Love on the Cards - Genovefa Adams - E-Book

Love on the Cards E-Book

Genovefa Adams

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Beschreibung

**Von Liebe stand nichts in den Karten**  Josy glaubt nicht an Magie. Die Kräuterheiltränke ihrer Mutter und die Visionen ihrer verrückten Tante hat sie stets auf die Exzentrik ihrer Verwandtschaft geschoben. Bis sie mit dem alten Orakeldeck ihrer Familie ihr Kunststudium in Edinburgh antritt und plötzlich vom Pech verfolgt wird. Seit Wochen geht alles schief und nun steht auch noch ihr Nebenjob auf der Kippe. Sind die Karten so mächtig, dass sie Josys Leben beeinflussen und sogar eine alte Familienfehde wieder auferstehen lassen? Und dann ist da noch der nerdige Buchhändler Fin. Eigentlich so gar nicht ihr Typ, doch während sie gemeinsam die Macht der Orakelkarten recherchieren, sprühen immer wieder die Funken. Dabei kann Josy wirklich nicht noch mehr Chaos in ihrem Leben gebrauchen ...  »Es roch nach Büchern und Geschichte und ... Magie. Irgendwie würzig. Verheißungsvoll. Aufregend.«  //»Love on the Cards« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// 

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Genovefa Adams

Love on the Cards

**Von Liebe stand nichts in den Karten**

Josy glaubt nicht an Magie. Die Kräuterheiltränke ihrer Mutter und die Visionen ihrer verrückten Tante hat sie stets auf die Exzentrik ihrer Verwandtschaft geschoben. Bis sie mit dem alten Orakeldeck ihrer Familie ihr Kunststudium in Edinburgh antritt und plötzlich vom Pech verfolgt wird. Seit Wochen geht alles schief und nun steht auch noch ihr Nebenjob auf der Kippe. Sind die Karten so mächtig, dass sie Josys Leben beeinflussen und sogar eine alte Familienfehde wieder auferstehen lassen? Und dann ist da noch der nerdige Buchhändler Fin. Eigentlich so gar nicht ihr Typ, doch während sie gemeinsam die Macht der Orakelkarten recherchieren, sprühen immer wieder die Funken. Dabei kann Josy wirklich nicht noch mehr Chaos in ihrem Leben gebrauchen …

Wohin soll es gehen?

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Vita

© privat

Genovefa Adams heißt eigentlich anders und hat sich den Namen ihrer Urgroßmutter nur ausgeliehen. Unter ihrem richtigen Namen schreibt sie Artikel für Zeitungen und Magazine. Den wirklich wichtigen Dingen, nämlich dem Leben und der Liebe, widmet sie sich in ihren Romanen. Sie ernährt sich vegan, hat einen verhaltensauffälligen Mischlingshund und findet Ballerinas wahnsinnig unbequem.

Kapitel1

»Das ist doch scheiße.« Josy knüllte das Zeichenpapier zusammen und warf es in Richtung des Mülleimers.

Es verfehlte sein Ziel und landete auf ihrem Kopfkissen.

Frustriert stopfte Josy die Farbstifte zurück in ihr Federmäppchen und stand vom Schreibtischstuhl auf.

Sie hatte sich so darauf gefreut, endlich ihr Kunststudium zu beginnen – und dann auch noch in Edinburgh, der Stadt ihrer Träume.

Die anderen aus ihrer Schulklasse hatten sich nach London, Berlin, Paris oder New York geträumt. Doch Josy hatte es nach Edinburgh gezogen. Von Culloden bei Inverness aus waren das mit dem Auto ungefähr hundertfünfzig Meilen. Weit weg von ihrem Heimatdorf war Edinburgh also nicht.

Dennoch war es wie eine neue Welt. Zum ersten Mal schnupperte Josy hier Großstadtluft. Vor ihrem Umzug war sie noch nie irgendwo anders als in Culloden und Umgebung gewesen. Die größte Stadt, die sie gekannt hatte, war Inverness gewesen. War das überhaupt eine Stadt? Im Vergleich mit Edinburgh kam ihr Inverness jedenfalls sehr klein vor.

Die ersten Wochen hier hatte Josy damit verbracht, durch den mittelalterlichen Stadtkern zu streifen, die New Town, die – anders als ihr Name es vermuten ließ – inzwischen gut zweihundert Jahre alt war.

Genug Inspiration war also da. Josy konnte sie bloß nicht zu Papier bringen.

Sie verließ ihr kleines WG-Zimmer. Die Einrichtung hatte sie größtenteils von ihrer Vorgängerin übernommen: schlichte Holzmöbel und bunt geblümte Vorhänge, einen roten Läufer und eine altmodische Stehlampe.

Im Flur lagen Schuhe und Regenjacken wild durcheinandergewürfelt herum. Aus der Wohnküche drangen Zimtduft, Indiemusik und das Lachen von Bonnie und Ava.

»Hey.« Josy trat durch die Tür und sah sich um. »Was riecht denn hier so gut?«

Auch in der Küche herrschte Chaos, auf eine heimelige Art und Weise. Jede Schrankfront hatte eine andere Farbe, der knallgrüne Kühlschrank brummte vor sich hin. Darauf stand Bonnies Laptop, auf dem gerade eine ihrer Lieblingsplaylists lief.

Anders als der Flur war die Küche einigermaßen aufgeräumt. Das hatten sie Ava zu verdanken. Dies war ihr Territorium. Sie sorgte hier nicht nur für Ordnung, sondern verköstigte sie auch noch. Dafür hatten sie sich darauf geeinigt, dass Ava weniger Miete zahlte.

»Weihnachtsplätzchen«, sagte Bonnie lächelnd und sah von ihrem Rollstuhl am Esstisch aus zu Josy auf.

