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Zum Dessert: Eine Lady! Splitterfasernackt, mit Obst und Puderzucker garniert, lässt sich Juliana auf einem Silbertablett in den Saal tragen. Die feine Londoner Gesellschaft ist in Aufruhr. Nur ein Gentleman ignoriert sie: Martin Davencourt, attraktiver Politiker mit tadellosem Ruf. Aber sie spürt die heiße Sehnsucht, die er hinter seiner kühlen Fassade verbirgt … und setzt alles daran, ihn zu verführen.
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Seitenzahl: 248
IMPRESSUM
Eine skandalöse Affäre erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2003 by Nicola Cornick Originaltitel: „Wayward Widow“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MyLadyBand 435 - 2005 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Sabine Schlimm
Umschlagsmotive: sandr2002, Nastco / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733754068
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
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1802
Lady Juliana Tallant erinnerte sich nicht an ihre Mutter. Sie war erst vier Jahre alt gewesen, als die Marchioness mit ihrem Geliebten durchgebrannt war. Der Marquis of Tallant hatte daraufhin das Porträt seiner ungetreuen Gattin aus dem Blauen Salon entfernen lassen. Es lag in Laken eingehüllt auf dem Dachboden und wurde allmählich von Staub und toten Spinnen bedeckt. So erinnerte nichts mehr an die warme und lebhafte Art Ihrer Ladyschaft, die der junge Maler – auch er einer ihrer Liebhaber – so treffend eingefangen hatte.
Wenn im Haus wieder einmal besonders angespannte Stimmung herrschte, schlich sich Juliana auf den Speicher und schlug die Stoffbahnen zurück, die die Schande ihrer Mutter zudeckten. Stundenlang hockte das Mädchen da und betrachtete das hübsche gemalte Antlitz. Gelegentlich stellte sich Juliana dann vor den alten, fleckigen Spiegel, der gleich daneben stand, und versuchte eine Ähnlichkeit zwischen ihren eigenen Zügen und denen auf der Leinwand zu entdecken. Die Augen waren die gleichen: smaragdgrün mit kleinen goldenen Pünktchen darin. Auch die zierliche Nase erkannte sie wieder und den großzügigen Mund, der zu breit war, um noch als schön gelten zu können. Julianas Gesicht war anders geschnitten als das ihrer Mutter, und sie besaß die kastanienbraune Haarfarbe der Tallants. Aber ihr Vater hatte deutlich gemacht, dass sie sein Haar nicht geerbt haben konnte, da er sie nicht gezeugt habe.
An diesem Sommernachmittag hatte Juliana Miss Bertie so lange bekniet, bis die Gouvernante sie widerwillig von der Französischstunde entband und ihr erlaubte, nach draußen zu gehen und die Sonne zu genießen. Freudig sprang Juliana die Treppe hinunter und überhörte geflissentlich Miss Berties Ermahnungen, einen Sonnenschirm mitzunehmen und sich anständig zu benehmen. Junge Damen tragen immer Hüte, junge Damen rennen nicht über die Wiesen, junge Damen sprechen keine Gentlemen an, denen sie nicht zuvor vorgestellt wurden … Schon mit vierzehn wusste Juliana genau, wie anstrengend es sein würde, eine Dame zu sein. Bereits in diesem Alter war sie eine Rebellin.
Die Tür zum Blauen Salon war nur angelehnt, und Stimmen übertönten das Klirren der Teetassen. Tante Beatrix weilte gerade zu einem ihrer seltenen Besuche auf Ashby Tallant.
„Ich bin Marianne in Rom begegnet. Sie lebt dort mit dem Conte Calzioni“, hörte Juliana ihre Tante sagen. „Sie hat nach den Kindern gefragt, Bevil.“
Der Marquis knurrte etwas Unverständliches.
„Ich glaube, sie würde gerne nach England zurückkehren, um die beiden zu sehen. Natürlich ist das nicht möglich.“
Wieder knurrte der Marquis. Eine Pause entstand.
„Wie ich gehört habe, machte sich Jonathan in Oxford recht gut“, fuhr Beatrix unbekümmert fort. „Es überrascht mich, dass du Juliana nicht auch wieder zur Schule schickst. Diesmal würde sie sicher geradezu aufblühen. Sie würde alles tun, um dir zu gefallen, das weißt du.“
„Ich würde sie nur zu gerne wegschicken, aber es ist eine verdammte Geldverschwendung“, erwiderte der Marquis. „Letztes Mal habe ich auf deinen Rat gehört, und du weißt genau, was passiert ist, Trix! Das Mädel ist nicht zu zügeln, genau wie die Mutter.“
Beatrix machte ein beschwichtigendes Geräusch. „Ich glaube wirklich nicht, dass man Juliana so streng verurteilen sollte, Bevil. Der Zwischenfall in dem Pensionat mag betrüblich gewesen sein …“
„Betrüblich? Französische Pornografie zu lesen nennst du betrüblich? Es ist unerhört! Ich frage dich, Beatrix …“
„Die paar anzüglichen Zeichnungen, die eines der Mädchen in die Schule geschmuggelt hat, kann man wohl kaum als Pornografie bezeichnen“, erwiderte Beatrix ruhig. „Wenn Juliana außerdem wirklich auf der Suche nach derartiger Lektüre wäre, bräuchte sie nicht weiter zu gehen als bis in deine eigene Bibliothek, Bevil!“
Zum dritten Mal knurrte der Marquis auf eine Art, die keinen Zweifel an seiner Verstimmung ließ. Vorsichtig sah sich Juliana um, ob jemand von der Dienerschaft in der Nähe war. Dann trat sie näher an die halb offene Tür, um besser hören zu können.
