend, und einige leben auch in der Nähe von Foxhunter Grange – zum Beispiel ein Arzt, mit dem ich Freundschaft geschlossen habe. Aber ich bin bislang keinem Mann begegnet, den ich heiraten möchte.”
“Dazu hattest du nicht allzu viele Gelegenheiten, meine Liebe, oder?” Verwirrt schüttelte Lady Penrose den Kopf. “Ich verstehe nicht, wieso dein Großvater dich erst jetzt zu mir geschickt hat. Seit deinem siebzehnten Geburtstag schrieb ich ihm mehrmals und schlug vor, du solltest mich in Bath besuchen.”
“Davon wusste ich nichts. In deinen Briefen an mich hast du es nie erwähnt.”
“Nein, natürlich nicht, Kindchen. Bevor ich dich einlud, wollte ich der Erlaubnis des Colonels sicher sein – das erschien mir nur recht und billig. Leider hatte ich keinen Erfolg.”
“Was mich nicht überrascht. Großvater würde es nicht riskieren, dass ich nähere Bekanntschaft mit einem Gentleman schließe.”
Empört runzelte Ihre Ladyschaft die Stirn. “Wie meinst du das? Ist er selbstsüchtig genug, dich auf Foxhunter Grange festzuhalten, damit du ihm in seinen letzten Lebensjahren Gesellschaft leistest?”
“Keineswegs, Tante Henrietta”, versicherte Abigail. “Doch er will mich immer noch mit dem Gentleman verheiraten, den er mir von Anfang an zugedacht hat. An diesem Entschluss hält er hartnäckig fest. Und deshalb finde ich es erstaunlich, dass ich deine freundliche Einladung diesmal annehmen durfte.”
“Oh nein, Liebes, nicht ich habe dem Colonel geschrieben”, erklärte Lady Penrose hastig. “Er war es, der mich bat, dich für einige Wochen aufzunehmen. Wie ich bereits erwähnte, habe ich mich über seinen Brief gewundert …” Als sie die Bestürzung ihrer Patentochter bemerkte, fügte sie rasch hinzu: “Selbstverständlich habe ich seinen Wunsch nur zu gern erfüllt. Er nahm an, du würdest es vorziehen, hierherzukommen, statt ihn ins schottische Hochland zu begleiten.”
Da hatte er recht, dachte Abbie. Und dann versuchte sie mit wachsender Besorgnis herauszufinden, warum sich ihr Großvater die Mühe gemacht hatte, ihre Reise nach Bath zu arrangieren. Wenn er verhindern wollte, dass sich eine tiefere Freundschaft zwischen seiner Enkelin und dem jungen Doktor entwickelte, hätte er sie einfach nach Schottland mitnehmen können. Es musste mehr hinter seinem Verhalten stecken. Aber was? Führte er irgendetwas im Schilde?
Die Chaise hielt vor einem imposanten Gebäude am Stadtrand. Nun war keine Zeit mehr, um über ihr Problem nachzudenken, und sie verdrängte es in den Hintergrund ihres Bewusstseins, während sie ihrer Patentante ins Haus folgte. Die Gastgeberin stand am Eingang eines großen, exquisit eingerichteten Salons und begrüßte die beiden Damen so herzlich, dass Abigails anfängliche Befangenheit sofort verflog.
“Wie nett und liebenswürdig deine Freundin ist, Tante Henrietta!”, bemerkte sie, als sie weitergingen. “Sie erinnert mich an eine Nachbarin meines Großvaters.”
“Ja, Agnes Fergusson ist eine gute Seele. Wir sind schon seit Jahren befreundet. Sei bloß nicht pikiert, wenn sie dich im Lauf des Abends mit sämtlichen vielversprechenden Junggesellen bekannt macht, die hier anwesend sind!”, warnte Lady Penrose. “Sie spielt für ihr Leben gern die Kupplerin, und das mit beträchtlichem Erfolg. Ihre fünf Töchter hat sie mühelos unter die Haube gebracht.”
“Keine Bange, ich werde mich nicht gekränkt fühlen”, beteuerte Abigail. Inzwischen hatten sie zwei leere Stühle an der Wand gefunden, und Abigail nahm auf einem von ihnen Platz, nachdem Ihre Ladyschaft sich gesetzt hatte. “Indes hoffe ich, ich beleidige sie nicht, wenn ich ihren ersten Fehlschlag heraufbeschwöre.” Da sie sich neugierig das Gedränge anschaute, das den Raum erfüllte, entging ihr, dass die Tante bei ihrer Bemerkung die Stirn runzelte. “Deine Freundin ist anscheinend eine sehr beliebte Gastgeberin. Wenn das eine kleine Soiree ist, würde mich interessieren …”
Lady Penrose wollte ihre Patentochter eben fragen, was sie so abrupt hatte verstummen lassen, als ihr Blick auf einen hochgewachsenen Gentleman in Begleitung einer älteren Dame und eines etwa siebzehnjährigen Mädchens fiel, der sich gerade vor der Hausherrin verneigte. Als sie daraufhin Abigail wieder ansah, gewahrte sie deren aschfahle Wangen und erschrak. “Was bedrückt dich denn, Liebes? Du bist ja ganz blass.”
Mit bebenden Fingern umklammerte Abigail ihren filigranen Fächer aus Elfenbein. “Oh, zur Hölle mit ihm!”
Nur die sichtliche Besorgnis der Patentante hinderte Abigail daran, aus dem Salon zu stürmen. Mit einiger Mühe zügelte sie ihren Zorn. Aber es dauerte eine Weile, bis sie den Blick von der Ursache ihrer Entrüstung losreißen konnte und ihr die Stimme wieder gehorchte. “Kennst du den Gentleman, der gerade mit unserer Gastgeberin spricht?”
Lady Penrose spähte erneut zur Tür hinüber. “Nein. Weißt du, wer er ist?”
Aufgrund der prompten Entgegnung war Abbie sicher, dass Ihre Ladyschaft die Wahrheit sagte, und verwarf den Verdacht, die Tante könnte in Colonel Augustus Grahams infamen Machenschaften die Rolle einer Komplizin spielen. “Ja, allerdings”, gab sie zu und beobachtete, wie der Gegenstand ihres Unmuts seine beiden Begleiterinnen zu einem rotblonden Gentleman geleitete, der ihm fröhlich zugewunken hatte.
“Das ist niemand anderer als der Patensohn meines Großvaters, den ich unbedingt heiraten soll.”
Nun musterte Lady Penrose den Mann etwas genauer und registrierte den geschmeidigen Gang, die breiten Schultern, das aristokratische Profil. “Und dein Wunsch ist es nicht, Liebes?”, fragte sie leise und betrachtete verblüfft den entschlossenen Ausdruck, den Abigails fein gezeichnete Züge annahmen.
“Eher würde die Sonne im Westen aufgehen, bevor ich mich bereit erkläre, Barton Cavanagh zu ehelichen.”
Nach einem kurzen Schweigen nickte Ihre Ladyschaft. “Oh – ich verstehe …”
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