»Es ist Oktober. Das werden Herbstkekse«, erwiderte Ava und zwinkerte Josy zu.

Diese setzte sich lachend an den Tisch. Ursprünglich war er mal weiß gestrichen gewesen, doch inzwischen war die Farbe an den meisten Stellen abgeblättert.

»Möchtest du einen Tee?«, fragte Bonnie. »Ich habe gerade welchen gemacht. Earl Grey.«

Josy nickte. »Vielen Dank. Darf ich?« Sie griff nach der Teekanne, die auf einem Stövchen auf dem Tisch stand.

Als typisch britische WG durften Teeutensilien bei ihnen natürlich nicht fehlen.

»So, wie du gerade dreinschaust, brauchst du etwas Stärkeres als Tee«, witzelte Ava, in einer Hand den Stabmixer, in der anderen eine altmodische Porzellantasse, die sie Josy reichte.

»Danke.« Josy schenkte sich ein und stellte die Teekanne dann wieder zurück.

»Was ist los?«, fragte Bonnie mit ihrer samtigen Stimme und strich sich eine Locke ihres rotblonden Haars hinters Ohr.

Sie arbeitete neben ihrem Psychologiestudium bei der Kundenhotline einer großen Bank. Josy hatte den Verdacht, dass sich ein Großteil der Anruferinnen und Anrufer in sie verliebten, sobald sie sich meldete.

»Scheißtag. Ich kriege einfach nichts auf die Kette«, murmelte sie, pustete in ihren Tee und betrachtete die Wellen, die dabei entstanden.

»Wenn du mich fragst, musst du dich einfach zwingen, etwas zu malen oder zu zeichnen«, verkündete Ava und schaltete den Mixer ein, weil sie gar nicht auf eine Antwort wartete. Erst recht nicht auf Widerspruch.

Bonnie räusperte sich. »Vielleicht hat Ava recht. Wäre es nicht möglich, dass du es mal versuchst?«

»Ich versuche es jeden Tag«, erwiderte Josy gereizt, obwohl Bonnie nichts dafür konnte. »Es klappt einfach nicht. Ich bekomme nichts Vernünftiges zustande. Egal, wie lange ich mich zwinge, am Ende kommt nur Mist dabei heraus.«

»Aber in der Uni klappt es doch auch«, beharrte Ava und schaltete den Mixer wieder aus.

Ihr wie immer komplett schwarzes Outfit war über und über mit Mehl bestäubt.

Josy schüttelte den Kopf. »Da machen wir im Moment fast nur Theorie. Wenn ich doch mal etwas zeichnen oder malen muss, bin ich mit dem Ergebnis auch nie zufrieden.«

Vielleicht lag es daran, dass sie nun zum ersten Mal mit anderen Kunstinteressierten zusammenarbeitete. Zu Hause in Culloden hatte sie niemanden gekannt, der sich mit Kunst beschäftigte. Hier in Edinburgh hingegen war sie umgeben von so vielen Talenten und spannenden Eindrücken, dass es sie fast überwältigte.

Bonnie wendete ihren Rollstuhl und begab sich zum Schrank, nahm eine Tafel Schokolade heraus. »Könnte Zucker helfen?«, scherzte sie und kam zurück an den Tisch.

Josy zwang sich zu einem Grinsen. Es war lieb gemeint, dass ihre Mitbewohnerinnen sie aufmuntern wollten. Aber langsam machte es ihr Angst, wie blockiert sie war. Was, wenn sie nie wieder richtig zeichnen oder malen konnte?

»Danke«, murmelte sie, brach ein Stück Schokolade ab und steckte es sich in den Mund. Dann hielt sie Bonnie die Tafel hin, die sich ebenfalls bediente.

»Euch ist schon klar, wie verarbeitet dieses Zeug ist, oder?« Kopfschüttelnd räumte Ava den Mixer in einen der Hängeschrank über dem Granitspülbecken. »Ich will gar nicht wissen, was da alles drin ist.«

»Musst du auch nicht«, erwiderte Bonnie. »Willst du ein Stück?«

»Nein danke.« Ava nahm die Schüssel mit zu dem Backblech, das sie bereits vorbereitet hatte.

»Können wir sicher nicht hel…«

»Nein danke«, wiederholte Ava und machte sich daran, kleine Teigklumpen auf dem Backblech zu verteilen.

An Josy gewandt fragte Bonnie: »Gibt es denn nichts, was dich inspirieren könnte? Ein Thema, das dich besonders interessiert? Ein Gebäude? Ein Mensch?«

Ganz ohne Josys Zutun wanderten ihre Gedanken zu den Karten. Oder eher – den Karten. Sie hatten fast etwas Mythologisches. Allein schon die Art und Weise, wie alle in der Familie darüber sprachen – wenn sie es denn taten. Mit diesem verschwörerischen Wispern, als ginge es um etwas Verbotenes. Oder etwas Gefährliches. Vielleicht waren die Karten auch beides. Nicht weil sie irgendwelche Macht besaßen. Josy war natürlich klar, dass das Quatsch war. Aber dieses Trara, das alle darum machten, wirkte manchmal einschüchternd. Als Kind hatte sie regelrecht Angst vor den Karten gehabt. Und vor den Albträumen. Aber die hatten natürlich nichts mit den bunt bemalten Papierchen zu tun, sondern mit ihrer kindlichen Fantasie.

»Josy?«, drang Bonnies Stimme zu ihr durch.

»Hm?«

»Woran denkst du gerade?«

»Versuchst du, mich zu analysieren?«, konterte Josy mit einem nervösen Lachen.

Ihren Mitbewohnerinnen würde sie von den Karten sicherlich nichts erzählen. Die hielten sie sonst noch für eine esoterische Spinnerin.