„Natürlich gibt es immer noch die Möglichkeit, sie zu verheiraten“, bemerkte Beatrix nachdenklich. „Im Augenblick ist sie noch ein wenig zu jung, aber in ein paar Jahren …“
„Sobald sie siebzehn ist“, warf der Marquis missgelaunt ein. „Vor den Altar und Schluss.“
„Hoffen wir es“, äußerte Beatrix trocken. „Bei Marianne ging diese Rechnung nicht auf, nicht wahr, Bevil?“
„Marianne war ein Flittchen. Sie konnte ihre Liebhaber ja schon nicht mehr zählen. Und das Kind ist aus demselben Holz geschnitzt, Trix. Du wirst schon sehen, mit diesem Mädchen wird es ein schlimmes Ende nehmen.“
Obwohl die Unterhaltung noch weiterging, wandte sich Juliana ab und schlich auf Zehenspitzen hinaus. Sie trat vor die Tür von Ashby Tallant House und spürte sofort, wie die Sonne brannte. Kein Hut – und keinen Sonnenschirm! Das bedeutete noch mehr Sommersprossen. Ach, egal …
Juliana bog in den lindengesäumten Pfad ein, der über eine Wiese zum Fluss hinunterführte. Das Herz war ihr schwer. Weshalb wollte ihr Vater sie nur wegschicken? Tagtäglich ertrug er ihre Gegenwart eine quälende Viertelstunde lang, in der sie ihm aufzählte, was sie im Unterricht gelernt hatte. Doch sie spürte genau, dass es ihn nicht wirklich interessierte. Sobald die Uhr schlug, ließ er sie ohne Bedauern gehen. Als sie damals zu Miss Everings Schule abgereist war, war er erleichtert gewesen – und hatte sich über ihre unverhoffte Rückkehr entsprechend wütend gebärdet. Und jetzt würde sie ihm offensichtlich die größte Freude machen, indem sie so schnell wie möglich heiratete. Das schien durchaus kein unerreichbares Ziel zu sein. Juliana wusste, dass sie hübsch war. Dennoch, eine Stimme in ihrem Innern flüsterte ihr zu, dass sie ihren Vater auch damit nicht zufrieden stellen konnte. Er würde sie niemals lieben.
Tief in Gedanken spazierte Juliana am Ufer entlang. Das Wasser floss träge in dem gewundenen Bett. Nahe dem Dorf Ashby Tallant staute es sich zu einem von Trauerweiden umstandenen Teich, auf dem gemächlich ein paar Enten herumschwammen. Als Juliana dort ankam, schlüpfte sie durch den Vorhang aus tief hängenden Zweigen in ihre geheime, goldgefleckte Dämmerwelt.
Doch diesmal war sie nicht allein. Sobald sich Julianas Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, erblickte sie einen Jungen, der hastig aufsprang und sich die Handflächen an den Breeches abwischte. Er war hoch aufgeschossen und schlaksig. Das picklige Gesicht unter dem strohblonden Haarschopf verriet, dass er auf dem Weg war, ein Mann zu werden. Abrupt blieb Juliana stehen und starrte ihn an. Er musste ein Bauernjunge sein oder vielleicht der Sohn eines Dorfschmieds. Obwohl er sie überragte, brachte sie es fertig, ihn von oben herab anzusehen.
„Wer bist du?“ Juliana bemühte sich, ihrer Stimme den gleichen herablassenden Klang zu verleihen, den Tante Beatrix den Dienstboten gegenüber anschlug.
Wenn sie allerdings erwartet hatte, ihr Gegenüber damit einzuschüchtern, dann sah sie sich getäuscht. Der Junge – oder vielmehr der junge Mann, denn er musste mindestens fünfzehn Jahre alt sein – lächelte über ihren herrischen Tonfall. Dabei konnte Juliana feststellen, dass er sehr weiße, ebenmäßige Zähne besaß. Ein wenig linkisch deutete er eine Verbeugung an, die in seltsamem Gegensatz zu seinem grasfleckigen Hemd und den verschossenen Hosen stand.
„Martin Davencourt, stets zu Diensten. Und Sie sind …?“
„Lady Juliana Tallant von Ashby Tallant“, erwiderte Juliana.
Wieder lächelte der Junge. Dabei erschienen zwei tiefe Grübchen in seinen Wangen und verliehen seinen Zügen etwas durchaus Anziehendes.
„Die Schlossherrin höchstpersönlich!“, bemerkte er und wies auf ein paar Steine. „Würden Sie sich zu mir setzen, Mylady?“
Erst als Juliana ihren Blick seiner Handbewegung folgen ließ, bemerkte sie das Buch, das im Gras lag. Sie konnte ein paar Diagramme und Bilder erkennen. Papier und Bleistift daneben wiesen darauf hin, dass sich Martin Davencourt wohl im Zeichnen versuchte. Überall waren Holzstücke, Bindfäden und Nägel verstreut.
Juliana schaute betreten auf ihre Schuhspitzen. Offenbar hatte sie sich in dem vermeintlichen Bauernjungen gründlich getäuscht, und das war ihr peinlich.
„Sie kommen gar nicht aus dem Dorf.“ Entschlossen sah sie hoch und reckte das Kinn.
Martin Davencourts Augen weiteten sich. Schöne Augen, dachte Juliana, blaugrün mit dichten, dunklen Wimpern.
„Habe ich das behauptet? Ich bin derzeit zu Besuch auf Ashby Hall. Sir Henry Lees ist mein Pate.“
Zögernd trat Juliana näher. „Weshalb sind Sie denn eigentlich nicht in der Schule?“
Martin lächelte entschuldigend. „Ich war krank. Nach den Sommerferien kehre ich wieder dorthin zurück.“
„Nach Eton?“
„Nein, Harrow.“
Juliana ließ sich im Gras nieder und hob eines der merkwürdig geformten Holzstücke auf.
„Ich versuche gerade, eine Festungsanlage zu bauen“, erklärte Martin. „Aber ich kriege den richtigen Winkel der Mauern einfach nicht hin. Mathematik ist nicht gerade meine Stärke …“
Juliana gähnte. „Ach was, Mathematik! Mein Bruder Jonathan ist genauso – ständig stellt er seine Zinnsoldaten auf oder baut Festungen. Und ich kann mich zu Tode langweilen!“
Martin hockte sich neben sie. „An was für Spielen finden Sie Gefallen, Lady Juliana?“
„Ich bin zu alt, um noch zu spielen“, bemerkte Juliana wegwerfend. „Schließlich bin ich schon vierzehn. In ein paar Jahren gehe ich nach London, um mir einen Ehemann zu angeln.“
„Oh, Verzeihung.“ Belustigung funkelte in Martins Augen. „Trotzdem kommt es mir ein bisschen trübsinnig vor, so gar nichts zu spielen. Wie verbringen Sie denn Ihre Zeit?“
„Ach, ich tanze und übe Klavier und sticke und …“ Juliana verstummte. Auf einmal erschienen ihr all diese Dinge belanglos. „Es gibt nur mich, wissen Sie“, fügte sie leise hinzu. „Deshalb muss ich mich alleine beschäftigen.“
„Indem Sie bei schönem Wetter ausreißen und am Fluss entlangspazieren?“
Juliana lächelte. „Manchmal.“
Den Rest des Nachmittags verbrachte sie damit, im Gras zu sitzen und Martin zuzusehen. Er mühte sich ab, die Teile der hölzernen Festung zusammenzusetzen, was ihm nicht recht gelingen wollte, obwohl er häufig das Buch zu Rate zog. Als die Sonne die Baumwipfel berührte, verabschiedete sich Juliana von ihm. Doch er blickte kaum von seinen Berechnungen hoch. Lächelnd schlenderte sie nach Hause zurück, während sie sich vorstellte, wie er vor lauter Eifer das Abendessen verpasste.
Zu ihrer Überraschung war er am nächsten Nachmittag wieder in der Weidenhöhle. Und am Tag darauf auch. Während der folgenden zwei Wochen trafen sie sich bei schönem Wetter fast täglich. Gewöhnlich beschäftigte sich Martin mit seinen militärischen Modellen, oder er hatte ein Buch dabei – Philosophie, Literatur oder einen Gedichtband. Auf Julianas Geplapper antwortete er nur einsilbig, und manchmal schalt sie ihn aus, weil er ihr so wenig Aufmerksamkeit schenkte. Doch im Allgemeinen waren sie beide zufrieden, wenn sie schwatzen und er lesen konnte.