»Nein. Aber du hattest gerade so einen verträumten Gesichtsausdruck. Du hast irgendwie glücklich gewirkt.«

»Glücklich?« Josy schnaubte. »Das muss ein Irrtum sein.«

Woher kam der plötzliche Drang, zurück in ihr Zimmer zu gehen und die Karten aus dem Seitenfach ihrer Reisetasche zu holen?

***

Was für eine bescheuerte Idee. Lächerlich. Diese Karten waren – wie alt waren sie eigentlich genau? Fünfzig Jahre, sechzig? Angeblich stammten sie aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Das hatte Josys Mutter jedenfalls behauptet. Vorstellen konnte sie sich das allerdings nicht. Dazu waren die Orakelkarten viel zu gut erhalten. Sie wären doch längst stumpf geworden und hätten dieses Schimmern verloren.

Schimmern? Josy betrachtete sie genau. Nein. Da war nichts. Kein Schimmern. Sie musste sich getäuscht haben.

Wahrscheinlich lag es am gelbgoldenen Abendlicht der Oktobersonne. Sie spiegelte sich in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses und ließ die Sandsteinfassade fast schon majestätisch erscheinen.

Majestätisch? Josy verdrehte über sich selbst die Augen. Künstlerinnen sagte man gern einen Hang zur Melodramatik nach. Bislang hatte sie geglaubt, davon ausgenommen zu sein. Aber jetzt?

Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder der Karte zu. Es war die Gräfin, die weibliche Hauptperson.

Das fand Josy ganz schön hochgestochen. Wie oft waren es schon Gräfinnen, die sich die Karten legen ließen? Es gab zwar auch eine Karte, die ein Dienstmädchen zeigte, doch die weibliche Hauptperson konnte die nicht repräsentieren. Das hatte ihr jedenfalls ihre Großtante Eilidh erklärt. Bevor sie in eine Hütte am Waldrand gezogen und ziemlich verschroben geworden war. Ihre letzten Lebensjahre hatte sie barfuß verbracht, um sich den Erdgeistern näher zu fühlen.

Die Gräfin auf der Karte drehte sich um sich selbst, lachte Josy an, zwinkerte ihr zu. Mit dem Zeigefinger winkend bedeutete sie Josy, ihr zu folgen.

Sie blinzelte. Natürlich hatte die Frau in dem altmodischen dunkelgrünen Kleid sich nicht gedreht, gelacht oder sonst etwas getan. Sie war eine Zeichnung auf einem Stück Papier.

Jetzt ging das also wieder los, ja? Josy schluckte und legte die Karte aus der Hand. Sie hatte diese Anfälle doch gut im Griff gehabt. Als Kind hatte sie so etwas häufiger erlebt. Aber so mit zehn, zwölf Jahren war es ihr gelungen, das zu verdrängen.

Es musste am Stress liegen. Sie war überreizt. Burn-out. Kein Wunder, wenn Josys Nerven nicht ganz mitspielten.

In den letzten Monaten hatte sich so viel verändert. Wenn sie nicht aufpasste, würde es sich schon bald wieder verändern – und dann nicht zum Guten. Josy musste ihre Inspiration wiederfinden und vor allem musste sie Geld verdienen. Sie musste die Studiengebühren aufbringen, ihren Anteil an Miete und Lebenshaltungskosten beisteuern.

Zwar hatte sie einen Nebenjob als Barista in einem Coffeeshop, doch der stand auf der Kippe.

In Edinburgh gab es viele Touristen. Eigentlich gut für die Gastronomie. Aber ihre Chefin war nicht sonderlich versiert darin, Werbung zu machen. Von außen wirkte der Laden altmodisch, fast schon trutschig. Es war gemütlich mit den Kerzen, dem Kaminfeuer und den riesengroßen Keramikbechern, aus denen Kaffeeduft entströmte. Aber in Edinburgh waren die Leute auf der Suche nach etwas anderem. Nach Dudelsäcken, Tartankaros und Schlossgespenstern. Ein stinknormales, winziges Café in einer Seitenstraße, das nicht mal einen Instagramaccount hatte, war nicht sonderlich gefragt.

Josy konnte nicht anders, sie strich mit dem Zeigefinger über den Rand der Karte, nahm sie wieder in die Hand.

Komm, Josy.

Wer hatte das gesagt?

Sie drehte sich um, obwohl sie schon eine Ahnung hatte, dass diese Stimme in ihrem eigenen Kopf war.

Josy schluckte und öffnete ihre Schreibtischschublade. Nein, diese Art von Inspiration wollte sie sicherlich ni…

Gib uns eine Chance, hörte sie. Nein, dachte sie. Sie dachte diese Worte. Das war die einzig logische Erklärung.

Josy atmete tief durch und straffte die Schultern, als stünde sie vor einem Prüfungskomitee. Als müsste sie sich selbst überlisten, mischte sie die Karten hastig und breitete sie vor sich aus. Weil das künstliche Licht am Schreibtisch zum Zeichnen und Malen nicht gut geeignet war, arbeitete sie meistens am Fenster. Dort saß sie auch jetzt und legte die Karten auf der Fensterbank aus.

Sie hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Josy war nun einundzwanzig, das musste mindestens zehn Jahre her sein.

Sie hatte geglaubt – vielleicht auch gehofft –, dass sie alles vergessen hätte. Doch sie las in den Karten noch immer wie in einem Buch.

Josy wartete auf die Angst und die Kälte, die ihren Rücken hinaufkrochen und sich in ihrem Brustkorb einnisteten, weil sie wieder etwas Schlimmes gesehen hatte. Etwas, das dann auch eintreffen würde. Was Zufall sein konnte. In ihrer Familie passierten ständig schlimme Dinge. Krankheiten, Todesfälle, Unfälle. Erst letzten Monat war ihr Vater von der Leiter gestürzt, als er sich um einen kranken Baum der Gärtnerei gekümmert hatte, die er mit Josys Mutter betrieb. Jetzt hatte er ein Gipsbein.