Eines Nachmittags Ende August ließ sich Juliana missmutig ins Gras fallen und beschwerte sich: „Es hat überhaupt keinen Sinn, wenn ich nach London fahre, um mir einen Ehemann zu suchen. Niemand wird mich jemals heiraten, denn ich bin hässlich und ungehobelt. Außerdem sind alle meine Kleider zu kurz.“
Martin, der gerade zwei balzende Enten zeichnete, pflichtete ihr ernsthaft bei. „Vermutlich reichen dir deine Kleider in zwei Jahren nur noch bis zum Knie, wenn du nicht zu wachsen aufhörst.“
Juliana warf mit einem Buch nach ihm, doch er wich dem Geschoss geschickt aus.
„Martin …?“, setzte Juliana nach einer Weile erneut an.
„Hmm?“
„Findest du mich hübsch?“
„Ja.“ Martin blickte noch nicht einmal auf. Eine blonde Locke fiel ihm in die Stirn, und er hatte konzentriert die Brauen zusammengezogen.
„Aber ich habe Sommersprossen.“
„Stimmt. Die finde ich auch hübsch.“
„Papa sagt, ich werde nie einen Ehemann finden, weil ich zügellos bin.“ Mit gesenktem Kopf zupfte Juliana einen Grashalm ab. „Er meint, ich bin genauso wild wie meine Mutter, und es wird noch ein böses Ende mit mir nehmen. Ich habe keine Erinnerung an meine Mama“, fügte sie ein wenig traurig hinzu, „aber ich glaube nicht, dass sie so schlimm ist, wie alle behaupten.“
Martin hielt mit dem Zeichnen inne. Als Juliana aufblickte, glaubte sie Zorn in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen.
„Dein Papa sollte solche Dinge nicht zu dir sagen“, erklärte er barsch. „Hat er dir auch in den Kopf gesetzt, dass du hässlich und ungehobelt bist?“
„Wahrscheinlich hat er recht“, sagte Juliana.
Darauf äußerte Martin etwas außerordentlich Grobes, das Juliana zum Glück nicht verstand. Einen langen Augenblick sahen sie sich schweigend an. Dann meinte Martin: „Wenn du dreißig bist und immer noch keinen Ehemann hast, werde ich dich mit dem größten Vergnügen selbst heiraten.“ Seine Stimme klang rau, und er blickte ein wenig schüchtern drein.
Zuerst war Juliana sprachlos. Dann brach sie in Gelächter aus. „Du? Ach, Martin!“
Er wandte sich ab und schlug sein Philosophiebuch auf. Gebannt beobachtete Juliana, wie ihm die Röte vom Hals bis in die Stirn kroch. Doch er sah nicht wieder hoch, sondern starrte entschlossen auf seine Lektüre.
„Dreißig ist ziemlich alt“, äußerte Juliana, als sie sich beruhigt hatte. „Vermutlich bin ich mit dreißig schon jahrelang verheiratet.“
„Vermutlich“, antwortete Martin, den Kopf immer noch immer gesenkt.
Eine unbehagliche Stille trat ein. Juliana spielte an ihrem Rocksaum herum und blickte unter den Wimpern verstohlen zu ihm hinüber. Sie hätte schwören können, dass er dieselbe Seite bereits zum dritten Mal las.
„Es war nett von dir, das anzubieten“, äußerte sie schließlich. Zögerlich streckte sie die Hand aus und legte sie auf seinen Unterarm. Die Haut fühlte sich warm und glatt an. Immer noch sah Martin sie nicht an. Aber er wich ihrer Berührung auch nicht aus.
„Wenn ich mit dreißig immer noch keinen Gatten habe, nehme ich dein Angebot gerne an“, setzte Juliana leise hinzu. „Danke, Martin.“
Endlich schaute er auf, und sie bemerkte das Lächeln in seinen Augen. Fest schloss er die Finger um ihre Hand. Juliana verspürte eine merkwürdige Wärme in ihrem Innern.
„Gern geschehen, Juliana“, sagte er.
Eine Weile saßen sie da, ohne sich voneinander zu lösen, bis es Juliana kalt wurde und sie erklärte, sie müsse jetzt nach Hause gehen. Am nächsten Tag regnete es, und auch am übernächsten klarte das Wetter nicht auf. Danach wartete Juliana in der Höhle aus Weidenzweigen vergeblich auf Martin. Schließlich erfuhr sie von der Dienerschaft, dass der Patensohn von Sir Henry Lees nach Hause gefahren war.
Erst sechzehn Jahre später begegneten sich Juliana Tallant und Martin Davencourt erneut. Zu diesem Zeitpunkt war Juliana auf dem besten Wege, die Prophezeiung ihres Vaters zu erfüllen.
1818
In der Londoner Gesellschaft war Mrs. Emma Wren für ihre flotten und mitunter gewagten Partys bekannt. Sie erfreuten sich größter Beliebtheit bei gewissen lockeren Frauenzimmern und unverheirateten Lebemännern, deren Benehmen in ehrbaren Kreisen stets Anlass zu Beanstandungen bot.
An diesem heißen Juniabend gab Mrs. Wren eine ganz besondere Dinnergesellschaft. Der Anlass dafür war die bevorstehende Vermählung eines ihrer Freunde, des berüchtigten Schürzenjägers Lord Andrew Brookes. Erst zu weit fortgeschrittener Stunde wurde das Dessert hereingebracht. Die Gäste, größtenteils Gentlemen, hingen satt und angenehm besäuselt in den Sesseln und ließen sich von einigen Damen der demi-monde unterhalten. Eines dieser halbseidenen Geschöpfe saß dem Bräutigam auf dem Schoß und fütterte ihn mit Trauben aus einer silbernen Schale. Brookes’ Hand hatte bereits den Weg in das Mieder der Schönen gefunden, und sein Gesicht war von Wein und Wollust gerötet.
Als sich die Flügeltüren öffneten und die Lakaien hereinkamen, bat Mrs. Wren mit einem Händeklatschen um Aufmerksamkeit.
„Ladies und Gentlemen, ich darf Ihnen nun ein ganz besonderes Dessert vorstellen, wie es diesem traurigen Anlass gebührt …“
Die Gäste ließen beifälliges Murmeln und Gelächter hören.
„Ich bin mir sicher, dass Andrew für uns nicht vollständig verloren ist“, fuhr Mrs. Wren zuckersüß fort, während sie Brookes einen viel sagenden Blick zuwarf. „Um Freunde zu trennen, braucht es mehr als Ehefesseln. Andrew, das hier ist unser Geschenk für dich.“
Unter dem Beifall der Anwesenden bedeutete Mrs. Wren den Dienern, die riesige Servierplatte auf den Tisch zu stellen. Der livrierte Butler hob den gewölbten Deckel.
Einen Augenblick lang herrschte Stille. Etlichen anwesenden Lebemännern blieb vor Überraschung der Mund offen stehen.
Auf dem silbernen Tablett räkelte sich Lady Juliana Myfleet in ihrer ganzen unbekleideten Herrlichkeit. Das kastanienbraune Haar wurde von einer diamantbesetzten Tiara gekrönt. Um den rechten Schenkel war ein funkelndes Strumpfband geschlungen, und um den Hals trug Ihre Ladyschaft ein dünnes Silberkettchen. Eine Traube schmückte ihren Bauchnabel, Sahnehäubchen waren sorgsam auf ihr verteilt und mit Erdbeeren und Melonenstückchen verziert. Zu allem Überfluss war ihr ganzer Körper mit feinem Zucker überpudert, so dass sie im Kerzenschein glitzerte wie eine Eisstatue, eine unberührbare Schneekönigin. Doch ihre grünen Augen straften diesen unnahbaren Eindruck Lügen. Mit katzengleichem Lächeln streckte Lady Juliana dem Bräutigam einen Silberlöffel entgegen und schnurrte: „Der erste Bissen ist für dich, mein Lieber …“
Unter dem Gejohle der anderen Herren beeilte sich Brookes, ihr zu gehorchen. Sir Jasper Colling, einer von Lady Julianas besonders hartnäckigen Bewunderern, stand bereits dicht hinter ihm und verlangte gleichfalls seinen Anteil. Träge wandte Lady Juliana den Kopf. Ihr Blick fiel auf einen Gentleman, dem sie auf Emmas Soireen bisher noch nicht begegnet war. Er war hoch gewachsen und blond. Trotz seines schlanken Körperbaus hatte er breite Schultern, was ihn eigentümlich verlässlich wirken ließ. Beim Anblick des kantigen, gebräunten Gesichts und des herrischen Kinns dachte Juliana unwillkürlich, es wäre besser, ihn bei einer Auseinandersetzung auf der eigenen Seite zu wissen. Im Gegensatz zu den anderen Herren war er sitzen geblieben. Die schummrige Beleuchtung machte es Juliana unmöglich, sein Mienenspiel zu deuten.
Dennoch wurde sie das merkwürdige Gefühl nicht los, dass sie ihn kannte. Sie bedachte ihn mit ihrem verlockendsten Lächeln und säuselte: „Komm her, Schätzchen. Nicht schüchtern sein.“
Der Gentleman sah auf. In seinen blaugrünen Augen stand ein Ausdruck vollkommener Gleichgültigkeit. „Vielen Dank, Madam, aber ich bin kein Freund von Desserts.“
Juliana, die Zurückweisung nicht gewöhnt war, sah ihn provozierend an. Der Gentleman konnte nur wenig älter sein als sie selbst mit ihren neunundzwanzig Jahren. Seine Augen schienen zu sagen: All das und viel mehr habe ich schon Tausende von Malen gesehen. Mit einem kaum wahrnehmbaren spöttischen Lächeln hielt er Julianas Blick stand.