Ihr Blick wanderte zum Highlander, der Armut, Not und Mangel repräsentierte. Sein Gegenpart war der Lowlander. Er stand für Reichtum, Fülle und Überfluss. Traditionell waren die schottischen Highlands immer die ärmere Region gewesen, die Lowlands hingegen hatten genug Geld und Nahrung. Unnötig zu erwähnen, dass Josys Familie aus den Highlands stammte.

Der Highlander lag neben der Manufaktur. Sie symbolisierte Arbeit und das Berufsleben. Die Kombination bedeutete, dass es im Job schlecht lief. Keine Überraschung.

Josys Mutter verkaufte nicht nur Pflanzen, sondern bereitete auch Heiltränke zu. In fast jeder Familie bei ihnen im Umkreis gab es jemanden, die oder der auf die Wirkung von Davinas Tränken schwor. Doch ihre Mutter weigerte sich, Geld dafür zu nehmen. Es war fast, als hätte sie ein schlechtes Gewissen – immerhin waren Heiltränke doch auch so etwas wie Magie, oder? Und damit hatte Davina definitiv ein Problem. Dabei konnte sie stolz auf ihre Arbeit sein: Sie hatte schon in so manchem hoffnungslosen Fall geholfen.

Daneben die Tasse Tee: Gemütlichkeit und Gemeinschaft. In unmittelbarer Nähe die Schreibfeder: Jemand trat mit einer anderen Person in Kontakt. Der Knoten: Es ging um einen Vertrag, eine Abmachung.

Was sollte das sein? Würde die Miete für den Coffeeshop plötzlich sinken?

Josy schnaubte. Lächerlich, wie sie sich schon gedacht hatte.

Sie schaute zur Gräfin und bildete sich schon wieder ein, dass diese ihr zuzwinkerte.

Josys Blick glitt weiter. Direkt über der Gräfin lag die Esche: das große Ganze, der Zyklus des Lebens. Eine Schicksalsmission, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie wusste, dass sie besser aufhören sollte, doch sie konnte einfach nicht. Mehr und mehr offenbarten ihr die Karten. Dinge, die sie nicht einmal wirklich aussagten, sondern die einfach plötzlich in Josys Kopf auftauchten: Ava würde mit ihrem Freund Schluss machen, ihre Mutter sich mit der Nachbarin von gegenüber streiten, Josys erste Vorlesung morgen früh, Kunstgeschichte, würde ausfallen.

Als sie von den Karten aufsah, herrschte draußen stockfinstere Nacht. Josy hatte nicht einmal bewusst wahrgenommen, dass sie zwischenzeitlich das Licht eingeschaltet haben musste.

***

»Was für ein Arsch«, verkündete Ava, als sie die Küche betrat.

Ihr Mitbewohner Gawyn zwinkerte ihr zu. »Danke schön.«

Verständnislos blinzelnd sah Ava ihn an.

»Na, du redest doch über meine neuen Jeans, oder?« Gawyn, der gerade dabei war, Geschirr aus der Spülmaschine in die Hängeschränke zu räumen, drehte sich einmal um sich selbst.

Ava schnaubte und ließ sich mit verschränkten Armen auf den Stuhl fallen, bei dem ein Bein zu kurz war. »Nein. Ich rede von Dennis.« Den Namen ihres Freundes spuckte sie förmlich vor Bonnie und Josy auf den Tisch.

Josys Herz raste. Hieß das etwa …

»Was ist denn mit ihm?«, fragte Bonnie und schenkte Ava Tee in die Tasse, die sie vorhin schon bereitgestellt hatte.

Diese Woche hatte Bonnie Frühstücksdienst.

»Danke, Mum«, witzelte Ava mit einem ziemlich schief ausfallenden Lächeln. Sie trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder ab. »Er hat – und das müsst ihr euch jetzt mal vorstellen –, er hat letzte Woche auf dieser Party, zu der ich nicht gehen konnte, weil ich arbeiten musste … wisst ihr noch, ich hatte die Schicht getauscht mit …«

»Ist er fremdgegangen?«, fragte Gawyn. Er setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Mit Cailin«, rief Ava und wischte sich eine Träne von der Wange, die dort eine Spur mit schwarzem Eyeliner hinterließ.

»Deiner Cousine?«, fragte Bonnie ungläubig.

Das Blut in Josys Ohren rauschte. War sie gerade egoistisch? Ihre Mitbewohnerin und gute Freundin hatte Liebeskummer. Da konnte sie sich doch keine Gedanken um ihre blöden Karten machen.

»Meiner Cousine«, bestätigte Ava.

Gawyn stieß die Luft aus. »Was für ein Arsch.«

»Sage ich doch.«

Die Stimmen der anderen drangen wie durch Watte zu Josy durch. Ihr Herz hämmerte und sie spürte eine Schweißperle ihren Nacken hinabrinnen, obwohl sie gerade eben noch gefroren hatte. Sie sparten Heizkosten und trugen seit dem Kälteeinbruch letzte Woche alle Zwiebellook zu Hause.

Das Klingeln ihres Handys rettete Josy aus der unangenehmen Situation. Sie stürzte förmlich aus der Küche in den Flur, wo sie wiederum über Gawyns Schnürboots stolperte.

»Sorry!«, rief dieser aus der Küche und klang dabei nicht gerade zerknirscht.

Josy schaute aufs Display. Ihre Mutter. Sie hatte sich doch wohl nicht …

»Hi, Mum«, meldete sie sich.

»Guten Morgen, Schätzchen. Wie geht’s dir?«

»Ich … äh … gut. Gut, danke. Und euch? Was macht Dads Bein?«

»Es geht so. Er besteht darauf, ohne Krücken rumzulaufen. Dämliche Idee, wenn du mich fragst. Josy, musst du zur Uni oder hast du einen kurzen Moment Zeit?«

»Meine erste Vorlesung heute fällt aus«, erwiderte Josy, obwohl sie noch gar nicht in ihre Mails geschaut hatte.

»Oh, dann kannst du ja gemütlich frühstücken. Das freut mich. Aber warum ich anrufe … kannst du dich noch daran erinnern, dass die Crawfords uns erlaubt haben, den Pfad an ihrem Grundstück entlang zu nutzen?«

»Ja, warum? Habt ihr Streit?«, erwiderte Josy resigniert.

»Woher weißt du das?«, fragte ihre Mutter.

Vermutlich musste sie sich wieder angewöhnen, die Klappe zu halten. So wie damals. Niemand hatte von ihren Albträumen hören wollen. Vor allem nicht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie wahr wurden.

»Du klingst so gestresst«, entgegnete Josy und kam sich schäbig dabei vor, ihrer Mutter etwas vorzumachen.

»Ach so. Stimmt, das bin ich. Wenn wir den Weg nicht mehr nutzen dürfen, müssen wir nämlich den endlosen Umweg durchs Tal … wie auch immer. Kannst du dich erinnern, dass wir damals die Vereinbarung aufgehoben haben? Dad war sich sicher, sie wäre im Ordner mit den Dokumenten zu unserem Grundstück. Aber-« Sie senkte die Stimme, bevor sie weitersprach: »Du weißt ja, er und die Ablage.«

Josy atmete tief durch. »So spontan weiß ich das nicht. Ich überlege mal und sage dir Bescheid, wenn mir etwas einfällt, ja?«

»Danke, Schätzchen. Mach dir einen schönen Tag.«

»Ihr euch auch, Mum.«

Sie verabschiedeten sich und Josy öffnete ihre E-Mail-App. Eine neue Nachricht war im Posteingang: Ihre Professorin für Kunstgeschichte war krank geworden. Die Vorlesung fiel aus.

Seufzend ließ Josy die Schultern hängen. Es sah danach aus, als hätte sie keine Ausrede, um die Karten nicht erneut zu legen. Vielleicht ließ sich die Vereinbarung mit den Crawfords irgendwo auftreiben.

Es erschreckte sie, wie selbstverständlich sie das dachte.

***

Josy atmete tief durch und öffnete dann die Holzschatulle, in der die Karten lagen.

Sie hatte diesen Augenblick so lange vor sich hergeschoben, wie sie nur gekonnt hatte. Gemeinsames Frühstück mit den anderen, sinnloser Malversuch, Tee kochen – nun fiel ihr nichts mehr ein. Sie hätte das Bad putzen können. Damit war sie diese Woche dran. Doch, ganz ehrlich, ehe sie putzte, legte sie lieber Karten.

Kaum hatte sie den Deckel der Schatulle hochgeklappt, war da erneut dieses Schimmern. Das kam nicht von der Morgensonne, die sich draußen auf dem noch regennassen Steinpflaster spiegelte.

Sie nahm die Karten heraus und betrachtete die oberste. Es war der Knoten. Die Gestaltung der Karten war schlicht. Keine überbordende Symbolik, einfach nur ein Motiv, ganz ohne Nummerierung oder Schrift. Um die Karten zu lesen, musste man ihre Namen und Bedeutungen kennen.

Der Knoten war die Karte für Verträge. Josy hatte sie gestern Abend erst genauer betrachtet, allerdings in Verbindung mit dem Coffeeshop. Diesmal musste sie herausfinden, wo die Vereinbarung mit den Crawfords zu finden war – möglichst, ohne dabei Katastrophen vorherzusehen.

Josy strich mit dem Daumen über das Papier. Es fühlte sich glatt an. Kaum zu glauben, dass die Karten schon so alt waren. Sie wirkten fast wie frisch gedruckt.

Ein komplizierter Knoten in einem Fischerseil. Vielleicht ein bisschen altmodisch dargestellt, aber Josy kam nicht umhin, die Künstlerin zu bewundern, die die Karten gestaltet hatte. Es war eine Frau gewesen, aber mehr wusste Josy nicht über die Unbekannte.

Soweit sie wusste, hatte sie noch keine andere Kunst von ihr gesehen. Diesen Stil hätte sie bestimmt erkannt. Er war in seiner Schlichtheit und Klarheit unverwechselbar.

Vor ihrem inneren Auge tauchte ein Bild auf. Von der Renovierung im letzten Jahr. Wegen eines Wasserschadens hatten sie die komplette Küche in ihrem Elternhaus neu gestaltet. Das hatte ein großes Loch in ihre Kasse gerissen – groß genug, dass Josy ein Jahr länger bei ihren Eltern geblieben war, um in der Gärtnerei zu arbeiten. Eine andere Mitarbeiterin hatten ihre Eltern sich in der Zeit nicht leisten können.

Ihre Mutter war dabei gewesen, Geschirr in die neuen Hängeschränke zu räumen, als Josys Vater die Küche betrat. Ein Stapel Teller auf dem Arm ihrer Mutter wackelte gefährlich und ihr Vater – zwei Meter und drei Zentimeter groß – legte den Vertrag kurzerhand auf dem Hängeschrank ab, um ihr zu Hilfe zu eilen.

Josy riss die Augen auf und stieß erleichtert die Luft aus. Sie hatte es geschafft!

Ihr Herz klopfte freudig. Konnte sie womöglich gefahrlos … nein. Nein, lieber keine Risiken eingehen.