Ein merkwürdiges Gefühl ergriff von ihr Besitz. Einen Moment lang fühlte sie sich sehr jung und verwirrt, als sei sie nur durch einen entsetzlichen Zufall in diese anrüchige Scharade gestolpert. All die wölfisch grinsenden Fratzen, die grabschenden Hände … Sie war versucht, von dem Tablett zu springen und zu flüchten, so sehr verunsicherte sie die kühle Herausforderung in den Augen des Gentleman. Ihr Lächeln schwand. Dennoch konnte sie nicht fortsehen.
Dann drehte sich der Fremde um und bedeutete einem der Lakaien, ihm Wein nachzuschenken. Julianas seltsam beunruhigendes Gefühl verging. Sie wandte sich wieder ihren Verehrern zu und schnurrte: „Simon, mein Süßer, weshalb leckst du nicht die Sahne von … dieser … Stelle hier?“
Ein Weilchen bot Juliana ihren schimmernden Körper den gierigen Interessenten dar. Dann erhob sie sich, begleitet von enttäuschten Ausrufen, und winkte einem der Mädchen, ihr den bereitliegenden Umhang zu reichen. Während sie den Raum verließ, blickte sie sich noch einmal um. Der Abend war auf dem besten Wege, sich zu einer von Emmas berühmten Orgien zu entwickeln.
Selbst als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, hörte Juliana noch die lauten und aufgeregten Stimmen aus dem Speisesalon. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. Diese neueste, unerhörte Eskapade würde in den Clubs lange für Gesprächsstoff sorgen. Wieder einmal würden sich die Damen der Gesellschaft entsetzt tuschelnd über das anstößige Benehmen von Lady Juliana Myfleet, Tochter des Marquis of Tallant, ereifern. Bevor sie mit Pauken und Trompeten in Ungnade gefallen war, war sie eine der Ihren gewesen.
Ein Dienstmädchen wies ihr den Weg zu dem Zimmer, in dem ein dampfender Badezuber bereitstand. Bis über beide Ohren errötend knickste es und zog sich so schnell wie möglich zurück. Als sei der Ruf der skandalumwitterten Witwe ansteckend!
Juliana glitt in das warme Wasser und nahm eine Bürste zu Hilfe, um sich von Zucker- und Sahneresten zu befreien. Dann legte sie sich zurück und ließ den Abend in Gedanken noch einmal an sich vorüberziehen. Was für ein Spaß, als der Butler den Deckel der Servierplatte gelüftet hatte! Die Frauen waren fuchsteufelswild geworden, und die Männer hatten ausgesehen wie kleine Jungen in einem Bonbonladen. Zufrieden lächelte Juliana. Es war herrlich, solche Gefühle auszulösen – Bewunderung, Begehren … Verachtung.
Ruckartig setzte sie sich auf, als ihr der Gesichtsausdruck des Fremden wieder in den Sinn kam.
Vielen Dank, aber ich bin kein Freund von Desserts.
Was für eine Unverschämtheit! Wie konnte er es wagen, so geringschätzig zu sprechen? Schließlich war alles nur ein Scherz gewesen. Und was, bitteschön, hatte ein solcher Tugendbold überhaupt auf einer von Emmas Partys zu suchen?
Einen Moment lang sah Juliana wieder den Blick aus den blaugrünen Augen des Fremden, und sie verspürte erneut das verstörende Gefühl von vorhin. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie ihm schon einmal begegnet war! Aber sie hatte sich wohl getäuscht.
Hastig stieg sie aus dem Zuber und trocknete sich ab. Da sie keine Lust verspürte, sich erneut der Missbilligung eines der Dienstmädchen auszusetzen, schlüpfte sie ohne Hilfe in das Abendkleid aus aquamarinblauem Gazestoff, das ihre weiblichen Rundungen mehr enthüllte als verdeckte.
Plötzlich ging die Tür auf, und Emma Wren fegte herein, sichtlich angeheitert, mit geröteten Wangen und leicht verrutschtem Haarteil.
„Juliana, Liebes!“, rief Emma aufgeregt aus. „Du warst einfach großartig! Die Gentlemen reden von nichts anderem. Alle warten auf dich. Bist du fertig?“
Juliana wandte sich ab und sah in den Spiegel. „Noch nicht.“
Emma schnalzte mit der Zunge. „Du hättest meine Zofe rufen sollen. Obwohl …“ Sie trat einen Schritt zurück und musterte Juliana von oben bis unten. „Du siehst ganz entzückend zerzaust und wollüstig aus, meine Liebe. Außerdem sind offene Haare gerade groß in Mode. Mit den Locken wirkst du unglaublich jung und unschuldig!“ Sie lachte auf. „Die Herren sind sicher hin und weg!“
Nicht zum ersten Mal kam Juliana zu dem Schluss, dass Emma als Gattin eines Staatsministers ihre Talente verschwendete. Sie hätte ein elegantes Freudenhaus leiten sollen. Juliana zögerte. Die Überraschung für Brooke hatte sie amüsiert und ihr zumindest für eine Stunde die Langeweile vertrieben. Trotzdem hatte sie nicht die Absicht, Emma zuliebe wieder hinunterzugehen und das leichte Mädchen zu spielen. Allerdings gab es da noch etwas, das sie wissen wollte.
„Dieser eine Gast, Emma – der aussieht wie ein Lebemann und sich benimmt wie ein Pfarrer –, wer ist das?“
Emma setzte ein wissendes Lächeln auf. „Aha! Das Unbekannte übt doch immer den größten Reiz aus, nicht wahr?“ Ihre Miene verdüsterte sich. „Noch vor ein paar Stunden hätte ich geschworen, dass du keine bessere Wahl treffen könntest. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Es ist Martin Davencourt, von den Davencourts in Somerset. Kein Titel, aber reich wie Krösus und mit halb England verwandt. Nachdem sein Vater letztes Jahr gestorben ist, ist er jetzt nach London zurückgekehrt.“
„Davencourt“, wiederholte Juliana. Der Name kam ihr bekannt vor, aber sie bekam nicht recht zu fassen, woher.
Emmas nächste Worte ließen erkennen, dass sie pikiert war. „Ja, Martin Davencourt. Ich dachte, er sei amüsant – schließlich hat er sich jahrelang im diplomatischen Dienst in ganz Europa herumgetrieben. Darum habe ich ihn eingeladen. Aber er scheint ein entsetzlicher Langweiler zu sein. Möglicherweise deshalb, weil er sich ins Unterhaus wählen lassen möchte. Oder es hat etwas mit seinen sieben lästigen Halbgeschwistern zu tun, für die er sorgen muss. Jedenfalls sitzt er unten stocksteif und ernst herum, statt Spaß zu haben. Vielleicht kannst du ihn ja umstimmen, Ju.“
Juliana schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht, Emma. Mr. Davencourt scheint für meine Reize unempfänglich zu sein. Außerdem muss ich mich leider schon verabschieden. Ich habe Kopfschmerzen und möchte früh zu Bett gehen.“
Entsetzt erhob die Gastgeberin Einspruch: „Aber Juliana! Die Gentlemen warten auf dich! Ich habe ihnen versprochen …“
„Wie bitte?“ Juliana fiel es wie Schuppen von den Augen. Emma betrachtete die berüchtigte Juliana Myfleet als Teil der abendlichen Unterhaltungen für ihre Gäste – genau wie die leichten Mädchen, die sie eigens eingeladen hatte. Der Gedanke machte Juliana wütend. Es war eine Sache, sich für gewagte Scherze herzugeben. Ganz etwas anderes war es, als Höhepunkt einer Orgie eingeplant zu werden.
„Ich gehe nicht hinunter, um für Simon Armitage, Jasper Colling oder irgendjemand anders das Freudenmädchen zu spielen“, erwiderte sie so ruhig wie möglich. „Ich habe zugestimmt, mich als Dessert servieren zu lassen, weil es mir Spaß macht, deine Gäste zu schockieren. Alles andere kommt nicht infrage.“
„Ach so, du willst also wieder einmal nur flirten und provozieren, bloß um dann Reißaus zu nehmen?“ Emmas Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. „Du glaubst wohl, ich hätte nicht bemerkt, dass du nie einlöst, was du mit deinen Reizen versprichst! Allmählich denke ich, dass deine angebliche Verruchtheit nichts weiter ist als die Vortäuschung falscher Tatsachen!“
Juliana lachte. Sie hatte nicht vor, sich auf einen Streit mit ihrer betrunkenen Gastgeberin einzulassen, denn sie war auf Emmas Freundschaft angewiesen.
„Vielleicht solltest du zu deinen Gästen zurückkehren, Emma. Auf Wiedersehen – bis zur Hochzeit morgen.“ Damit verließ sie das Boudoir.
„Auf Wiedersehen in der Hölle!“, kreischte Emma, nahm eine Haarbürste vom Frisiertisch und warf sie Juliana nach. „Lauf doch weg, du Milchmädchen! Ich werde dir nie verzeihen, dass du mir das Fest ruiniert hast.“
„Du verzeihst mir schon schnell genug, wenn du mich wieder einmal am Spieltisch schröpfen willst“, entgegnete Juliana, die bereits den Flur entlangeilte.
Während sie die Treppe hinunterging, hörte sie oben Emma tobend vor Wut Dinge gegen die Wand werfen. Vor Julianas innerem Auge tauchte ihr Vater auf. Fast vernahm sie seine kalte Stimme: Und dieses derbe, geschmacklose Marktweib ist deine Freundin? Wie konnte es nur so weit kommen?