Josy legte die Karte auf der Fensterbank ab, schnappte sich ihr Smartphone und öffnete die Messenger-App, um ihrer Mutter zu schreiben. Als das erledigt war, wollte sie die Karten wieder einpacken. Dabei fiel ihr Blick auf die Karte, die zuoberst auf dem Stapel lag, nun, da sie den Knoten weggenommen hatte. Es war die Gräfin. Und sie sah Josy bittend an.

Josy seufzte und nahm die Karten, mischte sie, wie ihre Großtante es ihr gezeigt hatte, und legte sie aus. Dann ließ sie ihren Blick über das Kartenbild gleiten.

Seltsam. Es kamen keine Bilder in ihr hoch, diesmal nicht.

Sie schaute in die Mitte des Kartenbilds. Dort lag immer die Karte, die das wichtigste Thema symbolisierte. Diesmal die Kristallkugel.

Ausgerechnet die Kristallkugel. Mit der Karte konnte Josy am wenigsten anfangen. Ach nein, am zweitwenigsten. Was die Brosche bedeutete, wusste sie nicht einmal, das hatte Eilidh ihr nie verraten.

Die Kristallkugel stand für Spiritualität. Okkultes Wissen. Geistige Macht. Wenn Josy ehrlich war, hatte sie keine Ahnung, was das überhaupt bedeuten sollte. Horoskope vielleicht? Aber wieso sollten ausgerechnet Horoskope jetzt wichtig für sie sein?

»Humbug«, murmelte sie und lachte über sich selbst, als sie merkte, dass sie gerade klang wie Ebenezer Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens.

Vielleicht war das alles Zufall. Dass Ava sich von ihrem Freund getrennt hatte. Die ausgefallene Vorlesung. Der Streit mit den Crawfords.

Josy wollte die Karten schon wieder einsammeln, dabei fiel ihr auf, dass die Gräfin wie wild gestikulierte. Sie wies auf die Karte neben sich, die zwischen ihr und der Kristallkugel lag. Es war die Kerze: Ein Geheimnis sollte gelüftet werden? Eines, das mit Spiritualität zu tun hatte?

Josy runzelte die Stirn. Was sollte das sein? In der unmittelbaren Umgebung lagen einige schlechte Karten. Pfeil und Bogen, die für eine Rivalin oder einen Rivalen standen. Der Friedhof, also Untergang und Verlust. Direkt über der Kristallkugel die Lupe. Eine Suche also. Eine Suche nach … einer Kristallkugel?

Schwachsinn. Sie hatte keine Kristallkugel. Also konnte sie auch keine verloren haben. Weshalb sollte Josy dann eine suchen?

Sie musste aufhören mit diesen Kindereien. Was war bloß mit ihr los? Statt sich auf ihr Studium und ihre Kunst zu konzentrieren, verschwendete sie ihre Zeit damit, Karten zu legen.

Verärgert sammelte sie die Karten wieder ein. Die Gräfin mit ihrem pikierten Blick und den verschränkten Armen kam ganz nach unten in den Stapel. Mit einem vernehmlichen Klack ließ Josy die Schatulle zuschnappen.

»Jetzt ist Ruhe«, verkündete sie laut und fragte sich, ob Selbstgespräche in ihrer aktuellen Situation ein schlechtes Zeichen waren.

Kapitel2

Bonnie zog eine Grimasse. »Tut mir echt leid.«

»So ein Quatsch. Das muss dir doch nicht leidtun. Du kannst doch auch gar nichts dafür, dass du das Ehlers-Danlos-Syndrom hast«, erwiderte Josy und bog links ab.

Das war zwar ein kleiner Umweg nach Hause, aber wenigstens konnte Bonnie hier gefahrlos mit ihrem Rollstuhl entlang. Die mittelalterliche Old Town Edinburghs war zwar wunderschön mit ihrem düster-mittelalterlichen Flair, das direkt aus einem Fantasy-Roman zu entspringen schien – rollstuhlfreundlich war sie allerdings nicht überall.

»Hier ist es eh viel besser. Weniger Touris«, fügte Josy hinzu und lächelte ihrer Mitbewohnerin aufmunternd zu, die dankbar zurückgrinste.

Es herrschte das für Edinburgh typische Wetter: Haar. Wenn warme Luft auf die kühle Nordsee traf, kondensierte die Luftfeuchtigkeit und hüllte alles in einen dichten Nebel, der nicht nur das Licht, sondern auch die Geräusche verschluckte. Doch Bonnie als Einheimische konnte sich auch so orientieren.

»Die arme Ava«, sagte Bonnie und seufzte.

»Ja, wirklich. Ich habe Dennis ganz anders eingeschätzt.«

Hätte Josy die Karten vorher rausgekramt, hätte sie ihre Mitbewohnerin vielleicht zumindest vorwarnen können …

Sie räusperte sich. »Du, sag mal …« Josy zögerte. Sollte sie Bonnie wirklich davon erzählen? Machte sie sich damit nicht lächerlich?

Zu Hause in Culloden war es ihr nicht erlaubt gewesen, über Magie, Orakelkarten, Prophezeiungen und überhaupt Anderssein auch nur zu sprechen. Nie. Unter keinen Umständen. Aber Bonnie konnte sie alles erzählen. Da war Josy sich sicher.

»Was denn?«, fragte Bonnie und drückte ihre Hand. »Belastet dich etwas?«

Josy erwiderte den Druck. »Nein. Es ist nur … ich frage mich …« Sie zog ihre dunkelblaue Wolljacke enger um ihren Körper und die Mütze tiefer ins Gesicht. »Ich frage mich, was du als angehende Psychologin von Vorahnungen hältst.«

Bonnie schwieg.

»Vergiss es. Ich hätte …«

»Hey, schon gut.« Bonnie lachte. Es war ein nettes Lachen, kein Was-bist-du-denn-für-ein-Freak-Grinsen. »Ich war nur überrascht. Hätte gar nicht gedacht, dass du dich für Vorahnungen interessierst.«

»Warum?«

»Kann ich gar nicht sagen. Du wirkst so … wissenschaftlich. Ich weiß, du bist Künstlerin und total kreativ.«

»Na ja«, brummte Josy.