Juliana schauderte. Es war kein Geheimnis, dass der Marquis of Tallant das Gebaren seiner Tochter zutiefst missbilligte und sogar daran zweifelte, dass sie überhaupt sein Kind war. Während er in Ashby Tallant saß und ihr zürnte, weil sie ihrer unmoralischen Mutter immer ähnlicher wurde, machte Juliana in London von sich reden. Sie spielte hoch und ließ sich in niederer Gesellschaft sehen. Seit der Hochzeit ihres Bruders Jonathan vor zwei Jahren galt Juliana als das schwarze Schaf in der Familie, und sie tat ihr Bestes, um diesem Ruf gerecht zu werden.
Die Eingangshalle war nur schwach erleuchtet. Aus dem Speisezimmer waren Gelächter und Beifallsrufe zu hören. Offenbar benötigte die Partygesellschaft weder sie selbst noch die Gastgeberin, um sich zu amüsieren. Juliana wies einen der Lakaien an, ihre Kutsche vorfahren zu lassen. Der Bedienstete mied ihren Blick und hastete davon.
Juliana seufzte. In diesem Augenblick trat eine hoch gewachsene Gestalt aus den Schatten.
„Sie laufen davon, Lady Juliana? Wollen Sie nicht zu Ende bringen, was Sie begonnen haben?“
Die tiefe Stimme erschreckte Juliana, denn sie hatte den Mann nicht gesehen. Er war zum Gehen gekleidet und zog sich gerade die Handschuhe an. Nun gönnte er Juliana ein leichtes Lächeln, das aus unerfindlichem Grund ihren Puls aus der Ruhe brachte. Sie erkannte Martin Davencourt und spürte, wie ihre gewohnte Selbstsicherheit sie verließ. Etwas in seinem gelassenen Blick löste in Juliana das Gefühl aus, äußerst verletzlich zu sein. Es war, als sähen diese türkisfarbenen Augen viel mehr, als sie zeigen wollte. Kämpferisch hob sie das Kinn.
„Ich fahre heim.“ Dabei maß sie ihr Gegenüber von Kopf bis Fuß. „Aber offenbar finden Sie an der Party ebenso wenig Gefallen.“
„Das stimmt.“ Davencourts Stimme klang sarkastisch. „Ich bin ein Cousin von Eustacia Havard, die morgen Lord Andrew heiraten wird. Ich wusste nicht, dass dies hier sein …“ Er hielt inne, um dann mit ironischem Unterton fortzufahren: „… gewissermaßen sein Junggesellenabschied sein sollte.“
Juliana setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. Mit kalter Missbilligung konnte sie umgehen. Sie war ihr oft genug ausgesetzt gewesen.
„Sie scheinen unsere Art der Abendunterhaltung nicht zu mögen“, äußerte sie. „Sie sollten Ihr Glück in Zukunft besser bei Almack’s oder auf Debütantinnenbällen versuchen. Wie ich gehört habe, wird dort sogar Limonade gereicht. Vermutlich trifft das eher Ihren Geschmack.“
„Vielleicht sollte ich Ihren Rat befolgen“, antwortete Davencourt langsam. „Es überrascht mich, dass Sie so früh schon aufbrechen wollen. Die Party geht gerade erst los. Nach Ihrem Auftritt vorhin sollte man meinen, dass Sie zum Gelingen des Abends noch allerhand beizutragen haben.“
Juliana lachte. Martin Davencourt mochte ein Langweiler sein, aber er besaß einen scharfen Geist. Es war ein Vergnügen, mit einem solchen Mann die Klingen zu kreuzen.
„Es tut mir leid, dass ich Ihre Erwartungen enttäusche, Mr. Davencourt“, gab sie zurück. „Ich bin heute Abend nicht in Stimmung für Emmas Amüsements. Wenn Sie sich allerdings dazugesellen würden, könnte ich mich unter Umständen zum Bleiben überreden lassen.“
Er lächelte, doch unter seinem Blick fühlte Juliana eine merkwürdig unbehagliche Hitze in sich aufsteigen. Leise entgegnete Davencourt: „Sind Sie immer dermaßen hartnäckig, Lady Juliana? Ich dachte, ein Nein müsste genügen.“
Hochmütig hob Juliana eine Augenbraue. „Zurückweisung bin ich nicht gewohnt.“
„Soso. Nun ja, wir alle müssen irgendwann diese Erfahrung machen.“
Juliana wurde wütend. Schon zum zweiten Mal hatte Martin Davencourt sie abgewiesen. Dabei hatte sie ihn für seine Ablehnung vorhin strafen wollen, indem sie in ihm Verlangen weckte, um ihn dann umgehend fallen zu lassen. Seine Bewunderung wäre Balsam für ihren verletzten Stolz gewesen. Doch Martin Davencourt weigerte sich, auf ihr Spiel einzugehen.
„Ich habe gehört, Sie seien ein Mann mit Erfahrung, Mr. Davencourt“, sagte sie kalt. „Dabei benehmen Sie sich wie ein Wanderprediger. In diesem Haus sind Sie vollkommen fehl am Platze.“