»Aber ich dachte, dass du so etwas als Hokuspokus bezeichnen würdest.«

»Du nicht?«, fragte Josy vorsichtig.

»Mhhh, nein, überhaupt nicht. Ich glaube nicht an Horoskope im Internet oder diese Kartenlege-Hotlines, wo sie dir in einer Viertelstunde dein zukünftiges Leben vorhersagen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass man Dinge weiß, bevor sie passieren.« Mit verstellter Stimme fuhr sie fort: »Das Unterbewusstsein sieht alles.«

Josy lachte und wich einer riesigen Pfütze aus, damit sie ihre Winterstiefel nicht wieder die ganze Nacht auf der Heizung trocknen musste.

»Das heißt, wir tragen das Wissen schon in uns? Karten oder was auch immer helfen uns nur dabei, es zu aktivieren?«

»Könnte ich mir vorstellen, ja.«

»Was ist mit Kristallkugeln?«, presste Josy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Himmel, war das peinlich.

Bonnie zuckte mit den Schultern. »Die funktionieren ähnlich, schätze ich. Ist vielleicht schwieriger, damit an verborgenes Wissen zu kommen. Bei Karten gibt es wenigstens Bilder, die die Intuition wecken können, zu Assoziationen anregen. Aber eine leere Kugel … Keine Ahnung. Ich habe so etwas aber noch nie ausprobiert. Du?«

»Schon, ja«, murmelte Josy in ihren rostroten Strickschal, den sie letztes Jahr von ihrer Mutter zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte.

»Und? Hast du etwas Interessantes vorhergesehen? Etwas, das eingetreten ist?«

»Könnte sein.«

»Ist doch gut.« Bonnie kicherte. »Jetzt brauchst du auch keine Angst mehr wegen deiner fehlenden Inspiration zu haben. Wenn es wirklich nicht mehr klappen sollte mit dem Malen und Zeichen, wirst du Medium. Du könntest Geister beschwören.«

»Nicht das auch noch«, entfuhr es Josy.

Ein Kartendeck außer Rand und Band mit einer aufdringlichen Hauptfigur und viel zu viel zu sagen reichte ihr vollkommen aus.

***

»Bitte nimm sie mir ab. Wenn ich so weiteresse, muss ich morgen joggen gehen, und das könnte echt schwierig werden«, witzelte Bonnie und drückte Josy die halbleer gegessene Papiertüte mit Empire Biscuits in die Hand, die sie sich in einer Bäckerei gekauft hatten. Die Doppelkekse aus Shortbread mit Marmeladenfüllung waren köstlich – und natürlich völlig überteuert, wenn man sie in einer von Touris überfüllten Bäckerei kaufte. Doch sie hatten den Leckereien in der Auslage nicht widerstehen können.

Josy griff noch ein letztes Mal in die Tüte, knüllte das obere Ende dann aber direkt zu. Sie schob sich den Keks in den Mund und seufzte.

Bonnie grinste. »Viel zu lecker, oder?«

»Viel zu viel«, bestätigte Josy mit vollem Mund und krümelte ihren Schal voll. Sie schluckte hinunter und sah sich um. »Wo sind wir denn hier?« Ohne die Karten-App auf ihrem Smartphone fand sie sich in Edinburgh noch nicht zurecht.

»Noch einmal rechts und dann links, dann sind wir auf dem Cowgate.«

»Ach so. Klar.«

Auch wenn es mit Josys Orientierungssinn nicht weither war – dass sie in dieser Gasse noch nicht gewesen war, wusste sie ganz sicher. Kam es ihr nur so vor oder wirkte der Himmel von hier aus ganz besonders düster und diesig?

Sie folgte Bonnie über den regennassen Bürgersteig, schaute neugierig nach links und rechts.

Die meisten würden die Atmosphäre hier vermutlich als ein wenig gruselig bezeichnen. Aber Josy gefiel die Gasse. Diese melancholische Stimmung versuchte sie auch in ihrer Kunst einzufangen.

Das einzige Geschäft in der Gasse war noch ein ganzes Stück von ihnen entfernt. Die Fassade im Erdgeschoss war pflaumenfarben gestrichen. Ein Schild mit Beleuchtung gab es nicht. Dass es sich um eine Buchhandlung handelte, erkannte Josy daher erst, als sie vor dem Schaufenster stehen blieben.

Statt der üblichen Romane über Frauen, die ihren Verlobten beim Fremdgehen erwischten und dann ein Cottage in Cornwall erbten, wo sie sich in einen brummigen Tierarzt verliebten, gab es hier Bücher über Magie, Mythen und Spiritualität.

Josy kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sollte sie … nein. Nein, wirklich nicht.

»Geh doch mal rein«, holte Bonnies Stimme sie aus ihren Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.

»Was?«, krächzte Josy, dabei hatte sie sie genau verstanden.

Bonnie blinzelte fröhlich. »Kann doch nicht schaden. Vielleicht schärfst du dein drittes Auge noch ein bisschen.«

Gegen ihren Willen lachte Josy. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

Dennoch versuchte sie, durch die Scheibe noch tiefer in den Laden zu spähen. Er war anders als die Waterstones-Filialen, so viel stand fest. Das Ladenlokal war klein, dunkel und nur notdürftig beleuchtet mit Wandlampen, die an alte Straßenlaternen erinnerten. Sämtliche Wände waren vom Boden bis zur Decke von hölzernen Regalen verdeckt, aus denen die Bücher regelrecht herauszuquellen schienen. Auch auf dem Boden befanden sich Bücherstapel, die nicht gerade sorgsam sortiert wirkten.

»Okay«, sagte Josy eher zu sich selbst als zu Bonnie.

Das hier war ein Buchladen, völlig harmlos.

»Viel Spaß. Ich muss leider heim. Meine Hausarbeit ist morgen fällig, und wenn ich noch einen Abgabetermin verpasse, vierteilt mein Prof mich.«

»Dann viel Erfolg!«

»Danke, dir auch.« Mit einem Winken setzte Bonnie ihren Rollstuhl in Bewegung.

Josy atmete tief durch, dann stieß sie die schwere Tür auf. Ein Glöckchen ertönte. Sonst war es still hier drin. Der Straßenlärm, der auch in der ruhigen Gasse von den Hauptstraßen aus zu hören gewesen war, drang nicht durch die Tür ins Innere.

Der Teppichboden war dunkellila und stellenweise abgewetzt, aber sauber. Es roch nach Büchern und Geschichte und … Magie, auch wenn Josy selbst nicht wusste, wie so etwas roch. Irgendwie würzig. Verheißungsvoll. Aufregend.

»Hi.«

Ertappt sah Josy auf. Was würde der Mitarbeiter denken, wenn er sie dabei beobachtete, wie sie den Teppich anstarrte?

»Hi«, erwiderte sie und lächelte vermutlich ein wenig zu breit, als dass es echt wirkte.

»Kann ich dir helfen?« Der Verkäufer schien sich über Kundschaft zu freuen, jedenfalls strahlte er sie so an, als hätte er heute noch kein einziges Buch verkauft und hoffte jetzt auf ein gutes Geschäft.

Er würde eine Enttäuschung erleben. Selbst wenn Josy hier jedes einzelne Buch hätte kaufen wollen – sie hatte nur noch siebzig Pfund, mit denen sie bis zum Monatsende auskommen musste.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Josy.

Sollte sie wirklich nach einem Buch über Orakelkarten fragen?

Er sah sie abwartend durch seine altmodische Brille mit Goldrand an. Überhaupt wirkte er ein bisschen wie aus der Zeit gefallen, auch wenn er höchstens ein, zwei Jahre älter sein konnte als sie selbst. Er trug einen braunen Strickpulli über einem blauen Hemd und hatte rotbraunes Haar. Der Verkäufer sah nett aus. Vertrauenerweckend. Verständnisvoll.

Innerlich verdrehte Josy über sich selbst die Augen. Sie war hier in einem Eso-Buchladen. Da war sie wohl nicht auf das Verständnis des Mitarbeiters angewiesen, wenn sie etwas über Orakelkarten wissen wollte.

Er trat von einem Bein aufs andere. »Du kannst dich natürlich auch erst mal umschauen, wenn du möchtest. Ich bin …« Mit verlegenem Gesichtsausdruck gestikulierte er zu dem kleinen, von Büchern beladenen Tresen, auf dem eine altmodische schwarze Kasse stand.

»Okay, danke.« Josy machte Anstalten, durch einen der Gänge zu schlendern, drehte sich dann aber doch um. »Ich …«

»Ja?« Hastig sah er von einem aufgeschlagenen Buch auf, das er auf den Tresen gelegt hatte, um darin zu lesen.

Josy lächelte. Fast schon süß, wie eifrig er wirkte.

»Ich suche ein Buch über Orakelkarten.«

»Tarot, Lenormand, Göttinnen, Elfen, Engel …?«

Josy öffnete den Mund, schloss ihn wieder. »Äh … keine Ahnung.«

Er lächelte schon wieder so nett. Irgendwie sorgte er dafür, dass Josy sich hier wohlfühlte, auch wenn sie sich lächerlich vorkam.

»Suchst du nur ein Buch oder auch ein Kartenset?«

»Nein, Karten habe ich schon«, gab sie zu. »Aber ich weiß nicht, wie sie heißen.«

»Kein Problem.« Er eilte an ihr vorbei in den letzten Gang. »Wir schauen uns einfach mal ein paar Bücher an. Bestimmt erkennst du dein Set wieder.« Er blieb neben einem Regal stehen und drehte sich wieder zu ihr um. »Ich bin übrigens Fin.« Er streckte ihr die Hand hin.

Josy grinste und schüttelte sie. »Josy. Freut mich.«

»Mich auch«, erwiderte Fin und machte eine ausladende Handbewegung. »Tada. Am besten fangen wir mal mit Tarot an. Da gibt es endlos viele. Aber ich schätze, wenn du die Namen der Karten siehst, dann kannst du schon mal beurteilen, ob wir auf der richtigen Spur sind.« Er betrachtete die bunten Buchrücken. »Rider Waite, Rider Waite, Rider Waite … hier.«

***

»Nein, das auch nicht.« Josy zog eine entschuldigende Grimasse. »Es tut mir wirklich leid. Das ist ja mehr Arbeit, als die Forth Bridge zu streichen.«

Es hatte ganze einhundertzweiundzwanzig Jahre bis zur Fertigstellung der Brücke gebraucht. Die Arbeit daran war längst zu einem Symbol für Sisyphusarbeit geworden – und genau das war es auch, was Fin und Josy hier vor sich hatten.

Fast eine Stunde blätterten sie schon in Büchern über Orakelkarten, doch sie fanden nichts. Jedenfalls nichts, das ihr weiterhalf. Josy wusste jetzt bloß, was für Karten sie nicht hatte.

Fin schüttelte den Kopf. »Wir bekommen das schon hin.« Er hielt ihr ein Buch hin. »Sehen die Karten vielleicht so aus?«

Erschrocken wich Josy zurück und lachte dann verlegen über ihre überzogene Reaktion. Auf der Buchseite vor sich sah sie einen Totenkopf, aus einer Augenhöhle wand sich eine Schlange. »Zum Glück nicht«, erwiderte sie.